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Keep Me Warm

XiCheng | WangXian
von

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lightning in the clouds

Skeptisch kräuselten sich Jiang Chengs Augenbrauen, als sein Blick den steilen Abhang hinauf wanderte und an den dichten Wolken hängenblieb, die den Gipfel des Berges verschleierten. Der frostige Wind, der hartnäckig von allen Seiten an seiner Kleidung zerrte, trug etwas Unheilverkündendes mit sich.

„Ihr spürt es auch, nicht wahr?“, fragte eine sanfte Stimme, die noch immer ungewohnt in seinen Ohren tönte. Er hatte sie seit Ewigkeiten, so kam es ihm vor, nicht mehr gehört. Nicht nur er – in den letzten Jahren hatte sie niemand gehört.

Die Augen von dem Bergpfad losreißend, nickte er und wandte sich der Person zu, die er vor nicht allzu langer Zeit hier am Fuße des Berges getroffen hatte.

„Es ist spät. Lasst uns morgen bei Tageslicht den Aufstieg wagen. Nicht weit von hier entfernt ist eine Schenke, womöglich erfahren wir dort auch etwas über die Vorkommnisse. Diese sind es doch gewiss, die Euch hierhergeführt haben, oder irre ich mich?“

Auch all die Jahre hatten anscheinend nichts daran geändert, dass die Stimme der Vernunft aus ihm sprach. Er war nach wie vor ein perfektes Vorbild, höflich, klug und zuvorkommend. Doch etwas fehlte, etwas stimmte nicht an dem Bild, das sich Jiang Cheng bot.

Lan Xichen lächelte nicht.
 

„Ich habe noch nicht entschieden, was ich tun werde“, verkündete Jiang Cheng widerstrebend. Nichtdestotrotz hob er beide Arme, um eine respektvolle Verbeugung anzudeuten. „Aber ich werde Euch zum Gasthaus begleiten, Zewu-jun.“

Verständnisvoll erwiderte Lan Xichen die Geste und wandte sich ab, um die Führung zu übernehmen. Jiang Cheng folgte ihm, einen gewissen Abstand beibehaltend.

Äußerlich hatte sich das Oberhaupt des Lan-Clans nicht verändert. In strahlendes Weiß gehüllt, das Stirnband im Wind flatternd und aufrecht voranschreitend, wirkte er so graziös wie eh und je. Dennoch achtete Jiang Cheng penibel darauf, eine gewisse Distanz zu wahren, sich in Dinge, die ihn nichts angingen, nicht einzumischen, obwohl es ihm vorkam, als würde er nicht Lan Xichen, sondern seinem Schatten folgen.

„Oberhaupt Jiang, wusstet Ihr, dass der junge Meister Wei und Wangji vor nicht allzu langer Zeit in dieser Gegend gesichtet wurden?“, fragte Lan Xichen ruhig und so unschuldig anmutend, als würde er sich lediglich nach dem heutigen Wetter erkundigen. Jiang Chengs steife Körperhaltung strauchelte, als er versehentlich gegen einen Stein trat, der auf dem Pfad lag, der sie zurück zur Zivilisation führen würde.

„Natürlich nicht“, brummte er nachdrücklich. „Abgesehen davon – wo waren die beiden noch nicht? Wo erzählt man nicht irgendwelche Geschichten über sie? Sie sind überall da, wo es Ärger gibt.“ Schnaufend verschränkte Jiang Cheng die Arme vor der Brust und wollte gerade dazu übergehen, die Vermutung zu äußern, dass Wei Wuxian diesen Ärger anzog, als Lan Xichen, genauso ruhig wie zuvor, seine Gedanken unterbrach.

„Ich verstehe.“

So plötzlich er das Thema angeschnitten hatte, so schnell schloss er es auch wieder ab, wobei Jiang Cheng der bedeutungsschwere Tonfall, den er dabei anschlug, nicht gefiel. Er kroch unangenehm unter seine Haut und ließ ihn säuerlich die Miene verziehen.

Ein geladenes Schweigen legte sich über sie, doch womöglich nahm nur er es als solches wahr, denn als er wenig später an Lan Xichens Seite trat und sie gemeinsam das Ende des Talpfades erreichten, erhaschte Jiang Cheng verstohlen einen Blick auf Lan Xichens Profil. Er trug einen neutralen, seltsam abwesenden Gesichtsausdruck. Machte er sich Sorgen um Lan Wangji? Die Frage lag Jiang Cheng bereits auf der Zunge, doch er konnte sich gerade noch so davon abhalten, sie zu stellen. Es ging ihn nichts an und es interessierte ihn auch nicht.

„Wir sind da“, durchbrach Lan Xichen die Stille und deutete auf ein unscheinbar wirkendes Gebäude, welches kaum vergleichbar war mit den pompösen Teehäusern in Yunmeng, die man bereits aus der Ferne als solche erkannte. Als sie die Gaststätte betraten, wunderte es Jiang Cheng nicht, dass außer ihnen nur zwei, drei andere Gäste anwesend waren.

„Ah, willkommen, die werten Herren! Bitte, bitte, das ist unser bester Tisch!“, lud der Wirt sie überaus eifrig dazu ein, Platz zu nehmen und rieb sich bereits vorfreudig die Hände. Jiang Cheng setzte sich desinteressiert, während Lan Xichen Höflichkeiten mit dem Mann austauschte.

Wenige Zeit später saßen Jiang Cheng und Lan Xichen einander gegenüber, mit zwei dampfende Tassen Tee auf dem Tisch und wurden abermals von einem unnatürlichen Schweigen erdrückt.

„Seid Ihr ebenfalls zufällig hier, Zewu-jun?“, ergriff Jiang Cheng schließlich das Wort und schnalzte mit der Zunge. Sein Geduldsfaden war nicht besonders lang und er hielt sich auch nicht für eine einfühlsame Person. Zwar war es ihm nicht möglich, in Lan Xichens Kopf zu blicken, doch dass es befremdlich für ihn war, nach so langer Zeit wieder Gesellschaft zu haben, lag auf der Hand. Jiang Cheng hätte es gehasst, wie ein rohes Ei behandelt zu werden, weshalb er auch Lan Xichen nicht länger schonen wollte.

„Ah, nein. Ich bin gezielt auf der Suche nach Wangji“, erklärte Lan Xichen. „Das Symbol des Lan-Clans erstrahlte vor wenigen Tagen über dem Berg, an dem wir uns heute begegnet sind.“

Jiang Cheng, der nach seiner Tasse gegriffen hatte, hielt mitten in der Bewegung inne. Mit großen Augen starrte er Lan Xichen an.

„Lan Wangji hat um Hilfe gebeten?!“, japste er schockiert.

„In der Tat“, bestätigte Lan Xichen gefasst.

Die Situationen, in denen jemand wie Lan Wangji auf die Hilfe anderer angewiesen war, ließen sich an einer Hand abzählen. Aus diesem Grund konnte Jiang Cheng nicht verstehen, wie Lan Xichen so ruhig seinen Tee trinken konnte.

„Oberhaupt Jiang, bitte interpretiert meine Passivität nicht als Verharmlosung der aktuellen Umstände“, lenkte Lan Xichen ein und Jiang Cheng zuckte ertappt zusammen. Hatte man ihm die stumme Überlegung so sehr angesehen?

„Das oberste Gebot lautet Vorsicht, da wir nicht wissen, womit wir es zu tun haben. Es ist gefährlich genug, um meinem Bruder Schwierigkeiten zu bereiten. Es bringt Wangji nichts, wenn es mir auf halbem Weg nicht mehr möglich ist, ihn zu erreichen, weil ich die Gefahr unterschätzt habe. Um Hilfe zu gewährleisten, ist es besser, bei Tageslicht aufzubrechen. Glaubt mir, ich mache mir Sorgen um ihn, doch gleichzeitig vertraue ich seinen Fähigkeiten. Was auch immer vorgefallen ist – er wird ausharren.“

Fest biss Jiang Cheng die Zähne aufeinander und wich gezielt Lan Xichens Blick aus. Die Logik hinter dieser Vorgehensweise war nachvollziehbar und vernünftig, doch es war schon lange her, seit ihn jemand zurechtgewiesen hatte. Seit er Clan-Oberhaupt war, war er es, der anderen Lektionen erteilte.

„Es war nicht meine Absicht, Eure Entscheidung anzuzweifeln, Zewu-jun“, entschuldigte sich Jiang Cheng zähneknirschend. Jedes einzelne Wort fiel ihm schwer und kostete seinen Stolz einen selbsterteilten Seitenhieb.

„Das weiß ich, seid beruhigt. Es ist keine Entschuldigung nötig“, winkte Lan Xichen ab. „Ich verstehe Eure Ungeduld.“

„Ich bin nicht ungeduldig“, erwiderte Jiang Cheng sofort, die Augenbrauen verstimmt zusammenziehend. „Hätte ich es eilig, wäre ich schon längst aufgebrochen.“ Die Würde eines selbstständigen Anführers, der sich nicht vor nebligen Bergen fürchtete, auch in der Dunkelheit nicht, sprach aus ihm. Mit gerecktem Kinn begegnete er dem langen Blick, den Lan Xichen ihm zögerlich zuwarf.

„Selbstverständlich. Verzeiht meine unbedachten Worte.“

Nun war es Lan Xichen, der sich entschuldigte und Jiang Cheng hatte das Gefühl, sich im Kreis zu bewegen. Es ärgerte ihn, denn er war nicht hier, damit sie aneinander vorbei reden konnten.

„Wie auch immer“, tat er unwirsch die Entschuldigung ab. „Ich habe beschlossen, Euch zu begleiten.“

„Ich danke Euch. Eure Hilfe ist willkommen“, sagte Lan Xichen und verbeugte sich. Seine Miene war ernst, weshalb Jiang Cheng den Dank kommentarlos entgegennahm.

„Wir sollten mehr über die Geschehnisse in Erfahrung bringen“, murmelte er, den Blick langsam in Richtung des Wirts schwenkend, welcher sie verstohlen beobachtete, als würde er hoffen, dass die edel gekleideten Herren im Laufe des Abends mehr als nur Tee bestellen würden. So ungern Jiang Cheng Wei Wuxian Recht gab – an Orten wie diesen konnte man die meisten Informationen sammeln. Aus den Augenwinkeln sah er Lan Xichen nicken und die Hand heben.

„Sehr geehrter Wirt, schenkt Ihr uns einen Moment Eurer Zeit?“
 

Am nächsten Morgen brachen Jiang Cheng und Lan Xichen in aller Früh auf, kaum dass die ersten Sonnenstrahlen das Tal mit ihrem sanften Licht fluteten. Die Luftfeuchtigkeit hatte sich verändert und es war kälter als am Tag zuvor. Es überraschte Jiang Cheng also auch nicht, als er die ersten Schneeflocken auf sein Gesicht fallen spürte. Wenn es hier unten begann zu schneien, wollte er nicht wissen, wie es weiter oben aussah.

Die Informationen, die sie vom Wirt erhalten hatten, waren alles andere als beruhigend. Seit geraumer Zeit verschwanden immer wieder Menschen, die es wagten, den Berg hinaufzusteigen – Menschen, die ihr gesamtes Leben in dieser Umgebung lebten und mit sämtliche Bergpfaden vertraut waren. Viele von ihnen kehrten nicht zurück und die, die es taten, berichteten von keinerlei seltsamen Vorkommnissen.

„Ich habe gehört, dass die Bewohner der umliegenden Dörfer den Berg »Frosthauch« nennen, weil es hier das ganze Jahr über kalt ist“, teilte Jiang Cheng mit Lan Xichen die Auskunft, die er auf seinem Weg hierher erhalten hatte.

