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Spiel ohne Limit

von

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"Lumina", pirschte sich Rin von hinten an ihre beste Freundin heran, die vor der Couch auf dem Boden hockte und auf ihren Laptop hämmerte, während ihre Ohren von zwei breiten Kopfhörern bedeckt wurden, aus welchen die Bässe des Visual Keys erklangen. Rin grinste verschmitzt, als sie noch immer nicht bemerkt wurde, selbst als sie die Wohnzimmertür scheppernd aufgerissen hatte, war der schwarzhaarige Wuschelkopf regungslos geblieben. Also schlich sich die junge Frau von hinten an sie heran, breitete die Arme aus und legte ihre durchnässten Hände auf die Augen der Nichtsahnenden, die daraufhin nach hinten kippte und mit weit aufgerissenen Augen Rin anstarrte, die ihr lediglich die Zähne zeigte. Ihre langjährige Freundin aus Schultagen riss sich die Kopfhörer herunter und legte den Laptop neben sich.

"Was zum Geier sollte das", knurrte die Schwarzhaarige und sprang vom Boden.

"Ach nichts", säuselte Rin und folgte ihrer Freundin, die auf das kleine Fenstersims zusteuerte und sich die halbleere Zigarettenschachtel krallte, "ich wollte dich nur daran erinnern, dass du heute für unser Essen aufkommst."

"Und wie komme ich zu dem Vergnügen?", entgegnete Lumina, die sich gerade eine Zigarette zwischen die Lippe presste und die Luft scharf einzog.

"Weil ich die Wette gewonnen habe." Rin stellte sich direkt vor ihre Freundin, deren Rauch an ihr vorbeiwehte. Lumina riss das Fenster auf, ließ die Abendsonne in ihre winzige Zweizimmerwohnung scheinen und begann nun ebenfalls breit zu grinsen: "Na sie mal einer an", nuschelte sie zwischen ihren Zügen, "hast du es doch endlich geschafft." Daraufhin zückte die Schwarzhaarige ihr Smartphone aus der Lederhose und tippte die Nummer ihres Lieblingspizzeranten ein. Seit sie in der Mittelstufe dem Kendoclub beigetreten waren, gehörte Pizzaessen bei * zur Tradition, die sie sich bis heute beibehalten hatten.

"Und ich will diesmal extra viel Käse auf meiner Thunfischpizza", fügte Rin hinzu und ließ es sich ebenfalls auf der Fensterbank bequem machen. Sie tat einen tiefen Atemzug. Die frische Luft vermischt mit dem vertrauten Zigarettengeruch gaben ihr ein Stück weit Ruhe und Ausgeglichenheit. Obwohl sie selbst noch nie in ihrem Leben eine Zigarette in den Mund genommen hatte, beruhigte sie die Gegenwart des Duftes, der ihre Freundin seit ihres vierzehnten Lebensjahr umgab und somit ein Stück weit Familie für sie bedeutete.

"So", Lumina drückte ihre Zigarette in den Spinnen förmigen Aschenbecher auf dem ein rosanes Herz klebte, "erzähl`mal. Wo bist du denn jetzt gelandet?" Rin zögerte nicht lange und holte aus ihrer Handtasche den Vertrag heraus. Diesen hielt sie wedelnd vor der Schwarzhaarigen, die daraufhin laut zu stöhnen begann.

"Kaiba Corp. Ich glaub, ich kotz gleich." Kopfschüttelnd fasste sie sich an die Stirn.

"Ich bin froh, dass mich überhaupt jemand genommen hat", murrte Rin, die auf solch eine Reaktion Seitens ihrer Freundin gefasst gewesen war, "die haben mich kurz vor Schluss angerufen und mir die Pistole auf die Brust gelegt. Ich war schon erstaunt, dass ich es rechtzeitig bis in die Kaiba Corporation geschafft habe."

