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Under Our Wings

von

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6. Reue und Verbitterung


 

„Man sieht wie verletzt er ist und wie gefährlich das sein kann.“ - (DVD Extra - Kommentar der Filmmacher – Jennifer Yuh Nelson, Melissa Cobb, Raymond Zibach, Rodolphe Guenoden über die finale Szene zwischen Lord Shen und der Wahrsagerin)
 


 

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Die Sonne stand zwar hoch am Himmel, doch es zogen dunkle Wolken auf. Ein klares Zeichen dafür, dass es bald regnen würde. Dennoch hatte Ai es vorgezogen im Dorf ein paar Besorgungen zu machen. Sie wollte unbedingt auf andere Gedanken kommen. Doch kaum war sie nur 10 Minuten lang vom Haus weg, überfiel sie wieder eine Unruhe. So sehr sie auch Angst vor Shens Erwachen hatte, so war ihre Sorge, ihn allein mit seinem Vater ihm Haus zu lassen wesentlich größer. Schnell erledigte sie alle Einkäufe, wobei es nicht sonderlich leicht war, weil die meisten nach Gongmen gegangen waren, um den Sieg über Shen zu feiern. Einmal bekam sie sogar einen Teil eines Gespräches zwischen zwei Dorfschafen mit, die davon berichteten, dass es trotz allem in der Stadt noch recht turbulent zuginge. Irgendjemand würde dort Unruhe stiften. Auch war von Shens Leuten die Rede, die das Gebiet partout nicht verlassen wollten.

Doch Ai war viel zu sehr drum bemüht sich schnell wieder auf den Weg nach Hause zu begeben. Also ließ sie sämtliche Gespräche und Kontakte zu anderen ausfallen und rannte durch das Dorf zurück zur Hütte.
 

So chaotisch und laut es auch in der Stadt zugehen mochte, umso ruhiger und leiser war es in der Hütte, die das Pfauenpaar bewohnte.

Lord Liang hatte die ganze Nacht über kaum ein Auge zugetan. Zwar hatte er bis zur Abenddämmerung gestern noch durchgeschlafen, dennoch fühlte er sich extrem müde und abgeschlagen. Er kam sich vor als wäre er 20 Jahre nochmal gealtert. Und kaum hatte Ai das Haus verlassen, sank er am Esszimmertisch zusammen und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Eigentlich wollte er nur etwas dösen, doch dann war er innerhalb kürzester Zeit eingeschlafen.

Es vergingen mehrere Minuten. Draußen wehte ab und zu eine starke Brise durch die Baumwipfel über der Hütte. Nichts anderes schien die Ruhe zu stören. Jeder im Haus schlief tief und fest. Bis auf einmal ein leises Stöhnen hinter dem Vorhang erklang. Der Körper des weißen Pfaus im Bettlager zuckte leicht. Doch es waren nur seine Muskeln, die reflexartig auf die Zerstörung im Fleisch und Nerven reagierten. Noch spürte er die Schmerzen nicht. Erst als sein Unterbewusstsein nach und nach vom Bewusstsein abgelöst wurde, nahm der ehemalige Kriegsherr einen tiefen nach Luft ringenden Atemzug. Shen krampfte kurz zusammen und bewegte dabei unglücklicherweise zu heftig seinen frisch operierten Flügel. Der weiße Pfau stieß einen erstickten Schrei aus. Reflexartig schlug er neben sich. Griff ihn jemand an? Befand er sich in einem Kampf?

Er griff unter sich. Seine Fingerfedern krallten sich in die Decke und Kissen. Wie ein Blinder tastete er die Umgebung ab, wobei er äußerst hektische Bewegungen vollführte. Diese ungewohnte Umgebung versetzte ihn kurzfristig in Panik. Er konnte sich nicht erklären, wie er den Zusammenhang zwischen im Bett liegen und Schmerzen verstehen sollte. Normalerweise hatte er nie Schmerzen im Bett. Außer anfangs, als er immer zu trainiert hatte und bei der Waffenherstellung….

Er presste die Augenlider zusammen, als die starken Schmerzen am Kopf auf ihn einschlugen. Schwer atmend versuchte er diesen Schmerzpegel unter Kontrolle zu bekommen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so starke Schmerzen gehabt hatte.

Hatte er sich bei einem seiner Experimente verschätzt?

Seine befiederte Hand wanderte zu der Quelle des Schmerzes in seinem Gesicht. Er fühlte Verbände. Der Lord zuckte bei dieser Berührung zusammen und dies entlockte einen erneuten jammernden Ton von ihm.

Schließlich schaffte er es gleichmäßig kräftig ein und aus zu atmen. Nachdem sich seine Anspannung einigermaßen gelegt hatte, gelang es ihm seine Augen etwas zu öffnen. Obwohl seine Gesichtsmuskeln extrem weh taten, der Drang zu wissen, was um ihn herum war, überwand die Schmerzgrenze.

Über ihm befand sich eine dunkle Holzdecke. Neben ihm stand eine Wand, auf der anderen Seite ein Vorhang.

Shen wollte sich sofort aufrichten, doch ein gleißender Schmerz ließ ihn sofort wieder zurücksinken. Sein Flügel ging erneut auf Wanderschaft und er fühlte weitere Verbände um seinen verletzten Flügel und auf seinem Bauch unter der Decke.

Plötzlich fiel ihm auf, dass er nichts anhatte. Er schlug die Bettdecke beiseite. Seine Robe war weg! Hastig deckte er sich wieder zu.

Wer um alles in der Welt hatte es gewagt ihm die Kleidung auszuziehen? Niemandem war es erlaubt ihn unbekleidet zu sehen.

Empört über diese Demütigung spannte er erneut die Rückenmuskulatur an, doch die frische Wunde auf seinem Bauch zwang ihn dazu liegen zu bleiben.

Eine Weile blieb er so. Sein Brustkorb hob und senkte sich stark. In seinem Kopf herrschte immer noch völliges Chaos.

Was machte er hier? Und vor allem, wie kam er hierher? Was war überhaupt passiert?

Dann fiel es ihm wieder ein und jetzt tat ihm nicht nur sein Körper, sondern auch seine Seele weh. Er hatte verloren. Alles hatte er verloren. Da war kein Ausweg gewesen. Er hatte keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als nur noch seinem ursprünglichen Ziel zu folgen…

Das Letzte, woran er sich erinnerte war als die Kanone auf ihn fiel. Er hatte die Augen geschlossen und sämtliche Gefühle seines Körpers ausgeschaltet. Es hatte nicht sonderlich weh getan. Das schwere Gewicht der Kanone musste so enorm gewesen sein, ohne, dass er großartig was davon gemerkt hatte. Da war nur ein lauter Knall gewesen… und…

Shen blinzelte kräftiger. Aber was machte er dann hier? Das konnte doch nicht das Leben im Jenseits sein. Es war doch unmöglich, dass man danach noch Schmerzen spürte. Wo blieb da die Schmerzlosigkeit?

Stöhnten drehte er den Kopf zur Seite und suchte mit seinen Augen den Spalt im Vorhang. Als er ihn endlich gefunden hatte, hob er mühsam einen Flügel. Der Raum dahinter war nicht sonderlich hell. Doch es genügte Shen, um etwas zu erkennen. Er befand sich eindeutig in einer Hütte. Vor ihm stand ein Tisch und mehrere Stühle drum herum. Und an diesem Tisch saß zusammengesunken eine Gestalt.

Shen kniff die Augen zusammen. Es war ein grüner Pfau, doch das merkwürdige an ihm war, dass er keine langen Schwanzfedern besaß. Wie konnte das sein? Er versuchte näher an den Vorhangspalt heranzurücken, doch er konnte nicht.

Plötzlich waren auf der Terrasse vor der Tür Schritte zu hören. Schnell ließ er den Stoff wieder los und ließ sich wieder aufs Kissen sinken. Jemand öffnete die Tür. Eine Person trat ein und die Stimme einer Frau flüsterte in den Raum: „Liang?“

Der weiße Kriegsherr meinte der Unfall hat jetzt sein Gehirn völlig zerstört. Das war doch… nein, das konnte nicht sein… doch diese Stimme… und dieser Name.

„Liang? Bist du wach?“

Irgendjemand murmelte etwas. „Mm, tut mir leid, ich bin wohl kurz eingenickt.“

Shen kniff die Augen zusammen. Seine Sinne mussten komplett verrückt geworden sein. Oder war das alles nur eine irreale Welt? War er irgendwo in einem Zwischenleben oder in einer anderen Dimension im Universum gelandet? Er war verletzt. Das konnte nur heißen, das waren Spuren von der Explosion, die er noch in Erinnerung hatte, doch warum hörte er jetzt Stimmen, die wie seine Eltern klangen? Noch dazu hörte er den Namen von seinem Vater. Shen schüttelte den Kopf. Nein, es gab viele, die so hießen. Das konnte nur ein Zufall sein. Aber diese Stimmen… Shen presste die Augenlider zusammen. Das konnte nicht real sein. Er drehte den Kopf abwechselnd nach rechts und nach links. Er wollte ihre Stimmen nicht mehr hören. Sie sollten aus seinem Kopf verschwinden.

„Ist er aufgewacht?“, fuhr die Stimme seiner vermeintlichen Mutter fort.

„Ich hab noch nicht nachgesehen“, antwortete die Person, die die Frau zuvor mit Liang angesprochen hatte. „Warte kurz.“

Shen war hin und her gerissen. Schritte näherten sich seinem Bettlager. Doch kaum hörte er das Rascheln des Vorhanges, schloss er schnell die Augen und tat so als würde er schlafen.

Er spürte den Blick der Person. Er musste regelrecht dagegen ankämpfen nicht die Augen aufzumachen. Erleichtert hörte er wie die Person den Vorhang wieder schloss.

„Er schläft noch.“

Jemand atmete erleichtert auf.

„Ist wohl auch besser so“, fuhr die Frauenstimme fort, die wie seine Mutter klang. „Allerdings wird er wohl nicht ewig so bleiben.“

Einer der beiden ließ sich auf einem Stuhl nieder, während die andere Person leise im Raum auf und ab ging.

„Was sollen wir ihm sagen?“, fragte die weibliche Stimme weiter.

„Was wohl?“, meinte die nach seinem Vater klingende Stimme. „Natürlich die Wahrheit, alles andere wird er nicht akzeptieren.“

„Aber wird er die Wahrheit verkraften können?“, äußerte die Frau ihre Bedenken.

Liang seufzte schwer. „Wir haben es gemeinsam getan. Wir wussten, dass der Tag irgendwann kommen würde, an dem wir es ihm sagen müssen.“

Eine weitere Schweigephase entstand, bevor die Frau das Gespräch fortsetzte. „18 Jahre sind eine lange Zeit. 18 Jahre lang haben wir es ihm verschwiegen. Wie wird er das verarbeiten, wenn er erfährt, dass Eltern ihrem Kind verheimlichen, dass sie noch leben?“

Shen meinte sein Herz würde aussetzen. Nein! Das durfte nicht sein! Das konnte alles nicht real sein. In welchem Teil des Universums war er nur gelandet?

„Er wird es schon verstehen“, meinte die Stimme von Liang. „Irgendwie. Wir müssen das Beste hoffen, Ai.“

Als er den Namen seiner Mutter hörte, presste der weiße Pfau seinen Flügel auf seinen Schnabel. Nur mit großer Mühe konnte er verhindern nicht laut loszuweinen. Sein Schnabel bebte, und am Ende sein ganzer Körper. Er fand nur schwer die Beherrschung wieder. Er wusste einfach nicht, was er denken sollte. Doch bevor er innerlich völlig zusammenbrach, hörte er seine Mutter sagen: „Ich mach uns jetzt was zu Essen.“

Erleichterung machte sich in ihm breit, als sie das Esszimmer verließen. Er schluckte mehrere Male bevor er den zittrigen Flügel vom Schnabel runternahm und wieder durch den Vorhang spähte. Dann sah er sie. Sie hatten ihm zwar den Rücken zugewandt und auch ihr Gefieder war anders. Aber sie waren es. Ihre Stimmen, ihre Gesichter, die sich seit seiner Geburt in sein Gedächtnis eingebrannt hatten.

Angespannt sah er zu, wie sie in der Küche verschwanden.

Zuerst lag er eine Weile da wie erstarrt, dann verengte er die Augen.

Was treibt ihr für ein Spiel mit mir?
 

Es war spät am Abend. Draußen hatte es angefangen etwas zu tröpfeln, aber der große Regen hielt sich noch zurück.

Das Ehepaar hatte sich ins Schlafzimmer zurückgezogen. Zuvor hatten sie noch nach Shen gesehen. Er war immer noch unverändert. Ai machte sich Sorgen, und hoffte, dass er nicht in ein Koma gefallen war. Als es dann Zeit für sie war schlafen zu gehen, begaben sie sich zu Bett. Ai stellte eine Kerze auf einer Kommode ab, während Liang die Bettdecken und die Kissen ausschüttelte. Als Ai ihm dabei half die Decke zur Seite zu schlagen, nahm sie eine Bewegung im Türrahmen wahr. Sofort schaute Ai zur Tür und erschrak. Liang bemerkte ihre Reaktion und sah nun ebenfalls zur Tür. Die Eltern erstarrten, als sie in das düstere Gesicht ihres Sohnes sahen, der sie feindselig anstarrte. Seine Flügel waren an dem Türrahmen gestützt. Er war noch etwas geschwächt, aber vollständig bei Bewusstsein. Und das was sein Bewusstsein sah und begriff, überstieg sein Fassungsvermögen. Auch seine alte Robe hatte er sich angezogen. Ai hatte sie zwar gewaschen, aber es waren immer noch leichte Blutflecken drauf zu sehen.

Shens Mutter löste sich als Erste aus ihrer Erstarrung. Er war anders als am Tag zuvor, wo er noch bewusstlos gewesen war. Jetzt waren seine Augen offen und klar. Ai war so überwältig von diesem Anblick, dass sie nicht wusste, ob sie weinen oder jubeln sollte. Die Augen, von denen sie gedacht hatte, sie nie wieder zu sehen. Doch dann wandelte sich ihr Innerstes wieder in tiefe Bestürzung. Das letzte Mal als sie diese Augen gesehen hatte, waren sie in Hass auseinander gegangen.

„Shen“, hauchte sie. Mehr wusste sie nicht zu sagen.

„So tot… seht ihr… gar nicht aus“, keuchte Shen eisig. Er hatte immer noch starke Schmerzen, doch er hatte im Laufe der Stunden, wo er wieder bei Bewusstsein war, gelernt sie zu kontrollieren. Sein kalter Blick wanderte zu seinem Vater.

„Das ist nicht das Leben nach dem Tod, oder?“, forschte Shen barsch. „Dafür wirkt ihr beide viel zu lebendig.“

Liang schluckte schwer. Sein Sohn sah ihn so böse an, dass er kaum den Mut aufbrachte, etwas zu sagen. Shen sah aus, als würde er jeden Moment losschreien, und er wusste, dass es so kommen würde. Schließlich hob Liang den Kopf. Er wollte nicht wie ein verwirrter Greis dastehen und setzte zu einer formellen, aber tonlosen Begrüßung an. Auch wenn er sein Sohn war, so musste er seine Würde als ehemaliger edler Herrscher wahren, und nicht vergessen was Shen für ein schlimmes Verbrechen begangen hatte.

„Es ist schön dich wiederzusehen…“

„IHR HABT GELOGEN!“, brüllte Shen ihn an.

Das ließ seinen Vater dann doch zusammenzucken, fasste sich aber sofort wieder. „Wenn du uns ausreden lässt, dann wirst du es auch verstehen können. Das ist kein Grund sich aufzuregen…“

„Ich soll mich nicht aufregen?!“, keifte Shen ihm dazwischen. „Ich soll mich nicht aufregen?! Über all die Jahre lebe ich mit dem Gedanken, dass ihr tot wärt! Was hab ihr erwartet?! Das ist an eurem Grab weine? Wolltet ihr sehen wie ich um Vergebung bettle?!“

Ai schüttelte bestürzt den Kopf. „Nein, aber wir fanden, dass dies die einzige Möglichkeit war, bei dir zu sein.“

Für einen Moment stand Shen nur laut atmend da. Dann lächelte er kalt. „Ach, fein. Okay, ihr habt mich gesehen. Dann könnt ihr ja wieder verschwinden.“

Ai warf Liang einen hilfesuchenden Blick zu, doch dieser war erst mal vorsichtig mit dem was er sagte. Schließlich ging Ai um das Bett herum und stand jetzt etwas näher bei ihrem Sohn. Sie versuchte ihn anzulächeln. „Shen, du bist krank. Da können wir dich nicht alleine lassen.“

Der schneidende Blick ihres Sohnes ließ sie förmlich einfrieren.

Krank. Krank. Krank. Krank.

Ein Wort, dass auf seiner Hassliste ganz oben stand. Die Lippen des Pfaus begannen zu beben.

„ICH BIN NICHT KRANK!“

„Ich meinte, deine Wunden. Deine Wunden, Shen“, versuchte Ai ihn zu besänftigen. „Du bist verletzt…“

Sie streckte ihre Flügel nach ihm aus. Doch er wich ihr aus, als hätte sie Feuer an den befiederten Händen.

„FASS – mich – nicht – an - …. Mutter. Oder soll ich dich überhaupt noch so nennen?“

Ai presste ihre Flügel an ihren Körper. Sie sah so verloren aus. Shens Blick wanderte zu Liang. Dieser fing den Blick seines Sohnes auf und beide starrten sich finster an. Zwischen den beiden Pfauen bahnte sich eine Anspannung an, die so gewaltig war wie der stärkste Sprengstoff. Es genügte nur ein Funke, um das ganze zur Explosion zu bringen, wenn nicht einer von beiden nachgab.

Schließlich war es Liang, der sich aus dem Blickgefecht zurückzog. Mit gesenktem Kopf ging er zu seiner Frau und zog sie eng zu sich heran.

„Sohn, es ist spät“, sagte er mit fester Stimme. „Wir reden am besten morgen weiter. Jetzt musst du dich erst einmal erholen.“

Shen kniff zornig die Augen zusammen. „Mein Verstand ist absolut klar! - Jedenfalls besser als DEINER!“

„Shhh!“, wies sein Vater ihn an. „Wir sind hier am Rande von einem Dorf. Man darf dich hier nicht finden.“

Shen fauchte laut. „Nur mich nicht – oder auch euch nicht?“

Liang nahm einen extrem tiefen Atemzug, der seiner Lunge wehtat. Er war kurz davor wie am letzten Abend in Tränen auszubrechen. Doch er beherrschte sich noch im letzten Augenblick. Er wollte eine Szene vermeiden. Nicht nur um Shens Wut zu drosseln, sondern auch um zu verhindern, dass seine Frau noch in Verzweiflung ausbrach. Schließlich fiel ihm nichts anderes ein als zu sagen: „Möchtest du etwas essen?“

Im Nachhinein kam Liang diese Aussage völlig lächerlich vor, was sein Sohn auch sofort anprangerte.

„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Vater?“

Darauf erwiderte Liang nichts. Er wollte nichts mehr sagen. Für ihn war die Diskussion beendet. Shen kannte diese Geste von seinem Vater nur zu gut. Aber ihm gedemütigt den Rücken zuzukehren, diesen Gefallen wollte er ihm nicht tun. Stattdessen ging der weiße Pfau rückwärts aus dem Zimmer, wobei er seine Eltern gar nicht aus den Augen ließ. Da war nichts von Gegenliebe was er ihnen in seinem Blick entgegen brachte. Es war Verachtung. Einfach nur verächtliche Verachtung. Schließlich verschwand er aus dem Lichtpegel und seine Eltern blieben mit ihrem Elend allein zurück.

Plötzlich hörten sie wie die Tür aufgerissen wurde und jemand nach draußen lief.

„Shen!“

Sofort rannte Ai zur offenen Tür. Doch als sie auf der Terrasse stand, war Shen nicht mehr zu sehen. Bestürzt schlug sich die Pfauenhenne die Flügel vor dem Schnabel. „Oh nein.“

Im nächsten Moment war auch Liang neben ihr und starrte fassungslos nach draußen in die dunkle Nacht. Sein Blick wanderte zum Himmel. Es fielen immer noch vereinzelte Regentropfen, doch er wusste, dass sich das Wetter nicht ewig halten würde.

Ai drückte sich an ihm und begann zu weinen. Beruhigend streichelte ihr Mann über ihren Rücken. Sie hatten geahnt, dass es so kommen würde. Aber was sollten sie jetzt machen?



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