„Es scheint in der Tat ziemlich kalt zu sein“, stimmte Lan Xichen zu, als sie den ersten Abschnitt des steilen Hangs erklommen. Beide blieben für einen Moment stehen, um hinauf zu spähen und ein Gefühl für die Distanz zu bekommen, die es zu überwinden galt.

„Wir sollten unsere Kräfte sparen“, sprach Lan Xichen das aus, was auch Jiang Cheng dachte. Nickend zog er sein Schwert, um es mit einem leichtfüßigen Satz zu besteigen.

Seine Begleitung tat es ihm gleich und gemeinsam flogen sie langsam den Berg hinauf.

Ihr Kurs war niedrig. Sie blieben nahe des Pfads, nur wenige Meter über dem Boden, um ihn stets vor Augen zu haben. Eisiger Wind peitschte Jiang Cheng ins Gesicht, biss seine Haut und seine spröden Lippen. Auch der Schneefall nahm zu, sodass sich alsbald eine feine, weiße Schicht auf seinen Schultern sammelte.

„Die Sicht wird schlechter. Das Wetter auch“, rief er Lan Xichen zu, der, trotz der Wetterlage, aufrecht und anmutig auf Shuoyue stand.

„Wir sollten landen“, beschloss Lan Xichen und richtete die Schwertspitze gen Boden. Jiang Cheng folgte ihm widerwillig, aber der milchige Nebel, der sie umhüllte, wurde immer dichter. Kaum, dass er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, stellte Jiang Cheng fest, dass dieser rutschig und vereist war. Er begann daran zu zweifeln, ob der Fußweg tatsächlich sicherer war.

„Kein Wunder, dass sich hier selbst Dorfbewohner verirren, die mit dem Berg vertraut sind. Man sieht kaum mehr die eigene Hand“, schnaufte Jiang Cheng und hob demonstrativ den Arm, der nur sichtbar war, weil die Farbe seiner Kleidung lila war. Das Weiß, das den Lan-Clan ausmachte, war in der aktuellen Situation eher ein Nachteil. Allein deswegen übernahm Jiang Cheng wie selbstverständlich die Führung. Den Blick auf den Boden gerichtet, achtete er auf jeden einzelnen Schritt. Sie kamen nur langsam voran, aber dies mussten sie in Kauf nehmen.

„Passt auf, mich nicht aus den Augen zu verlieren“, wies er Lan Xichen an, als der Nebel eine noch festere Konsistenz annahm. Selbst das Atmen wurde schwerer, fast so, als würde er einem auch die Lungen ausfüllen wollen.

Sie mochten bei Sonnenaufgang aufgebrochen sein, doch dies nützte ihnen nur noch bedingt etwas, je höher sie stiegen. Einen Vorteil könnten sie sich nur einräumen, wenn sie etwas hätten, das stark mit der trüben Luft kontrastierte…

Jiang Cheng blieb wie angewurzelt stehen, als ihm eine Idee kam.

„Ist etwas passiert?“, fragte Lan Xichen alarmiert, woraufhin Jiang Cheng verneinend brummte. Im selben Atemzug konzentrierte er seine Energie in seiner Hand, sein Familienerbstück aktivierend. Doch der Ring verwandelte sich nicht in die übliche, einschüchternde Peitsche, sondern beschränkte sich darauf, knisterende Energieblitze über Jiang Chengs Hand zu schicken. Wie eine Schlange schlängelten sie sich schmerzlos über seine kalten Finger.

„Meine Hand“, machte Jiang Cheng kurz angebunden auf Zidian aufmerksam. Sollte Lan Xichen ihn tatsächlich aus den Augen verlieren, konnte er sich jederzeit an dem grellen, violetten Licht orientieren. Jiang Cheng würde ihm ein Wegweiser sein.

