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Angel School

von

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Kapitel 6

„Was fällt euch beiden eigentlich ein, mich so bloßzustellen?“, fragte meine Tante und jedes ihrer Worte war wie ein Peitschenhieb. „Micail – ich bin maßlos enttäuscht von dir. Denk’ an deinen Stand! Du bist Dienstbote – und genau so hast du dich auch zu benehmen. Und Kirya“, sie schnaubte, „für dich gilt genau dasselbe. Du hast dich gemäß deinem Stand zu benehmen und nicht so mit einem Dienstboten umzugehen. Was glaubt ihr zwei eigentlich, was ich mir anhören durfte?!“ Sie atmete tief durch. „Das Gespräch ist beendet. Die nächsten zwei Wochen möchte ich euch beide nicht zusammen sehen. Verschwindet!“ So etwas hatte ich bei weitem nicht erwartet. Ich hätte nicht gedacht, dass meine Tante so viel Wert auf diese kleinen Unterschiede legte. Meiner Meinung nach waren alle Menschen gleich, doch bei Annie schien immer noch die alte Adelsgesinnung wirksam zu sein. Also traf weder Micail noch mich irgendwelche Schuld. Doch am schlimmsten war für mich die Strafe – gerade nach diesem Abend konnte ich nicht mit Micail reden.

Unter diesen Umständen begann ich damit, mich um meine Schulsachen zu kümmern. Lillian hatte mir schon vor Wochen eine Liste erstellt, was ich alles brauchen würde. Annie half mir dabei – wider Erwarten – sehr gern. So fuhren wir noch einmal in die Stadt, um alles Nötige zu besorgen. Auch hatte meine Freundin mir erzählt, dass ich mir eine Schuluniform kaufen müsse. Nach einigem Suchen hatten meine Tante und ich das Geschäft dafür auch gefunden. Annie meinte, dass ich schon vorgehen solle, da sie noch etwas vergessen hatte. Es machte mir nichts aus und so ging ich hinein und war erstaunt: Das Innere des Ladens sah aus wie in einem Gemach einer mittelalterlichen Burg. Überall an den Wänden hingen Waffen, auf dem sauberen Parkett lag ein Bärenfell und auf den Schränken brannten große Kerzen. Ebenso überrascht war ich über den Verkäufer: Er war ein wahrer Riese mit breiten Schultern, großen Händen, langen – trotzdem gepflegten – Haaren und einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. „Guten Tag, wertes Fräulein. Was darf es denn sein?“, fragte er und schaute mich mit seinen fast stechenden eisblauen Augen an. Ich zögerte kurz und meinte dann eher kleinlaut: „Ich möchte eine Schuluniform kaufen.“ Der Verkäufer zog die Augenbrauen in die Höhe, sagte aber nichts. Dann ging er zu einer Tür hinter dem Tresen und rief jemanden herunter. Das war für mich die dritte Überraschung: Die Frau, die heraustrat, hätte mein Spiegelbild sein können. Ich glaube, genau dasselbe dachte sie auch, zumindest nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen. Gerade in diesem Augenblick betrat meine Tante den Laden. Sie erstarrte ebenfalls. Diese Situation war mir schon fast unheimlich. Die erste, die die Sprache wiederfand, war Annie. „Was macht ihr denn hier?“ „Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, konterte die Verkäuferin und trat ganz hinter dem Tresen hervor. „Vic? Machst du uns bitte Tee?“, fragte die Frau den Verkäufer, der daraufhin sofort im Hinterzimmer verschwand. „Möchtest du dich setzen, Schwester?“, fuhr sie fort. Ich war erstaunt, wie schnell sie die Zügel in die Hand nahm. Langsam kam auch mein Gehirn mit Denken hinterher und ich verstand auch, wen ich jetzt vor mir stehen hatte: Meine Mutter. Obwohl die Aufforderung nicht mir gegolten hatte, setzte ich mich mit den zwei Frauen auf ein bequemes Ledersofa, das in einer Ecke des Raumes stand. Bald kam auch der Verkäufer mit vier dampfenden Tassen Tee wieder und setzte sich neben meine Mutter. Diesmal war es Annie, die das Wort ergriff: „Das macht ihr also in eurer Freizeit. Ganz in meiner Nähe und ihr haltet es noch nicht einmal für nötig, einen Anstandsbesuch zu machen.“ Meine Mutter sah aus, als hätte sie gerade einen Schlag kassiert. Schließlich war Annie die Ältere von beiden. „Ist ja gut“, meinte sie und wendete sich schließlich mir zu. „Ich muss wirklich sagen, du bist eine schöne junge Frau geworden. Acht Jahre sind eine lange Zeit …“ Ich wäre am liebsten aufgesprungen und hätte sie angeschrieen, doch das hatte man mir im Kloster abgewöhnt. „Ihr hättet euch ja nach mir erkundigen können! Stattdessen lasst ihr mich so lange auf einer kleinen Klosterinsel leben, ohne dass ich weiß, ob es euch noch gibt oder nicht. Aber auf einmal werde ich aus diesem Leben auch wieder herausgerissen, so wie damals, als ihr mich dorthin gebracht habt. Wieder hat sich alles um mich herum verändert …“ Ich seufzte. „Warum nur?“ Ich wusste nicht, ob der Gesichtsausdruck meiner Mutter Wut oder Reue zeigen sollte. „Deine Mutter und ich hatten unsere Gründe, dich auf diese Insel zu bringen. Meinst du, uns ist es damals leicht gefallen, unser geliebtes Kind einfach allein zu lassen? Da täuschst du dich gewaltig. Doch es ging nicht anders“, meinte mein Vater über den Rand seiner Tasse hinweg. Ich konnte und wollte ihm nicht in die Augen schauen.

Überhastet sprang ich auf und rannte aus dem Laden. Diese wenigen Worte waren schon genug für mich gewesen. Ich rannte, bis ich schließlich nicht mehr wusste, wo ich war. Zu allem Überfluss begann es gerade auch noch wie aus Eimern zu regnen. Aus Trotz lief ich weiter, bis ich fast völlig durchnässt war und schon zu zittern begann. Jetzt reute mich meine Tat. Aber es war gut gewesen, so hatte ich doch wenigstens etwas nachdenken können. Das, was mein Vater gesagt hatte, stimmte. Ich sollte die ganze Sache nicht immer nur aus meinem Blickwinkel betrachten. Meine Eltern waren außerdem nicht so kaltblütig, zumindest soweit ich wusste und mich an meine Zeit mit ihnen erinnerte. Plötzlich zog mich jemand am Arm in eine Seitengasse. Ich wehrte mich nach Kräften und es gelang mir auch, meinem Angreifer einmal ins Gesicht zu schlagen. Daraufhin wurde sein Griff fester und er hob mich an, sodass meine Füße etwas über dem Boden schwebten. „So hat mich noch keine Frau geschlagen“, meinte er und erst jetzt bekam ich mit, dass es mein Vater war. „Entschuldige bitte“, entgegnete ich und er ließ mich wieder runter. „Wehe du machst das noch mal, Fräulein“, sagte er lächelnd. „Hier, nicht dass du dich erkältest. Hat man dir im Kloster nicht beigebracht, dass man bei Regen nicht unbedingt draußen herumrennen sollte?“ Er reichte mir einen Mantel, den ich schnell über meine Sachen zog. „Komm’, wir sollten zurückgehen.“ Er gab mir einen kleinen Schubs aus der Seitengasse heraus und zusammen gingen wir wieder zurück zum Laden. „Wie hast du mich gefunden?“, fragte ich ihn unterwegs und er lachte. „Tja, da gibt es einige Dinge zwischen Himmel und Erde, die man nicht erklären kann. Und diese Fähigkeit ist eine davon.“

Etwas später traten wir wieder durch die Tür des Geschäftes. Auf einmal musterte meine Mutter mich mit einer Aufmerksamkeit, die mir schon fast Angst machte. „Vic? Meinst du nicht auch, dass ihr dieser Mantel sehr gut steht?“, fragte sie meinen Vater schließlich. „Ja, der Meinung bin ich auch“, antwortete er und klopfte mir auf die Schulter. „Was ist mit diesem Mantel?!“, beschwerte ich mich. „Nichts“, bekam ich von beiden gleichzeitig als Antwort. Mit Freuden bemerkte ich auch, dass meine Mutter sofort zu Vic gerannt war und ihn gefragt hatte, was der rote Fleck in seinem Gesicht zu bedeuten hatte. „Ist dir nicht kalt?“, fragte mich Annie, die immer noch auf dem Sofa saß. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Es geht schon.“ Trotzdem bestanden alle anwesenden Erwachsenen darauf, dass ich mich umzog. „Kirya? Warst du nicht eigentlich wegen der Schuluniform hergekommen?“, fragte meine Mutter schließlich und ich nickte. „Gut, dann sollten wir uns langsam an die Arbeit machen. Ihr wollt doch sicherlich heute noch nach Hause.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mocca-shake
2007-05-08T18:23:11+00:00 08.05.2007 20:23
kann ich die tante auf den mond schießen???? *grrrr*
aber du bringst den "stand" von micail als dienstbote und ihr gut zur geltung ^^ schön geschrieben und flüssig!!!
*weiter so*
LG mia ^^


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