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Under these Scars

Teil Vier der BtB Serie
von

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Wolf or lost sheep?

Vom Scheißehaufen in ein Piranhabecken.

 

In Dunkelheit kauernd lauschte Ibiki der Stille, während Anspannung in hohen Wellen durch ihn rauschte. Es war ein seltsames Gefühl; dieses Adrenalin, das vor und zurück jagte. Er hatte sich selbst immer als kaltblütigen Hai betrachtet, aber hier, in den tief roten Wassern von KERNs Unterwelt schwimmend, konnte er spüren, wie seine Instinkte ausgeflippt schrien, dass er viel zu tief war. 

 

Und dabei, noch tiefer zu tauchen…

 

Er hielt auch seinen Atem an, als er mit raschen, geräuschlosen Schritten den Korridor entlang strich, verhüllt von einem Hengejutsu, das ihm das Aussehen eines jungen Anästhesisten mit platinfarbenem Haar verlieh. Ein großer, gertenschlanker Junge, den Ibiki vorhin mit seiner Faust anästhesiert hatte. Keine Zeit für Finesse oder ein faires Spiel. Einfach nur ein direkter Schlag. Dem Ganzen hatte er dann noch ein paar Spritzen Betäubungsmittel hinterher geschoben, bevor er den schlaffen Körper in einem Raum voller Liegen, Sauerstoffflaschen und verschiedenen anderen Krankenhausutensilien abgeladen hatte. 

 

Er sollte für etwa drei Stunden außer Gefecht sein…

 

Ibiki brauchte nur eine. Vielleicht sogar weniger, wenn Mushi seinen Part beitrug. Bisher hatte der Doktor gut abgeliefert, sein Wort gehalten, ebenso wie Eier aus Stahl. Er hatte Ibiki einen groben Grundriss besorgt, der es ihm ermöglicht hatte, sich durch das Abwassersystem zu navigieren und die nächste Revisionsöffnung zu finden. Es war eine schmutzige Angelegenheit gewesen, den Gestank abzuwaschen, aber die Mühe, in diesen Ort hinein zu kommen, war nichts im Vergleich zu der komplizierten Aufgabe, Naoki hier rauszuholen. 

 

Finde ihn erstmal.

 

Er hob eine Hand, um das Mikrofon zu berühren, das an der Innenseite seines Revers befestigt war, hörte das schwache Knacken von Statik in seinem Ohrstöpsel. „Morino an Inago“, murmelte er mit einer Stimme, die wegen des Hengejutsus kaum erkennbar war. 

 

Rauschen erfüllte die Leitung, dann erklang eine so schwache Stimme, dass er die Ohren spitzen musste. „Inago bestätigt.“ 

 

Erleichtert hauchte Ibiki ein Seufzen. „Haltet euch bereit.“

 

„Das sind wir.“

 

Das war alles an Versicherung, was er brauchte. 

 

Während er die kaninchenbauartigen Korridore des Eingangsbereichs umrundete, schlüpfte Ibiki ein bisschen weiter in die Rolle seiner geliehenen Persönlichkeit – Heisuke, laut Namensschild – und veränderte seinen Gang, seine Haltung und sogar seine Psyche. Er nahm eine Aura fauler Vertrautheit an, die den Eindruck vermittelte, er würde ganz genau wissen, was er tat und dass er auch jedes Recht hatte, hier zu sein. 

 

Bullshit vom Allerfeinsten. 

 

Als er so dahin lief, nahm er aufmerksam alles in sich auf, markierte Fluchtwege und brachte sich die Informationen in den Sinn, die Mushi mit ihm geteilt hatte. Überwiegend als begehbare Unfallklinik gestaltet, nahm das gesamte medizinische Zentrum nur eine einzige Etage ein, die in verschiedene Flügel aufgeteilt war. Laut Mushi befand sich die Intensivstation am anderen Ende. 

 

Ziemlich unkompliziert.

 

Aber eine ruhige Überfahrt bedeutete für gewöhnlich, dass sich Eisberge direkt vor einem befanden. Mit beiläufig wirkenden, scannenden Augen, passierte Ibiki ein paar Reanimationsräume und betrat einen offenen Bereich, der mit verhängten Abteilungen und Kabinen versehen war. Eine Krankenschwesterstation, die aus einem einzigen, hufeisenförmigen Schreibtisch und zwei Stühlen bestand, befand sich in der Mitte. Nichts Hochmodernes oder Glänzendes. Funktionell. Wie die gesamte Einrichtung. Nur durch den Bodensatz der Finanzierung am Laufen gehalten, durch die der Ursprung überlebte. 

 

Der Ort war leer, geradezu tot. 

 

Nur eine einzige Krankenschwester im Dienst. Sie hob nicht einmal den Blick, weil sie viel zu beschäftigt war, irgendwelche Notizen zu kritzeln. Rasch lief Ibiki an ihr vorbei und blickte dabei zielstrebig drein. Am Ende des Korridors erspähte er Mushi und seine Aufmerksamkeit richtete sich auf das Klemmbrett, das er sich gegen den Arm drückte, seine Miene zu künstlicher Konzentration verzerrt. Er schien ziemlich gefasst zu sein, aber die Achselhöhlen seines Haori waren feucht von Schweiß. Nervös nestelte er an dem Schlüsselband herum, das um seinen Hals hing. Kleine Tics, kleine Anzeichen. 

 

Beiläufig winkte Ibiki. „Ziemlich warm hier unten“, sagte er. Der vereinbarte Code. 

 

Mushi sah auf, traf seinen Blick und zögerte kurz, bevor er antwortete: „War schon heißer.“ Übersetzung: Die Sicherheitsvorkehrungen waren nicht so hoch wie erwartet. 

 

Ibiki wusste es besser, als sich davon in Sicherheit wiegen zu lassen. Mit scharfen Augen scannte er die Gänge, bevor er Mushi in die Intensivstation folgte. Sie war in drei Räume aufgeteilt und sie schritten an den ersten beiden vorbei, um sich dem dritten zu nähern. Als Mushi ein Zeichen vollführte und das Passwort sprach, um das Sicherheitssiegel zu deaktivieren, legte Ibiki den Kopf schief, um durch das Beobachtungsfenster hinein zu schielen, wobei er einen flüchtigen Blick auf den einzigen Patienten im Raum erhaschte. 

 

„Verdammt“, raunte Ibiki. 

 

Mushi sah zu ihm und suchte wohl nach einer Emotion, die er nicht finden würde. „Rasch“, drängte er, als er in dem Raum verschwand. 

 

Dicht auf den Fersen folgte Ibiki ihm, löste das Hengejutsu auf und machte sich eilig daran, die Rollos über das Observationsfenster zu ziehen und die Tür zu sichern. Sobald er das erledigt hatte, wandte er sich wieder dem Bett zu, erschüttert von dem Anblick, mit dem er konfrontiert wurde – er könnte nicht weiter von dem entfernt sein, den er durch Genmas Fotos in seinem Verstand hatte. 

 

Bei allen Göttern…was hat Shuken dir nur angetan?

 

Umgeben von dem Piepen, Surren und Zischen von Maschinen, lag Naoki geradezu beigesetzt in einer Stille, so endgültig wie der Tod, auf dem Bett. Abgemagert bis fast auf das Skelett spannte sich seine äscherne Haut so schwach und durchscheinend wie Pergament über Ebenen verkümmerter Muskeln und hervorstehende Knochen. Von ihm schien nichts mehr übrig zu sein, außer gebrochene Neigungen und abgemagerte Kanten, die Konturen seines Gesichtes scharf genug, dass man sich daran schneiden könnte. Die lange, flachsfarbene Mähne war brutal geschnitten worden und hing nur noch in schlafen, abgehackten Strähnen nach unten, jeder Glanz davon fort, als hätte man dem Haar das Leben ausgesogen. Ein breites Band aus Hämatomen und Narben umringte seinen Hals und deutete auf Ketten oder irgendeine Art Würgehalsband hin. 

 

Dieses gestörte, kranke Stück Scheiße…

 

Aber hier hörten die Verstümmelungen nicht auf. Naokis Körper bestand mehr aus Narbengewebe als aus Haut. Es war wenig überraschend, dass er in einen septischen Schock verfallen war, bevor er direkt nach seinem Kreislauf auch seinen Verstand lahmgelegt hatte. Langsam wanderte Ibikis Blick hinauf zu den zahllosen Infusionen, die sich aus Naokis sehnigen Händen und Armbeugen erstreckten. Intubationsleitungen schlängelten sich aus Mund und Nase des Yamanaka und zogen Ibikis Aufmerksamkeit zu der grausamen Narbe, die sich in einem grauenvollen Grinsen von Naokis rechtem Mundwinkel bis über seine Wange hinauf zu seinem Ohr schnitt. 

 

Da ihm die Worte fehlten, schüttelte Ibiki den Kopf und wandte sich ab. 

 

Hart stierte er auf die Wand, auf das große, rechteckige Lüftungsgitter, das abgestandene Luft in den Raum hustete. Dieser Ort war wie ein Grab. Stille presste sich gegen seinen Schädel, filterte sogar das statische Piepsen der Maschinen, das leise Tropfen der Infusionen und auch das laute, zischende Surren des Beatmungsgeräts. Das einige Geräusch in Ibikis Kopf war das laute Tick-Tack der Zeit, die ungerührt dahin floss. 

 

Es dauerte eine lange Minute, bevor er sprach: „Du hast gesagt, er könnte verlegt werden.“

 

Jetzt trat auch Mushi an das Bett und legte eine bandagierte Hand auf den Handlauf. „Das kann er. Vorausgesetzt, wir halten die Beatmung, den Kreislauf und die Verabreichung aller lebenswichtigen Flüssigkeiten aufrecht, die sie ihm geben.“

 

Ibiki warf ihm einen Blick zu, der Blut vergießen konnte, als seine bemerkenswerte Ruhe drohte, Risse zu bekommen. „Dir ist wohl einfach nur entgangen, mir zu sagen, dass er wir eine gottverfickte Platine verdrahtet ist.“

 

„Ich habe dir gesagt, dass es unmöglich ist“, erwiderte Mushi leise und kopfschüttelnd. „Wir brauchen eine entsprechend ausgerüstete Trage, einen Beatmungsbeutel, intravenöse Pumpen, Vasopressoren und einen Sanitäter in sofortiger Bereitschaft.“

 

„Besorg mir ein BMV-Beatmungsgerät und ich kümmere mich um den Rest.“

 

Mushi stieß ein fassungsloses Lachen aus und stierte ihn mit offenem Mund an. „Mein Gott, Ibiki, ich dachte, dass ihn zu sehen ausreichen würde, um dich zu überzeugen. Du willst immer noch weiter machen und ihn wirklich hier raus-?“

 

Mit bebenden Nasenflügeln trat Ibiki nur einen einzigen Schritt nach vorn. 

 

Sofort schluckte Ibiki seine restlichen Worte hinunter und schrumpfte in sich zusammen. „Ich werde dir besorgen, was du brauchst. Aber ich kann nicht garantieren, dass es reichen wird.“

 

„Ich brauche deine Garantien nicht, nur deine Kooperation. Außer natürlich du willst, dass ich mir mal deine andere Hand vornehme?“

 

Eine unnötige Drohung, aber sie goss ein bisschen Öl ins Feuer und brachte Mushi dazu, sich schneller zu bewegen. Der gute Doktor verschwendete keine Zeit, aus dem Zimmer zu huschen. Nachdem er gegangen war, vergewisserte sich Ibiki, dass die Tür gesichert war und linste kurz durch die Rollos, um zu überprüfen, dass keine Schwestern im Gang standen, bevor er sich wieder Naoki zuwandte und einen Blick auf das eingefallene Gesicht warf. 

 

„Na schön, Agent“, murmelte er. „Dann wollen wir dich mal hier rausholen.“

 

Das war gefährlich nah an einem Versprechen. Ibiki gab keine Versprechen, die er nicht halten konnte. Nicht, dass ihn irgendjemand zur Verantwortung ziehen würde, wenn das hier scheitern sollte. Und trotzdem lastete das Gewicht dieser Aufgabe schwer auf ihm und das aus Gründen, die er nicht näher erforschen wollte. Gründe, die auf zahllose Krankenhauszimmer zurück zu datieren waren, in denen Hayate niedergestreckt und schwach gelegen hatte, als er mit allem, was er noch hatte, gegen den Krebs gekämpft hatte, der sich durch seine Lungen fraß. 

 

Ja, Ibiki hasste Krankenhäuser. 

 

Der Geruch, die Anblicke, die Geräusche all dieser Maschinen. Seltsam. Eigentlich hätte er sich wie zuhause fühlen müssen, wenn man bedachte, wie mechanisch er selbst geworden war. Schnaubend schaltete er diese Gedanken ab, bevor sie Fahrt aufnehmen konnten. 

 

Stattdessen machte er sich an die Arbeit. 

 

Als er sich Naokis Bett näherte, packte er den Handlauf und zog es gerade weit genug nach vorn, um einen kleinen Raum zwischen Kopfteil und Wand zu erschaffen. Schläuche klapperten, der Infusionsständer rollte ein bisschen hin und her. Ibikis Blick zuckte zu den Geräten und beobachtete die akkordeonartigen Bewegungen des Beatmungsgerätes, während er dem rauschenden Zisch lauschte. Keine unerwünschten Blinklichter oder Piepser. 

 

Zumindest noch nicht. 

 

Grunzend ging Ibiki in die Hocke, zog eine dünne Messertasche hervor und entrollte sie auf dem Boden. Sechs Kunai funkelten in ihren Plätzen. Aber nicht irgendwelche Kunai. Diese Messer hatten drei Zinken statt einem, ihre Griffe waren kräftiger und mit je einem Siegel markiert. 

 

Hiraishin Kunai…

 

Die charakteristischen Waffen des Yondaime, Namikaze Minato. 

 

Der Sandaime und die Ältesten hatten diese Waffen Jahre nach dem Vorfall mit dem Kyūbi sichergestellt. Sie waren in einem von Minatos geheimen Unterschlupfen direkt außerhalb von Konohagakure verwahrt worden. Während sich die Goei Shōtai zwar die meisten der Hiraishin Kunai genommen hatten, hatten die Ältesten ihrer eigenen ANBU-Einheit ein Dutzend dieser legendären Klingen gegeben. 

 

Und sechs dieser Klingen befanden sich momentan in Ibikis Besitz. 

 

Die anderen sechs befanden sich in den Händen der ANBU-Einheit, die Ibiki jetzt kontaktierte, als er sein Mikrofon berührte und rasch sprach. „Morino an Inago.“

 

„Inago bestätigt.“

 

„Ich brauche die vollständigen Funktionen einer Intensivstation an eurem Ende. Notfalltrage und Sanitäter. Auch ungeachtet der Strapazen des Transports, wird er nur um Haaresbreite von TBA entfernt sein.“

 

„Verstanden. Zeit?“

 

„Vierzig Minuten.“

 

„Wir werden bereit sein.“

 

Ibiki kappte die Leitung, zog die Kunai aus ihren Plätzen und rammte das erste davon in den Boden am Fuße der Liege. Diesen Prozess wiederholte er um das ganze Bett herum, um Naoki mit einem Ring aus Klingen zu umgeben. Als nächstes folgten die stabilisierenden Siegel. Ibiki zog die Papierstreifen hervor und steckte sie zwischen die Kunai und unter die Liege, was Kopf und Fuß des Bettes einschloss. Ein paar pinnte er auch an die Decke; nur für alle Fälle. 

 

Nachdem er das alles erledigt hatte, stand Ibiki mit dem letzten Siegel in der Hand da. 

 

Dieses eine platzierte er auf Naokis Brust; direkt über dem schwach schlagenden Herzen. Keine Garantien…aber alle Vorkehrungen waren getroffen worden. Es war das Beste und alles, was er tun konnte. Rasch trat Ibiki zurück, überprüfte noch zweimal seine Arbeit und stieß dann einen Atem aus. 

 

„Du hast den Tod schon dreimal betrogen“, murmelte er. „Enttäusch uns jetzt nicht.“

 

Sechs schnelle Klopfer an der Tür. 

 

Ibiki näherte sich der Tür und öffnete sie einen Spalt breit. Mit schweißbenetzter Stirn und einem Einweg-BVM-Beatmungsbeutel in der Hand stand Mushi da. Er sah blass aus. Erschüttert. Ibiki fragte gar nicht erst, was er getan hatte, um an den Beatmungsbeutel ran zu kommen. Scherte ihn auch einen feuchten Kehricht. Er winkte den Doktor herein und sah noch einmal hinaus in den Gang, suchte nach Bewegungen und lauschte nach Stimmen. 

 

Keine Aktivitäten. 

 

Keine schrillenden Alarmsirenen. 

 

Es konnte losgehen. 

 

Rasch schloss Ibiki die Tür ab, wandte sich wieder dem Bett zu und erstarrte abrupt. „Was verfickt nochmal machst du da?“

 

Mit einem Skalpell an Naokis Hals gelegt stand Mushi am Bett, seine bandagierte Hand ruhte auf dem Rand. Es standen Tränen in den Augen des Doktors. „Es tut mir leid Ibiki. Aber ich kann dich das nicht tun lassen.“

 

~❃~

 

„Wie können sie das nur tun?“, fauchte Ino, während sie die Länge des Gästezimmers auf und ab tigerte und ihre lange, blonde Mähne wie ein verärgerter Schweif hin und her peitschte. „Das ist lächerlich!“

 

Sie konnte Chōjis Augen auf sich spüren. Er saß in einem der Rattanstühle und hatte die Ellbogen auf seinen Schenkeln abgelegt, als er sie unter dichten Brauen musterte. „Ino. Sei etwas leiser.“

 

Schnaubend warf sie einen vernichtenden Blick auf die Tür, da sie sich nur zu bewusst war, dass ein Nagu Wächter auf der anderen Seite stand. Scheiß drauf. Es scherte sie einen Dreck. Scherte sich einen feuchten Rattenarsch, wer sie hörte. Kibas tragischer Versuch des Singens war ein immer noch andauernder Ohrenschmerz, der durch den gesamten Gästebereich schallte. Seine Stimme heulte die Korridore entlang und füllte ihr ‚luxuriöses‘ Gefängnis mit gelegentlichen Ausbrüchen von Jaulen und Liedern. 

 

„HALT’S MAUL!“, bellte Naruto aus einem anderen Raum. 

 

Kiba sang nur noch energischer. 

 

Ino hätte vielleicht Mitleid mit wem auch immer verspürt, der mit ihm zusammen eingesperrt war, aber sie war viel zu angepisst, um vernünftig denken zu können. „Warum haben sie uns nicht einfach zusammen mit Shikamaru in den Kerkern eingesperrt? Warum diese Samthandschuh-Behandlung?“

 

Seufzend erhob sich Chōji. „Ino.“

 

Schnaubend warf sie abweisend die Hände in die Luft und fuhr fort, aufgewühlte Kreise zu drehen. „Das ist einfach nur ein riesiges Missverständnis. Es muss so sein. Shikamaru ist nicht dumm. Sicher, er war ein bisschen von der Rolle, aber auf keinen Fall würde er etwas so-“

 

Chōji legte eine starke, erdende Hand auf ihre Schulter. „Ino.“

 

Sie drehte sich aus dem Griff frei und wirbelte mit aufblitzenden Augen zu ihm herum. „Was auch immer sie ihm vorwerfen. Er hat es nicht getan.“

 

„Ino-“

 

„Sabotage? Infiltration?“ Sie stieß ein kurzes, hysterisches Lachen aus. „Sind die denn völlig bekloppt?“

 

Chōji sagte nichts. Das tat weh. Es sorgte dafür, dass sie sich fragte, ob er wohl dachte, sie wäre bekloppt. Denn so wie er sie ansah?

 

Vielleicht war sie es. Bekloppt sauer. Direkt am Rande ihres Yamanaka Temperaments. Aber das war gerechtfertigt. Oder etwa nicht? Diese Anschuldigungen gegen Shikamaru waren lächerlich.

 

Also warum sprang Chōji dann nicht zu seiner Verteidigung ein?

 

Während sie ihren Zorn hinunter schluckte, packte Ino Chōji bei den Unterarmen und atmete langsam aus. „Chōji…er ist viel zu clever, um etwas so Dummes zu tun. Etwas so Leichtsinniges. Du weißt das. Ich weiß das. Sie suchen nur nach einem Sündenbock oder sowas.“

 

„Oder sowas…“, echote Chōji leise und mit angespannter Miene. 

 

Ino blinzelte ihn an und riss dann ihre Hände zurück, als würde er etwas Toxisches ausstrahlen. Und das tat er. Zweifel. Er schwärte wie eine giftige Wolke zwischen ihnen. Energisch schüttelte Ino den Kopf. „Wie kannst du das sagen? Wie kannst du nur an ihm zweifeln? Nach allem, was passier-“

 

„Nach allem, was passiert ist, wie könnte ich da nicht?“

 

Inos Magen sackte in ihre Kniekehlen und zerrte dabei auch etwas von der Farbe aus ihrer Haut. Taumelnd wich sie einen Schritt zurück und ließ dabei ihren Blick in einem Versuch über Chōjis Gesicht wandern, den Zwiespalt zu entwurzeln, der sich in seiner Miene festgesetzt hatte. In seinen Augen. Das gehörte nicht auf sein Gesicht. Nicht bei Chōji. Ihrem Fels. Ihrer Standhaftigkeit. Ihrem sicheren Hafen in jedem Ino-Shika-Cho Sturm. 

 

Sie kam wieder nach vorn und packte seine Ellbogen. „Ich brauche dich in dieser Sache“, sagte sie mit einer Stimme, die von den Emotionen erstickt wurde, die in ihrer Kehle flatterten – in ihrem Herzen. „Ich brauche dich an meiner Seite. Eine vereinte Front. Das ist es, was wir tun, Chōji. Es liegt an uns. Das bedeutet es, zu-“

 

„Wir belügen uns nicht“, knurrte Chōji mit bebender Brust, bevor er seine Atmung beruhigte. „Das ist nicht, was wir tun. Und wir haben das jetzt schon viel zu lange getan. Sogar vor Asumas-“

 

Inos Augen flammten auf. „Nicht!“ Sie ließ eine Faust gegen seine gepanzerte Brust krachen und lehnte sich mit gebleckten Zähnen und gezischten Worten an ihn. „Wag es nicht, Sensei mit da rein zu ziehen!“

 

Chōji schluckte schwer und seine dunklen Augen schimmerten qualerfüllt. „Warum? War es nicht das, was wir zuvor immer getan haben?“

 

Ein überraschender Schlag in die Magengegend hätte ihr weniger Luft geraubt als diese Frage. Zurück zuckend starrte Ino ihn mit offenem Mund an, als wäre sie kurzatmig, bevor sie fast an einem zerbrochenen „Was?“ erstickte. 

 

Langsam schlossen sich Chōjis Augen, als er sich von ihr ab- und dem vergitterten Katōmado Fenster zuwandte und seine großen Hände bebend einatmend gegen den glockenförmigen Rahmen stützte. „Es ist, als ob wir uns selbst eingeredet haben, dass es okay war, Shikamarus Lügen einfach so durchgehen zu lassen…weil wir wussten, dass Sensei derjenige sein würde, der ihn letztendlich erwischt und ihn darauf anspricht. Wir sprechen ihn nie darauf an.“

 

„Das ist nicht wahr.“

 

„Das ist eine Lüge!“, knurrte Chōji und rammte dabei die Seiten seiner Fäuste hart genug gegen das Gitter, um das Holz brechen zu lassen. „Hör auf zu LÜGEN!“

 

Bewegungen vor der Tür, der Nagu Wächter war offenbar alarmiert. 

 

Doch Ino bemerkte das kaum, ihre Schultern hoben sich, als sie wegen Chōjis Ausbruch schwankte und jeder Muskel in ihr spannte sich in Ablehnung dessen an, was sie gerade miterlebte. Chōji verlor nicht seine Fassung. Shikamaru verlor nicht seinen Verstand. Das war alles falsch. Alles falsch. Und ein trauriges, kindisches Empfinden von Verlassenwerden und Frustration stieg verängstigt und zornig in ihr auf. Die beiden Menschen, denen sie am meisten vertraute, die Eckpfeiler, die seit Asumas Tod ihre Welt stützten, fingen an, zu zerbröckeln. 

 

„Chōji…“ Sie quetschte seinen Namen an dem dumpfen Schmerz in ihrer Kehle vorbei, an der Qual, die sich durch ihren Kiefer zog. „Bitte…“

 

Die Lider immer noch krampfhaft geschlossen, lehnte Chōji seine Stirn gegen den gesplitterten Rahmen. Seine Stimme war angespannt von dem zurückgehaltenen Bedürfnis, zu schreien. „Es ist, als würden wir das inzwischen ganz automatisch tun. Wir lügen…belügen uns selbst…und einander. Und ich rede mir ständig ein, dass wir ihn nicht darauf ansprechen, weil es nicht das ist, was er braucht und auch nicht das, worauf er bei uns zählt…aber ich lag falsch…ich war ein Feigling, dass ich es nicht früher gesehen habe…dass ich ihn nicht schon früher damit konfrontiert habe.“

 

„Chōji…“

 

Wütend schüttelte er den Kopf und die Luft pfiff in heißen Strömen aus seiner Nase, als er versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Ich war ein Feigling, Ino. Shikamaru hat es selbst gesagt…und er hatte Recht. Er hat mir gesagt, ich solle ihm gegenüber geradeheraus sein. Dass ich nicht einmal Worte nutzen muss. Er hat mir gesagt, dass er kein Problem damit hat, direkt zu mir zu sein…dass ich ihm einfach sagen sollte, was ich denke…dass wenn du und ich pissig auf ihn wären, wir auch bissig auf ihn sein sollen…aber ich konnte nicht. Ich hatte nicht den Mut, das zu tun…und das hat uns etwas gekostet, Ino. Aber wir haben es einfach begraben…weil wir dachten, wir könnten ihn einfach so mit einem Spiel Pictionary und ein paar guten Lachern wieder zurück bringen.“

 

Ino japste, als hätte er ihr etwas weggenommen. „Bitte…“

 

Er schniefte laut und sah durch die Schlitze im Gitter nach draußen…und als er sich schließlich zu ihr umwandte, schimmerten Tränen nass in seinen Augen. „Wann ist das mit uns passiert, Ino? Wann sind wir zu Leuten geworden, die alles einfach nur unter den Teppich kehren? Wann haben wir aufgehört, zueinander zu stehen und auch füreinander? Wann haben wir uns entschlossen, dass es bedeutet, wir wären gespalten, sollten wir uns gegenseitig auf unseren Mist ansprechen? Wann genau haben wir uns dazu entschlossen, dass das die richtige Entscheidung war?“

 

Sie hätte nicht antworten können. Nicht einmal, wenn sie die Stimme gefunden hätte, um zu sprechen. Mit gefluteten Augen stierte sie ihn an und ihre Wimpern waren nur noch eine erbärmliche Barriere. Sie konnte nicht argumentieren. Sie konnte nicht kämpfen. Sie war vollständig entwaffnet. Am Boden zerstört. Er hatte ihr sämtliche Luft gestohlen. Ihre fragile Verleugnung. Alles davon war schlagartig in die Kluft gesogen worden, von der sie nie gewusst hatte, dass sie zwischen der Ino-Shika-Cho Trinität existierte. 

 

Lügnerin…du wusstest es…

 

Und wenn sie es gewusst hatte…dann hatte sie vielleicht zu viel Angst davor gehabt, einen Blick darauf zu werfen. 

 

Nicht Chōji ist der Feigling…DU bist es…

 

Sie wich einen weiteren, zitternden Schritt nach hinten, da sie nicht in der Lage war, den Mut aufzubringen, ihm auf halbem Weg zu begegnen. Diese Kluft, dieser Abgrund, an dem er stand. Sie konnte sich nicht auf diese Linie begeben. Sie war zu schmal. Der Fall war zu tief. „Warum…?“, wisperte sie mit tränenerstickter Stimme. „Warum sagst du…?“

 

Der Zorn wich so abrupt aus Chōji, dass seine Schultern mehrere Zentimeter absackten. Panzerplatten klirrten, als er schrumpfte und sich seine Fäuste an seinen Seiten lockerten. Aber er gab nicht nach. Bewegte sich nicht von diesem Abgrund fort. Stattdessen machte er einen weiteren Schritt darauf zu, auf sie zu, näherte sich mit Tränen in den Augen und seinem Herzen auf der Zunge. „Weil, genau wie Shikamaru gesagt hat, Sensei nicht hier ist, um mir den Kopf zu tätscheln, oder meine Hand zu halten. Ich muss mich dem stellen. Was gerade mit Shikamaru abgeht? Das ist auch unsere Sache, Ino. Denn Asuma ist nicht hier, um unsere Lücken zu füllen und ihn zurück zu bringen.“

 

Er hatte Recht. Natürlich hatte er Recht. Aber sie brachte es nicht über sich, es auch zu sagen. Als würde das vielleicht die Schleusen zu all dem Falschen öffnen, von dem sie zugelassen hatten, dass es sich aufbaute. Kopfschüttelnd hob sie ein Stück die Fäuste, als wollte sie ihn schlagen, ihm weh tun. 

 

Langsam breitete er die Arme aus, als würde er das willkommen heißen, ohne ihren Blick loszulassen. „Ino. Es liegt an uns.

 

Uns…

 

Inos Herz pochte bei diesem Wort und ihre Fäuste lösten sich. Sie hob ihre Hände an die Wangen, presste die Lider aufeinander und spürte, wie die Tränen über ihre Finger flossen. „Du hast Recht…es tut mir leid…es tut mir leid…“

 

Chōjis Hände legten sich sanft, aber stark auf ihre Arme. „Komm her.“

 

„Nein.“ Rasch stemmte Ino ihre Hände an die Hüften und blinzelte himmelwärts, als sie versuchte, die Tränen durch schiere Willenskraft aufzuhalten. „Wenn du mich in den Arm nimmst, dann flenne ich.“

 

„Du weinst doch schon.“

 

Schniefend hob sie das Kinn zu einem mürrischen Winkel und versuchte es mit einer frechen Antwort. „Zählt so zu tun, als würde ich das nicht machen, als lügen?“

 

Er schmunzelte traurig. „Ja. In mein Gesicht.

 

Das brach sie ein bisschen. Sie lachte, aber der Klang verfing sich in ihrer Kehle…zersplitterte zu einem Schluchzen. Chōji zog sie nah an sich und sie lehnte sich an ihn, presste ihre Wange gegen die glatte, kühle Platte seiner Rüstung. 

 

„Es wird alles gut“, murmelte er. 

 

Und sie glaubte ihm. Fühlte das sichere Anspannen seiner Arme und das sanfte Gewicht seines Kinns an ihrer Stirn und sie glaubte ihm. Denn irgendetwas anderes zu glauben, war keine Option, wenn er sie so hielt. Stabil. Sicher. So sicher und stabil, wie sie sich auch vor einer Woche gefühlt hatte, als sie im schützenden Kreis von Shikamarus Armen gestanden und im Regen geschluchzt hatte. 

 

~❃~

 

Blütenblätter von Azaleen wirbelten im Staub; rosa und zerbrechlich und wie Konfetti auf der harten Straße nach unten fallend, die zu Nogusas Anwesen führte. Wie ein Gefangener lief Neji diesen Weg entlang, marschierte steif zu dem Klappern von Huftieren und dem Schnappen der erhobenen, goldgrünen Standarten, die in der Brise flatterten. 

 

Reiter der Nagu umgaben ihn. 

 

Er lief im Schatten ihrer gepanzerten Rösser, aber er lief nicht allein. Katsu lief neben ihm, hatte das Angebot eines Pferdes strikt abgelehnt. Während das einerseits auf eine Unterstützung des Hyūga hindeuten konnte, konnte es auch genauso gut auf Argwohn hindeuten. Es war vollkommen offen für Interpretationen – genauso wie die unleserliche Miene auf Katsus Gesicht. 

 

Und Neji machte sich keine Mühe, zu versuchen, die Gedanken oder Intentionen des Nagu zu dechiffrieren. Es war ja schon schwer genug, sich über seine eigenen klar zu werden. 

 

Was hast du getan, Nara?

 

In einem Innenhof mit weißem Kies wurden die Pferde langsamer und ließen ihren Marsch anhalten. Katsu trat nach vorn und der Kreis von Reitern teilte sich, drei von ihnen stiegen ab. Bedächtig bedeutete Katsu Neji, ihm zu folgen. Neji setzte sich in Bewegung und war nicht überrascht, als er von den drei Nagu eingekreist wurde; zwei flankierten ihn und einer bildete das Schlusslicht, während Katsu an der Spitze ging. 

 

Keine Ketten oder Seile nötig. 

 

Sie passierten drei verzierte, gusseiserne Tore und vier große Gärten, stets im Auge behalten von den immer präsenten Nagu, die an verschiedenen Stellen entlang der überdachten Terrassen und Gehwege stationiert waren. Neji hielt seinen Kopf nach vorn und seine Augen nach unten gerichtet, da er keine Aggression provozieren oder eine ohnehin schon prekäre Situation verschlimmern wollte. Albern, fast schon lachhaft, wie der Erfolg ihrer Mission eine solch unerwartete Wendung genommen hatte. 

 

Du Narr. 

 

Er hätte Shikamarus Tenketsu in der Sekunde blockieren sollen, als sie von Konoha aufgebrochen waren. Er war geblendet gewesen – schon wieder – von seinen ungelösten Gefühlen, die er für den Schattenninja empfand. Gefühle, die sein Urteilsvermögen und besseres Wissen völlig überwältigt und ihn dazu gedrängt hatten, Shikamaru die Zuvorkommenheit einer Wahl zu gewähren; obwohl er um die Risiken gewusst hatte. 

 

Götter, ich habe diese ganze Mission in Gefahr gebracht und das nur wegen des blinden Glaubens, ich würde ihn gut genug kennen, um ihn voraussagen zu können…

 

Es war nicht das erste Mal, dass Neji getäuscht worden war. Nur war die Schande dafür diesmal einzig und allein ihm selbst zuzuschreiben. Immerhin war Shikamaru ein bekennender Lügner…und auch wenn es so viel einfacher wäre zu glauben, dass er ausmanövriert oder manipuliert worden war – schon wieder – wusste Neji tief in seinem Inneren, dass er zugelassen hatte, dass das geschah. Sein Nichtstun hatte es zugelassen. Sein Scheitern darin, das zu tun, was notwendig war. 

 

Er hat dich gewarnt, oder nicht? Die Zeichen waren von Anfang an da. Er hat dich nicht betrogen. Du hast dich selbst betrogen. Das tust du immer, wenn es um ihn geht…nicht wahr?

 

Müßige Frage. Er schüttelte leicht den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden, fühlte aber, wie sie sich verfingen und kratzten…Enterhaken an den Wänden innerhalb von Wänden, die um sein Herz aufragten. Er konnte spüren, wie die Emotionen diese Wände erklommen; zusammen mit dem kalten Empfinden von Furcht. 

 

Konzentrier dich.

 

Als sie einen alten, hölzernen Säulengang zu dem goldgekachelten Empfangspavillon durchquerten, hielt Neji hinter Katsu inne,da ihnen ein offiziell gekleideter Ältester auf halbem Weg entgegenkam. Er winkte den Hyūuga nach vorn und Neji spähte kurz zu Katsu, bevor er sich selbst in der erwarteten Manier ankündigte und leicht verneigte. 

 

„Ich bin Hyūga Neji, Jōnin Taichou der Einheit aus Konoha. Ich bin in Wahrnehmung einer Vorladung von Nogusa-sama und dem Bankon Konzil gekommen.“

 

Bei dieser Gelegenheit war Neji sehr froh um die Chance, sich auf Zeremonie zurückfallen lassen zu können. Der Älteste schien mit dieser formellen Erwiderung äußerst zufrieden zu sein und führte sie zum Eingang des Pavillons. Nachdem Neji aus seinen Sandalen geschlüpft war, trat er hinter Katsu ein. Der Pavillon war achteckig und riesig – mehr als vierzig Matten breit – und wurde von einer Phönixthematik dominiert. Tintenmalereien von Feuervögeln und Flammen bedeckten die Wände und Paneele. 

 

Frei fliegend…

 

Qualerfüllt riss Neji seinen Blick von den Illustrationen fort. Er wurde angewiesen, sich zwischen zwei Reihen aus Ratsmitgliedern auf den weichen Strohmatten hin zu knien. Sie alle trugen ihre vertrauten Gewänder aus blassgelben Roben, weichen Samtpantoffeln und lackierten Hofmützen. 

 

Nogusa saß auf dem erhöhtem Podium direkt vor ihm und seine unfassbar blauen Augen glühten eiskalt. 

 

An seiner Seite kniete sich Katsu neben ihn. 

 

Neji verneigte sich tief bis zum Boden und kündigte sich auf dieselbe formale Manier an, wie gerade eben. Danach machte er keinerlei Anstalten, den Kopf zu heben, oder sich aufzurichten. Für eine gute Minute ließ Nogusa ihn in dieser Position warten, bevor er das Wort ergriff. 

 

„Hebe dein Haupt, Hyūga.“

 

Mit den Händen auf den Schenkeln tat Neji, wie ihm geheißen, die Augen zu einem respektvollen Grad gesenkt. Er spürte ein starkes und schweres Pulsieren in seiner Kehle, wie einen Taiko Trommelschlag seines Herzens.

 

Und dann sprach Nogusa erneut mit einer täuschend sanften Stimme. „Ich habe sowohl mein Vertrauen, als auch meine Freundschaftlichkeit in euch gesetzt, Hyūga“, begann er, während er den kalten, eisernen Rücken seines Gunsen Kriegsfächers in einem deutlichen Tap gegen seine Handfläche klopfte. „Ich habe die immense Beleidigung von Konohas Anschuldigungen verziehen.“ Tap. „Ich habe ein vollständiges Dorf abriegeln lassen.“ Tap. „Ich habe entgegen meiner Ratsmitglieder gehandelt.“ Tap. „Meiner Vorgänger.“ Tap-tap. Seine Stimme nahm an Lautstärke zu. „Ich habe euch die Unterstützung der Nagu Butai angeboten, habe euch sicheres Geleit und Zugang zu Kusagakures versteckten Einrichtungen gewährt, habe euch die Erlaubnis gestattet, Projekte und Abteilungen aufzulösen, was meine Leute Ressourcen, Zeit, Leben gekostet hat.“ Abrupt brach er ab, klatschte den Gunsen in seine Handfläche und packte ihn mit einer verkrampften Faust, während er die Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, richteten sie sich wie kalte Wintersterne auf Neji. „Ich habe euch alles geboten, was mir zur Verfügung steht. Alles in gutem Glauben. Und ihr zahlt es mir zurück, indem ihr versucht, Kusagakure heimlich zu infiltrieren?“

 

Mit angespanntem Kiefer und absackendem Magen, legte Neji langsam seine Handflächen auf den Boden und verneigte sich erneut, bis seine Stirn die Strohmatten berührte. „Nogusa-sama, ich bereue zutiefst, was geschehen ist und bitte für alle Verbrechen um Verzeihung, die während meiner Abwesenheit begangen worden sind. Ich übernehme die volle Verantwortung für diesen unehrenhaften Vertrauensbruch und bitte respektvoll um die Gelegenheit und die Erlaubnis, alles begangene Unrecht wieder gut zu machen.“ Langsam richtete er sich wieder auf, die Augen abgewandt und den Körper nach vorn geneigt, um eine teilweise Verbeugung aufrecht zu halten. „Was auch immer ihr von mir verlangt, ich werde mich dem fügen.“

 

Stille…

 

Die elementare Art…

 

Frost in den Lungen und Eiswasser in den Eingeweiden…

 

Neji verharrte regungslos, nur seine Mokkasträhnen zitterten leicht in seinem Atem. Er spürte das Frösteln kalten Schweißes an seinem Nacken, wie das Empfinden einer Guillotine an seiner Haut. Aber noch stärker war das Empfinden von Nogusas unheimlichen, arktisch blauen Augen, die sich über die kurze Distanz hinweg in ihn bohrten. 

 

Noch mehr Stille. 

 

Dann ein Rhythmus. Das langsame Tap, Tap, Tap des Kriegsfächers gegen Nogusas Handfläche, der synkopierte Takt passend zum pochenden Puls an Nejis Kehle…ein Schlag, zwei Schläge, drei Schläge…

 

„Diese harschen Worte schmerzen mich“, sagte Nogusa. „Und ich bin nichts, wenn nicht ein gerechter Mann. Aber im Lichte all der Ungerechtigkeiten, die Kusagakure in der Vergangenheit angetan worden sind, kann ich nicht zulassen, dass der Erfolg eurer Mission mein Urteil in dieser Angelegenheit trübt.“ Er machte eine Pause und ließ den Mantel des Schweigens auf diese Erkenntnis niedergehen, bevor er mit seinen nächsten Worten den Staub davon heraus schüttelte. „Doch aus demselben Grund kann ich die Taten eines einzigen Verräters nicht all denen vorwerfen, die unserem Bündnis gegenüber loyal geblieben sind.“

 

Nejis Augen weiteten sich und sein Kopf hob sich ein Stück.

 

Auch die Ratsmitglieder regten sich in einem Raunen von Missbilligung und Überraschung. „Aber Nogusa-sama!“

 

Sofort hob Nogusa seinen Gunsen, verlangte völliges Schweigen und sprach mit unantastbarer Autorität: „Allerdings. Es muss eine Entschädigung für die Verbrechen dieses Individuums geben. Das ist dir klar, Hyūga?“

 

Fassungslos brauchte Neji einen langen Moment, um zu antworten. Das war fürwahr übel. Aber er hatte weit Schlimmeres erwartet. Ruckartig nickte er, bevor er erneut den Kopf beugte. „Ihr seid großzügig, Herr.“

 

„Ich bin fair“, korrigierte Nogusa mit leicht erhobener Stimme. „Bringt den Gefangenen herein.“

 

Nejis Brust verkrampfte sich, aber er hielt seine Stellung zusammen mit seiner Atmung, während sein Herz hinter seinen Rippen hämmerte. Er hörte das Schlurfen von Schritten, das unverwechselbare Klirren und Rasseln von Fesseln. 

 

Eine Shojitür öffnete sich. 

 

Unfähig, seinen Kopf zu heben, spähte Neji durch seine Wimpern zu dem offenen Durchgang und seine Wirbelsäule versteifte sich in ungläubigem Schock. Es war nicht Shikamaru, der da in Ketten gefesselt stand. 

 

Es war Sai. 

 

~❃~

 

Es war surreal. 

 

Ein Schnappschuss, der nicht hierher passte. 

 

Fassungslos stierte Ibiki durch den Raum auf Mushi, wobei er das Gefühl hatte, der Projektor in seinem Verstand hätte sich an einem falsch platzierten Dia verhakt. Er blinzelte langsam und stieß einen kühlen Atem durch seine Nase aus. „Leg das Skalpell weg, Doktor.“

 

Mushis Lippen pressten sich zu einem dünnen, qualvollen Lächeln zusammen und seine Augen schimmerten nass. „Es hätte nie so sein sollen, Ibiki. Aber ich…ich habe diesen Mann im Stich gelassen. Es hätte schon vor Tagen vorbei sein sollen. Lange, bevor Inoichi irgendwas von Wert extrahieren konnte…aber ich bin gescheitert…“

 

Ibikis Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. „Wovon redest du?“

 

„Nirvana“, murmelte Mushi, seine Augen blicklos auf Naoki gerichtet und seine Stimme zu einem vertraulichen Raunen gesenkt. „Ich habe versucht, ihm Nirvana zu besorgen, um sein Leiden zu beenden, aber ich konnte es nicht auftreiben.“ Seine Brauen zuckten und er schüttelte leicht den Kopf. „Danzō behandelt diese Agenten wie Hunde…aber nicht einmal Hunde sind dazu gemacht, so zu leiden. Wir verlängern ihr Leiden und ihren Schmerz nicht. Wir schläfern sie ein.“

 

Bei Buddhas blutigen Eiern. War klar, dass der gute Doktor einen verdrehten Anfall von Gewissen haben würde. Da er den Riss sah, nutzte Ibiki ihn direkt, um Halt zu finden. „Also das ist deine Lösung dafür? Ihn mit einem Gnadenstoß umbringen?“

 

Mushi zuckte beim Wort umbringen zusammen. „Das ist nicht, was ich -“

 

„Zur Hölle ist es das nicht“, schnappte Ibiki, während er die Hände in Naokis Richtung ausbreitete. „Du kannst so viel mit Ethik um dich werden, wie du willst, kannst es als Euthanasie verkleiden und dir selbst vormachen, du würdest nur einen Akt der aktiven Sterbehilfe vollziehen, aber lass mich dich etwas fragen, Mushi – was gibt ausgerechnet dir das Recht, das zu entscheiden?“

 

„Ich könnte dich dasselbe fragen. Bist du nicht selbst hierher geschickt worden, um ihn umzubringen?“

 

Diese Frage traf auf einen entscheidenden Punkt. Vergoss sogar ein bisschen Blut. Riss ein weiteres Stück aus seiner Seele. Und Ibiki zuckte nicht einmal mit den Wimpern. „Wenn ich ihn umbringen wollte, dann hätte ich das in der Sekunde gemacht, als du aus dieser Tür verschwunden bist.“

 

Zögern flackerte über Mushis Gesicht und er verlagerte leicht das Gewicht, während sich sein Griff um das Skalpell herum anspannte. „Selbst wenn wir es schaffen sollten, ihn von Danzō weg zu kriegen, glaubst du ernsthaft, dass dieser kriegslüsterne Militant das einfach auf sich beruhen lassen wird? Dass Inoichi das einfach auf sich beruhen lassen wird? Nein. Das können sie nicht. Das werden sie nicht. Und wenn einer von den beiden von Shikamaru erfährt…“ Hier brach Mushi kopfschüttelnd ab…als käme die Vollendung dieses Gedankens einer Prophezeiung gleich. „Das ist meine Schuld...wenn ich…wenn ich es nur früher gewusst hätte…wer er war…was er wusste…ich hätte es niemals so weit kommen lassen…“ Inzwischen zitterte Mushis Hand und die Klinge mit ihr. „Aber diese…diese Tragödie…sie muss hier enden.“

 

Shit. Ibiki beobachtete ihn und die Zahnräder in seinem Verstand rasten. „Mushi…wenn du das tust, dann gibt es kein Zurück mehr.“

 

Ein bitteres und zerbrochenes Lachen. „Du hast Recht. Dafür haben wir gesorgt…unser System der Lügen, nicht?“ Er neigte die Klinge gegen Naokis Kehle, gegen die Halsschlagader. „Du wolltest doch, dass ich meine Loyalität gegenüber diesem System unter Beweis stelle.“

 

Fuck. Langsam hob Ibiki den Kopf und trat nach vorn. „Mushi-“

 

Du wolltest meine Motive wissen, Morino.“ Mushis Augen zuckten nach oben und ließen Ibiki innehalten. „Nun, hier sind sie. Und sie sind so ehrlich, wie sie es schon immer gewesen sind. Die Nara und ihre Geheimnisse zu schützen. Das war mein Schwur an den Sandaime. Das war unser Schwur.“

 

„Das war es. Das ist es.“ Ibiki hielt seine Hände weiterhin nach außen und streckte eine nach Mushi aus, während die andere zu dem komatösen Körper auf dem Bett gestikulierte. „Und dieser Mann hier. Der, den kaltblütig ermorden willst. Es war auch sein Schwur.“

 

Die Klinge an Tenkas Kehle schwankte. 

 

Es war genug, dieser schwache Tremor des Zweifels. Ibiki klammerte sich daran und folgte ihm zurück bis zur emotionalen Wurzel. Der Doktor wollte das nicht tun. Nicht in seinem Herzen. Aber er war ein Kopfmensch, ein Mann der Vernunft. Ein Mann, der versuchte, eine kalte, logische Entscheidung zu treffen, von der er aber nicht herzlos oder abgehärtet genug war, sie auch zu begehen. 

 

Er ist kein Killer. Und was auch immer er getan hat, er sorgt sich um Shikamaru…um Shikaku…

 

Und Ibiki appellierte an diese Fürsorge, an diese Emotion. „Mushi…alles, was Shikaku durchmachen musste, alles, was Shikamaru durchmachen musste…niemand weiß das besser als du und der Mann auf diesem Bett. Tenka hat alles aufgegeben, weil er daran geglaubt hat, dieselben Menschen zu beschützen, die du schützt. Und ja, er war auch bereit, dafür zu sterben. Auf dem Höhepunkt seines Lebens war er bereit, dafür zu sterben. In den zwölf Jahren, seit er diese Entscheidung getroffen hat, hat sich nichts verändert…nur das Monster, das die Klinge an seinen Hals hält.“

 

Mushi zuckte zusammen, als hätte man ihn erstochen und seine Lippen zogen sich in einer Grimasse über seinen klappernden Zähnen zurück. Es war eine Miene, die halb Zorn und halb Abscheu war. „Wag es nicht, mich mit Shuken zu vergleichen. Ich bin kein Monster.“

 

„Nein. Aber das wirst du sein, wenn du das tust. Tenka mag zwar dazu bereit gewesen sein, zu sterben…aber bist dudazu bereit, als der zu leben, der ihn umgebracht hat?“

 

Ein bebender Atem rasselte von Mushis Mund, seine Lippen verzogen sich und inzwischen lief sogar seine Nase. Er schwitzte heftig, seine Brille benebelte und die gesprungenen Linsen reflektieren das schlanke, weiße Glimmen des Skalpells. 

 

Ibiki konnte seine Augen nicht sehen. 

 

Kein gutes Zeichen.

 

Aber dann neigte sich die Klinge fort…

 

Als Mushi das Wort ergriff, richtete er es direkt an Tenka und seine Stimme war nur ein leises Wispern, als könnte irgendetwas Lauteres vielleicht riskieren, ihn zu wecken. „Was du für Shikamaru, für die Nara getan hast, war ein Akt unbesungener Tapferkeit, der niemals vergessen werden sollte. Wegen all der Geheimnisse und all der Lügen…darf diese Wahrheit niemals sterben. Und das wird sie auch nicht. Ich verspreche, dass sie nicht sterben wird.“ Schniefend senkte Mushi seine bandagierte Hand vom Bett und packte Tenkas ausgemergelten Arm in einem zaghaften Griff. „Du hast deine Pflicht getan, Tenka.“

 

Erleichterung. Sie kam wie eine Woge. Und für einen Moment war Ibiki in ihrer Tide gefangen. Die Anspannung seines Körpers ebbte nur ein bisschen zu früh ab und ein bisschen zu spät bemerkte er, dass sich Mushis Mund noch immer bewegte und Worte sprach, als wären sie unter Wasser…

 

„Du hast deine Pflicht getan“, murmelte er. „Und ich muss das auch.“

 

Und einfach so; kehrten sich die Gezeiten um. 

 

In einem einzigen, brutalen Ruck riss Mushi die Sauerstoffschläuche aus Naokis Mund und Kehle, schlitzte die dünnen Plastikkanülen auf und schwang das Skalpell in einem Schimmern von Licht hoch nach oben, als das Licht von der Klinge funkelte wie ein Wellenkamm unter der strahlenden Sonne…

 

Eine Welle des Todes…

 

Eine Flut aus Blut…

 

Als Ibiki losstürzte, um das aufzuhalten, hatte er das Gefühl, als würde er sich durch Wasser oder Sand bewegen…und er wusste mit einer entsetzlichen, erschütternden Klarheit, dass er es nicht rechtzeitig schaffen würde. 

 

Aber das musste er auch gar nicht. 

 

Denn etwas explodierte aus dem Lüftungsschacht hinter Mushis Kopf. Ein knurrender Blitz aus Krallen und Fangzähnen, der den Doktor traf wie ein Donnerschlag. 

 

Kakashis Ninken. 

 

~❃~

 

Nogusa wartete. 

 

Wartete darauf, dass Neji Sai den Wölfen vorwarf. 

 

Besagte Wölfe, das Bankon Konzil, saßen als kaltäugiges Rudel da und heulten stumm. Aber dieses Schweigen hatte Zähne. Und sie versenkten sich in Neji; zusammen mit seinem Gewissen. Als er umher sah, legte sich sein Blick flüchtig auf Sai. Der ANBU Künstler kniete steif in Ketten gelegt und starrte blicklos vor sich hin. Keine Miene. Keine Erwartung dessen, was kommen würde. 

 

Das ist nicht seine Schuld. 

 

Nein. Es war Nejis. Weil er Shikamaru vertraut hatte, sein Wort zu halten und das, obwohl er wusste, dass sich der Schattenninja überhaupt nicht in der Verfassung befand, sich an irgendeine Vereinbarung zu halten, geschweige denn an ein Versprechen. 

 

Du Narr. 

 

Mehr als nur ein Narr, er war ein Feigling gewesen, diese Aufgabe an Sai zu übertragen. Die Bürde lag auf ihm…und das schon seit dem Beginn der Mission. 

 

Die Mission. 

 

Da war er nicht gescheitert. Sie hatten sie abgeschlossen. Alles, was jetzt noch zu tun war, war, die Integrität des Dorfes aufrecht zu erhalten. Shikamaru hatte das kompromittiert…und Neji hatte es zugelassen. Er war der Arroganz – oder vielleicht auch der törichten, bitteren Hoffnung – zum Opfer gefallen, anzunehmen, er könnte seine ANBU Mission dirigieren, ohne direkt an dieser Sache beteiligt zu sein. 

 

Du hast zugelassen, dass dich deine Gefühle für ihn schwächen. Und deine Schwäche kam dich teuer zu stehen. Schon wieder. 

 

Nur, wie viel es ihn gekostet hatte, blieb abzuwarten. Was auch immer der Preis war, er musste ihn zahlen. Das war seine Pflicht. Das war seine Rolle. 

 

Das ist meine Wahl.

 

Wahl. Kontrolle. Und damit kam auch ein zurückgewonnenes Gefühl der Ruhe. „Nogusa-sama“, sagte Neji letztendlich. „Als Taichou übernehme ich vollständige Schuld für dieses Verbrechen. Nur durch mein Scheitern konnte das passieren. Ich bitte darum, dass jede Strafe, die von Euch und Eurem Konzil verhängt wird, mir auferlegt wird. Lasst mich die Bestrafung tragen. Mich trifft die Schuld.“

 

Mit weiten Augen schoss Sais Kopf nach oben. 

 

Den Blick auf den Boden gerichtet, ignorierte Neji ihn. 

 

Für eine lange Zeit antwortete Nogusa nicht…und als er schließlich das Wort ergriff, richtete er es nicht an Neji, sondern an die Wölfe, die in ihren seidenen Schafspelzen und lackierten Hofmützen dahockten. „Lasst uns allein.“

 

Die fassungslose Stille, die diesen Worten folgte, hatte mehr als nur Zähne. Sie schwankte mit Heulen ungehörten Protesten. Dieser knappe Befehl der Entlassung reduzierte das Konzil von Wölfen auf Hunde…und Neji konnte nicht umhin, sich über die Macht zu wundern, die Nogusa über sie hatte. So mächtig und vorherrschend, dass nicht einmal ein einziger der Ratsmitglieder protestierend die Stimme erheben wollte. War das Respekt? Liebe? Angst? Eine Kombination aus all dem?

 

Was auch immer es war, es scheuchte das gesamte Konzil in einem Mantel des Schweigens aus dem Pavillon. Sieben Nagu blieben zurück. Zwei von ihnen flankierten Sai, vier standen hinter Nogusa. Und dann war da noch Katsu, wie eingefroren in seinem militärischen Knien, während sich sein gelbgrünes Auge langsam durch den Raum bewegte. 

 

Die Türen zum Pavillon schlossen sich. 

 

Nogusa stieß einen Atem aus und griff nach dem Sake, der auf einem goldblättrigen Tablett stand, bevor er mit halb geschlossenen Augen einen bedächtigen Schluck nahm. „Chizuru“, sagte er.

 

Die silberhaarige Frau, die an Sais linker Seite stand, hob den Kopf. „Nogusa-sama.“

 

Nogusa nahm einen weiteren Schluck, setzte den Becher ab und spießte Sai mit seinen eisblauen Augen auf. „Eskortiere diesen jungen Mann zu den Gemächern, wo seine Kameraden festgesetzt sind. Ich möchte privat mit seinem Taichou sprechen.“

 

Keine Reaktion von Sai, abgesehen von einem flüchtigen Blick zu Neji. 

 

Neji nickte marginal. 

 

Kein Widerstand, kein Drama. Sai wurde aus dem Pavillon geführt und das Geräusch seiner rasselnden Ketten brachte Neji dazu, kurz die Augen zu schließen. Als er sie wieder öffnete, stellte er fest, dass Nogusa ihn anstarrte und ein düsteres Lächeln einen Mundwinkel des Daimyō verzog. 

 

„Du beschützt deinen Schattenninja“, sagte Nogusa leise. Keine Präambel. Keine Spielchen. „Ich weiß, dass er derjenige war, der diese Infiltration eingefädelt hat. Und auch wenn er schlau genug war, der Gefangennahme durch die Nagu zu entgehen, lässt sich nicht sagen, ob er einer Entdeckung durch die Kusa-nins vermeiden konnte.“

 

Schock. Er traf wie ein brutaler Tritt in die Magengrube. Ließ Nejis Herz vor Furcht zusammenkrampfen. Aber seine Miene strahlte nichts außer Ruhe aus. „Vergebt mir meine Ignoranz, Nogusa-sama, aber im Licht von Kusagakures politischer Situation muss ich fragen. Bedeutet das, dass Shikamaru Subjekt der Bestrafung durch das Dorf oder durch Euch und das Bankon Konzil ist?“

 

Nogusa schenkte ihm ein grimmiges Lächeln, ganz so, als hätte er diese Frage erwartet und wäre darüber sowohl erfreut, als auch beunruhigt. Statt zu antworten, ließ er diese Frage für einen Augenblick sacken, bevor er mit seinem Fächer gestikulierte. „Katsu. Informiere unseren jungen Hyūga über die Situation.“

 

Katsu neigte den Kopf, bevor er zu Neji sah. „In Übereinstimmung mit dem nationalen Protokoll, haben die Nagu Butai die Gerichtsbarkeit von Kusagakure übernommen, bis ein neuer Dorfvorsteher gewählt wird. Die Wahl wird sofort durchgeführt, sobald Ujihara und die Aikoku Verräter exekutiert wurden. Bis zu dieser Stunde, werden alle Rechtsangelegenheiten von den Nagu geregelt – und infolgedessen auch von Nogusa-sama und dem Konzil.“

 

Nogusa nickte. „Und ich werde ganz offen zu dir sein, Hyūga. Meine Ratsmitglieder erwarten von mir, Nara Shikamaru im Hōzuki-jō festzusetzen.“

 

Nejis Eingeweide verkrampften sich und er musste eine Welle der Übelkeit nieder kämpfen. 

 

Hōzuki-jō.

 

Auch bekannt als das Blutgefängnis. Neji war durch die Akte seiner ANBU Einweisung über diese Einrichtung informiert worden. Wusste, dass es eine Strafanstalt war, die einer Festung gleichkam und von Wärtern aus Kusagakure geleitet wurde, die ein ultimatives Gefängnisjutsu des Feuerverstecks nutzten, um alle Ninjutsu-Fähigkeiten der Insassen zu unterbinden und somit zu verhindern, dass sie Chakra formten. 

 

Neji nahm das alles schweigend in sich auf und war sich wohl bewusst, dass Nogusa bisher nur das verkündet hatte, was sein Konzil verlangte. Es war unmöglich zu sagen, was Nogusa selbst wollte. Neji versuchte, das anhand von Katsu einzuschätzen, aber das ungerührte Starren des Nagu verriet überhaupt nichts.

 

Aufmerksam spähte Neji direkt neben dieses Auge und konzentrierte sich stattdessen auf das andere, milchige. „Wurde der Zeitpunkt der Exekution bereits entschieden?“

 

Katsu nickte. „Morgen Mittag.“ Bevor sich Neji von diesem weiteren Hieb erholen konnte, schickte Katsu direkt den Rückhandschlag hinterher. „Ab diesem Zeitpunkt liegt das Schicksal eures Schattenninjas nicht länger in unseren Händen, Hyūga. Die Nagu werden gezwungen sein, Kusagakure über den Eindringling innerhalb ihrer Mauern zu informieren und sie werden ihn zur Strecke bringen und ihn auf eine Weise für sein Verbrechen zur Verantwortung ziehen, die sie als passend erachten…und kein noch so nobles Opfer deinerseits wird genug sein, um ihn zu retten.“

 

„Fürwahr“, sagte Nogusa ernst, während er Neji mit einem leichten Funkeln in den Augen musterte. „Weswegen ich dir rate, ihn zu finden, bevor sie es tun.“

 

Fassungslos wandte Neji den Blick ab, sodass Nogusa nicht seinen Schock sehen würde – oder seinen Argwohn. Die beiden Reaktionen krachten in seinem Inneren wie Fäuste aneinander und raubten ihm zeitweise den Atem. Er blinzelte ein paarmal, bevor sich mit wachsamer Miene verneigte. „Mir fehlen die Worte, um auszudrücken, wie dankbar ich bin, dass Ihr mir das gestattet.“

 

„Es ist nur fair“, erwiderte Nogusa. „Ungeachtet des Verbrechens, das euer Schattenninja angeblich begangen hat, lässt es sich nicht leugnen, dass er bei den Bemühungen geholfen hat, ein großes Übel in Kusagakure zu entwurzeln.“

 

„Angeblich begangen hat?“, fragte Neji, als er sich an diese Worte klammerte und alles andere überging. Verwirrt sah er auf. „Ihr glaubt nicht, dass er verantwortlich ist?“

 

Nogusa schien amüsiert zu sein. „Oh, ich habe keinen Zweifel daran, dass euer Schattenninja Kusagakure unter Verletzung unserer Vereinbarung infiltriert hat. Aber ich kann das im Moment schlecht einfach nur aufgrund eines Bauchgefühls beurteilen, nicht wahr?“

 

Natürlich konnte er. Und das wussten sie beide. 

 

Also warum…?

 

Neji hielt sich steif aufgerichtet, während er versuchte, Nogusas Intentionen einzuschätzen. Es fühlte sich an, als stünde er an einem kritischen Punkt, schaffte es aber nicht, die Zeichen zu lesen, die der Daimyō vielleicht, oder vielleicht auch nicht, versucht hatte, ihm zu geben. 

 

Nogusa musterte ihn für einen Moment und ließ dann seinen eisernen Kriegsfächer aufschnappen, um eine träge Brise über sein leicht schmunzelndes Gesicht wehen zu lassen, während er in die angespannte Stille sprach. „Ein Festsetzen im Blutgefängnis erfordert unumstößliche Beweise. Das ist mein Gesetz. Nun, Katsu“, sagte er dann ziemlich abrupt. „Hat irgendjemand gesehen, wie Nara Shikamaru die Grenzen des Dorfes durchbrochen hat?“

 

Katsu schüttelte den Kopf. „Nein.“

 

Mit falscher Ränke summte Nogusa. „Ah. Also beruft sich seine Verurteilung derzeit auf Spekulationen, ist das korrekt?“

 

Katsu nickte. 

 

Neji konnte nichts anderes tun, als sprachlos starrend zwischen ihnen hin und her zu blicken. Argumentierte Nogusa gerade wirklich zu Shikamarus Verteidigung? Seine Miene musste diese ‚Was zur Hölle‘-Verwirrung offen zeigen, die durch seinen Verstand jagte, denn der Daimyō brachte es fertig, irgendwie amüsiert auszusehen – es war geradezu alarmierend, wie der Feudalherr vor ihm nichts mehr mit der formidablen und zornigen Gestalt zu tun hatte, die noch vor wenigen Augenblicken vor den Ratsmitgliedern gesessen war. 

 

„Also“, sagte Nogusa, als er zu Katsu spähte, „ist wohl klar, dass in dieser Angelegenheit mehr Beweise nötig sind, wenn man bedenkt, dass wir kein Geständnis aus diesem blutarm aussehenden Jüngling mit den Farbpinseln heraus bekommen konnten?“

 

Ein weiteres Nicken von Katsu. 

 

Die Brauen erhoben fächerte sich Nogusa langsam etwas Luft zu und schüttelte den Kopf. „Sein Herumlungern am Tatort war unglücklich, aber es gibt keine handfesten Beweise, die darauf schließen lassen, er hätte als ein Komplize gehandelt, oder?“

 

In Zustimmung neigte Katsu leicht den Kopf. „Die Nagu hassen es, zu spekulieren. Und wir müssen auch erst einmal das Motiv herausfinden.“

 

„Ah ja, das Motiv. Es gibt immer die Frage nach dem Motiv.“ Und hier hörte Nogusa mit seinen fächelnden Bewegungen auf und sah direkt zu Neji, als die Belustigung aus seinen Augen verschwand. „Also sag mir, Hyūga. Angenommen, dein junger Schattenninja hat nicht nach direkten Befehlen gehandelt, warum glaubst du, hat er das wohl getan?“

 

Da er von dem abrupten Spurwechsel völlig unvorbereitet erwischt worden war, zögerte Neji. Kurz debattierte er darüber, ob er lügen sollte, dachte sich dann aber, dass Ehrlichkeit am besten und auch nur höflich war. „Es schmerzt mich, sagen zu müssen, dass ich es nicht weiß, Nogusa-sama.“

 

Fürwahr, das war überhaupt keine Lüge. Es war auch keine leere Äußerung. Und wenn er nicht zugelassen hätte, dass sich die Kälte über die Wut stahl, dann hätte er an einem Ort Schmerzen erleiden müssen, an dem er keinen Kummer verspüren durfte…an dem er überhaupt nichts fühlen durfte. 

 

Für eine lange, unbeirrte Sekunde beobachtete Nogusa ihn mit wie in der Zeit fixierten Augen. In welcher Zeit und in welchem Ort, konnte man nur erahnen. Er schien an Neji vorbei zu stieren, bevor er sich wieder fokussierte und sich seine Augen klärten, als wäre er zu einem Schluss gekommen. „Lass mich die Ernsthaftigkeit dieser Angelegenheit nochmal wiederholen. Sollte Kusagakure davon erfahren, dann werden sie sich nicht mit dem Blutgefängnis zufrieden geben. Sie werden richtiges Blut wollen, Punkt. Und das wird nicht im fairen Verhältnis oder auch nur relevant in Bezug auf die Übertretung eures Schattenninjas sein. Sie werden Blut für Kriegsverbrechen wollen, die vor Jahren begangen worden sind. So gesehen, ist jede lebende Seele in Kusagakure im Herzen ein Aikokusha, der mich dazu drängt, gegen Konoha vorzugehen.“ Hier seufzte er und spähte zu Katsu und dem Rest seiner Nagu. „Rache ist ein unsterblicher Dämon. Und er lebt im Herzen des Dorfes von Kusagakure…völlig egal, wie sehr ich versuche, ihn auszumerzen.“

 

Verblüfft von Nogusas Ehrlichkeit und Offenheit, blinzelte Neji. In einer politischen Arena waren das gefährliche Dinge. Eine zweischneidige Klinge, bei der jeder machthungrige Würdenträger in Versuchung geraten würde, sie in den Rücken des Daimyō zu rammen. 

 

Als hätte er seine Gedanken erraten, schmunzelte Nogusa leicht. „Wegen meines Geständnisses hältst du mich für schwach.“
 

Mit weit auffliegenden, weißen Augen, verneigte sich Neji rasch und tief, als er nach einem Weg suchte, das Gesicht zu wahren. „Nein, Nogusa-sama. Aufrichtigkeit ist keine Schwäche.“

 

„Ah, aber das ist sie“, erwiderte Nogusa. „Ebenso wie Sentimentalität. Aber sie sind die Kami, die auf meinen Schultern sitzen und in mein Ohr wispern, wenn der Lärm all dieser Schafe und all dieser Wölfe zu laut wird.“ Er winkte leicht mit einer Hand. „Bis zu einem bestimmten Grad verstehst du das. Du bist ein Taichou. Du kümmerst dich um deine Herde, hältst nach Wölfen Ausschau…und dennoch sind da immer die, die sich in direktem Sichtfeld verstecken. Also lass mich dich fragen, Hyūga…glaubst du, dass dein Schattenninja ein Wolf ist? Oder ist er einfach nur ein junges, schwarzes Schaf, das vom Weg abgekommen ist?“

 

Wie bei einem Chirurg mit einem Skalpell, war Nogusas Schnitt durchdringend. Sogar alarmierend. Neji sah auf und seine weiße Augen zogen sich wachsam zusammen. Versuchte Nogusa wirklich, Shikamaru gegenüber Gnade und Nachsicht zu zeigen? Oder trieb er Neji in eine Falle?

 

Sein Zögern brachte ihm ein weiteres Halblächeln ein.

 

„Interessant“, murmelte Nogusa. „Du erkennst sein Verhalten als strafwürdig an und dennoch weigerst du dich, ihn zu verurteilen. Dieses Zögern, das du zeigst, ist entweder eine große Stärke, oder eine große Schwäche.“

 

Unfassbar, wie schnell diese Skalpellzunge zu einem Krummsäbel wurde und ganze Lagen des Eises von Nejis Defensiven hackte. Doch statt sich zu wehren, ließ Neji zu, dass er von diesen Worten zerstückelt wurde, ließ zu, dass sie das Eis um sein Herz skulpturierten und formten, statt es zu zerbrechen.

 

Du hast es verdient, diese Marter zur hören…

 

Und wenn er allein war und sich die Wände senkten, dann würde er sich vielleicht auch gestatten, sie zu fühlen. Aber jetzt im Moment standen diese Wände solide da. Und sein Herz schlug beständig. Er begegnete Nogusas Blick direkt. „Was ich über Shikamaru als Person denke, entschuldigt nicht, was er getan hat. Handlungen sind, was zählt. Seine Taten sind verwerflich…was seine Motive angeht…sie sind irrelevant.“

 

Nogusa zog ein Stück das Kinn nach hinten und sah nachdenklich aus. „Und dennoch zögerst du.“

 

‚Du hast gezögert. Du zögerst nie.‘

 

Von der Erinnerung an diese Worte – Shikamarus Worte – gepackt, schluckte Neji schwer. Noch einmal suchte er nach einer Lüge…fand aber nichts als bittere Scherben der Wahrheit, die in seiner Kehle steckten und sich in einem Wispern über seine Zunge schnitten. „Und dennoch zögere ich.“

 

Dieses heisere, ehrliche Geständnis hob Katsus Kinn und sein Echsenauge zuckte in einem flüchtigen Blinzeln von Emotion. Nogusa entging das nicht und sein kühler, blauer Blick wanderte kurz zu seinem Nagu Wächter, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Neji zuwandte. „Sei dankbar für dieses Zögern, Hyūga. Denn oft genug, ist es das leichteste Zögern, das zum größten Entscheidungsfaktor unseres Lebens wird…wenn nicht sogar unseres Schicksals.“

 

Heftig getroffen von diesen Worten, ruckte Nejis Kopf fragend – als hätte er sich vielleicht verhört, oder es vielleicht missinterpretiert. Es war viel zu gefährlich und viel zu verlockend, seinen eigene Meinung auf diese Worte zu projizieren. Er schüttelte den Kopf. „Ich kann Eurer Bedeutung dieser Worte nicht folgen, Nogusa-sama.“

 

Schon wieder dieses Halblächeln. „Sehr gut. Denn du scheinst mir ein Mann zu sein, der lieber seiner eigenen folgt.“

 

Neji blieb keine Zeit, darüber nachzugrübeln. 

 

Mit einem Rucken des Handgelenks ließ Nogusa den Kriegsfächer mit einem entscheidenden Geräusch zuschnappen, das dieses Thema schloss und die Luft reinigte wie ein Donnerschlag. „Du hast bis morgen Mittag Zeit, Hyūga. Wenn ich eurem Schattenninja allerdings diese Nachsicht gewähren soll, dann lass mich dir meine Bedingungen ganz deutlich machen.“

 

Ah, der Haken.

 

Trotz all des möglichen Verderbens, das dieser ‚Haken‘ ankündigte, fühlte sich Neji angesichts der Vorhersehbarkeit von Verhandlungen erleichtert. Immerhin war Nogusa ein Politiker. Was auch immer seine Gründe für Shikamarus Begnadigung waren, Neji bezweifelte ernsthaft, dass sie einfach nur von philosophischen Idealen und philanthropischen Intentionen motiviert waren. 

 

Und selbst wenn sie das wären…es spielt keine Rolle…

 

Zumindest sagte das die alte, schwarze Rage, die sich einst in ihm verdreht und ihm gesagt hatte, dass das einzige, was von Bedeutung war, Handlungen waren. Handlungen und der Preis, der für diese Handlungen gezahlt werden musste. 

 

Was du tust, nicht was du beabsichtigst.

 

Absichten bedeuteten nichts…

 

Nichts…

 

Wie ironisch also, dass ihn sein eigenes Nichtstun vielleicht alles gekostet hatte.

 

 

 

 



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