Als sich urplötzlich erstaunlich warme Finger um seine Fingerspitzen schlangen, stolperte Jiang Cheng fast über seine eigenen Füße. Erschrocken riss er die Augen auf und sämtliche Muskeln seines Körpers verkrampften. Den ersten Impuls, sofort herumzuwirbeln, erstickte er mühevoll im Keim. Die plötzliche Lähmung seines Körpers half ihm dabei. Stattdessen starrte er weiterhin stur geradeaus, peinlich berührt feststellend, dass… Lan Xichen ihn völlig missverstanden hatte. Seine unpräzisen Worte verfluchend, fiel es Jiang Cheng schwer, das Missverständnis aufzuklären, ohne sich selbst und auch Lan Xichen bloßzustellen.

Er öffnete und schloss den Mund mehrmals, doch er brachte keinen Ton hervor. Sein Herzschlag spielte verrückt, weil er wütend auf sich selbst war. Wütend darüber, dass er sich in seine so beklemmende Situation manövriert hatte. Nun konnte Jiang Cheng jedoch nichts anderes mehr tun, als lediglich darauf aufzupassen, dass Zidian den fremden Fingern, die ihn hielten, nicht wehtat.

„Es ist Euch unangenehm“, stellte Lan Xichen fest, doch seine Tonlage enthielt keine Wertung dieses Umstandes. „Verzeiht, ich –“

„Nein“, unterbrach Jiang Cheng ihn hastig. „Ich war nur überrascht, dass Eure Hand so warm ist. Das ist alles.“ Nonchalant reckte er das Kinn, versteckte sich hinter seiner Würde und je länger er sich einredete, dass es ohnehin besser war, Lan Xichen so nah bei sich zu wissen, desto mehr glaubte Jiang Cheng daran. „Solltet Ihr Eure Energie aber nicht lieber sparen?“

„Eure Finger sind furchtbar kalt, Oberhaupt Jiang. Ich werde sie für Euch wärmen, passt Ihr auf den Weg auf.“ Mit einer einzigen Aussage verteilte Lan Xichen ihre Aufgabenbereiche und sorgte dafür, dass Jiang Cheng die Wärme plötzlich auch auf seiner Gesichtshaut spüren konnte. Diese hatte auch rein gar nichts mit Lan Xichens angenehmer Qi-Energie zu tun.

„Ich bin beeindruckt, mit welcher Leichtigkeit Ihr Zidian zurückhalten könnt. Es ist ein sehr starkes Kleinod“, sprach Lan Xichen sanft und das Kompliment verfehlte seine Wirkung nicht.

„Hmpf“, stieß Jiang Cheng aus, doch seine Mundwinkel hoben sich gegen seinen Willen. „Natürlich habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, es perfekt zu beherrschen.“

Obwohl die violetten Funken auch über Lan Xichens Hand züngelten, war sich Jiang Cheng sicher, dass er nichts außer der dezenten, jedoch völlig neutralen Energie spürte. Nur wenn er es darauf anlegte, war Zidian eine überaus mächtige, zerstörerische Waffe.

Der unangenehm penetrante Gedanke, dass Zidians Licht nun überflüssig war, da Lan Xichen seine Hand hielt, ließ Jiang Cheng schwer schlucken. Da er sich aber nicht blamieren wollte, erhielt er die Energie des Erbstücks aufrecht.
 

Der Weg vor ihnen wurde immer steiler, die Luft dünner und der Nebel schien an ihren Körpern zu kleben. Die Schneeschicht unter Jiang Chengs Füßen knarrte leise.

Kaum, dass er sich an die zarte Berührung der warmen Fingerspitzen gewöhnt hatte, drückte Lan Xichen plötzlich seine Hand. Gefangen in einem Griff aus Wärme und sanfter Haut, fiel Jiang Cheng überaus deutlich auf, wie ungepflegt und rau seine eigenen Hände waren und verscheuchte den Gedanken schnell.

