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Die Entscheidung - Rewrite

von

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Unsicherheit

Leise hallten Harrys Schritte im Flur wider, als er sich mühsam die Treppe hoch quälte. Sein ganzer Körper schmerzte. Seine Hände von der Gartenarbeit, sein Rücken von der langandauernden gebückten Haltung, seine Knie vom harten Boden, sein Gesicht von der gleißenden Sonne … die Aufzählung könnte immer weiter gehen. Langsam ging er den Flur entlang und in sein Zimmer.
 

Erleichtert schloss Harry seine Zimmertür und lehnte sich mit dem Rücken leicht dagegen. Mit einem leisen Seufzen schloss er die Augen und legte den Kopf in den Nacken, bevor er langsam mit dem Rücken an der Tür herunterrutschte, bis er auf dem Boden saß. Sein ganzer Körper schien vor Protest zu pochen. Doch Harry biss lediglich seine Zähne zusammen bis der gleißende Schmerz zu einem dumpfen immerwährenden Unwohlsein verblasste. Auch wenn jede Faser seines Körpers danach schrie sich auf seinem Bett niederzulassen.
 

Das Bett war tabu.
 

Es wäre viel zu einfach sich in der Wärme und Behaglichkeit zu verlieren. Viel zu einfach dem verführerischen Flüstern von Morpheus zu verfallen und einzuschlafen. Denn dann würden sie kommen.
 

Die Träume …
 

Und so saß er da, auf dem kalten Boden, die Augen geschlossen und lauschte dem regen Treiben im restlichen Haus. Denn die übliche Monotonie des Sommers wurde unerwartet unterbrochen. Vernon Dursley sah die Chance seines beruflichen Lebens – als ein Anruf vor etwa einer halben Stunde den alltäglichen Trott im Ligusterweg Nr. 4 unterbrach. Ein potentieller Kunde seiner Firma ließ ein dringendes – und vor allem kurzfristiges – Treffen arrangieren. Es ging um einen Geschäftsauftrag. Möglicherweise der größte, den er jemals an Land ziehen würde. Und um genau diesen unter Dach und Fach zu kriegen, mussten alle betroffenen Parteien in einer Stunde am Treffpunkt sein. Auch die Ehefrauen waren eingeladen, um die Atmosphäre etwas aufzulockern.
 

Ob Tante Petunia dafür wirklich geeignet war …

Und so rannten die beiden erwachsenen Dursleys seitdem wie zwei aufgeschreckte Hühner durch das Haus, um sich schick zu machen. Ein guter bleibender Eindruck war ihre größte Priorität. Doch Harry bezweifelte, dass ihnen das gelingen würde. Bei seinem mühsamen Weg die Treppen hinauf konnte er einen Blick auf die beiden werfen. Sein Onkel mit hochrotem Kopf in einem überdimensionalen Anzug und seine Tante in einem schillernden Kleid, das ihre hagere Figur nur noch mehr betonte und streckte. Sie würden einen bleibenden Eindruck hinterlassen, keine Frage. Aber ob dieser positiv ausfallen würde, war eine ganz andere Sache …
 

Vage nahm Harry wahr, wie die Stimmen unten lauter wurden, bevor die Eingangstür laut zuknallte. Seine Tante und sein Onkel hatten das Haus verlassen.
 

Nach der ganzen Hektik herrschte nun totale Stille, die nur von Harrys langsamen, tiefen Atemzügen durchbrochen wurde. Zaghaft entspannte sich der Schwarzhaarige etwas. Es war selten, dass er das ganze Haus für sich allein hatte. Da war zwar noch Dudley, doch dieser nutzte die Abwesenheit seiner Eltern meist, um sich selbst rar zu machen. Ob nun dafür, um sich mit seinen Schlägerfreunden zu treffen und die Straßen unsicher zu machen, oder um seine neue – tatsächlich existierende – Freundin herzubeordern, war schwer vorherzusagen. Ehrlich gesagt wollte er sich nicht allzu viele Gedanken darüber machen, was Dudley anstellte. Ob nun mit seinen verblödeten Freunden oder mit dem zierlichen Mädchen, mit dem er für ein paar Stunden in seinem Zimmer verschwand. Erneut musste Harry bei dem Gedanken an die beiden verständnislos den Kopf schütteln. Er konnte es immer noch nicht fassen. Vor allem, da sie recht hübsch war … ‚Vermutlich hat sie bloß Angst vor ihm und traut sich nicht nein zu sagen’, dachte sich Harry schief grinsend. Möglich wäre es durchaus, da der jüngste Dursley durchaus mit einer Dampfwalze vergleichbar war. Doch langsam verschwand das Grinsen von Harrys Gesicht.
 

‚Vielleicht …‘, dachte er sich‚ ‚… vielleicht hat sie ihn wirklich gern … und selbst Dudley ist liebenswerter als ich …‘ Dieser ernüchternde Gedanke hallte immer wieder durch seinen Kopf – bis er erneut das laute Knallen der Eingangstür hörte. Dudley hatte sich auf den Weg zu seinen Kumpanen gemacht.
 

Der Schwarzhaarige blieb noch ein paar Augenblicke auf dem Boden sitzen, bevor er sich langsam aufrappelte. Auch wenn er noch so behutsam war, verzog sich sein Gesicht in eine schmerzhafte Grimasse. Leicht schwankend und mit steifen Bewegungen ging er schlussendlich doch zu seinem Bett und ließ sich vorsichtig auf der Bettkante, die dem Fenster zugewandt war, nieder, bevor er vorsichtig auf den Boden glitt. Behutsam entfernte er das lose Dielenbrett, das ihm bereits gute Dienste geleistet hatte. Er nutzte den Hohlraum darunter als Versteck für seine Briefe und die wenigen Bücher, die er besaß. Sein Ziel waren jedoch weder die Briefe noch irgendwelche Schulbücher. Es war ein altes, in schwarzes Leder gebundenes Buch. Völlig unscheinbar, dafür umso wertvoller. Sanft holte er es hervor und strich behutsam mit dem Finger über den alten Einband und die verblasste Beschriftung. Leider war der Titel nicht mehr lesbar. Er war schon fast bis zur Unleserlichkeit verblichen und aus den wenigen Buchstaben, die noch zu erkennen waren, konnte er sich keinen Reim machen.
 

Mühsam positionierte er sich im Schneidersitz und lehnte seinen Rücken leicht an das Bett hinter ihm, während er das Buch in beiden Händen hielt und es anstarrte. Wie schon so oft haderte er mit sich selbst, ob er es öffnen sollte. Wohlwissend, dass er immer wieder auf derselben Seite enden würde. Bei demselben Ritual. Wie er es immer tat.
 

In ihm herrschte ein tiefer Zwiespalt. Einerseits war das Buch alles das, was er verabscheute. Wogegen sich sein ganzes Sein sträubte. Dunkle Magie. Daran gab es keine Zweifel. Und doch … hatte er es unter den privaten Habseligkeiten seines verstorbenen Paten gefunden. In der kleinen Kiste, die ihm von Professor Lupin zugesandt worden war. Wenn es Sirius gehört hatte, konnte er es nicht so einfach ignorieren. Vielleicht war es ein Zeichen, dass ausgerechnet dieses Buch mit diesem Ritual schlussendlich in seinem Schoß landete. Vielleicht wollte ihm Sirius etwas damit sagen.
 

Ohne es zu wollen oder es bewusst wahrzunehmen, hatte er bereits das Buch aufgeschlagen und darin geblättert, bis diese eine bestimmte Seite vor ihm aufgeschlagen war. Seine Hände fingen leicht an zu zittern, als sein Blick wieder einmal die besagte Seite überflog und seine Lippen die nun schon so vertrauten Worte stumm vor sich hin formten. Harry musste trocken schlucken. Seine Gedanken rasten.
 

In seinen Händen hielt er eine mögliche Lösung seines Problems. Vielleicht auch die einzige Lösung, die es gab … Wenn er es wirklich tun würde … wenn er sich wirklich für diesen Weg entscheiden sollte … müsste er keine Angst mehr haben … nie wieder … Niemand würde ihn finden, wenn er es nicht wollte …
 

ER würde ihn nie wieder finden …
 

Doch es würde sich auch alles ändern. Nichts wäre mehr, wie es vorher war. Er wäre nicht mehr, wer er vorher war. Harry war sich nicht sicher, ob er das konnte. Ob er diesen Schritt gehen wollte. Denn jede Entscheidung hatte Konsequenzen. Und manche ließen sich nicht rückgängig machen. Er musste sich sicher sein, dass es das wert war. Dass es die richtige Wahl war. Doch darin lag ja das Problem. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass seine Befürchtungen der Wahrheit entsprachen … und nicht nur ein Produkt seiner Vorstellungskraft … Oder auch fremde Gedanken, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatten. Dass er sich wieder nur irrte und geradewegs in eine Falle steuerte. Plötzlich sah er sie wieder vor sich, diese dämonischen roten Augen von IHM. Das diabolische Grinsen. Und seine Worte:
 

„Ich werde dich holen.“
 

Er konnte sie wieder hören, wie sie Pläne schmiedeten und sein Schicksal planten. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Das war keine Option. Er durfte niemals zulassen, dass das geschah. Vorher würde er lieber diesen Schritt gehen und den Anweisungen im Buch folgen. Auch wenn er sich jetzt noch nicht vorstellen konnte, mit diesen Konsequenzen zu leben, es war immer noch besser, als das, was ihm sonst drohte. Wenn es notwendig wäre, würde er sich selbst retten ohne irgendjemanden mit hineinzuziehen. Und wenn dunkle Magie hierzu notwendig war … würde er es trotzdem tun.
 

