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Licht ins Dunkel

Kurzgeschichten verschiedener Charaktere
von

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Shelters Mountain - Hill

London, 1925
 

Kyle betrat die stickte Kneipe und sah sich suchend um. Der Zigarettenrauch machte es ihm schwer, seine eigene Hand vor Augen zu erkennen. Wie sollte er da den Mann finden, den er suchte?

Doch besagter Mann war unübersehbar. Er saß in der Ecke und winkte ihn zu sich, während er an seiner Pfeife zog. „Sie sind gekommen.“, sagte er mit rauer Stimme. „Gut, gut. Bestellen sie sich was zu trinken.“

„Ich habe nicht viel Zeit.“, erwiderte Kyle. „Sie haben gesagt, sie hätten Informationen für mich.“

„Sicher, sicher.“ Der alte Mann schien die Gewohnheit zu haben, alles doppelt zu sagen. „Aber das mit dem Erzählen wird ’ne ganze Weile dauern. Also setzen sie sich. Mary, bring dem Herrn doch was zu trinken.“

Kyle setzte sich wortlos auf einen der Hocker, die genauso brüchig aussahen, wie der ganze Laden hier. Er war nicht im geringsten überrascht, dass die Bedienung Mary hieß. Wahrscheinlich ein falscher Name, aber dem Klischee war damit Genüge getan. „Nun, Mister.“, begann Kyle, nachdem eine junge Polin, die ganz sicher einen anderen Namen als „Mary“ trug, ihm ein klares Getränk in einem weniger klaren Glas gebracht hatte. „Sie hatten sich geweigert, ihren Namen zu sagen, daher hoffe ich, dass sie wenigstens nicht meine Zeit verschwenden wollen und gute Informationen haben. Wenn nicht, werde ich sie erschießen.“ Er sagte das ruhig und sachlich und er ließ keinen Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit aufkommen.

Der Alte jedoch ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Das ist aber nicht ihr Job.“, stellte er fest. „Ihr Job ist es sie umzubringen, nicht mich. Und sie wollen sie doch erwischen, oder?“

Kyle blickte von dem schmierigen Glas zu seinem Informanten. „Genau. Und deshalb schlage ich vor, fangen sie jetzt an. Ganz von vorne.“

Der Alte schüttelte den Kopf und nahm erneut einen Zug seiner Pfeife. „Erstmal erzählen sie. Wie sind sie überhaupt hierher gekommen? Und keine Ausflüchte!“

Kyle fügte sich. Was sollte er auch tun? Aber er würde die Sache abkürzen, der Mann musste nicht jede Einzelheit wissen. „Ich bekam vor ein paar Wochen einen Brief. Darin stand, dass Inspector Sharon hier die Leiche eines jungen Mannes gefunden hatte, der zwei Löcher in der Halsgegend aufwies, genau dort, wo sich die Schlagader befindet. Zuerst gingen sie davon aus, dass jemand hineingestochen hatte, aber dann wäre das Opfer verblutet. Es wurde jedoch kein Blut gefunden. Mit einem dunklen Verdacht wandte er sich an den Vatikan und fragte nach einem Vampirjäger.“

Kyle behielt sein Gegenüber genau im Auge. „Man schickte mich los und Inspector Sharon zeigte mir den Ort des Verbrechens und die Leiche selbst. An besagtem Platz sah ich die Täterin. Sie stand unter einer Straßenlaterne und blickte zu Boden. Dann, als ob sie meinen Blick gespürt hätte, hob sie den Kopf uns ah mich direkt an. Eine Gruppe Fußgänger versperrte mir für einen Augenblick die Sicht. Als sie endlich vorbei waren, war das Mädchen verschwunden. Inspector Sharon erzählte mir, dass das Mädchen Hill heiße, sie sei auch am Mordabend vernommen worden. Anscheinend war sie sehr interessiert an dem Fall, dass ständige Hin und Her mit den Zeugen, Beweisen und Überlegungen schien sie zu amüsieren.“

Kyle lehnte sich gegen die Wand. „Sie trug einen schwarzen Mantel, aber das war das einzig Warme. Schon ihre Ausstrahlung ist kühl. Sie ist ungewöhnlich blass, ungesund blass trifft es eher. Sie trägt weder Schal noch Mütze. Sie trägt keine Schuhe.“

Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. „Wir haben Mitte Januar und es hat die letzten vier Tage geschneit. Wer trägt da schon keine Schuhe? Nur jemand, der die Kälte nicht fühlt!“

Der Alte nickte bedächtig, ein schwaches Lächeln zog sich um seinen Mund. „Ja, so habe ich sie in Erinnerung. Sie hatte einen unnatürlichen Drang nach Freiheit. Alle Entscheidungen wollte sie selbst treffen. Eine kleine Rebellin. Das sie keine Schuhe trug, war nur ein Teil ihres Widerwillens. Aber sie wusste, wann sie zu weit ging und dass sie sich manchmal unterordnen musste, nicht nur ihr zuliebe, sondern ihrer Familie wegen.“

Mit einem Schluck kippte er die trübe Flüssigkeit aus einem Glas, das nicht minder dreckig als Kyles war, hinunter. Dann sah er den Vampirjäger fest an. „Wenn sie wollen, erzähle ich jetzt.“

Kyle nickte. „Nur zu.“ Die Worte des Mannes hatten ihn neugierig gemacht.

Der Alte begann.
 

„Hillary Gregoria Stepford! Das war ihr voller Name, aber sie hasste ihn. Sie war kein armes Kind, durchaus nicht, doch sie war unzufrieden. Sie verbrachte ihr Leben in einem großen Haus, wo Privatlehrer ihr die Benimmregeln des Adels beibrachten.

Sie sehnte sich nach etwas anderem. Nach der Freiheit, zu tun, was sie wollte. Das Haus zu verlassen, wann sie wollte; zurückzukehren, wann sie wollte.

Doch ihre Familie hatte andere Pläne mit ihr. Hillary sollte verlobt werden, mit irgend so einem reichen Kerl aus der obersten Stufe. Tradition und was weiß ich noch alles.

Sie war sechzehn, als ihre Familie diese Entscheidung fällte, sechzehn junge Jahre. Und sie war hübsch. Noch nicht so schön wie ihre Mutter, aber das würde sich noch entwickeln. Spätestens mit zwanzig hätte sie ihre Mutter bestimmt eingeholt, was das Aussehen anging.

Ihr Verlobter hieß Harry Tochs. Ich glaube, er sollte zur Marine, aber ich bin mir nicht sicher.

Die beiden, Hillary und Harry, lernten sich erst auf dem Verlobungsfest kennen. Der Tradition nach tanzten sie zusammen, aber danach zog Hillary sich auf ihr Zimmer zurück und dort blieb sie, bis die Familie ihres Verlobten und er selbst abgezogen waren.

Sie wollte mit niemandem reden. Sie sagte, sie fühle sich nicht gut. Bis zum nächsten Tag kam sie nicht mehr heraus. Sie war verzweifelt. Sie wollte nicht heiraten.

Das hatte nichtmal einen bestimmten Grund: Sie war weder in einen anderen verliebt, noch konnte sie Harry nicht leiden. Sie wollte einfach nicht heiraten. Es wäre ihr wie Gefangenschaft erschienen, wenn ein Mann über sie bestimmen konnte.

Als sie am nächsten Morgen runterkam, war sie sehr blass. Sie war barfuss wie immer und sie trug noch ihr Nachtgewand, dass weiße, dünne Kleid, das sie seither nicht mehr abgelegt hat; warum, sag ich gleich.

Sie brach auf der Schwelle zum Wohnzimmer zusammen. Ihr älterer Bruder brachte sie wieder in ihr Zimmer und die Familie informierte einen Arzt. Das war der Zeitpunkt, zu dem Robert Stanley auftrat. Hätte man ihn nicht dazugerufen, wäre Hillary innerhalb weniger Tage wieder gesund gewesen. Aber man wollte natürlich auf Nummer sicher gehen. Also holte man Robert.

Er hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, als er eintrat, vielleicht, um sich vor dem Schnee zu schützen. Vielleicht wollte er auch einfach nur Eindruck machen. Außerdem hatte er einen ziemlich großen Arztkoffer dabei. Im Schauspielern war er ganz groß, oh ja. Und er spielte seine Rolle gut.

Robert schickte sämtliche Familienangehörige aus dem Zimmer und untersuchte Hillary. Er verabreichte ihr Medizin. Tatsächlich war sie am nächsten Tag wieder munter, sie sollte jedoch noch liegenbleiben.

Der Arzt kam jeden Tag. Und mit jedem seiner Besuche wurde Hillary blasser, doch die Familie ahnte nichts. Hillary sprach wieder mit ihnen. Sie hörte zu. Sie lachte. Auf jeden Fall schien sie nicht krank zu sein.

Nur einmal, an einem Abend, erzählte sie ihrem Bruder, dass sie Angst habe. Sie dürften den Arzt nicht mehr herlassen, bat sie. Natürlich hörte niemand auf sie.

Am nächsten Tag kam Robert kopfschüttelnd aus ihrem Zimmer und verkündete mit angemessen trauriger Stimme, dass Hillary verstorben sei. Die Familie glaubte ihm nicht, bis sie Hillary nicht selbst gesehen hatten.

Aber Hillary war tatsächlich tot. Oder halbtot, je nachdem, wie sie den Zustand eines Vampirs betrachten.

Sagen wir es so: Hillary Gregoria Stepford war zu dem Zeitpunkt gestorben, doch Hill lebte.

Denn als die Familie sie beerdigen wollte, war sie verschwunden. Der Sarg wurde übrigens trotzdem begraben, sie können ihr Grab besuchen.

Robert war natürlich der Vampir gewesen, der Hillarys Leben beendet hatte. Als Vampir konnte sie es fortsetzen, für immer im Körper einer Sechzehnjährigen gefangen. Ihre Augen waren übrigens schon immer grau.“

Der Alte verstummte und zog nachdenklich an seiner Pfeife. „Das Familienanwesen steht heute leer.“, fügte er hinzu. „Seit Jahren schon.“

Kyle hatte genug gehört. Er wusste nun, wo er Hill, oder Hillary Gregoria, finden würde. Ruhig erhob er sich, ohne sein Getränk auch nur einmal angerührt zu haben.

„Ich danke ihnen für ihre Hilfe.“, sagte er höflich. „Das hat mich sehr weitergebracht.“

Der Alte sah zu ihm auf, seine Augen funkelten unter den dichten Augenbrauen. „Wenn sie ihr Grab besuchen wollen, dass ist übrigens nicht hier. Das liegt in Shelters Mountain. Eine Kinderfantasie von ihr. Sie wollte immer nach Shelters Mountain, fragen sie nicht wieso. Vielleicht, weil sie dort geboren wurde. Aber als sie einsah, dass sie nicht mehr dorthin zurück konnte, nannte sie London einfach so.“

Kyle nickte. „Danke, aber ich werde ihr Grab nicht besuchen. Viel Glück noch...Mister Stepford.“

Damit wandte er sich ab und ließ den Vater des Vampirmädchens, dass er jagte, in der düsteren Kneipe zurück.
 

Da Kyle keine Genehmigung zum Betreten des Hauses gekriegt hatte, war er kurzerhand eingebrochen. Es ging hier um die Beseitigung eines Vampirs, da konnten die Behörden jammern, was sie wollten. Vorsichtig ging Kyle den staubbedeckten Boden entlang.

Zum Glück war alles mit dicken Teppichen ausgelegt, was seine Schritte dämpfte. Stapford hatte gesagt, sie sei „am nächsten Morgen runtergekommen.“, also ging Kyle davon aus, dass sich Hills Zimmer im oberen Stockwerk befand.

Die Stufen knarzten etwas, aber ansonsten war alles gespenstisch ruhig.

Soweit Kyle sehen konnte, waren hier oben alle Türen verschlossen, bis auf die hintere. Er ging den Gang entlang und stellte fest, dass es sich nur um eine Besenkammer handelte, wenn auch von beachtlicher Größe. Nachdenklich blickte er in den Spiegel, der an der Wand des Ganges hing. Eine Ahnung machte sich ihn ihm breit, mehr Gefühl als irgendetwas anderes. Er fuhr herum.

Obwohl er sie im Spiegel nicht gesehen hatte, stand Hill nun hinter ihm, auf ein paar Metern Abstand. „Ich kann mich nicht erinnern, sie hier schon mal gesehen zu haben.“, sagte sie kühl. Ihre Stimme hatte etwas unglaublich anziehendes, genauso wie ihre restliche Entscheidung.

Der schwarze Mantel war verschwunden, sie trug das weiße Nachtgewand, von dem der Alte gesprochen hatte. Tatsächlich war sie sehr blass, blasser, als es bei Vampiren sowieso schon üblich war. Sie trug auch jetzt weder Schuhe noch Socken.

Kyle wusste, dass er sie als so anziehend empfand, weil sie es so wollte. Vampire konnten menschliche Eindrücke beeinflussen. Und wenn schon Robert, der Arzt, so gut hatte schauspielern können, hatte er das vielleicht an sie weitergegeben.

Hill sah ihn nachdenklich an. „Ich glaube, ich weiß wer sie sind.“, fuhr sie mit einem geheimnisvollen Lächeln fort. „Sie sind der Vampirjäger, den er gerufen hat. Dieser Inspector. Er ist nicht so dumm, wie er aussieht.“

‚Was für ein Kompliment’, dachte Kyle, doch er schwieg. Vielleicht würde sie näher kommen. Kurz senkte er den Blick, um nachzusehen, ob die Weihwasserflasche in der Nähe war. Als er wieder aufsah, war Hill verschwunden. Ihre nackten Füße hatten keine Spuren im Staub hinterlassen, er sah nur seine eigenen Abdrücke.

Aber jetzt stand die erste Tür nach der Treppe offen. Vorsichtig ging Kyle auf sie zu. Ihr Zimmer. Wie ein Gespenst stand sie in der Mitte des Raumes, fast ganz weiß; wären ihre Haare weiß gewesen und nicht schwarz.

„Was willst du, Vampirmörder?“, fragte sie leise und ließ ihn nicht aus den Augen. Sie ließ sich auf ihrem Bett nieder, während sie sprach. Kyle musste sie schnell loswerden, sonst würde er ihr verfallen. Er spürte bereits, dass seine Abwehr zu bröckeln begann.

Er griff nach der Flasche mit dem Weihwasser. „Willst du nicht endlich Ruhe finden, Hillary?“, entgegnete er, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Ihr Blick wurde spöttisch. „Sollte ich das? Ich habe alles, was ich will. Ich bin frei. Und ich werde nicht sterben. Wünscht ihr Menschen euch das nicht immer?“

„Nicht für diesen Preis.“ Er stürzte auf sie zu, doch er traf daneben. Sie war innerhalb eines Sekundenbruchteils vom Bett verschwunden, auf dem er nun landete. Dann war sie wieder über ihm, er spürte ihre Finger auf seiner Halsschlagader. Sie waren eiskalt.

Kyle konnte sie nicht mehr daran hindern, zuzubeißen, aber während die Welt um ihn herum schwarz vor seinen Augen wurde, erkannte er, dass er sich verrechnet hatte.

Ihr Verhalten hatte ihn davon überzeugt, dass sie noch immer die Schwäche der Krankheit in sich trug, mit der sie zum Vampir gemacht wurde. Doch dem war nicht so, sie hatte mit ihm gespielt und er war auf sie hereingefallen.

Ihre Worte hallten in seinem Kopf wider. Sie war frei, tatsächlich. Wer wusste, wen sie noch alles töten würde und wo. Vielleicht sogar in Shelters Mountain.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2007-04-10T12:51:55+00:00 10.04.2007 14:51
Sehr schön geschrieben^^
und wieder ne Robert


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