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Magister Magicae

Magister Magicae 7
von

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„Tu doch was!“

Nyu blieb eine ganze Weile schweigend in Urnues Umarmung sitzen. Sie fragte sich, was aus Nat geworden war, dieser Sphinx-Knabe, mit dem sie im Zirkus eingesperrt gewesen war. Das Letzte woran sie sich erinnerte, war, daß viele fremde Leute um sie herum gewesen waren, die beruhigend auf sie einsprachen, und immer näher kamen, und sie damit nur noch mehr in Panik versetzten. Dann waren sie getrennt worden.
 

In der Nachmittagsvorstellung hatte sie bei ihrer Trapez-Nummer einen Fehler gemacht. Irgendjemand im Publikum hatte sie irritiert und abgelenkt. Jetzt im Nachhinein glaubte sie, es war Danny gewesen, und die unterdrückte mentale Verbindung zu ihm, die aufgrund der räumlichen Nähe unterschwellig aufgeflackert war. Sie war gestürzt, weil die verdammte Bannmarke ihr eine unerlaubte Verwandlung in ihre wahre Gestalt unmöglich machte, und war in einer so blöden Stellung ins Fangnetz gefallen, daß sie sich eine Schulter verknackst hatte. Hätte sie sich in eine Harpyie verwandeln dürfen, hätte sie sich problemlos abfangen können. Sie wurde aus der Spätvorstellung gestrichen und draußen angepflockt und bekam nur anhand der tosenden Jubelstürme und des Applauses mit, daß im großen Zelt gerade eine Vorstellung lief. Es begann zu regnen, zu schütten wie aus Eimern, während sie da draußen im Freien angekettet war.

Nat, der Sphinx-Junge, wurde nach seiner Nummer in seinem winzigen Raubtierkäfig herausgeschoben und in ihrer Nähe geparkt. Fieserweise ließ man ihn da drin eingesperrt, obwohl die Aufseher genau wussten, wie panisch er in so engen Gitterboxen wurde. Das Ding war so eng, daß er sich kaum rühren konnte. Nyu sah ihn einen Moment lang mitleidig an, aber helfen konnte sie ihm ja nicht. Dann gab sie sich wieder ihrem eigenen Elend hin. Das Regenwasser prasselte auf sie herunter, als stünde sie unter der Dusche. Die langen, schwarzgrünen Haare klebten ihr pitschnass im Gesicht und auf Rücken und Schultern. In ihrem Spagettiträger-Oberteil fror sie sich die Seele aus dem erbärmlich zitternden Leib, und der kräftig wehende, eisige Wind tat sein Übriges dazu.

Sie war völlig in Gedanken und bemerkte den komplett schwarz gekleideten Mann erst, als er schon direkt vor ihr stand. Erschrocken rappelte sie sich auf und gab beim Zurückweichen einen drohenden Ton von sich. Leider klang es aufgrund ihres Kältezitterns eher wie ein rostiges Türscharnier und gar nicht angsteinflößend. Der Mann hatte drei Jungen bei sich, die ebenfalls hier zwischen den Wagen herumkletterten. Was hatten die hier backstage zu suchen? „Das ist sie! U., das ist sie! Tu doch was!“, raunte einer aufgeregt.

„Immer langsam, bring jetzt bitte keine kopflosen Aktionen, Danny“, gab der junge Mann mit der schwarzen Lederjacke – den sie inzwischen als Urnue kannte – ruhig und leise zurück und sah sich aufmerksam weiter um. Er suchte wohl nach weiteren Gefangenen, oder vielleicht nach Aufpassern, die es auszuschalten galt. Nyu begann kreischend um sich zu schlagen, als dieser Junge, Danny, mit ausgestreckten Händen näher auf sie zu kam. Sie wollte nicht, daß dieser Typ näher kam. Sie wollte nicht angegrabscht werden. Der Junge hob beschwichtigend die Hände, raunte irgendwas von „Du musst leise sein!“ und machte sich stattdessen an dem Pflock zu schaffen, an dem sie angekettet war. Aber er war ihr immer noch viel zu nah, sie tobte halb panisch, halb aggressiv weiter.

„Sie wollen dich befreien! Bleib ruhig, Nyu!“, hörte sie Nat aus seinem Käfig rufen und fuhr verdutzt zu ihm herum. Groß darüber nachdenken konnte sie nicht mehr, denn in diesem Moment erschienen weitere Leute auf dem Platz hinter dem Zirkuszelt. Souverän und autoritär aussehende Leute. Leute die einen Hauch von staatlicher Executive ausstrahlten. Bei einem kurzen Wortabtausch, den Nyu aufgrund des prasselnden Regens und ihrer Panik nicht mitverfolgen konnte, wurden Urnue, Danny und die anderen beiden Jungs weggedrängt. Ein Asiate mit gewaltigen Flügeln auf dem Rücken nahm sich ihrer an. Mit einem erstaunlich freundlichen „Ich bin Seiji. Keine Sorge, ...“, trat er auf sie zu. Aber sie wollte ihm nicht zuhören. Sie wollte verdammt nochmal in Ruhe gelassen werden! Obwohl er gut sichtbar ein Genius war, begann sie auf der Stelle wieder panisch um sich zu schlagen, als er ihr zu nahe kam. Er erstickte ihre Versuche jedoch schon im Keim und rang sie radikal zu Boden. Wohl hatte er keine Zeit für solche Mätzchen. Er kniete sich über sie, hielt sie unter sich bewegungsunfähig fest, damit sie ihm nicht doch noch eine scheuerte, und beugte sich zu ihr herunter. „Hey, es ist alles okay. Du musst keine Angst haben, verstehst du mich? Wir holen euch aus diesem Zirkus raus“, redete er sanft und beruhigend auf sie ein. Mit seinem Körper schützte er sie vor dem Regen, und seine Wärme stand für einen Moment wie ein Zelt über ihr.

Nyu stiegen vor Angst Tränen in die Augen, aber sie stellte ihre Gegenwehr widerwillig ein. Sie wusste noch nicht recht, ob sie ihm glauben konnte, aber wenn auch nur die geringste Chance bestand, daß diese Hölle hier im Zirkus endlich aufhörte, dann wollte sie ihm nicht im Weg stehen. Anschauen konnte sie ihn nicht. Sie hielt die Augen fest zusammengekniffen, um nicht sehen zu müssen, wie nah er ihr war.

„Keine Panik. Wir wollen dir nichts tun. Wir holen dich nur hier raus. Ich bin ein Genius, wie du, hörst du? Ich werde dir nicht schaden. Ich will dich lediglich von dem Halsreifen da befreien“, erklärte er ruhig weiter, als er merkte, wie ihre aggressive Gegenwehr langsam nachließ. „Okay?“

Langsam beruhigte sich Nyu ein wenig. Sie nickte langsam, immer noch ohne ihn ansehen zu können. Ein Genius. Er war ein Genius. Sie musste keine Angst vor einem Genius haben. Genii hatten ihr noch nie was getan.

„Ich lass dich jetzt los. Bitte schlag nicht wieder um dich. ... Ist das okay für dich?“, fragte er abermals.

Wieder nickte Nyu und schniefte. Langsam blinzelte sie die Augen auf, um zu sehen, was er als nächstes tat. Er hielt gerade einen Schraubenschlüssel wie ein Messer auf sie gerichtet. Sie keuchte erschrocken und unterdrückte den Drang, unter ihm heraus zu rutschen wie ein nasses Stück Seife, als er damit ihren Halsreifen öffnete. 'Keine Panik! Keine Panik!', versuchte sie sich in Gedanken selbst zu beruhigen, während er an ihrem widerspenstigen Halsreif herumdoktorte. Es dauerte eine Weile, bis er das lästige Ding endlich geöffnet hatte. Wohl auch, weil Nyu immer wieder ihre Hände schützend in die Höhe riss und ihn damit behinderte.

„Um den Bannzauber kümmere ich mich auch gleich noch, warte“, versprach der geflügelte Asiate, der sich als Seiji vorgestellt hatte. Er bedachte sie mit fragendem Blick von oben bis unten. „Wo ist denn das Bann-Symbol bei dir?“, wollte er dann wissen. Ehe er sie eigenhändig aus ihren Klamotten schälte, wollte er lieber wissen, wo er anfangen sollte, um Peinlichkeiten zu vermeiden. Er hatte bei gefangenen Genii die Bannmarken schon an den tollsten Stellen gefunden. Das Dekolleté und die Innenseiten der Oberschenkel waren bei weiblichen Genii am schwersten in Mode.

Nyu starrte ihn einen Moment lang mit undeutbarem Blick an, einer Mischung aus Wut, Panik und unverholener Skepsis.

„Wo ist es? Willst du´s mir nicht sagen, damit ich es aufheben kann?“, hakte Seiji freundlich nach und lächelte vertrauenerweckend.

Langsam drehte sich Nyu unter ihm auf den Bauch. So viel Platz ließ er ihr gerade noch. Ihre Klamotten waren schon schlammig genug. Sie lag bereits auf dem Rücken im Matsch. Wenn sie sich jetzt auch noch auf den Bauch drehte, war ihre Kleidung endgültig versaut. Aber das machte nach der halben Stunde im Platzregen vermutlich eh keinen Unterschied mehr. Und es war auch gar nicht ihr größtes Problem. Sie war in erster Linie gar nicht begeistert davon, diesen Seiji in ihrer Bauchlage nicht mehr sehen zu können. So konnte sie sich unmöglich wehren. Aber es half nichts. Wenn er ihr helfen sollte, musste sie ihn seine Arbeit machen lassen. „Da“, gab sie leise zurück und deutete nach hinten auf ihre Wirbelsäule.

Vorsichtig zog er ihr den Kragen des dehnbaren Spagettiträger-Oberteils so weit nach unten, daß ihre Schulterblätter freigelegt waren. Da war es, genau zwischen den Schulterblättern, wie ein Postkarte groß. Ein detailreiches, verschlängeltes und verschachteltes Muster, das für Unwissende wie ein Tattoo wirkte. Sie hörte den Asiaten seufzen. Wahrscheinlich hatte er auf etwas einfacheres gehofft. Dieses Symbol war ziemlich komplex. Dennoch machte er sich sofort an die Arbeit, die Linien mit seiner Bann-Magie zu verändern und die anspruchsvolle Kombination aus Gehorsamszwang, Verwandlungs-Blocker und Fluchtverhinderer zu lösen. Nyu spürte seine warme Hand auf dem Rücken, und obwohl das Lösen dieses schon sehr lange dort verankerten Bannzaubers ein wenig weh tat, empfand sie die Hand als beruhigend.

„So, schon fertig, siehst du? Komm, du musst aus dem Regen raus“, lud er sie lächelnd ein, stand auf, wodurch sie endlich wieder Luft zum Atmen hatte, und hielt ihr eine helfende Hand hin, um sie auf die Beine zu ziehen. Dann ließ er sie plötzlich einfach stehen und ging weiter zu Nat. Jemand anderes kümmerte sich um sie. Sofort bekam sie wieder Panik. Von dem Asiaten, zu dem sie gerade erst Vertrauen gefasst hatte, wurde sie so schnell schon wieder getrennt? Sie wollte bei ihm bleiben! Das war doch der einzige hier, der auf ihrer Seite war! Sie wurde von Nats Käfig weggezogen, was sie ebenfalls nicht wollte. Man versuchte, sie in einen Polizeibus zu stopfen, zusammen mit dem Mann in der schwarzen Lederjacke und den drei Jungen. Ab da wusste sie kaum noch etwas. Aufgrund der fehlenden Bannmarke war sie ungehindert in ihre Harpyien-Gestalt geswitscht und einer Raserei verfallen, weil sie nicht in den Polizeibus gesperrt werden wollte, sondern sich, zur Not auch gewaltsam, zurück zu Nat und dem geflügelten Asiaten durchschlagen wollte. Schon gar nicht wollte sie in diesem Bus mit einigen Menschen zusammengesteckt werden. Es war im Prinzip eine Affekthandlung gewesen. Ihre so lange unterdrückten und jetzt mangels Bannmarke unkontrolliert entfesselten Kräfte explodierten einfach und ließen ihr eine Sicherung durchbrennen, als sie versuchte, sich zu wehren.