Vollkommen aufgewühlt krallte Harry seine Finger in den Ledereinband des Buchs und zerknitterte die alten vergilbten Seiten, als er es plötzlich wieder vor sich sah. Sirius. Sein Pate, als ihn Bellatrix Lestranges Fluch traf und er durch den Schleier fiel. Seine Freunde, die verletzt wurden. Verletzt, weil sie an ihn geglaubt haben … weil er sie in das Verderben geführt hatte. Und er geriet ins Wanken. Seine Entschlossenheit begann zu bröckeln.
 

Harry kniff seine Augen fest zu und schüttelte entschlossen den Kopf, bevor er das Buch entschlossen zuschlug. Verzweifelt drückte er den alten Wälzer an seine Brust, während sich sein Körper nach vorne krümmte. Sein Brustkorb hob sich ruckartig in schweren stockenden Atemzügen. Was dachte er, was er da tat? Er beging denselben Fehler immer wieder und wieder! Er ließ sich mitreißen und ignorierte seine Erfahrungen. Ließ sich vom verführerischen Flüstern und Raunen des Buches verleiten. Er konnte die Macht spüren, die davon ausging und ihre Finger nach ihm ausstreckte. Nach einem kurzen zögerlichen Augenblick stockte ihm der Atem, bevor er sich hektisch aus seiner verkrümmten Position aufrichtete, um das Buch schnell wieder in seinem Versteck zu verstauen.
 

Denn das war doch alles absurd. Auch wenn es ihm für einen kurzen Augenblick wie die Lösung all seiner Probleme vorkam. Er konnte sich ja nicht einmal sicher sein, dass es funktionieren würde. Dass er überhaupt über die Fähigkeiten verfügte, das Ritual durchzuführen. Es konnte nicht funktionieren. Es würde schiefgehen. Und vor allem gab es nicht einmal einen Grund, das alles in Betracht zu ziehen. Seine Träume waren genau das. Nur Träume – sie hatten nichts zu bedeuten. Er würde sich nicht wieder in die Irre führen lassen.
 

Außerdem gab es ja noch den Orden des Phönix. Sie hatten ihm versichert, dass alles in Ordnung war. Dass ihm keine Gefahr drohte. Sie würden ihn beschützen. Für einen kurzen Augenblick schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, wie Dumbledore reagieren würde, wenn Harry diesen aberwitzigen Plan in die Tat umsetzen sollte. Oder seine Freunde. Doch das war nicht wichtig. Soweit würde es nie kommen. Es war nur ein Hirngespinst. Das hoffte er zumindest.
 

Krampfhaft versuchte Harry, diese Gedanken wieder aus seinem Kopf zu verbannen. Entschlossen erhob er sich und ging mit langsamen Schritten wieder zu seinem Stammplatz, dem Fensterbrett. Dort nahm er wie jede Nacht seine übliche Position ein und blickte nach draußen. Er versuchte sich einzureden, dass er bloß nach Hedwig Ausschau hielt, doch er war sich bewusst, dass es nicht stimmte und er sich selbst belog. Doch konnte er nicht anders. Und so saß er da und wartete. Auf was? Auf ein Zeichen. Ein Zeichen, dass er doch Recht hatte.
 

Denn tief in seinem Innern wusste er, dass es bald so weit war. ER hatte es ihm gesagt. Das Einzige, dass er nun tun konnte, war warten. Und hoffen, dass es doch nie eintreffen würde. Hoffen, dass er sich irrte. Denn wenn er Recht hatte, musste er sich entscheiden.
 

Sollte er es wirklich tun? War er wirklich bereit, diesen Schritt zu gehen? Hatte er denn eine andere Wahl, wenn er am Leben bleiben wollte? Das waren Dinge, über die er nicht nachdenken wollte. Weil er die Antwort nicht kannte. Weil er Angst hatte.
 

Doch würde er nicht mehr lange warten müssen. Denn er hatte Recht. Es war bald so weit. Sogar früher, als ihm lieb war.
 

Der Moment, in dem er sich entscheiden musste, war nah …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ageha-san
2018-03-29T23:12:01+00:00 30.03.2018 01:12
Das Kapitel ist spitze! Ich freue mich schon ganz dolle auf das nächste Kap.
Antwort von:  Kriska
01.04.2018 14:31
Hallo Ageha-san!
Es freut mich, dass es dir gefallen hat! Und noch viel mehr, dass du wieder dabei bist :)


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