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Der Fund

von

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II


 

„Als ich heute Nachmittag mit ihm gesprochen habe, wollte er einen seiner Zwischenhändler in der Baderstraat über irgendeinen Kanal halten“, antwortete Jesper und streckte sich genüsslich. Das grüne Hemd, das er passend zu ihrer Spielsession angezogen hatte, leuchtete im Licht der Kerzen, die den Salon von Wylans Vater – Wylans Salon, so ungewohnt das auch immer noch klang – erhellten. „Und um ehrlich zu sein, möchte ich es gar nicht genauer wissen.“

Wylan verdrehte die Augen. 

Sie saßen zusammen mit Colm Fahey und Inej um den großen Tisch, an dem noch vor ein paar Monaten wichtige – und in der Regel illegale – Beratungen stattgefunden hatten. Zwischen ihnen lag die Karte eines ausgedehnten Höhlensystems, die Wylan nach Colms Vorstellungen skizziert hatte. Auf einem der Gänge standen drei kleine Figuren. Ein blasser Halbling, ein leuchtend grüner Halbelf und eine Tiefling mit riesigem Hammer. Und Würfel. So viele Würfel.

„Ich auch nicht“, gab Wylan zu. Desto weniger er von Kaz Brekkers Geschäftsplänen wusste, desto besser. „Aber ich meine im Spiel. Selbst wenn Kaz nicht da ist, sollten wir Harwood nicht trotzdem mitnehmen?“

Inej hatte Kerker und Katastrophen vor einer Weile gefunden, zwischen dem üblichen Tand, den irgendwelche Marktstände in der Weerhuisstraat feilboten. Es hatte ein paar Lagebesprechungen – und viel Überzeugungsarbeit – gekostet, doch mittlerweile trafen sie sich regelmäßig. 

Heute ohne Kaz.

Wylan konnte nicht behaupten, dass er das ausgesprochen schade fand.

„Damit wir uns schneidende Seitenhiebe für ihn überlegen müssen?“, fragte Jesper spitz.

„Damit wir kein Lösegeld bezahlen müssen, damit ihn die Stadtwache gehen lässt?“, schlug Inej vor.

„Damit wir diese Tür aufbekommen?“

Er warf einen Blick auf Pax’ Charakterbogen. Sein Halbling hatte weder Punkte in Fingerfertigkeit, noch besaß er Diebeswerkzeuge. Wenn er Tavells und Sairas Steckbriefe richtig im Kopf hatte, sah es bei den beiden nicht viel besser aus.

Ihm gegenüber zuckte Inej mit den Achseln.

„Im echten Leben brauchen wir ihn doch auch nicht, um Türen zu öffnen.“

„Schon.“ 

Obwohl Wylan nicht viel von derlei Dingen hielt, wusste selbst er mittlerweile mit ein paar Drähten und einem Schloss umzugehen. Insbesondere, wenn etwas Sprengstoff an den Drähten befestigt war. Und das war nur Wylan. Jespers Fabrikatorenfähigkeiten und Inejs Geschicklichkeit waren da noch gar nicht einkalkuliert.

Nur galt das Gleiche halt noch lange nicht für ihre Charaktere.

Noch während Wylan die kleinen Skizzen musterte, die er als Gedächtnisstützen neben Pax’ Fähigkeiten gekritzelt hatte, angelte Jesper nach einem seiner Würfel. Mit der Selbstsicherheit eines Glücksritters verkündete er: „Lasst mich mal.“

Hinter dem Pappschirm, den Colm um seine Notizen herum aufgestellt hatte, zog selbiger die Augenbrauen hoch. „Hat Tavell Diebeswerkzeug?“

Jesper erstarrte. Den Würfel zwischen Mittel– und Zeigefinger seiner dominanten Hand geklemmt, griff er mit der anderen nach seinem Charakterbogen.

„Ich–“ Seine Augen huschten über das Papier. Hoch, runter, nochmal hoch. Während Jesper las, ließ er den Würfel zwischen seinen Fingern rotieren. Unglücklich presste er die Lippen aufeinander, bevor er schließlich fragte: „Zählen fünf Räucherstäbchen und ein Dolch?“

Vater und Sohn tauschten einen langen Blick. Der Würfel flitzte mit zunehmender Geschwindigkeit zwischen Jespers Fingern, ohne dabei auf den Tisch zu fallen. Wylan konnte den Schweißperlen dabei zusehen, wie sie sich auf seiner Schläfe bildeten. Colm zog die Augenbrauen zusammen. Die Spannung zwischen ihnen war so greifbar, dass man sie mit einem von Inejs Messern hätte schneiden können.

„Versuch es. Mit Nachteil.“ 

Auf Jespers Lippen bildete sich ein dünnes Lächeln. Zufrieden. Ein Hauch von Nervenkitzel in den Augen.

Leise klackernd landete der Würfel auf dem Tisch. Einmal, zweimal. Wylan konnte die Zahlen nicht lesen, doch er hörte Jesper zwischen zusammengebissenen Zähnen rechnen.

„Reichen dreizehn?“, fragte er schließlich, ein zaghaftes Grinsen auf den Lippen, halb hoffnungsvoll, halb dazu bereit zu fluchen.

Colm seufzte schwer und lehnte sich zurück. Das flackernde Licht der Kerzen ließ seine Augen im Schatten versinken. Wylan spürte seinen Blick dennoch, abschätzend und durchdringend.

„Einen Moment lang besiehst du dir das Schloss“, sagte er bedächtig. „Es ist groß und klobig, eindeutig eines dieser Schlösser, die sie neuerdings in Masse herstellen. Es sieht neu aus und gut geölt, so, als erführe es regelmäßige Nutzung. Auf deinen Abenteuern hast du schon schwierigere Schlösser klein gekriegt, doch heute fehlt dir das passende Werkzeug. Du weißt, dass Harwood dir auf diesem Gebiet meilenweit voraus ist, doch du hast den Dieb das letzte Mal auf dem Markt gesehen, als er sich an den Schatten eines besonders wohlhabenden Händlers geklebt hat. Eine Weile wühlst du dich durch deinen Rucksack, bis du schließlich das Päckchen mit Räucherstäbchen von ganz unten hervorziehst. Es ist keine gute Idee. Und es ist eine ziemliche Friemelei, bei der dir ein Räucherstäbchen nach dem anderen zerbricht. Erst, als du den Dolch zur Hilfe nimmst, hörst du schließlich doch noch das verheißungsvolle Knacken, mit dem der Mechanismus nachgibt.“

„Tada!“, verkündete Jesper freudestrahlend. „Ich sagte doch, ich kann das!“

Doch statt geknickt zu wirken oder seinen Sohn zu beglückwünschen, nahm Colm lediglich einen tiefen Schluck aus seiner Teetasse. Die Erleichterung, die sich in Jespers Miene widerspiegelte, verschwand schlagartig. Er warf Wylan einen skeptischen Blick zu. Der jedoch wusste außer einem schwachen Achselzucken auch keine Antwort.

„Du löst das Schloss und ziehst die schwere Eisentür auf“, fuhr Colm fort, die Stimme dunkel und unheilverkündend. „Wirf auf Wahrnehmung.“

Jetzt sah Wylan Jesper schlucken. Trotz der dunklen Vorahnung, die sich über den Tisch legte, griff er nach dem Würfel. Klackern folgte. Dann verbissenes Rechnen. Drei Blicke auf Tavells Charakterbogen. Ein nur halb geschlucktes Fluchen. „Nochmal dreizehn?“

„Deine Hände riechen nach Patchouli.“

Jesper warf einen Blick auf seine langen, dünnen Finger. „Den hab ich verpatzt, oder?“

Sein Vater antwortete mit einem dünnen Lächeln. „Zumindest bist du dir sicher, dass dich der Geruch eine ganze Weile begleiten wird.“

„Oh ja.“ Seufzend vergrub Jesper das Gesicht in den Händen. „Den habe ich verpatzt.“

Wylan blickte zwischen den beiden Männern hin und her. Er hoffte, dass der Geruch nur eine kleiner Seitenhieb für den Missbrauch von Räucherstäbchen war, doch auch ihm schwante übles. „Können wir es auch riechen?“

„Weiß nicht.“ Jesper hielt ihm seine Finger unter die Nase. „Kannst du es riechen?“

Wylan warf ihm einen kritischen Blick zu, griff dann aber doch nach der ihm dargebotenen Hand. Vertraute Schwielen zogen sich über Jespers Haut, semipermanente Erinnerungen an die Fabrikator-Übungen, mit denen er sich seit ein paar Monaten beschäftigte. Einen Moment lang schnüffelte Wylan an seinen Fingerkuppen, wie ein reicher Kaufmann an einem edlen Wein. Schließlich schüttelte er bedauernd den Kopf. 

„Nichts, fürchte ich“, gestand er. „Nur Zedernholzseife und Zockerschweiß.“

Sie tauschten einen Blick. Wylan gönnte sich ein herausforderndes Lächeln. 

Zur Antwort warf sich Jesper theatralisch in seinem Stuhl zurück und hielt sich die freie Hand vor die Stirn. „Oh! Oh verdammt!“, klagte er wehleidig. „Du verbringst zu viel Zeit mit mir! Ich färbe ab!“

„Wie kannst du nur! Furchtbar! Schrecklich!“, stimmte Wylan zu und grinste. „Aber ich nehme an, Pax kann. Aber er wird nicht schnüffeln.“

„Mist.“

Auf der anderen Seite des Tisches beugte Inej sich über die Karte. Bedächtig griff sie nach der Tieflingfigur.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr das gerne weiter erörtern“, verkündete sie und schob ihre Figur den Gang entlang. „Saira geht jedenfalls an Tavell vorbei in den Stollen. Wie tödlich ist er?“
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  _Risa_
2023-06-18T20:56:32+00:00 18.06.2023 22:56
Ich mag den Alias-Namen Kerker und Katastrophen. xD Nehm mal an, das ist Inej ins Auge gesprungen.

Und natürlich, das Metagame und die Besprechungen außerhalb des eigentlichen Spiels haha eigentlich hatte meine Gruppe(n) sich auch ausgemacht das sein zu lassen, aber wer hält sich schon so richtig daran.

Find ich auch nett, dass der Vater der DM ist. Die Gespräche am Tisch fühlen sich halt wirklich sehr nach DnD an, also nehm ich an du weißt wovon du schreibst und selbst schonmal gespielt.

Auch die Charaktere handeln sehr IC und daher macht mir das besonders Spaß und Jesper und Wylan zusammen sind cute. <3
Antwort von: Arcturus
16.07.2023 21:02
Jep. Vermutlich "Kerker und Katastrophen? ... Ja. Ja, das passt. Nehm ich."

Ich habe nichts gegen Metagaming, solang es im Rahmen bleibt. Man spielt ja doch ein Spiel, komplett ausklammern kann man das nie.

Es freut mich, dass die Charaktere IC sind. Ich hab das Pairing tatsächlich noch nie geschrieben und war daher n kleines bisschen in Sorge, ob ich die Chaoten treffe.

Und ja, DnD hatte ich auch schon ne Runde. Ansonsten bin ich in der Regel der Gamemaster. (FATE haben wir schon probiert, aber das mochte ich nicht. Open Legends fand ich besser. Und ich würde gerne mal Blades in the Dark probieren.)


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