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Wetten, dass ...?

von

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#1

Als Leader einer international erfolgreichen Rockband war Kaoru es gewöhnt, dass er sich ins Zeug legen musste, damit alles so verlief, wie er es sich vorstellte. Besonders Touren außerhalb Japans stellten eine ganz eigene Herausforderung dar. Seit frühster Kindheit wusste er, dass der Schlüssel zum Erfolg, egal in welcher Disziplin, darin lag, ehrgeizig und zielorientiert zu arbeiten und sich auf nichts anderes, als sein logisch strukturiertes Denken zu verlassen. Sentimentale Gefühle waren gut und schön für alle, die eine Familie gründen wollten, sich sozialen Projekten verschrieben hatten oder an und mit Menschen arbeiteten. Nichts von alldem traf auf ihn zu.

Hinter vorgehaltener Hand nannten ihn alle, die schon einmal mit ihm zusammengearbeitet hatten, einen Workaholic, weil ihm die Arbeit stets das Wichtigste war, aber wer gab schon etwas auf die Meinung anderer? Er jedenfalls nicht; schönen Dank auch. Seinem Perfektionismus – und nein, diesen Charakterzug konnte und wollte er nicht abstreiten – war es zu verdanken, dass er während der Wintermonate ausschließlich in ungemütlicher Dunkelheit erwachte. An wirklich jedem Morgen, um genau zu sein, selbst wenn er sich den Luxus eines freien Tages gegönnt hatte, und das ohne Wecker, verstand sich. Seine innere Uhr funktionierte tadellos, jedenfalls hatte er das bis eben noch angenommen. Kein Wunder also, dass sich unverzügliche Irritation einstellte, als er die Augen öffnete und sich ein gleißend heller Sonnenstrahl zielsicher durch seine Netzhaut bis ins Zentrum seines Hirns brannte.
 

Stöhnend drehte er sich von dem stellaren Angreifer weg, versteckte seinen dröhnenden Schädel unter der Bettdecke und verfluchte die Welt, die sich eindeutig gegen ihn verschworen hatte. Warum nur plagten ihn plötzlich diese grausamen Kopfschmerzen und weshalb rumorte es in seinem Magen? In seinem Mund herrschte ein Geschmack, als wäre über Nacht ein Tier auf seine Zunge gekrochen und dort verendet, was zumindest das pelzige Gefühl darauf erklärte. Ob er sich etwas eingefangen hatte?
 

Seine Irritation schnellte in neue Höhen, als Erinnerungsfetzen der letzten Nacht wie ein Stroboskop vor seinem inneren Auge aufzublitzen begannen und das Sperrfeuer in seinem Hirn verzehnfachten. Verdammt, wo waren Schmerztabletten, wenn man welche brauchte? Und warum hatte er sich überreden lassen, mit Die und Toshiya auf den erfolgreich abgewickelten Werbevertrag anzustoßen? Er hätte es besser wissen müssen, schließlich war er alles andere als trinkfest und erst recht keine zwanzig mehr. Nicht einmal mehr dreißig und die Vierziger gingen mit strammen Schritten ihrem Ende entgegen, worüber er gar nicht so genau nachdenken wollte.

Großartig. Nun gesellte sich zu seinem verständlichen Wunsch, mit dem Kopf gegen die nächstbeste Wand rennen zu wollen, noch eine gehörige Portion Selbstmitleid. Er war alt. Alt und verkatert und eindeutig zu spät für jedes Meeting, das an diesem Morgen angesetzt gewesen wäre.

Normalerweise hatte er seine Termine im Kopf, alle, ohne jemals einen zu vergessen, aber heute konnte er von Glück reden, wenn er noch wusste, wie er hieß und mit welchem Kanji sein Nachname geschrieben wurde.
 

„Ugh.“ Ächzend rollte sich Kaoru auf die Seite, schob erst ein, dann das andere Bein über die Bettkante und versuchte, so lange wie möglich in der Horizontalen zu bleiben. Mit jedem Zentimeter, den er sich aufrichtete, wurde der Druck in seinem Kopf stärker und sein Magen machte Anstalten, sich selbst zu verdauen. Die Welt hasste ihn eindeutig und er konnte dieses Gefühl nur aus vollem Herzen zurückgeben. Eine Hand über den Mund gepresst und die Augen kaum weitgenug geöffnet, um zu erkennen, wohin er ging, stolperte er durch die Schlafzimmertür und über den schmalen Flur. Gut, dass er schon seit Jahren in diesem Appartement lebte, denn ohne die Vertrautheit seiner Umgebung hätte er das Badezimmer nicht rechtzeitig erreicht und was dann geschehen wäre, daran wollte er lieber nicht denken.
 

Genauso wenig wollte er sich daran zurückerinnern, was er dort die nächste halbe Stunde über getan hatte, als er nach Duschgel und Zahnpasta duftend mit leicht tropfenden Haaren und einem Handtuch um die Körpermitte geschlungen wie ferngesteuert zurück auf den Flur schlurfte. Das Dröhnen in seinem Schädel hatte dank einiger Schmerztabletten nachgelassen, dafür fühlte sich sein Magen jetzt noch flauer an. Aber sich deshalb keinen Kaffee zu gönnen, kam nicht infrage. Schlimm genug, dass seine heiß geliebte Routine für die Katz war, auf seinen einzigen Luxus am Morgen zu verzichten, käme einem Sakrileg gleich. Bevor er jedoch seine zweckmäßig ausgestattete Küche erreichte, lenkte er seine Schritte hinüber zur Eingangstür, wo auf dem Fußboden die Tageszeitung auf ihn wartete. Einen Postschlitz nach amerikanischem Vorbild einbauen zu lassen, war die beste Optimierungsidee gewesen, die er seit seinem Einzug hier gehabt hatte. Wer wollte sich noch im Halbschlaf schon mit dem Zeitungsboten unterhalten? Er sicher nicht.
 

Als sich Kaoru also bückte, um die Tageszeitung aufzuheben, fielen ihm gleich mehrere Dinge auf.

Erstens stand neben seinen ordentlich platzierten Schuhen unter den drei Wandhaken, die ihm als Garderobe dienten, ein fremdes Paar Biker-Boots.

Zweitens hing am rechten Haken ein schwarzer Designerwollmantel, den er zwar kannte, der jedoch nicht ihm gehörte.

Und drittens lag neben der schmalen Kommode, die ihm meist als Ablagefläche für Schlüssel und Handy diente, unordentlich hingeworfen eine schwarze Umhängetasche auf dem Boden.

Kaoru richtete sich auf, die Zeitung in der rechten Hand und atmete tief durch. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er noch ein viertes Detail, das ihm bis eben tatsächlich nicht aufgefallen war – es roch nach Kaffee und würziger Misosuppe.



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