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Herzbeben

von

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Mächtig viel Theater

Der sanfte Windhauch zerzauste sein Haar und der holperige Abstoß bebte durch seinen Körper, als Ohnezahn und er zwischen den tiefer liegenden Felsen aus dem von meterhohen Gesteinshängen umkesselten Tales landeten. Der Nachtschatten gurrte leise auf und wandte dem jungen Mann fragend seinen Kopf zu, als dieser mit der Hand über seinen langen und schwarzen Hals streichelte, behutsam seine trockene Schuppenhaut tätschelte und währenddessen tief durchatmete.

Hicks drehte seinen Kopf zur Seite, lehnte sich auf dem Rücken seines Drachen zurück und ließ den verdunkelten Blick seiner grünen Augen erkundend neben sich herab streifen.

Vorsichtig stieg er von Ohnezahn und streckte er seinen Arm nach dem, sich direkt vor ihn befindenden, wilden Gestrüpp aus einigen verwachsenen Ranken und einzelnen Ästen aus.

Langsam ließ er sich auf den Boden aus festen Stein, Erde und kleinen Kieseln sinken, die unter seinen rechten, gestiefelten Fuß leise knirschten, indes er sich mit seinem anderen Bein und einen von seiner Beinprothese verursachten, klappernden Geräusch in den Schmutz kniete. Hicks fühlte ein paar Blätter die Haut seines Gesichtes kitzeln und das feuchte Moos sich zwischen seine Finger drängen, ehe er den grünen Schleier der Natur mit den Händen auseinanderzerrte und mit angestrengtem Blick aus seinem kleinen Versteck nach unten und ins Innere des Kessels starrte.

Er kniff leicht seine Augen zusammen, um in der nächtlichen Dunkelheit besser erkennen zu können, was ihn erwartete, wenn er sich das letzte Stück in das Tal hinab wagte.

Augenblicklich fing das Herz in seiner Brust schneller zu schlagen an und trieb ihn eine unangenehme Wärme durch die Glieder, bis auf den ersten Höhepunkt seiner innerlichen Unruhe ein kalter, sich über seine erhitze Haut legender Schauer ihn erschaudern ließ.

Er wusste, sie war da unten.
 

Kurz streifte der Blick seiner Augen überrascht zu seiner linken Hand, als er ein silberblaues Lichtmuster sachte über sie kriechen sah. Er zog sich hinter das Gebüsch zurück.

Hinter vorbeiziehenden Wolken erwachte und wagte sich das helle Licht des Mondes, schien es auf einigen, sich leise schwingenden Flügeln über die sich neigenden Felsen und in die von der rauen Natur umringte Tiefe herab.

Normalerweise verband Hicks viel mit diesen Ort. In einen Moment wie diesen, erstrahlte und malte er sich für ihn auf magische Art und Weise immer wieder neu. Schleier und Gespinste fingen an vor seinen Augen zu wandeln. Erinnerungen. Aus einer Zeit, in der er das allererste Mal den Wert wahrer Freundschaft erfuhr. Einer Zeit, in der Fehler und Verrat sich als der einzige richtige Weg entpuppten, den er zu wählen hatte, um den Mut zufassen über sich selbst zu wachsen.

Der Silberschein trieb und verschwamm auf der sich sanft wiegenden Wasseroberfläche des kleinen Sees nicht weit entfernt von ihm, beschien das Glitzern der sich sanft regenden Wellen am Flussufer.

Und er hatte Recht behalten.

Hicks seufzte betrübt, hier in Sicherheit vor ihr. In Sicherheit vor Astrid und ihrer sogar von hier aus für ihn erkennbaren, gereizten Gemütslage. Mit ihrer Wut auf ihn, die in dem Moment das abgenutzte Stahl ihrer geführten Axt im hellen Mondschein kurz aufblitzen ließ, während das umschmeichelnde Licht ihre Silhouette aus der Dunkelheit löste, ihrem Körper Form, Vertrautheit und Bewegung verlieh. Er bemühte sich nicht aufzujammern, als er ihr beim Trainieren zusah und hörte, wie ihre sonst ruhig und angenehm klingende Stimme ein wildes Kampfgeschrei nach dem anderen jagte.

Unbehaglich fasste er sich mit der schmutzigen Hand an die Stirn und schickte er ihre Finger durch sein unordentliches Haar. Der zu ihn dringende, tief geraunte Laut aus dem Hals seines bestens Freundes, stimmte ihn noch verzweifelter. Er zog seinen Kopf aus den auseinander gezwungenen Gewächs zurück, wandte sich dem Drachen zu und sah ihn unzufrieden in seine schwache Bedrängnis zeigende, hell leuchtenden Augen.

„Möchtest du nicht für mich da runter?“, sprach er leise, doch als Antwort erhielt er lediglich den deutlich spürbaren Hauch eines abgeneigten Schnaubens. Auch der Blick des Drachen änderte sich, wurde spitzig. Ohnezahn wandte sich mit schmatzenden Mund von Hicks ab, worauf er sich in wieder in das Gebüsch lehnte.

„Nein, natürlich nicht“
 

Er seufzte abermals und ließ die letzten Stunden und Worte noch einmal durch seinen Kopf Revue passieren. Er konnte nach wie vor nicht verstehen, was überhaupt passiert war. Hatte er was falsch gemacht? Sie beleidigt? Es war nicht seine Absicht, sie durch irgendwas zu verletzen.

Er spürte, wie sein Herzschlag sich noch um eine deutlich höhere Frequenz erhöhte, während er die linke Hand an seine Brust drückte. Ihm war, als könnte er die warme Weichheit ihrer Haut noch unter ihr spüren, dieses fordernde Kribbeln nach mehr, das durch seine Finger zuckte und den Moment in sich lähmte. Diese Berührung war nicht mehr unschuldig, lediglich ein kleines bisschen neugierig gewesen. Was sie taten – hatte ihn vollkommen überrascht und die sanft gesprochene Berauschung von Lippen unterbrechen lassen.

Sie… Sie hatte auf seinen Schoß gesessen. Er war kurz eingeschüchtert. Hatte gezögert. … Was konnte er in dieser kurzen Zeit schon alles angerichtet haben?

Wenn er sich nicht endlich da runter traute und fragte, würde er das wohl nie erfahren.

Aber was sollte er tun? Wie sollte er mit ihr sprechen? Es schaffen, dass diese aufgescheuchte Walküre bereit war ihm zuzuhören?

Hicks nahm einen tiefen Atemzug und ließ eine Hand durch sein Gesicht gleiten.

Ich bin tot. Sowas von tot.

Er würde es gar nicht erst soweit schaffen und Astrid ihn, noch bevor er nur die Chance zu irgendwas bekam, brutal hinrichten. Ihn querdurch mit ihrer Axt dahinraffen und lachend den letzten Atemzug aus den Lungen schnüren. Ihn mit seinen eigenen Innereien erwürgen; abwegig erschien ihm das gerade so ganz und gar nicht. Nach irgendwas in der Art würde es aussehen. Ein Blutbad und danach…

Ach, danach war alles egal. Oder doch nicht. Nein, es war ihm nicht egal.
 

Er stolperte, von Ekel und Panik total sinnlos aus dem Gleichgewicht gebracht, wandte sich um sich, ließ die Kiesel unter sich knirschend davon rollen, und sich mit einen metallen, verräterischen und vertrauten Ton in das Klapperbein setzen. Erst ungeschickt in die Höhe gebracht, kam er nicht weniger unwürdig mit seinem Oberkörper auf den unebenen Untergrund auf.

Der Länge nach über die Felsen gelegt, stemmte er sich kopfschüttelnd und auf seinen beiden Armen auf und starrte er einen verwirrten Moment lang auf den feuchten, leicht vermoderten Boden direkt vor seiner Nase. Er verzog sein Gesicht, kaute und rümpfte sich den Geschmack und Geruch der feucht grünen Erde fort, spürte, wie die ganzen spitzen Kieselsteine in die Haut seiner Handinnenflächen bohrten.

Verdattert blickte Hicks in das drachige Antlitz seines Freundes auf, als er dessen kräftigen Atemzüge auf der Haut seines Gesichtes spürte.
 

Heiliger Thor, was sollte denn das? Was für eine infantile Peinlichkeit.
 

Ohnezahn schickte ihm den tief gegrollten Atemstoß eines gehässigen Lachers entgegen und der wikingische Hooligan schlug eingeschnappt nach ihn. Mit nichts weiterem als einer aufgewühlten Geste darin verborgen, war es nicht wirklich seine Absicht den Drachen zu treffen, und erreichen würde er dadurch sowieso nichts. Das letzte Mal, das er meinte, dem ewigen Gekicher seines Freundes ein Ende bereiten zu müssen…

Ehrlich gesagt war er sich nicht sicher, wer von ihnen ihre letzte, kleine Keilerei beendet hatte. Sie gingen oft alle gleich aus. Tropfnass und in Schweigen gehüllt, mit den Rücken zueinander dasitzend; mit verschränkten Armen und schnippisch verzogenen Maul. Auf einer kleinen und aus dem Wasser ragenden Gesteinsformation, auf die sie sich zuvor aus den eisigen Wellen gerettet hatten.

Oder wie lange es letzten Endes brauchte, bis sich dieser Streit zwischen ihnen gelegt hatte. Genauso oft, wie der starke Wind gewaltige Wellenbrecher an den Felsen aufsteigen und über ihren Köpfen niederschlagen ließ, wurde Hicks von einem beleidigt geführten, kraftvollen Schwanzstoß wieder in das Wasser zurückgeworfen.
 

Hicks gackste frustriert. Er blickte seinen Freund an und hievte sich dann missmutig auf die Beine. Das verwunderte Gurren des Nachtschatten, als er sich diesem nährte, ließ Hicks noch vor seines Versuchs auf ihn zu steigen, auf der Stelle wieder kehrtmachen. Schnell drehte er sich erneut herum und schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn und ließ er sie unter einem lauten Stöhnen über seine Augen gleiten, als er begriff, dass er sich just in dem Moment nur noch wie ein absolut bescheuert umherspringender Blindgänger verhielt.

Wie dumm war bitteschön das? Er wusste nicht mehr, was er hier tat. Und als ob das nicht genug wäre, hörte er ihre Stimme weiter erbarmungslos herumschreien und schimpfen, dass er nicht anders konnte, als unwillkürlich zusammenzucken.

Sich neu zurecht ordnend, ließ er seinen Blick ziellos durch die Gegend schweifen. Verborgen im Schutze von wuchernden Grün und von allen Seiten meterhoch, steil und felsenruhig umringt, haarte er weiterhin in seinem Versteck aus. Äste wogen sich sanft in der nächtlichen Stille, die nur allein seiner Heidenangst und den Wutattacken der jungen Frau keine Ruhe zu vergönnen schien.

Seine Augen hüpften auf und ab, gesellten sich dem raschelnden Spiel der hohen Blätter, die ihre Schatten über dem jungen Mann auf den Felsen herabwarfen, und mit den zu abertausenden Lichtsäulen verformten, blauen Schein des Mondes auf dem Odem der Erde unter sich malten. Nervös kratze er über den korallenfarbigen Stoff um seinen rechten Oberarm und probierte er die sich in seinen Hals festsetzende und dort pochende Anspannung herunterzuschlucken. Die Finger seiner anderen Hand fuchtelten kurz und erfolglos an dem unter seiner Lederüberkluft festgesetzten Kragen herum. Ihm war urplötzlich warm geworden und er könnte schwören, der Grund dazu war ein Riesenhafter Alptraum, der es sich ganz in der Nähe durch eine spontane Selbstentzündung gemütlicher machen musste.

Mit diesen stetig steigenden, wundermulmigen Gefühl in seinem Magen, hockte Hicks sich wieder auf die feuchten Felsen und spähte er durch das schattige, wirre Geäst vor seinem Gesicht.

Nicht darauf achtend, wohin genau er patschte, streckte er seinen Arm aus und brachte er ihn über den Kopf des Nachtschattens, der gespannt den vielen, kleinen Lichtpunkten hinterher nickte. Den schwindeligen Sinn abschüttelnd und kurz verlegen gurgelnd, hielt dieser unter seiner Berührung schnell inne.

Mit einigen tiefen Atemzügen, hoffe auch Hicks sich noch etwas ruhiger zu kriegen.

Seine Hand krabbelte ein letztes Mal über seinen linken Oberarm und seine Gedanken hafteten sich kurz an den leichten Schmerz, der nach wie vor in diesem vorherrschte. Astrid hatte ihn gleich zweimal gegen seinen Arm geschlagen, bevor sie, ihn sich dazu wie ein total ahnungsloser Trottel in der ganzen Situation vorkommend, davon gelaufen war. Für gewöhnlich war es für ihn nichts Neues mehr. Er hatte gelernt damit umzugehen, wenn sie mal wieder unvorhergesehen neben ihm in die Luft ging. Solange er nicht direkt mit involviert war und ein aufgeblasenes Großmal wie der kräftig gebaute Rotzbakke es war, der auf die Schnelle klitzeklein gemacht über den rauen Boden der Akademie gezogen wurde, war es für ihn noch immer recht amüsant mit anzusehen.

Bedauerlicherweise und wie oft Hicks mal mit einen gröberen Griff und Schlag ins teure Fleisch leben konnte, war es wiederum nicht soweit, dass er auf solch eine Über-den-Schleifstein-bis-der-Bart-ab-ist-Behandlung besonders abfuhr. Denn das da unten im Tal…? Als erste Brücke des sich neuen Näherkommens und Versöhnens? Es war immerhin er, auf den die junge Frau so sauer war.

Nein, ernsthaft. Da steckten ihm definitiv zu viele Steine im Sand.

Mit den ein paar dollen Schlägen gegen den Arm oder woandershin, dieser zartlosen Form der Zuwendung, damit kam er klar. Nur das heute; oh aua… wirklich… aua…

Das reichte ihm.
 

Hicks atmete wiederholt zittrig aus.

Na los, komm schon. Jetzt steh endlich auf, du Held! Geh da runter und vergiss bloß nicht deinen verdammten Mut, schimpfte er sich selbst.

Er hatte sich wahrlich schon viel größeren Herausforderungen und Gefahren in seinem Leben gestellt. Und nun saß er immer noch hier? Mit sich hitzig äußernden Panikwallungen und selbst das Espenlaub verrückt machenden, zittrigen Händen? Das war mehr als lächerlich. Für einen Moment wie diesen, käme ein kleiner Gesteinshaufen voller Feuerwürmer unter dem Hintern sogar ihm ganz gelegen vor. Er wollte das endlich hinter sich bringen.

Er würde da jetzt heruntergehen. Er würde… noch im selben Augenblick, in dem er sich mit dem Halt an dieser festen Entschlossenheit auf die Beine brachte, total erschrecken, jawohl, das würde er.

Der junge Mann schrie laut auf, als er seinen Kopf zur Seite drehte und direkt in die, ihn aus der Dunkelheit anstarrenden, Augen seines Fluggefährten blickte. Instinktiv sprang Hicks ein kleines Stück zur Seite, ratschte seine Hand durch das zähe Gestrüpp vor seinem Gesicht und schlug dieses sofort mit einen garstig ausholenden Blätterzweig auf ihn zurück, sodass Hicks von der Wucht auf die Felsen geworfen wurde und mit seinen Rücken über eine sich schlingende, aus der Erde brechende Baumwurzel stieß.

Leicht orientierungslos und mit den Innenflächen seiner Hände über den steinigen, feuchten und teils von Moos rutschigen Untergrund tastend, lehnte der junge Mann sich zur Seite. Benommen und mit vor Schmerz zusammengekniffenen Augenlidern, schüttelte er seinen Kopf, ließ er seine Hand kurz durch das Haar an seiner linken Kopfseite gleiten und hoffte er damit, die leichte Benebelung aus seiner Schläfe zu vertreiben. Er lachte leise auf, als er mit seinen Finger auf ein abgebrochenes und dünnes Stück Geäst stieß und es aus seinen Haaren zerrte.

„Ja, ihr Götter… ich habe unvorstellbares Unrecht getan“, jammerte Hicks knatschig. „Na los, bestraft mich“

Grimmig rieb er sich seine Wange. Wie es aussah, hatte er seine erste Abreibung bereits erhalten, und er war noch nicht mal unten bei Astrid angekommen. Ohne diesen Gedanken in erwarteter Ruhe zu Ende zu denken, riss er seine Augen entsetzt auseinander.

Das wilde Klopfen seines Herzens sprang ihm mit einem übereifrigen Schlucken aus dem Hals heraus und ließ ihn sofort die Atem stoppende Wirkung forthusten. Wie wahrscheinlich war es, dass Astrid sein kleines Missgeschick mitbekommen hatte? Er war doch nicht zu laut, oder?

An seinem rechten Ohr vernahm er einen kräftigen Atemstoß aus Ohnezahns Nase und er streckte blind seinen Arm nach seinem Kopf aus.

„Alles gut, mein Freund“, beruhigte er den leise aufrauenden Nachtschatten. Hicks reckte seinen Kopf nach hinten und schloss kurz seine Augenlider, als er den Entschluss fasste, einen prüfenden Blick in das Tal werfen zu wollen.

Mit sich langsam richtenden Blickfeld, sah Hicks um sich und knurrte er darauf leicht verstimmt. Der junge Mann begann sich zu rühren, um sich anschließend vorwärts zu bewegen. Ein vor ihn aufragender Felsen versperrte ihm die Sicht und er kletterte auf allen Vieren über Teile der darüber verwachsenen Wurzel. Äste des Gewächs, hinter dem er sich vorher versteckt hielt, klatschten ihm zahlreiche Male gegen die rechte Wange. Mit vor Anstrengung fest zusammengepressten Zähnen und einem Zischen zwischen ihnen beim nächsten, nach ihm ausschlagenden, raschelnden Blätterzweig, probierte er das letzte Stück rauf zu krabbeln.

Seine Hände griffen über die rutschige Rinde und das kalte, vermooste Gestein, das schmutzige Streifspuren auf seiner Kleidung hinterließ. Noch dieses kleine Stück, dann…

Der Wikinger gab einen Überraschungslaut von sich, während er sich das letzte Bisschen rauf zu ziehen versuchte und unerwarteterweise einen kraftvollen Stoß unter seinen Hintern bekam

„Halt, Ohnezahn!“

Vollkommen überrumpelt glitt er hinauf, wollte er sich erschrocken festhalten und machte er bereits eine Bewegung zu viel. Ohnezahns Stupser von unten schickte ihn über den Felsen und während er mit der linken Hand von der feuchten Wurzel abrutschte, tat er mit der anderen einen hilflosen Griff ins Leere. Trübe legte sich über sein Denken und betäubte sogleich sein Fühlen. Alles richtete sich herab, wurde haltlos und zerrend. Beißende Schlingen umfingen seine Glieder und rissen wieder. Scharfe Kanten schlugen auf seine Haut ein, ehe der holprige Sturz ruckartig aufgehalten wurde und er umdreht, mit seinem Kopf gen Süden baumelnd, festgehalten.

Wollte ihn heute echt alles und jeder ärgern? Hicks konnte fühlen, wie sämtliches Grünzeug sich rankenhaft um das Klappergestell und sein dazugehöriges Bein gewickelt hatte.

Unverständliche Laute fluchend, schlug er die lästigen, dürren Zweige eines sich über ihn neigten Baumes aus seinem Gesicht und spuckte er die unwillentlich geschluckten Eichelblätter samt Nussstiel aus dem Mund. Mit der Zunge stieß er hektisch nach der einzelnen Frucht, die drohte, ihn in den Rachen zu fallen. Zerknirscht versuchte er sie zwischen seine Zähne zu bekommen.

Halbe Sachen waren noch nie seine schicksalhaften Wegbegleiter – das wusste er.

Er fing innerlich an, von fünf aus rückwärts zu zählen. Dann hörte und spürte er es über sich knacken, ihn, das Gesicht gehässig kitzelnd und grob den Rücken kratzend, ein kurzes Stück den Hang herabfedern.

Oh! Freude, das machte Laune. Es gab viele Positionen, aus denen man sich die Sterne ansehen konnte, doch welche nun auch immer da unten auf ihn warten sollte, das wusste bereits jetzt; die gefiel ihm überhaupt nicht.

Kleine Erdbrocken und Kiesel purzelten über Hicks hinweg und er probierte seinen Kopf aus der hängenden Neigung zu lösen. Ein Drachengrollen erreichte ihn, aber wie sehr er es auch versuchte; während er so aufgeschmissen herumhing und erfolglos das Eichelgewächs aus seiner Sicht wischte, konnte er nicht nach oben blicken und sehen, was Ohnezahn tat. Bis plötzlich ein heiß schwefelndes Maul nach seinem Bein schnappte und Krallen sich in seinem Hosenbein versenkten.

„Danke, Kumpel“, spuckte Hicks durch die vielen Blätter vor seinem Gesicht. Entnervt schickte er endlich die mittlerweile total zerkaute Eichel aus seinen Mund.

Hartnäckiges Ding.
 

Es war sinnlos zu versuchen, mit den Fingern irgendwo einen Halt zu erhaschen, die Zweige waren alle viel zu dünn und brüchig. Doch im nächsten Moment, in dem der junge Mann sich stumpf den Hinterkopf am Erdhang anschlug, und er fühlte, wie die Klauen um sein Bein durch den Stoff rissen, bereute er es, es nicht viel öfters ausprobiert zu haben. Er rutschte tiefer und weder irgendein Baum, noch Erdstück oder Stein ließen sich von ihm zur Rettung greifen.

„Ohnezahn?“, rief er unsicher nach oben.

Er wusste, der Drache würde alles in seiner Macht Stehende tun, um ihn raufzuholen oder sicher unten abzusetzen. Er vertraute dem Nachtschatten, aber keinem Karma noch Schicksal. Bei seinen Glück sprach rein gar nichts dagegen, dass jetzt ein Schrecklicher Schrecken aus seinem kleinen Loch gekrochen kam und seine große Chance gekommen sah, dem ruchlosem Spross von Blitzschlag und Gevatter Tod und seinem Reiter eins auszuwischen, indem er heimlich die Ranken anzündete.

Und da meldete sich tatsächlich dieser absonderliche, gemeine und kurze Stillstand der Zeit, der das eindeutige Reißen um sein Bein mit Entsetzen in jeglichen seiner Sinne und Gedanken schleichen und den jungen Mann hilflos aufschreien ließ, als er fühlte, wie die Schwerkraft von seinen gesamten Körper Besitz ergriff und ihn willenlos nach unten zog.

„Ohnezahn!“
 

Aus dem Geäst krachend und sich sämtliche Kratzer durch die Haut reißend, plumpste er über die Felsen und schlitterte er die kurzen Erdhänge hinab. Erschrocken kniff Hicks seine Augen zusammen, als er in Form eines finsteren Schemens, den Sturz abrupt enden sah und keine Sekunde später, es zu spüren bekam.

Mit einen, von unangenehmen Knacken und Knirschen übergangenen, schmerzhaften Laut aus seinem Mund, prallte er gegen einen aus der Erde ragenden Überstunk eines morsch-toten Baumes. Der stumpfe Schmerz, stahl dem jungen Mann den Atem aus den überforderten Lungen und splittriges Gehölz brach unter dem Aufprall auseinander, schabte an seinem Körper entlang. Und erst nach einen kurzen Augenblick, sich ersinnend, hustend und sich den Kopf haltend, erinnerte er sich inmitten der aufgescheuchten, zerbersten Holzreste und in der Luft herumirrenden Schmutzes wieder daran, das Atem aufzunehmen.

Er fasste mit der Hand nach seinem linken Arm und stöhnend rollte er sich von der aufgeschlagenen, linken Seite mit dem Rücken gegen den beschädigten Stamm. Zähneknirschend spürte er die kleinen, schmerzleitenden Impulse mehr erwachen, und vor allem durch seine linke Seite jagen. Und im schon nächsten Moment und unter einem überraschten Aufschrei seinerseits, gaben seine Knie ihren zitternden Halt auf, als das Fehlen einer halben Beinlänge unter einem dieser, ihn niederzwang. Angeschlagen rutschte er mit dem Rücken an den toten Überresten des Baumes herab.

Hicks keuchte kurz auf, lehnte seinen Kopf gegen das feuchte Holz, und grub mit den Fingern seiner Hand in den leicht matschigen Boden, reichte vorbei, wo für gewöhnlich und bis gerade noch seine Beinprothese saß. Dass er mal sein Bein verlor… gehörte für ihn zum Alltäglichen.

Nur sein Arm…

Oh aua… Zum Teufel mit den Schlägen oder sonstigen Prügel, er hatte zu korrigieren: Das tat weh.

Der Schmerz zuckte durch seinen linken Oberarm, als wollte er in unbedingt daran binden, dass er nun da war und mühsam öffnete Hicks seine Augen, probierte er sich zu bewegen. Sein Arm fühlte sich nicht gut an, heiß, die Haut zerrissen und nass. Unter aus seiner Sicht flüchtenden, schwarzen Schleiern streifte sein Blick nach oben, den gesamten Steilhang hinauf und über die letzten, komplett mit Efeu überzogenen Felsen. Aus dem blauen Mondschein zu ihm in die Dunkelheit hüpfend, entdeckte er Ohnezahn. Der Drache raschelte durch das finster verschlungene Unterholz auf ihn zu und er seufzte geschlagen.

Hoffentlich brachte er ihm die Prothese mit.

Dann fehlte nur noch… Astrid! Oh Schreck! Den wutentbrannten Sturz vom Walkürenhimmel hatte er komplett vergessen.
 

Nachdem die Verblüffung für Astrids Auffuhr in ihm abgeklungen war, hatte er den hingebungsvollen Moment der Erzürnung selbst erst mal gebraucht, sonst wäre er wohl nicht weniger durchgedreht. Er war ihr nicht sofort gefolgt, sondern überfallartig in Grobians Schmiede gestürmt, wo die Luft den schwülen Duft der abendlich einkehrenden Gemächlichkeit bereits um sich legte. Für ihn war es gerade noch heiß genug und auch die Esse noch ein letztes Mal zu gebrauchen, um sich an ein paar stumpf gewordener Werkzeuge zu verausgaben.

Zu seinem Glück ergab es sich selbst nach Jahren keineswegs, dass er für seine tölpelfreie Fingergeschicklichkeit in aller Munde war, sodass es ebenso nicht dazu kam, dass ihn Irgendjemand, der in Anbetracht der sprühenden Funken dazu verleitet wäre, auch nur den leisesten Verdacht oder seine Zerstreutheit zu wittern, ansprach. Zu groß war der Respekt nicht weniger Wikinger, dass ihnen in seiner Nähe noch immerzu etwas zustoßen könnte. Auch Grobian hielt er nach all der Zeit, seiner stetig weiterwachsenden Verantwortung und Macht über das Dorf mit Wort und Tat und durch geübte, finster dreinblickende Blicke, gekonnt auf Abstand. Nur wenn es darauf ankam, wusste er, dass der alteingesessene Sattler mit loyalen Herzen und bis an sein Lebensende an seiner Seite stehen würde.

In seinen Augen war er wohl nur kein unbedarftes Kind mehr, und schon gar nicht mehr der von Jedermann hämisch belachte Jungen des Stammesoberhauptes, auf den selbst dieser nicht sonderlich viele Hoffnungen hielt. Und dies war Hicks jetzt nur mehr als recht. Er würde sich beweisen, weiterwachsen.

Mit Drachen gebunden.

Vom Verlorengehen wiedergefunden.

Feindschaft und Gefangenschaft, Ketten, welche festhielten, hatte er ihre Tode genommen; vom fließenden Blut befreit und im sogar als am gefährlichsten geglaubten Abt einen Freund gefunden. Kriegsläufe, welche sich inniglich umwunden, zumindest schon ein paar Schlingen entbunden.

Lediglich wenn sie sich erschreckte und auf Feindkontakt sprang; das war nicht gut. Das war gefährlich, das…

Geängstigt riss er seine Augen weit auseinander, denn da hörte er sie: Schritte und wie sie sich ihm schnell näherten.

„Ich habe es ja gesagt. Ich bin tot. Sowas von tot“, wurde der junge Mann panisch und verschluckte sich. Am schwarzen Strunk, der unter ihm knackste und in seinem zerfallenen, hohlen Inneren munter auseinander bröselte, versuchte er sich auf sein temporär einzig vorhandenes Bein zu ziehen. Als ein vertrautes Gurren ihn auch schon verwundert blinzeln und seinen Kopf drehen ließ.

Beinah zu spät…



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