Es musste einige Schlägereien und Tumulte gegeben haben. Soviel wusste Nyu noch. Einigermaßen klar im Gedächtnis haften geblieben war ihr nur der Mann in der schwarzen Lederjacke, der sie konsequent festgenagelt hatte bis Hilfe kam. Er hatte sich ihr als Urnue vorgestellt und sich als Genius zu erkennen gegeben, um sie zu beruhigen. Nyu hatte daraufhin wirklich kurz aufgehört, ihn töten zu wollen, was andere Polizisten genutzt hatten, um sie endgültig zu überwältigen, mit einem Betäubungspfeil ruhig zu stellen und in eine Gitterbox zu sperren. Sie war irgendwann mutterseelenallein in Dannys Keller eingesperrt wieder aufgewacht, und glaubte auch, daß sie dort unten wie wahnsinnig weiter getobt und geschrien hatte, bis ihr Anfall von Raserei vorbei war. Aber das wusste sie schon nicht mehr so sicher. Sie hatte nur sehr schnell bemerkt, daß der Keller mit magischen Barrieren ausgekleidet sein musste, um ihr eine Flucht über die Astralebene zu verwähren. Nun, wohl eher sollten die Barrieren andere Wesen daran hindern, von außen ins Haus einzudringen. Aber es änderte nichts an dem Effekt, daß Nyu festgesessen hatte. Als Harpyie konnte sie auf die 'andere Seite' wechseln und hätte dann eigentlich ungehindert durch Wände und Türen spazieren können.*
 

Nat hatte sie jedenfalls nicht nochmal gesehen und wusste auch nicht, wo er inzwischen war. Ob es ihm gut ging? Vielleicht konnte sie Danny überreden, ihn zu suchen. Eventuell wusste er sogar, wo man ihn hingebracht hatte. Danny war ja in jener Nacht im Zirkus dabei gewesen. Er würde sowieso noch für Zeugenaussagen und all das auf dem Polizeirevier vorsprechen müssen. Bestimmt erfuhr er da etwas.

„Ich bin froh, daß ich dich hier wieder sehe, Urnue“, meinte Nyu sentimental. „Im Zirkus dachte ich noch, du würdest zu den Polizisten gehören. Ich war einigermaßen überrascht, als Danny sagte, du würdest auch hier wohnen.“

„Sah ich denn aus wie ein Polizist?“, wollte Urnue amüsiert wissen und drückte sie noch etwas fester mit einem Arm an sich.

„Weiß nicht. Die anderen hatten ja auch keine Uniformen, sondern waren in zivil. Und ich war in Raserei verfallen. Ich hab überhaupt nichts mehr richtig klar mitbekommen. Ich hab an letzte Nacht, ab dem Zeitpunkt als meine Bann-Marke gelöst wurde, so gut wie keine Erinnerungen mehr. Nur noch an dich. Du hast es geschafft, mich lange genug bei Verstand zu halten, bis die mich einfangen konnten. Wer weiß, was ich noch alles angestellt hätte. Eine ausgetickte Harpyie kann den ganzen Zirkus kurz und klein schlagen, wenn sie will. ... Danke, daß du mich davon abgehalten hast, am Ende noch jemanden zu verletzen.“

„Komm her ... lass dich umarmen“, schnurrte Urnue, kraxelte um sie herum, setzte sich einfach verkehrt herum auf ihren Schoß und strich ihr mit den Fingerspitzen zart über die Wange. Da sie rücklings am Baum lehnte, konnte sie nicht weg.

„Mo-Moment mal! Ich will das nicht!“, protestierte sie verwirrt.

„Sssscccchhhh ... Keine Panik. Sie sagten doch, ich soll mich um dich kümmern.“ Er hatte schon mitbekommen, daß Nyu ihn feierte wie einen Rockstar. Und diesem Schwärmen gab er nur zu gern nach. Er freute sich durchaus über Gesellschaft, die ihm zugetan war, noch dazu wenn sie weiblich und so goldig war. Er hatte ja sonst niemanden, mit dem ihn sowas wie Freundschaft verband. Lediglich Rupperts Söhne gingen etwas kollegialer mit ihm um, widmeten sich darüber hinaus aber auch vorrangig ihrem eigenen Leben.

„A...aber so haben die das sicher nicht gemeint!“

„Ich versuche lediglich, dir ein wenig das Gefühl von Sicherheit und Achtung zu geben, das du nie hattest.“

„Und das DU vermutlich auch nie hattest???“, vermutete Nyu etwas mürrisch und schob ihn auf Armlänge weg.

Urnue wandte betreten das Gesicht ab, und schon tat ihr die Bemerkung leid. „Wenn du es so sehen willst, ja“, gab er zu.


Nachwort zu diesem Kapitel:
* Die Befreiungs-Szene wurde im Wesentlichen von Salix kreiert (Nat und Seiji sind ihre Charas aus ihrer FF "Schutzbestie". Die beiden gehören nicht mir, ich verwende sie nur mit Genehmigung.). Ich durfte meine Amigos da netterweise mit reinbasteln. Vielen Dank an dieser Stelle nochmal an Salix. ^_^ Komplett anzeigen

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