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Keep Me Warm

XiCheng | WangXian
von

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fire in the mist

Ehe Jiang Cheng den Anblick verarbeiten konnte, nahm er die Ankunft einer weiteren Person wahr. Mühevoll riss er die Augen von dem völlig mit Eis bedeckten Wei Wuxian los, um den Kopf zu heben, doch der Anblick, der sich ihm nun bot, war noch skurriler. Mit offenem Mund starrte er die Gestalt an, die, einem lodernden Phönix gleich, durch den Nebel schritt. Grelle Flammen stiegen meterhoch empor und einen Augenblick lang war Jiang Cheng davon überzeugt, dass jemand tatsächlich mit Haut und Haaren brannte, doch als die Person schließlich majestätisch an ihm vorbeilief, ohne ihm wirklich Beachtung zu schenken, erkannte er, dass dem nicht so war.

Nicht ein Fünkchen Glut haftete an der eleganten, weißen Kleidung. Dafür flackerten Schatten auf dem Gesicht, das normalerweise das Musterbeispiel an Selbstbeherrschung war und die Jiang Cheng daran zweifeln ließen, ob es wirklich Lan Wangji war.

Dieser trug einen großen, breiten Gegenstand, der so intensiv brannte, dass Jiang Cheng nicht erkennen konnte, was es war. Die Hitze erreichte selbst seine unterkühlten Glieder, als Lan Wangji seine vermeintliche Waffe in die Höhe hob und Jiang Cheng musste den Impuls zurückdrängen, in Deckung zu gehen. Er wollte nach Lan Xichen rufen, doch im letzten Moment hielt er sich davon ab. Es war unmöglich, dass dieser nicht bereits auf seinen Bruder aufmerksam geworden war.

Lan Wangji holte aus. Die nächste Hitzewelle wehte zu Jiang Cheng hinüber, der hastig den Arm hob, um seine Augen abzuschirmen. Was… ging hier vor? Woher kam Lan Wangji plötzlich? Was hatte es mit seiner riesigen Feuerwaffe auf sich?

Mit immenser Kraft, die Jiang Cheng mit Sicherheit von den Beinen geholt hätte, wäre er in Lan Wangjis Schusslinie gestanden, ließ Lan Wangji den brennenden Gegenstand durch die Luft brausen, ohne ihn loszulassen. Er schnitt mit ihm durch die Luft, wie mit einem Schwert. In diesem Moment erkannte Jiang Cheng auch, was diese geheimnisvolle Waffe war – sie war ein Fächer. Ein riesiger, massiver Wandfächer, dessen Gewicht sich Jiang Cheng nicht ausmalen konnte.

Wie lange Speere schossen die züngelnden Flammen hinein in den Nebel, zerstreuten ihn unbarmherzig. Das vernichtende Feuer, welches eine beeindruckende spirituelle Energie ausstrahlte und Jiang Chengs Augen tränen ließ, schoss auf die Eisleichen zu, die urplötzlich, mit dem sich lichtenden Nebel, deutlich zu erkennen waren. Sie hatten ihren natürlichen – oder wohl eher unnatürlichen – Schutz verloren.

Ein schrilles Kreischen hallte über den Berg, als der Feuersturm die dunklen Wesen mit sich riss und hoffnungsvoll hellte sich Jiang Chengs Gesicht auf. Hatte Lan Wangji es geschafft, den Leichen mit einer einzigen Attacke den Garaus zu machen? Der Teil von ihm, der neidisch auf dieses bodenlose Potential war, das der große Hanguan-jun besaß, war noch zu überrascht, um sich bemerkbar zu machen.

„Oberhaupt Jiang, seid vorsichtig!“ Die Warnung erreichte ihn in letzter Sekunde, zusammen mit dem Körper, der ihn aus dem Weg schubste. Lan Xichen stieß der Leiche, die Jiang Cheng – in ihrer Panik vor dem Feuer – blind hatte über den Haufen rennen wollen, sein Schwert in die Brust. Das Eis knackte und zerbarst, ließ nur den schwachen, toten Leib einer herkömmlichen wilden Leiche zurück, die einer so starken Attacke nichts entgegenbringen konnte.

Jiang Chengs Hand zuckte kampfbereit, denn es sah aus, als hätte Lan Wangji ihnen den Weg zum Sieg geebnet. Einmal mit dem imposanten Feuer getroffen, wurde die Eisschicht wässrig genug, um sie mit einer spitzen Waffe zu durchstoßen. Jiang Cheng zog Sandu aus der Schwertscheide und wirbelte herum. Er würde nicht noch einmal so unaufmerksam sein. Es war nicht Lan Xichens Aufgabe, auf ihn aufzupassen, immerhin war er es, der seine Hilfe angeboten hatte. Entschlossen stürzte sich Jiang Cheng in den Kampf.
 

Der Nebel lichtete sich mehr und mehr, ließ die wärmenden Sonnenstrahlen hindurch, die den schneebedeckten Boden zum Glitzern brachten. Die Helligkeit verwirrte ihre Feinde und ein schmerzerfülltes Ächzen kündigte ihre endgültige Überlegenheit an.

Jede einzelne brennende Leiche, der Jiang Cheng über den Weg lief, bekam es mit der Spitze seines Schwerts zu tun. Alsbald befleckten den Schnee unter seinen Füßen Blutspuren und schwarze Flecken, die von der Unreinheit und dem Hass zeugten, die die Leichen angetrieben hatten. Lan Xichen und Lan Wangji kümmerten sich ebenfalls effektiv um die geschwächten Angreifer, bis Jiang Cheng den leisen, wohltuenden Klang von Liebing vernahm.

Die Pein der am Boden liegenden oder mit letzten Kräften durch den Schnee kriechenden Wesen verschwand, als die Musik Lan Xichens sich wie eine weiche Decke über sie legte. Auch Jiang Cheng konnte unwillkürlich spüren, wie sein Herzschlag ruhiger wurde, wie das Blut in seinen Adern aufhörte zu rauschen.

Stille legte sich über den hellen, sonnigen Berggipfel.
 

„Wangji“, seufzte Lan Xichen erleichtert und eilte zu ihm hinüber.

„Bruder“, erwiderte Lan Wangji mit Fassung und verbeugte sich respektvoll. Sein Gesicht war etwas erhitzt vom vielen Feuer, das er benutzt hatte, doch abgesehen davon hatte der Kampf keinerlei Spuren hinterlassen. Der Fächer in seinen Händen brannte langsam wie ein Räucherstäbchen ab. Die Flammen fraßen das spirituelle Papier, aus dem er gefertigt worden war, konnten jedoch dem widerstandsfähigem Holz, welches das Grundgerüst bildete, nichts anhaben. Dies war kein herkömmlicher Fächer.

„Ich danke dir, dass du meinem Hilferuf gefolgt bist“, sagte Lan Wangji und Jiang Cheng wandte sich ab. Dieses Gespräch war nicht für seine Ohren gedacht. Wenn es für ihn seltsam gewesen war, Lan Xichen nach all der Zeit wieder gegenüberzustehen, musste es für sein engstes Familienmitglied noch erschütternder sein.

Jiang Cheng richtete seine Aufmerksamkeit auf den Klumpen Eis, auch als Wei Wuxian bekannt, der nach wie vor regungslos in den Resten des Schnees lag, der von Lan Wangjis loderndem Fächer nicht fortgeweht worden war. Die Eisschicht, die seinen Körper bedeckte, glänzte und wies einige Stellen auf, die nicht mehr undurchdringbar schienen. Zögernd drückte Jiang Cheng Sandus Griff.

„Hmpf, du hättest es verdient“, murrte er leise, als er sich über dem jämmerlichen Eishäufchen aufbaute und mit dem Gedanken spielte, sein Schwert zu benutzen, um das Eis zu durchbohren. Jiang Cheng würde Zidian darauf wetten, dass sie diese unnötige Rettungsaktion Wei Wuxian zu verdanken hatten.

Bevor er sich jedoch dafür entscheiden konnte, den Arm zu heben, vernahm er eine leise, raschelnde Bewegung neben sich. Lan Wangji ging an ihm vorbei, ohne ihm Beachtung zu schenken und kniete sich neben Wei Wuxian auf den Boden.

Behutsam schloss Lan Wangji ihn in seine Arme und Jiang Cheng war froh, nur seinen Rücken und nicht seinen Gesichtsausdruck zu sehen.

„Wei Ying“, wisperte Lan Wangji sanft, hob den Fächer an und fuhr mit den Resten der Glut vorsichtig immer wieder über die vereisten Glieder.

Für Jiang Cheng war dies allein schon zu viel des Guten und er trat ein paar Schritte zurück, um die Beklommenheit über diesen merkwürdig intimen Moment abzuschütteln. Er wollte damit nichts zu tun haben.

Endlose Minuten lang dauerte Lan Wangjis Behandlung mit dem Feuer, bis das Eis – zumindest optisch – komplett geschmolzen war. Jiang Chengs Vorgehensweise wäre schneller gewesen, aber vielleicht nicht ganz schmerzlos für Wei Wuxian. Dieser bewegte sich nicht und lag schlaff auf Lan Wangjis Schoß, der dazu überging, ihn mit spiritueller Energie zu versorgen.

Jiang Cheng wurde ungeduldig. Er wippte mit dem Fuß, ohne wirklich nachvollziehen zu können, woher diese innere Unruhe stammte. Beinahe unbemerkt trat Lan Xichen an seine Seite.

„Ich bin mir sicher, dass er wieder aufwachen wird“, sprach er Jiang Cheng gut zu. Lan Xichen einen verstörten Blick zuwerfend, gab Jiang Cheng ein abwertendes Schnaufen von sich, sagte jedoch nichts. Als würde er sich Sorgen machen! Abgesehen davon, dass er es nicht tat – er musste es auch nicht. Wenn man sich auf etwas verlassen konnte, dann auf die Zähheit Wei Wuxians.

Als hätte er Lan Xichens Worte gehört, ertönte ein leises Raunen. Wei Wuxian bewegte verkrampft die Beine und schlug die Augen müde auf.

„Wei Ying“, seufzte Lan Wangji erleichtert. „Beweg dich nicht zu viel. Dein Körper ist noch nicht ganz frei von Eis.“

„Lan Zhan…“, nuschelte Wei Wuxian und lächelte schwach, gegen das helle Licht der Sonne blinzelnd. „Ich wusste, dass du es schaffen würdest. Du bist der Beste.“

Jiang Cheng drehte sich der Magen um und seine Selbstbeherrschung fiel endgültig in sich zusammen, als Lan Wangji sich hinab beugte, um Wei Wuxian leidenschaftlich zu küssen. Ruckartig wandte er den beiden den Rücken zu und fasste dabei eher zufällig Lan Xichen ins Visier. Dieser sah ebenfalls nicht hin, aber Jiang Cheng vermutete, dass er dies eher aus Rücksicht und Diskretion tat.

„Ich gehe vor“, beschloss Jiang Cheng, der diese Atmosphäre nicht länger ertragen konnte. Er verspürte nicht das Bedürfnis, Wei Wuxian auf sich aufmerksam zu machen, doch kaum, dass er sich in Bewegung gesetzt hatte, hielt ihn eine leise Stimme auf.

„Jiang Cheng…“

Egal, was es war, er wollte es nicht hören.

„Spar dir deinen Atem, Wei Wuxian“, fuhr er ihn unwirsch an. „Du verstehst die Situation vollkommen falsch, falls du denkst, dass ich gekommen bin, um dich zu retten.“

„Das habe ich nicht gedacht“, erwiderte Wei Wuxian ungewöhnlich ernst.

„Gut“, sagte Jiang Cheng, um das letzte Wort zu haben und entfernte sich mit langsamen, würdevollen Schritten.
 

Obwohl Jiang Cheng ein zügiges Tempo vorlegte, bemerkte er, dass jemand sich Mühe gab, ihn einzuholen. Aus den Augenwinkeln erkannte er Lan Xichen, der an seine Seite trat, jedoch nichts sagte und nur den Bergabstieg mit ihm begann.

„Ihr wartet nicht auf Hanguan-jun?“, fragte Jiang Cheng nach einer Weile, bereute es aber schon im selben Moment. Eigentlich lag ihm nichts daran, ein Gespräch zu führen. Er wollte nur diesen Berg verlassen und nach Hause gehen, wo er sich weiteren Pflichten widmen musste. Dieser Ausflug dauerte schon viel zu lange.

