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Raum und Zeit

(Titelvorschläge werden entgegengenommen)
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Asgard, Palast - 1732

„Und so laufe ich meiner Wege, den Fuchs über die Schulter geknotet, und entdecke plötzlich diese Frau am Wegesrand, angelehnt an einen alten Ahorn. Eine Frau von so unglaublicher Schönheit, dass mir heiß und kalt wird. Haar wie Seide, Haut, als würde sie von innen strahlen, und ein Gang, als würde sie tanzen.“ Er seufzte mit verträumten Augen. „Neben ihr auf dem Boden steht ein Tonkrug und sie…“, Fandral neigte sich vor und stellte sicher, dass die Kinder, deren Gesichter nur vom Kaminfeuer erhellt wurden, ihm all ihre Aufmerksamkeit schenkten.

„Ich meine…“ Er zuckte mit den Schultern und zwinkerte vielsagend. „Ihr kennt mich.“

„Ohh ja“, murmelte Sif leise und anklagend und Loki bemühte sich gar nicht erst, sein Grinsen beim Anblick ihres Augenrollens zu verbergen.

„Das Herz am rechten Fleck und immer bereit, einer Dame in Nöten zu helfen!“, führte Fandral aus, ohne Sifs Einwurf zu beachten, und kehrte er zu seiner Geschichte zurück.

„Vielleicht ist es ja… Lorelei?“, mutmaßte Volstagg gespielt, aber als er Sifs Reaktion, einen vernichtenden Blick, sah, entschied er sich aus reinem Selbsterhaltungstrieb dafür, besser in eine verbliebende Schweinshaxe zu beißen und gar nichts mehr zu sagen.

„Ich gehe also auf sie zu und frage sie, ob sie sich verlaufen hat. Und die schöne Maid nickt mit Tränen in den Augen und bittet mich, sie aus dem Wald zu führen. Sie war schon seit zwei Tagen unterwegs und das Wasser in ihrem Krug ist längst erschöpft. Natürlich biete ich ihr meinen Arm an und so machen wir uns auf den Weg. Seit an Seit durch den Wald, die Vögel zwitschern und das Sonnenlicht fällt durch die Baumwipfel…“ Fandral gestikulierte in die Luft, bedeutete mit den Händen das Dach des Waldes. „Wir unterhalten uns über dies und das und gerade, als sie meinen Bart bewundert“ – Sif schaute Loki vielsagend an – „höre ich dieses Geräusch…“

Fandral hielt sich die Hand ans Ohr und genau wie er begannen einige der Kinder zu lauschen.

„Hört ihr das?“, flüsterte er geheimnisvoll.

Die Kinder reckten die Hälse in alle Richtungen, aber um sie herum war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Nur die Erwachsenen auf den langen Holzbänken, die in angemessener Entfernung zum Kamin standen, die Wachen an den Eingängen der Halle und die Reste des Festmahls auf den Tischen. Die Sonne war längst untergegangen und die Musik hatte aufgehört zu spielen, als Fandral sich erhoben hatte, um den Kindern eine Geschichte zu erzählen. Loki, Sif, Thor, Volstagg und Hogun hatten sich gemeinsam eine Tafel genommen und saßen sich gegenüber, gesättigt und betrunken.

Loki nahm einen Zug aus seinem Weinkelch und warf Thor einen vielsagenden Blick zu, während es immer stiller im Raum wurde. Fandral hatte ein Talent dafür, die Aufmerksamkeit seines Publikums so sehr auf sich zu ziehen, dass es beinahe das Atmen vergaß.

Aber Loki flüsterte wie ein Schulmeister: „Es beginnt.“

Man hätte die Schritte einer Ameise hören können. Die Kinder schauten sich nervös um und einige der Erwachsenen taten es ihnen gespielt gleich, um die Spannung für sie zu erhöhen.

Dann, mit einem Mal, schrie Fandral wie ein Berserker und die Kinder kreischten erschrocken auf. Ein Echo der vielen Stimmen zog sich bis in die angrenzenden Korridore der Festhalle.

„Genau das!“, rief Fandral wie von Sinnen aus und sprang auf die Füße. Er erhob sich aus dem Kreis der Kinder am Feuer und begann, sie mit langsamen, schlurfenden Schritten zu umkreisen. „Genau das habe ich gehört… Ich drehe mich also zu der holden Schönheit um und sehe, dass sie überhaupt nicht mehr schön ist.“ Er hauchte: „Nein…“

Einen Jungen, der Fandral nicht mit den Augen verfolgt hatte, sondern sich der Anwesenheit seiner Eltern versicherte, berührte Fandral mit spitzen Fingern am Nacken und das Kind schreckte mit einem weiteren Schrei zusammen.

„Sie ist nicht mehr schön. Nein. Sie ist groß, riesig! Ihre Haut ist blau und von Narben überzogen, ihr Haar fällt schwarz und schmutzig bis zum Boden. Aus ihrem Mund hängen kaputte Zähne und ihre Augen… Ihre Augen sind so rot wie Blut und starrten mich an, als wäre sie schon längst tot. Sie ist…“, Fandral ließ eine dramatische Pause wirken und hauchte dann, „eine Eisriesin!“

Ein Raunen ging durch die Schar an Zuhörenden und eins der kleinsten Kinder rappelte sich hoch, um seinem nicht weit entfernt sitzenden Vater auf den Schoß zu klettern.

Loki hingegen hob nur seinen Becher und prostete Thor selbstzufrieden grinsend über den Tisch hinweg zu.

Mit einem missbilligenden Blick schob der daraufhin einen mit einem Juwel besetzten, silbernen Dolch über die Tischplatte. Mit einer geschickten Bewegung steckte Loki ihn ein und nickte dankend. Dann lehnte er sich zurück und streckte die langen Beine aus.

Fandral hatte sich wieder an seinen Platz neben den Kamin gekauert und die Kinder starrten ihn mit entsetzten Augen an.

„Ich zücke natürlich sofort mein Schwert und springe zurück, als sie beginnt, mich mit vereisten Steinbrocken zu bewerfen. Ich weiche aus und ducke mich blitzschnell hinter einen Baumstumpf. Eisriesen sind taub und blind, müsst ihr wissen. Ihre roten Augen können kein Licht sehen und das heißt, sie kann mich nur noch riechen…“

Loki zog die Augenbraue hoch und lehnte sich halb-flüsternd zu Sif: „Seit wann sind Eisriesen taub und blind?“

„Lass ihn doch seine Geschichte erzählen“, mischte Thor sich geringschätzig ein, doch Volstagg schüttelte nur grinsend den Kopf.

„Krrrrz… krrrz… ich höre wie ihre lahmen Füße über den Waldboden scharren. Ihr Schnüffeln ist so laut wie das eines Höhlenbären und ich sitze in der Falle.“

„Ach, und ich dachte, er sitzt hinter dem Baum!“, fing Loki wieder an, diesmal etwas leiser.

Die Kinder schienen ihn nicht gehört zu haben und rutschten unangenehm berührt auf dem Boden herum. Teilweise hielten sie sich an den Händen und schauen sich gegenseitig hilfesuchend an.

„Da durchfährt mich ein Geistesblitz! Ich springe auf und schnell knote ich den Fuchs von meinem Rücken los. Dann packe ich ihn.“ Fandral hatte sich wieder zur Gänze erhoben und gestikulierte entsprechend, griff ruckartig die Luft und stellte dann ein Schleudern dar.

„Und mit einem großen Wurf schmeiße ich den Fuchs, soweit ich nur kann, weg von mir ins Unterholz. Die Eisriesin denkt, dass ich es bin, dessen Fährte sie wittert. Sie hat die ganze Zeit nur den blutigen Fuchs gerochen und beginnt jetzt, ihm hinterher zu schlurfen. Das ist meine Chance! Mit gezogenem Schwert schleiche ich ihr nach…“ Fandral legte einen Finger an die Lippen und die unruhigen Kinder wurden auf einen Schlag wieder ganz still.

Als Loki sich anschickte, einen weiteren Kommentar beizusteuern, trat Thor ihm unter dem Tisch gegen das Schienbein und bedeutete seinem Bruder, einfach mitzuspielen.

„Ich hebe mein Schwert…“, Fandral stand nun mit weit über den Kopf gehobenen Händen in der Mitte des Kreises der Kinder, „und mit einem Schlag meiner Klinge hacke ich ihr den rechten Arm ab!“

„Warum nicht den Kopf?“, schlug Loki flüsternd vor und Sif nickte zustimmend: „Ja, warum nicht?“

„Sie fährt herum und versucht, sich auf mich zu stürzen. Da merke ich, dass ihr blaues Blut mich ganz besudelt hat und es fängt fürchterlich an, auf meiner Haut zu brennen!“ Fandral griff sich selbst an den Hals und tat so, als würde ihn der Schmerz in die Knie zwingen. „Ich muss verschwinden. Ich greife nach dem abgeschlagenen Arm und dann renne ich, renne ich um mein Leben!“

Der Spannungsbogen fiel ab. Mit einem düsteren Nicken trat Fandral einen Schritt auf den Kamin zu, nahm einen großen Knochen vom Sims und hielt ihn dann den Kindern unter die Nasen.

„Das, meine Freunde, ist das Einzige, was von ihrem Arm übriggeblieben war, als ich wieder am Palast eintraf…“ Er hielt den Knochen hoch wie eine Trophäe. „Man sagt, noch heute wandelt sie in den tiefen Wäldern von Asgard umher, auf der Suche nach ihrem Arm. Und nach einer unschuldigen Seele, die sie hier in unsere Mitte führt. Damit sie unser Volk heimsuchen kann, denn…“ Er ging wieder in die Hocke und schaute die Kinder eins nach dem anderen bedeutungsschwanger an: „…am liebsten… fressen die Eisriesen… kleine Asen!“

Mit einiger Belustigung musterte Loki zwei kleine Geschwister, die sich verstört bei den Händen griffen. Das Mädchen sah aus, als würde es nie wieder freiwillig in einen Wald gehen.

Volstaggs lauter Applaus riss Loki aus seiner Beobachtung und andere Erwachsene fielen in das Klatschen ein. Thor knallte anerkennend seinen Trinkpokal auf den Holztisch und Loki tat es ihm nach.

Es dauerte keine zehn Minuten, da waren alle Kinder in die Betten geschickt worden und die Halle hatte sich zur Hälfte geleert. Fandral setzte sich zu Sif und Loki auf die Bank.

„Na, wie war ich?“ Er legte den Klippenwolfsknochen in die Mitte des Tisches und schob dabei Platten mit Beeren aus dem Weg. Dann griff er seinen Trinkpokal.

„Vortrefflich, wirklich vortrefflich“, antwortete Sif eifrig und mit einer Spur Ironie, und Loki setzte feixend nach:

„Ja… aber bist du ganz sicher, dass du dich nicht einfach nur in einem Weiher gespiegelt hast?“ Mit der Hand gestikulierte er vieldeutig in Richtung von Fandrals Gesicht. „Ich meine… das mit den Zähnen…?“

Fandral trank in diesem Moment einen großen Schluck Wein und konnte nicht antworten, sodass Thor seine Chance ergriff: „Und auch diese roten Augen! Kann es nicht vielleicht sein, dass du nur ein wenig zu viel geweint hast, nachdem du uns verloren und dich verirrt hattest?“

Als Fandral den Kelch wieder abgesetzt hatte, schnalzte er missbilligend mit der Zunge und richtete beleidigt das Wort an Volstagg: „Hat’s dir auch nicht gefallen?“

„Doch, es war großartig, ganz großartig“, beteuerte der mit hochgezogenen Augenbrauen und als Fandral sich davon ablenken ließ, dass sich eine junge Frau neben ihn auf die Bank setzte, fügte Volstagg hinzu: „Wenn man fünf Jahre alt ist.“

Thor schenkte ihnen allen aus der großen Karaffe Wein nach und hob an: „Freunde, lasst uns anstoßen. Darauf, dass Vater diesen verrotteten Monstern gezeigt hat, wo ihr Platz ist. Auf dass wir niemals wirklich auf sie treffen. Und wenn doch, dann mit unseren Klingen voran.“

„Mit unseren Klingen voran!“, stimmten sie mit dem Übermut der Jugend zu und ließen ihre Kelche gegeneinander krachen, dass der Wein über den Tisch schwappte. Alles war so leicht.

In diesem Moment hätte Loki ewig bleiben können.



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