Zum Inhalt der Seite

At first sight

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

One-Shot

Simon ging die Straße entlang in Richtung der Uni, wo er seit einem Monat studierte. Er verfluchte sich, dass er den Bus verpasst hatte. Zu allem Überfluss fing es auch noch an zu regnen. Grimmig trat der junge Student einen Stein in den Straßengraben. Ein Motorrad fuhr in rasendem Tempo an ihm vorbei. Einen Moment lang hatte er geglaubt, es wäre Nathaniel. Viel war passiert, seit sie sich vor einem Jahr zum ersten Mal getroffen hatten. Das Leben hatte sich Simon nicht gerade von seiner schönsten Seite gezeigt. Ihm wurde immer noch ganz schlecht, wenn er daran dachte, wie sein letzter „Freund“ mit ihm umgegangen war. Wie dieses Schwein wieder die Todessehnsucht in ihm ausgelöst hatte, die er erst kurz vorher durch eine mühsame Therapie losgeworden war. Wie er ihn in den Selbstmord getrieben hatte, mit seinen ständigen Schlägen, Drohungen und Vergewaltigungen. Allein schon der Gedanke an all das verursachte ihm quälende Übelkeit und ein unangenehmes Ziehen im ganzen Körper. Er warf einen flüchtigen Blick auf sein Handgelenk, das nicht ganz vom Ärmel verdeckt wurde, wo man immer noch deutlich die Spuren seines Selbstmordversuchs sehen konnte. Fest entschlossen, endlich an etwas Anderes zu denken ging er weiter. Mittlerweile regnete es stark und er war klatschnass. Irgendwann blieb er erschöpft stehen. Die Übelkeit kam mit einem Schlag zurück und der Horizont wackelte bedrohlich. Simon musste sich setzen. Da keine Bank in der Nähe war ließ er sich einfach auf dem Bürgersteig nieder und stützte sich an der nächsten Straßenlampe ab. Er atmete tief durch und versuchte sich zu konzentrieren. Das half normalerweise immer gegen seine Schwindelanfälle, aber diesmal nicht. Ihm entging, wie ein Auto anhielt, der Fahrer mit den langen blauen Haaren auf ihn zukam und eine Stimme mit französischem Akzent besorgt seinen Namen rief.
 

Als Simon die Augen öffnete fühlte er sich grausam. Er lag in einem Bett und war in eine Decke eingepackt. Mit Schrecken stellte er fest, dass er nackt war. Panisch setzte er sich auf und sah sich um, seine Klamotten lagen ausgebreitet über zwei Stühlen vor dem Schreibtisch. Hastig befreite der Junge sich aus der warmen Decke und sprang zum Schreibtisch, um seine nassen Sachen wieder anzuziehen. Vor lauter Angst ließ er alles fallen. Als er gerade wieder versuchen wollte, sich anzuziehen öffnete sich die Badezimmertür und der Bewohner des Zimmers trat heraus. Simon war so geschockt, dass er nochmal seine Sachen fallen ließ. Vor ihm stand Nathaniel, nur bekleidet mit einem Bademantel; seine blauen Haare waren noch nass. Als Simon nach einigen Momenten auffiel, dass er grade splitternackt vor einem Kerl stand, den er kaum kannte, zuckte er zusammen und griff hektisch nach der Bettdecke, um seine intimen Stellen zu verdecken. „Hey, Simon. Kennst du mich noch?“, fragte Nathaniel mit einem kleinen Grinsen und sah seinem knallroten Gegenüber direkt in die Augen. Wie schon damals war sein Blick durchdringend und brennend. Simon brachte kein Wort heraus; er konnte nur zustimmend nicken. „Geht es dir wieder besser?“ Auch auf diese Frage nickte er bloß. „Du solltest mehr auf deine Gesundheit achten. Vor einem Jahr sahst du noch besser aus“, fuhr der Ältere fort. „W-wie du meinst...“, murmelte Simon zögerlich. Natürlich hatte er Recht; er hatte in letzter Zeit nicht mehr so auf sich geachtet wie vorher. „Ich gehe jetzt besser wieder. Ähm, könntest du dich kurz umdrehen, damit ich mich anziehen kann?“, versuchte er sich aus der Situation rauszureden. „Ich glaube, das wird nicht nötig sein“, sagte Nathaniel in einem undefinierbaren Ton, der Simon das Blut gefrieren ließ. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Gerade als er sich überlegt hatte abzuhauen griff Nathaniel nach einem Schlüssel auf dem Schreibtisch und hielt ihn Simon vor die Nase. „Geh einfach über den Flur in dein Zimmer und zieh trockene Sachen an, sonst erkältest du dich noch“ Der Jüngere fiel aus allen Wolken. Sein Zimmer? Was...? Da wurde ihm schlagartig klar, warum ihm dieser Raum so bekannt vorkam. Sie befanden sich im Studentenwohnheim! Sie waren seit einem Monat Zimmernachbarn und waren sich noch nicht über den Weg gelaufen. Peinlich berührt ergriff Simon den Schlüssel und rannte aus dem Zimmer, wobei er fast über die Decke stolperte, die immer noch notdürftig seinen Körper verhüllte. Als er sich etwas beruhigt und angezogen hatte brachte er Nathaniel seine Decke zurück. „Wie bin ich eigentlich wieder hierhin gekommen? Ich erinnere mich nur noch, dass ich auf der Straße saß“, fragte der Junge. „Ich kam grade zufällig vorbei als du hingefallen bist. Da hab ich dich in mein Auto gepackt und wir sind hierhin gefahren. Du hast die ganze Zeit vor dich hin gemurmelt und ich dachte schon du wärest auf Drogen oder so. Deshalb rief ich einen Bekannten an, der Medizin studiert und der kam vorbei. Er hat festgestellt, dass du an extremem Unterzucker leidest, wir haben dir einen Liter Coca zu trinken gegeben und dann bist du eingeschlafen. Und jetzt bist du hier“, erzählte Nathaniel. Jetzt wo er es sagte konnte Simon sich dunkel an die Sache erinnern. Sie wechselten das Thema und sprachen über die Uni und ihr Studium. Simon studierte Geschichte und Englisch auf Lehramt und Nathaniel studierte Musik, Kunst und Französisch auf Lehramt. Er war außerdem Lead-Gitarrist und kreativer Kopf einer Rockband namens „No-one´s Suicide“. Dann hatte sich Simon doch nicht in ihm getäuscht, als sie sich zum ersten Mal trafen. Er sah nicht nur aus wie ein Rockstar, er war auch einer. Als er das zu ihm sagte lachte Nathaniel laut auf. Es war das erste Mal, seit sie sich kannten, dass er gelacht hatte. Und es war ein wunderschönes, ansteckendes Lachen. Als Simon später wieder allein in seinem Zimmer saß konnte er nur noch an diesen Mann denken. Er hatte sich so lange nach ihm gesehnt, obwohl er ihn überhaupt nicht kannte. Jeden Tag hatte er verzweifelt an ihn gedacht und nächtelang geweint, weil er ihn nicht haben konnte. Er war verlobt und mit größter Wahrscheinlichkeit hetero und ein Frauenheld. Dieser Gedanke trieb ihm auch jetzt wieder die Tränen in die Augen. Sein Herz stach vor lauter Verzweiflung und drohte zu zerspringen. Jetzt, da er ihn endlich wiedergefunden hatte und sie sich zumindest räumlich so nah waren, war sein Liebeskummer wieder neu aufgeflammt und verbrannte ihn innerlich. Nathaniel hatte eine noch größere Präsenz in seinem Schmerz als vorher, wo er ihn nur vermisst hatte. Nun würde er ihn jeden Tag sehen, jeden Tag dem Mann begegnen, den er so liebte und den er nicht haben konnte. Allein schon der Gedanke war schwer zu ertragen. Und wenn er einfach versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen? Vielleicht würde der Schmerz dann wieder nachlassen und in den Hintergrund treten, so wie vorher. Es war zumindest einen Versuch wert und mit diesem Gedanken schlief Simon in den frühen Morgenstunden endlich ein.
 

Sein Vorhaben, Nathaniel aus dem Weg zu gehen, war gar nicht so schwer umzusetzen. Der Halbfranzose war an der ganzen Uni bekannt dafür, ein rauer Einzelgänger zu sein. Mädchen liefen ihm in Scharen hinterher, aber er saß lieber in seinem Zimmer, schrieb Songs und malte. Simon hatte durch Zufall mal eins seiner Bilder gesehen. Er war verdammt gut, aber die meisten Leute hielten seine Werke für zu deprimierend. Vielleicht steckte hinter dieser coolen Fassade und der manchmal abweisenden und kalten Art ein sensibler junger Mann, der einsam war und sich nur in der Kunst und der Musik zu hause fühlte, überlegte Simon. Aber um das rauszufinden, musste er Nathaniel näher kommen, was anscheinend schwieriger war, als ihm fernzubleiben. Er war sich mittlerweile nicht mehr so ganz sicher, ob er ihm nun aus dem Weg gehen sollte oder nicht, denn sein Liebeskummer war nur noch stärker geworden, seit er ihn ignorierte. Aber wenn er es nun bei ihm versuchte und nur wieder verletzt wurde? Was würde dann aus ihm? So gern er im Grunde sterben wollte, er musste sein Schicksal ja nicht herausfordern. