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Polaroid

von

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KAPITEL VIER

KAPITEL VIER
 

Los Angeles, 2017
 

Ich hörte meinen bebenden Atem. Ich hörte das leise elektrische Knistern, als Jared mit seinem Daumen sanft über mein Kinn strich. Ich hörte wie der Ast unter Jareds Fuß leise knackte, als er meinen Lippen so nahe kam, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüren konnte. Heute roch er nach süßer Schokolade. Nach Schokolade und dunkler Versuchung. Ich holte tief Luft; atmete ihn ein und genoss das tiefe Prickeln in meinem Körper.
 

Seine Barthaare kitzelten mein Gesicht und ich hielt automatisch die Luft an. Jeder einzelne Herzschlag hallte tausendfach in meinem Brustkorb nach und brachte meinen gesamten Körper zum Beben. Ich konnte die Wärme spüren, die von Jareds Körper ausging. So musste sich Ikarus gefühlt haben, als er der Sonne zu nahe gekommen war. Ich wusste, dass ich bereits schmolz; zu heißem Wachs in seinen Händen wurde. Und ich genoss es.
 

Ohne darüber nachzudenken, öffneten sich meine vor Aufregung kribbelnden Lippen. Jared gab ein leises, gänsehauterregendes Raunen von sich und ich lehnte mich ihm entgegen. Jede Faser meines Körpers sehnte sich danach von ihm geküsst zu werden.
 

Seine Nasenspitze glitt so behutsam sanft über die meine, dass eine ungeahnte Wärmewelle von meinem Bauch hinaufstieg. Ich spürte wie er leise und leicht nach Luft schnappte, und eine erregende Gänsehaut überfuhr meinen Körper. Ein in mir verschollen geglaubter Instinkt erwachte und da wusste ich es. Der Moment war endlich da. Jared würde mich jetzt küssen. Er würde mich küssen und ich würde endlich seine Lippen schmecken; würde genießerisch von ihnen kosten. Und ich wusste, dass ich es wollte. So sehr wollte.
 

Für einen Moment, nicht länger als der Flügelschlag eines Kolibris, schien alles in ein strahlendes Weiß gehüllt zu sein. Ein schwereloses Weiß, welchem ich mich nur zu gerne hingab. Ein warmes Weiß, das mich zu durscheinen schien und mich enger an Jared drückte.
 

Doch plötzlich wurde dieses Weiß von schwarzen Punkten unterbrochen und ehe ich begriff was passierte, landete ich unsanft auf meinen Hintern und kippte um. Trockenes Laub und kleine Äste raschelten unter mir, als ich mich mühsam aufrappelte. Was war das denn gerade gewesen? Mir war zwar vor Aufregung etwas mulmig gewesen, aber ich war definitiv weit davor entfernt, ohnmächtig oder dergleichen zu werden.
 

Gedämpftes Lachen, Schleckgeräusche und wildes Unterholzrascheln zogen meine Aufmerksamkeit und verwirrten Gedanken zurück in die Realität. Und die Realität konnte so grausam sein. Anstatt von Jared geküsst zu werden, küsste dieser nun meinen Hund. Oder wohl eher anders herum. Gatsby drückte ihn mit seinem gesamten Körper gegen den Waldboden, während er Jareds Gesicht schwanzwedelnd von oben bis unten abschleckte.
 

Es gab jetzt natürlich mehrere Möglichkeiten auf diese Situation zu reagieren. Humor, wäre eine angemessene Reaktion gewesen. Einfach über dieses absurde Schauspiel, welches sich mir da gerade bot, herzhaft lachen und vielleicht mit der Polaroidkamera oder dem Handy schnell ein Foto schießen, damit man später auch noch darüber lachen könnte.
 

Dann gab es da noch die Scham-Variante. Ich könnte mich für meinen, sonst eigentlich gut erzogenen, Hund schämen, ihn von Jared herunterziehen und mit ihm schimpfen. Darauf bedacht den Rest des Tages peinlich berührt Jareds Blick auszuweichen, weil ich fest entschlossen sein würde, diese Situation aus meinem Kopf zu streichen. Natürlich würde ich es tunlichst vermeiden mit jemanden darüber zu reden. Und ich würde weitere Versuche von Jared als auch von Sally, mich auf weitere Treffen einzulassen, standhaft ablocken.
 

Obwohl ich mir gerade nicht so sicher war, ob Jared überhaupt noch Interesse hatte, mich noch ein weiteres Mal treffen zu wollen. Immerhin glänzte sein ganzes Gesicht von dem Sabber meines Hundes. Sein Bart tropfte und triefte sogar vor Hundesabber. Ich glaube ich würde mich selbst auch nicht mehr treffen wollen. Innerlich seufzte ich resigniert.
 

Und diese Tatsache brachte mich zu der unterwürfigen Option. Gatsby bestimmend von ihm herunterzerren, sich auf Knien entschuldigen und beteuern das Gatsby das noch nie zuvor getan hätte, weil er eigentlich ein ganz "Lieber" war.
 

Da mein Hirn von dem Fast-Kuss mit Jared noch ziemlich vernebelt war, und ich meine Tollpatschigkeit nicht einkalkuliert hatte, reagierte ich vielleicht etwas zu panisch, keiner meiner zuvor zurechtgelegten Möglichkeiten entsprechend und zu schnell. Definitiv zu schnell.
 

"Gatsby! AUS!",
 

schrie ich erschrocken mit einer mir fremden und viel zu schrillen Stimme, stand mit weichen Knien auf und Griff gleichzeitig nach der Leine in meiner Jackentasche. Dadurch bemerkte ich meine offenen Schnürsenkel nicht, über die ich auch sofort stolperte, als ich einen großen Schritt zu Gatsby machte, um diesen anzuleinen und von Jared wegzuziehen.
 

In dem Moment, wo keiner meiner Füße den laubbedeckten Boden berührte, sprang Gatsby fröhlich bellend von Jared herunter, welcher lachend und erleichtert aufatmete. Sein vor Erleichterung strahlendes Lächeln erstarrte und seine Augen weiteten sich erschrocken, als sein Blick auf mich fiel. Und während ich im Begriff war auf ihn zu stürzen, gefühlt in der langsamsten Zeitlupe der Weltgeschichte, hasste ich mich dafür, dass ich mich schon wieder in seine meerblauen Augen verlieren wollte; in ihnen baden wollte; sie zeichnen wollte; ohne an meinen eigentlichen Sturz zu denken. Meinen Sturz auf ihn. Jared. Der eh schon voller Hundesabber war und nun gleich mein Knie im Magen haben würde.
 

Ich schloss reflexartig die Augen und wünschte mir, dass ich nicht auf Sally gehört hätte. Dann wäre ich jetzt auf der Ranch. Würde selbstgemachten Eistee schlürfen und kleine, süße Ponys putzen. Aber wie immer sah die Realität ganz anders aus. Und sie wurde von Sekunde zu Sekunde grausamer.
 

"Rose!",
 

keuchte Jared und ich zuckte vor Angst zusammen; war halbwegs gefasst, entweder auf ihn oder den Boden aufzuprallen, für den gering eintreffenden Fall, dass er es noch geschafft hatte, sich wegzurollen. Und irgendwie betete ich dafür, dass er sich weggerollte hatte. Schließlich beinhaltete kein Date, und besonders nicht das erste Date, sein Knie in den Körper seines Date-Partners zu rammen. Normale Dates jedenfalls nicht.
 

Doch ein Aufprall im herkömmlichen Sinn fand nicht statt. Stattdessen schlangen sich kräftige Arme um mich und hielten mich fest an einem warmen Körper gedrückt. Teils aus Überraschung, teils aus Schreck, und ich wagte nicht näher darüber nachzudenken welche Empfindung schwerer wiegte, drang ein erstickter Laut aus meiner Kehle. Ich riss die Augen auf. Panische braune Augen trafen auf zuversichtliche blaue Augen. Ein gefühlsgeladener Blitz durchfuhr meine Brust und ließ mich zitternd nach Luft schnappen, während wir über das Laub rollten. Mein Sturz schien mehr Geschwindigkeit und Kraft in sich gehabt zu haben, als vermutet.
 

Als wir endlich aufhörten, uns um die eigene Achse zu drehen, konnte ich Jareds Gewicht auf mir spüren. Meine Wangen brannten beinahe, so heiß liefen sie an. Ein Glück, dass sie nicht dampften. Atemlos sah ich ihn weiter an und auch er unterbrach den Blickkontakt nicht. Das Blau seiner Augen wirkte heller als sonst, so wie das hell leuchtende Blau des Meeres an einem Strand mit beinahe weißem Sand. Mir war, als ob ich sogar leichte Wellen sehen konnte.
 

Ich hörte nur meinen Atem, das Rasen meines viel zu überforderten Herzens und Jareds Lachen. Er lachte. Wieso lachte er? Lachte er mich etwa aus?
 

"Mit dir wird es nie langweilig, was?",
 

gluckste er und musterte mich eingehend. Er löste seine Hand, welche meinen Hinterkopf umfasst hatte, vorsichtig und stützte sich mit beiden Armen über mir ab. Er musterte mich so intensiv, dass ich mich nicht gewundert hätte, wenn jetzt mein gesamter Körper rot angelaufen wäre. Warm genug dafür war mir jedenfalls.
 

"Hast du dir wehgetan?",
 

hörte ich ihn fragen, doch ich war unfähig darauf zu antworten, da mein verräterisches Hirn, überladen und überlastet von nichtsnutzigen Hormonen wieder den kitschigen mit Herzen überladenen Rosarotenbrillenfilter angeschaltet hatte. Unter aufbegehren meiner ganzen restlichen, noch nicht vom Liebesfilter infiltrierten, Gedankenkraft, brachte ich ein klägliches und vielmehr nur angedeutetes Kopfschütteln zu stande. Na immerhin etwas!
 

"Gut!",
 

lächelte er und seine Grübchen ließen den Kolibri in meiner Brust liebestrunken schwanken.
 

Er sah mir so tief in die Augen, als ob er in mir lesen würde und mein Bauch zog sich aufgeregt zusammen. Etwas zögerlich strich er mir durch meine, vom Sturz und seinem Auffang-Manöver, nun wirren Haare und zog ein kleines Blatt heraus.
 

Ich konnte meinen Blick nicht von seinem Gesicht abwenden, versuchte mir jedes noch so kleine Merkmal einzuprägen; zeichnete ihn in Gedanken. Ich wusste, dass es vielleicht besser gewesen wäre, etwas zu sagen. Doch mein Mund wollte keine Wörter formen. Er wollte etwas ganz anderes. Er wollte da weitermachen, wo wir gerade unterbrochen wurden. Am liebsten hätte ich meinen Kopf angehoben, um ihn zu küssen; wollte endlich mutig sein und mir nehmen, was ich begehrte, auch wenn ich es nie zugeben würde.
 

So als hätte Jared meine Gedanken gehört, glitt sein Blick vom Blatt, welches er aus meinem Haar befreit hatte, wieder zu mir. Er erkundete mein Gesicht und meine Lippen kribbelten elektrisiert, als er diese einen Augenblick zu lang musterte.
 

"ROSIEEEE!",
 

schrie plötzlich jemand, und wir beide zuckten erschrocken zusammen. Schneller als ein Blinzeln glitt Jared von mir herunter, und ich vermisste sofort sein Gewicht auf mir. Was war denn nur los mit mir? Ich kannte ihn gar nicht. Hatte mich nur vor zwei Tagen einige kurze Minuten mit ihm unterhalten und ein paar Whats App Nachrichten ausgetauscht. Das war alles. Und doch vermisste ich sein Gewicht auf mir? Sehnte mich nach seiner Wärme? Jeder normale Mensch hätte nicht so empfunden. Es war unreif, verantwortungslos und vielleicht auch ein bisschen pervers. Und pervers wollte ich schon mal gar nicht sein.
 

Jared reichte mir seine Hand, welche ich zögernd nahm, und zog mich auf meine Füße. Gerade rechtzeitig, wie sich herausstellen sollte. Denn Sally, Shannon und Jamie kamen auf die Lichtung geeilt. War irgendwas Schlimmes passiert?Ich warf einen verwirrten Seitenblick zu Jared, doch dieser seufzte nur und ließ die Schultern hängen.
 

"Alles okay? Wir haben Schreie gehört!",
 

keuchte Sally, kam direkt vor mir zum Stehen und musterte mich. Ich konnte spüren wie seine Augen an meinem, von Blättern und kleinen Stöckern durchwühltem Haar, klebten. Schamesröte kroch meinem Hals empor. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Jareds und mein Erscheinungsbild auf eine ganz falsche Weise gedeutet werden konnte. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt das Experiment "Date" abzubrechen und einzusehen dass ich Date-unfähig war.
 

"Rose! Ist alles in Ordnung?",
 

fragte Sally argwöhnisch und musterte Jared auf eine, schon beinahe feindselige Art, die ich noch nie zuvor an ihm vernommen hatte. Es war auch nicht hilfreich, dass auch Jareds Haare belaubt waren und kleine Erdkrümel an seinen Ellenbogen klebten.
 

Ich nickte schnell und Gatsby kam unbekümmert schnaufend, mit einem Ast der doppelt so groß war wie er, zu mir getorkelt und legte sich neben mich. Nur um damit anzufangen, besagten Ast kategorisch von oben nach unten zu zerpflücken.
 

"Gatsby war's!",
 

hörte ich mich sagen und deutete sogar, unnötiger Weise, auf meinen Hund. Jared lachte leise auf, verstummte aber sofort wieder, als Shannon neben ihn trat. Shannon musterte mich abschätzend, packte seinen Bruder am Ellenborgen und zog ihn von mir und Sally weg. Kaum als sie außer Hörweite waren, begann Shannon auf Jared einzureden.
 

Sally begann den Dreck von meiner Kapuzenjacke zu klopfen und zupfte an meinem Zopf herum, um die restlichen Blätter, und wer weiß was sonst noch, von meinem Haar zu befreien.
 

"Der Hund hat also geschrien?",
 

fragte er mich leise, und ging weiter seiner Beschäftigung nach, während ich, peinlich berührt, auf meine Füße starrte.
 

"Nein... das war schon ich!",
 

seufzte ich leise und Sally hielt inne.
 

"Ist ein Unwetter in Anmarsch?",
 

fragte er besorgt und hob mein Kinn, damit ich gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen.
 

"Nein! Keine Gewitterwolke zu sehen!",
 

seufzte ich und schielte zu Jared, Shannon und Jamie, welche sich immer noch leise unterhielten.
 

"Es war nur ziemlich doll peinlich. Obwohl peinlich trifft es nicht. Es war schlimmer als peinlich!",
 

murmelte ich und sah mich suchend nach einem Erdloch um, indem ich mich verkriechen konnte.
 

"Was ist denn passiert?",
 

fragte Sally immer noch besorgt. Er schien noch nicht überzeugt, dass es kein "Gewitterwolken"-Alarm gab.
 

Ich schnappte schon nach den ersten Worten der Erklärung, doch noch ehe auch nur ein einziger Laut meine Zunge verließ, bohrte ich ihm meinen Finger in die Brust.
 

"Wo warst du?",
 

brummte ich nachtragend und versuchte ihn böse anzusehen.
 

"Mh?",
 

machte Sally unschuldig und zupfte wieder an meiner Jacke herum.
 

"Jetzt tu nicht so. Bevor Jared und ich zur Lichtung gegangen sind, warst du nicht mehr da! Und Kyle natürlich auch nicht! Dabei hast du versprochen mich nicht allein zu lassen! Du hast versprochen auf mich aufzupassen!",
 

platzte es aus mir heraus und Sally verzog vor schlechtem Gewissen das Gesicht.
 

"Nur weil ich mal kurz nicht da bin, ist das noch lange kein Grund mit Prince Charming Bibbidi Bobbidi Boo im Dickicht zu machen! Ich hab zwar gesagt, dass du ruhig für Zärtlichkeiten offen sein sollst, aber das hier geht entschieden zu weit. ",
 

zischte er und ich schnappte gekränkt nach Luft.
 

"Wir haben überhaupt kein Bibbidi Bobbidi Boo gemacht! Und hatten es auch nicht vor!",
 

knurrt ich schon beinahe. Sally schnaubte und zog eine Augenbraue hoch. Ich wusste, dass mein äußerliches Erscheinungsbild Beweis genug war, um das Gegenteil zu glauben.
 

"Wenn hier einer Bibbidi Bobbidi Boo gemacht hat, dann ja wohl du! Oder wo waren du und Kyle plötzlich! Schließ nicht von dir auf andere!",
 

fauchte ich und leinte mit zitternden Händen Gatsby an. Das war's. Hiermit war die Wanderung für mich beendet. Wie konnte Sally nur so etwas von mir denken?
 

"Warte!",
 

seufzt Sally und hielt meine zitternden Hände fest.
 

"Tut mir leid. Das kam vielleicht falsch rüber. Ich hab mit nur Sorgen gemacht. Als ich wieder kam warst du nicht da. Und Jared auch nicht. Und dann hab ich die Schreie gehört. Ich bin eigentlich auf mich selbst sauer... weil ich dich nicht im Auge behalten habe!",
 

seufzte er und ich sah ihn trotzdem zerknirscht an. Das war noch lange kein Grund, seine Wut an mir auszulassen. Da ich nicht wusste, was ich auf seine Worte erwidern sollte, brummte ich nur. Sally seufzte.
 

"Auch wenn es schwer zu glauben ist, haben Kyle und ich kein Bibbidi Bobbidi Boo gemacht. Er hat schlicht und einfach seine Sonnencreme im Wagen vergessen und da ich zusehen konnte, wie seine Haut von Minute zur Minute röter wurde, bin ich halt schnell mit ihm zurückgegangen. Ich habe mich wirklich beeilt, aber als ich die anderen wieder eingeholt hatte, warst du nicht da. Und der Muskulöse -",
 

er deutete auf Shannon der immer noch auf Jared einredete, welcher nur am nicken war,
 

"- war auch nicht gerade begeistert, als wir bemerkten dass ihr beide verschwunden wart. Ich war kurz davor Ben anzurufen, obwohl das mein Todesurteil gewesen wäre!",
 

gestand Sally und drückte meine Hand. Ich nickte. Vielleicht waren wir beide gerade etwas zu aufgewühlt.
 

"Die Kurzform?",
 

fragte ich nach einem versöhnlichen Lächeln, und Sally nickte.
 

"Wir haben Kolibris gehört. Du weißt das sind meine Lieblingstiere. Also sind wir durchs Dickicht gegangen. Wir haben die Kolibris gefunden, ich habe ein Polaroid gemacht und dann war da ein Bibbidi-Moment, der von Gatsby vereitelt wurde. Und als ich versucht habe Gatsby wieder anzuleinen bin ich gestolpert, Jared hat mich aufgefangen und wir sind über den Boden gerollt. Ende!",
 

murmelte ich und wich Sallys Blick aus. Ich konnte hören wir er ein Lachen unterdrückte.
 

"Okay das klingt so absurd, dass es dir zuzutrauen ist!",
 

grinste er und tätschelte meine Schulter.
 

"Wollen wir schon mal vorgehen?",
 

fragte Jamie plötzlich fröhlich und sah uns lächelnd an. Sowohl Sally, als auch ich zuckten erschrocken zusammen. Wie lange stand er schon da? Was hatte er alles gehört?
 

Ich blickte zu Jared. Die Unterhaltung mit seinem Bruder schien energischer zu werden, da beide aufeinander einredeten. Ich unterdrückte ein Seufzen. Nur ein Idiot würde nicht erkennen, dass sein Bruder mich nicht leiden konnte.
 

"Na komm!",
 

sagte Sally, der meinem Blick gefolgt war und wohl zur gleichen Erkenntnis gekommen war. Er legte einen Arm um mich und führte mich durch das tückische Dickicht. Gatsby stieß regelmäßig mit seinem gigantischen Stock gegen die Baumstämme, was ihn aber nicht davon abhielt, ihn immer weiter mitzuzerren. Auf dem sicheren Wanderweg angekommen, wurden wir von neugierigen Augenpaaren angestarrt. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich Jareds restlichen Freunden noch gar nicht vorgestellt hatte. Oh Gott wie unhöflich und selbsteingenommen ich rüberkommen musste. Das mit dem "guten Eindruck hinterlassen" hatte ich wohl nicht so gut drauf.
 

"Entschuldigung für die Unterbrechung. Da... da waren Kolibris. Ich bin übrigens Rose!",
 

sagte ich und hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen. Wie bescheuert klang das bitte?
 

Die anderen fingen prompt an zu lachen. Aber es war kein gehässiges oder böswilliges Lachen, eher ein frommes und amüsiertes. Meine Wangen glühten trotzdem, als sie sich vorstellten. Emma, Stevie, Shayla und Paula. Emma, Stevie, Shayla und Paula. Ich zählte die Namen mehrmals geistig auf, um sie ja nicht zu vergessen.
 

Hinter uns hörten wir schwere Schritte und knackende Äste. Shannon und Jared waren wieder da. Shannon musterte mich und schüttelte leicht abfällig mit dem Kopf, ehe er an mir vorbeiging. Ich schluckte schwer. Bestimmt dachte er, dass ich mich Jared an den Hals geworfen hatte. Diese Erkenntnis ließ mein Innerstes gefrieren. Doch schmolz es wieder dahin, als Jared mir zuzwinkerte und sich neben mich stellte. So als wäre nichts gewesen.
 

"Dann lasst uns mal weiter!",
 

lächelte er und unsere Gruppe setzte sich langsam in Bewegung. Es herrschte Schweigen. Shannon stapfte voraus.
 

"Also... was studiert ihr zwei denn?",
 

fragte Stevie munter und sah zu mir und Sally. Ich glaube ich war noch nie so dankbar für Smalltalk gewesen.
 

Während Sally und ich pflichtbewusst die, zum Teil sehr neugierigen Fragen, der Gruppe beantworteten, wich Jared nicht von meiner Seite. Dennoch griff er auch nicht mehr nach meiner Hand, was mich doch mehr bekümmerte, als ich es mir eingestehen wollte. Jedoch glitt sein Handrücken viel zu oft über den meinen, als das es ausschließlich Zufall sein konnte. Und diese Tatsache freute mich so sehr, dass jedes Mal mein Herz schneller schlug, wenn wir uns kurz berührten.
 

Ich hatte es aufgegeben zu hinterfragen, was er da mit mir tat. Ich kannte mich mit Liebesangelegenheiten nicht aus. Ich hatte über sowas nur in meinen Büchern gelesen. Und wenn ich durch diese Lektüre eins gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass Liebe viele Gesichter hatte und jeden anders traf. Vielleicht war meine Form des Verliebtseins intensiver, als es bei anderen Menschen der Fall war. Vielleicht war es so intensiv, weil Jared und ich gut zusammenpassen würden. Ich wusste es nicht. Aber vielleicht war es an der Zeit, es nicht skeptisch zu hinterfragen, und sich einfach darauf einzulassen. Quasi: Learning by doing. Oder so.
 

Wir mussten bereits eine Weile gewandert sein, da die Sonne tiefer am Himmel hing und mein Mund ganz ausgetrocknet vom vielem Reden und Lachen war. Der peinliche Vorfall von heute Morgen schien unendlich weit weg. Dennoch kam ich nicht umhin zu bemerken, dass keiner der anderen beabsichtigte, mich und Jared noch einmal aus den Augen zu lassen. Besonders Shannon nicht. Ich hatte jetzt keine Angst vor ihm, aber ich musste mir doch eingestehen, dass er mich ziemlich einschüchterte, wie er mit seinem braungrünen Augen und brummig verzogenen Mund immer wieder musterte.
 

"Der See muss nicht mehr weit weg sein!",
 

sagte Jared plötzlich.
 

"See?",
 

frage ich überrascht. Und alle, außer Sally und Kyle natürlich, nickten eifrig mit einem vorfreudigen Lächeln auf dem Mund.
 

"Gehen wir baden?",
 

fragte Kyle und ich konnte hören wie er versuchte ein fröhliches Quietschen zu unterdrücken.
 

"Natürlich!",
 

grinste Jamie und ging gleich einen Schritt schneller, um eher als die anderen an den See zu gelangen.
 

"Ich hab keine Badesachen mit!",
 

bemerkte ich leise und hoffte dass diese Information ausreichte, um deutlich zu machen, dass ich nicht im See baden würde.
 

"Wir auch nicht!",
 

lachte Shayla.
 

"Irgendwie ist es Tradition geworden, wenn wir diese Route wandern, mit Klamotten in den See zu springen!",
 

erklärte sie.
 

"Und während unsere Kleidung in der Sonne trocknet, essen wir unseren Proviant auf!",
 

freute sich Emma und ich sah beide ungläubig an. Gegen meinen Willen tauchte ein sehr nudistisch angehauchtes Bild vor meinem geistigen Auge auf, indem alle nackt im Kreis saßen, aßen und lachten, während ihre Kleidung an Bäumen hing und im Wind wehte und trocknete. Das war wieder so ein Moment, wo ich mir wünschte, nicht so viel Phantasie zu haben.
 

"Wir behalten die Sachen natürlich an. Bei den Temperaturen trocken die schnell und gut am Körper!",
 

flüstere Jared leise, aber deutlich belustigt neben mir. Er konnte wohl wirklich meine Gedanken lesen.
 

"Aha!",
 

gab ich von mir, da kein Wort das beschreiben konnte, wie ich diese Tradition fand und wie ich mich dabei fühlte, dieser Tradition beizuwohnen. Ich sah kurz zu ihm auf. Er schien genau darauf gewartet zu haben, denn er fing meinen Blick sofort auf. Wieder unterlag ich seinen Augen. Jetzt schienen sie dunkler zu sein, wirkten tiefer und ein Schauer durchfuhr meinen gesamten Körper.
 

Durch seinen Blick abgelenkt stolperte ich prompt, und Jared lachte leise, eher er seinen Arm schützend auf meinen Rücken legte. Meine roten Wangen ignorierend starrte ich stur geradeaus und erkannte in der Ferne ein Glitzern. Je weiter wir gingen, umso mehr entpuppte sich das Glitzern, als die Seeoberfläche, welche von der Sonne angestrahlt wurde. Leider war mir immer noch keine Ausrede eingefallen, warum ich nicht fröhlich in den See springen konnte. Jedenfalls keine, die mir nicht unangenehm peinlich gewesen wäre.
 

Alle um uns herum beschleunigten ihre Schritte; konnten es kaum erwarten in den See zu springen. Das Wasser war bestimmt erfrischend bei den warmen Temperaturen.
 

"Ist es okay, wenn Kyle und ich schwimmen gehen?",
 

fragte Sally mich, während Kyle seinen monströsen Hut an seinem Rucksack festband.
 

"Natürlich! Geht nur!",
 

erwiderte ich lächelnd und hoffte so, wieder ein paar Augenblicke mit Jared allein zu haben. Noch ein paar weitere Schritte, und das dumpfe Aufprallen von Rucksäcken und Schuhen, welche unbedacht in den Sand geworfen wurden, war zu hören. Darauf folgte freudiges Gekicher und Geplantsche. Gatsby folgte Sally und Kyle freudig bellend und schmiss sich förmlich in die Wellen. Ich lachte und setzte meinen Rucksack ab. Ohne den Schatten der Bäume wurde mir schnell warm, und ich zog meine Kapuzenjacke aus.
 

Doch gerade als ich mich in den pudrigen, hellen Sand setzen wollte, griff Jared nach meiner Hand.
 

"Komm ich muss dir was zeigen!",
 

grinste er und zog mich mit sich. Ohne Widerreden folgte ich ihm. Vertraute ihm.
 

Er zog mich hinter sich her, während wir einen schmalen, von Felsen gesäumten Weg entlangkletterten. Ich starrte die ganze Zeit auf seine breiten Schultern. Sein leicht durchsichtiges Shirt ließ einen muskulösen Rücken erkennen. Ich erschauderte und ermahnte mich selbst, mich gefälligst zusammenzureißen.
 

"Da sind wir!",
 

strahlte Jared und drehte sich zu mir um, ohne meine Hand loszulassen. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir auf einem kleinen Abhang standen. Der See war gut zehn Meter unter uns. Ich japste erschrocken nach Luft und lehnte mich gegen die Felswand.
 

"Du musst keine Angst haben. Das macht Spaß, glaub mir. Shannon und ich sind schon ganz oft von hier gesprungen!",
 

lachte er und zog mich sanft von der Felswand weg.
 

"Wir springen zusammen, okay?",
 

raunte er in mein Ohr, und verstärkte den Griff um meine Hand.
 

Ich sah panisch den Abhang herunter, und mein Magen drehte sich mir um. Ich musste wieder an Dad und den Unfall denken. Den Aufprall. Seine toten Augen. Der metallische Geruch nach Blut. Der Qualm der in meinen Lungen brannte und mir die Luft zum Atmen nahm.
 

Ich spürte wie Jared mein Gesicht in seine Hände nahm. Seine Augen durchdrangen den dunklen Schleier der Erinnerung und ich schnappte nach Luft. Konnte wieder atmen. Hier war kein Qualm. Hier waren nur Jared und ich.
 

"Weißt du... mir hilft es immer, mich lebendig zu fühlen. Und ich möchte, dieses Gefühl mir dir teilen!",
 

flüsterte er leise und leckte sich über die Lippen.
 

"Ich habe keine Ahnung was das zwischen uns ist. Aber ich bin bereit es herauszufinden!",
 

raunte er und seine Züge bekamen etwas Sanftes. Ich krallte meine Hände in sein Shirt, weil meine Knie mal wieder drohten nachzugeben. Er spürte es also auch. Er spürte es auch und wusste nicht was es war. Es beruhigte mich irgendwie, dass wir beide ein gewisses Maß an Unwissenheit hatten.
 

"Spring mit mir!",
 

lächelte er und strich mit dem Daumen über meine Wange, was mein Herz fast zum Platzen brachte.
 

"Erzähl mir wie du mich gefunden hast! Dann spring ich mit dir!",
 

keuchte ich aufgeregt, von mir selbst überrascht, etwas so waghalsiges überhaupt in Erwägung zu ziehen.
 

Jared blinzelte mich verdutzt an, ehe er den Kopf in den Nacken legte und kurz aber herzhaft lachte.
 

"Stimmt ja. Das habe ich dir ja noch gar nicht erzählt. So spannend und aufregend wie deine Theorien ist die Geschichte leider nicht.",
 

seufzte er und sah mich entschuldigend an.
 

"Egal! Ich will es wissen! Sonst kannst du alleine springen!",
 

erwiderte ich und hielt seinem Blick stand.
 

"Also, ich erzähl dir, wie ich dich gefunden habe, und dann springst du mit mir. Hab ich dein Wort?",
 

fragte er und intensivierte seinen Blick, was mich zitternd seufzen ließ.
 

"Versprochen!",
 

nickte ich und sah ihn neugierig an.
 

"Okay!",
 

er nahm die Hände von meinem Gesicht, griff nach meiner Hand und stellte sich dicht an die Felskante. Durch seinen festen Griff war ich gezwungen es ihm gleich zu tun. Dennoch traute ich mich nicht hinabzusehen und starrte deshalb in die Ferne. Schaute auf die majestätischen Baumkronen und beobachtete kleine Vogelschwärme wie sie von Baum zu Baum flogen.
 

"Als wir uns im Wartezimmer unterhalten haben, kam ich nicht umhin den Aufnäher von der 'University of California Los Angeles', an deinem Rucksack zu bemerken. Und da du wie eine Studentin aussiehst und kohleverschmierte Hände hattest, war ich mir zu 99 Prozent sicher, dass du dort noch studierst. Auf dem Weg zu meinem Auto dann, sah ich das Polaroid. Und da ich Gatsby erst wenige Minuten vorher kennengelernt hatte, zog ich eins und eins zusammen. Ich hätte ja gerne auf dich gewartet und es dir gegeben, aber mein Bruder und ich hatten leider einen Termin!",
 

seufzte er und warf mir einen Seitenblick zu.
 

"Und weiter?",
 

wollte ich wissen, und Jared lachte wieder.
 

"Naja, wie soll ich sagen? Irgendwie gingst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Und ich dachte mir, dass du dein Polaroid bestimmt wieder haben möchtest, immerhin wirst du es ja aus einem bestimmten Grund geschossen haben. Und obwohl ich mir sicher war, wo du studierst, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen was du studierst. Du hättest Kunst auch nur als Nebenfach haben können, und daher die kohlebeschmierten Hände. Daher überredete ich Shannon, Jamie, Stevie und Shayla mir zu helfen. Da es an der Uni-"
 

"- fünf Eingänge gibt!",
 

unterbrach ich ihn keuchend und Jared lächelte verlegen. Jetzt ergaben Shannons und Jamies Andeutungen von heute Morgen einen Sinn.
 

"Ich habe ihnen gesagt, dass sie nach einer hübschen, brünetten Frau mit einem Dalmatiner namens Gatsby Ausschau halten sollen. Aber dass ich es sein würde, der dich findet war Zufall. Und ich bin diesem Zufall sehr dankbar!",
 

raunte Jared und drückte meine Hand.
 

"Was hättest du gemacht, wenn die anderen mich gefunden hätten?",
 

fragte ich unendlich gerührt, aber meine Neugier war noch nicht gestillt.
 

"Sie hätten mich angerufen und ich wäre gerannt wie der Teufel, um dich noch zu erwischen!",
 

grinste er und sah mich mit leuchtenden Augen an.
 

"Und jetzt hol tief Luft!",
 

lächelte er und sprang ohne Vorwarnung den Abhang herunter. Da er meine Hand fest umklammert hielt, zog er mich mit sich. Wir fielen zusammen in die Tiefe, während ich einen erstickten Schrei von mir gab. Er ließ meine Hand nicht los, auch nicht als wir in den See eintauchten.
 

Das Wasser war erfrischend kühl, doch seine warme Hand hielt meine unerbittlich fest. In diesem Moment, hatte ich die Gewissheit, dass er meine Hand nie mehr loslassen würde.
 

Ich war sicher.
 

Ich musste keine Angst mehr haben.
 

Ich fühlte mich lebendig.
 

Mit Jared.



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