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Die letzte Hoffnung

von

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8. Ein Entschluss

Die Sonne neigte sich und eine Ruhe legte sich über das Gebiet in der Arena, was kein Vergleich zum heutigen lauten Mittag war. Doch so still und friedlich alles zu sein schien, in Shen tobte ein Sturm. Der weiße Pfau war innerlich so aufgewühlt wie ein unruhiges Meer, das keine Rast fand. Sein Gemüt schwankte unkontrolliert wie hin- und hergeworfene Wellen vom Wind und da war keine klare Sicht am Horizont. Der weiße Lord wusste nicht, was er machten sollte. Er stand einfach nur unbeweglich auf dem Dach der Arena und starrte in die Ferne. Von hier aus hatte er den besten Ausblick über die bewaldete Landschaft. Doch sein Blick war nicht auf die untergehende Sonne gerichtet, sondern auf den dunkleren Teil des Himmels, dort wo die Sonne für gewöhnlich aufging. In dieser Richtung lag Japan, das Land der sogenannten aufgehenden Sonne.

Shen verschränkte die Flügel und verenget die Augen. Eine Weile verweilte er in dieser Haltung, bis er etwas den Kopf senkte. Seit er vom Tod seiner Eltern erfahren hatte, überkam ihm ein Gefühl der noch größeren Einsamkeit. Aber wieso hatte er nie gespürt, dass noch etwas von ihm am Leben war? In ihm staute sich ein Drang auf. Der Drang etwas zu finden, von dem er nicht gewusst hatte, dass es existierte.

Seine Fingerfederspitzen auf seinen Flügeln verkrampften sich. Er wollte Antworten. Doch woher sollte er sie hernehmen?

Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Er war irgendwie froh darüber, dass er keinen älteren Bruder hatte, aber dennoch, wenn das ganze jetzt schon 28 Jahre her war, dann war dieser Bruder 28 Jahre alt. Nur vier Jahre älter als Sheng.

Über Shens Schnabel huschte ein Lächeln. Über 20 Jahre erschienen so kurz, wenn man zurückblickte. Die Zeit verflog so schnell. So verflucht schnell.

Unter Shens Federn zog sich ein Schauder. Manchmal wünschte er wirklich, er könnte die Zeit zurückdrehen. Wo würde er dann heute stehen? Und wo würde sein Bruder stehen?

Er stellte seinen Pfauenkamm auf, als er leise Schritte hinter sich vernahm. Yin-Yu war nicht völlig schwindelfrei, aber das Dach der Arena war breit genug, sodass sie sich halbwegs darauf sicher fühlte. Weil Shen jetzt schon Stunden auf dem Dach verbracht hatte, machte sie sich Sorgen, dass er noch die ganze Nacht dortbleiben könnte.

Sie streckte ihren Flügel nach ihm aus. Als er mit seinem feinen Gehör ihr Vorhaben erkannte, schnellte er seinen Flügel vor sie, sah sie aber immer noch nicht an.

„Nein!“, befahl er entschieden. Er wollte keine Tröstungen. Nicht mal eine Berührung.

Seufzend ließ die Pfauenhenne den Flügel wieder sinken und schaute nun ebenfalls in die Richtung, wohin Shen die ganze Zeit hinstarrte.

„Worüber denkst du nach?“, fragte sie nach einer Weile, doch Shen schwieg. Sie wusste ganz genau worüber er grübelte, weshalb sie sich jetzt direkt neben ihm hinstellte und ihn von der Seite ansah. „Shen, ich sehe es dir an, was du gerne tun würdest. Wenn ich von einem Bruder von mir gehört hätte, so würde ich dasselbe tun.“

Endlich kam Bewegung in den weißen Pfau und er entfernte sich ein paar Schritte von ihr. „Ich weiß nur nicht, ob ich ihn sehen soll“, murmelte er. „Vielleicht sollten wir uns besser nie sehen.“

Yin-Yu hob verwundert die Augenbrauen. „Warum sagst du das?“

„Wäre ich an seiner Stelle gewesen, dann wäre ich wütend auf ihn“, gab Shen als Antwort.