„Ich bin mir sicher, dass wir uns am Fuße des Berges wiedersehen werden“, meinte Lan Xichen zuversichtlich. „Ich wollte lieber Euch Gesellschaft leisten, Oberhaupt Jiang. Ihr ward eine überaus große Hilfe und ich stehe tief in Eurer Schuld.“

Jiang Cheng öffnete bereits den Mund, um Widerspruch einzulegen, denn auch wenn er normalerweise stolz auf seine Siege war, so konnte er den Kampf auf dem Frosthauch unmöglich als solchen verbuchen, aber Lan Xichen berührte sachte seinen Arm.

„Bitte akzeptiert meinen Dank“, bat er, was Jiang Cheng den Wind aus den Segeln nahm.

Es dauerte endlose Sekunden, bis Jiang Cheng verkrampft nickte und seine Proteste hinunterschluckte. Letzten Endes lag ihm nichts daran, einen so talentierten Kultivator wie Lan Xichen vor den Kopf zu stoßen. Er hatte sicher seine Gründe, um so darauf zu beharren – auch wenn selbst er sich manchmal irrte, denn als Jiang Cheng einen Blick über die Schulter warf, erkannte er, dass Lan Wangji sie fast eingeholt hatte, obwohl er Wei Wuxian und die Überreste des Fächers trug.

„Wir sollten uns ein wenig ausruhen, wenn wir das Tal erreichen. Bitte akzeptiert auch meine Einladung zum Tee, Oberhaupt Jiang“, sagte Lan Xichen, fast so, als hätte er Jiang Chengs Gedanken, sich sofort auf den Rückweg nach Yunmeng zu machen, erraten.

„Ich sollte nicht…“, lenkte er widerstrebend ein.

„Ihr solltet Euch wenigstens aufwärmen“, beharrte Lan Xichen auf seinem Vorschlag, dem sich Jiang Cheng schließlich seufzend fügte.

„Wie Ihr wünscht, Zewu-jun“, gab er nach, was im Normalfall sein Stolz nicht ertragen hätte. Es schien also, als wäre selbst dieser erschöpft und Lan Xichen Jiang Chengs Einschätzung seiner aktuellen Kräfte einen Schritt voraus.
 

Selbst Jiang Cheng konnte nicht leugnen, dass er erleichtert war, das Gasthaus, in dem sie die letzte Nacht verbracht hatten, wiederzusehen. Der Raum, den sie betraten, war einladend gemütlich und versprach eine warme Mahlzeit und etwas zu trinken. Der Wirt wirkte völlig aus dem Häuschen, als er die großzügigen Herren wieder bei sich begrüßen durfte und gab ihnen abermals seinen besten Tisch.

Das Einzige, worüber sich Jiang Cheng beschweren könnte, war die zusätzliche Gesellschaft Lan Wangjis und Wei Wuxians, doch seine müden Knochen sahen darüber hinweg, als er sich – zu seinem Leidwesen – Wei Wuxian gegenübersetzte und Lan Xichen den Platz neben ihm wählte.

Die Eisspuren auf Wei Wuxians Körper waren mittlerweile verschwunden und der Wein, den Lan Wangji für ihn bestellt hatte, lockerte auch sein allerwichtigstes Körperteil – seine Zunge.

„Jetzt möchte ich aber wissen, wie du es geschafft hast, mich aus dem Eis zu befreien“, wandte er sich an Lan Wangji. Die Neugier stand ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

„Feuer. Mächtiges Feuer“, sagte Lan Wangji. „Es war dein Vorschlag.“

„Aww, du bist zu bescheiden, Hanguan-jun. Wie hast du es aufgetrieben?“

„Es waren insgesamt dreiundzwanzig Talismane. Es war gerade genug, um die Leichenschar in Schach zu halten.“

Jiang Cheng lauschte der Erzählung Lan Wangjis, während er seinen grünen Tee trank und musste sich das Kopfschütteln verkneifen. Wei Wuxian hatte nicht gesehen, wie Lan Wangji auf der Bergspitze aufgetaucht und mit einer einzigen, kräftigen Bewegung seiner Arme eine Hölle aus Flammen heraufbeschworen hatte. Er war aber gewiss nicht die richtige Person, um ihn über den wahren Ablauf der Dinge zu informieren.

