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Erik x Ariane Szenen Zusammenstellung Balance Defenders, Pairing, Shipping, Szenen, Zusammenstellung

Autor:  Regina_Regenbogen

Ich persönlich liebe ja YouTube Videos, in denen die bedeutsamsten Szenen zusammengeschnitten sind.

Da ich aber nur Geschriebenes habe, kann ich nur mit einer geschriebenen Zusammenstellung aufwarten. Ich hoffe, dass ihr dennoch Freude daran habt. 

 

Bei manchen Kapiteln ist fast das ganze Kapitel hier zitiert, wenn ich dies für sinnvoll erachtet habe. 

 

Ich werde diesen Beitrag versuchen, immer wieder auf den neuesten Stand der Geschichte zu bringen. 

 

Okay, ich habe es übertrieben. Alleine diese Szenen sind ja schon ein kleines Buch. :'D Da ich nun keine Zeit mehr habe, das zu kürzen, bekommt ihr es so. XD 

 

Kapitel 7 Geheime Bekanntschaft

Plötzlich wurde Secret schwarz vor Augen. Fast wäre er in sich zusammengeklappt. Schwer atmend ging er auf die Knie und schloss die Augen.

Was hatte das zu bedeuten?

Instinktiv fasste er sich an die Verletzung an seinem Oberarm.

Aber so viel Blut hatte er doch gar nicht verloren.

Arianes Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Tut es sehr weh?“, fragte sie. Sie war neben ihm auf die Knie gegangen. Als sie sachte seinen Oberarm berührte, um die Wunde zu betrachten, zuckte Secret wie unter Hieben zusammen und riss seinen Arm schnell weg.

„Es ist nichts!“, rief er und fügte in ruhigerer Stimmlage hinzu „Lasst uns gehen.“ Dann stand er wieder auf und lief weiter.

Ariane stockte kurz. Sie baute sich wieder zu voller Größe auf und ging Secret hinterher. „Warte!“

Genervt blieb Secret stehen und drehte sich zu ihr um. „Was ist?“, fragte er abweisend. Statt eine Antwort zu geben, riss sie ihm kurzerhand die notdürftige Binde vom Arm.

„Hast du sie noch alle?!!“

Ariane reagierte nicht auf seinen tobsüchtigen Schrei, zu sehr war sie auf Secrets Wunde fixiert. Auch den übrigen blieb die Sicht darauf nicht erspart.

Die Verletzung an sich bestand nur aus zwei roten Kratzern, die nicht sehr tief waren. Jedoch sah der Bereich rundum so aus, als würde das Fleisch langsam faulen, was ihm eine fahle aschgraue Farbe verlieh. Unzählige pechschwarze Adern, die ihren Anfang ebenfalls bei den beiden Schnitten nahmen und die beängstigenderweise pulsierten, überwucherten seinen Oberarm und vervollständigten den erschreckenden Anblick.

„Was ist das!“, rief Vitali angeekelt.

„Es breitet sich immer weiter aus.“, äußerte Justin seine Befürchtung.

„Das ist nur eine Wunde.“, sagte Secret und entriss sich Arianes Griff.

Ariane ließ sich allerdings nicht so schnell abschütteln. „Nur eine Wunde?“

„Das geht euch nichts an.“

„Tut es sehr wohl!“, widersprach Ariane.

„Was willst du tun?“, fragte Secret herausfordernd.

Ariane atmete aus. Es gab hier keinen Arzt. Sie hatten kein Verbandszeug. Was also konnten sie tun?

Sie schüttelte den Kopf. „Wenn wir hier raus sind, wirst du verarztet.“

Ob mit Wunde oder ohne, wenn sie sich jetzt nicht voll auf die ihnen bevorstehende Aufgabe konzentrierten, waren sie dem Untergang geweiht.

 

Kapitel 8 Minenspiel

Abermals kippte das Labyrinth nach vorne. Ariane prallte gegen Secret, der ihr den Rücken zugewandt und damit nicht gerechnet hatte. Dieses Mal konnte er das Gleichgewicht nicht halten und stürzte nach vorn – genau auf eine der Kacheln.

Im gleichen Moment kam das Labyrinth wieder in eine waagrechte Lage.

Ariane, die durch die Pufferung von Secret auf den Beinen stehen geblieben war, blickte entsetzt und reuevoll auf ihn hinab.

Secret biss die Zähne zusammen und starrte wie alle anderen auf die Platte, auf der seine rechte Hand gelandet war.

[…]

Währenddessen wollte Ariane Secret wieder aufhelfen. „Es tut mir wirklich leid.“, beteuerte sie zum wiederholten Male.

Secret ignorierte ihr Hilfsangebot und kam alleine wieder auf die Beine. Er bedachte sie mit einem kalten Blick. „Sich entschuldigen, ist ein Zeichen von Schwäche.“

Ariane stockte.

 

Kapitel 9 Über Fallen

Laut knallend zersprangen die ersten Platten, die den Wänden im Weg gewesen waren.

„Ich kann übernehmen.“, bot Ariane Vitali an, der noch immer Secret stützte.

„Der ist zu schwer für dich.“, sagte Vitali.

„Ich kann alleine laufen.“, verkündete Secret, aber er sah dabei sehr blass aus.

„Wenn er alleine laufen kann, wird er ja nicht so schwer sein.“, behauptete Ariane.

Vitali stieß ein entnervtes Geräusch aus und ließ von Secret ab. „Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

Ariane nickte, während Vitali nun an Geschwindigkeit zulegte.

Sie legte Secrets rechten Arm um ihre Schulter. Im gleichen Moment erschauderte sie. Das ekelhafte Gefühl, das die Ranken in ihr ausgelöst hatten, überkam sie.

Secret entzog ihr seinen Arm. „Lauf.“ Ihm war nicht entgangen, wie sie auf den Körperkontakt mit ihm reagiert hatte.

Ariane holte Luft. „Du läufst vor. Und zwar schnell.“

Er nickte und joggte los.

 

Kapitel 12 Verluste

„Ihr wollt es nicht verstehen.“, sagte Secret. „Sie ist von Rachegefühlen getrieben und zerreißt ihre Seele. Es ist auszuschließen, dass sie noch einmal von sich aus zurückfindet.“

Eine weitere Energiewoge rauschte über ihre Köpfe hinweg und ließ winzige Spiegelsplitter auf sie nieder regnen.

Serena kreischte qualvoll.

„Dann müssen wir ihr eben dabei helfen!“, schrie Vivien, sprang auf und rannte Serena blindlings entgegen.

Ohne zu zögern folgte ihr Vitali.

Auch Justin erhob sich und sah Secret in die Augen. 

In Secrets Blick war deutlich zu lesen, für wie töricht er das Verhalten von Vivien und Vitali hielt.

Justin schüttelte den Kopf, so voller Willenskraft, als sei er von dem puren Wunsch beseelt, Secret das Gegenteil zu beweisen. Schließlich eilte er den anderen beiden nach.

Secret stieß abfällig die Luft aus. Sie hatten keine Chance.

Ihm fiel auf, dass Ariane vor ihm saß, den Blick gesenkt. Er erwartete bereits, dass sie sich im nächsten Moment dem Selbstmordkommando anschließen würde, doch sie rührte sich nicht.

Ein Gefühl der Skepsis wurde in ihm wach, als könne er nicht glauben, dass sie tatsächlich ihr eigenes Leben über das der anderen stellte.

„Wollten wir nicht gehen?“ Fast erschrak er über ihre ungerührte Stimme.

Er schlug die Augen nieder. Noch einen Moment verharrte er. .

„Menschen betrügen.“, hörte er sie sanft sagen, als wiederhole sie ein Mantra.

Sollte das eine Rechtfertigung ihres Verhaltens sein? Ihres Betrugs?

Er ballte die Hände zu Fäusten. Wenn sie schon ihre Freunde im Stich ließ, sollte sie sich nicht so einfach herausreden. Das war feige. Das war -

„Am liebsten sich selbst…“

Ihre Worte trafen ihn unvorbereitet. Fassungslos starrte er sie an.

Für einen Atemzug hätte er sich gewünscht, in ihrem Gesicht Abscheu oder Wut zu lesen, doch stattdessen schlug ihm die furchtbare Erkenntnis entgegen, dass sie in sein Innerstes gesehen hatte, als sei er aus Glas.

Geschlagen atmete Secret aus. „Warum sitzen wir dann noch hier?“

Ariane lächelte ihn an.

Was auch immer dieses Handeln mit sich bringen würde, es fühlte sich richtig an. Einfach nur richtig.

 

Kapitel 13 Letzte Chance – Vorbei

Hintereinander verschwanden die drei in dem Spiegelportal.

Vivien drehte sich zu Ariane.

„Ich warte auf Secret.“, sagte Ariane entschieden.

Vivien nickte. Sie durfte nicht riskieren, dass Justin und Vitali aus Sorge nochmals zurückkamen.

Sie lief durch das Portal.

Alles wirkte für Ariane wie in Zeitlupe, Secret schien noch so schrecklich weit entfernt.

Sie verfolgte, wie er erneut seine Armbewegungen ausführte, dieses Mal zur Seite. Sie konnte allerdings nicht sehen, welchen Effekt dies hatte.

Nur noch ein paar Meter.

Plötzlich trat Entsetzen in Secrets Gesicht.

Sie sah noch den Ansatz einer Armbewegung, dann wurde sie mit einem enormen Druck durch das Portal geschleudert.

Nur Sekundenbruchteile später zertrümmerte der Schatthen, der jenseits von Arianes Blickfeld hinter dem Spiegelportal aufgetaucht war, die letzte Chance auf ein Entkommen für Secret.

 

Kapitel 14 Zurück

Ariane sprang panisch zurück auf die Beine. Das Leuchten des Portals war erloschen.

„Was ist passiert?“, rief Justin.

Ariane griff verzweifelt in die Leere, als hoffe sie, der Durchgang ins Schatthenreich wäre einfach nur unsichtbar geworden.

„Ariane!“, forderte Justin sie nochmals zu einer Antwort auf.

Ariane drehte sich zu ihm um und brach im gleichen Moment in Tränen aus.

Vitali sprang auf und packte Ariane an den Schultern. „Was ist mit Secret passiert?“ Er klang verstört.

„Ich weiß es nicht.“, presste Ariane hervor. „Er hat – Ich glaube, er hat mich durch das Portal geschleudert.“

Vitali ließ von ihr ab. „Da ist kein Portal mehr!“

Vivien versuchte, die Gemüter zu beruhigen. „Er hat den Durchgang geöffnet. Er kann das auch bei einem anderen Spiegel.“ Ihre Stimme überschlug sich fast. „Und er kann die Schatthen abwehren.“

Justin starrte zu Boden. Wenn der Spiegel zerstört worden war, wie sollte Secret so schnell einen anderen finden und aktivieren, während die Schatthen ihn angriffen?

Vivien wollte die Hoffnung nicht aufgeben. „Vielleicht können wir von dieser Seite ein Portal öffnen!“

„Wir müssen zurück.“, stieß Ariane aus. „Wir müssen irgendwie zurück.“

Justins Stimme wurde streng. „Das ist sicher nicht das, was Secret will.“

„Er will sicher nicht, dass wir ihn zurücklassen!“, begehrte Ariane auf.

 

Kapitel 22 Schule und andere Katastrophen

In die Suche vertieft, bemerkte sie nicht, wie jemand neben sie trat.

Gerade glaubte sie, den richtigen Zettel gefunden zu haben, als derjenige sie höflich ansprach: „Dürfte ich kurz?“

Ariane fuhr beim Klang der Stimme zusammen.

Einen Moment lang war sie unfähig, sich umzudrehen. Auch wenn es albern war, wollte sie sich zumindest kurz der Hoffnung hingeben, bevor sie sich der Wahrheit stellte.

Schließlich wandte sie sich um. Und erstarrte.

Die grünblauen Augen… das ihr vertraute Gesicht.

Secret sah sie an, als warte er darauf, dass sie endlich eine Reaktion zeigte.

Ehe sie auch nur darüber nachdenken konnte, hatten ihre Beine den Abstand zwischen ihnen überwunden und sie umarmte ihn, wie sie es schon bei Vitali getan hatte, nachdem sie auf der Baustelle wieder zusammengetroffen waren.

Es war ihr egal, ob Secret sie deshalb für schwach halten oder sich im nächsten Augenblick darüber beschweren würde.

Wie oft hatte die Frage, ob er überhaupt noch lebte, ihr Inneres beherrscht? Und jetzt stand er direkt vor ihr!

Ihre Finger gruben sich für einen Augenblick in sein T-Shirt.

Dann schnappte sie nach Atem und fand schließlich die Kraft sich wieder von ihm zu lösen.

Secrets Blick war hart.

Das hätte sie sich wohl denken können. Sie ignorierte es. Hauptsache, er lebte.

Er trat einen Schritt zurück und betrachtete sie regelrecht angewidert.

„Nur weil du ein hübsches Gesicht hast, kannst du dir nicht alles erlauben.“

Sie war zu perplex, um seine Worte einzuordnen. 

„Das war die dreisteste Anmache, die ich je erlebt habe. Das heißt nicht, dass sie gut war.“, spie er aus.

Sie versuchte zu begreifen, was er da von sich gab. Ihr Gesicht verzog sich in völligem Unglauben. Sie wollte etwas erwidern, stockte, starrte ihn sprachlos an.

Kein Zweifel, das war Secret!

„Du erinnerst dich nicht?“

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und Hohn trat in seine Stimme. „Jetzt willst du auch noch behaupten, dass wir uns kennen?“

Sein überhebliches Verhalten brüskierte sie. Stolz hob sie ihr Haupt. Sie würde sich nicht von ihm beschämen lassen!

Daraufhin schnaubte er verächtlich und sah sie herausfordernd an. „Meinen Namen kennst du dann ja wohl auch.“ Er lächelte herablassend.

Sie wollte ihm gerade antworten, als sie erkannte, dass keiner von ihnen Secrets richtigen Name erfahren hatte.

Von ihrem Schweigen in seiner Unterstellung bestätigt, verschränkte er die Arme vor der Brust und blickte demütigend auf sie herab.

Seine offensichtliche Verachtung war ihr unerträglich. „Für wen hältst du dich eigentlich?“, stieß sie aus.

„Es geht hier doch darum, für wen du mich hältst.“

Ariane biss sich auf die Unterlippe. Es musste doch etwas geben, das auf die Erlebnisse im Schatthenreich hindeutete!

Ihr Blick schnellte zu seinem linken Oberarm.

In einem verzweifelten Versuch, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien, riss sie den Ärmel seines T-Shirts nach oben.

„Hast du sie noch alle?!“

Es war der gleiche tobsüchtige Schrei wie damals vor dem Labyrinth, die gleiche Reaktion, der gleiche Satz, den er damals schon gesagt hatte. Aber diesmal war es anders.

Nichts!

Nicht das kleinste Anzeichen eines Kratzers.

Aber das konnte nicht sein!

Unwillkürlich schüttelte Ariane den Kopf. Als sie in Secrets Gesicht sah – und sie war sich sicher, dass es Secret war! – erkannte sie eine Mischung aus Unglaube und Abscheu.

Ariane war verzweifelt. Was sollte sie jetzt tun?

Die Frage erübrigte sich.

Ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, ließ er sie mit einem Gedankensturm in ihrem Kopf zurück.

 

[…]

 

Warum bloß?! Warum konnte sie nicht im Erdboden versinken?! Ariane hatte ihn schon zuvor erkannt, was Vitali erst jetzt tat.

Vitali war baff. „Das gibt’s ja gar nicht! Alter!“

Der Schwarzhaarige war sichtlich verwirrt von dieser Reaktion.

Vitali gab ihm einen kumpelhaften Klopfer auf den Rücken. „Hey Muskelmann, ich dachte schon wir wären dich endgültig los!“

Ziemlich ratlos sah der Schönling ihn an.

„Wie bist du denn da wieder rausgekommen? Bei all den Schat-“ Ariane brachte Vitali mit einem Klaps auf seinen Rücken zum Verstummen.

„Was geht!“, beschwerte sich Vitali. „Mann Serena, ist deine Brutalität etwa ansteckend?“

Serenas Lippen schürzten sich verstimmt.

Der Blick des Schwarzhaarigen blieb an Ariane haften, es war ein kalter Blick. Sie kannte diesen distanzierten Ausdruck in seinen Augen, überlegen und unnahbar. So hatte Secret geschaut, wenn er über die Fallen gesprochen hatte und die Schwierigkeiten, die vor ihnen lagen. Aber dass er sie so ansah! So wie er ein Problem ansah!

[…]

Ariane ging dazwischen, ehe sich Vivien in die Arme des Jungen werfen konnte. Sie ergriff Viviens Arm, um sie von vorschnellen Aktionen abzuhalten und forderte nun noch einmal mit mehr Nachdruck: „Wir sollten uns setzen!“

Wie sollte sie den anderen klar machen, dass das nicht Secret war?

Naja, eigentlich war sie sich sicher, dass er es war. Aber er war es eben doch nicht. Zumindest nicht derselbe. Ach, das war einfach viel zu kompliziert!

„Dann setz dich doch.“, sagte dieser Angeber kalt.

Fiel denn keinem der anderen seine Distanziertheit auf? Na gut, Secret war eigentlich schon immer eher gefühlskalt als herzlich gewesen.

[…]

Derweil wollte sich der Schwarzhaarige, der sich nicht mit Secret angesprochen gefühlt hatte, auf den Weg zu den hinteren Bänken begeben.

Vitali hielt ihn auf. „Hey Muskelprotz, du glaubst doch wohl nicht, dass du dich so einfach nach hinten verziehen kannst. Du wirst mit mir zusammen hier in der ersten Reihe leiden, klar?!“

Ariane platzte heraus: „Ich glaube kaum, dass er sich zu dir setzen will!“

Die anderen sahen sie verwirrt an.

Wenn der Schwarzhaarige zuvor noch reichlich unentschlossen gewirkt hatte, jetzt hatte er sich für seinen Sitzplatz entschieden.

„Ich finde es hier eigentlich ganz nett.“, sagte er in geradezu gönnerhaftem Tonfall und setzte sich auf den der Fensterseite näheren Platz in der ersten Reihe der Mitte.

[…]

Der Schwarzhaarige mischte sich ein. Seine Augen fixierten Ariane. „Du solltest akzeptieren, dass es Dinge gibt, die du auch mit deinem Aussehen nicht bekommen kannst, anstatt gleich deine ganze Clique gegen mich aufhetzen zu wollen.“

Ratloses Schweigen bei den vier übrigen. Sie verstanden nur Bahnhof.

Und Ariane stand wortlos da, brachte keinen Ton mehr heraus. Sie wusste nicht, welcher Wunsch in ihr größer war, diesem Großmaul Kontra zu geben oder zu heulen, weil er ja alles falsch verstehen musste, wenn er sich nicht mehr erinnerte!

Sie versuchte Mut zu schöpfen. Vielleicht klappte es ja auf diese Weise. Akribisch kratzte sie sämtliche ihr innewohnende Würde zusammen, um sich nicht sofort im nächsten Mauseloch zu verkriechen. Dann richtete sie das Wort an den Angeber. „Vielleicht sollten wir uns erst einmal vorstellen.“

Vitali musste natürlich sofort reinquatschen: „Hä? Wieso wollt ihr euch denn ständig vorstellen?!“

Der Secret-Verschnitt stützte sich mit seinem Ellenbogen auf den Tisch und ließ sein Kinn auf seiner Faust ruhen. „Ja, wieso vorstellen? Ich dachte, du kennst mich.“

Ariane sog Luft in ihre Lungen. Sie richtete ihre Wirbelsäule auf und versuchte, eine so königliche Haltung einzunehmen wie nur möglich. Ihr Blick wurde kalt. „Da du dich nicht mehr erinnerst, dachte ich, wir sollten uns neu vorstellen.“, sagte sie distanziert. „Außerdem hattest du wohl Recht, ich muss dich verwechselt haben. Die Person, die ich meinte, war ganz anders als du.“

Diesen Wink mussten die anderen verstanden haben!

„Man sollte eben nicht allein auf das Äußere gehen.“, entgegnete er mit diesem arroganten Lächeln.

Nicht minder überzeugt hielt Ariane dagegen. „Das wäre das Letzte, was ich täte.“ Mit diesen Worten setzte sie sich wieder.

 

Kapitel 23 In einer Klasse

Was sollten diese komischen Andeutungen von Vitali? Und was hatte sich diese Blondine gedacht? Sexuelle Belästigung wäre ok, solange sie von einer Frau ausging? Auf körperliche Nähe konnte er wirklich verzichten!

„Diese –“. Er unterbrach sich. „Ariane. War die mit euch in einer Klasse?“

Justin und Vitali schüttelten die Köpfe.

„Woher kennst du sie?“, fragte Justin und hoffte, dass Erik dem Gerede von Vitali nicht allzu viel Bedeutung beimaß.

Vitali zog eine Grimasse. Diese Frage erschien ihm einfach allzu dämlich.

„Ich bin ihr auf dem Gang begegnet.“, berichtete Erik in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er das lieber vermieden hätte.

„Ist etwas vorgefallen?“, hakte Justin vorsichtig nach. „Ihr schient ein gespanntes Verhältnis zu haben.“

Erik schaute finster. „Sie hat mich -“ Er zögerte kurz. „…belästigt.“

„Hä?“ Vitali schaute unverständig.

Grimmig verzog sich Eriks Mund. „Sie hat offenbar Probleme mit persönlichen Grenzen.“

Justin und Vitali warfen einander verwirrte Blicke zu.

„Bist du sicher, dass du von Ariane sprichst?“, wandte Justin ein.

Erik bedachte ihn mit einem stechenden Blick. „Vielleicht findet ihr es ja normal, dass sie sich Wildfremden ohne zu fragen an den Hals wirft.“

„Von wegen wildfremd.“, murmelte Vitali.

 

[…]

Auf dem Weg zurück ins Klassenzimmer sah Justin besorgt zu Ariane. Ihm war nicht entgangen, dass Erik noch abweisender zu ihr war als zu ihm und den anderen. Ausgerechnet Ariane, die besonders darunter gelitten hatte, Secret im Schatthenreich verloren zu haben.

Er berührte sie flüchtig an der Schulter, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

„Das wird schon wieder.“, sagte er sacht.

Ariane versuchte sich an einem Lächeln, aber ihre Augen verrieten, wie sehr ihr die Situation mit Erik zu schaffen machte.

„Er ist nicht Secret.“, flüsterte sie und wandte sich wieder nach vorn. 

 

Kapitel 25 Finster und Geheim

Frustriert ließ sie ihren Blick über die Leute in ihrer Umgebung schweifen. Und erstarrte.

Wie ein Tier auf der Flucht suchte sie schnellstens Deckung hinter der Glasvitrine mit den Steintafeln. 

O hoffentlich hatte er sie nicht gesehen!

Zwei Sekunden verstrichen. Drei. Nichts geschah.

Vorsichtig lugte Ariane daraufhin in halb geduckter Haltung noch einmal um die Ecke – wie eine Kriminelle, die von der Polizei verfolgt wurde.

Im nächsten Moment wäre sie mit ihrer Nase fast auf einen Menschenkörper gestoßen. Ariane schreckte zurück. Er hatte sie entdeckt!

Warum hatte sie auch ein rotes Kleid anziehen müssen?

„Spielst du Verstecken?“ Der großspurige Klang seiner Stimme war unverkennbar. In einem schwarzen Anzug stand Erik vor ihr.

Wo hatte dieser Typ bloß eine lila Krawatte her und wieso sah das an ihm auch noch gut aus?

„Ich dachte, es wäre dir lieber, mich nicht zu sehen.“, entgegnete Ariane.

Erik lächelte selbstgefällig. „Wie zuvorkommend.“

Ariane bedauerte es zutiefst, Herrn Finsters Stimme mit seiner verglichen zu haben. Das hatte dieser Mann, ob Feind oder nicht, nun wirklich nicht verdient. Aber sie hatte ja auch an Secret gedacht, nicht an Erik.

Secret hatte sich zwar ziemlich abweisend und unnahbar gegeben, aber gehässig war er nicht gewesen.

„Was führt dich hierher?“, fragte Erik. Für einen Augenblick glaubte Ariane sogar, dass die Häme aus seiner Stimme gewichen war. Wahrscheinlich war es einfach nur zu anstrengend, diesen herablassenden Tonfall ständig beizubehalten.

„Das Gleiche könnte ich dich fragen.“, gab sie zurück.

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und sie hatte den Eindruck, leichte Gereiztheit aus seiner Stimme herauszuhören. „Ich versuche gerade freundlich zu sein.“

Ariane reagierte in gespielter Überraschung. „Ach wirklich? Das solltest du deinem Gesicht sagen. Ich fürchte, es weiß nichts davon.“

Hatte sich sein Mundwinkel gerade kurz gehoben?

Erik schnaubte geradezu belustigt. „Und was genau soll ich ihm sagen?“

„Ich bin sicher, da kommst du auch ganz alleine drauf.“, antwortete Ariane nun ihrerseits gönnerhaft.

„Natürlich.“, stimmte Erik zu. „Ich dachte bloß, da du mich so gut kennst, könntest du mir dabei behilflich sein.“ Er hob vielsagend eine Augenbraue.

Ariane versuchte, sich von seiner Andeutung auf ihr Verhalten am Morgen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „So wie ich dich kenne, würdest du dir von mir ganz sicher nichts sagen lassen.“

„Da muss ich dir wohl Recht geben.“, sagte Erik.

„Das fällt dir sicher schwer.“, erwiderte Ariane.

Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Du weißt gar nicht wie.“

„In dem Fall gibt es bestimmt genug andere Personen, die du um Rat fragen kannst und gegen die du keine so große Abneigung hast.“, entgegnete Ariane.

Eriks Mundwinkel senkten sich. Für Augenblicke starrte er sie an, stumm und durchdringend.

Sie ließ sich davon nicht beeindrucken.

Geräuschvoll stieß er die Luft aus, als würde er die Situation als furchtbar störend empfinden.

Ariane war davon pikiert. Er hätte sie schließlich auch einfach in Ruhe lassen können.

Wieder sah er sie an, doch dieses Mal, als studiere er ihre Gesichtszüge, um darin die Antwort für etwas zu finden, das ihm nicht einleuchtete.

Der Blick war ihr unangenehm und sie wandte sich ab. „Also was willst du?“

„Herausfinden, mit wem ich es zu tun habe.“, sagte Erik ohne zu zögern.

Ariane horchte auf. Sie war überzeugt gewesen, dass er an dem vorgefassten Bild, das er von ihr hatte, nichts mehr ändern würde, Sein ganzes Verhalten in der Schule hatte darauf hingedeutet.

„Und ich dachte, das hättest du längst entschieden.“, antwortete sie spitz.

„Ich bin bereit dazuzulernen.“, sagte er mit düsterem Blick.

Sie sah ihn stumm an. Wenn er wirklich dafür offen war, sein vorschnelles Urteil zu revidieren, war vielleicht ihre eigene Einschätzung übereilt gewesen.

Allerdings wollte sie keinesfalls riskieren, dass er noch mal auf die Idee kam, sie wolle ihn mit ihrem weiblichen Charme bezirzen und seine Gunst gewinnen. Sie wandte sich der Vitrine zu.

„Was hältst du von diesen Steintafeln?“, fragte sie, um ein unverfängliches Gesprächsthema zu haben.

Erst jetzt schien Erik die beiden Steinplatten überhaupt wahrzunehmen. Er begutachtete sie ausgiebig und las die Informationstafel. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Er beäugte die Tafeln zweiflerisch, als gäbe es etwas Dubioses an ihnen.

„Was ist?“, fragte sie.

„Nichts.“, sagte er.

„Nichts, was du mir sagen würdest.“, korrigierte sie.

Wieder bedachte er sie mit diesem durchdringenden Blick, als wolle er sie entlarven.

„Liege ich falsch?“, fragte sie herausfordernd.

Erik schien es nicht für nötig zu erachten, ihr zu antworten.

Daher setzte sie zu einem neuen Versuch an, ihn zu einer Reaktion zu bewegen. „Dein Vater ist also der Anwalt der Finster GmbH.“

Leise Skepsis trat in Eriks Züge. Dadurch fühlte sie sich zu weiteren Spekulationen ermuntert.

„Es gab Probleme bei dem Kauf der Ausgrabungsstätte. Tatsächlich ist er noch gar nicht zustande gekommen und deshalb darf Finster die Steintafeln überhaupt nicht ausstellen.“ Sie lächelte amüsiert über die Geschichte, die sie gerade zusammengesponnen hatte.

„Denkst du dir immer solche abstrusen Geschichten aus?“, höhnte Erik.

„Zumindest ist mir bewusst, dass es nur Geschichten sind, im Gegensatz zu Personen, die ihre Schlussfolgerung für die Wahrheit halten.“, gab sie mit eindeutigem Blick zurück.

Seine Augen verengten sich.

Ariane sprach weiter. „Du willst auch nicht, dass man dich wegen deinem Vater in eine Schublade steckt, sonst hättest du in der Schule nicht so auf Herrn Mayers Frage reagiert.“

Erik schwieg.

Sie blickte ihm entschlossen in die Augen. „Wir sind uns ähnlicher als du denkst.“

Ein langsamer Augenaufschlag Eriks folgte. „Das heißt wohl, dass ich dir vertrauen soll.

„Das erwarte ich nicht.“, erwiderte Ariane mit fester Stimme.

Erik verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann erzähl mir deine Version.“

Ariane stockte. Sie begriff, dass sie sich gerade selbst in eine ziemlich missliche Lage gebracht hatte. Schließlich konnte sie ihm nicht die Wahrheit darüber erzählen, warum sie ihn umarmt hatte. Sie wich seinem Blick aus.

„Das geht nicht.“

„Warum nicht?“, forderte er zu erfahren.

Resigniert senkte sie das Haupt.

Daraufhin stieß er erneut geräuschvoll die Luft aus.

Ariane wagte nicht aufzublicken. Sie hatte nichts, womit sie Erik davon überzeugen konnte, nicht die zu sein, für die er sie hielt. 

„Du hattest Recht. Mein Vater ist der Anwalt der Finster GmbH.“

Verdutzt blickte sie auf. Wieso redete er noch mit ihr?

Mit allem anderen lagst du daneben.“

Ariane bemühte sich, sich wieder zu sammeln und ihm normal zu antworten.

„Und warum hast du dann ein Problem mit diesen Tafeln?“

Erik starrte sie an.

„Du hast sie so angeschaut.“, erklärte sie.

„Gute Beobachtungsgabe.“

Seine Worte überrumpelten sie.

[…]

„Noch immer von den Tafeln gefesselt?“ Die beiden drehten sich zu Nathan Finster um.

Als sein Blick auf Erik fiel, erschien ein erkennendes Lächeln auf seinen Lippen.

„Vertrittst du deinen vielbeschäftigten Vater?“ Er hielt Erik die Hand hin, doch Erik blieb unbewegt stehen und schwieg.

Nicht gerade das Verhalten, das man dem Klienten seines Vaters gegenüber an den Tag legen sollte, ging es Ariane durch den Kopf.

Finster störte sich an Eriks Unhöflichkeit jedoch nicht.

„Ich sehe, dass du dich in intellektuell ebenbürtige Gesellschaft begeben hast.“ Seine Augen wanderten zu Ariane.

Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Mund zu einem Lächeln verführt wurde. Erst dann bemerkte sie Eriks Gesichtsausdruck. Das Lächeln erstarb auf ihren Lippen.

Der Junge, der jetzt neben ihr stand und dessen distanzierter Blick auf Herrn Finster gerichtet war, war von der Ausstrahlung, vom Gesichtsausdruck, von Sprechrhythmus und Wortklang, in allem: Secret.

„Mit dummen Leuten gebe ich mich nicht ab.“

Finster lächelte amüsiert.

Angesichts Eriks plötzlicher Verwandlung zunächst noch perplex, musste Ariane erst wieder zu sich finden. Sie musste sich auf etwas anderes konzentrieren.

[…]

„Komischer Kauz.“, bemerkte Erik abfällig.

„Viel eher ein sagenumwobener Phönix.“, berichtigte Ariane und drehte sich einmal mehr zu den Steintafeln um.

Flüchtig sah sie dann zu Erik neben ihr. „Findest du nicht auch, dass diese Tafeln irgendetwas Sonderbares ausstrahlen?“

„Dafür bin ich wohl nicht feinfühlig genug.“, dementierte er.

Nicht feinfühlig genug… Und das sollte der Junge sein, der drei Nächte zuvor noch hellseherische Fähigkeiten besessen hatte?

Andererseits war es ihr ganz recht, wenn Erik sich so wenig wie möglich wie Secret verhielt. Seine plötzliche Verwandlung eben war schon schlimm genug gewesen.

Es war leichter, Secret und Erik als zwei getrennte Personen anzusehen.

Was Ariane allerdings nicht wusste, war, dass Erik sehr wohl dieses Sonderbare empfand, nur dass es nicht von den Tafeln ausging, sondern von ihr.

Nach einer Erklärung für ihr groteskes Verhalten am Morgen suchte er zwar vergeblich, aber etwas stimmte auch nicht mit dem Bild der ausgefuchsten Femme fatale oder der durchgeknallten Spinnerin. Besonders die nicht minder seltsame Reaktion ihrer Freunde auf ihn hatte Erik nachdenklich gestimmt.

Erst im Nachhinein waren ihm die eindeutigen Parallelen zu Arianes Handlungen aufgefallen. Zum Beispiel Vitalis Bemerkung über eine Wunde an seinem linken Oberarm. Sie stand zweifellos im Zusammenhang mit Arianes Aktion, seinen linken Ärmel nach oben zu ziehen.

Was das alles zu bedeuten hatte? Erik hatte keine Ahnung.

Aber im Geheimen war der Wunsch in ihm erwacht, dieses Rätsel zu lösen.

 

Kapitel 34 Was zum Donner!

„Ich lade nicht so gerne Leute zu mir ein.“, sagte [Erik],

„An Platzmangel wird’s wohl nicht liegen.“, meinte Vitali spaßig.

Erik wandte seinen Blick ab.

„Sollen wir wieder gehen?“, fragte Justin. Er klang, als würde er das wirklich in Erwägung ziehen. 

Erik ließ Justin einen vielsagenden Blick zukommen. Die Frage war ja wohl zu bescheuert.

Außerdem war er Erik Donner. Es durfte nichts geben, das ihn aus der Fassung brachte.

„Nehmt Platz.“, sagte er strenger als beabsichtigt und verwies die anderen auf die Couch, den Sessel und den Stuhl, den er bereitgestellt hatte.

Doch anstatt sich zu setzen, sah Ariane ihn auf ekelhaft besorgte Weise an. „Hat es einen bestimmten Grund, dass du keine Leute einlädst?“

Er bedachte sie mit einem finsteren Blick, um sie davon abzubringen, ihn auf so bemitleidende Weise anzusehen.

Betreten entzogen sich ihre Augen seinem Anblick.

Zu spät fiel ihm ein, dass sie das wohl wieder auf sein vermeintlich negatives Bild von ihr zurückführen würde. Er seufzte.

Es war nicht seine Absicht, sie erneut zu dieser falschen Annahme zu verleiten. In Anbetracht ihres bisherigen Verhaltens war es kein Meisterstück darauf zu schließen, dass sie unschöne Erfahrungen damit gemacht hatte, falsch eingeschätzt zu werden. Es lag ihm fern, diesem Thema noch mehr Nahrung zu geben.

„Äußere Umstände machen nicht den Charakter aus.“, sagte er und konnte nicht fassen, dass er das für sie so formuliert hatte.

Irgendwie verärgerte ihn das.

Warum waren Menschen bloß so anstrengend?

„Wie meinst du das?“, hakte Justin nach.

„Ich kann es nicht leiden, wenn Leute vorschnelle Schlüsse ziehen und dann irgendwelche Geschichten rumerzählen.“, antwortete er abweisend.

Vivien sagte ihm unbekümmert auf den Kopf zu: „Wie dass du ein reicher Angeber bist?“ Sie hatte als einzige bereits Platz genommen und lächelte ihn an.

War das Spott? Erik konnte es nicht sagen.

Vivien kicherte. „Wir mögen dich so oder so.“ Sie strahlte ihn so freudig an, dass er nur den Schluss ziehen konnte, dass sie eindeutig zu naiv für ihr Alter war. Er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, ohne sie ihrer kindlichen Vorstellungen zu berauben. Seine Augenbrauen hatten sich automatisch zu einem kritischen Gesichtsausdruck gesenkt.

„Es würde dir mehr Freunde bringen, wenn du offener damit wärst.“, meinte Ariane.

Eriks verächtlicher Blick durchbohrte Ariane auf brutale Art und Weise.

„Und du meinst, ich würde mich über solche Freunde freuen?“  Seine Stimme war zu einem Grollen geworden.

„So hab ich das nicht gemeint!“, rief sie lauter und hilfloser als beabsichtigt. Sie hatte doch damit ausdrücken wollen, dass Freundschaften nur entstanden, wenn man sich einander öffnete und Vertrauen schenkte. „Du brauchst auch nicht immer alles gleich falsch verstehen!“

Vitali musste lachen. „Du bist genau wie Serena!“ Sein Lachen schwoll weiter an. „Geschwister!“

Als er daraufhin sowohl von Serena als auch von Erik böse angefunkelt wurde, hätte man wirklich meinen können, die beiden seien verwandt.

Vivien klatschte begeistert in die Hände. „Dann kannst du ja doch Eriks Schwester heiraten.“

„Hä?“, machte Vitali.

„Halt die Fresse, Vivien!“, kreischte Serena.

Vivien lachte. Auch Erik schien davon amüsiert.

Erleichtert über die Ablenkung atmete Ariane auf. In Eriks Nähe fühlte sie sich ohnehin schon wie auf glühenden Kohlen. Dass sie auch noch ständig mit ihm aneinandergeriet, machte das nicht besser. Sie ließ sich auf den Stuhl direkt neben ihr sinken, auch weil er am weitesten von dem Schemel entfernt stand, auf dem Erik soeben Platz nahm,

„Ich wollte was mit euch bereden.“, sagte Erik wieder todernst.

Ariane bekam ein ungutes Gefühl, während die anderen sich nun auch setzen.

„Es geht um die Sache am ersten Schultag.“

Ariane schnellte von ihrem Platz auf. „Äh, meine Mutter, wenn sie mich anruft, ist es ein Notfall!“

Sie hatte noch nie eine Ausrede für irgendetwas finden müssen, daher merkte sie zu spät, dass sie irgendwie die Hälfte der Erklärung weg gelassen hatte.

Sie drehte sich gerade zur Tür, als ihr Eriks Stimme in einem bedrohlichen Tonfall in den Rücken fuhr.

„Du setzt dich.“

Und ehe sie sich versah, saß sie auch schon wieder. Das war so ungerecht!

 

 

----------2. Band -------------

 

Kapitel 48 Burg Rabenfels

Während die Gruppe bereits loslief, sog Ariane den Moment in sich auf.

Der Himmel war saphirblau, Vogelgezwitscher drang an ihr Ohr und die goldene Herbstsonne beschien den für ein Auto zu schmalen Weg, der zu einem großen Torbogen führte. Dahinter ragte die imposante steinerne Fassade der Burg auf.

Ihre Lippen formten ein überfreudiges Lächeln.

Sie war schon lange nicht mehr auf einer Burg gewesen.

[…]

Erik, der neben ihr den Weg hinauf ging, riss sie aus ihren Gedanken.

„Worüber freust du dich so?“, fragte er kritisch.

Ariane zuckte kurz mit den Schultern und lächelte. „Ich mag eben Burgen.“

Unglaube zeichnete sich auf Eriks Gesicht ab. „Aha.“

Sein Verhalten pikierte sie. „Hast du etwa Probleme damit?“

„Ich find es nur ungewöhnlich.“, meinte Erik, ohne sie anzusehen.

Beleidigt schürzte sie die Lippen. „Du hast immer noch nicht aufgehört, mich in eine Schublade zu stecken.

Erik zögerte einen Moment, dann stieß er geräuschvoll die Luft aus. Sein Ton wurde kalt. „Red dir das nur ein.“

Dass er so tat, als wäre sie ein unreifes Kind, das sich etwas einbildete, machte sie rasend. „Ich rede mir nichts ein. Dein Verhalten spricht eine eindeutige Sprache!“

Erik ließ ihr einen Seitenblick zukommen, der so wirkte, als wolle er ihr erneut die Schuld zuschieben. „Ich kenne dich einfach nicht genug.“

„Eben!“, schimpfte sie.

Viviens quietschfidele Stimme mischte sich ein: „Das heißt, ihr müsst euch besser kennen lernen!“, rief sie euphorisch. „Deshalb verbingt ihr einfach die ganze Führung zusammen!“, beschloss sie grinsend.

Allerdings nahmen weder Ariane noch Erik den Vorschlag wirklich ernst. Um genauer zu sein, ignorierten sie ihn schlichtweg.

 

[…]

Die Klasse lief auf die nach oben führende Treppe zu, während Ariane unzufrieden stehen blieb.

Neben sich konnte sie im Zwielicht Nischen erkennen. Sie wollte hier noch so gerne alles erkunden, ehe sie weiterging!

Die anderen standen mit ihren Klassenkameraden bereits um die Treppe herum, wo das einzige Licht war. Da fiel Ariane auf, dass die Treppe gerade mal breit genug für einen war, es also etwas dauern würde bis alle nach oben gelaufen waren. Genug Zeit, um sich hier noch ein wenig umzublicken!

„Hat einer von euch eine Taschenlampe?“, rief sie ihren Freunden zu, auch wenn sie wenig Hoffnung hatte.

„Hä?“, machte Vitali. Die anderen schüttelten nur die Köpfe.

Nur Erik schien ihre Frage zu ignorieren, da er derweil sein Handy hervorholte. Nachdem er ein, zwei Bewegungen auf dem Display vollführt hatte, ging hinten an seinem Mobiltelefon eine kleine Leuchte an.

„Reicht das?“

Freudig flitzte Ariane auf ihn zu. „Du bist der Beste!“

„Ich weiß.“, meinte Erik, als wäre das eine Selbstverständlichkeit, und handelte sich dadurch einen skeptischen Blick von Ariane ein.

Als sie ihm das Handy aus der Hand nehmen wollte, zog er es nochmals zurück.

„Was willst du überhaupt damit?“

„Mich hier umsehen.“, entgegnete Ariane, als wäre das doch ganz offensichtlich. Blöderweise hatte sie ihr Handy bei ihren Sachen im Bus gelassen und bereute das jetzt.

Erneut hielt Erik ihr das Handy hin.

Bevor er auf die Idee kam, es wieder zurückzuziehen, um sie zu ärgern, entwendete Ariane es ihm mit einer flinken Bewegung.

Erik schnaubte amüsiert.

Flugs war sie auch schon auf dem Weg zur ersten Nische.

Geschickt huschte sie in die Räumlichkeit und leuchtete mit dem spärlichen Licht um sich.

Von außen hörte sie Eriks Stimme: „Du willst also nicht der Gruppe folgen, damt du auch sicher nichts von den überaus spannenden Erklärungen von Frau Lange verpasst?“

„Ich nutze nur die Zeit, in der alle anderen bloß rumstehen.“, antwortete sie. 

Sie trat wieder nach draußen, wo Erik auf sie wartete. „Außerdem zwingt dich keiner hier zu stehen. Oder hast du Angst, dass mir hier im Dunkeln etwas zustößt?“

Im gleichen Moment glitt sie gebückt in den nächsten, einem großen steinernen Ofen ähnelnden, Steinblock.

„Ich mach mir nur Sorgen um mein Handy.“, sagte Erik trocken.

„Ja natürlich.“, erwiderte Ariane höhnisch aus dem Inneren des Klotzes. „Dann hättest du es mir erst gar nicht gegeben.“

Wieder trat sie leichtfüßig aus der Dunkelheit hervor und sah sich jäh Auge in Auge mit Erik.

„Du hast es dir genommen.“, berichtigte er mit dunkler Stimme.

Ariane zuckte – von der plötzlichen Nähe zu ihm überrascht – einen Schritt zurück und wich ihm aus.

„Was suchst du da drin überhaupt?“, wollte Erik wissen.

Schon wieder war Ariane auf Entdeckungsreise in einem der Klotzbauten. „Muss ich unbedingt etwas suchen?“

„Wozu gehst du sonst da rein?“

Ariane gab ein belustigtes Geräusch von sich. „Um nicht neben dir im Dunkeln zu stehen.“

Erik konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Es ist bloß Neugierde. Es könnte sich ja ein Abenteuer hier drin verstecken.“, antwortete sie heiter.

„Ein Abenteuer?“ Unglaube schwang in Eriks Stimme.

„Wieso nicht?“

Auch hier drin zeigte sich Ariane in dem blassen Schein der kleinen Leuchte nur Sand und Luft.

„Du bist wirklich seltsam.“, hörte Ariane Eriks gedämpfte Stimme von draußen sagen.

„Das sagt der Richtige.“, erwiderte sie und gab anschließend einen Schreckenslaut von sich.

„Was ist?“ Erik schwang sich sogleich zu ihr in die steinerne Lagerräumlichkeit und knallte im gleichen Moment gegen sie.

„Au!“, stieß Ariane aus. In der Schwärze hier drin konnte man nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen. „Nur weil du dich für umwerfend hältst, musst du mir das nicht direkt demonstrieren.“

„Ich habe mir bloß an dir ein Beispiel genommen.“

Ariane stockte und war froh, dass die Dunkelheit ihr Antlitz verhüllte.

Seine Worte klangen wie eine Bezugnahme darauf, dass sie im Schatthenreich gegen ihn geprallt war und damit seinen Sturz ins Labyrinth verschuldet hatte.

Eriks Stimme unterbrach die plötzlich aufgetretene Stille. „Willst du das Licht nicht wieder anmachen?“

„Ich hab es nicht ausgemacht!“, begehrte Ariane auf.

„Gib es mal her.“, forderte er.

„Ich sehe nichts. Du musst erst rausgehen.“

Erik spottete: „Weil du nicht im Dunkeln neben mir stehen willst?“

„Weil die Leute sonst noch glauben könnten, dass du Serena hier drinnen mit mir betrügst.“, konterte sie.

Erik schnaubte belustigt. „War das der Plan?“

„In deinen Träumen!“.

„Etwa dasselbe geträumt?“

„Ich bin schreiend aufgewacht.“

„Schreiend vor Freude?“

„Freude, dass es nur ein Traum war.“

Ariane sah nicht, dass Erik ein breites Grinsen auf die Lippen getreten war.

„Es geht weiter!“, hallte von außen Viviens Stimme.

Daraufhin verließ Erik rückwärts den Bau.

Ariane folgte und drückte ihm sein Handy gegen die Brust. „Danke!“

Er konnte noch sehen, dass sie lächelte, dann spurtete sie auch schon zu der Treppe.

Erik musste schmunzeln und wollte ihr hinterher, als ihn ein stechender Schmerz durchzuckte.

Automatisch griff er nach seinem linken Oberarm und erstarrte im selben Augenblick.

 

An der Treppe angelangt, schaute Ariane nochmals zurück. Die anderen waren schon vorgegangen.

„Es wird schon nicht kaputt sein!“, rief sie Erik zu. Sie ging davon aus, dass er sie nicht eingeholt hatte, weil er sein Mobiltelefon erst inspizieren musste. Doch es kam keine Antwort.

„Erik?“ Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren ängstlich. Ohne noch einen Gedanken zu verlieren, hetzte sie zurück und wäre dabei fast ein zweites Mal mit ihm zusammengestoßen.

„Vorsicht.“ Seine Stimme klang normal.

„Wieso antwortest du nicht?!“, schrie Ariane ihn heftig an. Das Gefühl, ihn  ein zweites Mal in der Finsternis zu verlieren, krampfte ihr Herz zusammen. Dann erkannte sie im Halbdunkel, dass er seinen linken Oberarm festhielt.

Doch sobald er ihren Blick bemerkte, ließ er schleunigst von seinem Arm ab.

Erik suchte nach Worten. Doch nichts schien ausdrücken zu können, welche Verwirrung in ihm vorging. Schließlich entschied er sich, nicht auszusprechen, was er gerade empfand.

„Hältst du es keine Minute mehr ohne mich aus?“, fragte er provokativ.

Damit erreichte er exakt das, was er bezweckt hatte: Ariane stellte keine weiteren Fragen, sondern drehte sich schnurstracks um und lief wieder auf die Treppe zu. Besser gesagt: sie rannte, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her – während Erik noch einen Augenblick da stand und sich entsetzt fragte, ob er sich das nicht alles bloß einbildete.

 

[…]

Sie hatten nicht viel Zeit gehabt, über die Situation zu reden. Justin hatte nur gefordert, dass jemand auf alle Fälle in Eriks Nähe blieb.

„Ariane!“, hatte Vivien freudig vorgeschlagen.

„Wieso denn ich? Einer der Jungs wäre viel unauffälliger. Oder Serena.“

Ehe sie hatten weiterreden können, hatte Vitali ein Zischgeräusch von sich gegeben, das ihnen verdeutlichte, dass Erik sie jetzt hören konnte. Und so war die Aufgabe doch an ihr hängen geblieben.

Die Situation gefiel Ariane nicht, gefiel ihr ganz und gar nicht!

Die Gefahr, dass Erik erneut auf die Idee kam, sie wolle sich an ihn ranmachen, war ihr zu groß. Allein bei dem Gedanken schürzte sie empört die Lippen. 

Außerdem konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, dass Vivien ihr diese Aufgabe nur zugeschoben hatte, um dadurch den zuvor geäußerten Plan, Erik und sie sollten den Ausflug miteinander verbriingen, doch noch in die Tat umgesetzt zu sehen.

Aber das Schlimmste war, dass sie dadurch in ihrem Entdeckerdrang eingeschränkt war.

Resigniert ließ Ariane die Schultern hängen.

[…]

„Ihr könnt euch jetzt einfach mal umschauen.“, verkündete Frau Lange.

Ariane horchte auf und begann automatisch zu strahlen.

„Gehen wir nach oben!“, rief Vivien freudig aus.

Begeisterung trat auf Arianes Züge und schwand so schnell wie sie gekommen war. Unglücklich lugte sie zu Erik, schließlich musste sie in seiner Nähe bleiben. Und was, wenn er nicht nach oben wollte?

Erik bemerkte ihren Blick. „Was ist?“

Sein Argwohn sprang Ariane an wie eine Raubkatze. Sie musste sich schnell überlegen, wie sie das Ganze kaschierte.

„Dein Handy!“, stieß sie heftig aus, heftiger als sie es gewollt hatte.

„Ist es kaputt?“, setzte sie dann kleinlaut hinzu.

Nun wirkte Erik wieder etwas entspannter. Sie hatte also richtig reagiert!

„Wenn es so wäre, hättest du das schon zu spüren bekommen.“, sagte er mit vielsagendem Seitenblick.

Entsetzt starrte sie ihn an, was Erik wiederum zu einem amüsierten Schnauben bewegte.

Die anderen waren mittlerweile zur nächsthöheren Ebene gestiegen, Ariane sah ihnen sehnsüchtig hinterher.

„Warum gehst du nicht auch hoch?“, fragte er.

„Ich .. ich warte auf dich.“

Eriks linke Augenbraue hob sich misstrauisch. „Ich will aber nicht hoch.“

Ariane ärgerte sich einen Moment. Warum musste er auf einmal den Außenseiter geben?

Sie versuchte, möglichst natürlich zu klingen, was allerdings umso aufgesetzter wirkte: „Komm schon, sei kein Spielverderber!“

Herablassend beugte sich Erik zu ihr. „Ist es dir denn so wichtig, dass ich in deiner Nähe bin?“

Mühsam beherrscht schluckte sie den Kommentar hinunter, der ihr auf der Zunge lag. Normalerweise hätte sie ihn für diese Unterstellung einfach stehen gelassen. Aber das durfte sie jetzt nicht.

Dann wurde ihr angesichts Eriks herausfordernden Blickes klar, dass er sie absichtlich reizte. Er spielte mit ihr!

Allerdings hatte er sich da mit der Falschen eingelassen. Arianes Siegeswille ließ selbst ihren Stolz erblassen.

Selbstsicher reckte sie ihr Kinn. „Und wenn es so wäre?“, antwortete sie mit einem Augenaufschlag, der eindeutig nicht kokett war, sondern auf einen Schlagabtausch abzielte.

Sie machte sich auf seinen nächsten Angriff gefasst.

Mit einem geradezu amüsierten und zugleich kämpferischen Lächeln nahm Erik offenbar die Herausforderung an. Gemächlich lief er zu der Brüstung links von ihnen, wo bereits ein paar Mädchen aus ihrer Klasse die Aussicht bewunderten.

Erik lehnte sich in unmittelbarer Nähe zu seinem Fanclub locker gegen die steinerne Brüstung und warf ihr ein diabolisches Grinsen zu.

Das war ein hinterhältiger Schwertstreich!

Dieser Kerl legte es doch tatsächlich darauf an, dass sie ihm wie ein Dackel folgte! Vor den Augen der Mädchen, die jeglichen Satz, den er ihr entlockte, aufschnappen und in aufgebauschter Weise weiterverbreiten würden bis schließlich die schlimmsten Gerüchte kursierten! Und dieses Monster wusste das ganz genau!

Oh nein! Kampflos würde sie nicht aufgeben! Sie würde diesen Angriff abschmettern.

Noch einen Moment stand sie reglos da, dann ging sie langsamen Schrittes auf Erik zu, der sie die ganze Zeit aus den Augenwinkeln beobachtet hatte. In lautem Ton, dass es jeder hören konnte, sagte sie:

„Also ich weiß auch nicht genau, was du Serena zum Geburtstag schenken könntest.“

Die Mädchen um sie herum horchten auf und Erik war positiv überrascht wie einfach Ariane die für sie peinliche Situation zu ihren Gunsten entschieden hatte.

Sie war nicht nur dem Eindruck entkommen, dass sie ihm hinterherlief, besser noch, sie hatte vorgegaukelt, dass er sie darum gebeten hatte, zu ihm zu kommen und hatte gleichzeitig plausibel gemacht, warum sie beide hier alleine standen und nicht bei ihrer üblichen Clique.

Und was gab es Alltäglicheres als eine Freundin der festen Freundin nach einer Idee für deren Geburtstagsgeschenk zu fragen?

Gut, aber nicht gut genug, dachte Erik, und führte den nächsten Hieb aus.

Wehmütig seufzte er auf. „Ich hatte nie solche Probleme, ein Geschenk zu finden, als wir beide noch zusammen waren.“

Die Ohren der Umherstehenden vergrößerten sich um das Drei- bis Vierfache, während ein unbändiges Verlangen, Erik den Todesstoß zu versetzen, durch Arianes Körper schoss.

„Liegt wahrscheinlich daran, dass wir nie zusammen waren.“, entgegnete sie mühsam beherrscht.

Auf subtile Weise abgewehrt.

Doch schon holte Erik zum nächsten Schlag aus.

Geschmeidig glitt er von der Brüstung weg und machte einen ganz entschiedenen Schritt zu weit auf Ariane zu. Sein Gesicht war von ihrem nur noch einen Atemzug entfernt.

„Aber das könnte sich ändern.“, hauchte er verführerisch, woraufhin die Mädchen um ihn herum sich nicht mehr zurückhalten konnten und nun ungeniert auf das Paar gafften.

Ariane spürte die neugierigen Blicke der Mädchen und hätte Erik nur zu gerne einen entschiedenen Tritt in die Leistengegend verpasst.

Angesichts des nahenden Zornesausbruchs, den Erik deutlich in ihren Augen lesen konnte, musste er grinsen, was sie noch mehr in Rage versetzte.

Das Spiel war noch nicht vorbei!

Sie parierte.

Ein hohes gekünsteltes Gekichere ausstoßend, krümmte sie ihren Körper wie vor Lachen, so dass Erik gezwungen war, einen Schritt zurückzuweichen, um nicht ihren blonden Schopf in den Magen gerammt zu bekommen.

„Jetzt verstehe ich, was Serena mit deinem Humor meinte!“, lachte Ariane und schüttelte heiter ihren Kopf.

Entwaffnet!

Damit hatte sie Erik die Möglichkeit genommen, sie durch weitere Annäherungsversuche in prekäre Situationen zu bringen. Mit einer erneuten Zudringlichkeit würde er sich vor allen anderen nur lächerlich machen. Es würde so aussehen, als liefe er ihr hinterher.

Erik stimmte in das künstliche Gelächter ein und neigte kurz den Kopf wie zu einer Verbeugung vor seinem Kontrahenten. Er beendete das Gefecht: „Gehen wir hoch.“

 

Endlich lief Ariane hinter Erik die Treppe mit den schmalen Stufen hinauf.

„Ich habe gewonnen.“, verkündete sie zufrieden.

Doch Erik vermieste ihr den Triumph. „Du hast es nötig, darauf herumzureiten? Ich könnte auch wieder umdrehen.“

„So haben wir aber nicht gewettet.“, beanstandete Ariane.

„Haben wir denn gewettet?“

„Haben wir nicht?“, entgegnete Ariane heiter.

Erik war auf dem Treppenpodest angekommen, von dem links und rechts Treppen in zwei Aussichtstürme führten. Geradeaus war ein breiter Platz, in dessen Mitte, ein weiterer großer viereckiger Turm, der so genannte Bergfried, stand.

Eriks Blick wurde ernst, drehte sich zu ihr um. „Was war es für eine Wunde?“

Ariane blieb das Wort im Halse stecken.

„Ich weiß nicht...“, antwortete sie wahrheitsgetreu. Dann fügte sie schleunigst hinzu: „…wovon du sprichst!“

„Na, die aus deinem Lieblingsbuch. Woher hatte der Schwarzhaarige die Wunde?“, entgegnete Erik jetzt wieder locker und lief geradeaus weiter, wo sich auch einige ihrer Klassenkameraden befanden.

Ariane folgte.

Wieso hatten die anderen sie auch mit ihm allein gelassen? Das war nicht fair!

„Hallo!“, rief eine Stimme von oben. Vivien und Vitali winkten ihnen von dem Bergfried aus zu.

Gott sei Dank! Ablenkung!

[…]

Erst im nächsten Moment wandte [Serena] sich Ariane und Erik zu.

„Ihr habt euch ja ziemlich Zeit gelassen!“

Erik antwortete nonchalant: „Ich wollte ein bisschen mit Ariane alleine sein. Nur für den Fall, dass du mit Vitali zusammenkommst, und ich einen Ersatz brauche.“

„Wie bitte?!“, stieß Ariane empört aus.

Serena schimpfte: „Nie im Leben komme ich mit diesem Obertrottel zusammen!“

Erik grinste amüsiert, als hielte er Serenas Aussage für Selbstbetrug. „Da bin ich ja beruhigt.“

Serena verschränkte die Arme vor der Brust. „Du bist doof.“, maunzte sie.

Er lächelte sie an. „Aber verdammt gutaussehend.“

Ariane zischte: „Aussehen ist nicht alles.“

Erik antwortete mit einer aufreizenden Bewegung seiner Augenbrauen. „Deshalb hast du ja auch noch Intelligenz und Schlagfertigkeit, nicht wahr?“

Von dieser Bemerkung irritiert, schwieg sie.

 

Kapitel 49 Sturm auf die Burg

Noch immer gab Erik erstickte und unterdrückte Klagelaute von sich.

Ariane, die das nicht tatenlos mit anhören konnte, rutschte näher an ihn heran und fuhr ihm beruhigend über die linke Wange.

„Erik, Erik, komm zu dir. Es ist alles gut. Alles ist gut.“

Wieder und wieder strich sie ihm über das Gesicht. Seine Augenlider flatterten.

[…]

„Erik. Erik.“

Erik konnte die Stimme in der Ferne hören, auch wenn er nicht wusste, von wem sie stammte. Er wollte aufwachen, war aber gleichzeitig noch gefangen in seiner Traumwelt, spürte schon halbwegs wieder seinen Körper und eine fremde Berührung und riss in einem verzweifelten Befreiungsversuch die Augen auf.

 

Ariane erschrak durch seine ruckartige Reaktion, aber vor allem durch die Angst, die in seinen Augen stand.

Er starrte sie an, ohne sie wirklich zu erkennen und schloss dann wieder die Augen. Sein Atem wurde ruhiger.

[…]

Erst im nächsten Augenblick registrierte Erik, was hier überhaupt vorging und im selben Moment nahm er auch wahr, dass die Hand, die er gespürt hatte, nicht seiner Einbildungskraft entsprungen war, sondern zu Ariane gehörte.

Der Blick, den Erik daraufhin auf sie richtete, war anders als alles, was sie bisher an ihm gesehen hatte und ließ eine unbekannte Hitze in ihr aufsteigen.

Es war kein richtiger Unglaube und auch keine bloße Überraschung. Dazu war der Blick zu zärtlich.

Ariane schluckte bei dem Gedanken und zog hastig ihre Hand weg, von der sie erst jetzt wieder gemerkt hatte, wo sie sich befand.

In einer ungeschickten Bewegung sprang sie auf.

[…]

Sein Blick wanderte zu Ariane, doch sie schenkte ihm keine Beachtung. Fast als wäre er für sie unbedeutend.

Das Gefühl seines Albtraums kam erneut in ihm hoch.

„Ich hoffe, du hast die Situation nicht ausgenutzt.“

Ariane riss den Kopf zu ihm herum. Vor Empörung war ihr die Kinnlade runtergeklappt.

Doch ehe sie etwas entgegnen konnte, hatte schon Vitali das Wort ergriffen:

„Ich hab sie gerade noch davon abgehalten, dich wachzuküssen!“

„Was?!“, entfuhr es Ariane, wobei ihre Stimme einen schrillen Klang bekam. „Das ist überhaupt nicht wahr! Glaub ihm kein Wort!“, kreischte sie.

Im gleichen Moment stockte sie.

Vitali lächelte vielsagend. Und Ariane begriff, dass sie sich diese Situation selbst eingebrockt hatte.

Kaum zu glauben, dass es ihm gelungen war, es ihr mit den gleichen Worten heimzuzahlen, die sie zwei Tage zuvor im Scherz zu Destiny gesagt hatte. Und sie hatte auch noch mit den gleichen Worten darauf reagiert wie er!

Okay, vielleicht hatte sie es verdient, aber diese Erkenntnis, machte die Situation nicht weniger unangenehm.

Sie wandte sich wieder Erik zu.

„Ich würde dich nicht mal küssen, wenn du wach bist!“

Erik grinste belustigt. „Wann dann?“

„Nie!“, schrie sie energisch.

Erik nutzte seine linke Hand als Stütze für sein Kinn.

„Ganz sicher?“ Bei seinen Worten ließ er wie beiläufig seinen Daumen über seine linke Wange streichen, wobei ein gefährliches Glitzern in seinen Augen erschien.

Angesichts der Anspielung auf ihre Berührung war Ariane unfähig darauf zu reagieren.

Ungeniert beugte sich Erik zu ihr vor und flüsterte ihr ins Ohr. „Eins zu eins.“

Lächelnd ließ er sie stehen und lief auf die Treppe zu. „Gehen wir.“

Die anderen vier hielten noch einen Moment inne und betrachteten Ariane, die mit aufgerissenen Augen dastand, ohne sie wahrzunehmen.

Dann blinzelte sie und drehte ihren Kopf in gespenstischer Langsamkeit zu Erik, woraufhin ein noch viel gespenstischeres Lächeln ihre Lippen umspielte – grimmig und zugleich begierig, es dem Angreifer heimzuzahlen.

Aber für den Bruchteil einer Sekunde meinten die vier, auch etwas Weiteres darin aufflackern zu sehen. Etwas wie abenteuerlustige Vorfreude.

Ha! Das Spiel hatte gerade erst begonnen!

 

Kapitel 54 Lernen

Währenddessen wollte Ariane Erik das Tablett aus der Hand nehmen, was dieser allerdings nicht zuließ.

Dass er ihre Hilfe nicht annehmen wollte, ärgerte sie. „Du bräuchtest dir wirklich nicht so viel Mühe geben. Wir hätten auch in der Schule lernen können. Und dort wären wir auch nicht bewirtet worden.“

„Und aus diesem Grund seid ihr ja hier und nicht in der Schule, nicht wahr?“, entgegnete er mit überheblicher Miene.

Empörung kam in Ariane auf. „Wenn du meinst, dass wir dich nur ausnutzen wollen, dann gehen wir besser gleich wieder.“

Erik blieb gelassen. Im nächsten Augenblick hatte er einen Schritt zur Seite gemacht, um an ihr vorbei zu gelangen, hielt dann aber nochmals in der Bewegung inne.

Unversehens beugte er sich zu ihr hinüber und flüsterte ihr in düsterem Tonfall etwas ins Ohr.

„Vielleicht bin ich es ja, der die Situation ausnutzen will.“

Perplex drehte Ariane sich zu ihm und erkannte das gefährliche Glitzern in seinen Augen, begleitet von einem Lächeln, das sie nicht einzuordnen vermochte.

Dann war Erik auch schon an ihr vorbeigeschritten, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen.

Ein Gedankensturm tobte in ihrem Kopf.

Was hatte er vor?!

[…]

Nach einer halben Stunde kam selbst Ariane bei einer Frage nach der Auswirkung auf das Eigenkapital-Konto ins Wanken. Sie wandte sich an Serena, doch diese war noch nicht bei der Aufgabenstellung angelangt.

„Wo ist das Problem?“, erkundigte sich Erik leise.

Ariane erschrak für einen Moment. Sie hatte doch nur kurz zu Serena hinübergesehen, ihren Kopf nicht einmal merklich in ihre Richtung gedreht.

Wie konnte Erik das bemerkt haben? Beobachtete er sie?

Oder war das wieder sein sechster Sinn? Und wenn ja, was konnte er damit noch ungefragt über sie erfahren?

Ohne auf seine Frage zu antworten, wandte sie sich schnellstens ab.

Eine Falte bildete sich zwischen Eriks Augenbrauen.

Was sollte das? Wieso behandelte diese Person ihn wie einen Aussätzigen? Schon die ganze Zeit schaute sie ihn nicht an und sprach kein Wort mit ihm.

Es reichte!

Erik erhob sich. „Wir holen noch Getränke. Ariane?“

Ariane starrte ihn fassungslos an.

Sein Blick war unmissverständlich.

„Das schaffst du doch alleine.“, sagte sie ausweichend.

Einer von Eriks stechendsten Blicken durchbohrte sie, sodass sie innerlich zusammenzuckte. Einige Sekunden lang waren Eriks Augen auf sie gerichtet, als wolle er sie allein durch Willenskraft dazu zwingen, seiner Aufforderung Folge zu leisten.

Dennoch oder vielmehr deswegen rührte Ariane sich nicht von der Stelle.

Schließlich lief Erik wortlos um sie herum, an den anderen vorbei. Ohne sich nochmals umzublicken, verließ er den Raum.

Einen Moment rang Ariane mit sich.

Was war schlimmer? Ihn so zu verärgern oder mit ihm alleine zu sein?

Beides war gleich schlimm!

Im gleichen Atemzug sprang sie von ihrem Platz auf und lief Erik hinterher. Sie öffnete die Tür und hatte eine leere Treppe vor sich.

Wo war er?

Irritiert schloss sie die Tür in ihrem Rücken, ohne den Blick von der Treppe zu nehmen.

„Du hast dir Zeit gelassen.“

Kurz schrak Ariane zusammen.

Hinter der Zimmertür war Erik sichtbar geworden, der dort an der Wand lehnte.

Augenblicklich glitt er weg von seinem Platz und schritt auf die Treppe zu, drehte sich dann aber nochmals zu ihr um.

„Kommst du?“

Wortlos folgte sie ihm in nötigem Sicherheitsabstand.

Als sie am Ende der Treppe angelangt waren und weitere Schritte in eine Richtung gemacht hatten, die sie nicht zuordnen konnte, sah Erik sie ernst an.

„Was soll das?“

Ariane antwortete nicht, schon allein weil sie keine Ahnung hatte, wovon er sprach.

„Wenn das eine neue Taktik von dir ist, dann hab ich’s jetzt verstanden.“

Sie wusste immer noch nicht, was er wollte.

Gereizt stieß Erik die Luft aus. „Wenn es dich glücklich macht: Du hast gewonnen! Zwei zu eins. Bist du jetzt zufrieden?“

Arianes Unverständnis nahm kein Ende, und mit ihr auch nicht Eriks Erregung.

„Ich finde es jetzt nicht mehr witzig, okay? Könntest du endlich aufhören, mich anzuschweigen! Das macht mich wahnsinnig!“

Wortlos stand Ariane da.

„Na fein!“, zischte Erik und ließ Ariane stehen.

„Warte!“, rief sie im gleichen Moment, woraufhin Erik sich zu ihr umdrehte und sie erwartungsvoll ansah.

Es brauchte einen Augenblick, ehe Ariane die ganze Situation begriffen hatte.

Vielleicht hatte sie Eriks Aussage vollkommen falsch interpretiert.

Ja! Er hatte damit nur auf ihr Spielchen hinausgewollt!

Das war es! Dafür wollte er die Situation ausnutzen!

Ein unwillkürliches freudiges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

Er hatte also nichts Bösartiges vor!

Zumindest nichts Bösartigeres als sonst…

„Gefällt es dir so sehr, wenn ich eine Niederlage eingestehe?“, fragte Erik angesichts ihres Strahlens.

Nun erst bemerkte Ariane die Regung ihrer Gesichtsmuskeln. Schnell brachte sie diese wieder unter ihre Kontrolle und hatte im gleichen Moment ihre Selbstsicherheit gegenüber Erik wiedererlangt.

„Das sind die wenigen Momente, in denen du nicht so herablassend tust.“, antwortete sie keck und grinste.

Erik warf ihr einen strafenden Blick zu.

Die Erleichterung darüber, dass keine Gefahr von ihm ausging, motivierte sie. Spielerisch machte sie ein paar Schritte auf ihn zu. „Aber dass es dich stört, wenn ich dich anschweige, überrascht mich doch ein wenig.“

„Ich kann es nicht leiden, ignoriert zu werden.“, sagte er knapp.

„Und letztens hast du noch so getan, als sei es dir lieber, wenn alle Mädchen dich ignorieren würden.“, hielt sie ihm schmunzelnd vor.

„Es kommt drauf an.“

„Auf was? Das Mädchen?“, scherzte sie vergnügt.

In einer Mischung aus Gereiztheit und Arroganz antwortete Erik: „Auf die Person“ und wartete ihre Reaktion ab.

Ariane beugte sich verschwörerisch und ein wenig spöttisch zu ihm vor. „Das solltest du ihr vielleicht sagen.“

Erik tat es ihr gleich und näherte sich ihrem Gesicht. „Vielleicht weiß sie es schon.“

Ariane zog sich zurück. „Dann ist sie wohl nicht interessiert.“

Eriks Gesichtszüge blieben kalt. „Vielleicht spielt sie nur gerne.“

„Ich dachte nicht, dass du jemand bist, der mit sich spielen lässt.“, neckte sie ihn.

„Kommt auf das Spiel an.“

Der Wunsch ihn aus der Reserve zu locken, stachelte sie dazu an, ihn weiter zu provozieren. „Keine Angst zu verlieren?“

„Ich verliere nicht.“, verkündete er überzeugt.

„Wer nicht verlieren will, sollte nicht anfangen zu spielen.“, warnte sie.

„Wer glaubt zu verlieren, fängt nicht an zu spielen.“, konterte Erik und zeigte nun den Ansatz eines Lächelns.

Ariane wich angesichts dessen ein wenig zurück. „Glücksspiel kann süchtig machen.“

Die Erheiterung war seiner Stimme nun anzuhören. „Sprichst du aus Erfahrung?“

Nun machte sie einen klaren Schritt von ihm weg. „Ich halte mich von so etwas fern.“

Erik antwortete mit überlegenem Lächeln. „Also hast du Angst zu verlieren.“

„Ganz sicher nicht!“, brauste sie auf.

Im gleichen Moment hatte er einen entschiedenen Schritt auf sie zu gemacht. Seine Stimme offenbarte eine bedrohliche Tiefe. „Worauf wartest du dann noch?“

Sein durchdringender Blick und seine abrupte Nähe brachten sie zum Stocken. Wie aus einem Schutzreflex heraus zog sie die Schultern an.

Ein breites, belustigtes Grinsen nahm Eriks Züge ein.

„Haha.“, knurrte sie und wich zur Seite aus. „Zwei zu zwei.“

Er nahm wieder den nötigen Mindestabstand zu ihr ein.

„Lass mal. Den schenk ich dir.“, meinte er gönnerhaft. Anschließend wollte er wieder zur Treppe zurücklaufen.

„Wolltest du nicht Getränke holen?“, wandte Ariane verwundert ein.

„Wenn du meinst.“, entgegnete er und lief an ihr vorbei in Richtung Küche.

„Was soll das heißen: ‚Wenn du meinst?“, verlangte Ariane zu wissen und eilte ihm hinterher.

„Das war nur ein Vorwand, um mit dir allein zu sein.“, klärte Erik sie ungeniert auf.

Darauf konnte Ariane nichts erwidern.

Für Momente sprachlos folgte sie ihm.

 

Kapitel 55 Donner

Ein Knall zerfetzte die Stille, und ehe die anderen überhaupt registriert hatten, was geschehen war, war Ariane schon aufgesprungen und zur Tür gerannt.

Mit einem entschiedenen Ruck riss sie die Türe auf und begann inbrünstig zu sprechen, oder vielmehr zu schreien, bevor Erik und sein Vater sie überhaupt wahrgenommen hatten.

„Wie können Sie es wagen! Ihren eigenen Sohn zu schlagen! Sie sind absolut verabscheuungswürdig! Das einzig Gute, das Sie je zustande gebracht haben, ist ihr Sohn! Und Sie können gottfroh sein, dass Erik so überhaupt nichts von Ihnen hat!“

Entsetzen machte sich unter den Anwesenden breit, selbst Erik hatte in Schock die Augen aufgerissen.

Herr Donners Augen indes wurden zu zwei Schlitzen. Und die Angst, dass er nun auch Ariane ohrfeigen oder ihr gar Schlimmeres antun würde – nach allem, was sie ihm soeben an den Kopf geworfen hatte – wurde in ihnen wach.

Nur Ariane zeigte keine Spur von Furcht.

Erik, der als einziger ihr Gesicht sehen konnte, las darin Entschlossenheit und höchste Verachtung für seinen Vater, den sie immer noch mit Blicken durchbohrte.

In beherrschter Lautstärke wandte Herr Donner das Wort an sie. „Du wirst sofort mein Haus verlassen. Und es nie wieder betreten.“

Ariane reagierte mit unglaublicher Selbstsicherheit. Sie warf diesem Mann, dessen bloße Anwesenheit einer Züchtigung gleichkam, einen herablassenden Blick zu. „Ich hatte auch nicht die Absicht, länger als nötig in solch übler Gesellschaft zu verweilen. Sie entschuldigen mich, ich hole meine Sachen.“

Erhobenen Hauptes drehte sie sich um.

Elegant schritt sie zurück in das Zimmer, an ihren erstarrten Freunden vorbei, und räumte mit flinken Bewegungen ihre Habseligkeiten zusammen. Anschließend ging sie wieder zur Tür und warf Herrn Donner einen erhabenen, geradezu königlichen Blick zu. Dann umging sie ihn gekonnt und lief die große Treppe hinunter.

 

[…]

„Bist du in Ordnung?“, fragte Justin vorsichtig.

„Ja.“, sagte Ariane und lächelte schwach. „Gehen wir nach Hause.“ Sie wandte sich um.

„Wollen wir nicht auf Erik warten?“, wandte Vivien ein.

„Er kann nichts dafür.“, stimmte Serena zu.

Ariane sah es nicht als nötig an, sich nochmals zu ihnen umzudrehen.

„Ich bezweifle, dass er kommt.“ Mit diesen Worten setzte sie ihren Weg fort, während die anderen sich fragende Blicke zuwarfen.

Im gleichen Augenblick hörten sie eine Haustür mit voller Wucht zuschlagen und eine Person kam an ihnen vorbeigerannt.

Erik stoppte, bevor er Ariane erreicht hatte. Er wirkte angespannt, als sei er kurz davor, laut loszuschreien.

Von dem Geräusch ebenfalls aufgeschreckt, blieb Ariane abrupt stehen und drehte sich mit unsicherem Gesichtsausdruck zu Erik um, der sie wortlos fixierte.

Es herrschte kurzes Schweigen, in dem sie einander einfach nur ansahen.

 

Erik ballte die Hände zu Fäusten. Er war so wütend!

So verdammt wütend auf sich selbst!

Wie hatte er es zulassen können, dass sein Vater so mit ihr umsprang?

Wieso hatte er nicht eingegriffen? Wieso war er so ein verdammter Feigling!

Erfolglos suchte er nach Worten.

Für sein Verhalten gab es keine Entschuldigung. Und Arianes Reaktion machte ihm das überaus deutlich: Sie wandte ihren Blick ab.

Was sonst…

Sie musste ihn genauso sehr verachten wie seinen Vater. Wenn nicht noch mehr.

„Es tut mir leid.“

Erik stockte. „Was..?“

Ariane sah ihn weiterhin nicht an. „Ich hätte nachdenken sollen, bevor ich etwas gesagt habe. Dass ich ihn beleidigt habe, hat ihn nur darin bestätigt, dass du dich mit schlechten Leuten abgibst. Das macht es nur noch schwerer für dich.“

Erik war verwirrt. „Was redest du denn da?“, rief er erregt.

Ariane blickte auf. „So habe ich dir überhaupt nicht geholfen!“

Ihr Kommentar machte Erik für einen weiteren Moment sprachlos.

Was sollte das?

Er war derjenige, der sich mies fühlen musste, nicht sie!

Sie hätte wütend auf ihn sein müssen! Sie hätte ihn beschimpfen müssen! Ihm Vorhaltungen machen, ihn seinetwegen auch ohrfeigen! Alles! Nur nicht sich Selbstvorwürfe machen!

Plötzlich begehrte Ariane lautstark auf. In ihren Augen glitzerten Tränen der Wut und der Empörung. „Ich war nur so verdammt wütend, dass er dich so behandelt hat! Ich konnte mich nicht zurückhalten!“

Erik erstarrte. Etwas schnürte ihm augenblicklich die Luft ab und drückte sein Herz zusammen, auf eine Weise, die weniger schmerzhaft als viel mehr verstörend war. Und etwas sagte ihm, dass diese Reaktion auf Ariane zurückzuführen war, wie widersinnig der Gedanke für ihn auch sein mochte.

 

[…]

„Du brauchst ziemlich lange.“, kommentierte Erik überheblich.

Verstimmt schürzte Ariane die Lippen. „Was hat Serena denn gegen Vitali? Er hat ihr doch gar nichts getan! Er ist immer nett!“

Wie beiläufig meinte Erik. „Er hat’s ihr angetan.“

Schockierung trat in Arianes Gesicht. „Was hat er ihr angetan?“

Unglaube sprach aus Eriks Zügen, dann schüttelte er mitleidig den Kopf.

Mehr getroffen als wütend fuhr Ariane ihn an. „Warum hat sie dir etwas erzählt, das sie mir nicht erzählt hat?“

Der Gedanke, dass Serena Erik mehr vertraute als ihr, traf sie schwer.

Erik sah sie in einer Mischung aus Be- und Verwunderung an.

Ariane wartete auf seine Antwort, aber Erik fuhr nur darin fort, so seltsam zu schauen.

Ariane biss sich auf die Unterlippe. „Du willst es mir also nicht sagen.“, schlussfolgerte sie beleidigt.

Im gleichen Moment hörte sie ihn leise in sich hineinlachen. Empört gaffte sie ihn an.

Erik hatte sein Gesicht mit der Linken beschirmt, doch sein breites amüsiert-mitleidiges Grinsen war deutlich zu sehen.

Er lugte kurz zu ihr hinüber, sah ihren angesäuerten Gesichtsausdruck und konnte das Lachen kaum noch zurückhalten.

Seine Redewendung war doch nun wirklich nicht schwer zu verstehen gewesen, aber sie …! Dass ausgerechnet sie, die alles andere als auf den Kopf gefallen war, diesen schlichten Humor nicht begriff, war einfach urkomisch!

Arianes Laune sank auf den Tiefpunkt. Eriks Verhalten ließ für sie nur einen Schluss zu: Er hatte sich die ganze Zeit bloß über sie lustig gemacht, von seinem ersten Kommentar an.

Wütend wandte sie sich ab und ließ ihn stehen. Sie würde kein einziges Wort mehr an ihn verschwenden! Jawohl!

Ohne Probleme holte Erik sie wieder ein und lief neben ihr her.

Arianes Ärger störte ihn nicht. Dadurch dass sie die Augen starr nach vorne gerichtet hatte – offensichtlich um ihn keines weiteren Blickes zu würdigen – erschloss sich ihm die Möglichkeit, sie ungeniert zu betrachten:

Einige Zeit sah er eisige Kälte ihre feinen Gesichtszüge beherrschen, dann nach und nach, Meter um Meter, mischte sich Unzufriedenheit hinein, als sei sie kurz davor, sich zu etwas verleiten zu lassen, das ihr widerstrebte.

Vermutlich hatte sie bemerkt, dass er sie die ganze Zeit angaffte, weshalb ein Teil von ihr ihn zusammenstauchen wollte, während ihr Stolz sie dazu mahnte, ihn zu ignorieren.

Mittlerweile waren sie nicht mehr weit von ihrem Zuhause entfernt.

Als sie eine weitere Strecke hinter sich gebracht hatten, obsiegte ein anderer Gesichtsausdruck, der Erik verwirrte.

Im gleichen Moment stoppte Ariane. Ihre Stimme klang verstörend sanft.

„Willst du wirklich … nach Hause?“

Mit einem Schlag zerriss ihre Frage die unbeschwerte Stimmung, in die er sich geflüchtet hatte.

Zaghaft und mit Sorge in den Augen sah Ariane auf. „Du … kannst auch noch mit zu mir. … Wenn du magst.“

Erik stockte. Von ihrem unerwarteten Angebot überrumpelt, brauchte er eine Millisekunde, um seine Gefühlsregung zu kaschieren.

Sein selbstgefälliges Grinsen kam einmal mehr zum Einsatz. „So ein Angebot von dir und das beim ersten Date, das hätte ich nicht erwartet.“

Ariane wütend zu machen, war die beste Möglichkeit, sie davon abzuhalten, ihm weitere solcher Fragen zu stellen.

Allerdings funktionierte seine Taktik dieses Mal nicht.

„Erik, ich meine es wirklich ernst.“ Sie durchbohrte ihn mit einem durchdringenden Blick.

Höhnisch lachte er auf. „Dass du dir solche Gedanken um mich machst!“ Er zog die linke Augenbraue in die Höhe. „Soll ich mir darauf etwas einbilden?“

„Hör auf.“, befahl Ariane. „Glaubst du, du kannst mich mit deinen dummen Sprüchen darüber hinwegtäuschen, wie verunsichert du bist?“

Unglaube zeichnete sich jäh auf seinem Gesicht ab.

Wie konnte sie sehen, dass alles nur aufgesetzt war…?

Unsinn!

„Gibt es einen Grund, verunsichert zu sein?“

„Wenn du nicht mit mir darüber reden willst, dann sag es einfach! Ich habe keine Lust auf deine Spielchen.“ Sie wandte sich ab und beschleunigte ihren Lauf.

Grimmig tat Erik es ihr gleich. „Was für Spielchen?!“

Ariane blieb abrupt stehen. „Für wie dumm hältst du mich?“, blaffte sie ihn an. „Du versuchst, aus allem einen Scherz zu machen, um nichts dazu sagen zu müssen! Du willst mich absichtlich wütend machen, damit ich keine Fragen mehr stelle! Das ist unfair!“

Erik war ehrlich sprachlos. Zum einen, weil Ariane so mir nichts dir nichts die Absicht hinter seinen Äußerungen erkannt hatte, und zum anderen, weil sie dieses Verhalten als ‚unfair bezeichnete.

Unverhofft wurden Arianes Gesichtszüge wieder weich und ihr Blick glitt zu Boden. Ihre Stimme schrumpfte zu einem Flüstern zusammen.

„Entschuldige. Es ist natürlich lächerlich zu erwarten, dass du gerade mir dein Herz ausschüttest, wo ich doch weiß, dass du mir nicht vertraust.“

Wie sie von einem Moment auf den anderen umschalten konnte! War das eine Taktik, um ihn irrezuführen?

Er sog scharf die Luft ein. „Glaubst du, ich bin der Typ, der sich widerstandslos verschlagen lässt?“ Sein Tonfall wurde sachter. „Es war das erste Mal… Vorher ist noch nie so etwas passiert.“

Vorsichtig sah Ariane auf, während Eriks Blick in die Ferne schweifte.

Komisch, dass er die Ohrfeige nicht einmal als schmerzhaft empfunden hatte. Es hatte sogar etwas wie süßer Triumph darin gelegen, so krank sich das auch anhören mochte.

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich von seinem Vater nicht einfach übergangen gefühlt wie ein Einrichtungsgegenstand.

Ariane erkannte, dass er den Gedankengang unausgesprochen fortgesetzt hatte, wagte aber nicht, weiter nachzufragen.

Erik wandte sich wieder an sie und zeigte seine übliche selbstsichere Mimik.

„Kein Grund zur Sorge, das passiert nicht noch einmal. Außerdem weiß ich mich zu wehren. Entgegen Vitalis Behauptung sind meine Muskeln nicht nur aufgepumpt.“

„Darum geht es mir nicht.“, sagte Ariane leise. „Es gibt nicht nur körperliche Verletzungen.“

Ohne Eriks Reaktion auf ihre Worte abzuwarten, setzte sie ihren Weg fort.

Nach einer Schrecksekunde folgte er ihr.

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, bis sie vor Arianes Haus angekommen waren.

„Erik.“, begann Ariane. „Wenn irgendetwas ist“ Sie stockte. „Ich weiß, das hört sich sicher dumm für dich an, aber…“ Mit Scheu in den Augen sah sie zu ihm auf. „Ich bin immer für dich da.“

Eriks Miene entglitt seiner Kontrolle.

Abgesehen von dem einen kurzen Moment nach seiner Ohnmacht, war es das erste Mal überhaupt, dass Ariane seine selbstsichere Maske zersplittern sah.

Und das bewegte sie zu einer unbedachten Handlungsweise.

Ehe sie darüber nachgedacht hatte, hatte sie einen Schritt auf Erik zu gemacht und ihre Arme um ihn gelegt. Die Umarmung dauerte nicht länger als eine Sekunde.

Eine Sekunde zu viel…

Augenblicklich schreckte sie zurück und verfluchte sich selbst.

Was war bloß in sie gefahren? Sie wusste doch, wie er am ersten Schultag darauf reagiert hatte. Er würde sie wieder verurteilen und ihr vorwerfen, sich an ihn ranmachen zu wollen!

Eriks Gesichtsausdruck indes machte nicht den Anschein, dass er auch nur jeglichen Gedanken an die Situation verschwendete.

Mit regungsloser Miene und leicht zusammengezogenen Augenbrauen stand er da. Doch dahinter spielte sich etwas anderes ab.

Da war es wieder! Diese schreckliche Unsicherheit, die ihn seit vorhin unerwartet zu quälen begann, anders als das, was er unter Kontrolle zu halten gelernt hatte. Wie eine bisher unbekannte Bedrohung.

Er war Erik Donner! Er zeigte keine Schwäche!

Längst nicht mehr…

Doch hiermit wusste er nicht umzugehen.

Er biss die Zähne zusammen.

Dann war es jetzt Zeit, es zu lernen.

In seiner Bedrängnis klammerte er sich an den einen Satz, nach dem er sich immer richtete: ‚Angriff ist die beste Verteidigung!‘

Im gleichen Moment ergriff er Arianes Schultern.

Eindeutig verwirrt durch Eriks seltsame Anwandlung, starrte Ariane ihn an, konnte seinem Blick jedoch nicht entnehmen, was in ihm vorging.

Sein Mienenspiel war ernst, aber gleichzeitig glaubte sie, Besorgnis darin zu erkennen.

Im nächsten Moment jedoch schwand jeder Zweifel und Eriks entschlossener Ausdruck, Secrets entschlossener Ausdruck, erschien auf seinen Zügen.

Für einen Atemzug war Ariane von dem Anblick wie gelähmt.

Diesen Moment nutzte Erik, um sein Gesicht dem ihren zu nähern.

Mit ungeheurer Heftigkeit stieß Ariane ihn von sich. „Das ist nicht witzig!“ Sie begann zu schreien. „Ich hatte es wirklich ernst gemeint! Warum musst du dich immer über alles lustig machen!“

Sie war kurz davor, vor lauter Zorn und verletztem Stolz loszuweinen.

Ihre Erregung hinderte sie daran, Eriks Mimik zu lesen, denn die hätte ihr mit Leichtigkeit zu verstehen gegeben, dass er so gar nicht vorgehabt hatte, sie aufzuziehen.

Erik stand wie angewurzelt da. Vollkommen durch den Wind.

Die ganze Situation war einen Augenblick lang zu viel für ihn.

Erst im nächsten Moment hatte er die Eindrücke verarbeitet, doch da war Ariane schon zur Haustür geflüchtet und hatte aufgeschlossen.

Verbittert und verletzt zugleich huschte Ariane ins Haus, zwanghaft den Blick von der Stelle abgewandt, an der Erik stand.

Dieser … Mistkerl!

Sie hatte es nur gut gemeint! Und er hatte nichts Besseres im Sinn, als sich auf so erniedrigende Art und Weise über ihr Verhalten lustig zu machen!

Oh wie sie ihn verabscheute!

Gerade wollte sie die Tür zuschlagen und abschließen, als etwas diesen Versuch vereitelte.

Ariane sah verdutzt auf und stand Auge in Auge mit Erik, der die Tür gerade noch mit den Händen abgefangen hatte.

„Verschwinde!“, schrie sie und versuchte die Tür zuzudrücken, doch Erik stemmte sich dagegen. „Lass los!“

„Nein.“, entgegnete Erik überzeugt.

Ariane drückte fester. „Ich will dich nicht mehr sehen!“

Erik war allerdings weitaus stärker. „Dann kannst du mir doch wenigstens zuhören.“

Ariane gab nicht auf. „Ich will aber nicht!“

„Danke!“

Perplex hielt Ariane inne.

Dann neigte sie ihren Oberkörper zur Seite, um Erik nun doch wieder in Augenschein zu nehmen.

Was sie da sah, erinnerte sie allerdings nicht wirklich an Erik.

War es tatsächlich Verlegenheit, die er ihr zeigte?

Erik wollte etwas sagen, brach nochmals kurz ab und sprach dann aus, was er ihr noch schuldig war.

„Für das, was du heute gesagt hast. Und getan hast. Danke!“

Arianes forschender Blick verhinderte jedes weitere Wort seinerseits.

Er ließ die Tür los und machte einen Schritt zurück, darauf vorbereitet, die Tür nun vor der Nase zugeschlagen zu bekommen.

Dem war aber nicht so.

Unverhofft schwenkte die Tür weiter auf und Ariane betrachtete ihn sprachlos.

Dann, von einer Sekunde auf die andere, erschien ein zärtliches Lächeln auf ihren Lippen. „Wozu hat man Freunde?“

Erik glaubte, sein Herzschlag setze für einen Moment aus.

Ob aus Freude oder Verzweiflung konnte er nicht sagen. Nur dass er sich wünschte, hier stehen bleiben zu können und Ariane anzusehen, ohne auch nur einen Ton sagen zu müssen.

„Willst du jetzt noch hereinkommen oder nicht?“, fragte Ariane plötzlich wieder in dem verspielt fröhlichen Tonfall, der für ihre Unterhaltungen schon typisch geworden war.

Doch Erik machte jäh einen Rückzieher. „Schon okay. Ich will nicht stören.“

Ariane lachte hell auf. „Aber du störst doch nicht!“

Er schluckte und schüttelte den Kopf. „Trotzdem nicht.“

Der Wunsch, noch etwas in Arianes Nähe zu sein, kämpfte mit der Gewissheit, dass er in der Folge mehr von sich selbst offenbaren würde als er wollte.

Er durfte sich keine Blöße geben. Niemals.

Er machte einen weiteren Schritt zurück. Diesen Schritt machte Ariane allerdings vorwärts.

„Bist du sicher?“ Ihre großen blauen Augen und ihr nur leicht geschlossener roter Mund wirkten einladend.

Erik konnte es nicht fassen!

Erst hatte sie seinen Kuss abgewiesen und nun schien sie ihn regelrecht verführen zu wollen! War das eine der berüchtigten Waffen einer Frau?!

Andererseits:

War er denn wirklich davon ausgegangen, dass sich Ariane so leicht von ihm küssen lassen würde? – Er hatte nie darüber nachgedacht!

Er konnte nicht einmal sagen, ob er gerade eben wirklich vorgehabt hatte, es zu versuchen. Allein aus der Zwangslage heraus war es dazu gekommen.

Mit einem Mal war seine Überzeugung, jeder Situation gewachsen zu sein, zerstört, und das Ich, das er so gewissenhaft vor Angriffen hatte zu schützen gelernt, lag blank.

Darauf musste er sich erst einstimmen, musste geeignete Schutzmaßnahmen treffen gegen das, was in ihm vorging.

Plötzlich hatten seine Beine aus eigenem Antrieb einen Schritt nach vorne gemacht.

Das war wohl eine ‚Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach‘–Sache.

Ariane, die diesen Zug wohl als Annahme ihrer Einladung deutete, lächelte über das ganze Gesicht. Und obwohl Erik dieses Lächeln am liebsten noch ewig angestarrt hätte, kam es ihm gleichzeitig wie das heimtückische Grinsen einer dicken, fetten Spinne vor, deren Beute gerade in ihr Netz gegangen war.

„Ganz sicher!“, sagte er mit fester Stimme.

Dann drehte er sich ohne Weiteres um und ließ die verwirrte Ariane stehen.

 

 

Kapitel 56 Betreten verboten!

Bevor Vitali jedoch etwas sagen konnte, rief Ariane freudig aus:

„Du willst mit uns mitgehen?“

Dass sie so begeistert darüber sein würde, hatte Erik nun wirklich nicht erwartet.

Aber von jetzt an würde er auf alles vorbereitet sein!

„Nein.“, sagte er überheblich. „Ich will nur mit Serena mitgehen. Mit dir hat das nichts zu tun.“

Arianes Freude schlug in Empörung um. „Worauf wartest du denn dann noch?“, zischte sie.

Erik sah daraufhin auf Serena. „Ja, worauf warten wir eigentlich noch?“

Genervt rollte Serena mit den Augen. „Wenn ihr beide euch streiten wollt, lasst mich da raus.“

 

[…]

Der Heimweg zog sich hin und als sich Serena schließlich verabschiedet hatte, kam endlich Arianes Gelegenheit.

„Erik, was ich dich noch fragen wollte.“, begann sie und bemühte sich, ihre Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.. „Du und dein Vater… Habt ihr eigentlich gemeinsame Interessen? Ich meine, was macht dein Vater denn so in seiner Freizeit?“

Nicht dass sie davon ausging, dass Erik etwas antwortete wie: ‚Er erschafft Schatthen und versucht die Weltherrschaft an sich zu reißen.‘

Eriks Gesicht verzog sich in Unglauben. „Was?“

Ariane versuchte sich an einem unschuldigen Lächeln. „Hat dein Vater irgendwelche Hobbys?“

„Wie kommst du jetzt darauf?“ Skepsis legte sich auf seine Züge.

„Es interessiert mich einfach.“, entgegnete Ariane, noch immer lächelnd.

„Und wieso?“

Langsam aber sicher wurde Ariane das künstliche Lächeln anstrengend. „Einfach so eben!“

Noch einen Moment sprach kompletter Zweifel aus Eriks Miene, dann wurde daraus Unwille. „Wenn du dir irgendwelche Pläne ausdenken willst, damit ich mich mit meinem Vater besser verstehe, vergiss es sofort wieder!“

Die Lässigkeit war aus seiner Stimme gewichen, doch Ariane registrierte es nicht. Zu überrascht war sie über seinen Einfall.

Seine Idee war ein gutes Alibi für ihre Befragung! Daher griff sie den Gedanken kurzerhand auf.

„Man könnte es doch versuchen! Wenn du dich etwas anstrengst, dann –“ Mitten im Satz brach sie ab.

Eriks mörderischer Blick schnürte ihr die Luft ab. Purer Zorn sprach augenblicklich aus seiner gesamten Erscheinung.

„Halt dich da raus!“, stieß er scharf aus. Es war eine unmissverständliche Drohung.

Schockiert und eingeschüchtert wurden Arianes Schritte langsamer.

Wie hätte sie auch verstehen können, was ihr Kommentar aus den Tiefen seiner Seele schlagartig ans Tageslicht zerrte.

Ohne auf ihre Reaktion zu achten, lief Erik mit unvermindertem Tempo weiter – sein Gesicht eine Maske des Zorns.

Ariane verspürte eine Mischung aus Entrüstung und Unruhe. Empört und verängstigt durch Eriks plötzliche Aggressivität biss sie die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten.

Mit großen Schritten holte sie ihn wieder ein. „Glaubst du, es wird besser, wenn du deine Probleme verdrängst?“

Überreizt stoppte Erik in der Bewegung, drehte sich abrupt zu ihr um und hielt ihr warnend die Hand entgegen. Ein gefährliches Funkeln trat in seine Augen. „Das geht dich überhaupt nichts an!“

Aufgebracht schlug Ariane seine Hand beiseite. „Benimm dich nicht wie ein Kind!“

Das hätte sie nicht tun sollen…

Eriks Reaktion war beängstigend. Sein Hass fiel Ariane an und versuchte ihr Innerstes zu zermalmen. Von Eriks Stimme war nur noch ein tobsüchtiges Knurren geblieben. Langsam und bedrohlich spie er die Worte aus:

„Wag es nicht, mich noch einmal so zu nennen.“

Seine Raserei weckte umso mehr Widerstand in Ariane. „Warum? Weil du die Wahrheit nicht ertragen kannst?“

Ein Augenzwinkern lang starrte Ariane in Eriks wutverzerrtes Gesicht und obwohl ihr Gesichtsausdruck nicht an Unbeugsamkeit verlor, zitterte sie innerlich vor Angst, dass Erik seine Wut nicht unter Kontrolle halten und sie sich in roher Brutalität entladen würde. Brutalität, die sich gegen sie richtete. Und wie nah sie damit an der Wahrheit lag.

Nur mit größter Mühe gelang es Erik, sich abzuwenden. Tonlos, die Zähne fest zusammengebissen, und den Blick starr nach vorne gerichtet, entfernte er sich mit festen Schritten von ihr. 

„Erik!“, schrie sie ihm hinterher, doch er reagierte nicht.

Ariane konnte nicht mehr zurück. Ein innerer Drang hielt sie davon ab, die Sache einfach auf sich bewenden zu lassen.

Obwohl sie nicht wusste, was geschehen würde, wenn sie nicht endlich stoppte, konnte und wollte sie hier nicht abbrechen. Sie rannte Erik hinterher und packte ihn entschlossen am Arm.

Mit einer harschen, brutalen Bewegung riss sich Erik los.

„Fass mich nicht an!!!“ Seine Stimme war so erschütternd und gewaltbereit, dass Ariane vor Entsetzen fast schwarz vor Augen wurde.

Im gleichen Moment kreischte sie schrill auf. „Hör auf!“

Ihre Züge konnten ihre Gefühlsregung nicht länger vertuschen. „Siehst du denn nicht, was du tust? Du wirst genau wie dein Vater!“

Schlagartig erstarrte Erik. Der Zorn in seinem Gesicht wandelte sich jäh zu einer Art Ohnmacht.

Durch ihre brennenden Tränen hindurch sah Ariane, wie sein Blick zu Boden glitt.

Halb erstickt hauchte sie. „Es … tut mir leid.“

Alles war zu viel. Eriks Wandel zu einem komplett Fremden, jemandem, von dem sie sich bedroht fühlte, der ihr Angst machte! Mit wirrem Kopf wich sie vor ihm zurück. Wie vor einer wilden Bestie.

Etwas packte sie am Handgelenk!

Ariane stieß einen heiseren Schreckenslaut aus. Eriks erbarmungsloser Griff hielt sie fest, ohne dass er dabei aufblickte.

Panisch sog Ariane Luft in ihre Lungen, aber auch das half nichts. Sie hatte erdrückende Angst! Und konnte das Schluchzen nicht länger zurückhalten.

Im gleichen Atemzug ließ Erik von ihr ab. Sie sah, dass seine Hand leicht zitterte. Noch immer starrte er zu Boden.

Eine Sekunde wollte Ariane weglaufen. Ganz weit weg. Weg von Erik. Aber gleichzeitig konnte sie es nicht.

Sie hatte furchtbare Angst, in seiner unmittelbaren Nähe zu sein, und doch …

Ariane hörte Erik nach Atem ringen. Er schluckte hart. Und so groß und durchtrainiert er war, und so große Angst er ihr machte, in diesem Augenblick bildete sie sich ein, etwas ganz anderes in ihm zu sehen: ein kleines verschüchtertes Kind, einsam und verlassen, unfähig sich zu regen.

Vielleicht war es Mutterinstinkt, vielleicht Beschützer-Instinkt, Atem holend kratzte Ariane allen ihr verbliebenen Mut zusammen, dann streckte sie zaghaft ihre Hand aus.

Noch einmal stockte sie in der Bewegung, kam Furcht in ihr hoch, ehe sie vorsichtig Eriks Hand berührte.

Als hätte sie ihm einen schmerzhaften Hieb versetzt, schnellte Eriks Kopf zu ihr, sodass sie fast vor Schreck ihre Hand wieder zurückgezogen hätte. Sie sah in seine Augen und erkannte darin mindestens genauso viel Furcht wie sie selbst hatte.

Erik blinzelte und schlug die Augen nieder, woraufhin sie seine Hand nun vollends ergriff. Ganz fest.

Für Augenblicke drückte sie seine Hand.

Schwach kam ein Flüstern aus seinem Mund. „Warum tust du das?“

Kurz suchte Ariane nach Worten. Nein, sie suchte nach einer Antwort!

„Ich weiß nicht.“, gestand sie.

Wieder herrschte Schweigen.

Langsam blickte Erik auf, blickte sie an, und die Qual, die Ariane in seinen Zügen las, raubte ihr den Atem.

Sie konnte nicht anders. Sie trat einen Schritt weiter auf ihn zu, überwand die Distanz zwischen ihnen, ohne zu wissen, was jetzt zu tun war.

Darüber brauchte sie sich auch nicht länger Gedanken machen.

Noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, fand sie sich in Eriks Armen wieder.

Er drückte sie so fest an sich wie es nur ging ohne schmerzhaft zu sein. Mit der rechten Hand hielt er ihren Kopf fest, mit der anderen ihren Oberkörper. An ihrer linken Wange fühlte sie sein glühendes Gesicht, das er fiebrig an ihres presste. Und ob es ihr unbändiges Herzklopfen war oder seines, konnte sie nicht mehr sagen.

Das heftige Rauschen ihres Blutes, der Geruch seiner Haut und seine hilfeflehende, innige Umarmung ließen alles zu einem seltsamen Mischmasch verschmelzen, so dass sie nicht länger sicher war, ob sie wachte oder träumte.

Sie wusste auch nicht, wie lange dieser Zustand andauerte, wie lange sie seine Körperwärme spürte, wie lange das unbekannte Schwindelgefühl in ihrem Kopf und ihrem ganzen Körper anhielt. Es konnten mehrere Minuten gewesen sein, aber genauso gut ein Augenzwinkern.

Sie wusste nur, dass sie die Augen geschlossen und nicht länger darüber nachgedacht hatte; bloß noch Eriks schwächer werdendes Zittern, seinen anfangs hektischen Atem und schließlich seinen wieder ruhiger werdenden Herzschlag in sich aufgesogen hatte, während das heiße, bebende Pochen in ihren Adern ihr schwummrig werden ließ.

Zu einem ungewissen Zeitpunkt hatte sich Eriks Griff gelockert und nach und nach waren sie voneinander weg getorkelt, stumm und wirr.

Für Momente standen sie sich wortlos gegenüber, ohne einander anzusehen.

„Sprich ... es nie wieder an.“, sagte Erik schleppend und heiser.

Reflexartig nickte Ariane.

Weitere Sekunden verstrichen, dann machte Erik einen Ausfallschritt und lief an ihr vorbei. „Lass uns gehen.“

Perplex starrte Ariane ihm nach und brauchte noch einen Moment, bevor sie ihm zaghaft folgte – immer in wenigen Schritten Abstand.

Minutenlang fiel kein einziges Wort. Keiner sah den anderen an. Nur ab und zu hob Ariane den Blick und beobachtete, wie er vor ihr lief.

Etwas an Eriks Art, an seinem Gang, an seiner ganzen Ausstrahlung, erinnerte sie so heftig an Secret, dass sie sich des absurden Gedankens nicht erwehren konnte, er könne sich plötzlich wieder an alles erinnern.

Der Drang, diese Vermutung bestätigt zu wissen, wurde übermächtig. Ariane holte Luft.

„Secret…“

Der Junge vor ihr blieb abrupt stehen. Ariane kam es wie eine Ewigkeit vor, bevor er sich endlich zu ihr umdrehte. Secrets gefühlsleerer Blick begegnete ihr – ohne Erkennen. 

Ariane schluckte. Sie setzte dazu an, etwas zu sagen, dann erschien ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen.  „…So hieß er. Der Junge aus dem Roman.“

Der Schwarzhaarige nahm ihren Kommentar stumm zur Kenntnis, drehte sich wieder um und ging weiter. Diesmal schloss Ariane zu ihm auf.

 

Kapitel 57 Schutzengelfest

Gemeinsam mit Erik verließen sie das Schulgebäude. Doch zu ihrer Überraschung verabschiedete er sich direkt von ihnen.

Besorgnis machte sich in Ariane breit. „Willst du nicht mit uns gehen?“

Vielleicht war das eine dumme Frage. Nach allem, was am Vortag geschehen war, nur weil sie ihn unbedingt über seinen Vater hatte ausfragen wollen, war es wohl logisch, dass er ihre Nähe meiden wollte.

„Ich muss ein Kuvert für meinen Vater abgeben.“, erklärte er, als wäre nichts weiter dabei.

Die anderen nickten nur, doch Ariane machte große Augen.

Erik begegnete ihrem Blick, sagte aber nichts. Während er sich umwandte, hob er die Hand zum Abschied und ging davon.

 

Kapitel 60 Leichen im Keller

„Hast du das Kuvert in den Hochsicherheitstrakt der Finster GmbH geschleust bekommen?“, fragte Vivien, nachdem sie die Doppelstunde Mathe hinter sich gebracht hatten.

Erik antwortete so lässig, dass jeder Geheimagent vor Neid erblasst wäre. „Ich musste ein paar Tricks anwenden und die Alarmanlage lahmlegen. Aber du weißt ja: Für mich kein Problem.“ Er unterstrich seine Aussage mit einem gewinnenden Lächeln. „Was habt ihr so gemacht?

„Wir haben gespielt!“, rief Vivien.

Erik schaute zunächst zweifelnd. Dann zog sich sein linker Mundwinkel zu einem schrägen Grinsen nach oben. Seine Augen wanderten zu Ariane. „Und? Muss sich Ariane mir wieder an den Hals werfen?“

Die Empörung über seine Anspielung auf den ersten Schultag war Ariane deutlich anzusehen.

Warum hatte Vivien auch so eine superpeinliche Geschichte erfinden müssen, um zu erklären, warum sie sich damals so verhalten hatte?

Wenn sie sich an die Behauptung erinnerte, sie habe eine von Vitali und Vivien ausgedachte Pflicht erfüllen müssen, nachdem sie beim schnellstmöglichen Aufblasen eines Kondoms die Langsamste gewesen war, schämte sie sich immer noch!

Doch es lag ihr fern, Erik gegenüber Schwäche zu zeigen.

Sie schenkte ihm ein kühles Lächeln. „Keine Sorge. Das eine Mal hat mich für alle Zeit vom Glücksspiel geheilt.“

Erik stützte sich mit dem Ellenbogen auf der Schulbank ab und ließ sein Kinn auf seinem Handteller ruhen. „Schade.“ Er lächelte auf gehässige, bedrohliche Weise. „Dann werde ich ab jetzt wohl mitspielen müssen. Um meine Schulden zu begleichen.“

Für einen Moment wollte Arianes Kopf sich weigern, die Bedeutung dieser Bemerkung zu verarbeiten.

Er… wollte es ihr zurückzahlen? Dass sie ihn damals umarmt hatte?

Tausend Horrorszenarien, wie seine grausige Rache aussehen könnte, schossen ihr augenblicklich durch den Kopf.

Ihre Stimme schrillte in einem Akt purer Notwehr auf: „Wir sind schon quitt!“

…Stille

Die jähe Erkenntnis, was sie gerade wieder in sein Gedächtnis gerufen hatte, traf sie.

Selbst Erik sah kurzzeitig völlig baff aus, eine wahrlich ungewohnte Reaktion von ihm.

Mit einer fahrigen Bewegung wandte sich Ariane schnellstens ab und war völlig von ihrem Terminkalender eingenommen, als handle es sich dabei um das achte Weltwunder.

Wieso hatte sie es bloß erwähnt? Wieso war sie bloß darauf zu sprechen gekommen?

Es war nie passiert! Den Vorfall vor drei Tagen, diese Umarmung, gab es nicht!

Unwillkürlich schrumpfte sie in sich zusammen. Diese Bemerkung würde er ihr nie verzeihen.

Oh, wie gerne hätte sie jetzt Vitalis Kräfte besessen…

„Ich zahle meine Schulden immer doppelt und dreifach zurück.“

Ariane horchte auf.

Fassungslos wandte sie sich um und Eriks diabolisches Grinsen schlug ihr entgegen. Das durfte doch nicht …

Von wegen getroffen und beleidigt! Dieses Scheusal drohte ihr auch noch!

„Ich nehme keine Zinsen!“, entgegnete sie mit Nachdruck.

Doch Erik legte es offensichtlich auf einen Schlagabtausch an. „Ich bestehe darauf!“

Arianes Stimme bekam den frostigen Klang klirrender Kälte. „Nicht nötig.“

Erik wurde dagegen immer freundlicher. „Dann war das wohl eine gratis Kostprobe.“

„Eher ein Zustellungsfehler.“

„Zu meinen Gunsten.“

„Zu meinem Bedauern.“, gab Ariane zurück.

„In diesem Fall sehe ich mich natürlich zu einer entsprechenden Rückzahlung verpflichtet.“ Wieder grinste er.

Ariane lächelte künstlich zurück. „Sehr freundlich, aber völlig unnötig.“

„Und doch angebracht.“

„Unwirtschaftlich.“

„Zugunsten zukünftiger Geschäftsbeziehungen.“ Er führte eine vielsagende Bewegung mit seinen Augenbrauen aus.

„Die es nicht geben wird!“, sagte sie abweisend.

„Wodurch eine korrekte Abrechnung umso wichtiger ist.“, beharrte er.

Ariane riss der Geduldsfaden. Sie wurde laut: „Ich bin mit der bereits geleisteten Summe vollauf zufrieden!“

Im gleichen Augenblick wurde ihr klar, dass der heutige Tag verflucht sein musste. Natürlich war auch Erik die verheerende Doppeldeutigkeit ihrer Worte nicht entgangen.

Die bereits geleistete Summe – Die bereits geleistete Umarmung.

In unübersehbarer Selbstzufriedenheit strahlte Erik sie an. „Danke.“ Und weidete sich an ihrer zwischen Scham und Entrüstung schwankenden Miene.

Vivien mischte sich in heller Begeisterung ein. „Du hast sie umarmt?!“

Und Ariane war der festen Überzeugung gewesen, dass die anderen das Gespräch nicht verstehen würden!

Bestürzt sah sie zu Erik. Er würde vor den anderen nicht zugeben, was am Montag passiert war, ganz sicher nicht! Das war viel zu peinlich! Für sie beide!

„Am Montag.“, antwortete Erik leichthin und schlug Ariane damit K.O.

Die verwirrten Blicke der anderen hefteten sich auf Ariane.

Hatte sie nicht angedeutet, Erik habe eine beängstigende Reaktion auf ihren Versuch, etwas über seinen Vater herauszufinden, gezeigt?

„Das ist nicht so wie ihr denkt!“, rief Ariane hektisch.

„Aber du bist damit vollauf zufrieden.“, wiederholte Erik.

Das reichte!

Aufgebracht sprang Ariane von ihrem Platz auf und deutete erbost auf Erik. „Hättest du mich bloß geschlagen, dann hätte ich mich wenigstens wehren können!!!“

Im gleichen Moment galt ihr die Aufmerksamkeit sämtlicher Klassenkameraden. Noch eine Sekunde stand Ariane regungslos da, dann setzte sie sich mit steifen Bewegungen wieder hin und starrte die Schulbank an.

Die anderen schauten zu Erik, der tat jedoch, als würde er ihre fordernden Mienen gar nicht bemerken.

 

[…]

Erik starrte auf die harsch zugeworfene Eingangstür und wandte sich dann bestürzt an Ariane. „Was hast du mit ihr gemacht?“

Ariane platzte der Kragen. „Ich?! Du! Du bist an allem Schuld!“ Sie machte ihrem Unmut durch einen aufgebrachten Laut Luft, eine Mischung aus Ächzen und Stöhnen.

Erik blieb ungerührt. „Das kannst du mir nicht erzählen. Sie hat kein derartiges Interesse an mir. Wieso sollte sie eifersüchtig sein?“

„Wer redet denn von Eifersucht?“ Ariane war nahe am Ausflippen. „Sie ist sauer, weil ich nicht mit euch zusammen laufen wollte! Überhaupt: Nicht jedes Mädchen steht auf dich!“

Erik hob die linke Augenbraue, als wolle er das in Frage stellen.

Das regte Ariane nur umso mehr auf. „Ich verstehe nicht, wie ein normaldenkender Mensch an dir interessiert sein kann!“

Erik blieb die Ruhe selbst. „Wie gut, dass du kein normaldenkender Mensch bist.“

Fast wäre sie ihm an die Gurgel gegangen. „Eher würde ich mich in meinen schlimmsten Erzfeind verlieben!“

„Gut zu wissen.“, meinte er nüchtern. „Ich dachte, ich wäre dein Erzfeind.“

Ariane wusste langsam nicht mehr, wohin mit ihrer Empörung. „Kannst du aufhören, so verdammt ruhig zu sein!“

„Kommt drauf an, was du anzubieten hast.“ Er machte eine Armbewegung, als fordere er sie zu ihrem nächsten Schlag auf.

Arianes Augen wurden schmal. Dank der Situation am Morgen in Kombination mit der durch Erik verursachten Streitigkeit mit Serena war sie alles andere als friedlich gestimmt.

„Wir können über deinen Vater reden!“, zischte sie provokativ.

„Und was willst du wissen?“, erkundigte sich Erik lässig.

Ihre Augen verengten sich in Argwohn. Sicher war das nur ein Bluff.

„Mit was verbringt er seine Freizeit?“, testete sie sein Angebot.

„Meistens besucht er irgendwelche Veranstaltungen, um sich mit noch mehr Leuten zu vernetzen. Egal ob Auftritt des Musikvereins, Oper, Wohltätigkeitsveranstaltung, Kunstausstellung oder Sportfest. Ansonsten trifft er sich mit dem Bürgermeister und anderen einflussreichen Personen, geht golfen, spielt Squash, und versucht in unserem Keller, aus Leichenteilen ein Monster zu erschaffen.“

Ariane starrte ihn reaktionslos an. „Nur um sicher zu gehen. Das mit dem Monster -“

„Ist das einzige, das stimmt. Alles andere sollte ein Scherz sein.“

Sauertöpfisch sah Ariane ihn an, dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck. „Wieso erzählst du mir das?“

„Damit du glaubst, dass wir im Keller ein Monster haben.“

Sie sparte sich eine schlaue Antwort. In möglichst entkrampfter Stimmlage setzte sie fort. „Wieso erzählst du mir das jetzt und letztes Mal…“ Sie sprach nicht weiter.

„Du hast doch vorhin gesagt, ich hätte dich besser schlagen sollen.“, erwiderte er und sah das offenbar als Antwort an.

Ariane teilte diese Ansicht nicht. „Und?“

„Jetzt können wir’s ja drauf ankommen lassen.“

Ariane war sich nicht sicher, ob sie das witzig finden sollte.

„Gut.“, sagte sie in einem Anflug von Trotz. „Warum hast du Streit mit deinem Vater?“

Nichts schien Erik heute aus der Fassung bringen zu können. „Weil er dich aus dem Haus geworfen hat.“, sagte er nonchalant.

„Vorher!“

Nun wurde er doch still.

Ariane musste auf seine Antwort warten. Als sie endlich kam, klang Eriks Stimme nicht mehr so locker.

„Weil ich nicht er bin.“

Er wandte sich zum Gehen.

Ariane ging davon aus, dass die Fragestunde jetzt vorbei war.

Beide setzten sich in Bewegung.

„Noch was?“, fragte Erik unvermutet, als habe ihm das gerade entlockte Geständnis nichts weiter ausgemacht.

Ja! Hat dein Vater dich zufällig vor fünf Wochen K.O. geschlagen, dich ins Schatthenreich verfrachtet und deine Erinnerungen manipuliert?

Sie entschied sich, das nicht zu fragen.

„Wie hängen dein Vater und Herr Finster zusammen?“

Langsam wurde Erik skeptisch. „Warum interessiert dich das?“

„Weil…“, Ariane zog das Wort lang genug, um sich eine Erklärung zu überlegen. „…du Finster nicht leiden kannst.“

Eriks Blick wurde kurz kalt, als wolle er sagen, dass diese Tatsache selbsterklärend war. „Sie sind Anwalt und Klient. Und sie treffen sich manchmal auf Ausstellungen. Ansonsten gehen sie ihre eigenen Wege. Finster ist nicht so der gesellige Typ.“

Ariane war verdutzt. „Und dein Vater ist gesellig?“

„Er ist ständig unter Leuten.“

Ariane war anzusehen, dass sie sich nicht vorstellen konnte, dass es jemanden geben sollte, der sich freiwillig in Herrn Donners Nähe aufhielt.

Erik antwortete auf ihre ungeäußerte Frage. „Mein Vater ist ein einflussreicher Mann. Man schneidet ihn nicht.“

Klar. Wer wollte diesen Mann schon zum Feind haben?

„Finster kam mir sehr viel umgänglicher vor.“, meinte sie.

Spöttisch zog Erik die Stirn kraus. „Ein Typ, der seine Zeit mit alten Schriften und Legenden verbringt?“

Ariane bedachte ihn mit einem strafenden Blick. „Ein Typ, der seine Kinder nicht schlägt.“

„Weil er keine Kinder hat.“, wandte Erik ein.

„Warum kannst du ihn nicht leiden?“

„Warum kannst du ihn leiden?“

„Weil er nett ist.“, teilte Ariane ihm mit.

„Dito.“

Arianes Gesichtsausdruck sagte deutlich, dass sie dem nicht folgen konnte.

„Er ist zu nett.“

„Wenn Menschen dich nicht wie Dreck behandeln, sind sie dir unsympathisch?“

Erik lächelte süffisant. „Deshalb hab ich ja auch eine Schwäche für dich.“

„Ich behandle dich nicht wie Dreck!“, empörte sich Ariane, ohne Eriks Wortwahl jegliche Bedeutung beizumessen.

Er versuchte es mit einer neuerlichen Andeutung. „Aber du könntest ruhig etwas liebevoller sein.“

Erfolglos. Ariane ging nicht darauf ein. „Zurück zum Thema.“

Erik konnte sich seine Belustigung über ihre Immunität gegen jegliche Andeutungen in eine gewisse Richtung nicht verkneifen. Dann setzte er das Gespräch fort.

„Er ist falsch. Wie einer der mit seinem freundlichen Gesicht, die hässliche Fratze dahinter verstecken will.“

„Quatsch.“

Erik zuckte mit den Schultern, was darauf hindeutete, dass er nicht vorhatte, sie von seiner Sichtweise zu überzeugen.

„Wie kommst du darauf?“, fragte Ariane nun von sich aus.

„Sechster Sinn.“

Bei dem Begriff musste Ariane sofort an Secrets Fähigkeiten denken.

„Hinter dem, was er den Leuten zeigt, ist etwas anderes.“, versuchte Erik, es verständlich zu machen.

Ariane senkte den Blick. „Ist das nicht bei den meisten Menschen so?“

Der weiche Klang ihrer Stimme ließ Erik aufhorchen. Es hörte sich an, als wisse sie, wovon sie sprach. Er sah, dass ihre Augen nun geradeaus gerichtet waren, ihr Haupt stolz erhoben, als müsse sie sich dadurch aufrechthalten.

Als sie seine Aufmerksamkeit bemerkte, lächelte sie ihn freundlich an. „Ist doch so.“

Erik musste sich eingestehen, dass dieses Mädchen jedes Mal, wenn er es durchschaut zu haben glaubte, etwas tat, um seine Mutmaßungen durcheinander zu bringen.

In ernstem Ton fragte er: „Gehörst du auch dazu?“

Ariane schaute betreten. Sie sagte nichts.

Etwas an ihrer Reaktion ließ ihn den Satz bereuen, obwohl ihm das lächerlich vorkam.

Ein fast trauriges Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. „Wahrscheinlich nicht so sehr wie du.“

Erik gefiel diese Bemerkung nicht. Für ein paar Sekunden waren seine Augen fest auf sie fixiert, als wolle er sie damit in einen Bann schlagen oder ihr Gedächtnis manipulieren, um diese Erkenntnis aus ihrem Kopf zu löschen.

„Wegen Secret…?“

Ariane fuhr zusammen, und hoffte, dass Erik es nicht gesehen hatte, obwohl sie wusste, dass es ihm nicht entgangen sein konnte.

Erik verlieh seiner Stimme einen undurchsichtigen Ton. „Wer ist Secret?“

Ariane schluckte und bemühte sich normal zu sprechen. „Die Romanfigur. Das weißt du doch.“

Wo war Vivien wenn man sie brauchte?!!

„Aus Balance Defenders?“ Eriks Blick war unglückverheißend.

„Ja.“ Ariane verfluchte ihre Stimmbänder, die einfach nicht fürs Lügen gemacht waren.

„Kannst du mir das Buch mal ausleihen?“

Panik.

„Das – geht nicht.“

„Warum nicht?“

Arianes Herz begann zu rasen. Sie sah auf den Weg. Es war nicht mehr weit. Unwillkürlich beschleunigte sie ihren Lauf.

Erik war sofort wieder an ihrer Seite, mit verschlagener Färbung in der Stimme. „Willst du mir nicht antworten?“

„Doch!“, stieß Ariane eilig aus. „Aber ich darf nicht.“

Aaah! Was hatte sie sich bei diesem Satz gedacht?!!

„Du darfst nicht?“ Hohn kam in seinen Blick und dahinter eindeutige Schadenfreude. Er wusste, dass er sie in die Enge getrieben hatte. Und die Gewissheit, dass sie ihm nicht mehr entkommen konnte, erfüllte ihn offensichtlich mit einer übergroßen Zufriedenheit.

„Nein, ich darf nicht.“, wiederholte Ariane in einem verzweifelten Versuch, Zeit zu schinden.

„Und warum nicht?“

„Das darf ich nicht sagen.“

Die Erwartung, seine Beute gleich zu bekommen, ließ Eriks Stimme immer düsterer werden. „Gibt es denn etwas, das du darfst?“

Ariane blieb stehen. „Ich darf mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, ich darf in die Schule gehen, ich darf ohne Beaufsichtigung fernsehen und alleine einkaufen gehen.“, zählte sie sich an den Fingern ab.

Aber ihr Versuch, Erik von seinem Ziel abzubringen, scheiterte. Kurz nur lächelte er belustigt, dann war da wieder der gierige Ausdruck des Jägers. Ariane konnte nicht entkommen.

In ihrer Not fiel ihr nur eines ein: „Du musst Vivien fragen!“

Wie eine Katze, die kurz überlegen musste, welches Spielzeug sie ergreifen sollte, nachdem plötzlich ein zweites aufgetaucht war, wog Erik seine Möglichkeiten ab.

„Dann sollte ich sie vielleicht gleich mal anrufen.“  Er holte sein Handy aus der Hosentasche.

„Jetzt?“, warf Ariane in viel zu hoher Tonlage ein.

„Soll ich sie dir vorher geben, damit du sie vorwarnen kannst?“, meinte er spöttisch. „Bis morgen ist ihr vielleicht etwas eingefallen.“

Trotz wallte in Ariane auf. Er unterschätzte Vivien gewaltig!

Mit wiedergefundener Selbstsicherheit verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Nur zu.“

Wenn ihre plötzliche Überzeugung ihn auch nur ein bisschen verunsicherte, dann zeigte er es zumindest nicht.

Mit wenigen Fingerbewegungen hatte er Viviens Nummer herausgesucht.

Ariane sah, wie er das Handy von sich weg hielt, bis die Verbindung aufgebaut war. Er legte es sich an die Ohrmuschel und behielt den Blickkontakt mit ihr bei, als wolle er sie dadurch mürbe machen. Doch jetzt da Vivien mit ins Spiel getreten war, strotzte Ariane nur so vor Willenskraft.

Sekunden verstrichen. Erik begann ein ungeduldiges Gesicht zu machen. Nach einer Weile gab er es auf.

„Tja, geht keiner ran.“ Er nahm das Handy vom Ohr.

Ariane rutschte das Herz in die Hose.

„W-warte!“, gab sie heiser von sich. „Bei mir nimmt sie bestimmt ab!“ Sie zog ihren Rucksack von den Schultern. „Du hast es sicher nicht lange genug klingeln lassen!“

Sie holte ihr Mobiltelefon hervor und setzte wieder den Rucksack auf. Gerade wollten ihre Finger über das Display fliegen, als Eriks Hand sich auf das Handy legte.

„Als würde sie bei dir abnehmen, wenn sie es bei mir nicht tut.“, meinte er großspurig.

„Dann versuchen wir es eben auf dem Festnetz!“, rief sie.

„Ariane.“ Sein Gesichtsausdruck und sein Ton erinnerten sie an die Art, wie privilegierte Menschen manchmal sprachen. So als wüssten sie alles viel besser und wollten einen beschwichtigen.

„Das wird doch jetzt nicht nötig sein.“

Ariane starrte ihn argwöhnisch an. Wenn Menschen auf diese Weise redeten, hatten sie etwas zu verheimlichen!

Ihre Augen wurden zu zwei Schlitzen und ihr Mund öffnete sich in Entrüstung. Sie sprach die Worte langsam und schneidend aus. „Du hast gar nicht angerufen!“

Eriks Miene blieb unbewegt, bis auf ein kurzes Zucken. Das genügte völlig.

„Du Mistkerl!“ Sie entriss ihm sein Handy, das zu ihrem Glück noch entsperrt war, und hatte einhändig die Anrufliste angewählt, ehe er überhaupt reagieren konnte. Ihr Verdacht bestätigte sich.

Wütend drückte sie ihm sein Mobiltelefon gegen die Brust, ihre Augen funkelten ihn so feindselig an, dass jeder andere wohl getroffen gewesen wäre. Aber nicht Erik.

Ariane wirbelte herum. Schnellen Schrittes lief sie davon.

Dieser Betrüger! Lügner! Heuchler!

Das dumme Blondchen wird schon darauf hereinfallen!

Sie hätte ihm am liebsten eine gescheuert!

Erik steckte sein Handy zurück in seine Hosentasche und beeilte sich nicht, ihr hinterherzulaufen. Gemächlich setzte er den Weg fort. Nur seine Schritte wurden größer und etwas zügiger, wodurch er Ariane trotz ihres Tempos schnell wieder eingeholt hatte. Ohne sie anzusehen, ging er neben ihr her, als wäre nichts gewesen.

Als er schließlich das Wort ergriff, war seine Stimme nicht mehr scherzhaft oder durchtrieben. Er klang gedankenversunken, als spräche er mit sich selbst.

„Ich habe sie wieder gespürt. Die Wunde…“

Jäh war Arianes Zorn verpufft. Ihre Schritte wurden langsamer. Sie sah Erik an.

Sein Gesicht war weiter nach vorne gewandt. Zum Glück. So konnte er nicht ihre besorgte Miene sehen.

Kurz davor, sich nach seinem Zustand zu erkundigen, hielt Ariane gerade noch rechtzeitig inne.

Er tat es schon wieder! Er log! Um sie zurück in die Falle zu locken!

Aber da hatte er sich geschnitten. Dieses Spielchen konnten zwei spielen!

„Hast du sie noch alle?“ Sie setzte ihren eiskalten Blick auf und mischte ihn mit dem verächtlichsten Ausdruck, den sie zustande brachte. „Das ist eine Romanfigur! Du solltest echt zum Psychiater.“ Der unausstehliche Ton war ihr richtig gut gelungen.

Sie lief weiter und wartete auf Eriks Reaktion, aber es gab keine.

In ihren Augenwinkeln erkannte sie, dass er einfach nur stumm geradeaus tarrte. Sein Gesicht – eine undurchdringliche Maske. Er wandte sich ihr nicht zu.

Jeden Schritt, den er schwieg, wuchs das nagende Gefühl in Ariane, mit ihren gehässigen Worten etwas Schreckliches angerichtet zu haben.

Sie schalt sich selbst: Eben hätte sie ihn für seine Unverschämtheit noch ohrfeigen können und jetzt tat er ihr leid?

Trotzdem. Für Erik musste die Sache schon schwer genug sein, auch ohne dass sie ihm einredete, er habe einen geistigen Schaden. Wie musste er sich fühlen?

Nach weiteren Schritten in bedrückender Stille erreichten sie Arianes Zuhause. Erik wartete nicht auf eine Verabschiedung. Er lief einfach weiter.

„Erik!“

Er blieb stehen, drehte sich aber nicht zu ihr um.

„Es tut mir leid.“ Sie konnte nicht anders. „Was ich gesagt habe… Ich habe es nicht so gemeint.“, stammelte sie. „Ich war wütend.“

Erik rührte sich noch immer nicht.

„Du bist nicht verrückt!“

Keine Reaktion.

„Vielleicht hast du Schmerzen im Arm vom Training. Muskelkater. Oder du hast einen Muskelriss oder so was. Du solltest vielleicht zum Arzt.“

Er drehte sich einfach nicht um!

Ariane spürte Empörung über sein kindisches Beleidigtsein in sich aufkommen. Musste sie ihm denn immer hinterher rennen? Sie stöhnte genervt auf.

„Wolltest du mich jetzt nicht schlagen?!“

Dieses Mal drehte er sich um.

„Verlockendes Angebot, aber ich stehe leider nicht auf SM-Spielchen.“ Er lächelte wieder.

Arianes Mund verzog sich spöttisch. „Dafür bist du aber ziemlich sadistisch.“

Erik grinste kurz. Dann trat wieder das gefährliche Glitzern in seine Augen, das sie nicht zu deuten vermochte.

„Aber“ Seine Stimme wurde rau. „wir hätten da noch die ausstehenden Rückzahlungen.“

„Von wegen!“, rief Ariane keck und rannte auf ihr Haus zu.

Eriks leises Lachen folgte ihr nach.

 

Kapitel 62 Viel Rummel um –

Während sie in wechselnder Geschwindigkeit an aus dem Nichts auftauchenden Spukgestalten, Schockmomenten, Dunkelheit, Blitzlichtgewitter, lauten Geräuschen und zahlreichen Effekten vorbeifuhren, legte Ariane keine Anzeichen von Ängstlichkeit jeglicher Art an den Tag. Irgendwie amüsierte das Erik.

„Was ist?“, rief sie über den Lärm der Geisterbahn hinweg in kaltem Ton, ohne ihn anzusehen. Seine Aufmerksamkeit war ihr offensichtlich nicht entgangen.

Er verlieh seiner Stimme etwas Provokantes. „Bei all den Schreckgestalten wollte ich nur kurz etwas Schönes ansehen.“

Ariane gab ein so tiefes entnervtes Stöhnen von sich, dass sie wie die Stimme aus einer Gruft klang. „Dein Handy hat eine Selfie-Kamera.“

Er musste über ihre Schlagfertigkeit grinsen und setzte zu einem Konter an. „Du bietest mir an, ein Selfie mit dir zu machen?“

Nun drehte sie sich tatsächlich zu ihm um und schaute extrem genervt.

Er lächelte sie an, was sie dazu brachte, sich wieder abzuwenden, als wäre ihr das unangenehm.

Es war wirklich nicht leicht, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, ohne sich eine Blöße zu geben. Er schmunzelte.

 

[…]

„Achterbahn!“, rief Vivien auf Höhe der nächsten Attraktion und schwang ihren rechten Arm in die Höhe.

„Dann warte ich auf euch.“, sagte Ariane, die aufgrund ihrer Zuckerwatte gehandicapt war.

„Wir können auch warten, bis du fertig bist.“, schlug Serena vor.

Ariane wehrte ab. „Das ist kein Problem. Ich warte solange hier.“ Sie deutete auf die Sitzbank zu ihrer Linken.

„Gute Idee.“, meinte Erik zustimmend. Doch statt sich in Bewegung zu setzen, ließ er sich daraufhin gekonnt auf die Bank sinken und breitete sich darauf aus wie auf einer bequemen Couch.

Irritiert sah Ariane ihn an. Erik reagierte nicht auf ihre ungeäußerte Frage.

„Was tust du?“, sprach Ariane schließlich ihren Gedanken aus.

„Ich warte.“

„Worauf?“

„Auf die anderen.“

Wieder warf Ariane ihm einen fordernden Blick zu.

Wieder reagierte er darauf nicht.

Und die anderen hielten sich bei den Dialogen der beiden einmal mehr raus. Vivien aus neugierigem Interesse, Justin aus Irritation, Vitali, um nicht in die Schussbahn zu geraten, und Serena einfach weil sie es leid war.

„Was meinst du?“, war Ariane schließlich gezwungen zu fragen.

Erik platzierte den gewonnenen Teddy auf seinem Schoß. „Mit dem Bären kann ich nicht mitfahren.“ Ein selbstgefälliges Grinsen nahm sein makelloses Gesicht ein, als würde er mit diesem Kommentar Ariane reizen wollen.

Ihr Gesicht zuckte kurz, dann lächelte sie freundlich. „Du kannst mir doch den Bären geben und mit den anderen fahren.“, bot sie ihm an und streckte ihre Hände demonstrativ nach dem Kuscheltier aus.

Sofort zog Erik den Teddy vor ihr weg wie ein Spielzeug vor einem Kätzchen. Er grinste provokativ, seine linke Augenbraue ging in die Höhe. „Wenn du einen Bären willst, dann musst du dir schon selbst einen schießen.“

Einmal mehr kam Ariane nicht umhin sich zu fragen, wie es diesem Jungen entgegen aller Logik gelang, das lächerlichste Verhalten an den Tag zu legen und dabei noch so cool zu wirken, dass Scharen von Mädchen nicht anders konnten als ihn anzuhimmeln. Allein der Gedanke an die bemitleidenswerte Fehleinschätzung dieser Mädchen!

Viviens Stimme riss Ariane aus ihren Gedanken und das aus unerwarteter Entfernung. „Wir sind dann mal weeeg!“

Entsetzt wirbelte Ariane herum und musste mit Schrecken feststellen, dass die anderen sich bereits zur Achterbahn hin entfernt hatten, indem Vivien sie kurzerhand allesamt mit sich geschleift hatte.

Sie hörte Serena noch zetern. „Ich sitze nicht neben Vitali!“ Und sah, dass Justin wohl anbot, sich neben sie zu setzen.

Hilflos streckte sie ihre Hand nach den sich entfernenden Personen aus.

Allein blieb sie mit Erik zurück.

[…]

Arianes Gesichtsausdruck zuckte.

Alleine mit – Erik…

Sie würde Vivien umbringen, da war sie sich ganz sicher! … Würde sie nicht.

Sie ließ den Kopf hängen und biss sich auf die Unterlippe, richtete sich wieder auf und machte sich dazu bereit, sich wieder zu Erik umzudrehen.

Was für eine Qual.

Am liebsten hätte sie einen lauten Seufzer der Resignation ausgestoßen.

Während der Geisterbahnfahrt neben ihm zu sitzen war ja eine Sache gewesen, aber jetzt?

Wieder ihrer vollen Selbstbeherrschung mächtig – mit erhobenem Haupt – wandte sie sich um.

Und diese Selbstbeherrschung wurde sogleich auf eine harte Probe gestellt.

Erik grinste. Und wie er grinste!

Warum gab es im Deutschen eigentlich keinen speziellen Ausdruck für ein boshaftes, dämonisches Grinsen? Man sollte es nicht einfach ‚grinsen nennen, obwohl der Eigentümer sehr wohl amüsiert und guter Laune zu sein schien.

Schadenfreuen? Nein. Das traf es nicht ganz.

Und ‚smirken‘ nach dem englischen ‚smirk‘ für ‚dreckig und selbstgefällig lächeln‘ klang eher nach ‚zirpen‘ als nach einem passenden Begriff für Eriks Gesichtsausdruck.

Ariane gab den Gedanken auf und entschied sich eines zu tun – sich nichts anmerken lassen.

Gelassen ging sie zu der Bank, auf der Erik auf sie wartete, und setzte sich neben ihn.

Schweigen.

Ariane sah nicht zur Seite, um zu sehen, was Erik tat. Ihr Blick war stur auf das Geschehen vor ihr gerichtet.

Erik fand es vergnüglich, wie Ariane ihn einmal mehr demonstrativ ignorierte, und wurde zu neuen Schandtaten beflügelt.

„Du hast ja eine Schwäche für Spiele.“, erwähnte er wie beiläufig.

Ariane wandte ihren Blick noch weiter von ihm weg, denn sie wusste, dass sein Tonfall nichts Gutes zu verheißen hatte. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich keine Spielchen spiele.“

Erik beugte sich vor und drehte seinen Kopf so, dass er ihren Gesichtsausdruck dennoch einfangen konnte. „Damit könnten wir die Sache mit den Schulden klären.“

Arianes Gesicht schnellte zu ihm. „Kannst du endlich mit dieser Schuldengeschichte aufhören!“

Daraufhin fing Erik an, mit seinem Teddy zu spielen. Mit einer Coolness, als würde er sich gerade der männlichsten Beschäftigung schlechthin widmen.

„Ein Frage-Antwort-Spiel vielleicht.“

„Du scheinst doch schon einen wunderbaren Zeitvertreib gefunden zu haben.“ Mit den Augen deutete sie auf den Teddy.

Erik grinste. So unverschämt selbstüberzeugt, als hätte sie ihm, statt ihn zu verspotten, gesagt, was für ein schickes Auto er fuhr.

Wie es sie aufregte, dass er einfach alles tun konnte, ohne sich dabei dumm vorzukommen!

Wenn sie sich wenigstens hätte einreden können, dass er den Spott nicht heraushörte. Aber Erik war wohl die gerissenste Person, die sie kannte.

Von Vivien einmal abgesehen…

Ariane wandte sich wieder ab und Erik schwieg unverhofft. Auch eine sonstige Reaktion seinerseits blieb aus, zumindest eine, die sie wahrgenommen hätte, ohne sich zu ihm zu drehen.

Sekunden verstrichen.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er so schnell aufgeben würde.

Vorsichtig lugte sie in seine Richtung.

Für einen Moment glaubte sie, die Schwärze seiner Pupillen entführe sie in ein Schatthenreich, das nicht jenes war, das sie schon einmal betreten hatte, sondern eines, das in seinem Inneren verborgen lag. Sein Blick schien sie in dieses Unbekannte zu ziehen.

Sie zuckte zusammen und wandte sich hastig ab. Justins Aussage, dass Secret genauso gut ein Schatthenmeister in Ausbildung sein konnte, kam ihr ungewollt in den Sinn.

„Was soll das?“, schimpfte sie.

„Ich seh dich einfach gerne an.“

Die Worte gefielen ihr ganz und gar nicht. „Hör auf damit.“

„Wie du meinst.“, sagte er.

Eine kurze Pause entstand.

„Hattest du schon mal einen Freund?“

Der plötzliche völlig verdatterte Gesichtsausdruck von Ariane hätte Vitali alle Ehre gemacht. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und entgleisten Zügen starrte sie Erik an. „Wie bitte?“

„Du hast deine Frage gestellt, jetzt bin ich dran.“

„Ich habe keine Frage gestellt!“

„Natürlich ist ‚Was soll das?‘ eine Frage. Das erkennt man an der Verwendung des Fragewortes, der Satzstellung und der Intonation.“, belehrte er sie.

Unzufrieden wurde ihr klar, dass sie sich durch ihre eigene Unbedachtheit in diese Situation bugsiert hatte.

„Das war aber keine richtige Frage.“, beanstandete sie. „Außerdem, was soll die Frage, ob ich schon mal einen Freund hatte?“

„Die gefällt dir nicht?“

„Das ist genauso geistreich, als würde ich dich fragen, ob du mit deinem Muskeltraining Eindruck schinden willst.“, schimpfte sie.

„Das interessiert dich?“

„Natürlich nicht!“, widersprach sie.

„Aber du bist auf die Idee gekommen.“, hielt er ihr grinsend vor.

Sie wusste sich zu wehren. „Das liegt nur daran, dass du dich ständig über die Mädchen aufregst, die dich – aus mir unerfindlichen Gründen – attraktiv finden, es aber dann wieder darauf anlegst, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.“

Über diesen Gedanken sichtlich amüsiert musste er sich zur Seite drehen, als hätte sie einen allzu lustigen Witz gerissen. Erst dann konnte er sich mit einem untypisch ehrlichen Lächeln wieder ihr zuwenden.

Leicht verunsichert von seiner Reaktion war Ariane unklar, ob sie nun schmollen oder wütend werden sollte. „Was ist?“

Erik lächelte noch immer liebenswert, wie sie es noch nie an ihm gesehen hatte. Und hörte damit erst auf, als ihre Geduld zu enden drohte.

„Also.“, holte er aus. „Meine durchtrainierte Statur – die dir offensichtlich aufgefallen ist–“ Ariane verdrehte die Augen, aber er setzte einfach fort. „hat nichts mit irgendwelchen Mädchen zu tun.“

Wieder lächelte er über den Gedanken. Dann holte er tief Luft und sah nach vorn.

„Als ich in der Vierten war, bin ich fast täglich verprügelt worden.“

Ariane glaubte, sich verhört zu haben.

„Deshalb hab ich angefangen zu trainieren, damit ich auf niemanden mehr angewiesen bin, um mich zu beschützen.“

Erst jetzt sah er sie wieder an, mit gewinnendem Lächeln. „Tja, und deshalb bin ich heute der Sexiest Man Alive.“

Ariane, die eben noch Mitleid empfunden hatte, war von seiner abermaligen Selbstüberschätzung wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekommen. „Welch ein Glück für die gesamte Frauen- und Männerwelt.“, spottete sie. „Wir sollten den Jungen von damals das Bundesverdienstkreuz verleihen.“

„Kann das auch an Tote verliehen werden?“

Sie erstarrte.

Überrascht über ihre Extremreaktion lachte Erik auf.

„Was du mir alles zutraust.“, grinste er.

Ariane fühlte sich beschämt. „Th.“, machte sie nur und wusste nichts weiter dazu zu sagen. Zu peinlich war es ihr, auch nur eine Sekunde über den Wahrheitsgehalt seines Scherzes nachgedacht zu haben.

Sie schürzte die Lippen. „Zumindest ist jetzt geklärt, woher dein verschlagenes Lächeln kommt.“

Erik lachte. Dann machte er eine auffordernde Armbewegung. „Nun. Du bist dran.“

„Okay.“ Ariane holte Atem. „Ja, ich hatte schon einen Freund.“

Erik wartete, aber es kam nicht mehr. „Und weiter.“

„Du hast nur gefragt, ob ich schon einen hatte.“

„Meine Antwort war aber ausführlicher.“, bemängelte er.

„Ich hatte ja auch ‚Warum‘ gefragt.“, entgegnete sie triumphierend.

„Und du willst nicht mir zuliebe etwas ausführlicher werden?“

Ariane antwortete mit einem lang gezogenen Nein.

Mehr darüber amüsiert als enttäuscht starrte er sie an. Dann fiel sein Blick auf die Zuckerwatte in ihren Händen.

„Warum hast du nicht die Rosane genommen?“

Ariane horchte auf. „Was?“

„Die rosa Zuckerwatte. Die wolltest du doch.“

Fast wäre Ariane die Frage herausgerutscht, woher er das wusste. „Wie … kommst du darauf?“, wich sie aus.

Erik grinste sie gönnerhaft an. „Deine Augen haben vor Begeisterung gestrahlt, als du die rosa Zuckerwatte gesehen hast.“

Ariane machte ein komisches Gesicht.

Er spielte wieder mit dem Teddy. „Warum hast du die Weiße gekauft?“ Er hörte sich so an, als würde es ihn in Wirklichkeit nicht die Bohne interessieren.

„Hast du etwas gegen weiße Zuckerwatte?“, lenkte sie ab.

„Ich nicht.“, sagte Erik gelassen. „Aber du wolltest die Rosafarbene.“

„Wollte ich nicht.“

„Wolltest du doch.“

„Wer von uns beiden weiß besser, was ich will?“

Erik hob den Teddy und ließ das Kuscheltier die Arme öffnen. „Ich natürlich.“

Ariane wollte empört schauen, aber gemischt mit dem Grinsen, das sich auf ihr Gesicht geschlichen hatte, sah man ihr an, wie amüsiert sie war. „Das ist mir neu.“ Nun lächelte sie übers ganze Gesicht.

„Jetzt weißt du’s.“, meinte Erik schelmisch grinsend.

Ariane grinste ebenfalls und musste sich von einem Lachen abhalten.

Schließlich lachten sie beide.

„Und? Warum wolltest du nicht die Rosane?“

„Ich dachte, ich wollte sie.“, hielt Ariane ihm entgegen.

„Wolltest du auch. Aber warum hast du sie nicht genommen?“

Ariane lächelte ihm neckisch zu. „Das wüsstest du wohl gern.“

„Jaaah.“

„Aber ich war mit Fragen dran.“

Erik fügte sich willig. „Und was willst du wissen?“

Ariane wurde wieder ernst. „Warum wurdest du verprügelt?“

Sie wusste, wie persönlich und unangenehm diese Frage sein musste, vielleicht zu persönlich. Aber sie konnte nicht anders. Zu sehr verlangte es sie nach einer Antwort.

Kurz zögerte Erik. „Weil ich ein Donner bin.“

Ariane verstand nicht. „Ich dachte, das wäre gut.“

„Wenn du kleiner bist als die anderen und schmächtig wie ein Zahnstocher nicht so.“

Sie scherzte: „Und wenn die anderen Jungs darauf neidisch sind, dass die ganzen Mädchen dich toll finden.“

Erik warf ihr einen zweiflerischen Blick zu, den sie nicht verstand. So als hätte sie etwas ziemlich Dummes gesagt. Dabei war sie davon ausgegangen gewesen, dass er mit seinem üblichen ‚Ich bin der Allertollste‘-Getue reagieren würde.

Stattdessen wandte er sich ab und wirkte gedankenversunken.

Irgendwie fühlte sie sich mit einem Mal schlecht und wusste nicht einmal wieso.

Schließlich entschloss sie sich, ihren Part zu erfüllen, vielleicht um Erik abzulenken.

Noch einmal zögerte sie.

War es nicht dumm, Erik so etwas zu sagen? Ziemlich dumm sogar. Dennoch wollte irgendetwas in ihr ihm davon erzählen. Weil er danach gefragt hatte.

Fast hätte sie über diesen Umstand gelächelt.

Dann sah sie Erik von der Seite an. Den gleichen Jungen, der sie bei ihrem ersten Treffen – oder zweiten, je nachdem ob man ihre Begegnung im Schatthenreich hinzurechnete oder nicht – wie eine aufdringliche, oberflächliche Idiotin behandelt hatte. Musste er es da nicht verstehen können?

„Was denkst du wenn du Rosa siehst?“

Erik antwortete mit fragender Miene.

„Blond, blauäugig, ihr Freund heißt Ken.“, half sie ihm auf die Sprünge.

Erik lachte. „Du kaufst keine rosa Zuckerwatte, weil die Leute dich für Barbie halten könnten?“

Arianes Mundwinkel fielen in den Keller. Sie drehte sich weg.

„Warum?“, fragte Erik belustigt.

„Das fragst du mich?!“, schimpfte sie mit einem Mal aufbrausend.

Dass er ihrer Offenheit mit Spott begegnete, ließ sie mit Aggression reagieren.

„Wer hat mich denn für ein oberflächliches Püppchen gehalten, als wir uns begegnet sind!“

„Das war was anderes.“, verteidigte er sich ernst. „Da ist einiges schief gelaufen und daran bist du nicht unschuldig!“ Angriff ist die beste Verteidigung.

„Ich?!!!“ Ariane war aufgesprungen und verspürte den Impuls, ihn mit allem zu beschimpfen, was sie auf Lager hatte.

Gerade noch stoppte sie. Fast hätte sie riskiert, die Lügengeschichte von Vivien kaputtzumachen, die zur Erklärung für Erik gedient hatte.

Für Erik gab es kein Schatthenreich, keine Amnesie. Das Unrecht, das er ihr angetan hatte, musste sie hinunterschlucken.

Sie sah ihn warten. Aufrecht und ernst saß er da, mit einem undurchsichtigen Blick, als würde er gerade wieder über ihre auffällige Reaktion nachgrübeln und sich unschöne Dinge zusammenreimen.

Oh nein…

„Du bist keine Barbie und die Leute sehen dich auch nicht so.“ Ariane war geplättet. „Du bist willenstark und geistreich, und das merkt man.“

Wenn sie nicht so überrascht gewesen wäre, hätte sie ihm vielleicht widersprochen, schließlich hatte sie oft genug erlebt, wie Menschen auf sie reagierten.

Aber nun war sie einfach zu sehr davon überwältigt, dass Erik, statt sie wieder in die Mangel zu nehmen und Informationen über Secret aus ihr herauszuquetschen, solche Worte zu ihr sagte.

Es dauerte noch einen Moment, ehe sie sich wieder auf die Bank setzte.

„Meine Klassenkameraden haben ein Video von mir zusammengestellt mit dem Lied Barbie Girl.“, eröffnete sie ihm.

Erik zeigte ein verzerrtes Gesicht, das zwischen Grinsen und Unglaube schwankte.

Ariane hätte sich selbst dafür ohrfeigen können, dass sie so dumm gewesen war zu glauben, Erik hätte jegliches Verständnis für sie.

Wütend setzte sie fort, als könne sie ihre Worte als Vorwurf verwenden. „Sie haben es ins Internet gestellt und auf Social Media geteilt. Die Vertrauenslehrerin meinte dazu, dass ich nicht so aussähe, als würde es mir etwas ausmachen, für eine Barbie gehalten zu werden.“

Erik schüttelte bloß den Kopf. „Warum denken schlaue Menschen über dumme Menschen nach?“ Ariane stockte. „Warum denkst du über den Schwachsinn nach, den diese dummen Menschen an dich rangetextet haben?“ Sein Blick wurde hart. „Dumme Menschen sind es nicht wert, dass du über sie nachdenkst.“

‚Hör auf dich zu entschuldigen!‘, hallte es in Arianes Kopf. ‚Sich entschuldigen ist ein Zeichen von Schwäche.‘ Das hatte Secret gesagt, im genau selben Tonfall. Hart. Abwertend. Als wäre es ihm zuwider.

„Und wer ist für dich dumm?“ Es kam einfach aus ihrem Mund. Gerade so als würde sie die Leute verteidigen wollen, die ihr das angetan hatten.

Eriks Augen waren so hart, dass sie einmal mehr Secret vor sich hatte, den konsequenten Vertreter der Einstellung: Keine Antwort war auch eine Antwort – was bei seinem Blick auch noch tatsächlich funktionierte.

Doch plötzlich war es das Bild von Eriks Vater, das vor ihrem geistigen Auge aufblitzte. ‚Alle!‘

„Niemand ist dumm.“, widersprach sie der Antwort ihrer Vorstellung.

Strafend sah Erik sie an. „Und du willst mir erzählen, die Leute, die das gemacht haben, sind nicht dumm?“

„Niemand ist dumm.“, wiederholte sie.

Etwas änderte sich in Eriks Ausdruck, es waren nur wenige Regungen, aber Ariane erkannte, wie aus der Härte Distanziertheit wurde, als hätte sich Erik plötzlich hinter etwas zurückgezogen, hinter eine Art Festungsmauer, aus der er irgendwann herausgetreten war, ohne dass ihr das bewusst gewesen wäre – bis jetzt, wo sie wieder ausgesperrt war, wo sie vor der Festung stand, vor der kalten Mauer, die abweisend und feindlich wirkte und auf deren Steinen mit unsichtbaren Buchstaben ‚Verschwinde!‘ geschrieben stand.

Wie damals.

Beinahe hätte sie sich von dem Impuls leiten lassen, seinen Arm zu berühren, um durch die Härte der Mauer hindurchzugreifen.

Etwas umklammerte ihr Herz, als würde Erik sich von ihr entfernen, in die Dunkelheit verschwinden und sie verlassen.

Auch wenn er neben ihr saß, er war unendlich weit fort.

Fast hätte Ariane geweint, die Wahnvorstellung war zu intensiv. Dieses immer wiederkehrende Szenario, ihn wieder alleine zurücklassen zu müssen. Es musste an den immer noch nicht abgeschalteten Schuldgefühlen liegen.

Noch immer stand sie vor der unüberwindbaren Festung, wartete vergebens.

Er beschämte sie.

Wie eine Bettlerin, die um Almosen bat, kam sie sich vor, und nicht mal Abfälle wurden ihr von den Zinnen der Burgmauer heruntergeworfen. Gar nichts.

Dann wurde sie mit einem Mal wütend.

Wieso machte sie sich immer klein wie ein Mäuschen, wenn er sich so aufführte?!

Noch länger brauchte sie sich nicht dem stummen Spott des Despoten aussetzen, der sich hinter den Schlossmauern verbarg und sie mit Verachtung strafte!

Arianes Augenbrauen zogen sich zusammen. „Hast du fertig geschmollt?“

Erik starrte sie an. „Was?“

Ariane entzog ihm ihre Beachtung, sah ihn nicht mal mehr an und verärgerte ihn damit noch mehr. Aber das war ihr so was von egal!

Verstimmt rupfte sie sich Zuckerwatte ab und stopfte sie sich in den Mund.

Erik indes hörte nicht auf, sie anzustarren, als könne er sie dadurch zwingen, etwas zu sagen. Am liebsten wäre er aufgestanden und gegangen.

„Sagt diejenige, die keine rosa Zuckerwatte kauft, weil sie für Barbie gehalten werden könnte.“

„Wenigstens führe ich mich nicht wie eine Diva auf, wenn man mir etwas sagt, das mir nicht passt.“, gab sie zurück.

„Nein, du versteckst dich hinter Glasvitrinen.“

Ariane hielt inne und rief sich ins Gedächtnis, wie sie auf der Jubiläumsfeier der Finster GmbH versucht hatte, sich vor Erik zu verbergen.

Automatisch prustete sie.

Ebenso automatisch grinste auch Erik breit. Die Erinnerung an die Szene war zu komisch. Damals als sie sich das erste Mal versöhnt hatten.

Es war nur fünf Wochen her, aber es schien wie ein Jahr.

Von vorne sah Erik in diesem Moment auch schon die anderen nahen, die nicht minder vergnügt aussahen.

[…]

„Das müsst ihr unbedingt auch fahren!“, verkündete Vivien den beiden auf der Bank Sitzenden.

„Gut.“, sagte Erik und stand auf. „Ich muss nur vorher kurz was besorgen. Ihr könnt euch ja schon anstellen.“

„Das hättest du doch eben schon tun können.“, warf Ariane ihm vor.

Als Antwort nahm Erik seinen Teddy, den er zuvor noch als unantastbar deklariert hatte, und setzte ihn ungeniert Ariane auf den Schoss.

Sein verschlagenes Grinsen sprach Bände.

Ariane hätte ihm gerne wütend nachgeschaut, aber ihre Mundwinkel hatten in Eriks Nähe ein Eigenleben entwickelt.

[…]

„Okay.“, sagte Vivien leichthin. „Ich lasse dich nicht mehr mit ihm alleine.“

Leicht skeptisch sah Ariane sie an. „Ich meinte, dass du solche Situationen nicht extra einfädeln sollst.“

Freudig strahlte Vivien sie an. „Du willst also schon mit ihm alleine sein?“

„Nein!“, fuhr Ariane sie an.

Vivien zuckte mit den Achseln. „War ja nur ne Frage.“

 

Kapitel 63 Ablenkungsmanöver

Ariane wirkte unerwartet verschüchtert. „Aber es macht mir Angst, wenn er etwas von mir wissen will.“

Ernst sah Justin sie an. „Warum?“

Weil er mich einmal fast geschlagen hätte, wollte Ariane jetzt nicht antworten. Außerdem war es damals nicht um Secret gegangen. Andererseits war das wohl keine Entschuldigung.

Aus der Skepsis auf Justins Gesicht wurde Besorgnis. Seine Stimme klang sanft. „Denkst du, er würde dir etwas antun?“

Ariane begegnete Justins Blick verstört und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden und sie nichts dagegen unternehmen konnte.

Sie wollte das vor den anderen nicht zugeben. Niemals! Aber als Erik sie so angesehen hatte – sie hatte solche Angst gehabt.

Ariane hielt sich den Mund zu, um ein Schluchzen zu unterdrücken, doch sie schaffte es nicht.

„Ich weiß nicht.“, presste sie hervor. „Ich weiß nicht.“ Sie hätte es so gerne gewusst.

Wieso sagte sie so etwas?! Erik war doch niemand, der einem etwas antat!

Aber…

Wieder schoss ihr sein damaliger Gesichtsausdruck durch den Kopf, die gewaltbereiten Augen.

Sie schüttelte den Kopf und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, wie um damit die Gedanken fortwischen zu können.

„Er hat Angst.“, drang es aus ihrem Mund. „Schreckliche Angst.“

Sie schlang ihre Arme um sich, wie um sich selbst Halt zu geben.

Eriks hilfesuchende Umarmung. Er hatte gezittert.

Arianes Blick fuhr wieder auf. „Was, wenn ich ihm nicht helfen kann?!“ Ihr Gesicht zeugte von innerer Qual.

Justin legte ihr ganz sachte die Hand auf die Schulter. „Das ist auch nicht deine Aufgabe.“ Seine Stimme war so weich und tröstend wie Honig.

Ariane sah ihn kurz wortlos an, dann ließ sie den Kopf leicht sinken. „Ich will ihn beschützen.“

„Ich weiß.“ Seine Stimme legte sich wie heilender Balsam auf ihre aufgepeitschte Seele. „Aber es hilft Erik nicht, wenn es dir schlecht geht.“

Seine Worte schienen auf magische Weise die Schwere von ihren Schultern zu nehmen. „Wir können niemand anderen beschützen. Nur uns selbst.“

Empörung schoss in Ariane hoch. Der Gedanke, dass ihr Beschützer-Dasein völlig sinnlos war, wenn sie nicht schützen könnte, was ihr wichtig war, nahm für einen Augenblick ihr ganzes Wesen ein.

Kurz wollte sie Justin anschreien, ihm lauthals widersprechen, aber… sein Blick war so voller Mitgefühl und Verständnis – als spräche er eine tiefe Wahrheit aus – dass die beruhigende Stille jenseits seiner Augen auf sie überging.

Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck und etwas Aufforderndes blitzte darin auf. „Bist du bereit, das zu tun?“

Ariane nickte entschieden, als hätte er dadurch ihren Kampfgeist wiedererweckt.

Sie lächelte mit neuer Energie. „Ich besorge uns ein Alibi!“

Mit diesen Worten lief sie los, um ihre Tarnung zu untermauern.

 

[…]

Noch immer mit Furchen auf der Stirn streckte er plötzlich seine linke Hand aus und hielt ihr eine weiße Plastiktüte entgegen, als wolle er ihr mit dem Inhalt drohen.

„Für dich.“, knurrte er.

Arianes Augenbrauen zuckten für einen Moment – unsicher, ob sie ihre Position ändern und aus dem besorgt skeptischen Gesichtsausdruck einen anderen machen sollten.

Schließlich wurde ihre Mimik gefasst und sie nahm die Tüte entgegen, hochkonzentriert und bereit, mit allen Schrecknissen umzugehen, die ihr aus der Tüte entgegenkommen wollten.

Mit bedachter Bewegung zog sie etwas Rosafarbenes aus der Tüte hervor.

Verwundert faltete sie es auf, um zu erkennen, dass es sich dabei um ein T-Shirt handelte.

Gerade wollte sie protestieren, als sie den Aufdruck genauer betrachtete. Ihre Augen wurden groß. Auf der Vorderseite waren bedeutende Daten der Weltgeschichte von 1700 bis 1900, auf der Rückseite von 1900 bis heute abgedruckt. Ein unwillkürliches Strahlen nahm ihre Gesichtszüge ein.

Sie hob den Blick und … – ihre Mundwinkel senkten sich abrupt wieder.

„Es ist rosa.“, sagte sie so distanziert und desinteressiert sie nur konnte.

„Ich wollte mit Edding noch groß Geschichts-Barbie draufschreiben.“, meinte Erik, immer noch etwas übellaunig. 

Ariane wollte ihn böse anschauen, doch sie freute sich zu sehr, um es noch länger zu verbergen.

Sie lächelte Erik so überglücklich an, dass sie, ohne es zu wissen, jeden seiner Gedanken an mysteriöse Schmerzen endlich vergessen machte.

 

Kapitel 68 Läuterung

Entschlossen legte sie Erik beide Hände auf und schloss die Augen.

Aufgrund ihrer Besorgnis war sie so aufgewühlt, dass sie erst wieder den Zugang zu dem Frieden in sich finden musste.

Jedes Mal wenn sie sich zur Eile antrieb, entfernte sie sich wieder von der Quelle, an deren Ursprung sie gelangen musste.

Sie versuchte durch langsameres Ausatmen ihre Nerven zu besänftigen.

Schließlich fühlte sie die beruhigende Energie von ihrem Inneren über ihre Arme und Hände bis in ihre Fingerspitzen strömen und ließ sie ungehindert in Eriks Körper fließen.

Etwas Unangenehmes durchfuhr sie.

Gänsehaut. Was -? Das fühlte sich schrecklich an!

Nein, sie durfte nicht aufhören!

Und wenn sie Schmerzen erleiden müsste! Sie würde nicht aufhören!

Noch mehr ihrer Kräfte wirkten auf Erik ein.

Auch von dem immer bedrückender werdenden Gefühl, das sie befiel, ließ sie sich nicht aufhalten. Sie schüttelte es ab, konzentrierte sich auf die beruhigende Energie.

Abrupt wickelte sich etwas Unsichtbares um ihren Körper und –

„Zur Seite, bitte!“ Zwei Sanitäter kamen herbei.

Ariane musste von Erik ablassen, auch Serena wurde weg gescheucht.

Im gleichen Augenblick drang ein Husten aus Eriks Mund, als müsse er erbrechen.

 

[…]

Seine Muskulatur verkrampfte sich.

Im gleichen Moment hörte er Arianes besorgte Stimme seinen Namen sagen und spürte eine sachte Berührung an seinem Arm.

Überstürzt riss er sich von ihr los und warf ihr einen feindseligen Blick zu, als unterstelle er ihnen, ihn boswillig an seinem Verstand zweifeln zu lassen.

Getroffen wich Ariane zurück. Alles an Erik drückte eine solche Abscheu vor der Wahrheit aus, dass es ihr die Brust zusammenschnürte.

 

[…]

Scheu linste Ariane zu ihm hinüber. „Erik?“

Er gab ein Brummen von sich, das bestätigte, dass er sie gehört hatte.

„Soll ich mit dir zum Arzt gehen?“

Jetzt erst drehte Erik ihr sein Gesicht zu. Hätte er nicht so abgekämpft ausgesehen, wäre sein Ausdruck wohl als spöttisch zu bezeichnen gewesen.

Auch seine Stimme hatte kaum noch die Kraft seiner höhnischen Bemerkung den richtigen Klang zu geben. „Willst du mit mir zur Leibesvisitation?“

Ariane schaute, als würde sein Kommentar sie mehr langweilen als ärgern.

Beide wandten sich ab und schwiegen, bis der Wagen Arianes Zuhause erreicht hatte.

 

Kapitel 69 Geschlagen

Erik erkannte auf seinem Handydisplay, dass er eine Mitteilung erhalten hatte.

Zu seiner Verwunderung stammte sie von Ariane.

Es ist komisch, wenn du nicht da bist.

Die anderen vermissen dich.

Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen beim Lesen dieser wenigen Worte. Er wollte ihr antworten, ob wirklich nur die anderen ihn vermissten, doch dazu kam er nicht.

[…]

Ariane kontrollierte zum x-ten Mal ihr Handy. „Er hat immer noch nicht geantwortet.“

Dabei hatte sie sich ewig überlegt, was sie ihm schreiben sollte. Sie hatte sich zusammenreißen müssen, ihm nicht zu offenbaren, wie viel Sorgen sie sich machte, denn das hätte sicher wieder sein Misstrauen geschürt.

Dennoch war es irgendwie peinlich gewesen, ihm diese Nachricht zu schicken.

 

[…]

Zur zweiten Englischstunde traf Erik mit einer Bescheinigung seines Arztbesuchs in der Schule ein.

Beim Eintreten schenkte er Ariane ein kurzes selbstsicheres Lächeln, auf das sie ungewohnt positiv reagierte, wie Vitali fand. Sonst schien sie immer wütend zu werden, wenn Erik seine Selbstüberzeugung zur Schau stellte. Warum auch immer.

[…]

In der Pause forderte Vitali Erik dazu auf, sich zu den anderen zu stellen.

Erik stöhnte widerwillig, erhob sich aber prompt. Vitali wusste, dass er das nur tat, um cool zu wirken.

Außerdem hatte Ariane so eindeutig zu ihnen rübergesehen, dass es offensichtlich war, dass sie mit Erik reden wollte. Wie Vitali sie kannte, hatte sie sich einfach nicht die Blöße geben wollen, vor ihren Klassenkameraden zu Erik zu gehen.

Diese beiden mussten ja auch immer einen auf unnahbar machen, als würde ihnen ein Zacken aus der Krone fallen, wenn sie offen zeigten, dass sie einander mochten. Und dabei taten sie immer so schrecklich erwachsen. 

Erik zögerte nicht, das Wort an Ariane zu wenden. „Ich konnte dir nicht früher antworten, weil ich untersucht wurde.“ Ariane sah ihn kurz verwundert an. „Du hast es wohl noch nicht gesehen.“

„Kein Problem.“, antwortete sie hastig.

Vermutlich war Eriks Nachricht erst nach Unterrichtsbeginn bei ihr angekommen. Und Ariane war einfach viel zu sehr Musterschülerin, um in Anwesenheit einer Lehrkraft ihr Smartphone zu checken.

Dann bemerkte Vitali, dass Ariane geradezu verlegen schaute und erkannte bei einem Blick zu Erik, dass dieser sie anlächelte. Nicht provokativ oder amüsiert wie sonst, sonden einfach ehrlich.

Wow, das war neu. Vielleicht hatte der Arzt Erik ja irgendwas gespritzt.

 

Kapitel 78 Höhle – Die letzte Zuflucht

„Sie bringt uns um, bevor wir sie erreichen!“, begehrte Change auf.

Erik glaubte, sich verhört zu haben. Eine solche Aussage ausgerechnet von Change, der ihn am liebsten verschlagen hätte, als er gesagt hatte, sie müssten Serena im Schatthenreich zurücklassen!

Erik stockte, geschockt von seinem eigenen Gedanken.

Er hielt sich den Kopf.

Ihm kam das Szenario so seltsam bekannt vor, wie ein Déjà-vu. Wie ein Traum, den er schon einmal gehabt hatte.

Ein Traum, in dem Serena versucht hatte, sie zu töten, und er das nicht hatte hinnehmen wollen. Sie alle waren da gewesen. Sie waren da gewesen und hatten die gleichen Anzüge getragen. Wie oft hatte er schon von ihnen geträumt?

Desire, die nach hinten durch einen Spiegel geschleudert wurde. Serena tot am Boden, halbtot, eine Träne. Er hatte sie retten wollen. So wie er sie jetzt retten wollte.

„Keiner wird zurückgelassen.“

Die Beschützer stockten, als sie die gefühlsneutrale Stimme die Worte sagen hörten, die damals Trust gesprochen hatte.

„Secret…“

Als Desire seinen Namen aussprach, schien sich Realität und Fiktion zu vermengen. Ob es Wahn war oder die Logik eines Traums: Er war Secret.

So sicher, wie er vor ihnen stand, auch wenn er sie nicht sehen konnte.

Diese unvorhergesehene Gewissheit verwirrte ihn für einen Moment.

Er war Secret. Das war so logisch. Und in dieser Dunkelheit schien Erik Donner nicht mehr zu existieren, als habe er ihn hinter sich gelassen.

„Lasst uns gehen.“, befahl Secret.

[…]

„Nehmt euch an den Händen.“, empfahl Trust.

Desire ergriff Changes Hand und streckte ihre Linke in die Schwärze. „Secret?“

Eine Sekunde zögerte er, wusste nicht, ob es wirklich richtig war, auf diesen Namen zu reagieren. Seine Meinung änderte sich alle paar Sekunden.

Auf einmal hatte er das Gefühl weder Erik, noch Secret zu sein, gar nicht mehr zu wissen, wer er war. Namenlos.

Mein Name ist geheim.

Ihm wurde schlecht bei dem Satz.

Diese fremden und so eigenartig vertrauten Gedanken machten ihm Angst. Als würde er damit auf ein schreckliches Geheimnis stoßen, etwas Entsetzliches aufdecken, das in ihm begraben lag. Wie ein Kampf mit sich selbst.

Sein Zögern hatte Desire offenbar verunsichert, denn sie wiederholte ihren Aufruf. „Erik?“

„Ich weiß nicht, wer.“, antwortete er.

Desires sanfte Stimme ließ ein Lächeln erahnen. „Ist nicht so schlimm. Lass nur nicht los.“

 

[…]

Desire, die zwischen den beiden eingekeilt war, unterbrach sie: „Wie wäre es, wenn ihr hintereinander lauft.“

Sie hörte Eriks Grinsen aus Secrets Stimme heraus. „Hast du mir nicht eben noch gesagt, ich dürfe dich nicht loslassen?“

Desires Stimme blieb gelassen. „Hast du nicht eben noch gesagt, dass du nicht wüsstest, wer du bist? Du klingst eindeutig nach Erik.“

Hinter ihr ertönte ein Lachen.

 

-----------3. Band------------

Kapitel 82 Halloweenparty

„Ich bin nicht Aschenputtel. Ich bin die gute Fee!“, betonte Ariane und zog ihren Zauberstab wie eine Dienstmarke, die sie Vitali vor die Nase hielt. Erst anschließend fiel ihr Erik auf.

Er trug einen edlen schwarzen Anzug mit weißer Fliege. Seine rechte Gesichtshälfte war halb mit einer Maske verdeckt, die seinen Mund aussparte. Auf diesem lag ein undeutbares Lächeln.

[…]

Das Phantom machte mit seinen weiß behandschuhten Händen eine höfische Geste wie um sie zu grüßen. Ariane antwortete mit einem leichten Hofknicks und lächelte.

[…]

Wieder fiel ihr auf, dass Eriks Blick auf ihr ruhte.

„Was ist?“, fragte sie in seine Richtung. Seine Aufmerksamkeit war ihr unangenehm.

„Ich dachte, Aussehen wäre dir egal.“, sagte er mit spöttischem Unterton.

Seine Worte trafen sie. Ihr wurde wieder bewusst, was Leute über sie dachten, wenn sie sich so herausputzte.

Sie wandte sich ab.

Erik wunderte sich einen Moment lang darüber. Er war davon ausgegangen, dass sie seiner Bemerkung mit einer schlagfertigen Antwort begegnen würde. Doch offenbar hatte er einen wunden Punkt getroffen.

Kurz drehte er sich zu den anderen. Doch diese schenkten Arianes Reaktion keine Beachtung. Daher wandte er sich mit betont spielerisch provokativer Stimme nochmals an Ariane:

„Seit wann will denn die gute Fee auf den Ball?“

Seine Worte erfüllten ihren Zweck.

„Seit das Phantom seine Oper verlässt.“, antwortete sie spitz.

Ihr Konter ließ ihn schmunzeln.

 

Kapitel 83 Tanz mit dem Phantom

Sachte schob sie den Riegel zurück und öffnete einen Spalt breit.

Schlagartig schoss eine Hand vor und packte die Tür.

Reflexartig wollte Ariane die Tür wieder zu ziehen, aber die andere Kraft war zu stark.

Erik rückte in ihr Blickfeld. Er hatte sich neben der Tür versteckt gehabt und machte nun ein Schließen der Tür unmöglich.

„Du willst doch wohl nicht meine Hand einklemmen.“, meinte er lässig.

„Dann lass los!“

„Hatten wir das nicht schon einmal?“

Ariane unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, dass diese Tür nach außen geöffnet wurde, während ihre Haustür, bei der der letzte Streit zwischen ihnen stattgefunden hatte, sich nach innen öffnen ließ, sodass sie dieses Mal ziehen statt drücken musste.

„Ich will nicht, dass du reinkommst.“, sagte Ariane, ohne ihn anzusehen.

Sie spürte seinen Blick auf sich ruhen, dann bemerkte sie eine Bewegung und sah, dass er die Hand weggezogen hatte.

Für einen Moment starrte sie ihn an. Er schien nicht länger vor zu haben, sie am Schließen der Tür zu hindern.

In der nächsten Sekunde, ließ seine zweite Hand den Türgriff los, so dass Ariane automatisch die Tür zu zog, da sie mit dem plötzlichen Ablassen der gegnerischen Kraft nicht gerechnet hatte.

Einen Augenblick lang stand sie da, den Türgriff umfasst.

Einem Teil ihres Verstandes war klar, dass es nur konsequent war, nun den Riegel vorzuschieben.

Aber sie hörte nicht auf diesen Teil.

Es kam ihr lächerlich vor.

Sie ließ von der Tür ab und ging hinüber zum Sofa, wo sie sich in das Polster fallen ließ, ohne weiter darüber nachzudenken.

Vielleicht wollte sie wissen, was jetzt passieren würde, wollte abgelenkt sein.

Nein.

Sie wollte einfach nicht denken.

 

Erik hatte den Laut, den der Riegel hätte erzeugen müssen, nicht gehört. Er wartete einen weiteren Moment ab und fragte sich, ob es richtig war, zu ihr zu gehen. Aber sie hatte nicht verzweifelt gewirkt. Sie hatte sogar die Kraft besessen, ihm Paroli zu bieten, ohne in Tränen auszubrechen.

Ariane war nicht wie Serena.

Solch ein Spiel hätte er mit Serena nicht veranstaltet. Aber Serena hätte sich gegen seine Anwesenheit auch nicht so gesträubt.

Zögerlich umfasste er den Türgriff.

Er hatte bei dem kurzen Blick auf Ariane ihre verweinten Augen gesehen. Ihre Wimperntusche und ihr Augen-Make-up waren verlaufen. Ihr Haar war von etwas verklebt. Er ging davon aus, dass es sich um Bowle handelte, da diese augenscheinlich auch ihr Kleid ruiniert hatte.

Er musste herausfinden, was geschehen war, ohne sie zu fragen.

Er drückte den Türgriff nach unten und zog die Tür auf.

Ariane saß auf dem Sofa auf der rechten Seite des Raums. Gegenüber stand eine weitere, farblich nicht passende Couch. Zwischen den beiden Möbelstücken befand sich ein niedriger Tisch. Das hintere Ende des Raums wurde von mehreren Tischen und Stühle eingenommen, an denen man seine Schulaufgaben erledigen konnte. Rechts neben der Tür war ein Waschbecken mit Spiegel angebracht, links fanden sich mehrere Kleiderhaken.

Erik schloss die Tür hinter sich mit einem dumpfen Laut und schob den Riegel wieder vor.

Er wollte nicht, dass die anderen doch noch auf die Idee kamen, sich einzumischen.

Ariane sah noch immer nicht in seine Richtung und schien auch das Schließen des Riegels nicht als Anlass zu einem Kommentar zu nehmen.

Erik ging langsam zu ihr, seine Lederschuhe klackten auf dem Holzboden. Etwas abseits von ihr ließ er sich auf die Tischplatte sinken. Kurz warf er einen Blick auf sie, dann wandte er sich ab.

Für einen Moment saßen sie schweigend da. Nur das leise Ticken einer Uhr im hinteren Teil des Raums war zu hören.

„Willst du nicht fragen?“

Er glaubte, einen bitteren Unterton aus ihrer Stimme heraushören zu können. So als erwarte sie, seinen Spott zu ernten.

Dass sie das annahm, bestürzte ihn. Er antwortete nicht.

Ariane schnaubte zynisch. „Sehe ich so erbärmlich aus, dass du dich nicht traust?“

Mit einem Mal sprang Erik auf und schlug mit der Hand gegen die Wand hinter ihr. Nun stand er direkt über sie gebeugt und sah aufgebracht zu ihr herab.

„Als wäre dein Aussehen wichtig!“, donnerte er.

Sie sah verwirrt zu ihm auf.

Erik nahm die Hand von der Wand und trat einen Schritt zurück, ohne sie anzusehen. Er holte Atem und sprach mit sachlicher Stimme:

„Warum habe ich noch nie gesehen, dass etwas an dir nicht perfekt gestylt war? Warum gibt es keinen einzigen Moment, in dem du nicht so aussiehst, als könntest du direkt zu einem Fotoshooting gehen?“

Ariane starrte ihn an, als habe er ihr eine Ohrfeige verpasst. Ihre Haltung war jäh aufrecht, als sei ihre Würde das Letzte, das ihr geblieben war.

Sie erinnerte ihn an eine Königin vor ihrer Hinrichtung. Und offenbar wartete sie nur auf seinen Richterspruch.

Erik atmete aus und setzte sich wieder. „Warum hast du dich hier eingesperrt? Er sah sie an. „Weil du zur Abwechslung mal nicht perfekt aussiehst?“

Abrupt fuhr Ariane auf und Erik konnte gerade noch ausweichen, ehe sie ihm eine Ohrfeige verpassen konnte.

„Du weißt nichts! Gar nichts über mich!“

Er konnte plötzliche Tränen in ihrem stolzen Gesicht auffunkeln sehen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich hektisch, sodass sie schließlich den Blick abwandte und sich zu beruhigen suchte.

Sie blinzelte und eine Träne löste sich aus ihren Augen, woraufhin sie ihr Kinn reckte und nach oben sah, wie um weitere Tränen davon abzuhalten, ihrem Inneren zu entkommen.

Erik sah sie geschockt an.

Stockend brachte sie Worte hervor. „Weißt du, die Leute haben mir immer wieder gesagt, wie ich bin.“ Sie musste schlucken, um weiterzusprechen. Sie befeuchtete ihre Lippen und schnappte nach Luft, die sie vorsichtig wieder ausatmete.

„Ariane, du bist hübsch, Ariane, du bist schlau, du bist eine Prinzessin, du hast ein gutes Herz. Ich habe ihnen geglaubt.“

Wieder sah er ihre Augen neue Tränen bilden.

„Dann wurde ich älter und die Leute sagten. Ariane, du bist hübsch, Ariane, du bist eingebildet, Ariane, du bist nur auf dein Äußeres aus und nichts weiter.“ Sie gab sich nicht länger die Mühe, die Tränen zu verstecken. „Du bist oberflächlich. Und ich“ Sie schnappte nach Luft „habe ihnen geglaubt.“

Sie schniefte und atmete nun durch den Mund. Tränen rannen ihre Wangen entlang.

Für einen Moment biss sie sich auf die Unterlippe und schloss die Augen. Sie sog Luft in ihren Mund und erzeugte dabei ein kaum hörbares Geräusch. „Du fragst mich, warum ich immer perfekt gestylt bin? Warum wohl?“

Sie sah ihn nun erstmals wieder an. „Das einzige,“ Sie musste erneut Atem holen, ihre Augen wurden von neuen Tränen überschwemmt. „das ich habe, ist doch mein Aussehen.“

Wieder liefen ihre Augen über, dieses Mal gefolgt von ihrer Nase. Schnell wischte Ariane es weg und griff nach dem Bündel Papiertücher, das sie wohl schon zuvor für solche Fälle bereitgelegt hatte. Sie schnäuzte sich.

„Noch nie hat irgendwer etwas anderes gesehen als mein Aussehen.“, schluchzte sie und kniff die Augen zusammen.

Erik erhob sich. Er berührte ihre Schulter. „Wie kannst du so was sagen?“

Ariane weinte.

Ich sehe dich nicht so, Vivien und die anderen sehen dich nicht so.“

Sie schluchzte und nahm die Hände vors Gesicht. „Ich habe nie etwas gemacht, dass die Leute mich arrogant finden könnten. Aber sie tun es trotzdem. Alle denken, ich sei so selbstverliebt.“ Ihre weinerlichen Atemgeräusche konnte sie nicht unterdrücken. „Ich habe doch nie etwas gemacht.“ Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und sah Erik dann mit einem Mal stumm an.

Erik wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, erst als ein bitteres Lächeln auf ihren Lippen erschien, begriff er ihre Gedanken.

Er hatte sie am Anfang genauso behandelt – wie jemand, der an ihr nur das schöne Gesicht sah und sie für oberflächlich hielt.

Die Erkenntnis traf ihn.

Ihre Stimme war jäh ruhig. „Wenn ich mein Aussehen nicht mehr habe, dann habe ich gar nichts mehr.“

Erik fühlte die Worte wie einen Schlag in den Magen. Er erinnerte sich an das Gefühl, das er gehabt hatte, als er sein altes Selbst im Spiegel gesehen hatte.

Er nahm die Hand von Arianes Schulter.

„Willst du dich selbstbemitleiden?“

Ariane reagierte nicht.

„Glaubst du, was diese Leute sagen?“

Wieder keine Reaktion.

„Indem du das denkst, tust du was diese Leute wollen! Du bist nicht mehr du selbst, sondern was sie in dir sehen.“ Erik versuchte einen Blick auf ihr gesenktes Gesicht zu werfen. „Du bist nicht das, was andere in dir sehen, sondern das, was du selbst siehst.“

Wieder lachte Ariane bitter und hob ihren Blick. „Wie kann es sein, dass so viele Menschen falsch liegen und ich richtig?“

„Weil diese Menschen dich nicht kennen. Ich kenne dich.“ Er sah sie entschieden an. „Du bist stolz und willensstark, wirklich stur und reagierst oft empört. Aber du bist nicht arrogant.“ Er schnaubte spöttisch: „Wenn du noch bescheidener wärst, hättest du Minderwertigkeitskomplexe.“

Mit seiner behandschuhten Rechten berührte er ihre Wange und strich über den Bereich unterhalb ihrer Augen, wie um Tränen hinfort zu wischen.

Die verschmierte Wimperntusche verfärbte seine weißen Handschuhe.

Er senkte seine Lautstärke. „Und offenbar hast du die.“

Ariane packte seine Rechte und schob sie grob von ihrem Gesicht weg, vergaß dann jedoch sie wieder los zu lassen. Er drückte ihre Hand.

„Sagst du das auch nicht nur, um mich zu trösten?“

„Doch natürlich.“, gab er locker zurück.

Ariane warf ihm einen empörten Blick zu.

Sein Ausdruck wurde wieder sanft. „Wir sind alle ein bisschen eingebildet. Vielleicht nur, um nicht zu zeigen, wo wir verletzlich sind.“ Er lächelte, dann wechselte sein Gesichtsausdruck erneut und er schmunzelte amüsiert. „Wir sind uns ähnlicher als du glaubst.“

Ariane brauchte einen Moment, um zu begreifen, worauf er hinaus wollte. Erwartungsvoll sah er sie an, als warte er auf ihren Einsatz. Schließlich erinnerte sie sich, dass sie ihm etwas Ähnliches damals auf der Jubiläumsfeier der Finster GmbH gesagt hatte, als sie sich das erste Mal normal unterhalten hatten. Was hatte er darauf entgegnet?

„Das heißt wohl, dass ich dir jetzt vertrauen soll.“, rezitierte sie schließlich.

„Das erwarte ich.“

Ariane stockte. Sie war sich sicher, dass sie damals gesagt hatte, dass sie das nicht erwartete.

Erik lächelte weiterhin sanft und hielt noch immer ihre Hand.

Ariane wurde mit einem Mal bewusst, dass sie allein in diesem Raum waren.

Sie wusste nicht, wieso ihr das gerade jetzt kam, und wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Es war ein komisches Gefühl. Gerade so, als wäre es verfänglich, auf sein Lächeln ihrerseits mit einem Lächeln zu reagieren.

Ihr war seltsam zumute und sie getraute sich nicht, seinen Blick zu erwidern oder irgendetwas zu tun. Sie schrumpfte in sich zusammen.

„Was ist?“ Noch immer klang seine Stimme so zärtlich, dass sie nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte. Hätte er sie nicht wieder ärgern können?

Sie wusste nicht, was sie ihm antworten sollte. Ihr Herz pochte und pumpte zu viel Blut in ihren Kopf.

Er beugte sich zu ihr. „Alles okay?“

Ariane nickte eilig und wollte, dass er sich wieder entfernte. Sie hatte doch gar keinen Alkohol getrunken, dennoch hatte sie den Eindruck, dass ihr etwas zu Kopf stieg.

„Ariane…“

Ihr ganzer Körper war angespannt bei dem Hauch seiner Stimme.

„… die anderen warten sicher.“

Eilig hob sie den Kopf. „Ja.“ Hastig lief sie an Erik vorbei, sodass er ihre Hand loslassen musste. Sie eilte auf die Tür zu.

Eriks Stimme folgte ihr nach. „Willst du dein Handy und deine Schuhe hier lassen oder soll das eine Aschenputtel-Aktion werden?“

Ariane stoppte, stapfte zurück, packte die Pumps ihrer Mutter, das Handy, ihre Handtasche und die benutzten Papiertücher. „Soweit ich weiß, braucht man dazu einen Prinzen.“, gab sie zurück.

Erik lachte.

Empört drehte sich Ariane um, warf die Papiertücher in den Papierkorb und lief zur Tür.

Sie wollte sie gerade entriegeln, als Erik von hinten eine Hand auf die Tür vor ihr legte.

„Das Phantom bittet um einen Tanz.“, flüsterte er neben ihrem Ohr.

Verständnislos drehte sie sich zu ihm und fragte ihn mit einer Bewegung ihrer Schultern und Arme, ob er hier drinnen tanzen wolle.

„Nicht hier drinnen.“, sagte Erik und schob den Riegel zurück. „Da kann dich ja gar niemand sehen.“

Sein Grinsen war jetzt wieder so diabolisch wie sie es kannte.

 

[…]

„Wenn du willst, gehen wir.“ Es gelang ihm nicht, seine Stimme so klingen zu lassen, als meine er es ernst. Er wusste, dass er Ariane damit unter Druck setzte, so als verbiete er ihr, seine Erwartungen zu enttäuschen.

Ariane warf ihm einen zweiflerischen Blick zu. „Glaubst du, ich warte auf deine Erlaubnis?“

„Du hast gerade so geschaut!“, rief Erik und kam sich im gleichen Moment vor, als würde Vitalis Verhalten auf ihn abfärben.

Seit wann benahm er sich trotzig? Er gab Ariane die Schuld daran. Mit ihrem unvorhersehbaren Verhalten brachte sie einen völlig aus dem Konzept.

[…]

Erik begleitete sie zur Garderobe und reichte ihr beim Herauskommen den Arm. „Ich hoffe, du hast den Tanz nicht vergessen.“

„Nein.“, sagte Ariane mit hoch erhobenem Haupt.

Er wusste beim besten Willen nicht, wie sie einmal so eingeschüchtert und im nächsten Moment so beeindruckend stark sein konnte.

Sie lächelte ihn keck an.

[…]

„Dann bin ich halt der Geist einer ermordeten guten Fee.“, lenkte Ariane widerwillig ein, damit die anderen endlich Ruhe gaben.

„Also ich fand das mit dem Gewissen ganz interessant.“, meinte daraufhin Erik.

Ariane gab ein genervtes Geräusch von sich, woraufhin er lachte.

„Ich vergesse das gleich mit dem Tanz.“, drohte sie.

„Glaubst du, ich habe es so nötig?“, fragte Erik.

„Ja.“, gab sie trocken von sich.

Er grinste. „Man kann ja auch nicht jeden Tag mit dem blutigen Gewissen einer ermordeten guten Fee tanzen.“

Ariane warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

Als sie endlich in der Aula ankamen und sich auf Eriks Drängen hin etwas weiter in die Mitte der Tanzfläche vorgekämpft hatten, endete die Musik. Der DJ machte eine Durchsage, dass das nächste Lied allen Pärchen gewidmet sei.

Ariane konnte nicht fassen, wie viel Pech sie an einem Tag haben konnte.

„Perfekt.“, sagte hingegen das Phantom an ihrer Seite. Zumindest glaubte sie das von seinen Lippen ablesen zu können, hier drinnen war es zu laut, als dass man einander ohne Weiteres verstanden hätte.

Erik verbeugte sich vor ihr und reichte ihr die Hand. Eine unmissverständliche Aufforderung.

„Hast du nicht gehört, das ist für Pärchen!“, rief Ariane, um dem zu entgehen.

Erik setzte ein verständnisloses Gesicht auf und deutete mit einer Geste an, dass er sie nicht hören konnte. Ariane war sicher, dass er sie sehr wohl verstanden hatte.

Um sie herum stand eine Vielzahl an Leuten. Die Tanzfläche war voll und man hatte nicht viel Platz, um sich zu bewegen. Sie sah zu den anderen.

Vivien hatte die Gelegenheit ergriffen, um Justin um diesen Tanz zu bitten. Dieser lehnte aber verlegen ab, woraufhin Vivien ihren Schmollmund einsetzte, bis Justin sich endlich überreden ließ.

Serena und Vitali indes waren offenbar noch immer mit Racheplänen beschäftigt. Anders konnte sich Ariane nicht erklären, dass die beiden sich so angeregt miteinander unterhielten, indem sie sich abwechselnd in die Ohren schrien und unheilvoll lachten.

Erik wartete noch immer darauf, dass sie mit ihm tanzte, und es gab offenbar nichts, was sie als Ausrede hätte benutzen können.

Ihr Blick schweifte nochmals über die Menschenmenge. Ihr fiel jetzt erst auf, dass viele bei diesem Lied nicht tanzten und stattdessen diejenigen beobachteten, die es taten.

Na großartig.

Sie konnte von Weitem ihr bekannte Gesichter erkennen und glaubte, auch Ruths Kostüm weiter hinten ausmachen zu können. Daraufhin zog sie den Kopf ein.

Sie wollte nicht gesehen werden.

Erik, der es offensichtlich leid war, auf ihre Reaktion zu warten, trat einen Schritt auf sie zu, ergriff ihre Handgelenke und legte ihre Arme um seinen Nacken.

„So tanzt man nicht!“, rief Ariane ihm ins Ohr.

Er beugte sich im Gegenzug ebenfalls zu ihrer Ohrmuschel „Pärchen schon.“

„Wir sind kein Pärchen!“

Sie hörte ein kehliges Lachen an ihrem Ohr.

Was sollte das bitteschön bedeuten?

Plötzlich wurde ihr heiß. Dummer Erik.

Er schlang seine Arme um ihre Taille, legte seine Hände auf ihren Rücken und schien nicht vorzuhaben, seinen Kopf wieder von ihrem zu entfernen.

Ungeschickter als für sie üblich folgte Ariane seinen Schritten.

Es war komisch, Erik so nahe zu sein.

Zumindest war es die Seite, mit der Maske, die er ihrem Gesicht zugewandt hatte. Aber das änderte nichts daran, dass der Geruch seines After Shaves und das Gefühl, seinen Körper zu berühren, wenn auch nur flüchtig, sie verwirrten.

Als Erik plötzlich sein Gesicht noch weiter zu ihrem Kopf hin drehte und sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte, blieb sie abrupt stehen.

„Dein Haar“, hauchte Erik, „riecht nach Bowle.“

„Weil Bowle darin klebt!“, kreischte Ariane und amüsierte Erik damit einmal mehr. Fast hätte sie ihm vorgeworfen, unromantisch zu sein, als ihr auffiel, wie unpassend dieser Begriff war. Geradezu abartig! Sie schämte sich, dieses Wort überhaupt im Sinn gehabt zu haben. Sie drehte ihr Gesicht weiter von Erik weg und begann wieder zu tanzen, dieses Mal ohne sich unnötige Gedanken zu machen.

Eriks Worte gingen ihr durch den Kopf.

Sie hätte nie geglaubt, dass gerade er ihr in einer solchen Situation helfen könnte. Aber er hatte es getan.

Wenn Serena und Vivien zu ihr gekommen wären, hätte sie den Ball sofort dankbar verlassen. Sie hätte sich nie im Leben getraut, noch einmal die Aula zu betreten. Noch immer wusste sie nicht, woher sie die Kraft nahm.

Der Gesang des Liedes, das gespielt wurde, drang in ihr Bewusstsein.

 

You raise me up so I can stand on mountains.

Weil du mich aufrichtest, kann ich auf Bergen stehen.

You raise me up to walk on stormy seas.

Weil du mich aufrichtest, kann ich über stürmische Meere gehen.

I am strong when I am on your shoulders.

Ich bin stark, bin ich auf deinen Schultern.

You raise me up to more than I can be.

Weil du mich aufrichtest, bin ich mehr als ich es alleine sein kann.

 

Ariane seufzte und rief in Eriks Ohr ein „Danke“, zu dem sie sich von dem Liedtext genötigt gefühlt hatte.

„Dass ich mit dir tanze?“

„Nein.“

Erik wartete einen Moment. „Du magst es nicht, wenn man dir Komplimente zu deinem Aussehen macht.“

Ariane wusste nicht, worauf er hinaus wollte und ging ein Stück nach hinten, um sein Gesicht zu sehen.

Erik schien zu zögern, Er schüttelte kurz den Kopf, dann nahm er wieder seine Tanzposition ein. Offenbar hatte er nichts weiter zu sagen.

Erst nach weiteren Klängen des Liedes, bei denen sie aufgrund der Enge immer nur kleine Schritte gemacht hatten und wohl eher aussahen wie Blätter, die vom Wind hin und her bewegt wurden, kam sein Mund ihrem Ohr so nahe, dass er dieses Mal nicht schreien musste.

„Es ist nicht dein Aussehen, das dich schön macht.“

Ariane erfasste die Worte nicht sofort. Aber augenblicklich fühlte sie sich wieder verlegen.

Dieses Mal wehrte sie sich nicht, als Erik seinen Kopf gegen den ihren lehnte, stattdessen versuchte sie, das ungewohnte Gefühl in ihren Wangen zu ignorieren.

„Ich sehe dich.“, flüsterte Erik in ihr Haar, doch Ariane hörte die Worte sicher nicht, dafür war es zu laut. Es war auch nicht weiter wichtig.

Erik genoss den Moment.

 

Kapitel 89 Warnung und Secrets Rolle

„Was ihr in anderen bewirkt.“, wiederholte Erik und drehte sich mit unverhohlener Belustigung zu Ariane alias Desire.

„Ich heiße Wunsch! Nicht Verlangen!“, schimpfte Ariane empört.

Erik grinste anzüglich. „Wunsch nach was?“

Ariane warf ihm einen schmaläugigen Blick zu, der Erik dazu reizte zu lachen. Er begnügte sich jedoch damit, sich mit einem überbreiten Grinsen abzuwenden und sich die Hand vor den Mund zu halten.

 

[…]

Zu Arianes Überraschung schloss sich Erik ihr tatsächlich an, als sie sich von den anderen verabschiedete.

Seite an Seite machten sie sich auf den Heimweg.

Den ersten Teil der Strecke war Ariane allerdings nicht nach einem Gespräch zumute. Auch wenn Erik das alles wie ein Witz erschien, war sie sich der drohenden Gefahr allzu bewusst.

Auch der Gefahr, die Erik drohte.

Justins Blick während des Treffens war ihr im Gedächtnis geblieben, er war sehr nachdenklich gewesen und sie glaubte fast zu wissen, wieso.

Sie hatte sich schon öfter mit Justin darüber unterhalten, ob es nicht falsch war, Erik weiterhin anzulügen. Obwohl Justin stets das Wohl der Gruppe über das des einzelnen stellte, glaubte sie, einen immer größeren Zweifel an dieser Entscheidung bei ihm zu erkennen.

Vivien schien die einzige zu sein, die von ihrer momentanen Taktik überzeugt war. Und Vitali und Serena taten wie üblich einfach das, was Vivien sagte.

Aber hieß das nicht, dass es an der Zeit war, die Taktik zu ändern?

Sie konnte es nicht ein zweites Mal zulassen, dass ihm etwas zustieß!

„Darf ich dich etwas fragen?“, hob sie an, wartete aber gar nicht erst seine Antwort ab. „Fändest du es nicht besser, wenn wir Secret die Wahrheit sagen würden?“

Erik empfand es offenbar nicht einmal als nötig, ihrem Blick zu begegnen. Er lief einfach weiter. „Das wäre doch langweilig.“

Ariane war von seiner Interesselosigkeit oder Langeweile oder seinem Spott, sie konnte nicht genau ausmachen, was es sein sollte, geplättet.

„Ich meine es ernst! Wenn du Secret wärst, würdest du dann nicht wollen, dass man dir die Wahrheit sagt?“

Erik blieb nun doch abrupt stehen und wandte sich ihr zu. Sein Gesichtsausdruck wurde hart. „Ob du mir die Wahrheit sagen sollst?“

Noch vor kurzem hätte dieser lauernde Blick sie aus der Fassung gebracht. Doch stattdessen hielt sie ihm stand. „Ja.“

„Warum hast du bisher nicht die Wahrheit gesagt?“, erwiderte er mit erbarmungsloser Miene.

„Weil… – Wir wussten nicht, ob es sicher ist.“, gestand Ariane kleinlaut.

„Hat sich daran etwas geändert?“

„Nein, aber…!“

„Bring dich nicht selbst in Gefahr.“ Damit schien das Thema für ihn erledigt zu sein. Er setzte sich wieder in Bewegung.

Ariane konnte es nicht fassen.

Sie eilte ihm nach und lief an seine Seite. „Secret ist keine Gefahr!“, schimpfte sie.

„Das weißt du nicht.“

„Wie kannst du so was sagen?!“

„Wie kannst du deine Freunde in Gefahr bringen?“, gab Erik barsch zurück.

„Du bist also dafür, dass wir Secret belügen?“

Erik blieb erneut stehen und sah sie bedeutungsvoll an. „Dafür habt ihr doch das Rollenspiel erfunden, oder?“

Seine Worte klangen tadelnd, geradezu wütend, als fände er es lästig, dass sie die ihr zugedachte Rolle immer noch nicht begriffen hatte. „Dadurch sagt ihr Secret die Wahrheit, ohne dass er es weiß.“

Mit fassungslosem Ausdruck starrte Ariane ihn an.

Zum ersten Mal verstand sie, welche Bedeutung Viviens Schachzug tatsächlich besaß.

Die ganze Zeit über hatte sie geglaubt, dass die Geschichte mit dem Rollenspiel nur ein Ablenkungsmanöver war, um die seltsamen Zufälle um Erik herum zu erklären. Nie war ihr in den Sinn gekommen, dass Vivien Erik damit die Möglichkeit gab, selbst auf die Wahrheit zu kommen.

Mehr noch: Vivien bereitete ihn dadurch langsam auf die Wahrheit vor, indem sie ihm eine Erklärung gab, ihn aber nicht zwang, diese sofort zu akzeptieren.

Im Gegensatz dazu hatte sie selbst immer nur darauf gepocht, Erik aufzuklären, ohne darüber nachzudenken, wie unmöglich ihm diese Geschichte erscheinen musste.

Vivien hatte so viel mehr Rücksicht auf Eriks Gefühle genommen…

Eriks Stimme brach in ihren Gedankengang ein.

Seine Tonlage war tiefer als sonst. Ob dies seinen Worten mehr Genervtheit oder distanzierte Belanglosigkeit verlieh, war ihr unmöglich zu entscheiden.

„Bedeutet dir Secret so viel?“

Sie wich seinem Blick aus. „Du magst das nicht verstehen, aber wenn man so etwas mit jemandem durchgemacht hat, dann hat man eine Verbindung.“, erklärte sie.

Die all die Zeit in ihr schlummernden, aber nicht vergehen wollenden Schuldgefühle erhoben sich aus ihrem Inneren wie eine Meute Leviathane.

„Ich hätte ihn nie dort zurücklassen dürfen…“ Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

Einen Moment herrschte Schweigen.

Dann ergriff Erik abermals das Wort. „Dir sollten Figuren aus einem Rollenspiel nicht wichtiger sein als die Menschen vor deiner Nase.“ Abgrundtiefe Verachtung sprach aus seiner Stimme.

Ariane verspürte den Impuls ihn für diese Worte anzuschreien, doch beim Anblick seines Gesichts erstarrte sie.

Der intensive, feste Blick. Die grünblauen Augen. Wie er den Mund leicht verächtlich verzog, seine Konturen, die Stimme. Alles.

Der Secret, von dem sie sprach und an den sie dachte, stand in Fleisch und Blut direkt vor ihr.

Fast hätte eine Welle an Emotionen sie überrollt. Sie wollte ihm sagen, dass es ihr leid tat. Dass sie ihn nicht hätte zurücklassen dürfen. Sie wollte ihm alles sagen!

Aber das war nicht Secret.

Das Ganze war so verwirrend! Es war falsch zu denken, dass er es nicht war, und falsch zu denken, dass er es war.

Wo sollte sie bloß mit ihren Schuldgefühlen hin?

Sie wollte Secret vor Erik verteidigen und doch war das absurd.

„Mich hast du noch nie im Stich gelassen.“

Ariane horchte auf und sah in Eriks – Secrets Züge. Der Stich des schlechten Gewissens peinigte sie. Welche abartige Ironie doch in diesen Worten lag und er wusste es nicht einmal.

Ein melancholisches Mitleid mit seiner unwissenden Fehleinschätzung gemischt mit dem bitteren Geschmack ihrer anhaltenden Reue ließ ihre Züge einfallen.

Ohne Vorwarnung packte Erik sie plötzlich an der linken Schulter, dass sie es selbst durch ihre Winterjacke noch spürte, und sah sie durchdringend an.

Ariane wäre fast zusammengeschrocken.

Wäre er jemand anderes gewesen, hätte sie ihm einen automatisierten Schlag ins Gesicht verpasst, wie sie es in Selbstverteidigung gelernt hatte. Stattdessen blieb sie regungslos stehen und fing seinen Blick auf, um zu verstehen, was hier vorging.

Wortlos und unverwandt starrte er ihr direkt in die Augen, anstatt den Blickkontakt immer wieder kurz abzubrechen, wie es Anstand und Respekt geboten. Dieser intensive Augenkontakt hatte etwas Verstörendes.

So lange sah man jemanden nur an, wenn man sehr wütend auf diese Person war oder ihr sehr nahe stand.

Ich bin Secret!“, sagte er nachdrücklich. „Merk dir das.“

Seine Hand ließ von ihr ab. „Und komm nicht auf die Idee, für mich zu entscheiden.“ Er nahm wieder einen größeren Abstand zu ihr ein.

Wie angewurzelt stand Ariane da und musste seine Aussage erst einordnen.

Sie zog die Parallele zu dem, was er zuvor bei Serena zu Hause gesagt hatte.

Erik bestand darauf, selbst zu bestimmen, wer oder was er war. Er wollte sich nicht in eine Rolle drängen lassen und gesagt bekommen, wie er zu empfinden hatte. War er ihr darin nicht furchtbar ähnlich?

Und ausgerechnet sie hatte immer so getan, als wisse sie besser über Secrets Gefühle Bescheid als er!

‚Hör auf, dich zu entschuldigen.‘ Genau das hatte Secret ihr im Labyrinth gesagt, als sie ihn mit einer Tirade an Entschuldigungen belästigt hatte.

Sie hatte es nicht vergessen, auch nicht, als wie verletzend sie seinen Kommentar empfunden hatte.

Trotzdem hatte sie nicht davon abgelassen, ihn unbedingt um Verzeihung bitten zu wollen. Nicht nur das. Sie hatte sich auch noch eingebildet, Erik, der sich nicht mehr an die Geschehnisse im Schatthenreich erinnerte, sei derjenige, der die Situation falsch einschätzte, derjenige, der Secrets Gefühle nicht richtig beurteilen konnte, als wisse sie ganz genau, was er fühlen und denken musste.

Derweil hatte sich Erik zum Gehen gewandt, als sei die Diskussion für ihn beendet.

„Es ist grotesk, dass wir nur befreundet sind, weil ich Secret bin.“, sagte er hart.

„Das ist –“, entfuhr es ihr. Sie unterbrach sich.

Sie konnte nicht behaupten, dass das überhaupt nicht stimmte. Tatsächlich hätten sie sich wohl nicht miteinander angefreundet, wäre dieser Umstand nicht gewesen.

„Auch wenn du nicht Secret wärst“, begann sie, beendete den Satz aber nicht.

„Was?“

Ariane schaute säuerlich. „Gar nichts.“

Sie brauchte sich nicht die Blöße geben, ihm zu sagen, dass er ihr auf seine Weise näher stand als Secret.

Erik stöhnte entnervt, als führe sie sich kindisch auf.

Davon abermals verärgert schimpfte sie: „Erst beschwerst du dich, dass ich dich nicht als Secret sehe, dann dass ich dich nur als Secret sehe!“

„Ich beschwere mich überhaupt nicht.“, gab er barsch zurück.

„Tust du wohl!“

„Und du jammerst die ganze Zeit, wie sehr du Secret vermisst!“, fuhr er sie an.

„Ich vermisse ihn nicht. Ich –“ Sie hielt inne.

Wie sollte sie ihm denn bitteschön erklären, dass es für sie schwer war, einen Menschen mit zwei verschiedenen Persönlichkeiten zu kennen und nicht zu wissen, wie sie damit umgehen sollte?

Sie konnte den Secret, den sie kennengelernt hatte, doch nicht einfach verdrängen. Aber Erik war für sie –

Er hatte für sie eine andere Bedeutung als Secret.

Secret hätte sie nur gerne noch einmal gesehen, um ihm zu sagen, dass ihr alles leid tat und dass sie ihn nicht hatte zurücklassen wollen. Das war alles.

Wenn sie gewusst hätte, dass es ihm gut ging, das hätte ihr gereicht.

Bei Erik war das anders. Er war jemand, den sie nicht einfach aus ihrem Leben gehen lassen wollte.

Schließlich sagte sie kleinlaut: „Ich weiß manchmal nur nicht, wie ich mit dir umgehen soll.“

„Weil ich nicht wie er bin?“, fragte Erik abweisend.

„Nein.“ Sie pausierte. „Doch. Ich weiß nicht. Es ist –“

Erik unterbrach sie. „Weil ich kein Beschützer bin.“

Ariane rief laut: „Du bist –“

Sie konnte den Satz nicht beenden. Er sah sie mit diesem bohrenden Blick an, der ihr zu verbieten schien, die Worte auszusprechen. Sie verstand das nicht. Er selbst hatte doch eben noch behauptet, Secret zu sein.

„Gehen wir.“, befahl er und setzte sich in Bewegung.

 

Kapitel 90 Schlafzauber

In seinem Zimmer angekommen, setzte er sich auf sein Bett und nahm sein Smartphone aus der Hosentasche. Er begann zu tippen.

Wolltet ihr euch heute nicht wegen dem Rollenspiel treffen?

Nur wenige Sekunden, nachdem er die Nachricht abgeschickt hatte, begann sein Smartphone auch schon zu vibrieren, doch statt des Mitteilungstons erklang der Hip Hop Song, der einen Anruf anzeigte.

Dass Ariane ihn anrief, statt eine Nachricht zu schreiben, wunderte ihn einerseits und freute ihn andererseits.

„Hi.“

„Der Angriff findet erst kurz vor Mitternacht statt.“, informierte ihn Ariane ohne Umschweife.

„Und wann wolltest du mir Bescheid sagen?“, fragte Erik argwöhnisch.

„Change und ich kommen später zu dir. Ich kann dir jetzt noch keine genaue Uhrzeit sagen. Aber du darfst nicht einschlafen.“, sagte sie mit einer Ernsthaftigkeit, die er als unangebracht empfand.

„Hatte ich nicht vor.“, entgegnete er. „Klingelst du mich dann an?“

Kurzes Schweigen vom anderen Ende. „Das wird nicht nötig sein.“

„Ach ja, Vitali kann sich ja teleportieren.“, spottete er.

Ihr nächster Tonfall ließ ihn stocken. Er glaubte ein trauriges Lächeln herauszuhören, wie aus melancholischem Bedauern über die Naivität seiner Äußerung.

„Genau.“

 

Kapitel 96 Siegesfeier

„Der Feind wird also Experimente mit mir machen.“, wiederholte Erik.

„Wir werden das nicht zulassen!“, widersprach Ariane erregt.

„Wie wollt ihr das verhindern?“, fragte Erik gelangweilt.

Vitali meldete sich zu Wort. „Ach, Desire hat ihn so angeranzt, dass er dir ja nichts tun darf, dass er es vielleicht bleiben lässt.“

Ariane schaute grimmig, offenbar damit unzufrieden, dass er so ausposaunte, wie heftig sie Erik beschützen wollte. Vitali störte das wenig.

[…]

Ariane beanstandete: „Secret würde nicht gegen uns kämpfen!“

Erik brachte sie mit einem harten Blick zum Verstummen. „Du weißt nicht, was Secret tun würde.“

Ariane schien von seinen Worten verunsichert worden zu sein. Sie entzog ihre Augen den seinen. „Ich weiß, dass du nicht gegen uns kämpfen würdest.“

Ihre Worte reizten ihn zu einem provokativen Lächeln.

Sogleich mischte sich Vivien ein: „Hast du vor, der Bösewicht zu werden?“ Sie wirkte weniger besorgt als vielmehr begeistert.

„Vivien!“, tadelte Ariane aufgebracht.

„Wäre doch interessant.“, entgegnete Vivien verständnislos.

Erik fixierte Ariane, die ihm schräg gegenüber saß, und lächelte süffisant. „Hast du nicht gesagt, du würdest dich eher in deinen schlimmsten Erzfeind verlieben als in mich?“

Arianes Augenlider senkten sich zur Hälfte. „Nicht wenn mein Erzfeind du bist.“

„Dann muss ich wohl jemand anderes werden.“, erwiderte er mit einer nonchalanten Aufwärtsbewegung seiner Augenbrauen.

Sie funkelte ihn erbost an.

Davon noch angestachelt sprach Erik ungerührt weiter. „Vielleicht ein Gleichgewichtsbedroher.“

 

Kapitel 98 Finstere Feier

Ihr Blick schweifte noch einmal zu Erik.

„Wenn du hier warten willst, ist das auch okay.“, meinte ihre Mutter verschmitzt lächelnd.

Ariane wusste nichts darauf zu antworten. Unsicher sah sie zurück zu Erik.

Offenbar war das Gespräch mit Nathan gerade beendet, denn dieser machte einen Schritt zurück, ging dann langsam an Erik und seinem Vater vorbei, nicht ohne ihnen nochmals etwas zu sagen, und lief dann weiter zu den nächsten Gästen.

Erik hob den Blick nur kurz, sah sie und verzog keine Miene. Er wandte sich ab und schritt neben seinem Vater in eine andere Ecke des Raums zu einer Menschengruppe.

Ariane brauchte einen Moment, um sich davon zu erholen.

Anschließend bemerkte sie, dass ihre Eltern schon gegangen waren. Sie stand ganz allein mitten im Raum und bemerkte, dass ihr Körper die Anzeichen eines Schockzustandes aufwies, als wäre etwas Erschreckendes geschehen.

Sie biss die Zähne zusammen und wusste nicht, wieso ihre Augen brannten. Sie blinzelte und schluckte und wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte.

[…]

Ihr Blick fiel auf den Schaukasten nahe des Eingangs, durch den sie hereingekommen war. Vor ihm stand Erik.

Er hatte ihr den Rücken zugewandt, aber allein seine Rückenansicht genügte… Eilig wandte sich Ariane wieder um.

[…]

Sie konnte nicht trinken. Das Wissen, dass Erik nicht weit von ihr entfernt mit dem Rücken zu ihr stand, verursachte bei ihr einen Kloß im Hals.

Sie drehte ihren Kopf, so als wolle sie sich nur kurz umsehen.

Erik war nicht mehr da.

Auf diese Erkenntnis hin breitete sich etwas Seltsames in ihr aus.

„Ich muss jetzt gehen.“, sagte sie abrupt zu Moritz.

[…]

[Ariane] versuchte, nicht herumzuwirbeln, sah aber auch nicht nochmals zu Moritz zurück und schritt dann viel zu schnell auf den Schaukasten zu, vor dem Erik gestanden hatte.

Es war Enttäuschung gewesen – das Gefühl, das sich in ihr ausgebreitet hatte.

Sie starrte das Kunstwerk in dem hohen Schaukasten an, der erst oberhalb ihres Kopfes abschloss. Darauf waren drei junge Frauen in weißen Gewändern abgebildet, die unter einem hellen weißen Licht standen und die Augen geschlossen hielten. Zwei von ihnen erhoben die Arme in die Höhe.

Auf der Informationstafel wurde erklärt, dass es sich um Seherinnen handelte, die göttliche Visionen hatten. Unter anderem war die Rede davon, dass es den Mythos gäbe, die Seherinnen hätten jungfräulich bleiben müssen, um ihre hellseherischen Kräfte zu behalten. Sobald sie sich einem Mann hingaben oder vergewaltigt wurden, verloren sie diese Fähigkeit.

Ein Schatten fiel auf Ariane, der sie im Lesen unterbrach.

Reflexartig sah sie auf und konnte über das Pergament hinweg durch das Glas des Schaukastens Erik erkennen. Seine blaugrünen Augen waren auf sie fixiert, als sei sie ein Schmetterling, den er mit seinen stechenden Blicken auf einem Stück Holz festnageln wollte.

Sprachlos sah Ariane ihn durch das Glas an.

Sein Blick verlor an Intensität und wurde weicher.

Ariane spürte plötzlich Glas unter ihren Fingern und bemerkte, dass sie ihre Linke auf den Schaukasten gelegt hatte. Eilig zog sie ihre Hand zurück. Im nächsten Moment stand Erik neben ihr. Sie fühlte seine Nähe, obwohl er zwei Schritte von ihr entfernt stand, und wagte nicht aufzublicken.

Erik betrachtete das Innere des Schaukastens, zumindest ging sie davon aus, denn nicht länger empfand sie die Last seiner Blicke.

„Es heißt, sie hätten ihre Kräfte nur gehabt, solange sie Jungfrauen waren.“, hörte sie sich selbst sagen.

Erik gab ein abfälliges Geräusch von sich. „Klar, wenn sie ihren eigenen Wünschen folgen statt nur den Göttern gefällig zu sein, werden sie fallen gelassen.“

Nun sah Ariane zu ihm auf.

Er blieb auf den Schaukasten konzentriert.„Wenn man sich den patriarchalischen Gesetzen widersetzt, verliert man seinen Wert. So hält man die Menschen von Selbstbestimmung ab.“

Seine Worte überraschten sie. „Du sagst das so, als wäre man unfrei, wenn man Jungfrau ist.“

Seine Züge wurden noch angespannter. „Man ist unfrei, wenn das der einzige Wert ist, den man hat. Wenn dir eingeredet wird, dass du nur in diesem System leben kannst und alles andere dich deinen Wert kostet. So hält man Menschen klein, indem man dafür sorgt, dass sie das selbst glauben.“ Etwas wie Resignation legte sich auf seine Züge. „Wenn dieser Punkt erst mal erreicht ist, gibt es kein Entkommen mehr.“

Ariane betrachtete ihn von der Seite.

Sie hatte noch nie einen Jungen in ihrem Alter von der Unterdrückung von Frauen sprechen hören, als würde er es ernst nehmen, ja sogar verstehen. Bisher hatten sich Jungs in ihrer Umgebung nur darüber lustig gemacht und die Wiedereinführung alter Zustände gefordert. Wie Erik zu diesem Thema stand, war ihr neu. Nun war sie ehrlich beeindruckt.

Doch etwas stimmte nicht.

Als er gesprochen hatte, hatte es so bitter geklungen, als würde er von einem persönlichen Leid erzählen. Ariane wurde daraus nicht schlau. Sie betrachtete nochmals die Zeichnung.

Ihr fiel erst jetzt auf, dass die Frauen wirkten, als würden sie das weiße Licht von oben anflehen. Ihre Gesichter waren verzweifelt verzerrt, ja geradezu abhängig. Sie dachte an Eriks Worte. Unfreiheit und patriarchalische Gesetze.

Patriarchat. Das war die Herrschaft des Mannes.

Sie stockte, wandte sich zurück zu Erik, der sie immer noch nicht ansah.

Pater, das hieß nicht Mann, das hieß Vater.

 

[…]

„Wieso bist du immer so unhöflich!“, schimpfte Ariane, nachdem Finster außer Hörweite war. „Er wollte dir Mut zusprechen!“

Erik hätte sie am liebsten mit Blicken traktiert für diese selten dämliche Aussage. Wie bescheuert war sie eigentlich, wenn es um Finster ging? Fast hätte er ihr diese Frage vor Verachtung ins Gesicht gespuckt. Stattdessen wandte er sich ab, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen.

Im gleichen Moment fing er den Blick seines Vaters auf.

In einigen Metern Entfernung inmitten einer kleinen Menschengruppe, die sich angeregt unterhielt, stand er. Die Rechte um ein Weinglas gekrampft, dessen Inhalt im Licht der Beleuchtung schwarzrot glühte, starrte er zu ihm herüber.

Ariane ärgerte sich, dass Erik sie offensichtlich ignorierte, schon zum zweiten Mal heute!

Nur dass es das erste Mal schlimmer gewesen war…

Eigentlich hätte sie auf ihn wütend sein müssen, schließlich hatte er sie vorhin gesehen und war dennoch einfach weitergegangen. Andererseits hätte er in Anwesenheit seines Vaters wohl auch schlecht ihre Nähe suchen können.

Manchmal hatte sie das Gefühl, dass Erik ein ganz anderes Leben führte, als wäre er aus einer anderen Welt als sie.

Sie nahm einen Schluck aus dem Glas, das sie immer noch in der Rechten hielt. Das Wasser hatte alle Kohlensäure verloren und schmeckte abgestanden.

„Willst du etwas essen?“, fragte sie Erik, um ein Gespräch einleiten zu können, und erkannte in diesem Moment erst seinen Zustand.

Sein Blick war auf etwas anderes fixiert, sein Gesichtsausdruck sollte fest wirken, aber aus der Nähe erkannte sie die kleinen Anzeichen, die ihr verrieten, dass er kurz davor stand, die Kontrolle zu verlieren.

Ein ängstliches Glimmen leuchtete in seinen Augen und seine Augenbrauen waren nur noch behelfsmäßig feindselig zusammengezogen. Sein Wille schien zu brechen.

In der gleichen Sekunde, in der sie nach seinem Arm griff, folgte sie seiner Fokussierung und fühlte sich im gleichen Moment, als hätte jemand Leere in ihr Inneres gekippt.

Die Berührung riss Erik aus der Trance. Geschockt riss er den Kopf zu Ariane herum.

Mit leerem Gesichtsausdruck sah sie in die Richtung seines Vaters. Im gleichen Moment zog sie ihre Hand abrupt zurück – als habe sie begriffen, dass sie an der Schranke zu einer fremden Welt stand, akzeptierend, dass er für immer in dieser Welt bleiben musste.

Erik schluckte und biss die Zähne zusammen. Seiner Gegenwehr beraubt stellte er sich erneut dem Blick seines Vaters. Sobald dieser in seinem Gesicht die Resignation las, wandte er sich ab.

Erik fühlte sich geschlagen.

Er wusste, dass er dem nie entkommen konnte. Er konnte nur in dieser Welt leben. Und alle anderen Menschen waren nichts als Schatten, die an ihm vorbeizogen.

Ariane kam ihm mit einem Mal wie eine leere Hülle vor, die ihm übel werden ließ. Er wollte sie nicht in seiner Nähe haben. Alles, was ihn an ihr interessierte, waren doch ohnehin nur Projektionen seiner infantilen Wünsche.

Das ekelte ihn.

Seine Schwäche, die sich in ihr spiegelte, ekelte ihn. Und in seinem Inneren hätte er am liebsten – er wusste nicht mehr was.

Es war alles belanglos. Er konnte nicht mehr.

Wie von einem plötzlichen Trieb gepackt, drehte er sich nach rechts, ließ Ariane hinter sich und lief auf die große Tür des Festsaals zu. Er ergriff sie, zog sie auf und rettete sich in die menschenleere Vorhalle, bis er an der Treppe ins Obergeschoss stehenblieb.

Er schnappte nach Luft und schloss die Augen. Sein Mund verzog sich – jetzt, da niemand mehr ihn sehen konnte, jetzt, da er keine Rolle mehr spielen musste. Seine Atmung war nicht länger geräuschlos. Er schluckte, aber war noch nicht im Stande, sich wieder zu beruhigen.

Er hörte, wie die Tür hinter ihm geöffnet wurde, für einen Moment drangen die Menschenstimmen aus dem Inneren wieder zu ihm, ehe sie wieder zufiel. Leise Schritte folgten, aber derjenige blieb hinter ihm stehen.

Erik war nicht in der Lage, sich umzuwenden, lieber war es ihm, die Präsenz der anderen Person einfach zu ignorieren. Er konnte einfach nicht mehr.

Ariane blieb hinter Erik stehen und war unfähig zu handeln. Sie konnte nur zusehen, wie Erik sich quälte.

Sie war so unnütz. Es war nicht richtig, ihn zu beobachten. Es wäre besser gewesen, ihn alleine zu lassen. Aber er hatte sie auch nicht allein gelassen auf der Halloweenparty. Nur dass sie nicht das Geschick besaß, Menschen von ihren Gedanken abzulenken. Sie wusste, wie man über Probleme redete, nicht wie man eine andere Stimmung erzeugte. Sie war nicht Vivien, und Erik war nicht der Typ, der über Probleme sprach.

Plötzlich drehte er ihr den Kopf zu und sein Blick war der gleiche, den er gehabt hatte nach ihrem Vorwurf, er würde genauso wie sein Vater werden, direkt bevor er sie hilfesuchend an sich gezogen hatte.

Ariane wusste nicht, wie sie die Schritte zu ihm hinter sich brachte, aber im nächsten Moment hatte sie die Arme um seinen Brustkorb geschlungen.

Erik blieb reglos stehen, während sie sich an seinen Rücken lehnte.

Er versuchte den Ekel in sich niederzuringen und verspürte den Drang sich von ihr loszureißen.

Stattdessen begann er zu zittern von dem unterdrückten Schluchzen, das ihre Berührung in ihm verursachte. Und seine verdammte Atmung erzeugte Geräusche, die er nicht von sich geben wollte. Er beugte sich leicht nach vorne, doch nichts half gegen die Kontraktion seines Inneren.

Arianes Arme ließen von ihm ab und mit einem Mal stand sie vor ihm und legte ihm beide Hände auf die Schultern. Erik wich zurück, als sie ihm in die Augen sah und entzog sich ihrer Berührung.

Ariane sah Angst in seinen Augen, als er vor ihr zurückschreckte und sie wie ein geschlagenes Tier anstarrte. Ein Sturm schien in seinem Inneren zu toben, den er kontrollieren wollte, ohne zu registrieren, dass er damit alles nur verschlimmerte.

Schlagartig packte er seinen linken Arm, sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Einen erstickten Laut ausstoßend ging er in die Knie.

„Erik.“ Ariane warf sich zu ihm auf den Boden und versuchte, nicht panisch zu werden. Doch bei dem Versuch beschleunigte sich ihre Atmung so sehr, dass sie sich erst darauf konzentrieren musste, wieder langsamer zu atmen, um nicht zu hyperventilieren. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren.

Sie legte ihre Rechte auf seinen Arm und rief ihre Heilungskräfte.

Die kühlende Energie floss durch ihre Finger und ging auf seinen Oberarm über. Augenblicklich hörte sie Erik ein leises Stöhnen durch die Zähne ausstoßen. Ein Pulsschlag ging durch ihren Körper, von dem sie nicht sagen konnte, ob es ihr eigener war. Er pochte in ihrem Kopf und beeinträchtigte ihr Sehen. Dann riss sie ihren Kopf nach rechts herum und sah, dass die Steintafeln, die am Ende des ersten Treppenabsatzes in einer Vitrine ausgestellt waren, glühten.

Was hatte das zu bedeuten?

Ein weiterer Ton von Erik ließ sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn richten. Er sah ihr in die Augen und gab ihr ohne Worte zu verstehen, dass sie ihn wieder loslassen sollte. Hastig folgte sie der stummen Aufforderung.

Als wäre nichts geschehen, richtete sich Erik wieder auf. Für einen Moment von der Situation überfordert, tat sie es ihm gleich.

Sie drehte sich nochmals zu den Tafeln um, doch das Leuchten hatte aufgehört.

Kurz wusste sie nicht, was sie tun sollte.

Sie fasste einen Entschluss.

„Setz dich auf die Treppe.“, befahl Ariane.

„Es geht schon wieder.“, antwortete Erik ausweichend. Er wollte die ganze Situation verdrängen, nichts hiervon wissen.

„Tu es einfach!“

Jäh fühlte er sich an die Situation auf dem Jahrmarkt erinnert, als Serena auf eine ähnliche Weise reagiert hatte, kurz bevor der Schmerz in seinem Oberarm ihn ohnmächtig hatte werden lassen.

Schweigend lief er die Stufen hinauf bis zum Treppenabsatz und nahm auf dem nächsten Treppenlauf Platz, wodurch er von unten nicht mehr zu sehen war. Ariane kam ihm nach und sah von seiner Aktion nicht begeistert aus.

„Zieh das Jackett und das Hemd aus.“

„Glaubst du, du siehst mehr als ein Arzt?“

„Der Arzt hat den Arm nicht im akuten Zustand gesehen.“

Er zögerte. Widerwillig zog er das Jackett aus, stockte dann aber. „Was glaubst du, was die Leute denken, wenn sie uns hier in einer dunklen Ecke sitzen sehen und ich nur noch im Unterhemd bin?“

„Das ist mir egal.“, sagte Ariane halblaut.

Aber er wusste, dass sie log. Wären solche Gerüchte über sie aufgekommen, hätte sie sich in Grund und Boden geschämt.

„Bitte.“, flehte Ariane.

„Kannst du nicht einfach das Gleiche machen wie eben?“

Nach kurzem Zögern setzte sich Ariane links neben ihn und legte ihm erneut die Hand auf den Oberarm.

Im gleichen Atemzug fühlte er eine angenehme Ruhe. Er schloss die Augen und genoss den Moment.

Die Entspannung entlockte ihm weitere Worte. „Wieso ist das so angenehm?“

Hastig suchte Ariane nach einer halbwegs akzeptablen Erklärung, doch ihr fehlte die Zeit dazu, und sie musste sich auf ihre Kräfteausübung konzentrieren. Daher redete sie einfach drauf los. „Manche Leute behaupten, man kann einem anderen Energie übertragen.“

Oh nein, er würde sie auf diesen Kommentar hin sicher für eine Esoterik-Spinnerin halten.

Erik atmete ruhig. Seine Stimme war sanft. „Das meinte ich nicht.“

Jäh wurde Ariane heiß. Sie wagte es nicht, in Eriks Gesicht zu sehen, und fühlte eine unbegründete Nervosität. „Das… ist nur –“ Sie unterbrach sich und haspelte weiter. „Es ist immer angenehm, wenn man von jemandem berührt wird, bei dem man sich wohl fühlt.“

„Das kenne ich nicht.“, sagte Erik leise.

[…]

Ariane schwieg. Sie wusste nicht, was sie auf Eriks Aussage entgegnen sollte. Unsicher sah sie ihm ins Gesicht, doch sobald er ihren Blick erwiderte, kam wieder diese Nervosität in ihr hoch.

Erik hielt die Augen stumm auf sie gerichtet, sodass sie sich gezwungen sah, die Augen niederzuschlagen.

Sie mochte diese innere Unruhe nicht, die ihr den Kräfteeinsatz unmöglich machte.

„Geht es wieder?“, presste sie hervor.

Erik gab ihr keine Antwort, aber sie wagte nicht, ihm noch mal ins Gesicht zu sehen, um seinen Zustand einzuschätzen.

„Das heißt, Schatthen sind in der Nähe.“

Bei seinen Worten schreckte Ariane zusammen.

„Wenn ich die Wunde spüre. So ist es doch.“ Seine Stimme war nun fordernd. „Kannst du sie alleine besiegen?“

Ariane schluckte, sie reckte das Kinn und erhob sich. „Geh wieder rein.“

Erik sah zu ihr auf und machte den Eindruck, als brauche es mehr als einen bloßen Befehl, um ihn zum Gehen zu bewegen.

„Wenn die Schatthen hier sind, will ich nicht, dass du in der Nähe bist.“, erklärte sie.

Erik schien sich selbst nicht die Zeit geben zu wollen, über ihre Aussage nachzudenken. Er stand auf, nahm sein Jackett und lief an ihr vorbei die Treppe hinunter.

Auf dem unteren Treppenlauf hielt er an.

„Geh bitte.“, bat Ariane inständig.

Er drehte sich zu ihr. Es war nicht Skepsis oder Unglaube, die sich auf seinem Gesicht abzeichnete, sondern Sorge um sie.

„Ich rufe die anderen.“, versicherte sie.

„Die sind niemals rechtzeitig da.“

„Vitali kann teleportieren.“

„Würde Secret dich alleine lassen?“

Ariane stockte.

Erik machte kehrt und trat wieder zu ihr. Sie sah, wie er sein Handy hervorholte, eine Nummer auswählte und es sich ans Ohr hielt. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe er sprach.

„Hier sind Schatthen.“

 

Kapitel 99 Alarm

Nervös ließ Ariane den Blick durch den Raum schweifen. Erik dagegen wandte sich dem Tisch zu.

„Iss etwas.“, sagte er in gedämpftem Tonfall.

„Als könnte ich jetzt etwas essen!“, antwortete Ariane, ohne sich ihm zuzuwenden.

Eriks Stimme hatte wieder diesen gesetzten Klang, den sie von Secret kannte.

„Wenn der Schatthenmeister uns beobachtet und sieht, dass du panisch die Gegend absuchst, weiß er, dass du vorgewarnt bist.“ Er drückte ihr einen Teller in die Hand. Nachdrücklich sah er ihr in die Augen. „Es ist besser, ihn im Glauben zu lassen, dass du nichtsahnend bist.“

Widerwillig folgte Ariane der Aufforderung, lud sich zwei belegte Baguettescheiben auf den Teller und zwang sich, sich Erik zuzuwenden, um nicht mehr den Anschein von übertriebener Wachsamkeit zu machen.

„Du hast etwas von einem Ton gesagt.“, sagte Erik beiläufig, während er unter den Horsd’œuvre wählte.

„Es ist ein Warnsignal, das ich höre, bevor die Schatthen angreifen. Aber erst kurz davor.“

Sie sah zu, wie er das zuletzt von ihm gewählte Appetithäppchen auf seinem Teller ablegte. „Dann wirst du es rechtzeitig wissen.“

Seine Augen fanden die ihren. Sein Blick hatte wieder diese unergründliche Tiefe, die sie an Secret erinnerte, aber so viel mehr beinhaltete. Nicht so gefühlskalt und abweisend wie der Secrets.

In einer Seelenruhe begann Erik zu essen und Ariane bemerkte, dass sich ihre Mundwinkel gehoben hatten.

Sie konnte nicht sagen, wieso, aber sie fühlte sich mit einem Mal in seiner Nähe sicherer. Als wäre seine Unterstützung allein etwas, das ihr die Sache leichter machte.

Sie war nicht allein.

[…]

 

Bei demjenigen, der Ariane gerufen hatte, als würde er sie kennen, handelte es sich um einen brünetten jungen Mann, der ein Stück größer war als Erik und die Kleidung des Partyservices trug.

Ungeniert trat dieser von der anderen Seite des Tisches zu ihnen oder genauer gesagt zu Ariane und lächelte sie dabei so gewollt charmant an, dass Erik statt den nächsten Bissen zu tun, seine mit Lachs belegte Baguettescheibe auf den Teller legte.

„Hallo.“, antwortete Ariane zaghaft und lächelte den Fremden schüchtern an.

„Du solltest die Hähnchenschlägel probieren, die sind die Spezialität des Partyservices.“

„Ich habe nicht so großen Hunger.“, antwortete Ariane sanft lächelnd in einer Erik unnatürlich vorkommenden Tonlage.

„Verstehe. Ich werde in Kürze gehen müssen, weil ich morgen noch einen Auftritt mit meiner Band habe.“

Ui, mit seiner Band. Klar, dass er das erwähnen musste.

„Ah.“, machte Ariane und benahm sich Eriks Meinung nach völlig untypisch.

„Würdest du mir deine Telefonnummer geben?“

Erik heftete einen finsteren Blick auf Ariane, die davon nichts zu bemerken schien. Sie zauderte.

„Ähm. Tut mir leid, ich gebe niemandem meine Telefonnummer.“

Gut so!

„Oh, schon klar.“, sagte der Typ. „Bist du auf Facebook?“

Erik hoffte, dass sie es nicht war.

„Äh, ja.“, antwortete Ariane.

„Dann kann ich dich ja adden. Oder stört das deinen kleinen Freund?“

Das Lächeln des Jungen bei seinen Worten triefte vor Spott. Es war eindeutig, dass er damit andeuten wollte, dass er Erik nicht als Konkurrenz ansah. Das in Kombination mit dem unterschwelligen Hinweis darauf, dass Erik von Alter und Größe im Vergleich zu ihm noch ein kleiner Junge war, ließ Eriks Kiefer verhärten.

„Wie bitte?“, fragte Ariane irritiert.

„Der Kleine.“, grinste Moritz und deutete mit einer Bewegung seines Daumens auf Erik.

Ariane zog die Augenbrauen zusammen.

Auf ihre Reaktion hin wandte sich Moritz postwendend Erik zu, griff über den Tisch hinweg nach seiner Rechten und stellte sich ihm freundlich lächelnd vor. „Wie ist dein Name?“

Ariane bemerkte erst in diesem Moment, wie finster Eriks Miene geworden war. Er antwortete Moritz erst gar nicht.

Da ihr die Situation unangenehm war und sie schnellstmöglich das Gespräch beenden wollte, übernahm Ariane das an seiner Stelle. „Das ist Erik. Wir gehen in die gleiche Klasse.“

Augenblicklich spürte sie Eriks Blick auf sich lasten, sah aber nicht in seine Richtung. Sie wollte einfach nur Moritz loswerden. „Du findest mich unter Ariane Bach auf Facebook.“

„Danke.“ Er lächelte breit. „Ich melde mich.“

„Tu das!“ Sie lächelte so freundlich sie nur konnte. „Bis dann.“

Moritz grinste zurück und lief endlich wieder hinüber zu den Getränken.

Ariane atmete aus und sah sich im nächsten Moment einem so düster dreinblickenden Erik gegenüber, dass sie sich fragte, ob er wieder Schmerzen hatte. Ehe sie ihn jedoch danach fragen konnte, wurde sie von hinten gerufen. Sie erkannte die Stimme sofort als die ihres Vaters.

So viel zu dem Plan, dass ihre Eltern ihr fernbleiben sollten.

Sie stellte ihren Teller ab und drehte sich zu ihren Eltern um.

„Wir haben dich schon vermisst!“, rief ihr Vater.

„Dein Vater hat dich vermisst.“, verbesserte ihre Mutter. „Besonders nachdem ich gesagt habe, dass du mit Erik rausgegangen bist.“

Herr Bach warf seiner Frau einen verstimmten Blick zu.

Erik ergriff das Wort. „Keine Angst.“ Seine Stimme wandelte sich zu purer Verachtung. „Sie gibt sich lieber mit Leuten vom Personal ab.“ Sein Blick machte überdeutlich, dass die Beleidigung ihr galt.

Dass er sie so ansehen konnte, verschlug Ariane für einen Moment die Sprache.

Es brauchte Sekunden, ehe sie antworten konnte.

Ihr Plan war es, ihrer Stimme einen trotzigen Klang zu geben, aber durch den Kloß in ihrem Hals bekam sie stattdessen etwas Bitteres. „Im Gegensatz zu dir, macht es mir nichts aus, mich mit Menschen zu unterhalten, die unter deiner Würde sind.“

Sie sah, wie die rasende Abscheu auf seinem Gesicht sich noch steigerte. „Was glaubst du, was du bist!“

Arianes Gesichtsmuskulatur verlor ihre Spannung. Sie starrte ihn ausdruckslos an. Ihr Mund öffnete sich leicht und schloss sich wieder. „Ich wusste nicht, dass ich unter deiner Würde bin.“

Abrupt stockte Erik.

Die Stimme ihres Vaters erhob sich. „So spricht niemand mit Ariane!“, mischte er sich aufgebracht ein. „Und ich bin dagegen, dass sie mit jemandem zusammen ist, der sie nicht zu schätzen weiß!“

Eriks Gesichtsausdruck wurde wieder hart. Der letzte Teil des Satzes erinnerte ihn an Arianes Verhalten gegenüber diesem Kellnerverschnitt, ein anderes Verhalten als das, das sie ihm gegenüber zeigte. Ein Verhalten, das Männer wie dieser Typ bewirkten, deren ganzes Verhalten nichts weiter war als ein abgekartetes Spiel!

Jemand der sie zu schätzen wusste – dass er nicht lachte!

„Sie sollten von Ihrer Tochter nicht zu viel erwarten. Sie könnten enttäuscht werden.“, spie er angeekelt aus.

[…]

Erik stand da und konnte keinen klaren Gedanken fassen, wie aus weiter, grauer Entfernung.

Er hatte gerade selbst seine Beziehung zu Ariane zugrunde gerichtet und fühlte sich … wie von sich selbst entrückt … nicht länger… in sich.

Langsam, als würde er Erik in einen sicheren Hafen führen, sprach sein Vater:. „Wir gehen.“

[…]

„Erik.“, sagte Herr Donner auf eine so befremdlich schonungsvoll klingende Weise, die umso verstörender wirkte. Er sah seinen Sohn nun direkt an.

Auch Finster heftete seinen Blick auf Erik, als würde er ihn allein dadurch in einer Bahn halten, aus der die Stimme seines Vaters ihn zu reißen drohte.

Dennoch wusste Erik nicht, wie er reagieren sollte.

Schließlich presste er hervor „Wir sind Freunde.“ und klang dabei nicht nach Erik Donner, sondern einem erbärmlichen Schwächling.

„Ich habe ihn zuerst beleidigt.“, sagte Ariane hastig.

Erik hatte den Blick gesenkt. „Hast du nicht.“

„Es war gemein, was ich gesagt habe.“, erwiderte Ariane in entschuldigendem Tonfall und sah ihn direkt an.

Dieses Mal widersprach Erik ihr nicht.

[…]

Erik warf einen letzten hastigen Blick auf Ariane und folgte, ohne noch etwas zu sagen, seinem Vater nach.

 



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