Die Pfauenhenne seufzte bekümmert. „Weil du mehr Liebe von deiner Mutter bekommen hattest, die er nie bekommen hatte?“ Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen. Als Shen darauf nichts sagte, versuchte sie ihm etwas Mut zuzusprechen. „Aber das ist schon so lange her. Vielleicht hat sich im Laufe der Zeit was geändert.“

Sie näherte sich ihm erneut. Doch Shen schüttelte leicht den Kopf. „Wenn es wahr ist, dass man als Geschwister ähnliche Empfindungen hat, dann kann ich mir das sehr schwer vorstellen.“ Jetzt endlich sah er sie an. „Und du weißt, wie ich über meine Eltern gedacht habe.“

Yin-Yu sah ihn traurig an. „Aber wenn du es nicht tust, dann wirst du es nie erfahren.“

Shen umarmte sich selber und richtete erneut seinen Blick in die Ferne. „Ich hab viele Fragen. Wie kommt es nur, dass er in Japan ist?“

„Vielleicht ist er zufällig dort hingekommen“, vermutete sie. „Ein Kind kann sich gut auf einem Schiff verstecken. Schließlich ist er von zuhause weggelaufen. Dann wäre ein Schiff genau das richtige, um nicht entdeckt zu werden.“

„Aber was hat er über die ganzen 20 Jahre gemacht?“, dachte Shen laut. „Und warum soll er an einem Überfall auf ein japanisches Dorf beteiligt gewesen sein?“ Mit diesem Gedanken ging Shen unruhig auf und ab.

Auch Yin-Yu geriet ins Grübeln. „Wenn es wahr ist, dass er mit Ninjas, gestohlen hat“, meinte sie, „dann kann es sich vielleicht um eine Diebesbande handeln. Ich weiß nicht viel über die japanische Kultur, aber vielleicht missbrauchen diese Kämpfer ihre Fähigkeiten, um anderen zu schaden. Selbst hierzulande nutzen einige Kung-Fu, um arme Leute zu bestehlen. Aber vielleicht gibt es auch noch eine ganze andere Erklärung dafür.“

„Aber welche?“

Die Pfauenhenne zuckte hilflos die Achseln. „Vielleicht wäre es das Beste, wenn du Yamato diese Frage stellst. Vielleicht kann er dir ein paar Antworten liefern.“

Shen schien da nicht so ganz überzeugt zu sein. „Und wenn nicht?“

Über Yin-Yus Schnabel huschte ein sanftes Lächeln. „Warum fragst du das, Shen? Wenn du die Antworten nicht hier findest, dann solltest du sie suchen – und zwar woanders.“

„Woanders?“ Shen sah sie verwundert an. „Wenn ich aber woanders bin, dann bist du ebenfalls anderswo.“

Sie kicherte verschmitzt. „Shen, ich komm schon zurecht. Ich bin ja nicht allein. Du musst nicht ständig um mich herum sein. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Wenn du gehen möchtest, dann solltest du gehen.“

Shen wich ihrem Blick aus, was sie aber nicht davon abhielt, ihren nächsten Gedanken auszusprechen. „Vielleicht wäre es sogar im Sinne von deinem Vater, dass du ihn siehst. Und selbst wenn dein Bruder einen Groll gegen dich hegen würde, wäre es nicht gut, wenn ihr die ganze Sache ein für alle Mal aus der Welt schaffen würdet?“

Shen schloss die Augen und ging ganz tief in sich. „Du könntest zwar damit recht haben“, meinte er nach einer Weile, „aber ich möchte nur ungern gegen jemanden kämpfen müssen, den ich noch kennenlernen wollte.“ Er schmunzelte spöttisch. Sogar beim Panda wollte er das, bevor er ihn mit seiner Kanone vernichten wollte… Aber das hier war etwas ganz anderes. Er wollte seinen eigenen Bruder doch gar nicht beseitigen. Er wollte wenigstens mit ihm reden, aber was, wenn er nicht mit ihm reden wollte?

Yin-Yu sagte nichts, sondern legte ihre Flügel auf Shens Schulter und ließ ihn nachdenken. Sie selber konnte ihm keine Entscheidung abnehmen. Das konnte nur er.
 