„Ich weiß“, raunte er, noch bevor Lan Xichen überhaupt etwas sagen konnte. Jiang Cheng drosselte sein Tempo, bis er schließlich an einer Stelle stehenblieb, die ihm halbwegs stabil und fest vorkam.

„Ihr habt es also auch gespürt“, flüsterte Lan Xichen und ließ Jiang Chengs Hand los. Diese fühlte sich mit einem Schlag wie ein Fremdkörper an, mit dem Jiang Cheng nichts anzufangen wusste. Seine Finger verkrampften ein paar Mal unschlüssig.

„Natürlich. Die bösartige Energie ist hier allgegenwärtig, als hätte der Nebel sie aufgesaugt, hmpf.“

Lan Xichen, der dicht neben ihm stand, legte nachdenklich den Zeigefinger an die Lippen. Den Zeigefinger, mit dem er vor wenigen Augenblicken noch Jiang Chengs Hand gehalten hatte. Hastig wandte Jiang Cheng den Blick ab.

„Seid vorsichtig“, flüsterte Lan Xichen. Jiang Cheng nickte steif, ehe er versuchte, alle ablenkenden Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Er zwang sich dazu, seine Sinne auf die undurchsichtige Umgebung zu fokussieren.

„Ich glaube, wir haben den Gipfel fast erreicht“, mutmaßte er, ehe er unruhig aufhorchte. Er nahm etwas wahr, das beinahe in der Nebelenergie untergegangen wäre. Keinen Sekundenbruchteil später verzog er das Gesicht zu einer verärgerten Miene, als er die dunkle Energie gebündelt auf sie zukommen spürte. „Eine Störung können wir nicht gebrauchen!“, bellte er.

Noch bevor die Gestalt, deren Tötungsabsicht wie ein schwerer Geruch in der Luft lag, durch den Nebel brechen konnte, hatte Jiang Cheng sie bereits ausfindig gemacht. Grölende Geräusche kamen plötzlich aus allen Richtungen und signalisierten eine Gruppe weiterer Feinde, die sich ihnen näherte. Dies kam Jiang Cheng und seinem angestauten Frust sogar gelegen. Er schnaufte verächtlich.

Zidian verwandelte sich auf Kommando in die schmerzbringende Waffe, die es eigentlich war. Mit einer scharfen Handbewegung holte Jiang Cheng aus und ließ die Peitsche tanzen. Sie traf mehrere Gestalten, die sofort kraftvoll zurückgeschleudert wurden.

„Zewu-jun, könnt Ihr ausmachen, womit wir es zu tun haben?“, rief Jiang Cheng, der sich längst vom Fleck bewegt und somit Lan Xichen aus den Augen verloren hatte. Das Echo einer klirrenden Schwertklinge erreichte seine Ohren.

„Vermutlich wilde Leichen, aber…“

Als eine dunkle Hand nach ihm griff, musste Jiang Cheng mit einem Satz ausweichen. Sofort startete er einen erneuten Gegenangriff. Das Ende der Peitsche wickelte sich wie eine Würgeschlange um den Hals der Kreatur und zog sie grob zu Boden.

„Aber?“, drängte Jiang Cheng, dem es vorkam, als wäre die Temperatur seit dem Auftauchen der Leichen noch einmal um mehrere Grade gesunken. Beißende Kälte nagte an seinen Gliedern.

„Es sind keine herkömmlichen wilden Leichen. Sie scheinen von einer Eisschicht bedeckt zu sein. Mein Schwert zeigt keine Wirkung, sämtliche Attacken prallen an ihnen ab.“ Wieder war zu hören, wie Lan Xichen mit Shuoyue parierte.

„Was zum –?!“, japste Jiang Cheng und der Rest des Fluches, der ihm auf den Lippen lag, ging in seiner Verwirrung unter. Doch bevor die beunruhigenden Tatsachen wirklich zu ihm durchsickern konnten, stieß er bei einem unaufmerksamen Schritt mit dem Fuß gegen etwas Hartes. Er verlor das Gleichgewicht und kam unsanft im Schnee auf.

„Ugh, was zum –?!“, wiederholte er ächzend und inspizierte das, worüber er gestolpert war. Im ersten Moment sah es wie ein kleiner Schneehaufen aus, doch er wirkte deplatziert und unnatürlich, denn es war nirgends noch nicht ansatzweise genug von den Flocken gefallen, um sich in dieser Menge an einer einzigen Stelle anzusammeln.

Davon ausgehend, dass sich unter der Schneeschicht ein Felsbrocken befand, rappelte Jiang Cheng sich genervt auf und kickte in einer kindischen Geste leicht dagegen. Er wollte sofort wieder zum eigentlichen Kampf zurückkehren, doch als der Schnee sich verschob und die Sicht auf das, was sich darunter verbarg, freigab, erstarrte Jiang Cheng mitten in der Bewegung.

Seine Augen weiteten sich und ihm fiel erst in diesem Augenblick auf, dass der Klumpen Eis die Umrisse einer Person hatte. Das Gesicht, das durch die kristallene Eisschicht sichtbar war, würde er immer und überall erkennen.

„Wei Wuxian…?!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Votani
2020-06-14T20:39:01+00:00 14.06.2020 22:39
Nun, da ich mit der Serie fertig bin, dachte ich mir, dass ich mal in deine Geschichte reinschauen kann. :D Die Erinnerung daran kam mir heute total spontan, keine Ahnung? XD
Jedenfalls faengt es schon mal gut an. Ich musste so lachen, als Lan Xichen Jiang Chengs Hand nimmt. Das nenne ich mal ein interessantes Missverstaendnis. *lach* Aber auch wie Lan Xichen die Aufgaben verteilt, war sehr unterhaltsam und sehr passend fuer ihn.
Mir ist aufgefallen, dass du hier mehr Umgebungsbeschreibungen als in einige deiner anderen Geschichten drin hast. Passend fuer diese Geschichte, da das Setting gleich noch besser rueberkommt, gefaellt mir. :)
Ich freue mich schon auf das Weiterlesen. :D
Von:  YoungMasterWei
2020-02-04T20:10:25+00:00 04.02.2020 21:10
Ein wirklich interessanter Anfang.
Ich lese nicht oft, deutschsprachige FanFiktions, aber da es in diesem Fandom, doch noch recht verhalten zugeht, was diese Fanaktivität angeht, schaue ich dennoch ab und an mal in eine rein.
Zudem, hast Du einen wirklich ansprechenden Schreibstil. Es lässt mich annehmen, dass Du schon länger schreibst?
Das erste Kapitel war gut durchdacht und ebenso unterhaltsam. Ich schätze dies kleinen Details in Wortgewandtheit und Beschreibungen.
Die Szene wo Lan XiChen Jiang Chengs Hand ergreift, fand ich auch äußerst liebenswert, wie es mich auch amüsiert schmunzeln ließ.
Deine Charakterdarstellung der beiden, ist sehr gut gelungen, dass ich sie mir ohne Probleme vor Augen holen konnte in Deiner Story. Die beiden geben in der Tat ein ungewöhnliches, wie auch spannendes Pärchen ab.
Ich bin gespannt, wohin die Geschichte führen wird.
LG
YMW

Antwort von: Swanlady
05.02.2020 18:39
Hey! Hab vielen Dank für deine Kommentare. :) Es stimmt, dass das deutschsprachige MDZS Fandom noch ziemlich klein ist, aber gerade deshalb habe ich mich gefreut, ein wenig dazu beitragen zu können. Danke für das Kompliment, ich schreibe durchaus schon eine ganze Weile lang. :'D
JC in ein romantisches Setting zu stecken, ist vor allem am Anfang nicht ganz einfach, weshalb die Händchenhalten-Szene ein idealer Vorwand war, um den ersten Stein ins Rollen zu bringen, haha.


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