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Späte Erkenntnis

Endlich doch ein Happyend?
von

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Erster Teil

Späte Erkenntnis
 

Georgie saß gedankenverloren auf dem Sofa in ihrer Kabine und starrte mit leerem Blick durch eines der Bullaugen hinaus in die Dunkelheit. Ihre Hände waren unablässig mir ihrem goldenen Armreifen beschäftigt, und ihre Füße traten unruhig von einer Stelle auf die andere. Eigentlich war es längst Zeit gewesen, sich mit den anderen in den Salon zu begeben, um dort das Abendessen einzunehmen, aber wie sie es in letzter Zeit schon des öfteren getan hatte, war Georgie auf ihrem Zimmer geblieben. Seit sie vor drei Wochen die Rückreise aus England angetreten hatten, war sie immer häufiger in diese melancholische und doch irgendwie rastlose Stimmung verfallen. Sie isolierte sich dann meistens von Abel, Arthur und Maria, um in Ruhe nachdenken zu können.

Natürlich war es verständlich, daß sie nach all den vergangenen Geschehnissen einige Zeit brauchen würde, um sich wieder in ihr normales Leben zurück zu finden, doch trotzdem machten sich die anderen ein wenig Sorgen um sie. Immerhin war es ihr in London doch noch gut gegangen und nun würde man schließlich bald zu Hause in Australien sein.

Georgie verstand die Besorgnis der anderen, zumal sie ja selber nicht sagen konnte, was sie quälte. Irgend etwas tief in ihrem Herzen verursachte ihr Schmerzen, nicht physischer, sondern seelische Natur. Sie hatte nicht den blassesten Schimmer, woher diese Schmerzen rührten, alles was sie tun konnte, war sie zu beschreiben.

Sie kamen ganz urplötzlich, niemals zu einem bestimmten Zeitpunkt, und wenn sie erst einmal da waren, dann nagten sie an Georgies Seele wie ein sehnsüchtiger Wunsch, wie eine tiefe, unerfüllte Leidenschaft, ein brennendes Verlangen. Jedes Mal gab sie sich verzweifelt Mühe um zu ergründen, wonach diese Sehnsucht bestehen konnte, aber sie fand keine Erklärung. Sie kannte dieses Gefühl, oh ja, da war sie sich sicher. Irgendwann hatte sie diese seltsame Leere schon einmal verspürt, doch sie konnte sich nicht entsinnen wann und wo.

Als sie das erste Mal in diese Stimmung verfallen war, nachdem man den Anker hatte lichten lassen, war Georgie fest davon ausgegangen, daß die Sehnsucht nach ihrem Vater sie übermannt hatte. Immerhin waren die Gefühle erst auf hoher See gekommen und es wäre auch eine äußerst plausible Erklärung gewesen. Aber obwohl sie ihn in der kurzen Zeit sehr lieb gewonnen hatte, wußte Georgie, daß sie Earl Gerald nicht so sehr vermissen konnte, daß selbst der Gedanke an Australien sie nicht hätte aufzurichten vermocht. Sie liebte ihren Vater, doch sie wußte, daß er sie bald in ihrem zu Hause besuchen kommen würde, und im Gegensatz zu der Zeit, die sie bislang hatten getrennt leben müssen, waren so ein paar Monate doch beinahe wie ein Witz.

Irgendwann war ihr dann die Idee gekommen, daß es vielleicht an Lowell liegen konnte, weshalb sie sich so erbärmlich fühlte. Zuerst hatte sie versucht, diesen Gedanken zu verdrängen, aus Angst, es würde ihr das Herz zerreißen. Doch sehr schnell hatte sie eingesehen, daß dem nicht so war. Natürlich verband Georgie mit ihm viele schmerzliche Erinnerungen, aber sie taten nicht so weh, wie sie anfangs befürchtet hatte. Sie wußte ja, wie unmöglich ihr gemeinsames Leben geworden wäre, denn letztendlich hatte sie Lowells wahren Charakter doch noch bei Tageslicht gesehen. Er war nicht annähernd so liebevoll gewesen, wie sie sich das eingebildet hatte. Er war in diese Welt des hochnäsigen Adels hineingeboren, in der man ihm all seine Wünsche erfüllte. Er gehörte zu ihnen! Sie selbst war doch nicht mehr als ein Abenteuer für ihn gewesen.

Und trotzdem konnte sie Lowell nicht dafür hassen, was er ihr und ihrer ganzen Familie angetan hatte. Sie war bis zum letzten Moment in ihn verliebt gewesen, und wenn sie auf dem Fest ihres Vaters geweint hatte, dann nicht, weil sie ihn an Elise verloren, sondern er ihr sein wahres ich offenbart hatte. Und sie hatte geweint, weil sie erkennen mußte, wie blind sie die ganze Zeit über gewesen war was die vermeintliche Liebe zu Lowell betroffen hatte.

Trotz all der Dinge, die ihret- und Lowells wegen über ihre Familie hereingebrochen waren, konnte sie ihn nicht hassen. Sie empfand tiefes Mitleid, weil er sich am Ende doch zu einem Knecht des Geldes und des Adels hatte machen lassen.
 

"Wenn mir das alles so klar ist, warum fühle ich mich dann noch immer so fürchterlich leer und einsam? Ich liebe Lowell nicht mehr, das habe ich längst aufgegeben. Und ich weiß auch, daß nicht alles meine Schuld gewesen ist, das Schicksal..." sie biß sich auf die Unterlippe. Bevor diese komische Stimmung das erste Mal über Georgie gekommen war, hatte sie sich schreckliche Vorwürfe gemacht, daß all die schlimmen Dinge niemals passiert wären, wenn sie doch bloß auf ihre Mutter gehört hätte.

Es war Abel gewesen, der sie schließlich vom Gegenteil überzeugt hatte: "Es ist so gekommen, wie es kommen mußte, Georgie. Wären wir nicht nach England gereist, hättest Du niemals Deinen Vater gefunden und seine Unschuld beweisen können. Und wer weiß, vielleicht hätte Duke Dangering sogar sein Vorhaben in die Tat umgesetzt und hätte die Königin gestürzt. Und vielleicht wäre dann auch Maria mit in den Sog seiner üblen Machenschaften geraten und hätte ihr Lebensende im Kerker verbringen können, wenn man sie nicht sogar hingerichtet hätte!"

Das waren sein Worte gewesen und ein Schauer lief Georgie den Rücken hinunter, bei der Vorstellung, die arme kleine, unschuldige Maria hätte für die Taten ihres durchtriebenen Onkels büßen müssen. Abel hatte ihr hierüber die Augen geöffnet.

Sie fröstelte und schlang die Arme um ihre Beine. Jedesmal, wenn sich Georgie die Worte Abels ins Gedächtnis rief, verstärkte sich ihre innere Unruhe. In den letzten Tagen hatte sie oft stundenlang zusammen mit ihm an Deck gestanden und geredet, denn irgendwie hatte sie das Gefühl, daß er sie als einziger verstehen konnte. Und seit sie gemeinsam um Arthurs Leben gebangt hatten, verstand auch sie ihn viel besser. Sie hatte Abel vor Verzweiflung weinen sehen, ihre innigsten Gefühle mit ihm geteilt und war in gewisser Weise selbst ein Teil von ihm geworden.

Es mußte an ihm liegen, daß sie diese Sehnsucht verspürte. Sie wußte, daß er sie in viele geheime Dinge einweihte, aber da mußte noch etwas sein, eine Ungewißheit, die er ihr gegenüber noch nie offen ausgesprochen hatte. Georgie wollte wissen, was ihn quälte, wollte aus seinem Mund hören, was ihn bedrückte, denn sie war sich sicher, daß es das gleiche -war, was auch ihr Verlangen entfachte. Sie wollte alles mit ihm teilen, nie wieder ein Geheimnis vor ihm haben, weil sie hoffte, so die Schmerzen lindern zu können, die sie ihm einst zugefügt hatte. Sie fühlte sich seit London seltsam mit ihm verbunden, ganz anders als in ihrer Kindheit, und auch viel stärker, als sie es je bei Lowell gespürt hatte.
 

Ein leises Klopfen riß sie aus ihren Gedanken: "Georgie", ihre Kabinentür öffnete sich vorsichtig und Arthur schob den braunen Lockenkopf herein, "Du warst schon wieder nicht beim Essen, geht es Dir nicht gut?"

"Doch, natürlich", schnell sprang sie auf und versuchte, ein fröhliches Gesicht zu machen, "mein Magen scheint wohl nicht ganz in Ordnung zu sein, da wollte ich lieber kein Risiko eingehen. Lieb, daß Du Dir Sorgen machst, aber ansonsten geht es mir wirklich blendend!"

"Ganz sicher?" Arthur war nicht im mindesten überzeugt und versuchte auch gar nicht, einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken.

"Aber sicher, kleiner Dummkopf", Georgie lachte leichtfertig und drückte ihrem Bruder einen Kuß auf die Stirn, "weißt Du was? Ich werde jetzt noch einmal kurz an Deck gehen um ein bißchen frische Luft zu schnappen und komme dann zu Euch in den Salon, einverstanden?"

Arthur blickte noch immer ein wenig skeptisch drein, doch irgendwie schaffte Georgie es, ihn davon zu überzeugen, daß es ihr gut ging. Er machte sich zurück auf den Weg zum Salon, während sie sich ein Tuch um die Schultern warf und an Deck ging. Draußen schlug ihr eine kalte und salzige Brise entgegen. Fest schloß sie die Augen und atmete tief durch, damit jeder Zentimeter ihres Körpers von dieser würzigen Luft erfüllt wurde. Der Himmel war sternenklar und das Meer schimmerte wie ein Teppich aus gewebtem Silber. Georgie stellte mit Erleichterung fest, daß sie wohl die einzige Person an Deck war. In den Bereichen, die für die Passagiere zugängig waren, hielten sich nur sehr selten und nachts eigentlich nie Matrosen auf, und die anderen Reisenden genossen anscheinend lieber die Wärme im Schiffsinneren. Georgie tat einige vorsichtige Schritte in Richtung Reling, doch als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatte, bemerkte sie, daß sie doch nicht alleine war auf ihrem spätabendlichen Spaziergang. Weiter vorne, in der Nähe des Hauptmastes stand eine hochgewachsene Gestalt, die in einen blauen Mantel gehüllt war.

Georgie überlegte zuerst, diese Person zu ignorieren, doch etwas an ihrer Körperhaltung machte sie stutzig. Leise trat sie ein paar Schritte näher und erkannte schließlich die dunkelbraunen Haare, durch die der Wind strich und die ein gutaussehendes, männliches Gesicht umrahmten.

Georgies Herz machte einen kleinen Hüpfer und Blut schoß ihr in die Wangen. Freudestrahlend eilte sie zu der Person hinüber: "Abel, was tust Du denn hier draußen?" rief sie, bevor sie ganz bei ihm war und er drehte sich zu ihr herum; seine düster dreinblickende Miene wurde wie von einem Sonnenstrahl erhellt: "Gerogie!" er streckte eine Hand nach Georgies Arm aus und zog sie zärtlich an sich: "Ich habe Dich beim Essen vermißt!" seine liebevolle Stimme und die Wärme seiner Umarmung ließen Georgies Herz schneller schlagen, doch äußerlich ließ sie sich nichts anmerken.

"Ach, ich hatte einfach keinen Hunger, weißt Du..."

Abel legte ihr die Hände auf die Schultern und hielt sie ein wenig auf Abstand, damit er ihr genau in die Augen blicken konnte: "Ist das auch wirklich die Wahrheit? Du ißt in letzter Zeit immer seltener und ich habe dieses unbestimmte Gefühl, daß Dich etwas bedrückt!"

Schnell wandte sich Georgie von ihm ab, denn sie konnte seinen besorgten Blick nicht ertragen. Sicher, sie hatte gewußt, daß sie vor ihm nichts verheimlichen konnte, nicht so gut, wie er vor ihr. Und trotzdem wollte sie ihn nicht mit ihren Sorgen belasten: "Danke, aber mir geht es wirklich gut, glaub mir!"

"Georgie", wieder spürte sie Abels Hände auf ihren Schultern, "Du weißt, daß Du vor mir nichts verbergen kannst. Ich weiß, daß Dich irgend etwas bedrückt und es macht mich ehrlich gesagt sehr traurig, daß Du es mir nicht erzählen willst. Du weißt doch, daß Du mit all Deinen Sorgen zu mir kommen kannst!"

Das Blut in Georgies Adern begann zu kochen und erhitzte ihren Körper. Warum wurde dieses Gefühl nur immer so schrecklich unkontrollierbar, wenn Abel in der Nähe war? Sie war doch früher in seiner Gegenwart nicht so unsicher gewesen, aber sie hatte ja auch noch nie so sehr seine Nähe gesucht, wie nach den Abenteuern in England. Manchmal überkam sie der sehnliche Wunsch, sich einfach fest an ihn zu drücken, um die ganze Welt um sich herum zu vergessen.

Ähnlich erging es ihr jetzt, doch sie versuchte, ihre Sehnsucht nach seiner Wärme zu unterdrücken: "Ich weiß, daß Du für mich da bist, aber ich weiß nicht so ganz genau, was mir eigentlich fehlt..."

"Wenn Du herausfinden solltest, was Dich bewegt, dann sag es mir, denn ich würde alles tun, um Dich wieder glücklich zu sehen!"

Dankbar lächelnd strich Georgie durch Abels Haar: "Ich bin doch glücklich! Wenn ich nur hier mit Dir stehen und von zu Hause träumen kann!"

Einen Augenblick starrte Abel sie überrascht an und ließ seinen Blick dann wieder hinaus über die Reling schweifen: "Ja, von zu Hause. Bald sind wir wieder in Australien, Georgie, wir alle zusammen."

"Deshalb warst Du hier draußen, nicht wahr", sie schmiegte sich sanft an seine rechte Schulter, "Du hast über Australien nachgedacht, nicht wahr."

"Es ist erstaunlich, wie gut Du mich doch kennst, obwohl wir uns doch in den letzten zwei Jahren kaum gesehen haben."

"Das ist richtig", nickte Georgie versonnen, "aber ich habe das Gefühl, in den letzten Wochen mehr über Dich gelernt zu haben, als in all den Jahren zuvor!" vor ihrem geistigen Auge manifestierte sich wieder das Bild von Abel, der sich weinend und hilfesuchend an sie geklammert hatte.

"Das liegt wohl daran, daß die Geschehnisse uns alle verändert haben... wir sind erwachsen geworden, Georgie. Viele von unseren Träumen sind geplatzt wie Seifenblasen und andere sind dafür entstanden..."

Georgie nickte, denn sie glaubte, Abels Gedanken verstehen zu können. Auch sie hatte sich in der Vergangenheit geändert. Ihre Liebe zu Lowell war erloschen wie eine schwache Kerze im Wind und an ihre Stelle war dieses seltsame Gefühl gerückt, das sie immer dann verspürte, wenn sie in Abels Nähe war. Das Traumschloß mit Lowell hatte sich zurück in ihre alte Farm verwandelt, die man mit gemeinsamer Kraft wieder aufbauen wollte.

Doch plötzlich fiel Georgie etwas erschreckendes ein: "Abel... wenn wir wieder zu Hause sind, wirst Du dann auch bei uns bleiben?"

Verwirrt dreht sich Abel zu ihr herum.

"Na, ja, ich meine, Dein Traum ist es doch immer gewesen, Seemann zu sein, oder nicht?" Angst lag in ihrer Stimme, die Abel lächeln ließ: "Ach, Georgie, glaubst Du denn tatsächlich, ich wäre noch ein zweites Mal in See gestochen, wenn ich nicht geschworen hätte, Dich zurück zu holen..." Georgies Augen begannen vor Freude zu leuchten, "als ich Australien das erste Mal verlassen habe, hatte ich es gar nicht erwarten können, andere Länder zu erkunden. Doch kaum, daß ich einen Tag auf See verbracht hatte, wäre ich auch schon beinahe vor Heimweh gestorben."

"Das heißt, Du wirst nicht wieder fortgehen?"

"Nein, ich werde bei Euch bleiben und helfen, die Farm wieder aufzubauen. Zu viert werden wir das doch wohl schaffen, meinst Du nicht auch?"

Georgie konnte ihre Gefühle einfach nicht mehr länger unterdrücken. Mit einem herzzerreißenden Schluchzen warf sie sich an Abels Brust und klammerte sich fest in seinen Umhang: "Ich bin so froh, daß Du das sagst, Abel!"

Er schloß seine Arme um ihren Oberkörper und drückte sie fest an sich: "Egal, was auch kommen wird, gemeinsam werden wir alle Hürden bezwingen..." er trat einen Schritt zurück und hob ihr Kinn sanft mit der Spitze seines linken Zeigefingers nach oben, "und jetzt gehen wir zurück zu den anderen, bevor sie noch eine Vermißtenmeldung aufgeben!"

Wortlos wischte sich Georgie die Tränen fort und nickte mit einem zaghaften Lächeln als sie sich bei Abel einhakte und zurück unter Deck führen ließ.
 

"Endlich, Australien... wir sind zu Hause!" mit einem verzückten Lächeln sprang Georgie von der Gangway und drehte sich wie ein Wirbelwind immer wieder um die eigene Achse.

"Hör lieber auf mit dem Blödsinn, sonst wird Dir schwindelig oder Du fällst in Ohnmacht, bevor wir tatsächlich zu Hause sind!" Abels Worte hatten zwar ermahnend klingen sollen, doch an seinem Gesichtsausdruck war nur zu deutlich zu erkennen, daß er sich ebenso wie Georgie freute, endlich wieder australischen Boden unter den Füßen zu haben. Gleich hinter Abel drängte sich Maria von Bord, die zwar noch etwas verängstigt, aber mindestens genauso interessiert ihre neue Umgebung musterte. Sie war nie zuvor in Australien gewesen und konnte sich verständlicher Weise nicht satt sehen an all den Dingen, die ihr ihre -neue Heimat entgegen brachte.

Arthur bemerkte ihre aufgewühlten Gefühle und legte ihr beruhigend einen Arm um die Schultern: "Keine Sorge, Maria, Dir wird es hier ganz bestimmt gefallen!"

Ein wenig zögerlich schmiegte sie sich an seinen Arm und ihren Augen stand geschrieben, daß sie sich wohl überall zu Hause fühlen würde, solange nur Arthur bei ihr war.

"Oh, wie wundervoll, ich könnte die ganze Welt umarmen", Georgie hatte endlich aufgehört, sich zu drehen und ergriff überschwenglich Abels Hände, "danke, daß Du mich hierher zurück gebracht hast, ohne Dich säße ich jetzt bestimmt noch immer in England!" ungestüm wollte sie wieder anfangen herumzutoben, doch Abel bekam sie an den Handgelenken zu fassen: "Und wenn Du Dich jetzt nicht gleich wie eine junge Dame verhältst, setzte ich Dich gleich wieder aufs Schiff und schicke Dich dorthin zurück, damit man Dir noch ein paar Manieren beibringen kann!" seine Augen strahlten, denn es machte ihn froh, Georgie endlich wieder herzhaft lachen zu sehen.

"Natürlich, mein Herr, wo habe ich bloß meine Erziehung gelassen?" würdevoll hakte sie sich bei ihm unter und ließ sich, gefolgt von Arthur und Maria vom Schiff weggeleiten.

Als allererstes würde man wohl einen Wagen organisieren müssen, um das Gepäck nach Hause transportieren zu können. Dieses stellte sich als äußerst schwieriges Unterfangen heraus, denn selbstverständlich waren sie nicht die einzigen Passagiere, die hier im Hafen das Schiff verlassen hatten und nun nach einer Mitfahrgelegenheit suchten. Der Pier wimmelte nur so von Menschen, die schreiend aufeinander zuliefen, sich stürmisch in die Arme fielen oder einander auch ein bißchen weniger herzlich begrüßten, doch weit und breit schien es keinen Pferdespanner zu geben, der nicht schon mit Reisenden und deren Gepäck belegt war.

Frustriert ließ sich Georgie eine Locke ihres blonden Haares aus der Stirn und ließ mißmutig ihre kleine Handtasche zu Boden fallen: "Wenn das so weitergeht, kommen wir erst zu Hause an, wenn es schon dunkel ist!"

Abel knuffte ihr verschmitzt in die Seite: "Na, na, wer wird denn so schnell aufgeben? Eben warst Du doch noch die Fröhlichkeit in Person!"

Noch bevor Georgie die spitze Antwort aussprechen konnte, die ihr gerade in den Sinn gekommen war, stieß Arthur plötzlich einen kleinen Freudenschrei aus: "Schaut mal", rief er vergnügt und begann mit den Armen zu rudern, "dort drüben ist Onkel Kevin!" er wies auf einen kleinen Einspänner, der nicht weit von ihnen vor einem Geschäft stand. Und tatsächlich, der alte Mann, der dort auf dem Kutschbock saß und ihnen fröhlich zuwinkte war unverkennbar Onkel Kevin.

"Jippieh..." Georgie rannte wie von einer Schlange gebissen los, dicht gefolgt von Junior, der nun auch sein Herrchen erkannt zu haben schien. Kaum das Kevin vom Kutschbock herunter geklettert war, lag Georgie ihm auch schon mit Tränen in den Augen in den Armen und drückte ihn fest an sich: "Onkel Kevin, was machst Du denn hier?" sie wollte ihr Glück gar nicht so recht fassen.

"Ach, kleine Georgie", auch Kevins Augen begannen vor lauter Wiedersehensfreude leicht zu schimmern, "glaubst Du, ich lasse es mir nehmen, Euch persönlich abzuholen, wenn Ihr nach so langer Zeit endlich wieder Heim kommt!"

"Ja, jetzt weiß ich, daß ich wirklich wieder daheim bin", verlegen wischte sich Georgie ihre Tränen fort und tätschelte Juniors Kopf, der schwanzwedelnd vor seinem Herrchen stand, "aber wie um alles in der Welt konntest Du nur wissen, daß wir heute ankommen?"

"Weil ich ihm ein paar Tage vor unserer Abreise einen Brief geschrieben habe!" ertönte Abels Stimme hinter ihr, denn nun war auch der Rest der kleinen Gruppe beim Wagen eingetroffen.

"Abel, Arthur, ich bin so froh, Euch beide gesund und munter wieder zu sehen!" Kevin drückte beiden herzlich die Hand und betrachtete sie dann mit prüfendem Blick: "Und wie erwachsen Ihr drei geworden seid! Meine Güte, aus Georgie ist eine richtige Lady geworden, und Ihr zwei seid ganz das Abbild Eures Vaters!"

"Laß Dich da bloß nicht täuschen", lachte Abel laut auf und fuhr durch Georgies Haare, "sie mag zwar wie eine Lady aussehen, benimmt sich aber immer noch genauso ungestüm wie der Wildfang von damals!"

Pikiert steckte sie ihm die Zunge heraus und mußte dann aber selber grinsen. Er hatte ja schließlich recht, Georgie war einfach nicht für das Leben in feiner Gesellschaft geboren worden. Sie gehörte hierher, wo sie frei sein und tun und lassen konnte, was sie wollte.

In einem Punkt, so dachte sie und schaute grübelnd zwischen den beiden Jungen hin und her, irrte Kevin jedoch. Sie waren zwar beide erwachsener geworden, aber im Gegensatz zu Abel war Arthur eher unscheinbar geblieben und hatte nicht sehr viel mit seinem Vater gemein. Abel hingegen war Mr. Buttman wie aus dem Gesicht geschnitten, nur daß Georgie fand, daß Abel eigentlich sogar noch stattlicher aussah.

"Wir sind Dir sehr dankbar, daß Du extra hergekommen bist, um uns abzuholen. Ich muß gestehen, daß ich mir einen kurzen Moment lang doch Sorgen gemacht habe, wie ich die beiden Damen wohlbehalten nach Hause schaffen sollte!" Abel übernahm wie selbstverständlich das Reden, was nun auch Kevin wohlwollend zur Kenntnis nahm. Dieses Verhalten zeigte ganz deutlich, daß aus dem jungen Heißsporn von damals ein verantwortungsbewußter Mann geworden war, aber für Georgie bedeutete es noch weitaus mehr.

Für sie verkörperte Abel das neue Familienoberhaupt und gab ihr damit ein unbeschreiblich großes Gefühl von Sicherheit. Und zu sehen, wie glücklich Abel sich anscheinend in seiner neuen Rolle fühlte, erfüllte sie nur noch mehr mit Freude und Stolz.

"Das ist doch selbstverständlich, Abel", murmelte Kevin verlegen und schielte an Georgie vorbei zu Maria, "ich hätte nur nicht erwartet, neben Georgie noch ein weiteres Fräulein in Eurer Gesellschaft zu sehen!"

Arthur zog Maria mit hochrotem Kopf an seine Seite und verkündete dann etwas zittrig aber überzeugt: "Onkel Kevin, das ist meine Verlobte, Maria Dangering!"

Und hätte er sie als die Königin von England vorgestellt, Kevins Gesicht hätte nicht verdutzter aussehen können. Mit aufgerissenem Mund starrte er abwechselnd Arthur und Maria an, während Georgie sich ein leichtes Kichern verkneifen mußte: "Dein Verlobte. Meine Güte, das ist ja... Da fährt der Junge mal so eben nach England und verlobt sich, also diese Jugend... Aber was rede ich denn da... Ich freue mich natürlich für Dich, mein Junge, und wünsche Euch beiden alles Gute..."

Maria errötete und ergriff verlegen die Hand, die Kevin ihr reichte: "Vielen Dank, sie sind zu freundlich, Mister..."

"Papperlapapp", wischte er ihren Ansatz mit einer Bewegung fort, "ich bin schlicht und einfach Onkel Kevin. Von diesen drei Rabauken hier bin ich nichts anderes gewohnt und ich muß gestehen, daß es mir in meinem Alter äußerst schwer fällt, mich an neue Dinge zu gewöhnen!" er schenkte Maria eines seiner schiefen Grinsen, was das Eis zum schmelzen brachte.

"Also gut, Onkel Kevin!"

"Jetzt ist aber Schluß mit dem Gerede", Georgie kletterte behende wie eine Katze auf den Kutschbock und ergriff die Zügel, "ich will endlich nach Hause, sonst platze ich noch!" bevor sie es sich jedoch auf ihrem Sitz bequem machen konnte, war Abel auch schon neben ihr und nahm ihr die Zügel bestimmend wieder ab: "Das ist nichts für eine junge Lady, wenn Du erlaubst, fahre ich!"

"Und wenn Du erlaubst", Kevin stemmte die Arme in die Hüften und blinzelte die beiden grimmig an, "ist das immer noch meine Kutsche. Seht also zu, daß Ihr Euch dort oben runter bewegt. Ladet gefälligst das Gepäck auf und verschwindet nach hinten, bevor ich Euch zwei hier lasse und Ihr nach Hause laufen dürft!"

Abel und Georgie warfen sich einen verstohlenen Blick zu, dann sprang er auf die Straße und half ihr galant beim Absteigen. Das Kleid, das ihr Vater Georgie für die Reise geschenkt hatte, war zwar wunderschön, aber nicht unbedingt für Kletterpartien gemacht. In Windeseile verluden die beiden Jungen das Gepäck und machten es sich dann zusammen mit Georgie und Maria auf der Ladefläche bequem.

"Wir sind fertig, Onkel Kevin, es kann losgehen!" als ob die Stute diese Aufforderung verstanden hatte, setzte sie sich mit einem Ruck in Bewegung und trottete gemütlich in Richtung Hauptstraße los.

Während der ganzen Fahrt sprachen die Mädchen kaum ein Wort. Sie saugten begierig die vorbeiziehenden Bilder in sich auf, genossen die warmen Sonnenstrahlen, die ihnen ins Gesicht schienen und bestaunten die wunderschöne Landschaft Australiens. Nach den kalten, nebelverhangenen Gassen von London fühlte sich Georgie wie ein Vogel, den man endlich aus seinem Käfig gelassen hatte und der nun wieder seine Freiheit genießen konnte. Nicht anders ging es Maria. Sie war nie zuvor in Australien gewesen, hatte kaum etwas anderes als das verregnete England gesehen, und kam nun aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Ständig löcherte sie Georgie mit Fragen über seltsame Pflanzen und Blumen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, oder ließ sich etwas über die Tiere in den Wäldern und am Wegrand erzählen.

Abel und Arthur unterhielten sich in der Zwischenzeit mit Kevin über die Farm und die Dinge, die in ihrer Abwesenheit passiert waren. Kevin hatte sich wie versprochen um den Hof gekümmert, die Felder bestellt und die Tiere versorgt, aber natürlich wies er die beiden darauf hin, daß sie nicht zuviel erwarten durften: "Ich bin ein alter Mann geworden, wißt Ihr. Es ist schon anstrengend genug, meine eigene Farm in Schuß zu halten. Ich konnte nicht verhindern, daß der Hof langsam heruntergekommen ist, Ihr werdet eine Menge Arbeit hineinstecken müssen..."

"Natürlich, Onkel Kevin. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie zutiefst dankbar wir alle Dir sind, für das, was Du getan hast. Unseretwegen hattest Du soviel Mühe und Ärger, daß wir es glaube ich nie wieder gut machen können!"

"Ach, Junge..." gerührt blickte Kevin zur Seite.

"Aber ab jetzt werden wir uns wieder um alles kümmern können und die Buttman-Farm wird wieder genauso sein, wie früher! Und wenn es noch so viele Ausbesserungsarbeiten gibt, wir werden sie schon in Angriff nehmen!" Abels Tonfall ließ keine Zweifel daran, daß er sich genau auf diese Aufgaben schon maßlos freute. Sie würden ihr Heim mit eigener Kraft wieder aufbauen, es im alten Glanz erstrahlen lassen und dort ein glückliches Leben führen.

"Seht nur, dort ist es!" unterbrachen Georgies aufgeregte Worte seinen Gedankengang. Sie war aufgesprungen und klammerte sich mit einer Hand an der Rücklehne des Kutschbocks fest, während sie mit der anderen auf eine Gruppe von drei kleinen Häusern zeigte, die nach und nach am Horizont auftauchten.

"Wirklich?" Arthur erhob sich ebenfalls und schützte seine Augen mit der rechten Hand gegen die Sonnenstrahlen, um besser schauen zu können: "Tatsächlich, da ist sie. Unsere Farm... gleich sind wir zu Hause!"

"Oh, Onkel Kevin", bettelte Georgie aufgeregt, "können wir nicht ein kleines bißchen schneller fahren?" hibbelig trat sie von einem Fuß auf den anderen.

"Nein, tut mir leid", lachte Kevin amüsiert, "mein Pferd ist genau wie ich nicht mehr das allerjüngste und ich fürchte, bei so einer Last wird es ein größeres Tempo nicht überleben!"

Abel sah, wie sich große Enttäuschung auf Georgies Gesicht ausbreitete: "Weißt Du was", er ergriff voller Tatendrang eine ihrer Hände, "wir laufen einfach schon mal voraus!" plötzlich war alle Vernunft von eben verschwunden und eine riesige kindliche Übermacht nahm von ihm Besitz.

"Au fein", jubelte Georgie, schnürte sich schnell ihre Stiefel auf und streifte sie samt Socken von den Füßen, "wie lange mußte ich darauf warten, endlich wieder barfuß laufen zu können!"

Diese Idee schien Abel wohl zu gefallen, denn er entledigte sich ebenfalls seines Schuhwerks und bat Kevin dann kurz den Wagen anzuhalten, damit er und Georgie absteigen konnten.

"Wir sehen uns dann zu Hause!" sie verhakte ihre Finger mit denen von Abel und stob mit einem lauten Jauchzen den Hügel hinunter.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  DarcAngel
2004-11-07T17:36:04+00:00 07.11.2004 18:36
oh wow
die ff war einsame spitzenklasse! mir standen teilweise echt die tränen in den Augen! du hast echt super geschrieben und so gefühlvoll... die gefühle und szenen sind echt toll beschrieben und du hast es echt perfekt zustande bekommen, die Welt zu beschreiben, man fühlte sich förmlich anwesend!!!!
ich bin sprachlos
besonders beeindruckt bin ich davon, dass ich normalerweise das Pairing GeorgiexArthur viel lieber mag, aber dein Schreibstil und die Storyline waren so genial, dass AbelxGeorgei perfekt zusammen zu passen zu schienen! Einfach super - kompliment!

ich fänds echt megasupertoll... wenn du noch ne Georgie-FF schreiben würdest!!!!!
Könntest du mir dann bescheid geben?

ciao mfg, hoffentlich bis irgendwann Darc Angel
Von: abgemeldet
2004-10-28T14:42:17+00:00 28.10.2004 16:42
Ich muss dir ganz ehrlich sagen, dass ich wahrscheinlich noch nie eine so gefühlvolle FF gelesen habe. Du hast die Gefühle so schön rübergebracht und jedes mal, wenn Abel und Georgie sich näherkamen, hab ich mitgefiebert, und als dann diese Sindy kam, war ich mindestens ebenso sauer, wie Georgie. Wenn das mal nicht darauf schließen lässt, dass du einfach einen klasse Schreibstil hast!
Ich würde mich sehr freuen, bald weitere Geschichten von dir lesen zu können!!
LG, Sarah-Li
Von: abgemeldet
2004-06-01T14:45:16+00:00 01.06.2004 16:45
Hey Deed^^

Dein schreibstil is wunderbar .. ich war vom ersten moment an von deiner FF begeistert und konnte nich aufhören zu lesen ..^^
mach weiter so ..
Von: abgemeldet
2001-09-17T05:07:40+00:00 17.09.2001 07:07
Hy Süße!
Hab deine Fanfic jetzt mal gelesen und bin wie von allen deinen Fanfics hellauf begeistert! Ich weiß ebenfalls nicht, was du noch verbessern willst, du bist schon nahezu perfekt! Deine Fanfics sind einfach der Wahnsinn, du bist besser als mancher Autor und ich bin wirklich dein größter Fan!
Hab dich lieb, ChiakisGirl
Von: abgemeldet
2001-09-02T16:07:20+00:00 02.09.2001 18:07
Ach, Yayoichen, wenn ich Dich nicht hätte... Bist einfach die Beste!

Hab Dich lieb, Deedo
Von:  Yayoi
2001-09-02T07:31:07+00:00 02.09.2001 09:31
Hey Deed,
Dein Schreibstil ist ausgezeichnet, ich wüßte wirklich nicht, was es daran zu verbessern gibt!? Du verstehst es wirklich ausgezeichnet, die Charaktere einzufangen und wirklich lebendig auf's Papier bzw. eher Computer zu bringen. Weiter so - bin schon gespannt, wie's weitergeht!
** Yayoi **
Von: abgemeldet
2001-09-02T07:23:36+00:00 02.09.2001 09:23
Bitte hinterlaßt mir Eure Kommentare, wenn Ihr die Story gelesen habt. Die helfen mir weiter, um meinen Schreibstil zu verbessern!

Danke, Deedo!


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