„Also, alles in allem haben wir recht gut was dabei verdient“, meinte Mr. Ping, während er zusammen mit Mr. Han das Geld zählte. „Vor allem die Panda-Plüschies. War ein gutes Geschäft gewesen.“

Das Schwein neben ihm nickte. „Das sollten wir das nächste Mal wiederholen.“

„Das nächste Mal?“ Der Panda, der nicht weit von ihnen an einem Tisch saß, hob geschockt den Kopf. „Heißt das, ich muss nochmal antreten?“

Meister Shifu, der neben ihm saß, legte die Ohren an. „Also für gewöhnlich, muss der Champion seinen Titel immer im nächsten Wettkampf verteidigen, Drachenkrieger.“

Po wurde es mulmig im Magen. „Na toll.“

Er schaute sich um, in der Hoffnung, dass jemand dagegensprechen würde. Doch niemand schien sich dazu äußern zu wollen. Sie saßen alle im Festsaal an einem Tisch, obwohl schon alle Gäste gegangen waren. Die Pfauenkinder knabberten hier und da noch das restliche Essen an. Mit Ausnahme von Fantao, der sich kurz hat entschuldigen lassen, weil er mal raus musste. Die Furiosen Fünf hatten es ebenfalls vorgezogen noch wach zu bleiben, bis sie erfuhren, was der weiße Pfau als nächstes vorhatte. Meister Ochse und Meister Kroko saßen im Schneidersitz in einer Ecke und vertrieben sich die Zeit mit Meditation. Yamato hatte sich auch noch nicht weit entfernt und schlief gegen eine Wand gelehnt. Auch König Wang hatte sich zu einem Nickerchen überreden lassen. Xia ließ nachdenklich ihren Blick schweifen. Sheng saß neben ihr und aß ebenfalls noch etwas vom Essen, aber er wirkte ziemlich still.

Endlich hörten sie, wie jemand die Tür öffnete. Alle hoben die Köpfe, als sie Shen in der Tür auftauchen sahen, dicht gefolgt von Yin-Yu. Doch die Augen des Pfaus galten nicht den Meistern oder einen von seiner Familie. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Kragenbären, den er mit einem leichten Fußtritt weckte. Schlaftrunken öffnete der japanische Bär die Augen.

„Wo haben Sie ihn gesehen?“, kam Shen sofort auf den Punkt. „Wo genau war das gewesen?“

Der Kragenbär gähnte nochmal, bevor er müde antwortete. „Wie ich schon sagte, es war ein Dorf in den Wäldern, Süd-Westlich in Japan. Kimura, heißt das Dorf.“

Shen hob den Schnabel höher. „Dann werde ich dort hingehen.“

Zedong war sofort Feuer und Flamme. „Du gehst nach Japan?! Wow! Kann ich mitkommen?! Kann ich mitkommen?! Ich hab noch nie Ninjas gesehen!“

„Nein!“, wies Shen den Jungen ab. „Ihr reist wieder nach Hause.“

„Aber das geht doch nicht“, mischte Po sich jetzt ein. „Zumindest Sheng muss mit ins Tal des Friedens kommen.“

Der weiße Pfau sah ihn verwundert an. „Ins Tal des Friedens?“

Der Panda nickte energisch. „Ja, nach jedem Kung-Fu-Wettkampf erweisen alle Teilnehmer nochmal im Ursprungsort des Kung-Fu die Ehre. Das ist Tradition. Hast du das vergessen?“

Dieser Gedanke gefiel Shen gar nicht und er hätte bestimmt etwas dagegen eingewandt, wenn Yin-Yu nicht noch was gesagt hätte.

„Dann reisen wir auch zum Tal des Friedens“, sagte sie. „Dort können wir ja dann auf eine Nachricht von dir warten. Und den Kindern wird es bestimmt auch gefallen.“

Sie sah Shen bittend an.

„Das ist eine super Idee!“, rief Po begeistert und legte Zedong eine Tatze auf die Schulter. „Dann lernt ihr auch mal das Dorf kennen!“

„Das Kung-Fu-Dorf?“, fragte Zedong.

„Ja, und wer weiß…“ Po legte die Stirn in Falten. „Vielleicht treffen wir unterwegs sogar auf einen Haufen böser Buben.“

„Wow, können wir dahin, Dad? Dürfen wir? Dürfen wir?“

Shen kämpfte mit sich selber, ein `Ja´ zu äußern. Aber es war vielleicht besser, als wenn sie die ganze Zeit darum betteln würden nach Japan mitzukommen.

„Na gut“, gab er schließlich nach. „Aber setzt ihnen keine Flausen in den Kopf!“ Das letzte was er noch wollte, war, dass sie noch so Kung-Fu-Verrückt wurden wie dieser fette Panda.

König Wang, der inzwischen wieder aufgewacht war, beugte sich zu Mr. Ping rüber. „Ich darf nicht zufällig mitkommen, oder?“

„Aber natürlich“, bestätige der Gänserich. „Im Tal des Friedens ist jeder willkommen, solange er gute Absichten hat.“

„Na, die hab ich ja.“

„Wir feiern eh ein Fest dort“, führte Mr. Ping weiter aus. „Ein paar Mündchen mehr können wir immer füttern.“

„Dann werden wir uns jetzt alle ausruhen“, verkündete Meister Shifu. „Und werden morgen uns dann zum Tal des Friedens aufmachen.“

Shen nickte. „Gut, und ich werde mich in der Zwischenzeit nach Gongmen begeben. Von dort fahre ich mit dem Schiff weiter.“

„Moment mal!“, mischte sich Meister Ochse jetzt ein und erhob sich von seinem Schneidersitz. „Sollte nicht jemand mit ihm mitgehen, damit er keinen Unfug stiftet?“

„Danke“, lehnte Shen unhöflich ab, „aber ich kann auf deine Gesellschaft verzichten!“

„Dann gehe ich mit ihm mit“, bot sich die alte Ziege an, die wieder wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Alle sahen sei verwundert an.

„Nur bis nach Gongmen“, erklärte sie. „Dort werde ich dann auf ihn warten.“

„Aber was ist, wenn er in Japan was anstellt?!“, gab Meister Ochse energisch zu Bedenken.

Doch statt einer einfachen Antwort, erhielt er von der Ziege einen leichten Schlag mit ihrem Gehstock auf den Kopf. „Tu mir den Gefallen und verbinde ihn einmal nicht mit etwas Schlechtem“, raunte sie ihm zu. „Es war schon schlimm genug gewesen, dass er als Kind schikaniert wurde, weil man seine Farbe mit einem Fluch in Verbindung gebracht hatte.“ Sie sah den Ochsen strafen an.

„Also dann, begeben wir uns in die Nachtquartiere“, gebot Shifu.

Er machte den Anfang. Die Furiosen Fünf folgten ihm. Nur Po wagte sich in Shens Nähe und sah ihn vielsagend an. „Und du willst wirklich nach Japan? Allein? Aber was ist, wenn da wirklich Ninjas sind?“

„Panda, ich kann sehr gut auf mich selber aufpassen“, versicherte ihm Shen und sah Po streng an. „Habe ich mich klar und deutlich genug ausgedrückt?!“

Po schluckte schwer, doch noch ehe er mit einem anderen Thema ausweichen konnte, ging Shen an ihm vorbei und ging zu seiner kleinen Tochter. „Und Shenmi, du bleibst bei den anderen. Das ist mein voller Ernst!“

Das Mädchen nickte gehorsam. „Ist gut, Papa.“

Po sah die beiden traurig an. Er hatte gerade die Tatze gehoben und den Mund aufgemacht, als Shifu argwöhnisch die Augen verengte. „Po, du kommst mit!“

„Äh, ja, ich komme, Meister.“ Dennoch zögerte der Panda, was bei Shifu den Geduldsfaden reißen ließ. „Po!“

„Ja, Meister.“ Gehorsam folgte der Panda den anderen.

„Und es macht dir nichts aus, dass ich nur mit dir nach Gongmen komme?“, erkundigte sich die Ziege, als der Großteil schon gegangen war.

Shen verzog den Schnabel. „Solange du nicht schon wieder irgendeinen Hintergedanken ausgebrütet hast.“ Er warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Sonst machst du nie was ohne Grund.“

Die alte Ziege lächelte. „Ich wollte ohnehin noch etwas in Gongmen in meinem alten Haus erledigen. Ich werde einen Brief an meinen Großneffen schreiben, dass er zu mir kommen soll. Ich werde dann solange dort warten, bis du wieder zurückbist.“

Diese Erklärung stimmte den Pfau nur halbwegs zufrieden. Er kam auch nicht mehr dazu länger über diese Aussage nachzudenken, denn im nächsten Moment tauchte vor ihm ein großer Eber auf, bei dem es sich wohl um den Hauswirt handelte. „Entschuldigen Sie? Ist das Ihr Sohn?“ Mit diesen Worten hob er Fantao hoch. „Er hat die ganze Außenwand am Nebeneingang mit Farbe vollgeschmiert.“

Entrüstet verschränkte der Pfauenjunge die Flügel. „Das ist Kunst!“



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