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Der Flug des Falken

von

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Majestätisch segelt der Falke dahin, gleitet auf dem Rücken des Windes über die Welt. Frei ist sein Flug, lediglich durch Himmel und Erde begrenzt. Mühelos bewegt er sich dort hin, wohin ihn sein Sehnen zieht. Nur sich selbst ist er Rechenschaft schuldig, nur vor sich selbst, muss er sich verantworten.

Unter ihm; grenzenloses Grün. Baum um Baum reiht sich aneinander. Ein Verbund, ein übergangsloses Dickicht. Eine Masse, gesichts- und persönlichkeitslos. Und dennoch, jeder von ihnen ein Individuum, einzigartig in Größe, Form und Farbe.

Die Blätter bilden ein undurchdringliches Dach, grün in jeder erdenklichen Nuance, erstreckt sich bis zum Horizont. Jedes Einzelne, nicht erwähnenswert. Jedes Einzelne, schwach und unbedeutend. Doch als Gemeinschaft bilden sie eine dichte Wand, die in der Lage ist, die Welt darunter zu verstecken.

Der Falke sinkt tiefer, als wolle er den Wald genauer betrachten. Ein kurzer Flügelschlag korrigiert seinen Flug und streicht den Wind liebevoll. Der scharfe Blick geht in die Ferne, als suchte er den Rand des Pflanzenmeers.

Die Bäume werden allmählich weniger. Das dichte Blätterdach erhält immer größer werdende Fenster. Kurze Einblicke in die geheimnisvolle Welt unter dem Grün werden gewährt. Momentaufnahmen, die kaum, dass sie gesehen wurden, schon wieder vorbei sind.

Kaum merklich ändert der Raubvogel seinen Weg. Eine Lichtung lockt ihn an. Auch seine Freiheit hat ihre Grenzen, ohne ausreichende Nahrung würde ihn der Tod ereilen. So verbringt er seine eigentliche Freiheit damit, diese zu sichern, anstatt sie zu genießen.

Noch einmal sinkt der Falke tiefer, seine Augen suchen den baumfreien Bereich ab. Jede noch so kleine Regung im Gras erfasst sein Blick, ebenso den Menschen am Rande der Lichtung. Scheinbar teilnahmslos beobachtet ihn dieser. Eine Bewegung im Gras erfordert seine Aufmerksamkeit. Die Beute ist fixiert, der Sturzflug steht kurz bevor.

Ein kurzer heftiger Schmerz durchzuckt ihn. Alle Kraft verlässt den Körper und der majestätische Flug endet abrupt. Wie ein Stein fällt das Tier vom Himmel, dumpf schlägt der tote Körper auf dem Boden auf. Nichts Erhabenes mehr, keine Freiheit, nur ein unbrauchbarer Überrest.
 

Der junge Mann am Rande der Lichtung mustert den Klumpen aus Federn, der eben auf der Wiese aufgeschlagen ist. Während seine roten Augen auf dem toten Tier ruhen, bewegt er sich langsam darauf zu.
 

Sollte es ihm leidtun? Er ist sich unsicher. Eigentlich ist er niemand, der sich an Tod und Leid erfreut. Mochte sein, dass die Jagd auf die Tiere die nicht zum Verzehr gedacht sind, manche erfüllt und befriedigt. Er zählt definitiv nicht dazu. Es ist weder ruhmreich, noch ist es heldenhaft und diesem Fall, noch nicht einmal nötig. Warum hat er also dieses arme Tier vom Himmel geschossen?
 

Tobirama ist inzwischen bei seinem Opfer angekommen. Emotionslos betrachtet er den einst stolzen Raubvogel. Angewidert von seiner Tat wendet er seinen Blick ab.
 

Er gesteht es sich nur widerwillig ein, aber Neid war der Auslöser. Er war neidisch. Der majestätische freie Flug, dass ungebunden sein, Dinge die er in andere Form, auch einmal hatte. Sie wurden ihm geraubt, sowie er sie dem Tier geraubt hat. Natürlich ist er nicht Tod, aber es fühlt sich immer öfter so an. Er fühlt sich angekettet, eingepfercht und auch ein wenig vernachlässigt, wenn er ehrlich ist. Frieden bringt Freiheit. Warum fühlt er sich dann so?

Das Dorf sollte Freiheit und Sicherheit bringen. Er fühlt sich nicht frei und erst recht nicht sicher. Er hat sich besser gefühlt, als der Feind noch in seinem eigenen Lager schlief. Jetzt liegt er im Haus nebenan. Wie grotesk. Wie soll er sich sicher fühlen, wenn der Uchiha-Clan ständig um ihn herumschleicht und sein Bruder nicht die Wahrheit über Madara sehen will?
 

Bedacht geht er in die Knie, die roten Augen betrachten seine Schandtat. Vorsichtig zieht er das Kunai aus dem toten Tier.
 

Früher konnte er im Lager so sein wie er wollte. Es gab nur ihn, seinen Bruder und den Rest des Clans. Jeder kannte Jeden, keiner störte sich am Benehmen der Anderen, so lange man nicht völlig über die Stränge schlug. Es war entspannt, friedlich und … frei. Hashirama hat ihn nicht ständig getadelt und bevormundet. Sein großer Bruder hat ihn vielleicht mal ausgelacht, ihn geneckt, und selten, sehr selten, ein wenig gemaßregelt …
 

Einen Moment schmunzelt Tobirama amüsiert, ein inzwischen recht seltener Anblick. Kaum, dass ihm seine Gefühlsregung bewusst ist, versteinert sich seine Miene wieder.
 

Er kann sich nicht vorstellen, dass er jemals wieder Freiheit empfinden wird, nicht so wie sie einmal war. Eine Gemeinschaft, wie sie sein Bruder sich vorstellt, wie das Dorf werden soll, erfordert Regeln und zwar Unmengen. Mit jedem hinzugekommenen Clan oder Familienverband, musste das „Regelwerk“ erweitert und angepasst werden.

Ja, er ist ein ausgesprochener Freund von Vorschriften, daraus hat er auch nie ein Geheimnis gemacht. Ein Clan, der für sich ist, braucht nicht viele, doch um allen Menschen und Ansichten gerecht zu werden, braucht es jede Menge.

Als die Senjus noch unter sich waren, gab es eine handvoll tatsächliche Gesetze und zwei händevoll erwünschtes Verhalten. Das hat ausgereicht, um die Gruppe zusammen zu halten und alle Belange zu regeln. Und dieser Umstand ließ Platz, Platz für individuelle Freiheit, seine Freiheit …

Und jetzt? Jede Vorschrift, jedes Gesetzt, schränkt ein. Je mehr es gibt, umso mehr geht die Freiheit verloren, doch ohne funktioniert eine Gemeinschaft in dieser Größenordnung nicht. Ein Teufelskreis, eine Katze, die sich in den eigenen Schwanz beißt …
 

Der Wind spielt mit dem Federkleid des toten Tieres, als will er es wecken, als will er, dass der Falke wieder zu ihm kommt. Tobirama schnaubt betrübt.
 

Freiheit. Was bedeutet sie? Bringen nicht auch Regeln eine Art Freiheit? Sie sorgen dafür, dass man die Sicherheit hat im Rahmen des Gesetzes, alles zu dürfen. Man hat die Freiheit, sich in einem strukturierten Rahmen frei zu bewegen und zu entwickeln …

Da ist sie wieder, die dumme Katze. Ein Tier in einem Käfig, mag er auch noch so groß sein, bleibt ein Tier in einem Käfig. Doch der Käfig bringt Sicherheit, und damit dann doch Freiheit, oder?

Warum fühlt er sich nicht mehr frei?
 

Der Wind spielt mit den weißen Haaren, zieht und zupft an ihnen, wie an dem Federkleid des toten Tieres. Leise rauscht es durch die Blätter, die jungen Bäume wiegen sich sanft.
 

Er fühlt sich nicht frei, weil er sich ständig 'benehmen' soll. Er darf nicht mehr sagen was er denkt, vor allem zum Thema Uchiha, allen voran gegen Madara. Er soll tun, was man ihm sagt, ohne Wenn und Aber. Hashirama versucht ihn zu bevormunden, ihn ruhig zu stellen, ihn gesellschaftsfähig zu machen. Als kleiner Bruder des Hokage steht er schließlich auch immer mit im Fokus.

Natürlich lässt er sich das nicht gefallen. Natürlich, sagt und tut er immer noch, was er für richtig hält und nicht was die Gesellschaft, sein Bruder, oder womöglich der Anstand von ihm verlangen. Das Gefühl seinen Bruder zu verraten, erfüllt ihn allerdings jedes Mal in diesen Momenten.

Er hasst es.

Früher kannte er dieses Gefühl nicht. Früher, hat es ihn amüsiert, seinen großen Bruder über den Mund zufahren, oder ihm seine Unwissenheit vor Augen zu führen. Früher …
 

Ein Krächzen ertönt und Tobirama blickt auf. In einer der Baumkrone sitzt eine Krähe und beäugt ihn misstrauisch. Das schwarze Tier verkündet den Tod.
 

Er fühlt sich wie der Raubvogel. Tot liegt er auf dem Boden der Realität und die Freiheit streicht durch seine Federn. Sie zieht und zerrt an ihm, weil sie will, dass er wieder zu ihr kommt. Doch genau wie der leblose Körper zu seinen Füßen, kann er nicht.

Was dem Falken der Tod, ist ihm sein Bruder.

Hashirama hat mit Willen, Liebe und einem Traum geschafft, was Jahrzehntelang keiner für möglich gehalten hat. Doch um langfristig Frieden und Sicherheit zu gewährleisten, braucht es mehr wie das. Hashirama ist ein Träumer, der Jemanden braucht, der dafür sorgt, dass er den Bezug zur Realität nicht verliert. Dieser Jemand ist er. Er muss seinem Bruder zu Seite stehen. Wer weiß, was er ohne seine pragmatischen und berechnenden Ansichten schon alles getan hätte. Immerhin hätte er beinahe Madara zum Hokage ernannt, ganz am Anfang.
 

Die roten Augen sind immer noch auf den ungewollten Zuschauer gerichtet. Geräuschvoll flattert das Tier auf einen anderen Ast und sieht sich um. Es ist unruhig.
 

"Unterrichte", hat ihm sein Bruder vor ein paar Tagen gesagt. Es fühlt sich an, als ob Hashirama ihn weiter einschränken will. Als Sensei müsste er sich noch mehr 'benehmen', noch mehr anpassen. Will er das?

Nein, er will seine Freiheit zurück, doch sie ist unwiederbringlich fort. Er weiß, dass er sich neuen Dingen widmen muss, anstatt den Alten nachzutrauern. Würde er das tatsächlich, hätte er wohl kaum dieses arme Tier vom Himmel geholt.

Nein, es ist nicht der Neid gewesen, der sein Kunai geführt hat. Eher die Erkenntnis, das Freiheit für ihn nicht mehr existiert. Den Rest seines Lebens wird er in Gefangenschaft verbringen. Die Wut darüber, hat ihn diese dumme, verachtenswerte Tat begehen lassen.
 

Protestierend flattert die Krähen davon.

Tobirama mustert den Busch am Fuße des Baumes, in ihm befindet sich Jemand, das ist dem Senju schon länger bewusst. Seit der Shinobi heute Morgen das Dorf verlassen hat, begleitet ihn ein kleiner Schatten.

"Komm raus", fordert Tobirama streng. Seine Augen sind starr auf den Aufenthaltsort seines Begleiters gerichtet.

Einen Augenblick später kommt ein kleiner Junge aus dem Gebüsch. Sein braunes Haar steht wild ab und seine Kleidung scheint zu groß für ihn, als würde er die Sachen seines älteren Bruders tragen.

Ängstlich blickt er den jungen Mann an.

Der Wind umspielt Tobiramas weißes Haar, seine roten Augen sind klar und scharf. Er ist ein Shinobi, der seines Gleichen sucht in dieser Welt.

"Wie ist dein Name?", fragt der Senju recht emotionslos.

Der Junge spielt nervös mit den zu langen Ärmeln.

Das Kind folgt dem Mann schon den ganzen Tag. Er hat ihn beobachtet und die Faszination für den Shinobi wuchs. Doch er ist nicht so töricht, wie man annehmen mag. Der Junge weiß genau, wen er da vor sich hat und welche Dinge über ihn erzählt werden.

"Hiruzen, Herr", antwortet er leise.

Tobiramas Mundwinkel zuckt kaum merklich.
 

Der Name des Kindes stand ganz oben auf der Liste, die ihm sein Bruder vor einigen Tagen gegeben hat. Ob der Junge davon weiß und deswegen hier ist?
 

"Komm mit", fordert der Shinobi und dreht sich um.

Mit festen Schritt geht er zurück in den Wald. Er dreht sich nicht um, muss er auch nicht. Das Kind wird ihm folgen, da ist er sich sicher.

Der kleine Junge eilt hastig über die Wiese. Ein wenig übereifrig schließt er zu dem Weißhaarigen auf, beinahe wäre er in ihn hinein gerannt. Schließlich folgt er dem Senju mit zwei Schritten Abstand.

Schweigend laufen sie durch den Wald. Die Anzahl der Bäume nimmt zu, dicht und undurchdringlich wirkt der Pflanzenwall. Überall beginnt es zu rascheln. Kleines und großes Getier ergreift die Flucht wegen den beiden Fremden.

Als wären sie durch eine Tür geschritten, stehen der junge Mann und das Kind plötzlich auf einer Wiese. Ein grüner Streifen, der fehl am Platz wirkt für den ersten Moment. Genauso fehl wirkt die Mauer, die sich am Ende der Wiese in den Himmel erhebt. Kein Baum steht hier, um den Wachen nicht die Sicht zu versperren.

"Hiruzen?"

"Ja, Herr?"

"Was bedeutet 'Freiheit' für dich?"

Ein wenig verwundert sieht der Junge den Shinobi an. Grübelnd legt er die Stirn in Falten. "Freiheit ... bedeutet ... Keine Angst haben zu müssen ... glaube ich."

"Glaubst du?"

"Ja, Herr. Freiheit kann nur dort sein, wo keine Angst ist."

Nun legt Tobirama die Stirn in Falten.
 

Freiheit scheint kein fester Begriff zu sein. Für Jeden bedeutet es etwas Anderes. Für den Jungen an seiner Seite, ist die Abwesenheit von Angst Freiheit. Warum? Das weiß nur das Kind. Würde man hundert Menschen fragen, würden wohl jeder etwas Anderes antworten.

Auch wenn er 'seine' Freiheit nicht wiederbekommen wird, so kann er vielleicht für Andere Freiheit schaffen. Vielleicht, wird er selbst irgendwann eine neue Definition finden und damit dann doch wieder frei sein, nur eben auf eine andere Art und Weise.
 


 

"Ich werde gehen. Ich werde den Köder spielen."
 

Die erschrockenen Blicke und Proteste werden ihn nicht abhalten. Diese Entscheidung hat er nicht eben erst getroffen, sondern damals, als Saru ihm sagte, dass Freiheit dort ist, wo keine Angst herrscht.

Er hat zwar keine neue Freiheit in den Jahren gefunden, aber gesehen wie Hiruzen sie gefühlt und genossen hat. Das hat ihm gereicht, um zu wissen, dass man nicht selbst frei sein muss, um Freiheit zu schenken.

Der kleine Sarutobi wird das weitergeben, genau wie den Willen des Feuers, da ist er sich sicher.
 

Genau jetzt, als der Hokage sein Team hinter sich lässt, um dem Tod entgegen zu treten, fühlt er sie plötzlich wieder. Sie zieht und zerrt an ihm, streicht durch seine Haare und ruft leise seinen Namen.

Tobirama sieht den Gegner nicht, sein Blick geht in die Ferne.

Majestätisch segelt ein Falke dahin, gleitet auf dem Rücken des Windes über die Welt …



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