„Aber… was war dieses Holzgerüst, das du dabei hattest und nicht auf dem Berg lassen wolltest, obwohl es völlig nutzlos erscheint?“, hakte Wei Wuxian nach, der schon immer einen guten Riecher für die Lücken in einer Geschichte gehabt hatte.

„Ein… Fächer“, erwiderte Lan Wangji zögerlich.

„Huh? Das war aber ein großer Fächer! Wo hast du ihn gefunden?“

Lan Wangji schwieg eine ganze Weile lang, senkte den Blick auf einen willkürlichen Punkt auf dem Tisch und mied es, seinen Bruder anzusehen. Diese Reaktion machte auch Jiang Cheng neugierig und er ließ seinen Teebecher sinken.

„Er gehört dem Qinghe Nie Clan“, sagte Lan Wangji schließlich und eine beklemmende Stille legte sich über die vier versammelten Kultivatoren. Jeder von ihnen brauchte einen Moment, um die Bedeutung hinter diesen Worten zu verstehen und zu verarbeiten. Instinktiv huschte Jiang Chengs Blick in Lan Xichens Richtung, dessen Miene unleserlich war. Dennoch glaubte Jiang Cheng zu ahnen, dass es einem Schlag in den Magen gleichen musste, zu erfahren, dass der eigene Bruder Nie Huaisang um Hilfe gebeten hatte, um Wei Wuxian zu retten. Von allen Menschen auf dieser Welt, war es ausgerechnet er, der…

Wei Wuxians ersticktes Lachen durchbrach die Stille.

„Oi! Wei Wuxian!“, fuhr Jiang Cheng ihn schroff an, denn sein Lachanfall war äußerst unangebracht, wenn man Lan Xichens blassem Gesicht trauen konnte.

„‘tschuldigung, ‘tschuldigung“, kicherte Wei Wuxian und wedelte mit der Hand. „Die Vorstellung von Lan Zhan, der das Unreine Reich stürmt und… bwahaha!! Lan Zhan, wie hast du den Kultivatoren-Anführer dazu gebracht, dir so einen großen Fächer zu geben, wo er sie doch so wertschätzt?“

Wieder schwieg Lan Wangji, doch dieses Mal presste er die Lippen fest aufeinander, als würde er die Antwort auf keinen Fall preisgeben wollen. Wei Wuxian lehnte sich zu ihm hinüber.

„Komm schon, verrat es mir“, bettelte er und zupfte an Lan Wangjis Ärmel. „Biiiitte.“

Zittrig stieß Lan Wangji den Atem aus und versuchte die Kontrolle über seine Gesichtsmuskeln nicht zu verlieren.

„Ich habe Kultivatoren-Anführer Nie nicht gefragt.“

„Eh? Was? Aber du hattest doch seinen Fächer und…“ Wei Wuxian stockte, starrte Lan Wangji ungläubig an und brach wieder in schallendes Gelächter aus. Tränen funkelten in seinen Augenwinkeln und er klopfte überfordert mit der Faust gegen den Tisch, sodass das Geschirr klirrte.

Hastig fischte Jiang Cheng seinen Becher vom Tisch, um ihn vor dem unkontrollierbarem Gemüt Wei Wuxians zu retten.

„Ich glaube es nicht… das ist zu gut! Lan Zhan, sag es mir, hast du dich in das Unreine Reich geschlichen? Und den Fächer gestohlen?“

Lan Wangjis Wangen nahmen an Farbe zu, was Antwort genug war und dazu führte, dass Wei Wuxian abermals lachend zusammenklappte.

„Ich habe es dir ja schon gesagt, aber du bist wirklich unanständig!“, krächzte er, die Stimme angeschlagen von der Überanstrengung seiner Stimmbänder.

Lan Wangji warf ihm einen langen, bedeutungsschweren Blick zu, der Wei Wuxian nur heiter zum Grinsen brachte. Es war offensichtlich, dass ihm diese Seite an Lan Wangji gefiel.

„Ich zeige dir später, wie unan –“, sprach Lan Wangji mit zurückgewonnener Fassung, wurde jedoch von dem lauten Geräusch eines auf den Tisch gehauenen Gegenstandes unterbrochen.

Alle Köpfe wandten sich Jiang Cheng zu, der mit hochrotem Kopf dasaß und seinen Teebecher mehr als energisch abgestellt hatte. Die dampfende Brühe war über den Rand geschwappt und seine Finger nahmen eine ungesunde rote Färbung an, doch er achtete nicht auf die leichte Verbrennung. Er bebte vor Zurückhaltung und es kostete ihn all seine Willenskraft, sich zu erheben und dabei nichts kaputtzumachen.

„Ich gehe“, verkündete er unwirsch. Dieses Mal wartete er nicht darauf, dass jemand die Gelegenheit hatte, ihn aufzuhalten.
 

Trotz der körperlichen Erschöpfung, fand Jiang Cheng in dieser Nacht keine Ruhe. Das Zimmer, das er erhalten hatte, war völlig ausreichend und es gab nichts daran auszusetzen – dennoch fühlte er sich hier nicht wohl. Egal, wie oft er sich von einer Seite auf die andere drehte, der Schlaf blieb aus. Statt auf Mediation zurückzugreifen, richtete sich Jiang Cheng nach endlosen Stunden wieder auf und rieb sich die Schläfen. Es war sinnlos, sich noch weiter hier aufzuhalten, wenn er ohnehin nicht schlafen konnte. Zudem wurde er das Gefühl nicht los, dass es irgendwo an der Decke ein paar undichte Stellen gab, denn ihm waren bereits ein paar Mal Wassertropfen auf Gesicht und Bettwäsche gefallen.

Die geltende Nachtruhe schien außerdem für die Zimmerbewohner direkt über ihm keine Regel zu sein, an die man sich halten musste. Die Geräusche, die Jiang Cheng vernahm, waren stumpf und nicht der Rede wert, aber vor wenigen Minuten hatte er ein deutlich hörbares Krachen vernommen. Danach war es ruhiger geworden.

Genervt erhob er sich vom Bett und griff nach seinem Schwert. Er vergeudete hier nur seine Zeit. Wenige Minuten später schloss er bereits die Tür hinter sich, fischte ein paar Goldmünzen aus seinem Beutel, um diese dem Wirt auf die Lade zu legen und wollte sich anschließend auf den Weg nach Hause begeben, doch Jiang Cheng erstarrte in der Bewegung, als er inmitten der dunklen Schenke eine Gestalt an einem der Tische sitzen sah.

Da sämtliche Lichter gelöscht waren, wirkte sie wie ein Geist. Auch, als Jiang Cheng erkannte, um wen es sich handelte, kam ihm dieser Vergleich nicht falsch vor. Allein das durchs Fenster fallende Mondlicht beleuchtete einige der Tische, unter anderem auch den, an dem Lan Xichen saß.

Unschlüssig stand er da. Lan Xichen wirkte tief in Gedanken versunken, weshalb er ihn eigentlich nicht stören wollte, aber Jiang Cheng hatte sich nicht besonders leise verhalten, als er ins Erdgeschoss gekommen war, weshalb er sich sicher war, dass man seine Anwesenheit längst bemerkt hatte.

Es sah ihm nicht ähnlich, so lange zu zögern. Er war ein Mann der Taten.

„Könnt Ihr nicht schlafen?“, sprach er Lan Xichen an und schlenderte zu ihm hinüber.

Als Lan Xichen Augenkontakt herstellte, überraschte es Jiang Cheng ein wenig, dass er nicht halb so bedrückt aussah, wie er vermutet hatte. Im trüben Licht wirkte er höchstens ein wenig melancholisch.

„Dasselbe könnte ich Euch fragen“, erwiderte Lan Xichen behutsam und lud Jiang Cheng mit einer geschmeidigen Handgeste dazu ein, sich zu ihm zu setzen.

„Ich breche auf“, stellte Jiang Cheng klar. Er hielt es für wichtig, dies zu erwähnen.

„Ah. Ich verstehe. Ich möchte Euch nicht aufhalten“, sagte Lan Xichen nachsichtig, doch Jiang Cheng folgte einem Impuls und setzte sich dennoch zu ihm. „Der junge Meister Wei wird betrübt sein, keine Gelegenheit gehabt zu haben, sich bei Euch zu bedanken.“

„Hmpf. Ich brauche seinen Dank nicht. Außerdem hat er sonst auch keinerlei Manieren, was würde dieser Dank schon ändern? Er hat Euch beleidigt.“

„Ihr seid nicht verantwortlich für seine Worte, Oberhaupt Jiang“, besänftigte Lan Xichen und erinnerte Jiang Cheng daran, dass die Zeiten, in denen er sich für Wei Wuxians Verhalten entschuldigen musste, vorbei waren. Einen Sekundenbruchteil lag war er in alte Verhaltensmuster verfallen. Peinlich berührt sah er zur Seite.

„Aber falls Ihr es wissen wollt – nein, er hat mich nicht beleidigt. Ich war nur… überrascht. Das ist alles.“

„Ich sage es immer wieder. Er hat nie etwas von Taktgefühl verstanden“, schnaufte Jiang Cheng.

„Derjenige, der so gehandelt hat, war Wangji“, korrigierte Lan Xichen und seufzte leise. „Ich bin mir jedoch sicher, dass er selbst eine entsprechende Strafe finden und für den verbrannten Fächer aufkommen wird.“

Auch Jiang Cheng zweifelte nicht daran, doch ein winziger Teil von ihm verspürte bei der Vorstellung von Nie Huaisangs schockiertem Gesicht so etwas wie bittere Genugtuung. Auch wenn er nicht komplett im Bild war, hatte Wei Wuxian vor Monaten, als sie sich zufällig in Lanling über den Weg gelaufen waren, ein paar Dinge über Nie Huaisang erzählt, die Jiang Cheng als Wahnvorstellungen abgestempelt hatte. Doch zusammen mit der Tatsache, dass Lan Xichen sich zurückgezogen hatte und den Gerüchten, die sich unabhängig von Wei Wuxians Meinung verbreiteten…

Es stand ihm nicht zu, zu fragen. Außerdem hatte Jiang Cheng den Eindruck, als würde er nur lange genug in Lan Xichens Augen blicken müssen, um den in ihnen schwimmenden Schmerz greifen zu können. Er war verschleiert, versteckt – und genau deshalb schien er den einst so starken Mann innerlich zu zerfressen. Dieses Gefühl war ihm wohl bekannt.

„Wie geht es nun für Euch weiter, Zewu-jun?“, fragte Jiang Cheng leise. Selbst dies erschien ihm wie das Überschreiten einer Grenze zu sein, von der er sich fernhalten sollte.

„Ihr wollt wissen, ob ich mich wieder zurückziehe, nicht wahr?“, wollte sich Lan Xichen vergewissern. Obwohl es ihm unangenehm war, nickte Jiang Cheng.

„Nein“, antwortete Lan Xichen viel simpler, als er angenommen hatte. „Es war keine einfache Entscheidung, sich der Welt wieder zu stellen, die Buße und Trauer zu beenden. Ich bin mir sicher, es wird noch eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt habe. Doch ich bin wieder bereit, der Zukunft entgegenzublicken und werde meine Pflichten nicht länger vernachlässigen. In Anbetracht dessen, Oberhaupt Jiang, habe ich eine Frage an Euch. Vielleicht ist es auch eine Bitte.“

Überrumpelt von der Offenheit, mit der ihm Lan Xichen begegnete, konnte Jiang Cheng nichts anderes tun, als ihn lediglich anzustarren.

„Ich würde Euch gerne begleiten, wenn Ihr mich lasst. Der Sinn der Rückkehr aus der Abschottung ist es nicht, weiterhin allein zu sein. Außerdem würde es mir eine Menge bedeuten, wenn Ihr mir abermals… zur Hand gehen würdet.“

Lan Xichen streckte seine Arme vor dem Körper aus und verbeugte sich. Die Situation war so absurd, dass Jiang Cheng seinen Ohren kaum traute.

„Was… was meint Ihr?“, presste er verwirrt hervor. Unwillkürlich dachte er bei Lan Xichens Wortwahl an seine überaus peinliche Aktion, als sie den Berg hochgestiegen waren und schluckte schwer.

„Nun, die Angelegenheit ist für die Dorfbewohner noch immer nicht geklärt, aber nach dem Gespräch mit Wangji und dem jungen Meister Wei, bin ich mir recht sicher, dass der Nebel die Kraftquelle der wilden Leichen war. Und gleichzeitig hat sich der Nebel von der Energie der Leichen ernährt. Es war ein Geben und Nehmen, eine perfekte Symbiose, welche nun aus dem Gleichgewicht geraten ist. Ich würde mich gerne vergewissern, dass wir alle bösartigen Kreaturen vertrieben haben, sodass sich der Nebel wieder von allein klären kann – und anschließend nichts weiter als ein simples Wetterphänomen bleibt.“

Etwas zog sich beklemmend in Jiang Chengs Brust zusammen. Wieso war er davon ausgegangen, dass Lan Xichen seine Aussage wörtlich meinte? Zudem hatte er völlig verdrängt, dass das Problem der merkwürdigen Vorkommnisse noch nicht ganz aus der Welt geschafft war. Sie hatten nur einen Teil ihrer eigentlichen Arbeit erledigt. Dabei hatte er die ganze Zeit darauf gepocht, dass er nicht gekommen war, um Wei Wuxian aus der Patsche zu helfen!

„Und danach?“, fragte er hastig, damit man ihm die Gedanken nicht an der Mimik ablesen konnte.

„Danach… werden wir sehen. Vielleicht führt auch danach unser Weg in dieselbe Richtung.“

Wieder zog sich etwas ungewohnt in Jiang Cheng zusammen, dieses Mal deutlich auf der linken Seite seiner Brust.

„Es… es wäre mir eine Freude.“

Jiang Cheng war es tatsächlich eine Ehre, von Lan Xichen begleitet zu werden. Er würde nie erfahren, dass er statt Ehre »Freude« gesagt hatte, denn dies war nun eins der Geheimnisse hinter Lan Xichens sanftem Lächeln, welches zum ersten Mal seit einer langen, langen Zeit sein Gesicht erhellte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Votani
2020-07-01T16:00:45+00:00 01.07.2020 18:00
Im ersten Moment war ich etwas verwirrt ueber den Zeitspruch, da Lan Wangji ploetzlich mit dem Faecher auftaucht und JC auch dabei ist, aber im Nachhinein verstehe ich, warum du es so gemacht hast. Es hat gepasst, dass spaeter erzaehlt wird, wie LW den Faecher geklaut hat. XD
Jedenfalls fand ich das sehr gelungen. Die Beschreibungen in der Geschichte, nicht nur in diesem Kapitel, haben mir wirklich gut gefallen und du hast die Charas sehr gut eingefangen, auch diese komplizierten Gefuehle, die JC fuer Wei Wuxian hat. :') Aber auch das Ende war sehr niedlich, dass Lan Xichen JC nun begleitet.
Deine Geschichte hat mir sehr gefallen und das Lesen hat mir sehr viel Spass bereitet. :)
Von:  YoungMasterWei
2020-02-04T21:21:12+00:00 04.02.2020 22:21
Die Idee mit dem Fächer fand ich wirklich gut. Auch woher dieser stammte. Ebenso das LZ ihn nicht erfragte, sondern, wie so oft wenn es um seinen WY geht, erst einmal handelte anstatt sich über Etikette und mögliche Konsequenzen Gedanken zu machen.
Wieder ein schönes, authentisches Beispiel ihrer Beziehungsdynamik.
Aber auch das fortschreitende Miteinander was JC und LH betrifft, war schön zu verfolgen. Ich persönlich finde, das JCs Charakter nicht ganz so einfach einzufangen ist, wenn man über ihn schreiben möchte. Am Ende hat er sogar mehr Fassetten als alle anderen. Etwas das dennoch eine bestimmte Balance finden sollte, um ihm gerecht zu werden.
Das hast du hinbekommen.
Auch mochte ich den kleinen Wink, mit dem Wasser von der Zimmerdecke.
Es hat Freude gemacht Deine kleine Story zu lesen. Und Du hast Dir jegliches Lob darüber verdient.
LG
YMW

Antwort von: Swanlady
05.02.2020 18:52
Ich konnte nicht widerstehen, die Vorstellung von LWJ, der irgendwo einbricht und was klaut, ist einfach zu gut *hust*
Du hast absolut Recht, dass JC ein super facettenreicher Charakter ist und ich hiermit wohl nur die Oberfläche angekratzt habe. Er ist wundervoll und ein super interessanter Charakter (generell und schreibtechnisch) <3
Ich bin so froh, dass du das tropfende Wasser bemerkt hast!!! DANKE! Ich hab es extra eingebaut und hatte gehofft, dass es jemandem auffallen würde XD


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