"Alles arrogante Spinner. Die denken, die können machen was sie wollen. Dass denen jeder hinterherrennt." In dem Fall stimmte es auch. Rin war wie der Teufel gerannt, dass ihr das Herz bis in die Lunge gebrannt hatte. Zeitweise konnte sie ihren eigenen Puls in den Ohren hämmern hören. Ihre Mund hatte sich trocken angefühlt und einen metallischen Geschmack hinterlassen, den sie erst auf dem Heimweg losgeworden war. Auf den letzten Metern hatte sie zu allem Übel Muskelkater bekommen, der ihr fast die Galle in den Rachen gedrückt hatte. Noch nie war Rin um ihr Leben gerannt, aber dieser Moment hatte sich vergleichsweise angefühlt. Sie war stolz auf sich, dass sie nicht zusammengeklappt war. So eine Nummer hätte bestimmt keinen guten Eindruck hinterlassen.

"Und die blauäugige Schmalzlocke?", fragte Lumina und verdrehte bereits die Augen, "der lässt sich zu so was nicht herab."

"Schön wär´s", seufzte Rin und entledigte sich ihres Trenchcoats, den sie auf die Wäscheleine am Fenster trocknen ließ. Vor einer halben Stunde hatte der Regen aufgehört, die Sonne war für den letzten großen Auftritt hervor gekommen und hinterließ das Gefühl von Frühling.

"Sag`nicht", verschränkte die Schwarzhaarige die Arme vor der Brust, "Seine Majestät hat sich von seinem Thron erhoben."

"Er war zumindest da."

"Und?", hakte Lumina nach, "ist er so furcht einflößend wie man sich erzählt?"

"Wenn man drei Weiße in seinem Deck hat, dann schon."

"Was?!", prustete Lumina los. Ihrer Sitznachbarin war weniger zum Lachen zumute gewesen, als sie in sein Antlitz gesehen hate, wissend dass er gleich ihren Lieblingsmonstern - also seinen - begegnen würde.

"Du hast nicht ernsthaft mit deinen weißen Drachen mit eiskaltem Blick gespielt", sichtlich versuchte ihre Freundin das Lachen zu unterdrücken, die Wangen waren von Luft aufgeblasen, um den Augen entstanden winzige Falten.

"Was hätte ich denn machen sollen?", murmelte Rin und sah beleidigt zur Seite, "ich hatte nur mein altes Standarddeck bei mir." Ihr erstes selbst zusammengestelltes Deck trug Rin immer bei sich. Es war eine Art Glücksbringer. Die viele Mühe und Liebe, die sie dort hineingesteckt hatte, erinnere sie daran, warum sie ihren Traum nicht aufgeben durfte. Dass es seit Jahren nicht mehr als Duelldeck genutzt wurde, war eine andere Sache. Wie hätte sie auch ahnen können, von der Kaiba Corporation derart überrumpelt zu werden. Sie konnte froh sein, überhaupt ein Deck bei sich zu tragen, sonst hätte sie die Stelle gleich vergessen können. Ein Schauer durchfuhr sie als sie an den Blick des Braunhaarigen denken musste, der sie und ihre Karten genaustens gemustert hatte. Sein undurchschaubarer Blick hatte es ihr schwer gemacht, sich vollständig zu konzentrieren. Die Tatsache, dass sie eine der mächtigsten Karten von Duell Monsters spielte, für die Seto Kaiba berühmt geworden war, machte es nicht einfacher für sie. Wenn sie sich hätte vorbereiten können, wäre das Duell anders verlaufen und sie hätte sich nicht mit der Peinlichkeit rumschlagen müssen. Vor dem Chef der Kaiba Corporation gerade diese Monster auszuspielen, war mehr als unangenehm gewesen. Sie war sich wie ein kleiner dummer Fan vorgekommen.

"Also", holte sie Lumina zurück aus den Tagträumereien, "musstest du dich duellieren." In groben Zügen schilderte Rin das Probeduelle, das sich eher wie ein kleiner Ausschnitt eines Finalsieges angefühlt hatte.

"Irgendwie war das ganze schon seltsam", Rin stützte sich mit dem Ellenbogen am Fensterrahmen ab und legte das Kinn in die Hand.

"Was hast du denn erwartet? Dass du im Buro sitzt und dir die Frage gestellt wird, wo du dich in drei Jahren siehst?"

"Nicht ganz", zuckte Rin mit den Schultern. Weiter kam sie nicht, als es an der Haustür klingelte und Lumina aus dem Wohnzimmer (welches gleichzeitig auch das Schlafzimmer der Schwarzhaarigen darstellte) schlurfte und das Geld zusammenzählte. Lächelnd sah Rin ihrer Freundin hinterher. Seit über zehn Jahren, seit Lumina mit ihren Eltern aus dem alten Kontinent nach Domino City ausgewandert war, zählte die Schwarzhaarige, die ihr gerade einmal bis zur Schulter ging, zu ihren engsten Freunden. In jedem wichtigen Abschnitt ihres Lebens hatten sie einander unterstützt und Halt gegeben. Lumina war auch die einzige, die ihren Traum vom Duellchampion nicht als Witz abgetan und ihr gut zugeredet hatte, selbst als Rin Zweifel gekommen waren. Für beide kam nach Schulabschluss nichts anderes in Frage als sich eine gemeinsame Wohnung zu suchen und irgendwie über die Runde zu kommen. Während Rin von einem langweiligen Job in den nächsten wechselte, versuchte Lumina ihr Sprachstudium erfolgreich abzuschließen. Mit dem angesparten Vermögen und Rins Überstunden hatten sie sich keine große aber gemütliche Wohnung zulegen können, und mussten nicht in den tiefsten Norden ziehen, dessen Wohnungen mit denen eines Mauselochs mithalten konnten - von Größe und Standard. Rin hoffte, dass sie bald weniger Geldsorgen hatten. Ihr Blick huschte über den zehnseitigen Vertrag, der dieselbe Schriftgröße besitzen musste wie eine Bibel. Stutzig sah sie auf ihre leere Hand als Lumina an ihr vorbeischritt und den Vertrag an sich riss. Mit der anderen Hand balancierte sie die beiden Pizzaschachteln und stellte sie auf den quadratischen Tisch direkt neben dem Fenster, den sie eigentlich nur für Papierkram nutzten.

"Ich weiß", begann Rin und beugte sich zu den Schachteln herüber, dass der Duft von ofenfrischer Pizza in ihre Nase stieg, "es ist erstmal nur Mindestlohn, aber so viel mehr hab ich beim Call Center auch nicht verdient." Dafür hoffte Rin, mit kommenden Duellen viele Boni zu verdienen. Besonders wenn nächste Woche der Duell-Monsters-Worldcup in die erste Runde ging, würden viele nette Preisgelder fließen. Aus den vorherigen Meisterschaften wusste sie, dass die besten drei Spieler Domino-Citys Gelder in Höhe von bis zu zwei Millionen Dollar gewinnen konnten. Zudem führten Beliebtheit und Erfolg zu weiteren lukrativen Verträgen. Wenn sie Glück hatte, würde sie jemand sponsern, dass sie auf gar keine Firma mehr angewiesen war. Aber so weit wollte sie noch nicht denken. Zunächst war sie überglücklich, überhaupt beachtet und für voll genommen worden zu sein. Auch wenn das Bewerbungsgespräch nicht nach ihren Vorstellungen gelaufen war - was für ein Vorstellungsgespräch?! - hatte sie die erste Hürde ihres Traums gemeistert. Eine entscheidende obendrein. Außerdem war sie weit weniger von der Vorstellung angewidert für die Kaiba Corporation zu arbeiten als ihre Freundin. Sie hatte größten Respekt vor Seto Kaiba, sowohl als Geschäftsmann sowie als Duellanten.

"Sag`mal", Lumina zeigte auf Rin, die wieder einmal in ihren eigenen Gedanken gefangen war und kopfschüttelnd daraus erwachte, "bist du so in die Kaiba Corporation gegangen?"

"Denkst du, ich hatte die Chance mich umzuziehen?"

"Jetzt verstehe ich auch, wie du ihn rumbekommen hast."

"Was?!", protestierte Rin und sah zu sich herunter. Augenblicklich wich sämtliches Blut in ihr Gesicht. Ihre Bluse war wie ihr Trenchcoat von den Regenmassen erfasst worden, dass das milchige Weiß durchsichtig ihre Haut zum Vorschein brachte und den ebenfalls weißen Spitzen-BH offen legte.

"Natürlich", ging Rin auf die Spitzeleien ihrer Freundin ein, "ich hab`ihm all meine Vorzüge dargelegt. Für diese Stelle tue ich doch alles", dabei versuchte sie einen lasziven Unterton hinzubekommen, scheiterte aber kläglich, da ihre Lippen in ein breites Grinsen übergingen. Vor Lumina konnte sie solche ironischen Kommentare loslassen. Sie wusste, dass Rin nicht der Typ war, der sich auf solche Spielchen einließ. Es lag weniger an der Moral als an dem Gefühl der Erniedrigung und Unterwerfung, die sie allein bei dem Gedanken daran empfand, sich einem Mann an den Hals zu werfen, für den sie keine Gefühle hegte. Wie sie so auf sich hinabblickte, musste sie unweigerlich daran denken, wie Seto Kaiba sie angesehen hatte. Sie war froh, ihren Trenchcoat anbehalten zu haben, sonst hätte sie tatsächlich noch ein falsches Bild abgegeben.

Herzhaft biss sie in ein großes Stück ihrer Pizza hinein. Genüsslich kauend verfolgte sie die Blicke ihrer Freundin, die in den Vertrag vertieft war und nur zwischendrin an ihren Margerita knabberte.

"Hast du dir mal die Zusatzklauseln durchgelesen?", erklang ihre ernste Stimme, die sie sonst nur beim Lernen aufsetzte, "auch wenn das ein Zweijahresvertrag ist und du keine offizielle Probezeit hast, kannst du jederzeit fliegen, wenn du nicht aufpasst."

"Wie meinst du das?", Rin rutschte an ihre Freundin heran und linste in den Text.

"Hier steht", begann Lumina, "dass du nur eine gewisse Anzahl an Duellen verlieren darfst. Wenn du die überschreitest, wirst du von einem Tag auf den anderen gekündigt. Das gilt auch für Versäumnisse, auffallenden Krankentagen und fehlender Bereitschaft, die >Regeln und Bestimmungen der Kaiba Corporation ordnungsgemäß zu befolgen<"

"Dass ist doch alles kein Thema", winkte Rin ab, "das müssen die doch schreiben, sonst kann man ja bei diesem Job denken, dass man sich auf der faulen Haut ausruhen kann. Außerdem", das letzte Stück wanderte in ihren Mund, "gibt es keinen Weg zurück. Ich habe den Vertrag unterschrieben und dem anderen Saftladen gekündigt. Da stand ja noch die Probezeit aus, von daher war das kein Problem."

"Wollen wir hoffen, dass es sich auszahlt", daraufhin griff Lumina nach zwei Dosen Cola und stieß mit ihrer Freundin an.
 

Im Bett fand Rin keine Ruhe. Die Auswirkungen des Tages zeigten in der spätesten Stunde ihr wahres Ausmaß. Ihr Herz flatterte in der Brust, sie lag auf dem Rücken, die Hände auf den Brustkorb gelegt. Sie konnte nicht aufhören zu grinsen. Die Aufregung fand keine Grenzen, sie wusste nicht, wie sie sich ihrer entladen konnte. Wenn es geholfen hätte, sie wäre auch in Tränen ausgebrochen. Aber dafür war sie nicht der Typ, kein Tropfen rann die Innenseite ihrer Augen entlang. Ihre Händen begannen unruhig auf ihrer Haut zu trommeln. Den Blick zur Seite geneigt, sah sie auf ihr Handy. Die Uhr zeigte weit nach Mitternacht an, trotzdem schrieb sie eine Nachricht an Yamato. Eigentlich war sie noch etwas verunsichert gewesen. Obwohl sie ihm ihre Nummer gegeben hatte, hatte sie noch nicht entschieden, ob sie ihm wirklich antworten wollte. Die Situation hatte sie derart überrumpelt, dass dieses Gefühl in Unsicherheit umgeschwenkt war. In den meisten Fällen ignorierte sie derartige Ereignisse, da sie in der Vergangenheit zu keinem guten Ausgang geführt hatten. Heute war alles anders. Sie war nicht nur gut drauf, sie strotzte vor Selbstbewusstsein und überschwenglicher Freude, dass sie ohne viel nachzudenken drauf los tippte und die Nachricht abschickte.



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