Zum Inhalt der Seite

Strange Relationship

From a different point of view
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das Meer, die Sonne und die Wahrheit

Yay! Mein Lieblingskapitel. Komplett an einem Stück geschrieben. Das Beste und das Schwierigste bis dahin.

Musik (wichtig): Pink Floyd, Bad Religion, Manic Street Preachers(kennt die wer?)

Achtung: Dieses Kapitel ist nicht Korrektur gelesen... war zu faul
 

Er erwachte von einem Gefühl, was es genau war, konnte er nicht sagen. Sein Kopf und einige andere Körperteile schmerzten. Ein warmer Luftzug traf sein Gesicht und er hörte ganz nah das Meer rauschen. Dieses Geräusch zauberte ein breites Lächeln auf Chris´ Gesicht. Er wusste wo er war und eine tiefe Ruhe hatte seine Seele ergriffen. Aber da war dieses Gefühl, das ihn geweckt hatte. Was war es? Er öffnete die Augen und es dauerte ein bisschen, bis der Raum gerade stand. Niemand war da, aber auf dem Nachtschrank lag ein Zettel. „Hey, du Schlafmütze! Hoffe es geht dir gut und du hast keinen Kater :) Musste kurz weg, dauert aber nicht lange. Fühl dich wie zu Hause. Hab dich lieb. Rico“ Es war schwierig die Schrift zu entziffern, die Nachricht war wohl schnell und ohne Tisch untendrunter geschrieben worden. Daneben stand ein Glas Wasser und eine Packung Kopfschmerztabletten, die fast leer war. Aus lauter Vorsicht hatte Rico die restlichen Medikamente mitgenommen und nur zwei Tabletten in der Packung gelassen. Chris versuchte sich aufzusetzen, wurde aber von dem fiesen Schmerz in seinem misshandelten Hinterteil daran gehindert. Er lag wieder auf dem Bett, starrte an die Decke und hörte dem Meer bei seinem endlosen Rauschen zu. Er wusste jetzt, was er tun wollte. Unter großer Anstrengung stand der junge Mann auf und begab sich ins Badezimmer.
 

Rico kam zur Tür rein und wusste direkt, dass keiner da war. Es war so ein Gefühl, das ihn immer überkam, wenn er ein leeres Haus betrat. Er sah in alle Räume der unteren Etage und entdeckte tatsächlich keine Menschenseele. Der Keller lag auch dunkel und verlassen da. Oben standen einige Türen offen. Er klopfte bei Kelly June, bekam aber keine Antwort. Die wollte eh erst morgen zurückkommen. Die anderen Zimmer waren auch nicht bewohnt. Aber wo war Chris? Auf dem Nachtschrank lag sein Zettel noch, aber eine kurze Nachricht war unter die erste geschrieben worden. „Hi! Bin am Meer. Chris“ Am Meer, aha. Aber Chris konnte überhaupt nicht schwimmen und Alex hatte mal erzählt, dass er totale Panik vor dem Meer hatte. Rico wunderte sich und bekam es dann mit der Angst zu tun. Er hätte ihn nicht allein lassen dürfen! So schnell er konnte lief der Mann aus dem Haus und die wenigen Meter zum Strand, wo er Fußspuren entdeckte, die direkt auf das Wasser zuführten. Nur eine Person war dort gegangen. Es musste Chris gewesen sein. Er folgte den Spuren, bis sie das Wasser erreichten und dort versandeten. Er suchte die komplette Wasserfläche mit den Augen ab und rief so laut er konnte nach dem Vermissten. Er lief am Wasser entlang, in der Hoffnung, irgendwo weitere Fußabdrücke zu finden, die wieder nach oben führten, wurde aber enttäuscht. Verzweiflung machte sich in ihm breit und zog sein Herz zusammen. Er hatte ihn allein gelassen und jetzt war Chris weg und trieb irgendwo tot im Meer herum. Rico stolperte und fiel in den Sand. Tränen der Verzweiflung und Hilflosigkeit ließen sein Sichtfeld zu einem Farbenmeer verschwimmen. Er stand auf und lief weiter. Die Sonne senkte sich zur Wasseroberfläche um darin zu verschwinden und das Land in Dunkelheit zurückzulassen. Da sah er ihn. Auf einem Felsen, der zwei Meter über dem Wasser ins Meer ragte und kaum mit dem Land verbunden war saß Chris und sah der Sonne beim Versinken zu. Ein Stein, der doppelt so groß war wie dieser Felsen, fiel von Rico´s Herz und wurde von der Brandung weggewaschen. Er ging weiter und kletterte zu Chris hoch. Der bemerkte ihn erst als er sich neben ihm niederließ und anfing zu sprechen.

„Was machst du hier?“

„Gucken. Warum bist du so besorgt?“

„Ich weiß, dass du nicht schwimmen kannst. Wie schaffst du es auf diesen Steinen zu sitzen? Das ist voll unbequem“

„Ignorier es einfach und genieß den Augenblick. Ich hab mir ein Kissen mitgebracht“

Beide mussten grinsen und sahen der Sonne zu. Die Ruhe und Schönheit eines Sonnenuntergangs war Rico schon lange nicht mehr so aufgefallen wie heute. Man sah es irgendwann als selbstverständlich an, wenn man es jeden Tag sehen konnte und vergaß, wie schön es war. Das war bei vielen Sachen so, aber vor allem bei Sonnenuntergängen... und Beziehungen. Irgendwann wurde es normal und man hörte auf zu schätzen, was man hatte. Eine Berührung riss ihn aus seinen Gedanken. Chris war näher gerückt, lehnte sich an ihn und legte den Kopf auf seine Schulter. Rico legte einen Arm um den schmalen Körper. So saßen sie da im Glanz der Abendsonne. Jeder, der vorbeiging hätte sie für ein ganz normales Pärchen gehalten (vor allem, weil Chris von hinten aussah wie ein Mädchen). Nachdem die Sonne verschwunden war, kam ein rauer Wind auf und veranlasste die Beiden ihren Sitzplatz bald zu verlassen und es sich in Rico´s Wohnzimmer gemütlich zu machen. Eng umschlungen saßen sie auf der Couch, der beruhigende Effekt des Sonnenuntergangs hing noch in ihren Seelen nach. „Rico, sag mal, was läuft eigentlich zwischen dir und Alex?“, fragte Chris vorsichtig. Er wollte das schon die ganze Zeit wissen. „Ich würde es als tiefe Freundschaft und ab und zu ein bisschen mehr beschreiben. Allerdings hat komischerweise er damit angefangen. Hätte ich nie von deinem Bruder gedacht“, antwortete Rico und erinnerte sich, wie es dazu gekommen war. „Ich auch nicht. Erzähl mir davon, er wollte nie was drüber sagen“ Chris war neugierig und, wie er sich eingestehen musste, auch ein bisschen eifersüchtig. „Wir waren sozusagen gestrandet, draußen im Meer auf einem Felsen. Auf einmal hat er angefangen... na ja, mich anzumachen. Er dachte, wir würden sterben und wollte seine letzten Stunden unbedingt genießen. Ich wollte nicht, weil ich mir sicher war, dass wir das nachher bereuen würden, wenn wir wieder daheim waren. Wir wurden gerettet und ich dachte, damit wäre die Sache vorbei. Eine Woche später stand er auf der Tür und ist fast über mich hergefallen. Da wusste ich, dass er es ernst meinte und hab mich drauf eingelassen. Und mal so ganz unter uns, dein Bruder ist in dieser Angelegenheit nicht so zurückhaltend wie sonst. Eine richtig geile Sau, kann ich dir sagen“ Rico grinste zweideutig und man konnte sehen, woran er grade dachte. Chris kicherte. „Danke für diese schockierenden Enthüllungen“, sagte er und lehnte sich wieder an den Anderen. Sie saßen da, bis es um sie herum stockdunkel war. Keiner sprach und zwischendurch fielen ihnen immer wieder die Augen zu. „Wir sollten ins Bett gehen“, murmelte Rico schläfrig. Er spürte den Schlafentzug der vergangenen Tage jetzt deutlich. Chris gab ein zustimmendes Geräusch von sich, er war auch schon wieder müde, konnte sich aber nicht erklären, wieso. Sie gingen die Treppe hoch und fielen ins Bett. Rico war sofort eingeschlafen und Chris nutzte die Gelegenheit um Licht anzumachen und ihn mal richtig anzusehen und ihn nach und nach von seinen Klamotten zu befreien. Als der Ältere fast vollkommen nackt vor ihm lag, wurde er noch eifersüchtiger auf seinen Bruder, der diesen Körper haben konnte, wann immer er wollte. Rico war sicher nicht perfekt, aber gerade das machte ihn aus. Er war muskulös und man konnte sehen, dass er ziemlich viel Zeit auf einem Surfboard in der Sonne verbrachte. Sein Körper wies einige Narben auf, vor allem an den Unterarmen und den Handgelenken, die von Rasierklingen stammten, aber auch andere von Unfällen und Schlägereien. Besonders eine an seinem linken Schlüsselbein zog Chris´ Aufmerksamkeit an. Es war eine Brandverletzung, die irgendwie aussah wie ein Stern und die wohl schon lange da war. Trotzdem konnte man noch sehen, dass es sehr schmerzhaft gewesen sein musste. Chris fuhr mit dem Finger darüber, man fühlte sie kaum, aber Rico erschauderte im Schlaf. Der Jüngere beschloss sich auf den Rest von ihm zu konzentrieren und jeden Teil von ihm in seinem Gedächtnis zu speichern, vor allem sein Gesicht. Egal, was alle anderen sagten, Rico war schön. Nicht so unschuldig mädchenhaft hübsch, wie Chris, aber auch nicht so wie diese Modeltypen. Er war einfach so wie er war. Seine Nase war nicht ganz gerade, was vor allem zu sehen war, wenn er so schief grinste. Er war zu faul um sich jeden Tag zu rasieren, was in einem schicken 3-Tage-Bart resultierte. Die Tatsache, dass er dauernd skeptisch guckte hatte auch schon ihre Spuren auf seiner Stirn hinterlassen und um seine Augen zeichneten sich leichte Lachfalten ab. Diese Augen waren sowieso das Tollste an ihm. Sie waren dunkelbraun, umrahmt von langen Wimpern und man konnte alle seine Gefühle darin ablesen. Chris hätte ihn stundenlang ansehen können, beschloss aber, es zu lassen. Er war sich mittlerweile sicher, dass er auf dem Weg war, sich richtig in Rico zu verlieben und sich die ganze Nacht mit dem Anblick des Mannes, den er nicht haben konnte zu quälen war nicht förderlich für seinen Zustand. Chris machte das Licht aus und legte sich hin. Er widerstand dem Drang, näherzurücken und den Anderen zu umarmen. Das erledigte sich von selbst als Rico sich zu ihm drehte und ihn an sich zog, sicher vollkommen unklar darüber, wen er da gerade in seinen Armen hielt.
 

Am nächsten Morgen lagen sie immer noch so da und Rico´s friedlicher Gesichtsausdruck war das erste, was Chris sah. Er befreite sich irgendwie aus der Umklammerung und riss sich von dem wunderschönen Bild los um in die Küche zu gehen und Kaffee zu machen. Als er mit der furchtbar komplizierten Kaffeemaschine beschäftigt war, drehte sich ein Schlüssel im Haustürschloss. Eine Tasche flog geräuschvoll in den Flur und eine Stimme rief: „Hallo! Schon jemand wach?!“ Chris hatte sie erkannt. Er trat aus der Küchentür und sagte: „Kelly June, schrei doch nicht immer so. Du weckst ja die ganze Nachbarschaft“ Das Mädchen sah ihn überrascht an. „Chris? Alter, was machst du denn hier?“, rief sie in der gleichen Lautstärke wie vorher und sprang auf ihn zu um ihn fröhlich zu umarmen. „Das sollte dir lieber dein `Daddy´ erklären“, antwortete er grinsend. Rico war nicht ihr Vater, er hatte sie adoptiert als sie eines nachts vor seiner Tür aufgetaucht war. Irgendwie waren die beiden aber doch verwandt, Chris war es nie so ganz klar geworden. Ihre Unterhaltung verlief besser als er gedacht hatte. Er hatte Angst gehabt, Kelly´s Herz gebrochen zu haben als er mit ihr Schluss gemacht hatte, vor einigen Monaten. Aber anscheinend war sie drüber weg und mochte ihn immer noch. Rico kam verschlafen die Treppe herunter. „KayJay! Schon wieder da?“, sagte er überrascht, er hatte erst abends mit ihr gerechnet. „Jep. Aber ich gehe euch nicht lange auf die Nerven. Meine Freundin Marie hat mich für übermorgen eingeladen. Wie lange ich bleibe weiß ich noch nicht. Jedenfalls könnt ihr hier dann wieder euren... Aktivitäten nachgehen“ Sie warf einen vieldeutigen Blick auf die beiden Männer und verschwand mitsamt ihrer Tasche in der oberen Etage. „Sie weiß von...?“, fing Chris an und wusste nicht wie er es sagen sollte. „Sie weiß alles. Sie war die erste Person, die überhaupt davon wusste. Was wahrscheinlich dadran liegt, dass ich mich bei ihr ausgeheult hab“ Rico grinste wieder schief. Er war nicht immer schwul gewesen und war es auch heute nicht so ganz. Er liebte seine Frau Myriam über alles trotz der ganzen Affären, die er hatte. Auch wenn es nicht so wäre würden sie aber für die Kinder zusammenbleiben.
 

Die Männer tranken Kaffee und verbrachten auch den Rest des Tages mit wundervollem Nichtstun, größtenteils vor dem Fernseher. Kelly kam nur ab und zu mal vorbei, wohl weil sie hoffte, die Beiden bei irgendetwas zu sehen, wie Rico vermutete. Abends war sie schon wieder verschwunden und sie waren allein. „Erwischen wir den Sonnenuntergang noch?“, fragte Chris und sie machten sich auf den Weg zum Meer um das Erlebnis des vergangenen Abends zu wiederholen. Als sie auf dem Felsen standen und zum Horizont sahen spürte Rico plötzlich eine kleine Hand in seiner. Er sah zu Chris runter, der so tat als ob nichts wäre und seine Körperteile ihren eigenen Willen hätten. Wie von selbst verschränkten sich ihre Finger ineinander und sie rückten näher zusammen. Als die Sonne die letzten Strahlen in ihre Richtung schickte drehte Rico sich zu Chris um. Gespannt auf das was jetzt kam, sah der zu ihm hoch. Rico befreite seine Hand und strich einige Haarsträhnen, die der Wind aufgewirbelt hatte, aus Chris´ Gesicht. Er streichelte seine Wange und zog ihn mit der freien Hand näher zu sich. Dann beugte er sich runter und vereinte ihre Lippen zu einem sanften, zarten Kuss. Als er ihn wieder loslassen wollte, was er eigentlich nicht wirklich wollte, es aber tat um den Jungen nicht zu bedrängen, legte Chris seine Arme um ihn und hielt ihn fest. „Hör jetzt bloß nicht auf“, flüsterte er und streckte sich nach oben für eine weitere Begegnung dieser Art. Sie vergaßen alles um sich herum und Rico öffnete bereitwillig die Lippen als Chris mit seiner Zunge um Einlass bat. Die Beiden entschwebten in eine andere Welt und bemerkten das Feuerwerk im Hintergrund nicht, das zur Perfektion der Szene wesentlich beitrug. Als sie wieder voneinander ließen, fiel ihnen ziemlich schnell auf, dass es sehr kalt war und sich gegenseitig warmhaltend machten sie sich auf den Weg ins Haus, diesmal direkt ins Bett, weil es da einfach gemütlicher war. Ohne ein Wort darüber gesagt zu haben, beschlossen sie im Stillen, den Tag so zu beenden und nichts anderes mehr zu tun.
 

Der nächste Tag begann genauso wie der vorherige aufgehört hatte. Chris wurde mit einem Kuss geweckt und bedankte sich mit einem weiteren dafür. Beide schreckten hoch, als sie im Flur ein Rumoren hörten, ein gedämpftes „Autsch!“ und einige Schimpfwörter. Es stellte sich heraus, dass Kelly June die Treppe hochgefallen war, als sie auf dem Weg war, die beiden Männer zu wecken, weil sonst der Kaffee kalt wurde und bestimmt weil sie hoffte, sie in einer eindeutigen Pose zu finden. „Soll ich euch wieder allein lassen?“, fragte sie lächelnd als sie am Frühstückstisch saßen und sie einen Eisbeutel auf ihren Ellbogen drückte. Dem Mädchen waren die Blicke nicht entgangen, die sie sich zuwarfen. „Stör dich nicht an uns. Ignorier alles, was du siehst, hörst oder vielleicht gerne hören und sehen würdest“ Rico sah sie herausfordernd an. Sie lachte dreckig. „Du hast mich durchschaut, Baby“, sagte sie und biss in ihr Marmeladentoast. Dann griff sie nach der Kaffeetasse, stand auf, sah nochmal von einem zum anderen und sagte: „Ihr seid echt ein richtig scharfes Paar. Lasst die Sau raus, Jungs“ Und mit diesen Worten verschwand sie mal wieder grinsend im ersten Stockwerk. Rico konnte nur noch den Kopf schütteln. „Sie ist unmöglich, wenn es um so was geht“, sagte er und Chris erwiderte grinsend: „Sie ist genau wie du früher immer warst und heute noch manchmal bist“ Er hatte Recht. „Eine Schande, dass das mit euch nicht geklappt hat“, meinte der Ältere und verfolgte gespannt die Reaktion seines Freundes. Der zuckte die Schultern. „Wir waren nicht füreinander bestimmt. Außerdem würde ich dann nicht so mit dir hier sitzen. Sieh es positiv“ Sie lächelten sich an und fuhren mit dem Frühstück fort. Als sie den Tisch abgeräumt hatten fragte Chris: „Können wir hier irgendwo ungestört sein? Ich meine, wirklich ungestört?“ Rico nickte und führte ihn in einen Raum in der oberen Etage, in dem er die Wände schallisoliert hatte, damit er zu jeder Tageszeit Musik machen konnte. Er schloss die Tür ab und grinste vor lauter Vorfreude auf das, was er hoffte zu passieren, aber es kam anders. Als er sich umdrehte saß Chris mit ernstem Gesichtsausdruck auf der Couch und winkte ihn zu sich. Er setzte sich und machte sich mal wieder Sorgen, was jetzt kam.
 

„Du wolltest doch wissen, wie ich in die Situation kam, in der du mich gefunden hast, oder? Wo soll ich anfangen?“, fragte der Kleine mit sichtlicher Überwindung. Rico wollte auf der einen Seite nicht, dass er alles nochmal durchleben musste, aber auf der anderen Seite wollte er es unbedingt wissen. „Am Anfang. Lass dir Zeit“, antwortete er und griff nach den nervösen Händen des Anderen. „Am Anfang... Es fing schon damit an, dass ich geboren wurde“, begann er, „Irgendwie war ich meinem Vater nie gut genug. Alex war das Lieblingskind. Er war intelligent und beliebt. Ich war klein, schüchtern und vollkommen nutzlos...“ Rico wollte protestieren, wurde aber von einem Blick zum Schweigen gebracht. „Lass mich einfach nur reden. Es ist schwer anzufangen und wenn ich angefangen habe, höre ich nicht mehr auf.“ Sein Gegenüber verstand und er fuhr fort: „Zuerst hat mein Vater mich nur geschlagen, so wie meine Mutter und manchmal auch Alex. Als ich fünf Jahre alt war hat er mich zum ersten Mal vergewaltigt. Er war der brutalste Mann, den man sich vorstellen konnte. Wenn ich geschrien habe oder geweint, dann hat er mir noch mehr wehgetan. Jeden Tag... jeden verdammten Tag musste ich das mit mir machen lassen. Einmal... hat meine Mutter mich ins Krankenhaus gebracht... ich hab geblutet und konnte mich kaum noch bewegen. Sie dachte, wenn es jemand erfuhr, würde er aufhören, aber er gab ihnen Geld und... es wurde nur noch schlimmer“ Er verstummte und ließ den Tränen freien Lauf, die sich in seinen Augen angesammelt hatten. Rico nahm ihn in den Arm, sagte aber kein Wort um ihn nicht zu verunsichern. Nach einer Minute atmete der Kleine tief durch und sprach mit brüchiger Stimme weiter: „Er war nicht der einzige Mann, der das mit mir machte. Eines Tages haben wir meinen Onkel besucht und wir sind da geblieben und in der Nacht kam er zu mir. Er war nicht so brutal und später manchmal sogar richtig nett zu mir. Er hat immer gesagt, dass er mich liebt. Ich hab ihm nicht geglaubt... Mein Vater sagte, lieben können nur schwache Männer und hat mich im Keller eingesperrt... Angekettet an eine Heißwasserleitung... jedes Mal wenn ich mich bewegt hab... Nur er kam da runter um seine tägliche Qual zu vollziehen... sieben Tage im Keller...“ Er brach wieder ab und drückte schluchzend sein Gesicht an Rico´s Schulter. Er versuchte sich wieder einzukriegen und weiterzusprechen, was einige Zeit dauerte. Der Andere hatte immer noch nichts gesagt, er war einfach da und aus seinen wunderschönen Augen sprach tiefste Betroffenheit. Schließlich konnte Chris wieder reden. „Ich weiß, warum er das gemacht hat. Er wollte mich bestrafen, für... was ich war. Einmal sagte er... danach... `Weißt du jetzt, warum du ein Mädchen werden solltest?´... Jeden Tag bin ich in die Kirche gegangen und hab Gott angefleht, dass ich keine kleine Schwester bekam. Er hat mich erhört und mich dafür bestraft... Mein Vater stieß meine Mutter die Treppe runter... sie war danach nie wieder dieselbe und konnte keine Kinder mehr kriegen... Seitdem weiß ich, dass Gott grausam ist. Es ging jahrelang so weiter... ich konnte keinem davon erzählen... er sagte ich wäre ein mieses Stück Dreck und mir würde sowieso keiner glauben... Keiner weiß davon... mein Bruder... er hat es geahnt... und nie was gesagt, er hatte auch Angst... er war für mich da... immer... er hat mich vor allem anderen beschützt und versucht... ein bisschen Liebe und Wärme in mein... armseliges Leben zu bringen. Dann war er weg. Er hat mich alleingelassen, weil er es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat und ist einfach gegangen... ohne mich. Und ich musste... die Konsequenzen tragen... jahrelang, bis ich auch weggehen konnte. Ich bekam meinen Job bei der Botschaft und mein Leben in den Griff, bis... er da auftauchte. Er war der Grund, warum ich mit Kelly Schluss gemacht hab. Ich dachte, ich hätte die Liebe meines Lebens gefunden, aber mein Leben wird nie ein Happy End haben... Ich war so glücklich wie noch nie mit ihm. Dann hat irgendjemand einen Fehler gemacht, es fiel auf mich zurück. Um meinen Job und meine Freiheit zu retten musste ich hunderttausend Euro auftreiben... Er gab mir das Geld, es war von irgendwelchen Leuten... ich verlor meinen Job trotzdem. Dann verlangte er sein Geld zurück... stellte mich seinen Freunden vor, die mit mir umgingen... wie mein Vater es getan hatte... Er sagte, ich müsste meine Schuld eben mit meinem Körper bezahlen und... dass ich für nichts anderes zu gebrauchen wäre. Und der Rest, wie man sagt, ist Geschichte...“ Er sah Rico an, dem die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben war und der die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Er sah in Chris´ tieftraurige Augen und flüsterte: „Es tut mir so leid... Ich weiß, das hilft dir nicht weiter, ab er es ist so... Ich wünschte, das wäre jemand anders passiert und nicht dir. So ein wertvoller Mensch wie du, verdient ein viel besseres Leben“ Das war zu viel für Chris. Diese einfachen und ehrlichen Worte hatten eine Mauer aus Selbsthass zerschlagen, die er seit Jahren aufgebaut hatte und die niemand durchdringen konnte. Der Junge brach zusammen und lag zitternd und schluchzend in Rico´s Armen. Draußen blitzte es. Das Wetter passte sich der Stimmung an und entlud seine Spannung.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück