Zum Inhalt der Seite

Die letzte Hürde

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Kurz zur Erklärung: Handling ist quasi der deutsche Begriff für eine nicht-magische Person. Ganz einfach, weil Hexen und Zauberer alles mit ihren Zauberstäben tun, während nicht-magische Menschen für alles ihre Hände benutzen. Simpel nicht wahr? :-) Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die letzte Hürde

Irgendwo in der Ferne tickte eine laute Uhr; ihr Geräusch hallte durch den leeren Gang und wurde von den nackten Wänden zurückgeworfen. Eine regelmäßige Gleichheit, die den wartenden Menschen bewusst machte, wie viel ihrer Lebenszeit sie bisher in diesem Flur verbracht hatten.

Dass die Zeit kein lebendiger Fluss war, sondern ein Stocken, ein Schluckauf, der einem jegliches Leben aus den Ohren hinauszog. So sehr sich Annerl bemühte, sie konnte das regelmäßige, kalte wie auch harte Ticken nicht ignorieren. Jeden Augenblick konnte eine der Türen aufgehen, ihre Nummer magisch in der Luft erscheinen und ihr Name würde aufgerufen werden … die Nummer!

Immer wieder wanderte ihr Blick von ihren Schnürsenkeln auf den kleinen Zettel in ihrer Hand und wieder zurück. Die Zahl auf dem kleinen Stück Pergament veränderte sich nicht. Lediglich, wenn sie ihre Augen zusammenkniff, konnte Annerl nicht mehr sagen, ob sie nun eine Eins oder eine Sieben auf dem Zettel lesen konnte.

Dann sah sie zu ihrer Mutter hinüber, diese schien die Ruhe in Person zu sein. Sie hatte die Nase tief in einem Magazin vertieft, obwohl ihre Mutter es zu diesem Zeitpunkt schon fast auswendig kannte. Dennoch bekam sie nicht genug davon und sollte es sie eines Tages zerfleddern, reichte ein Schwung mit dem Zauberstab und das Heft sah wieder aus wie neu. Dabei stützte sich ihre Mutter mit ihren Unterarmen auf einer mittelgroßen, knallgelben Handtasche ab. Es war ein Mitbringsel aus einer Stadt im Allgäu, aus gelbgefärbtem Leder und mit einer lachenden Kuh auf der Seite.

Annerl hätte nie erahnen können, dass ihrer Mutter diese Tasche tatsächlich gefallen könnte. Handelte es sich doch dabei um die Art von überteuertem Ramsch, mit welchem die Händler ahnungslosen Touristen oder Handlingen das Geld aus der Tasche zog.

Der Mutter hatte die knallgelbe Tasche jedoch gefallen, besonders, nachdem sie diese mit dem Ausdehnungszauber ihren Bedürfnissen angepasst hatte. Das war auch der einzige Grund, weshalb Annerl dankbar für die Existenz dieses modischen Unfalls war: Ihre Mutter bewahrte dort sämtliche Dokumente auf, die sie für diesen einen letzten Termin benötigen würde. Wenn ihre Nummer nur endlich mal aufgerufen werden würde …

Schnürsenkel. Pergamentstück. Schnürsenkel. Pergamentstück. Schnürsenkel.

Annerl begann aufgeregt mit den Füßen zu wippen, langsam wusste sie nicht, wohin mit der Energie, die sich immer mehr in aufzustauen begann.  Ihre Hände krallten sich in das unnachgiebige Plastik ihres Stuhls, als könnte dieser ihr den nötigen Halt bieten, den sie im Moment so sehr benötigte.

Neugieriges Bellen ertönte an ihrer Seite und Annerl lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die kleine Transportbox, aus welcher das Geräusch zu hören war. Sofort nahm Annerl die Box zu sich herauf und blickte hinein, ein paar tiefschwarzer Augen mit hellem Glanz blickten zurück. Zu gerne hätte Annerl ihr kleines Haustier herausgeholt und in eine lange, ausführliche Umarmung genommen, doch zum jetzigen Zeitpunkt war es ihr verboten. Es entsprach nicht der Hausordnung, zumal mal ein magisches Tier wie Hermgilde nur so vor neugierigen Blicken schützten konnte. Es war einfacher, eine Transportbox mit einem Täuschungszauber zu belegen, als ein lebendiges Wesen.

„Mama, hast du noch was von den Paprikastreifen?“, fragte Annerl und konnte schon hören, wie diese eine der unzähligen Plastikdosen zückte, dank denen mehrere Küchenschränke bis zum Bersten befüllt waren.

„Hier, aber verhätschle sie nicht so, denk dran, die muss auch noch auf deinem Weg zur Schule in diese Box reinpassen.“

Dennoch hielt die Mutter ihrer Tochter zwei Streifen hin, diese nahm sie dankend an.

„Na, ich werde schon aufpassen, Mama. Genau des ist doch meine Verantwortung! Ich bin alt genug, das wirst du schon sehen!“

Annerl hielt ihrem kleinen Schatz den ersten Paprikastreifen hin und konnte ganz genau zusehen, wie diese ihre langen Schneidezähne ausfuhr. Rhythmisch begann das kleine Tierchen an dem Gemüsestreifen zu knabbern, bis es vollständig in seinem Maul verschwunden war. Dem nächsten Leckerchen ereilte das gleiche Schicksal. Kaum hatte Hermgilde aufgehört zu kauen, sah sie Annerl aufmerksam an. Diese wusste ganz genau, was dieser ganz besonders helle Glanz in den Augen bedeutete. Doch es würde Hermgilde nichts bringen.

Besonders nicht, da endlich die Glocke ertönte, auf welche Annerl die ganze Zeit gewartet hatte. Vor ihren Augen tauchten Zahlen auf, als hätte sie jemand mit seinem Zauberstab in die Luft geschrieben. 015, gefolgt von einem Namen, der Annerl nichts sagte wie auch einer Raumnummer.

„Tut mir leid, den Rest bekommst du später“, sagte sie und unterdrückte den Wunsch, ihr Haustier am Kopf zu streicheln. Das würde ebenfalls warten müssen, bis sie Hermgilde wieder aus der Box herauslassen konnte. Doch vorher galt es noch etwas zu erledigen.

„Schick di, die Beamtin wird nicht ewig warten“, sagte ihre Mutter stark ungeduldig und Annerl hatte größte Mühe, mit ihrem Tempo mithalten zu können. Warum mussten sie auch ausgerechnet den Gang bis zur allerersten Tür zurücklaufen? Wenn sie das gewusst hätte, wäre Annerl bei den ersten Stühlen geblieben und hätte nicht auf einen Sitzplatz in der Nähe der Fenster bestanden.

 

„Grüß Gott, Frau Jäger!“, begrüßte Annerls Mutter die Beamtin, kaum hatten sie den Raum betreten. Eilig schob Annerl ihre eigene Begrüßung hinterher, dabei färbten sich ihre Wangen rot. Sie hoffte, dass das nicht bereits für einen schlechten ersten Eindruck gesorgt hatte.

Ist der erste Eindruck einmal ruiniert, braucht es ewig, bis man ihn durch tausend weitere gute Eindrücke wieder bereinigen kann. Ein Spruch, den Annerl in den letzten Tagen sehr oft von ihrer Großmutter hatte hören dürfen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie ihre Enkelin mit dem engen Hosenanzug losgeschickt. Glücklicherweise hatte ihre Mutter bei derartigen Dingen immer das letzte Wort und sich auch in diesem Fall wieder durchsetzen können. Das lange grüne Kleid mit dem braunen Gürtel machte sie nicht weniger nervös, es war wenigstens bequemer als der Hosenanzug.

Mit einer wischenden und zugleich ungeduldigen Handbewegung verwies die Beamtin auf die zwei Stühle, die sich vor ihnen befanden. Sofort nahmen die beiden Platz, Annerl stellte jedoch die Transportbox auf dem Tisch vor sich ab.

Mit einem Seitenblick sah Frau Jäger, wie sie ihnen bereits durch die Mitteilung benannt worden war, zu ihnen hinüber. Diese nahm den Blick nicht von den unzähligen Dokumenten, sondern hob lediglich die Hand und tippte auf ein kleines Bastkörbchen.

„Pergament dort rein“, sagte sie mit einer Stimme, die verriet, dass sie diesen Satz bereits viel zu oft in ihrer Karriere hatte sagen müssen. Sofort folgte Annerl der Anweisung, sie konnte bereits erkennen, dass sich das Körbchen fast gefüllt hatte.

Frau Jäger räusperte sich mehrere Male, machte sich mehrere Notizen mit einer besonders kratzigen Feder und schien auch genauso oft über irgendwelche Dinge nachzudenken. Es dauerte nur wenige Minuten an, dennoch fühlte sich Annerl, als hätte die Beamtin sie vergessen. Die Anwesenheit von zwei Menschen und einem magischen Tierwesen komplett ausgeblendet.

Dann legte Frau Jäger die Feder ab, drehte sich mit einem abrupten Ruck zu den beiden um und schob ihre Brille ein Stück nach oben. Erst jetzt bemerkte Annerl den scharlachroten Rahmen, wie auch die Kette aus goldenen Perlen, die die Brille verzierten.

„Was möchten sie?“, fragte Frau Jäger ohne die kleinste Spur an Begeisterung, ihr Blick bohrte sich in Annerls Augen hinein. Sie wünschte sie, sie könnte nun an einen ganz anderen Ort sein, glaubte aber, dass es der Beamtin genauso erging.

„Es geht um mei Tochter, Annerl… Anna Huber. Sie kommt jetzt dann im Sommer auf’d Schui und möcht dafür ihr Haustier anmelden. Wir haben auch alles Mögliche an Dokumenten oder Formularen dabei, die mer mitbringen sollten.“

Nicht sonderlich überrascht, dass nicht Annerl, sondern ihre Mutter die Frage beantwortet hatte, blickte Frau Müller zu ihr herüber. Einen kurzen Augenblick musterte die Beamtin sie, bevor sie ihren Kopf senkte und stattdessen den Dokumentenstapel ansah, den Annerls Mutter ihr reichte.

„Das erwarte ich auch, alles andere wäre eine absolute Zeitverschwendung“, sagte Frau Jäger mit einem Ausdruck, der jeglichen Anflug von Spaß, Freude oder Scherz aus der Luft zu saugen schien.

Blätterrascheln erfüllte den Raum, als die Beamtin die einzelnen Seiten stumm überflog. Annerl traute sich nicht einen Mucks zu machen und ihre Mutter hielt es wohl ebenfalls für das Beste, zu schweigen. Das gelegentliche Kratzen der Feder, wenn die Beamtin sich eine Notiz machte oder das Klopfen ihres Zeigefingers auf den Dokumenten waren die einzigen Geräusche, die das Büro für eine sehr lange Zeit füllten. Unsicher blickten Tochter und Mutter sich an. Hatten Sie auch wirklich an alles gedacht? Alles ausgefüllt, alle Anhänge abgeheftet? Annerl ging in Gedanken alles durch, doch sie hatte schon vor langer Zeit die Übersicht verloren. All die ganzen Pergamente, die vielen Besuche, die vielen fremden Menschen – das war dann doch zu viel für sie. Annerl war dankbar, dass ihre Mutter sich um den Großteil kümmerte und dass auch ihr Vater langsam hinter ihr stand. Vor allem, da er lange nicht an die Existenz von magischen Wesen geglaubt hatte.

„Glaub mir, das ist wie mit Vätern und Hunden, die wollen auch oft erstmal keinen. Aber kaum ist der Hund im Haus, sind die Väter diejenigen, die am meisten daran hängen.“

Annerl war dankbar für den Rat ihrer Freundin, auch wenn man Hermgilde nicht mit einem Hund vergleichen konnte. Gut, den Fuchsanteil von ihr sicherlich schon, aber den Rest?

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit, Annerl kam es vor, als würden sie bereits mehrere Stunden in diesem kalten, nackten Büro sitzen, legte die Beamtin alle Dokumente übereinander und rückte den Stapel fast schon zu akkurat zurecht.

„Gut, Sie haben tatsächlich alles dabei und ordnungsgemäß ausgefüllt. Der Bescheid des Magizooheilers ist vorhanden, die Unterlagen über das Tier, die Bestätigung der Versicherung, die Erlaubnis der Schule, die Haltererlaubnis …“

Annerl musste sich ein Gähnen unterdrücken, dass die Beamtin jede einzelne Dokumentenart erwähnte, ermüdete sie. Unauffällig legte ihre Mutter eine Hand auf ihre Schulter, sie drückte sanft, aber bestimmt zu.

Es wird nicht mehr lange dauern, sagten ihre Augen, als sich ihre Blicke kreuzten, und Annerl versuchte sich zusammen zu reißen. An ihr sollte es nicht scheitern, dass Hermgilde sie nach Schloss Seespiegel begleiten würde. Sie hatte ihren Vater knacken können, sie hatten all diesen Aufwand betrieben – das durfte sie nicht durch ein unhöfliches Verhalten wie Gähnen vernichten.

Die Beamtin nahm einen großen Schluck aus ihrer Tasse.

„Ich bin überrascht, die meiste Zeit vergessen die Leute irgendwas und ihnen dann zu erklären, dass wir keine Ausnahme machen können … Sie machen mir meinen Job dadurch sehr einfach. Und damit kommen Sie Ihrem Ziel näher als sie glauben.“

Sie nahm den Stapel und schob ihn in einen großen Papierordner, Annerl begann sich zu fragen, wo sie derartige Dinge aufbewahrte. Denn im gesamten Bürozimmer konnte sie keinen einzigen Ordner erkennen. Lediglich ein einzelner Schrank zierte das Zimmer, der Rest bestand aus einer Kuckucksuhr und einem schlichten Holzkreuz an der Wand, sowie den drei Stühlen und dem Schreibtisch vor ihnen.

Die Beamtin sah die beiden an und verschränkte ihre Finger vor ihrer Brust.

„Sie müssen mir das magische Tier noch kurz zeigen, dann werde ich ein paar letzte Angaben aufnehmen, dann sind wir fertig“, kam ein befehlender Ton aus ihrem Mund und Annerl konnte gar nicht anders, als dem Befehl Folge zu leisten.

„Hol es heraus. Bevor es mich noch beißt.“

Das Bedürfnis, diese unrechte Behauptung zu entkräftigen kratzte stark in Annerls Kehle, doch sie riss sich weiterhin zusammen. Sie kannte ihre Hermgilde nun seit über einem Jahr und sie wusste, dass diese nichts tun würde. Sie würde nicht um sich beißen, wenn man sie nicht bedrohen würde. Auch ihre Krallen zeigten sich nur, wenn sie es wirklich für nötig hielt.

Doch Annerl schwieg, und drehte stattdessen die Transporttasche um. Kaum hatte sie den Reißverschluss aufgezogen, kam Hermgilde auf sie zu, ließ sich problemlos aus der Tasche herausheben. Während die Mutter die nun leere Tasche auf ihren Schoß nahm, setzte Annerl ihren kleinen Schatz auf dem Tisch ab. Neugierig hob sich ihr kleines Näschen, versuchte den neuen Ort mit allen Sinneseindrücken zu erkunden, die ihr zur Verfügung standen. Abgesehen von einem kurzen Bellen blieb sie dennoch ruhig. Selbst dann, als die Beamtin sich erhob und das Tier von allen Seiten näher zu betrachten begann.

„Ich muss zugeben, dass ist tatsächlich eines der eher selteneren Kombinationen, die ich bei einem Wolpertinger gesehen habe. Recht … experimentell. Nun, es steht mir nicht zu, es zu beurteilen, meine Aufgabe ist lediglich sicherzustellen, dass es für den Schulalltag keine Bedrohung darstellen wird.“

Sofort begann Hermgilde sich mit einem ihrer Hinterläufe zu kratzen, ein Anblick, der Annerl stets das Herz öffnete. Die Beamtin schien es jedoch nicht zu beeindrucken. Stattdessen fragte sie ohne das Anzeichen einer Emotion: „Kann ich es anfassen?“

„Hermgilde, die Frau will dich nur kurz ansehen, sie tut dir nichts“, erklärte Annerl, bevor sie der Beamtin freie Bahn gab. Diese ließ sich das nicht zweimal sagen, und begann das magische Tier genauso akribisch zu untersuchen, wie es schon der Magizooheiler wenige Wochen zuvor getan hatte.

„Aus was genau ist dein Wolpertinger alles zusammengesetzt? Ich möchte jedes einzelne Tier wissen und egal, wie klein der Anteil ist. Wird es verschwiegen, kann ich das als Unterschlagung betrachten.“

Verwundert, da die Beamtin das sicherlich in den Unterlagen gelesen haben musste, sah Annerl sie ungläubig an. Sämtliche Kommentare lagen ihr auf der Zunge. Doch dann besann sie sich eines Besseren und gab der Bitte nach.

„Hermgilde hat den Kopf eines Kaninchens, den Körper eines Fuchses, die Flügel einer Ente und die Hörner eines Nashorns. Zumindest die ganz kleinen Babyversionen davon, zumindest meinte das der Magizooheiler bei seiner Analyse.“

Die Beamtin hatte aufmerksam zugehört, während sie erst die Pfoten, dann die Ohren und Augen des kleinen Tierchens genaustens studiert hatte. Als sie vorsichtig das kleine Mäulchen öffnete, nahm ihr Gesicht einen leicht überraschten Ausdruck an.

 „Von welchem Tier hat es die Zähne? Für ein Kaninchen sind es viel zu viele und diese auch viel zu spitz.“

Die Beamtin sah hoch, zu ihnen beiden hinüber und schien eine Antwort mehr als zu verlangen.

„Nun, die Züchterin, von der wir das Tier haben“, begann Annerls Mutter zu erzählen. „Sie hat uns gesagt, dass das Gebiss größtenteils das eines Fuchses ist. Sie kann aber auch bei Bedarf ihre vorderen Schneidezähne ausfahren. Dadurch ist die kleine Hermgilde ein Omnivore, sprich, sie ernährt sich sowohl von Gemüse als auch von Fleisch.“

Der Blick wanderte wieder zurück zu Hermgilde und Annerl fragte sich, ob damit die Neugierde dieser strengen Frau gestillt wäre. Diese machte sich kurz Notizen, ihre Miene war nach wie vor nichtssagend. Konnte sie nicht einfach sagen, es passt alles und dass sie nun gehen konnten? Die Ungeduld nagte immer stärker an Annerl und sie wusste nicht, wie lange sie es noch aushalten würde.

 

Frau Jäger dagegen sah Hermgilde ein letztes Mal an und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Weiteres Federkratzen ertönte und wieder begannen sich Tochter und Mutter fragend anzusehen. Was hatte das nun zu bedeuten? Gab es doch noch irgendwelche Probleme? Solange die Beamtin nicht mit ihnen redete, würden Sie das niemals erfahren.

„In Ordnung, ich habe das Tier gesehen und kann die Vollständigkeit wie auch die Richtigkeit der Dokumente feststellen. Sie können es nun wieder in ihre Tasche zurücktun“, sagte die Beamtin zwischen zwei Federkratzern. Mehr als dankbar ging Annerl der Bitte nach. Hermgilde blickte sie mit großen Augen an, und Annerl lächelte sie an. Sie hätte ihr gerne verbal Mut gemacht, traute sich jedoch nicht unnötig den Mund aufzumachen.

Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Frau Jäger und sah, wie diese aus einer Schreibtischschublade etwas hervorholte. Sie begann mit ihrem Zauberstab darauf zu zielen und schien einen unausgesprochenen Zauber daran auszuüben. Anschließend nahm sie eine der Kerzen von ihrem Tisch, ließ ein wenig Wachs darauf träufeln und drückte einen kleinen Stempel hinein. Frau Müller räusperte sich.

„In Ordnung, damit ist ihr magisches Tier registriert und sein Aufenthalt für die gesamte Zeit auf Schloss Seestein genehmigt. Dennoch möchten wir jedes Jahr einen neuen medizinischen Bericht des zuständigen Magizooheilers bekommen, um eventuelle Wesensveränderungen frühzeitig feststellen zu können. Wenn Ihre Tochter eines Tages die Schule wechseln sollte, müssten wir ebenfalls unterrichtet werden, wie auch beim vorzeitigen Ableben.“

Irritiert sah Annerl die Beamtin an und konnte sich dieses eine Mal nicht mehr zurückhalten.

„Beim Ableben? Also wenn Hermgilde aus irgendeinem Grund sterben sollte? Oder bin ich damit gemeint?“

Frau Jäger seufzte, als hätte Annerl gerade die dümmste Frage des Tages gestellt. Zumindest kam es dem jungen Mädchen so vor.

„In beiden Fällen. Aber natürlich wünschen wir uns alle, dass uns diese Themen vorerst nicht beschäftigen werden. Auch möchte ich keine Fälle von Sachbeschädigung oder Verletzung Dritter hören, wenn es möglich ist.“

Die Beamtin überreichte Frau Jäger das kleine Stück Papier, welche es sofort in ihrer Handtasche verschwinden ließ. Dankbar sah sie Frau Jäger an und Annerl tat es ihr gleich, so gut sie es konnte. Es war vorbei, sie hatten gewonnen. Hermgilde würde sie für die nächsten sieben Jahre auf den Bodensee begleiten können.

„In Ordnung, wenn sonst keine Fragen mehr sind, können Sie nun gehen“, sagte Frau Jäger und begann wieder mit ihrer Feder irgendwelche Dinge zu notieren. Annerls Mutter nickte jedoch lediglich und nahm ihr die Transporttasche ab.

„Na, I denk, mer hams hier. Und vielen Dank für alles, nicht wahr, Annerl?“

„Ja, vielen Dank, das war sehr nett von Ihnen.“

Frau Müller sah sie irritiert an, vermutlich bedankten sich die Leute eher selten, die hier in diesem Büro erscheinen mussten. Oder sie konnte damit nicht umgehen.

„Ich habe meinen Job getan und Sie die Vorgaben erfüllt. Das ist alles. Und wenn Ich sie nun bitten dürfte, ich muss die nächste Nummer aufrufen.“

Mit diesen Worten hob sie ihren Zauberstab und formte eine 017 in der Luft, die sofort ihren Weg durch das Schlüsselloch in den Flur suchte.

„Auf Wiedersehen“, sagte Frau Müller bestimmt und das war mehr als deutlich. „Auf Wiedersehen“, sagten Annerl und Frau Jäger unisono, bevor sie das Büro verließen und die Tür hinter sich schlossen. Ihnen kam ein junger Mann entgegen, mit einem Papagei, der bunter war als der schönste Blumenstrauß, den Annerl in ihrem ganzen bisherigen Leben gesehen hatte.

„Schaut so aus, als wären mer ned die einzigen mit einem besonderen magischen Viecherl heute hier“, sagte die Mutter, während sie einen langen, leblosen Gang entlanggingen. Annerl konnte es kaum noch erwarten, bis sie das unangenehme Gebäude endlich hinter sich lassen konnten.

„Was moanst, zur Feier des Tages die eine oder andere Kugel Eis? Hermgilde können wir auch wieder ein paar Waffeln und Früchte bestellen, ich bin mir sicher, Alfredo hod wieder etwas auf die Seite für uns g‘tan.“

Annerls Augen begannen zu leuchten und die Vorstellung, ein leckeres Eis bei ihrem Lieblings-Eismagier zu essen, machte die unangenehme Erfahrung zuvor mehr als wett.

„Das ist eine großartige Idee, Mama und ich bin mir sicher, dass Hermgilde das auch großartig findet. Sie wird sich bestimmt freuen!“

Frau Huber schenkte ihrer Tochter ein Lächeln, während sie sie durch die letzten Türen des Ministeriums lotste.

„Aber vorher müss mer schauen, dass wir ungesehen zum Auto kimma. Lass mi noch kurz den Zauber an der Transporttasche erneuern.“

Sofort holte sie ihren Zauberstab heraus und schwenkte ihn, während sie mehrere Worte vor sich hinmurmelte. Irgendwann eines Tages wird ihre Mutter ihr diesen Zauber beibringen müssen, dessen war sich Annerl mehr als bewusst.

„Auf geht’s, lass uns aussi gehen, wir drei waren hier schon als lange genug drin“, sagte Frau Huber und öffnete die Tür. Die ersten Sonnenstrahlen kamen ihnen entgegen, doch sie waren ein Witz zu der warmen Freude, die Annerl seit wenigen Minuten in ihrer Seele spürte. Es werden schöne Schuljahre werden, das wusste sie. Jetzt musste sie nur noch abwarten, bis es beginnen würde: ihr gemeinsames Abenteuer auf Schloss Seespiegel. Annerl war bereit dafür.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück