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Im Verlies der dunklen Fürstin

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Im Verlies der dunklen Fürstin

Obwohl die Verlassenen um Sylvanas Windläufer, genauso wenig wie sie, Schlaf brauchten, war es still in Unterstadt geworden und daran erkannte die Bansheekönigin, dass die Nacht heran gebrochen sein musste. Sie seufzte gelangweilt und betrachtete die Karten vor sich auf dem schweren Eichentisch, der in der Mitte ihrer Residenz stand, ohne richtig hinzusehen. Sie ließ ihren Blick durch den Audienzsaal schweifen in dem sie sich aufzuhalten pflegte. Die Fakeln, alle paar Körperlängen, die von lilanen Wandteppichen abgelöst wurden, beschienen den großen Raum nur schemenhaft. Gedankenverloren trat sie an ihren Schreibtisch, der ungenutzt wie unbeleuchtet hinten in einer Ecke stand. Sie nahm auf dem massiven, thronähnlichen Stuhl Platz, der mit einem Stoff bezogen war, der die selbe Farbe ihres Umhangs aufwies. Ein tiefdunkles Rot. Fremdgesteuert strich sie über das glatte Holz des Tisches. Auch auf ihm lagen Karten und Schreiben, von den anderen Anführern der Horde, oder irgendwelchen Spähern, die sie auf aktuellem Stand hielten. Ihre Hand folgte einer unsichtbaren Spur und öffnete die oberste Schublade des Schreibtisches. Einige Schreibuntensilien kamen zum Vorschein. Federkiele, leere Blätter, der Wachsstempel mit ihrem Emblem darauf. Ihre fahle Hand grub sich durch die Materialien, bis sie etwas kaltes erfasste. Etwas metallenes. Sie seufzte kurz, als sie bemerkte wohin ihr Unterbewusstsein ihre Hand geführt hatte und zog langsam, beinah zärtlich an der Kette.

Sylvanas ließ das schwere Silber durch die Finger ihrer anderen Hand gleiten, bis sie an dem großen Saphir halt machte und ihn kurz abwesend betrachtete. Für den Moment schien es ihr, als würde in dem Edelstein ein verirrter Funke tanzen. Schmunzelnd wendete sie das Schmuckstück in ihrer Hand und strich mit ihren Fingern über die Inschrift auf der Rückseite. 'Für Sylvanas. In ewiger Liebe, Alleria.', stand da in schwungvollen Lettern geschrieben und ganz kurz drohte Trauer ihre verstümmelte Gefühlswelt zu überschwemmen. Trauer um ihre verschwundene ältere Schwester, die mutig gen Draenor gezogen war. Für ihr Volk und für die verhasste Allianz. Die dunkle Fürstin schalt sich für derlei dümmliche Gefühlsregungen. Selbst wenn die verlorene Schwester tatsächlich noch am Leben war und ihren Weg zurück nach Azeroth würde finden können, so wären sie heute sicherlich Todfeinde.

Sylvanas Miene verhärtete sich, als längst gesagte Worte in ihren Geist drangen.

'Du bist geflogen wie ein Pfeil im Wind, Schwester. Du warst die Beste unseres Ordens. Du warst die Teuerste unserer Sippe.' Wahre Worte. Allerias Verlust schmerzte sie. Am meisten, wenn auch sie sich das nie eingestehen würde. Sylvanas war eine andere geworden. Etwas anderes. Die schöne, wenn auch eitle Waldläufergeneralin, die sie einst war, war gestorben. Vor ewiger Zeit wie es ihr bei Zeiten schien. Sie war jetzt die Bansheekönigin, die Herrscheren der Verlassenen. Ihre glühend roten Augen schlossen sich für den Moment. Eine Abwechslung musste her. Genaugenommen eine Ablenkung.

Die dunkle Fürstin schwang sich grazil, wie es für eine Untote eigentlich unmöglich war, von ihrem Stuhl und ihr roter Umhang flatterte wild und zerfetzt von ihrem Rücken, bei dem Tempo, das sie augenblicklich hinaus aus ihrem Audienzsaal trug.

Die beiden Wachposten ignorierend, die vor ihrem Thronsaal postiert waren, eilte sie durch die gewundenen Gänge, die Unterstadt mit ihrer Residenz verbanden. Überquerte Kreuzungen, folgte Kurven, stieg Treppen hinab und traf immer wieder die ein oder andere Wache, die ehrfürchtig das Haupt vor seiner Königin senkte. Tief unter der Unterstadt waren die Verliese, gut gesichert durch eine Eliteeinheit Verlassener und erreichbar nur über einen einzigen Gang. Die Wachmänner hier unten verneigten sich nicht vor ihr. Sie zuckten nicht einmal als die Bansheekönigin ihre Gefilde betrat. Das war ein ganz anderer Schlag Untergebener. Kompromisslos und befreit von Angst. Schon zu Lebzeiten hatten sie Orcs in den Internierungslagern, den wertlosen Rest ihres Daseins zur Hölle gemacht. Im Untot konnten sie hier ihrer Berufung weiter nachgehen.

"Welcher?", fragte einer und griff nach seinem Schlüsselbund.

"Todesweber." Sylvanas streckte die Hand aus und umfasste ruhig das Eisen, nachdem es in ihre Hand gelegt wurde. Der Wachposten trat zurück an den Tisch, an dem die anderen drei saßen und sie durchschritt die erste schwere Tür. Keiner sagte etwas und es war, als wäre die Dunkelläuferin nie da gewesen. Das Ende des spärlich beleuchteten Ganges war nicht auszumachen, doch so weit würde sie eh nicht an den Zellen vorbei schreiten. Ihr Ziel war nur drei Türen hinter dem Hauptor gelegen und so erreichte sie es schnell. Der eiserne Schlüssel glitt fast geräuschlos in sein Schloss und erst das Knacken des sich öffnenden Mechanismus, warnte den Zelleninsassen. Der Blutelfentodesritter schaute gelangweilt zu ihr auf. Eine Fassade, die er nicht mehr allzu lange in der Lage sein sollte aufrecht zuerhalten.

"Mylady Windläufer, ich habe schon auf euch gewartet." Seine süßlich gesäuselten Worte brachten ihr Übelkeit, doch sie schluckte sie mühelos runter. Sie hatte schon so viel widerwärtiges Zeug auf dieser Welt gesehen, das war ihre leichteste Übung.

"Wie ich sehe habt ihr es euch schon heimisch gemacht, in eurem neuen Zuhause, Koltira." Sie nickte abfällig auf die zerschlissene Decke die, unweit von ihm entfernt, wohl als Kopfkissen hatte herhalten müssen. Dieser Todesritter war eine einzige Enttäuschung. Doch als Verbindungsmann zum Orden der Ritter der Schwarzen Klinge nicht vollkommen wertlos. Diesem Umstand war es zu verdanken, dass er nicht schon längst einem tödlichen Pfeil von Sylvanas zum Opfer gefallen war. Koltira Todesweber wusste nur zu gut um diesen Umstand, was ihn selbstsicher lächeln ließ. Das würde er noch bereuen.

Die Bansheekönigin hatte ihn mit der Eroberung Andorhals beauftragt, doch die Allianz hatte auch interesse an dem strategisch wertvollen Stützpunkt. Und Varian, dieser möchtegern Gladiatorkönig, hatte ausgerechnet Thassarian mit seinen Truppen ausgeschickt, um es für die verhassten Feinde zu erobern. Koltira und Thassarian waren unter dem Banner der schwarzen Klinge zu Brüdern geworden und so taten sie sich schwer gegeneinander zu kämpfen. In einer Verkleidung verborgen, einem Impuls des drohenden Verrates gefolgt, musste Sylvanas dabei zusehen, wie ein Waffenstillstand geschlossen wurde. Es hatte sie eine ihrer wertvollen Val'kyr gekostet ihr Vorhaben schlussendlich doch durchzusetzen und dafür würde der Blutelfentodesritter büßen.

Noch immer zierte ein siegessicheres Lächeln die blutleeren Lippen des Elfen und Sylvanas ließ bereitwillig ihre Abscheu gegen den Verräter in sich hochkochen. Sie zog ihn an seinen Handfesseln zu sich in den Stand.

"Folgt mir.", befahl sie nur kühl und ließ sich die aufsteigende Vorfreude nicht anmerken.

"Führt ihr mich in eure Privatgemächer, meine Königin? Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich noch ein Bad genommen." Wieder dieses schleimige Lächeln. Sie schwieg. Sie hatte es nicht nötig auf seine erbärmlichen Sticheleien zu reagieren. Das Lachen würde ihm gleich eh vergehen.
 

Zufrieden betrachtete sie den bewusstlos wirkenden Blutelfen zu ihren Füßen, nachdem sie ihn zurück in seine Zelle gebracht hatte. Die Ohnmacht wäre ihm ganz sicher willkommen gewesen, doch dazu hatte sie es nicht kommen lassen. Mit Genugtuung suchte sie seinen, nur von einem Leinenfetzen bedeckten, Körper nach jeder ach so kleinen Wunde ab, die sie ihm mit Genuss zugefügt hatte. Schnitte und Prellungen jeder Art waren darauf zu finden und zählen konnte man sie bei weitem nicht mehr.

"Vielleicht werdet ihr doch noch ein wertvolles Werkzeug für die Horde." Er regte sich nicht. Es war ihr gleich. Sie verschloss die Zellentür und schritt hinaus zum Haupttor. Das Bild hatte sich kaum verändert. Die Kerkerwachen saßen noch immer davor an dem kleinen Tisch und spielten Karten. Aber ein recht aufgeregt wirkender Wachmann von weiter oben, genaugenommen eine ihrer persönlichen Wachen, schien ungeduldig auf die dunkle Fürstin zu warten. Sie warf den Schlüssel mitten auf den Tisch, sodass selbst die abgebrühten Verlieswachen einmal aufblicken mussten und trat auf den anderen zu.

"Meine Königin!", ließ er sich undeutlich vernehmen. Ohne Haut um Ober-und Unterkiefer sprach es sich offenbar nicht mehr ganz so frei. Sie trat an ihm vorbei.

"Was ist?", wollte sie zischend wissen. Die Bansheekönigin hasste Unverhergesehenes und das auftauchen dieser Wache, tief unten in den Verliesen, ließ auf nichts anderes schließen.

"Es gibt einen Eindringling in Unterstadt. Euer Audienzsaal wurde verwüstet." Verwundert blieb die dunkle Fürstin stehen und schaute dem Wachmann mit einer hochgezogenen Augenbraue in das zerschlissene Gesicht.

"Wie ist das möglich? Habt ihr ihn ergriffen?"

"Nein, Herrin. Bisher noch nicht, aber... " Weiter ließ sie ihn nicht kommen. Murmelnd und fluchend rauschte sie an dem Verlassenen vorbei und stieg eilig die vielen Treppen und Gänge hinauf.
 

Die junge Schurkin spürte ihr Herz rasen und das Blut rauschte laut in ihren langen Ohren. Sie hatte einiges an Vorsprung geschaffen, nachdem sie den Audienzsaal der Bansheekönigin verlassen hatte. Die Untoten hatten einige Zeit gebraucht um zu bemerken was vorgefallen war. Doch jetzt war die ganze Unterstadt von Lordaeron in heller Aufregung. Behände schlich die grazile Elfe von Schatten zu Schatten. In den erbärmlich stinkenden und grün blubbernden Kanälen konnte sie sich mehr oder weniger rasch fort bewegen. Eine frische Brise strömte in den Tunnel und sie wusste, dass sie es beinah geschafft hatte. Wild durcheinander wirkende Schritte hinter ihr trieben sie zur Eile und erst als sie die tatsächliche frische Luft Lordaerons einatmen konnte, gestattete sie sich, sich umzusehen und ihrem wild hämmernden Herzen eine Pause zu gönnen. Unter ihrem Schwarzen Mundschutz glitt ein Lächeln über ihre rosigen Lippen und beseelt vom Erfolg ihrer Mission nahm sie erneut die Beine in die Hand.

Die Sonne kündigte sich bereits am Horizont an, als sie Tirisfal erreichte und sie wähnte sich bereits in Sicherheit. Die Schurkin wollte grade ihre Schritte verlangsamen als sie harsch zu Boden gerissen wurde. Sie riss ihren Kopf zu ihren Füßen die von einer Schleuder gefesselt waren.

"Verdammt!", erklang es gedämpft unter dem schwarzen Tuch, das ihren Mund verdeckte. Anstatt zu versuchen die Fessel zu lösen, zog sie ihren Stiefeldolch und wartete. Nichts geschah. Es war gespenstisch still kurz vor dem kleinen Städtchen, das ihr Ziel gewesen war und ihre Ohren zuckten, als endlich ein leises Geräusch, einige Körperlängen entfernt, auszumachen war. Ohne nachzudenken warf sie den Dolch in die Richtung aus der das Geräusch kam. Ein plötzlicher Schmerz durchfuhr ihre Schulter, doch sie wagte es nicht den Punkt aus den Augen zu lassen, den sie fixierte. Langsam trat eine Gestalt in lauernder Haltung auf sie zu, den Bogen schon wieder gespannt. Erst da wurde ihr klar, dass ein Pfeil sie soeben in der Schulter getroffen hatte.
 

Ihre Residenz glich dem reinsten Chaos, doch Sylvanas suchte ruhig und systematisch den Raum ab. Bisher hatte sie nichts finden können worauf der Dieb es abgesehen hatte. Selbst ihr Bogen Totenschrei samt Köcher war nur achtlos aus dem Weg gestoßen worden. Sie hob ihn auf und lehnte ihn an die Wand nah ihres Schreibtisches. Auf dem Tisch lagen die Dokumente achtlos verstreut. Es machte keinen nennenswerten Unterschied, aber Sylvanas wusste, dass sie eine andere Unordnung zurückgelassen hatte. Der Blick ihrer rot schimmernden Augen glitt weiter. Die Schubladen standen offen.

Nein. Nur die erste. Und die dunkle Fürstin wusste plötzlich, dass der Dieb gefunden hatte wonach er gesucht hatte. Sie riss die Schublade aus ihrer Führung und stürzte ihren Inhalt auf den Tisch. Sie fehlte. Allerias Halskette fehlte. In dem Moment, als sie sich vom Stuhl gerissen hatte, erklangen Schritte im Gang zu ihrer Residenz, die ihren sensiblen Ohren nicht entgingen, obwohl sie nicht schwerfällig waren, wie sie es von ihren Verlassenen sonst gewohnt war.

"Nathanos!", stieß sie hervor, bevor sie abrupt in ihrer Bewegung inne hielt. Für einen Herzschlag setzte ihre Atmung aus. In seinem Griff eine aufrechte Elfe. Ganz in schwarzes Leder gekleidet, die Kaputze tief ins Gesicht gezogen und das Gesicht von einer Maske verdeckt. Der Pestrufer, Sylvanas Champion, warf zwei reich verzierte Dolche vor sich, gefolgt von einem kleinen, einigen Wurfsternen und einem Dietrich.

"Ich habe ihre Spuren bis nach Tirisfal verfolgt, meine Königin." Die schlanke Elfe wand sich im Griff des Pestrufers, doch dieser war, geschwächt von ihrer schmerzenden Schulter, erbarmungslos. Verwunderung zeichnete sich auf dem Antlitz der Bansheekönigin ab, als sie kein vertrautes Schimmern aus dem Inneren der Kaputze wahr nahm und so trat sie langsam näher.

"Seid ihr sicher, dass sie es war?", fragte Sylvanas ihren Champion.

"Ohne Zweifel, Mylady." Die dunkle Fürstin kam vor der Elfe zum Stehen und zog ihr erst den Munschutz vom Gesicht und dann die Kaputze vom Haupt. Was sie erblickte ließ die Herrscherin der Verlassenen für den Bruchteil eines Herzschlages erstarren. Mehr graue als blaue Augen fixierten sie hasserfüllt und ein kleiner frecher Grünstich schlich sich funkelnd herein. Ihr von Schweiß benetztes ebenmäßiges und jugendliches Gesicht war umrahmt von hellbraunen Haaren, die im Einklang zu ihrer hellen Haut standen.

"Eine Quel'dorei.", stellte die Bansheekönigin verblüfft fest. Die grauen Augen verengten sich zu Schlitzen, bevor die Diebin ohne zu zögern zielsicher mitten in das Gesicht der dunklen Fürstin spuckte. Die dunkle Fürstin erstarrte und wischte sich den Speichel mit dem Mundschutz der Hochelfe von der Wange. Ganz kurz bewunderte Sylvanas den selbstmörderischen Schneid, den die Schurkin an den Tag legte, doch eine schallernde Backpfeife folgte als Antwort auf dem Fuße. Trotz der brachialen Kraft, die sie vermochte in diesen Schlag zu legen, fing sich die Diebin äußerst schnell und bedachte die Bansheekönigin wieder mit ihrem von Hass verzerrten Blick.

"Man sollte meinen, dass eine Elfe von Hoher Geburt mehr Anstand hätte.", zischte Sylvanas gefährlich leise.

"Ich bringe keinem Mitglied der Horde Anstand entgegen." Die klare Stimme drang hart durch Sylvanas Bewusstsein. Die häßlichen Worte straften ihre zarte Stimme Lügen. Zu lange hörte sie nur noch die verzerrten und gezeichneten Stimmen ihrer Untergebenen.

Sylvanas entfernte sich ein wenig von den beiden und wandte sich an ihren Champion.

"Ist das alles was du bei ihr gefunden hast, Nathanos?", fragte sie und deutete mit den Augen auf die Waffen der Schurkin.

"Ja, meine Königin." Der ergebene Ton in dem er sprach reichte ihr bei weitem nicht.

"Bist du sicher? Hast du sie gründlich durchsucht?", hakte sie nach, bemüht ihre aufgebrachte Stimme zu zügeln.

"Selbstverständlich, Sylvanas.", sagte er ruhig und die persönliche Ansprache erinnerte sie daran, dass sie selbst den Pestrufer einst ausgebildet hatte und er ihr absolutes Vertrauen genoss. Der erste und einzige Mensch, den Sylvanas je unterrichtet hatte. Ewigkeiten war das her, wie ihr schien. Damals hatte er selbst einen nicht unerheblichen Teil dazu beigetragen, dass die Quel'dorei in die Allianz aufgenommen wurden. Die dunkle Fürstin sog leise, aber tief die Luft ein und rief sich zur Ruhe.

"Wo ist sie?", verlangte sie nun von der Hochelfe zu wissen. Die sah ihr siegessicher, herausfordernd und vorallem überheblich direkt in die Augen.

"Ich weiß nicht wovon ihr sprecht, Bansheekönigin."
 

Es kostete sie wirklich alles, dem allesdurchdringendem roten Blick der dunklen Fürstin Stand zuhalten, aber die Schurkin gebot sich selbst Ruhe zu bewahren. Sylvanas zuckte kaum merklich, doch war es ihr nicht entgangen. Irgendwie amüsierte es sie, dass sie dem Schmuckstück nachzutrauern schien, dass von einem Leben zeugte, dem sie schon lange unwürdig geworden war. Ein weiterer Schlag erwischte ihre Wange so stark, dass ihr Kopf hart zur Seite gerissen wurde. Die Kraft der Bansheekönigin war unbeschreiblich und nie im Leben hätte sich die Diebin darauf vorbereiten können. Und doch hob sie wieder ihren Kopf, unterdrückte den Schmerz und schaute auf in das dunkle Rot.

"Lüg mich nicht an!" Die dunkle schwere, fast süße Stimme von Sylvanas war ruhig und jetzt war sie sich wieder sicher, dass die Herrscherin der Verlassenen das gefühlstote Ding war, für das sie sie gehalten hatte.

"Wer bist du?", fragte die dunkle Fürstin, nachdem die Diebin sich weiter in Schweigen hüllte.

"Das ist nicht von Belang." Sylvanas trat heran und legte eine Hand auf die lederbewehrte Schulter der Schurkin. Sie drückte kräftig zu und augenblicklich setzte der heftige Schmerz der Wunde ein, die das Geschoss des Pestrufers hinterlassen hatte. Ungestillt hatte sie bis hier hin geblutet, nachdem Nathanos seinen Pfeil ohne Zögern heraus gezogen hatte.

"Ich entscheide was von Belang ist.", sagte die Banshee und trat wieder quälend langsam einen Schritt zurück. Die Schurkin hatte sich leicht vorgebeugt um dem Schmerz Einhalt zu gebieten und betrachtete nun von unten die Silhouette der dunklen Fürstin. Schön war sie selbst im Tode, das musste sie zugeben. Die langen Jahre als Waldläuferin hatten ihren Körper wohl geformt und das fahle graublonde Haar fiel der Banshekönigin in sanften Wellen vom Haupt.

Unvermittelt drehte sie sich wieder um und packte die Schurkin erneut an der Schulter um sie aufzurichten und ihr wieder in die Augen zu blicken. Die roten Augen schienen für den Moment in dem Sylvanas inne hielt kurz zuflackern und ihr verschlug es, für eben diesen, den Atem.

"Schickt dich der Silberbund?" Der Blick wurde eindringlich.

"Schickt dich Vereesa?", fragte sie weiter. Nein. Sie würde ihre Anführerin ganz sicher nicht verraten. Da musste sich diese Banshee schon etwas besseres einfallen lassen. Die Schurkin schwieg. Und wieder setzte der Schmerz unvermittelt und heftig ein, als Sylvanas ihre Finger wie Krallen in die Wunde grub. Die Schurkin stieß einen kleinen, aber spitzen Schrei aus, den sie sich sogleich wieder verbot.

"Schön, wie du willst. Bring sie ins Verlies." Nathanos nickte seiner Königin nur zu und führte die Schurkin zu dem Gang, der sie aus dem Audienzzimmer führen würde. Sie konnte es nicht sehen, aber sie spürte den allesverzehrenden Blick der dunklen Fürstin noch lange auf ihrem Rücken.
 

"Du musst vorsichtig sein, Cerise. Ich kann dir niemanden mit nach Lordaeron schicken. Alleine erregst du am wenigsten Aufsehen. Niemand bewegt sich so ungesehen durch die Schatten wie du." Gebannt hatte die Schurkin den schmeichelnden Worten ihrer Herrin gelauscht und sie in sich aufgesogen um sie tief in sich zuverschließen.

"Ich werde euch nicht enttäuschen, Lady Windläufer." Cerise verbeugte sich tief vor der blonden Schönheit, die die Führerin des Silberbunds war und wandte sich aus den Privaten Gemächern von Vereesa Windläufer.

Auf den Straßen der silbernen Enklave in Dalaran hielt die junge Quel'dorei nochmal inne und schaute hoch zum Fenster. Vereesa nickte ihr entschlossen zu und sie konnte ein glückliches Lächeln nicht unterdrücken, bevor sie sich umdrehte und ihrer Mission entgegen trat.

Die Erinnerung an ihre Herrin ließ Cerise seufzen und sie kam nicht umhin sich zu fragen, ob sie die Anführerin des Silberbunds jemals wieder sehen würde. Die Schurkin betrachtete die kahlen Wände ihrer Zelle. Die einsame Fakel am Gestein warf zuweilen bedrohlich wirkende Schatten, wenn die Müdigkeit sie zu umhüllen drohte. Wie lange saß sie schon in dieser Zelle? Tag und Nacht waren hinter den unterirdischen Mauern Lordaerons belanglos geworden. Die Türen der Zellen öffneten sich nur unregelmäßig um etwas Brot und Wasser durch zulassen und darum war daran auch nicht zu erkennen wie viel Zeit verstrich. Sie begann sich zu fragen, ob man sie nun einfach bis zum Ende ihrer Tage hier versauern lassen würde? Bei dem Gedanken schluckte die Hochelfe trocken. Bis zum Ende ihrer Tage? Wie lange das wohl sein würde? Der Sonnenbrunnen war zerstört. Nichts würde ihr wertlos gewordenes Leben weiter in die Länge ziehen, doch wie lange das tatsächlich sein würde vermochte sie sich nicht vorzustellen. Ihre schwarze Lederrüstung hatte sie gegen ein luftiges Leinenhemd tauschen müssen und kurz fragte sie sich ob der Stoff wohl ihr Gewicht halten würde, wäre er um die Fakel an der Wand gebunden. Prüfend betrachtete sie die Lichtquelle ein weiteres mal. Die Leinen vielleicht, die Fakel wohl weniger.

Das Aufschnappen des Schlosses ließ sie kurz zusammenfahren, doch sie war bemüht es sich nicht anmerken zulassen. Sylvanas zog eine Augenbraue gen Haaransatz. Offenbar war Cerise der Versuch missglückt.
 

Die junge Diebin saß aufrecht, mit den Händen auf ihrem Rücken gefesselt, an die Wand gelehnt. Die Wunde die Nathanos Pfeil hinterlassen hatte, blutete mittlerweile nicht mehr, aber die Leinen in unmittelbarer Nähe waren in das verräterische Rot getränkt. Sie schaute auf in das fahle Gesicht der Fürstin. Vielleicht hätte Sylvanas sie noch länger schmoren lassen sollen. Ihre Augen zeugten noch immer von dieser eitlen Selbstsicherheit und schienen keinen Funken Schwäche nach Außen treten zulassen. Die dunkle Fürstin zog eine Augenbraue hoch, denn kurz hatte die Schurkin sie an sich selbst erinnert.

"Steh auf.", befahl Sylvanas nachdem sie sich von dem Anblick endlich losreißen konnte. Sie rührte sich nicht und so schaute die Bansheekönigin wieder auf sie hinab. Die junge Hochelfe starrte mittlerweile stur auf die Fakel, die an der gegenüberliegenden Wand lag und schien sich in ihren Geist zurück zuziehen.

"Nein!", zischte Sylvanas nun und beugte sich zu ihr runter. Sie packte die Quel'dorei an ihrer Schulter, was sie keuchen ließ. Augenblicklich erntete die dunkle Fürstin einen hasserfüllten Blick, doch sie ließ sich nicht beirren. Ohne mit der Wimper zu zucken und mit einer überragenden Kraft zog sie die Diebin zu sich in den Stand. Nachdem sie ein weiteres mal keuchen musste, fixierten die grauen Augen der Schurkin einmal mehr ihren rot glühenden Blick. Ein wenig überrascht, ob der plötzlichen Nähe, wie es schien, sog sie scharf die Luft ein. Sylvanas verharrte einen Herzschlag zu lange in der Position, bewundernd gefangen in der sturen Arroganz, die die zierliche Elfe vor ihr ausstrahlte. Sie wandte sich schließlich ab und trat aus der Zelle.

"Folge mir!" Dieses mal gehorchte die Schurkin und die Herrscherin der Verlassenen hörte ihre leisen Schritte hinter sich, die nur durch ihre Schulterverletzung nicht ganz so anmutig klangen, wie es sein sollte.

Sylvanas führte sie in ein kleines Büro und nahm hinter dem Schreibtisch platz. Auf der Tischplatte lagen Listen und Akten zu allen Insassen.

"Setz dich." Ihr roter Blick deutete auf den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches. Die Schurkin verzog noch einmal das Gesicht, offenbar spürte sie den Schmerz, der schlecht verheilten Wunde noch deutlich genug um zu gehorchen. Sie ließ sich nieder und starrte die Bansheekönigin abwartend an. Sylvanas zog eine Feder zu sich und strich ein Pergament vor sich glatt.

Sie schrieb die Zellennummer nieder und schaute nun auffordernd und kalt in das makellose Gesicht der Quel'dorei.

"Für den Anfang, verrate mir deinen Namen.", bat sie fast freundlich, was die Miene der Schurkin kurz zucken ließ. Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Die dunkle Fürstin hatte auch nicht erwartet, dass sie auch nur eine einzige Antwort ohne Kampf bekommen würde. Ob die Diebin ihn nun mit ihr oder sich selbst ausfocht war ihr gleich.

"Cerise Nebelsang." Sylvanas zog erneut eine Augenbraue hoch, verwundert über die nun doch rasch gegebene Antwort. Der Trotz stand in den grün funkelnden grauen Augen. Warum nun die resignierende Antwort?

Sie schrieb den Namen hinter die Zellennummer und betrachtete gedankenverloren die geschwungenen Lettern, die sie zu Papier gebracht hatte.

"Wo kommst du her?", fragte Sylvanas weiter in der Hoffnung einen ehrlichen Moment erwischt zu haben.

"Ich wurde in Silbermond geboren und wuchs in den Wäldern des Immersangwaldes auf. Ausgebildet wurde ich von Meister Zelanis. Als sich die Quel'dorei der Allianz anschlossen wurde ich in Sturmwind statio..." Ihre klare Stimme brachte den Schwall an Worten in schier atemberaubender Geschwindigkeit heraus, wie es Sylvanas schien und eben so schnell verlor sie ihre Geduld.

"Das reicht!", unterbrach sie Cerise bestimmt. Die junge Hochelfe sah sie beinah entrüstet an.

"Und ihr wollt mir etwas von Anstand erzählen? Euer Anstand wurde offenbar ebenso von Arthas Menethil erschlagen." Sylvanas Augen verengten sich bedrohlich, doch die Schurkin schien nur noch trotziger zu werden.

"Anstand wirst du hier früher oder später lernen, wenn du dich nicht kooperativ zeigst." Die dunkle Fürstin ließ die Worte wirken, doch schien die Drohung ihre Wirkung um Meilen zu verfehlen. Sie hätte es besser wissen müssen. Eine Quel'dorei war nicht von ähnlich schwachem Geist und Willen, wie ein erbärmlicher Mensch, oder auch ein Verlassener.

"Wer hat dich geschickt?" Keine Antwort. Wut kroch langsam in ihr hoch, doch sie drängte sie mit aller Macht zurück. Unbesonnenes Vorgehen war fehl am Platz, zu wertvoll war das Wissen in der Elfe vor ihr.

"Wo ist sie?", wiederholte sie die allesentscheidende Frage.

"Wovon sprecht ihr?" Der freche Schalk im Antlitz der Schurkin brachte das Fass zum Überlaufen. Sylvanas war ohne es zu wollen von ihrem Stuhl aufgesprungen und um den Schreibtisch herum geeilt. Bedrohlich legte sie je eine Hand auf die Armlehnen, des Stuhls auf dem die Diebin saß. Der Geruch von Wäldern und Freiheit drang in ihre Nase und benebelte für einen Herzschlag ihren Geist. Cerise hob trotzig den Kopf und starrte ihr direkt in die glühenden Augen.

"Wo ist meine Kette?", fragte sie nun leise und ihre dunkle Stimme hatte für den Moment ihre Schärfe verloren. Die Augenblicke verstrichen und Sylvanas drohte in den Augen der Diebin zu versinken, doch ihre Antwort riss sie hart aus ihrer Starre.

"Warum sollte ich für ein einziges Schmuckstück in die Unterstadt Lordaerons einbrechen, Lady Windläufer?" Sie betonte den Namen der Bansheekönigin auf merkwürdige Art und Weise, was sie aufhorchen ließ.

"Du weißt genau um den Wert dieser Halskette!", zischte sie nun und fand ihre Schärfe wieder. Sylvanas richtete sich auf und trat einen Schritt zurück.

"Vereesa schickt dich. Was will sie mit meiner Kette?" Etwas wand sich im Gesicht der jungen Hochelfe und drängte hervor, wenn auch sie versuchte ihre Fassade zuwahren.

"Ihr seid dieses Geschenkes schon lange unwürdig geworden, Bansheekönigin!" Die Hand der dunklen Fürstin schnellte vor und riss den Kopf der Schurkin unnachgiebig zur Seite.

"Was weiß eine dahergelaufenen Diebin schon? Alleria hat sie mir geschenkt und nirgendwo anders sollte sie sein als in meinem Besitz." Sylvanas Stimme hatte sich vor Schmerz verzerrt und aufgebracht funkelten ihre roten Augen auf die ausgelieferten Quel'dorei herab.

"Eure Schwester würde euch die Kette höchstpersönlich aus euren untoten Händen entreißen, wäre sie an meiner Statt. Genau so wie Vereesa!", schrie Cerise nun aufgebracht und ließ ihrem Hass nun freien Lauf. Wieder schoss die Rechte der dunklen Fürstin vor und riss so stark an ihrem jugendlichen Gesicht, dass sie samt Stuhl umgeworfen wurde. Die Wut loderte erbarmungslos in der Bansheekönigin und hasserfüllt blickte sie auf die gekrümmte Cerise am Boden. Einige Augenblicke war es still in dem kleinen Büro geworden. Doch dann, ein heiseres Lachen, das immer lauter wurde, bis es beinah irre klang. Die Schurkin linste über ihre Schulter und blickte überlegen in das verzerrte Gesicht der dunklen Fürstin.
 

Cerise saß wieder in ihrer Zelle und ließ ihr Gespräch mit der Bansheekönigin Revue passieren. Sie hatte sich gehen lassen, im Zorn auf die untote Schönheit, die ihr so gefährlich nah gekommen war. Ihre Schulter schmerzte höllisch. Die Wunde hatte sich nicht vernünftig verschlossen und war entzündet. Doch ihre Wange, die ein ums andere mal den harten Schlägen der Herrscherin der Verlassenen ausgesetzt war, spürte jeden Finger der toten Hand, überdeutlich. Die dunkle Fürstin hatte sie bis aufs Blut gereizt und nun hatte sie zumindest eine deutlichere Ahnung bekommen, dass Ceris ihrer Schwester unterstehen könnte. Und doch schien es ihr als regte sich etwas in der untoten Elfe. Als hätte sie noch immer eine emotionale Bindung zu dem Schmuckstück, das sie einst von ihrer verschollenen Schwester geschenkt bekommen hatte. Doch die Bansheekönigin hatte sie kauernd auf dem Boden zurück gelassen und zwei der widerwärtigen Verlieswachen hatten sie schließlich grob zurück in ihre Zelle geschliffen. Ein Geräusch ließ sie aufschauen. Viel zu wohlklingend für diesen schrecklichen Ort. Was war das? Ein Pfeifen? Ja, jemand pfiff eine verspielte Melodie.

"Hallo?", ließ sie sich vernehmen. Das Pfeifen verstummte. Einige Herzschläge war es still geworden in ihrer und den Zellen um sie herum.

"Welch liebliche Stimme, an solche einem finstren Ort.", erklang schließlich eine freundlich wirkende männliche Stimme. Cerise schwieg. Konnte sie jemandem vertrauen, der in einem Kerker eingesperrt saß? Ob nun im Verlies der Verlassenen, oder sonst wo, eingesperrt waren doch nur welche, die es auch verdienten, oder? Der Mann schmunzelte warm und der Gedanke, dass jemand so sanftmütiges hier eingesperrt war, ließ ihren Eindruck schwanken.

"Schon gut. Ich würde auch nicht mit einem Verräter sprechen wollen." Verräter? Wen hatte er verraten? Wen wähnte er in der Zelle gegenüber? Sie kaute auf ihrer Unterlippe und kam letztlich zu dem Schluss, dass es sicher nicht schaden würde ihre Sprach nicht zu verlieren.

"Ihr seid ein Verräter?", fragte sie schließlich.

"Oh, sie hat das sprechen doch nicht verlernt! Welch willkommene Abwechslung im eintönigen Grau unserer vorläufigen Residenz." Seine Stimme hatte sich für den Moment erhoben und sie stellte sich vor, dass er seine Arme dabei ausbreitete.

"Ich bin euch zutiefst zu Dank verpflichtet, Mylady. Ob ich nun ein Verräter bin, muss wohl jeder für sich allein entscheiden. Die dunkle Fürstin, für ihren Teil, ist sich ihrer Sache offenbar mehr als sicher. Darf man denn auch fragen, welch schrecklichem Umstand wir es zu verdanken haben, dass sich eine zarte Blüte wie ihr am Abgrund der Hölle befindet?" Seine Sprache war kultiviert und deutlich, was sie darauf schließen ließ, dass sie es hier nicht mit einem Verlassenen zutun hatte. Höchstwahrscheinlich ein Blutelf. Der Gedanke gefiel ihr nicht sonderlich, aber wählerisch konnte sie hier unten auch nicht sein.

"Wie habt ihr die Bansheekönigin verraten, dass ihr nun euer Dasein hier fristen müsst?", fragte sie weiter ohne auf seine Frage einzugehen. Wieder ein wohlklingendes Schmunzeln.

"Oh, das ist viel weniger spektakulär wenn man es erstmal erklärt, Mylady. Also machen wir doch lieber mit euch weiter." Ein verirrtes Lächeln glitt über ihre zartrosanen Lippen. Was machte es jetzt noch aus. Sie würde in diesem Loch vermutlich ewig verweilen. Das einzige was sie tun konnte, war die Ewigkeit so kurz wie möglich zu halten.

"Ich habe der Bansheekönigin etwas entwendet, das sie überraschender Weise schmerzlich vermisst. Wie ihr seht ist auch meine Geschichte nicht eine die Großväter des Nachts ihren Enkeln am Lagerfeuer erzählen. Jetzt seid ihr wieder dran. Wie habt ihr Sylvanas betrogen?"

"Wie überaus interessant! Was habt ihr der dunklen Fürstin genommen? Was bedeutet der Banshee, die über Unterstadt herrscht, etwas? Ihr mächtiger Bogen Totenschrei? Habt ihr einen Weg gefunden sie einer ihrer Val'kyr zu berauben?" Jugendliche Aufregung und Neugierde schwang deutlich in seiner Stimme und ließ Cerise abermals lächeln.

"Na na, Mylord. Erst ihr."

"Natürlich, Mylady. Verzeiht meine ungestüme Art. Nun wie ich schon sagte, es ist eine unspektakuläre Geschichte. Ich habe mich lediglich an meinem Stützpunkt für einen Waffenstillstand entschieden. Grund genug für die dunkle Fürstin mich des Verrats zu bezichtigen." Er seufzte hörbar, bevor er fort fuhr.

"Ich brachte es nicht über mich gegen meinen Freund Thassarian zu kämpfen." Seine Stimme versagte ihm den Dienst, doch die Schurkin wurde bei dem Namen hellhörig.

"Thassarian? Ihr seid Koltira Todesweber! Auf ganz Azeroth erzählt man sich von den Rittern der schwarzen Klinge, die sich von dem Joch des Lichkönigs befreit und schließlich maßgeblichen Anteil an seinem Sturz hatten.", stieß sie nun nicht minder aufgeregt hervor. Als der Todesritter wieder zu sprechen begann war seine Stimme kaum hörbar, Sehnsucht nach glorreicheren Tagen schwang darin mit.

"Ja, so ist es gewesen. Heute ist es anders. Jetzt seid ihr aber wieder dran." Cerise überlegte kurz. Die Bansheekönigin war sich ihrer Sache wohl sicher, also konnte sie ihm auch soviel sagen:

"Ich stahl eine Halskette. Sylvanas hatte sie einst von ihrer jüngsten Schwester geschenkt bekommen." In dem Moment musste sie wieder an die aufgebrachte dunkle Fürstin denken, die mit solch einer Leidenschaft versuchte das verloren gegangene Schmuckstück wieder zu erlangen. Und einmal mehr fragte sich die Diebin, ob Sylvanas innerlich so abgestorben war, wie äußerlich. Er hatte ihren beinah traurigen Unterton offenbar nicht überhört und so erwiderte er nun mehr und mehr aufgebracht:

"Ihr dürft der dunklen Fürstin nicht trauen. Das Zwielicht ist ihre Heimat, Lug und Trug sind ihre Waffen. Sie weiß es wie keine andere den Verstand zu verwirren und den Geist zu brechen. Sie ist verschlagen und grausam. Wahrlich die Herrscherin über die Hölle die sie hier schuf!"
 

Sylvanas saß an ihrem Schreibtisch, hatte die schweren Lederstiefel darauf gebetet und massierte sich grübelnd ihren Nasenrücken. Wie sollte sie dem Willen dieser Diebin beikommen? Zeit blieb ihr nicht viel, aus mehreren Gründen. Zum einen musste sie davon ausgehen, dass die Kette in ihrem Versteck von irgendeinem Dahergelaufenden gefunden worden war und dann wäre es nur noch dem Zufall überlassen, sie zurück in ihren Besitz zu bringen. Vorausgesetzt Cerise hatte sie nicht einem Komplizen übergeben. Dann wäre sie sicher schon in den Händen ihrer Schwester, in Dalaran. Dazu kam, dass sie befürchtete, dass das junge Leben, das an die freie Luft, in die Wälder dieser Welt gehörte, viel zu schnell unten in den Kerkern verkümmern würde. Unmöglich auszumalen welche Auswirkungen die dicken Mauern unter der Erde auf eine Quel'dorei haben mussten. Die dunkle Fürstin seufzte tief und fragte sich, ob es wirklich die Zeit war, die sie zu derlei Überlegungen trieb. Die sture Entschlossenheit der Schurkin imponierte ihr irgendwie. Nur zu gut wusste sie welch einschüchternen Eindruck sie vermochte bei einem zarten jungen Wesen, wie es die Hohelfe war, zu hinterlassen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob Cerise tatsächlich so überheblich war, zuglauben der dunklen Fürstin die Stirn bieten zu können, oder ob sie etwas anderes trieb. Etwas das Sylvanas schon lange nicht mehr begegnet war. Ehre und Pflichtgefühl. Womöglich ihrer älteren Schwester gegenüber. Vereesa. Ein finsteres Lächeln stahl sich auf ihre dunkelroten Lippen und sie schalt sich für ihre rührseeligen Überlegungen. Diese Diebin war nichts besonderes. Keinen Deut besser, als jeder andere, der sein kümmerliches Ende unten in den Verliesen Unterstadts fand.

Mit einem Entschluss im Kopf machte sich die Bansheekönigin wieder auf hinab zusteigen. Hinab zu den Kerkern.
 

Der Weg zum Verlies schien ihr ungewöhnlich kurz heute und so stand sie wieder vor den vier Kerkerwachen, die an dem kleinen Tisch saßen. Einer schaute auf und hielt dem Blick ihrer rot schimmernden Augen ohne Mühe stand.

"Welcher, Lady Windläufer?", fragte er ruhig, doch ein wenig mehr Respekt als zuvor schien sie überraschenderweise entgegengebracht zu bekommen.

"Nebelsang.", antwortete sie unbeeindruckt und umschloss den Schlüssel, der in ihre ausgestreckte Hand gefallen war. Der Gang zu den einzelnen Zellen schien heute ungewöhnlich flach und schmal, als hätte er sich verändert. Verkleinert. Vielleicht hatte sie sich verändert. Geschmeidig glitt der Schlüssel in das Schloss und wurde herum gedreht.

Die junge Diebin saß da in der selben aufrechten Pose wie beim letzten mal und doch wirkte sie ganz leicht verändert. Ich Blick hatte sich gewandelt. Er war etwas weicher geworden und kurz fragte sich Sylvanas, ob sie mittlerweile doch um ihr Leben fürchtete. Als sie allerdings ihre Hand ausstreckte um an den Handfesseln der Hochelfe zu ziehen und diese nicht die Spur zurück wich, wusste sie, dass sie Angst vergeblich im Antlitz der Schurkin suchen würde. Ohne aufzubegehren ließ sich Cerise in die Höhe ziehen und folgte der dunklen Fürstin durch die Gänge des Kerkers. Sylvanas wagte einen kurzen Blick auf sie, als sie an dem Verhörraum vorbeigingen, den sie das letzte mal angesteuert hatten und beobachtete zufrieden den Funken Überraschung in der Miene der anderen. Sie gingen noch eine Weile weiter, bis sie in einen Gang traten, an dessen Ende eine weitere Wache vor einer zugesperrten Tür stand. Auf einen Blick der Banshee stieß er sie für die Königin auf.

Der Raum war auch nicht viel größer als die Zellen. Seine Einrichtung hingegen unterschied sich ganz massiv davon. Inmitten des Raumes stand eine Streckbank. Sowie ein großes Kreuz an der Wand, an denen genauso Laschen zum Festschnallen befestigt waren. An den Wänden, fein säuberlich aufgereiht, ein ganzes Arsenal an Folterutensilien. Die Miene der Schurkin war erstarrt, wenn auch sich noch immer kein Funken Angst darin finden lassen wollte. Erwartungsvoll, wie herausfordernd shaute sie nun direkt in die glühenden Augen der dunklen Fürstin. Der grüne freche Glanz der darin tanzte faszinierte Sylvanas und sie brauchte viel länger als beabsichtigt um zu erklären, was Cerise nun bevorstehen würde.

"Sag mir jetzt was du mit meiner Kette gemacht hast, ansonsten kann ich dich vor all dem hier nicht mehr beschützen.", sagte die Herrscherin der Verlassenen ruhig und machte eine ausladende Handbewegung in den Raum.

Cerise schnaubte verächtlich.

"Ihr mich beschützen? Lachhaft. Es ist mir gleichgültig, ob ich hier unten mein Leben lasse, Bansheekönigin!" Wieder der von sich selbst überzeugte Glanz auf dem eitlen Antlitz der jungen Schurkin. Sylvanas ließ den Moment verstreichen.

"Wenn du denkst, dass dein Leben hier ein schnelles Ende finden wird, dann täuschst du dich ganz gewaltig. Bleib hier und überlege dir deine nächsten Schritte. Ich komme bald zurück, bis dahin mach dich doch mit den Gerätschaften schon mal etwas vertraut." Cerise starrte sie unbeweglich an, was Sylvanas nickend hinaus schreiten ließ. Auf einen weiteren Blick ließ der mürrisch drein blickende Wachman die Tür zurück ins Schloss fallen. Die dunkle Fürstin hatte ihre ungezügelten Gefühlsregungen im Zaum gehalten, was sie äußerst zufrieden den Gang weg von der Folterkammer schreiten ließ. Natürlich war Cerise Reaktion durchaus vorhersehbar gewesen weshalb sie sich besser hatte darauf vorbereiten können, aber dennoch. Es war ein kleiner Sieg gegen sie selbst.
 

Es war sicher schon eine kleine Ewigkeit vergangen in der die Diebin an Ort und Stelle stehen geblieben war und sich nicht zu rühren wagte. Dass die dunkle Fürstin einfach aufgab hätte sie sicher nicht erwartet, aber das hier bereitete ihr nun tatsächlich ein wenig Bauchschmerzen. Sie musste etwas unternehmen. Cerise betrachtete die Folterutensillien, die an den Wänden hingen. Bei vielen vermochte sie nicht einmal sich vorzustellen, welchem Verwendungszweck sie dienen mochten. Dicke straff gezogene Ketten, die von Vorhängeschlössern an Ort und Stelle gehalten wurden, machten den Einsatz vorerst unmöglich. Hätte sie nur noch immer ihren Dietrich. Bisher hatte sie es für zwecklos erachtet sich ihrer Fesseln zu entledigen. Ohne Waffen würde sie an den vielen Wachen hier unten nicht vorbei kommen können. Hier waren sie alle in greifbarer Nähe und doch unerreichbar. Resignierend ließ sie sich in einen Schneidersitz fallen und fluchte über die Bansheekönigin. Genaugenommen über ihre Wortwahl.

'Sag mir jetzt was du mit meiner Kette gemacht hast, ansonsten kann ich dich vor all dem hier nicht mehr beschützen.', hatte sie gesagt, als wäre ihr das Wohl der Schurkin am Herzen gelegen. Cerise schmunzelte verbittert. Für einen kleinen Augenblick hatte sie gedacht tatsächlich ehrliche Sorge im dunklen Antlitz von Sylvanas erblickt zu haben. Was für ein absurder Gedanke.

Hinter ihr wurde die Tür wieder aufgeschlossen und leise Schritten glitten über den Steinboden. Die Diebin erkannte diese Schritte mittlerweile an der dunklen Anmut die darin lag. Und auch wenn Sylvanas hinter ihr zum Stehen gekommen war, spürte sie die glühend roten Augen auf ihrem Rücken ruhen. Eine Weile geschah gar nichts. Die dunkle Fürstin verharrte hinter ihr und ihre mächtige Aura erfüllte den Raum und legte sich bleiern auf die Schultern der jungen Hochelfe. Zu ihrer Überraschung sank Sylvanas schließlich hinter ihr ebenfalls auf den Boden und schien plötzlich ungebürlich nah. Cerise wusste nicht ob die Bansheekönigin atmen musste, doch es schien ihr als könnte sie einen süßen Hauch spüren, der sich von ihrem Rücken an ihr vorbei schob. Es lief der Diebin eiskalt den Rücken runter, obwohl die dunkle Fürstin grade nichts bedrohliches auszustrahlen vermochte. Vielleicht wollte sie das auch gar nicht. Sylvanas dunkle süßliche Stimme drang schwer an ihre Ohren, als sie schließlich zu sprechen begann.

"Cerise..." Die dunkle Elfe unterbach sich gleich wieder. Ihr Ton klang beinah flehentlich und offenbar war ihr das selbst nicht entgangen.

"Du weißt um die Herkunft dieser Halskette. Sie bedeutet mir alles. Sie ist das einzige, was ich in dieses untote Leben mitnehmen durfte. Und auch das nur über Umwege." Sie hatte das flehentliche aus ihrer Stimme vertrieben und doch klang es als wäre sie Meilen weit entfernt. Verlor sie sich grade in ihren Erinnerungen?

"Alleria ist verschwunden und Vereesa..." Wieder musste sich die Bansheekönigin unterbrechen als schmerzte sie jedes einzelne Wort.

"Zu meinen Brüdern hatte ich nie ein so enges Band wie zu meinen Schwestern." Sie seufzte tief, bevor sie weiter sprach.

"Die eine Schwester verschwunden, mit der anderen verfeindet. Diese Halskette ist alles was mir von meiner Familie geblieben ist." Die Schurkin stieß geräuschvoll die Luft aus und überlegte. Was hatte die Bansheekönigin so grausam und berechnend gemacht, obwohl sie doch offenbar noch echte Gefühle in sich trug.

"Sie fehlt euch wirklich." Cerise stellte das mehr fest, als dass sie es fragte und ließ dabei offen wen oder was genau sie nun meinte, dennoch antwortete Sylvanas, noch immer ruhig und irgendwie weich.

"Ich vermisse sie alle." Es klang als würde sie eine Schwäche eingestehen und plötzlich hatte die Diebin keine Zweifel mehr daran, dass die dunkle Fürstin im Inneren nicht so tot war, wie es ihre Hülle vermuten ließ. Cerise drehte sich langsam um und betrachtete die Herrscherin der Verlassenen, die sich auf ihre Ebene hinab gelassen hatte. Sie umschlang ihr linkes Bein mit den Armen, das andere lag angewinkelt neben ihr. Ihren Kopf hob sie an, während sich die Schurkin zu ihr drehte und schaute ihr nun gradewegs und forschend in die Augen. Ihre Augen leuchteten in ihrem ureigenen Rot, doch das bedrohliche das ihnen inne wohnte war weniger geworden. Irgendwie berührte sie der Anblick und Cerise spürte einen nicht zu leugnenden Drang, die dunkle Fürstin, die Herrscherin der Verlassenen, die verhasste Schwester ihrer Führerin Vereesa Windläufer, Sylvanas in ihre Arme zu schließen und ihre alles zu geben, was immer sie verlangte. Doch eine Stimme schlich sich in ihr Bewusstsein und sie hatte vorher nie so verführerisch und süß geklungen.

'Ihr dürft der dunklen Fürstin nicht trauen. Das Zwielicht ist ihre Heimat, Lug und Trug sind ihre Waffen. Sie weiß es wie keine andere den Verstand zu verwirren und den Geist zu brechen. Sie ist verschlagen und grausam. Wahrlich die Herrscherin über die Hölle die sie hier schuf!' Das Gesicht der Diebin verzog sich leicht und es war fast schmerzhaft die aufsteigenden Gefühle für die dunkle Elfe zurück zudrängen. Sie atmete tief durch und erwiderte nun den Blick von Sylvanas.

"Bansheekönigin, ihr wart eine Quel'dorei von Rang und Ehre. Und beim Licht, wenn ihr mich nicht täuscht, dann würde ich sagen, heute seid ihr, meine Feindin, noch immer von Rang und Ehre. Ein Wesen von Ehre, als das ihr euch grade darstellt, wird verstehen, dass ich weder meine Fraktion, noch meinen Herrn verraten kann." Die Diebin machte sich auf einen erneuten Wutausbruch gefasst und irgendwie konnte sie es mittlerweile sogar verstehen, doch Sylvanas sah sie weiter forschend an. Trauer mischte sich für den Bruchteil eines Augenblicks in den Blick, doch er erkaltete jäh.

"Es hätte viel mehr etwas mit Selbstschutz zutun, Cerise. Vereesa kann sich glücklich schätzen solch treue Untergebene in ihrem Rücken zu wissen. Jedenfalls, wenn das deine Antwort ist, fürchte ich, kann ich nichts für dich tun." Distanziert erhob sich die dunkle Fürstin und verharrte nur noch einen kurzen Moment, bevor sie sich zur Türe wandte und zwei mal dagegen klopfte. Cerise schluckte einmal, als der untote Wachmann den Raum betrat, der ihn sonst nur zu bewachen schien.

"Komm her.", befahl Sylvanas und die Diebin gehorchte und erhob sich, ohne auch nur daran zu denken sich zu wehren. Die Bansheekönigin trat nah an sie heran und wieder war es ihr, als könnte sie ihren Atem spüren. Nun eiskalt auf ihrem Gesicht und wieder jagte es ihr einen Schauer über den Rücken der seines Gleichen suchte. Beinah zärtlich strichen Sylvanas lederbewehrte Hände die Unterarme der Schurkin hinab, bis sie schließlich ihre Handfesseln aufschlossen. Mit einem Blick deutete die dunkle Fürstin auf die Liege und wieder gehorchte Cerise. Der Verlassene schnallte ihre Füße an und Sylvanas schnürte die Riemen wieder viel zu sanft um ihre Hangelenke.

"Letzte Chance, Cerise." Der undeutbare Ausdruck im roten Blick der Bansheekönigin ließ einen Kloß im Hals der Schurkin aufsteigen, den sie nur mit Mühe und Not vermochte zu verdrängen. Was war das in ihrem Blick? Mitleid? Oder gar Trauer?

Sie schüttelte nur kaum merklich ihren Kopf und starrte der anderen fest in die Augen. Sie wusste was nun kommen würde und das wunderliche Gespräch mit Sylvanas hatte ihren Entschluss nicht zum Wackeln gebracht. Die Fürstin ließ ihren Kopf eine Winzigkeit hängen, bevor sie sich abwandte und den Raum schlussendlich verließ. Die Diebin schaute noch lange auf den dunklen Flur bis der Untote mit einer Peitsche in ihr Blickfeld trat.
 

Der lange Gang zur Folterkammer lag beinah hinter ihr. Nur noch ein paar Schritte.

Ein Knallen durchfuhr ihren Körper und sie ließ es zu, dass sie zusammenzuckte. Dass kein Schrei darauf folgte verwunderte sie wenig. Selbst auf die Streckbank geschnallt hatte die junge Hochelfe ihren eitlen Stolz nicht abgelegt. Sicher verbot sie sich jedes Zeichen von Schwäche.

Endlich bog Sylvanas um die ersehnte Ecke und blieb stehen. Mit dem Rücken ließ sie sich an die Wand fallen und tat etwas, was sie scheinbar ein ganzes Leben lang nicht mehr getan hatte. Sie atmete tief durch.

Ein weiterer greller Knall ertönte und wieder ließ er die Bansheekönigin zucken. Sie musste hier raus. Und zwar schnell. Was hatte diese freche Diebin nur mit ihr gemacht? Das war ganz anders geplant gewesen. Sie wollte die junge Elfe erweichen und doch hatte sie viel mehr von sich preis gegeben als es geplant gewesen war. Und schlimmer noch, es quälte sie zu wissen was Cerise in der Folterkammer grade wiederfahren würde. Wann war das geschehen? Wann war ihr das Wohlbefinden der Schurkin wichtig geworden?

Sylvanas wartete nicht darauf, dass sie eine Antwort in sich fand. Sie presste die unerwünschten Gedanken zurück und wartete, dass sich wieder die kühle Abgeklärtheit in ihr ausbreitete, die sie gewohnt war zu empfinden. Sie stieg weiter hinauf. Hinauf, raus aus dieser Umgebung, die sie an ihre Schwäche erinnerte.
 

Als Cerise aus ihrem Schlaf erwachte konnte sie sich nicht mal mehr daran erinnern, dass sie überhaupt eingeschlafen war. Doch an den beiden Mahlzeiten, die vor ihr auf dem Boden lagen konnte sie erkennen wie lange sie geschlafen haben musste. Ihre Erinnerungen waren verschwommen und überschnitten sich auf merkwürdige Weise. Erst als sie begann sich zubewegen wurde ihr schmerzhaft gewahr was ihr geschehen war, bevor der Schlaf sie in seine erholsamen Arme schloss. Ihre Glieder schmerzten mit jeder ach so kleinen Bewegung und nachdem sie sich leicht aufgesetzt hatte, sah sie die vielen blutigen Striche, die durch die Leinen ihres Hemdes gesickert waren. Die Erinnerungen an die Folterkammer wurden klarer und, obwohl sie sich bemühte sie rasch wieder abzuschütteln, spürte sie, wie sie sich tief in ihre Seele brannten, um dort Schlimmere Narben zu hinterlassen, als die vielen Wunden, die ihren Körper überzogen. So schnell es ihr geschundener Körper erlaubte machte sie sich über die Schüssel Wasser her und aß soviel sie runter bekam. Das einfache Tongeschirr klapperte, als es unachtsam von der Schurkin richtung Tür geschoben wurde.

"Kleine Diebin! Seid ihr wohlauf?", drang die gedämpfte säuselnde Stimme von Koltira Todesweber an ihre Ohren. Sie stieß geräuschvoll und ein wenig erleichtert die Luft aus. Sie würde es nicht zugeben, aber seine Gegenwart hatte etwas tröstliches.

"Ich lebe noch.", erwiderte sie viel schwächer als sie erwartet hatte.

"Beim verfluchten Lichkönig! Dieses Biest schreckt nicht mal vor einer zarten Blume wie euch zurück. Diese Teufelin!", presste er hörbar zwischen den Zähnen hervor. War es so? Cerise Erinnerungen sortierten sich und merkwürdige Gefühle von Vertrautheit schlichen sich in ihr Bewusstsein. Nein. Sylvanas hatte nicht gewirkt als wenn sie diese Entscheidung leichtfertig, oder gar mit Genuss getroffen hätte. Am Ende war das aber ganz Egal. Sie hatte den Befehl gegeben und die Folter war geschehen. Egal wie schwer sich die Herrscherin der Verlassenen womöglich mit dieser Entscheidung getan hatte.

Die Türe zum Zellengang wurde aufgeschlossen, vertraute anmutige Schritte erklangen und Cerise riss sich aus ihren Gedanken.

"Schämt ihr euch nicht, Bansheekönigin? Ihr macht aber auch vor gar nichts halt!", keifte Koltira laut aus seiner Zelle und die Schritte verstummten. Für den Moment war es totenstill geworden und die Schurkin kam nicht umhin die Luft anzuhalten. Sylvanas entfernte sich wieder etwas, bis die Tür erneut geöffnet wurde, durch die sie herein gekommen war. Cerise hörte die schwere Stimme der dunklen Läuferin, die offenbar einen Befehl erteilte, doch konnte sie nicht verstehen was sie sagte. Ihre Schritte trugen sie wieder näher, gefolgt von anderen. Wieviel konnte die Diebin nicht heraushören. Zu ihrer Überraschung wurde nicht ihre Zellentüre aufgeschlossen, sondern die von dem Todesritter.

"Ihr könnt es wohl nicht haben, wenn man euch die Stirn bietet, Mylady?" Sylvanas antwortete nicht und ein kleines Hangemenge war zuvernehmen, gefolgt von sich wieder entfernendem Schritten. Die Schritte der Wachen und von Koltira hallten noch lange nach und Cerise dachte die dunkle Fürstin wäre mit ihnen in den Tiefen des Kerkers verschwunden, aber schließlich wurde auch ihre Zellentür aufgesperrt und im Rahmen erschien die dunkle Gestalt von Sylvanas Windläufer. Ihr Miene war undurchdringlich. Die Schurkin staunte nicht schlecht, als plötzlich ihre schwarze Lederrüstung samt Waffen vor sie auf den Boden geworfen worden. Sylvanas folgte ihrem Habe und kniete sich zu ihr auf den Boden. Mit einer schnellen und geübten Bewegung öffnete sie die Armschellen und ließ sie geräuschlos zu Boden gleiten. Cerise verharrte einen Augenblick, bevor sie sich verwirrt die Handgelenke rieb und in das viel zu nahe Antlitz der dunklen Fürstin starrte.

"Was...?", brachte sie mühevoll hervor. Sylvanas Miene veränderte sich rapide und wurde ernst und gehetzt.

"Rasch! Die Wachen werden bald wieder da sein.", sagte die Bansheekönigin gedrungen und drückte der anderen ihre Kleider in die Hand. Noch immer verwundert beobachtete die Diebin wie Sylvanas sich erhob und ihr in der Tür den Rücken zuwandte.

"Na mach schon!", zischte sie leise, aber bestimmt. Und die Erkenntnis was hier vorging drang nur langsam in ihr Bewusstsein. Cerise packte ihre Kleider und riss sich eilig das Leinenhemd vom Leib. Jede Bewegung schmerzte sie, aber sie hatte nun erkannt, welches Geschenk die dunkle Fürstin ihr grade machte.

Die Schurkin hatte grade ihren Stiefeldolch in die für ihn vorgesehene Scheide geschoben, da wurde sie auch schon von der Herrscherin der Verlassenen an einem Handgelenk gepackt und eilig aus der Zelle gezogen.

"Komm!", befahl Sylvanas noch immer flüsternd, nachdem sie die Tür zum Zellengang leise hinter ihnen Verschloss.

"Folge mir, ich zeige dir den schnellsten Weg aus Unterstadt. Nur so wirst du einen Vorsprung haben." Der dunkelrote zerfetzte Umhang der Bansheekönigin flatterte hinter ihr her, so schnell und sicher rannte sie durch die vielen verworrenen Gänge der Unterstadt Lordaerons und Cerise folgte ihr staunend. Die Schurkin vermochte kaum ihre Verwirrung abzuschütteln. Zu surreal war der Fluchtversuch, angezettelt von der Herrscherin der Verlassenen höchstselbst. Sie beobachtete die schlanke rennende Silhouette vor sich und eine unbekannte Wärme machte sich in ihrem Inneren breit. Gepaart mit der aufsteigenden Dankbarkeit, die die Diebin langsam empfand, ließen ihre Gefühle ihr Herz einen glücklichen Hüpfer vollziehen. Als sie sich dessen gewahr wurde, spürte sie wie es plötzlich deutlich schneller zu schlagen begann.

Immer wieder schaute Sylvanas zu ihr zurück, um sicher zugehen, dass sie schritt hielt. Das war auch nötig. Die dunkle Fürstin war atemberaubend schnell und Cerise doch viel geschwächter von den zahlreichen Verletzungen als sie angenommen hatte.

Schließlich hatte die Bansheekönigin sie durch einen Kanal ins Freie geführt. Die kühle frische Luft war eine Wohltat für Cerise' strapazierte Lungen und so atmete sie schnell und heftig, während sie Sylvanas durch das Dunkel der Nacht Lordaerons folgte. Der Mond war von Wolken verhangen und so brauchte die Diebin ihre ganze Aufmerksamkeit um der anderen durch den dichten Wald zu folgen.

Kurz vor einer kleinen Lichtung kam die dunkle Fürstin zum stehen.

"Das sollte reichen. Schlag mich nieder und nimm deine Beine in die Hand!", sprach Sylvanas nun klar und deutlich. Ihre dunkle schwere Stimme durchtrennte die Stille der Nacht mit Leichtigkeit und einmal mehr spürte Cerise wie es ihr eisig den Rücken runter lief. Sie schluckte schwer, bevor sie zu sprechen vermochte.

"Warum?" Auf mehr brachte sie es nicht, doch es reichte um die schemenhaft zu erkennenden Züge des Gesichts der dunklen Fürstin zucken zu lassen.

"Nimm es als gegeben hin und jetzt mach schon." Die Bansheekönigin war einen Schritt an sie heran getreten und nun trennte die beiden Frauen nicht mal mehr eine halbe Körperlänge. Ihre Befehl war eindringlich, aber die Schurkin konnte so nicht einfach gehen.

"Erklärt es mir! Wir werden uns nie wieder sehen. Ich muss wissen was euch zu diesem Entschluss gebracht hat.", erklärte Cerise ihre Bitte beinah flehentlich. Sylvanas rote Augen betrachteten sie einen Herzschlag lang forschend, bis etwas anderes darin auszumachen war. Die Schurkin war sich nicht sicher, aber für den Moment hätte sie schwören können, dass es Sehnsucht war.

"Cerise, die Zeit drängt. Lass es nicht umsonst gewesen sein. Lass nicht zu, dass mein Volk den Verrat ihrer Königin bemerkt." Cerise überlegte kurz. Soviel war sie der dunklen Fürstin jetzt schuldig, aber dennoch. Sie trat nun ihrerseits einen Schritt an Sylvanas heran und legte ihre Rechte auf den lederbewehrten Unterarm der Bansheekönigin. Sie schaute auf in das fahle Gesicht und sog ihren schweren süßen Duft ein.

"Bitte, Sylvanas." Die dunkle Fürstin schien unter ihrer Berührung zu erschaudern und haderte sichtlich.

"Ich habe dein Leben für wertvoller befunden. Reicht das?", erklärte Sylvanas nun beinah stockend und wandte ihr Gesicht zum Schluss ab. Die einfachen Worte entfachten ein heißes Lodern in der Schurkin und ohne weiter darüber nach zudenken hob sie ihre Hand hoch zur graublauen Wange der Banshee und drängte sie sanft dazu, zurück in ihr Gesicht zu schauen. Auf den Zügen der dunkle Fürstin zeichnete sich leichte Überraschung,, ob der sanften Berührung, ab.

"Das reicht. Ich danke dir.", flüsterte Cerise leise und der Hauch ihres Atems ließ Sylvanas merklich schaudern, bevor sie zärtlich ihre Lippen auf die blutleeren der Bansheekönigin legte. Zu ihrer Überraschung erwiderte Sylvanas den Kuss sogar nach wenigen Augenblicken und das Herz der Schurkin wurde schwer, als sie den ihn mit einem harten Nierenhieb enden lassen musste. Die dunkle Fürstin sank in ihre Arme und Cerise musste einiges ihrer verminderten Kraft aufwenden um sie so sanft wie möglich auf dem aufgeweichten Boden des Waldes um Unterstadt zu betten. In ihrer Ohnmacht waren Sylvanas Züge weich geworden, aber womöglich war das auch schon einige Momente vorher so gewesen. Ein trauriges Lächeln glitt der Diebin bei diesem Gedanken über die rosigen Lippen. Sie strich der untoten Schönheit noch einmal zärtlich über die fahle Wange bevor sie ihren geschundenen Körper hoch riss und wieder zu laufen begann.

Sie rannte eine Weile Ziellos durch den Wald bevor sie etwas vertrautes erkannte und wusste wo sie war. Die junge Hochelfe wandte sich bei den gekreuzten Bäumen nach rechts und fand schlussendlich das Versteck, das sie in der Eile ihrer ersten Flucht ausgewählt hatte. Zielsicher ertastete ihre Hand den Hohlraum in der alten Eiche und umschloss das glatte kalte Silber der Halskette, die sie für die Anführerin des Silberbunds getohlen hatte. Verträumt betrachtete sie das Schmuckstück in ihrer Hand und ein fester Entschluss stieg erbarmungslos in ihr auf, bevor ein stechender Schmerz ihre linke Brust durchzog. Die Schurkin schaute fassungslos an sich hinab und starrte auf die graue Spitze eines Pfeils, die aus ihrer Brust ragte.
 

Die Jagd hatte begonnen sobald Cerise losgelaufen und ausser Sicht war. Mühelos sprang die dunkle Fürstin auf ihre Beine und rannte der jungen Diebin hinterher. Die Bäume flogen nur so an ihr vorbei und sie musste sich zügeln um den Abstand zu ihrer Beute einzuhalten. Sie konnte nicht riskieren, dass Cerise sie bemerkte. Irgendwann schlug die Schurkin einen Bogen und die Bansheekönigin drosselte ihre Geschwindigkeit rapide. Die Elfe trat auf einen Baum zu und tastete sich an ihm entlang. Die Herrscherin der Verlassenen griff nach ihrem Bogen und zog einen Pfeil aus ihrem Köcher. Cerise schien gefunden zu haben wonach sie gesucht hatte. Die dunkle Fürstin legte an, spannte den Bogen und hielt die Luft an. Als sie es kurz silbern aufblitzen sah ließ sie den Pfeil los. Es verging kein einziger Herzschlag bis der violett leuchtende Pfeil sein Ziel fand.

Sylvanas stieß geräuschlos die Luft aus. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass der Pfeil, den Totenschrei abgegeben hatte, sein Ziel nicht verfehlte, doch es vermochte ihr nicht die Zufriedenheit zu bescheren, wie es für gewöhnlich der Fall war. Ihre rot glühenden Augen fixierten die Quel'dorei, die grade in sich zusammen sackte und zur Seite kippte. Behände eilte die dunkle Fürstin zu ihr und kniete neben ihr nieder. Sie drehte den reglosen Körper auf den Rücken. In ihren Händen, fest umklammert, Sylvanas' Kette. Die Bansheekönigin schaute von der Halskätte hoch in das jugendliche Gesicht von Cerise. Sie keuchte ein paar mal und ihr Brustkorb hob und senkte sich krampfhaft. In ihrem Gesicht jedoch ein sanftes Lächeln.

"Ich wollte sie dir zurück bringen." Kurz war die dunkle Fürstin verwundert, doch dann strich sie der Diebin zärtlich über eine ihrer rosigen Wangen und schmunzelte.

"Das macht leider nicht den geringsten Unterschied, Cerise. Verzeih mir, aber ich könnte mein Volk nie verraten. Sie haben nur mich." Cerise gluckste keuchend und schaute warm zu ihr auf. Sie hatte erwartet, dass die Schurkin sie, nun auf dem Sterbebett verfluchen würde. Vielleicht mit dem letzten Atemzug noch ein Attentat auf sie startete. Aber die Sänfte in dem verirrten grünen Funken in ihren grauen Augen gab ihr die Gewissheit, dass keine Gefahr von der Diebin ausgehen würde.

"Ich weiß.", sagte sie nur und strich ein letztes mal mit ihrer Hand über die fahle Wange der dunklen Fürstin. Ihre Augen schlossen sich langsam und ihre Atmung erstarb.

Sylvanas zog den leblosen Körper an ihre Brust und fing leise an das Wehklagen der Hochgeborenen zu singen.
 

Anar'alah, anar'alah belore,

Sin'dorei,

Shindu fallah na.

Sin'dorei,

Anar'alah,

Shindu sin'dorei,

Shindu fallah na.

Sin'dorei,

Anar'alah belore.

Shindu sin'dorei,

Shindu fallah na.

Sin'dorei,

Anar'alah belore,

Belore.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich würde mich sehr über konstruktive Kritik freuen, damit ich mich verbessern kann. :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  tprau66
2017-11-27T23:49:24+00:00 28.11.2017 00:49
Ich bin ein großer Fan von Sylvanas Windläufer und ich muss sagen, du hast sie gut getroffen. Sie hat ein paar gute Seiten, aber darum ist das Böse in ihr um so furchtbarer. Ich bin übrigens ein Anhänger der Horde.
Von:  Hellrat
2016-12-18T20:36:48+00:00 18.12.2016 21:36
Hi
also ich muss sagen, sehr, sehr gut geschrieben. bin echt begeistert. auch das ende ist sehr gut, hart und unerwartet, aber gut.
Antwort von:  Dolette
04.01.2017 21:39
Huhu,
Himmel, ich verpasse alle meine Kommentare, das gibts doch nicht!
Vielen Dank fü deine lieben Worte.
Ja das Ende musste so daher kommen, sonst wäre es nicht Sylvanas Windläufer. Ich arbeite an einem zweiten Teil, weil ich das Ende auch so hart fand. *schmunzelt*

GlG

Dole


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