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Raum und Zeit

(Titelvorschläge werden entgegengenommen)
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Statesman - 2018

„Wir wurden angegriffen. Ich wiederhole: Wir wurden angegriffen. Triebwerke sind ausgefallen. Lebenserhaltungssysteme versagen. Erbitten Hilfe von jedem Schiff in Reichweite. Unsere Crew besteht aus Familien aus Asgard. Wir haben kaum Soldaten an Bord. Dies ist kein Kriegsschiff. Ich wiederhole: Es ist kein Kriegsschiff.“

„Gib mir das!“

„Aber, äh-“

„Hier ist Thor, verdammt noch mal! Selvig! Stark! SHIELD! Irgendwer? Hallo? Hallo!“

Nichts als Rauschen.

Thor schüttelt den Kopf und lässt sich wieder in den Sitz am Cockpit der Kommandobrücke fallen. Der Funker, dem er das Mikrofon aus der Hand gerissen hat, schaut ihn mit verkniffenem Gesicht an.

Thor ist müde. Er kann nicht mehr.

Loki kommt zum Türrahmen hinein und Thor sieht sein fragendes Gesicht.

„Nichts.“

„Ich hab’s gehört“, gibt sein Bruder beflissen zurück und greift sich den anderen Stuhl, von dem der Funker kurz aufgestanden war, um an einer der vielen Schalttafeln etwas an der Frequenz umzustellen. Als er zurückkommt, schaut er auch Loki entnervt an, sagt aber nichts.

Man sieht Loki an, dass der Kampf nicht spurlos an ihm vorbeigegangen ist.

Zwar hat er sich umgezogen und nicht mehr das zerschlissene Lederwams an, sondern ein langärmliges grünes Hemd aus asgardischer Wolle, aber die Schnitte im Gesicht, am Hals und auf den Handrücken sind noch nicht verblasst. Und vor allem sind seine Handflächen verbrannt, als hätte er dem Feuerriesen Surtur persönlich die Hand geschüttelt.

Der Raumstein war kein Spielzeug, nicht mal für Loki.

Doch Thor sieht kein Stück besser aus. Immer wieder läuft ihm Blut unter der Augenklappe hervor. Außerdem zeigt sein Oberarm eine tiefe Einstichstelle, die der Handlanger mit dem Speer ihm beigebracht hat. Thor bewegt ihn kaum. Die Haut hat gerade erst begonnen, sich neu zu bilden und glänzt ungesund im künstlichen Licht der Kommandozentrale.

Die Handlanger des Thanos haben ihnen einiges abverlangt. Glücklicherweise waren Banner und Brunnhilde in den Kampf eingetreten, sobald die letzten lebendigen Personen auf dem Schiff nach unten in die Maschinenhallen gebracht worden waren, wo Korg über sie wachte. Der Hulk hatte sich offenbar, ähnlich wie auf der Regenbogenbrücke noch vor einigen Monaten, bitten lassen, überhaupt aufzutreten. Doch so waren sie den vier Feinden augenblicklich ebenbürtig gewesen und machten mit vereinten Kräften kurzen Prozess.

Den Größten der Feinde konnte Loki mit zwei gezielt in den Hals gerammten Messern töten, während Brunnhilde ihm den Rücken freihielt. Doch daraufhin setzte der Prediger seine telekinetischen Kräfte ein und brachte sich und seine beiden Geschwister auf ihrem Mutterschiff in Sicherheit, bevor noch ein weiterer von ihnen erschlagen wurde.

Offenbar waren sie doch nicht bereit, für Thanos zu sterben.

Beinahe augenblicklich setzte sich die Sanctuary II in Bewegung.

Hulk, Loki und Thor waren ihnen nachgesetzt, um ihre Raketen und Laser unschädlich zu machen. Eine Aufgabe, die vor allem den Hulk zu amüsieren schien. Doch als deutlich geworden war, dass Thanos‘ Schiff nicht mehr auf die Statesman feuern würde, sondern sich tatsächlich auf und davon machte, waren die drei zurückgekehrt.

Zu ausgelaugt waren sie selbst. Zu blutleer waren ihre Angriffe. Zu verwundbar war die Statesman.

Sie hatte weder Waffen an Bord noch die Ausstattung für eine Verfolgung, also mussten sie Thanos‘ Handlanger ziehen lassen. Es war wichtiger, die verbliebenen Asen zu schützen, als auf eine lebensmüde Jagd zu gehen. Asgard ist kein Ort, es ist ein Volk.

Trotzdem haben Duzende ihre Leben gelassen, darunter Heimdall, den Thor sichtlich betrauert. Selbst Loki fühlt einen gewissen Verlust, den er nicht recht einzuordnen weiß.

Was ihn mehr beschäftigt, ist, dass Thanos nun im Besitz des Raumsteins ist. Bedauerlicherweise ist zumindest nicht davon auszugehen, dass der unfreiwillige Ortswechsel Thanos umgebracht hat. Vielleicht hat er ihm geschadet, ihm ein ähnliches Loch in die Brust gebrannt wie in Lokis Handflächen. Das hofft Loki zumindest. Doch die Bedrohung ist keineswegs vorüber. Falls Thanos weiß, wie der Stein richtig eingesetzt werden kann, könnte er damit innerhalb eines Augenschlags an jedem Ort im Universum auftauchen, einfach so.

Sie müssen hier verschwinden, sie brauchen Verbündete.

„Hey, Bruder.“

Loki wendet den Kopf und Thor tut es ebenso, aber keiner von beiden hat etwas gesagt.

Im Türrahmen steht der Kronan.

„Hey Korg.“ Thor hebt müde die Hand. „Was gibt’s?”

„Ist das gerade ein guter Zeitpunkt, um was zu besprechen?“

Loki hebt die Augenbrauen und mustert den Steinmann.

„Kommt drauf an, worum geht’s?“ Thor dreht sich auf seinem Stuhl, während der Funker im Stehen weiter an der Anlage herumfingert und leise und unermüdlich versucht, Kontakt zur Erde aufzunehmen. Loki schaut ihm zu, aber spitzt in erster Linie die Ohren.

„Also, es geht um Folgendes, Bruder. Weißt du. Ich hab‘ mir Gedanken gemacht und, naja, also, wie hast du dir das vorgestellt, wenn wir auf der Erde ankommen?“ Korg legt verlegen den Kopf schief und Loki verzieht peinlich berührt das Gesicht.

Das klingt nicht gut.

Ohne den Tesserakt wird er nie in der Lage sein, seine Magie auf die ganze Besatzung, Thor und auf die ganze Erde auszuweiten. Sein Schicksal war geplatzt. Thanos hatte gewonnen.

Da war mehr als nur Schmerz, das war Vernichtung. Das war Aussichtslosigkeit an, die sich in ihm breit macht.

Loki betrachtet die Spiegelung seines eigenen Gesichts in einem der toten Monitore des Cockpits. Alles, was er sehen kann, ist Verlust.

„Wieso, was meinst du denn, Korg?“, fragt Thor ahnungslos.

„Ach, naja, also wenn wir die Triebwerke erst wieder flott gemacht haben, die sind ja nicht völlig futsch, da geht noch was, und uns dann auf den Weg zu deiner blauen Kugel machen“, Korg nickt zum Fenster, wo man am anderen Ende der Galaxie einen Planeten ausmachen kann, „Ich dacht, ich komm einfach mal und frag‘, wie du dir das dann vorstellst. Wegen früher und s-“

„EIN SIGNAL!“, brüllt der Funker unvermittelt und Loki zuckte in seinem Stuhl zusammen. Er ist schon drauf und dran gewesen, sich eine passende Lüge zurecht zu legen und einen Fluchtplan zu schmieden, aber augenblicklich ist jeder von Thors misstrauischen Gedanken verpufft.

Im nächsten Moment dröhnt kreischende Rockmusik durch die Kommandobrücke und vermutlich auch durch den Rest des Schiffs.

Es dauert keine fünf Sekunden, bis Brunnhilde mit gezogenem Schwert in der Tür steht.

„Was ist hier los!“, brüllt sie und richtet ihre Waffe ausgerechnet auf Loki, als sei der Lärm seine Verantwortung.

„Das wollte ich euch auch gerade fragen“, tönt eine Stimme aus der Funkanlage und Thor springt von seinem Stuhl auf, plötzlich voller Elan.

„Stark! Stark, ich bin’s Thor! Von Asgard! Stärkster Avenger!“

Er wirft dem irritiert schauenden Funker einen Blick zu und erklärt: „Ein Freund aus der Arbeit.“

„Ich wusste doch, dass da ein Fleck auf der Linse meines Weltraumteleskops ist“, schnarrt Stark, „Hattet ihr vor, da länger ‘rumzuhängen?“

„Stark, wir wurden attackiert. Thanos. Der, der damals Loki geschickt hat!“

Es knallt.

Loki weiß nicht, wie er auf die Füße gekommen ist, aber er hat dabei seinen Stuhl umgeworfen.

Thor schaut ihn an.

Loki schaut zurück.

Dann neigt er langsam das Kinn, presst die Lippen aufeinander und ignoriert Brunnhildes irritierten Blick, der zwischen ihnen hin- und herwandert.

Es ist still, bis Stark dazwischenplärrt: „Hallo? Erde an Thor?“

Ohne ein weiteres Wort an seinen Bruder geht Loki an Korg vorbei zum Türeingang und sagt bestimmt: „Du, Kronan.“

Korg zuckt zusammen.

„Mitkommen.“

Sie verlassen die Kontrollbrücke. Im Korridor weichen sie den Spuren der Explosionen und der Kampfhandlungen aus. Im Augenwinkel sieht Loki das Loch, das einst eine Treppe gewesen ist.

„Alles okay, Kumpel? Siehst ein bisschen blass aus um die Nase. Brauchst du ‘ne Umarmung?“

„Schweig“, gibt Loki zurück und schreitet voraus, während Korg ihm auf seinen Steinfüßen nachklappert.

Thor folgt ihnen nicht.

Natürlich nicht.

Loki bleibt vor seiner Tür stehen, reißt mit einer ruckartigen Bewegung die goldenen Hörner ab und tritt dann ein. Korg bleibt unschlüssig zurück. Er hat dieses Zimmer noch nie betreten.

„Brauchst du eine Einladung?“, fragt Loki schneidend, während er die Hörner auf die Bettstatt wirft, wo sie liegen bleiben. Als Korg doch hereinkommt, fügt er hinzu: „Und mach die Tür zu.“

Korg tut wie ihm geheißen, schaut sich irritiert um und weiß offenbar nicht, was er sagen soll oder was er hier macht. Es ist nun nicht so, dass Loki ihm bisher wahnsinnig viel Aufmerksamkeit geschenkt hat. Und hier drinnen sieht es außerdem aus wie in einer anderen Welt.

Jetzt geht Loki drohend auf den Kronan zu und starrt ihm direkt in die winzigen Augen.

Dann hebt Loki schlagartig die Hand, presst sie Korg auf den steinernen Schädel und wirkt seinen Zauber.

Diesmal ist es, als würde der Film seiner Erinnerungen rückwärtslaufen. Sie fließen durch ihn hindurch und sammeln sich, breiten sich aus, drohen ihn zu sprengen.

Loki spürt, wie er schwächer wird. Er hat sich schon so sehr verausgabt.

Seine Beine wollen nachgeben.

Ihm wird schwarz vor Augen.

Dann ist es vorbei.

Das letzte Bild vor seinem inneren Auge zeigt Thanos‘ Handlanger, der das Zepter in der Hand hält, um es Loki zu übergeben.

Hätte er damals den Handel bloß abgelehnt. Dann hätte er nun ein anderes Schicksal vor sich.

Loki schwankt nach hinten und lehnt sich mit dem unteren Rücken gegen den Schreibtisch.

„Yo, was war das denn gerade? Hast du das auch gesehen?“, fragte Korg, der offensichtlich mit seiner magisch bedingten Amnesie zu kämpfen hat und sich nicht recht an das Wirken des Zaubers erinnern kann.

Loki atmet nur schwer und fasst sich an den Kopf. All die Gedanken und Gefühle von damals sind wieder da. Und die Schuld. Und die Konsequenzen.

Thors Verachtung im Stark Tower.

Mutters Enttäuschung bei Lokis Tribunal.

Ihm stehen die Schweißperlen auf der Stirn.

„Weißt du was“, sagt Korg und hebt eins der Bücher auf, die seit Stunden überall im Raum verteilt liegen, „Ich glaube, irgendwie wird alles gut. Vielleicht stehen die Fundamente von eurem Zuhause nicht mehr, a-“

„Asgard war nicht mein…“, setzt Loki reflexartig an, aber dann bringt er den Satz nicht zu Ende.

Korg scheint den Einwurf gar nicht gehört zu haben, sondern studiert mit schräggelegtem Kopf das Buch. Dann drückt er es Loki in die Hand, der es gar nicht zurückgefordert hat.

„Brauchst du mich noch? Weil, sonst würde ich zurückgehen und gucken, dass wir unten bei den Triebwerken klar Schiff machen. Kleiner Seemannswitz am Rande, wo wir doch auf einem Schiff sind. Auch wenn wir schweben. Ohne Schwerkraft. Dann können wir hoffentlich bald starten zu unserem neuen Zuhause.“

Loki zuckt nur mit dem Kinn und schaut schon gar nicht mehr hin, als Korg den Raum verlässt.

In dem Buch, das der Kronan aufgehoben hat, steckt eine Visitenkarte.

Loki streicht mit dem Daumen darüber, dann stößt er resigniert und belustigt zugleich die Luft aus, legt die Karte wieder in das Buch und das Buch auf den Tisch.

Steif klettert Loki unter die Decke auf seiner Bettstatt, lässt den Kopf auf das Kissen sinken und fällt zum ersten Mal seit Jahren in einen traumlosen Schlaf.



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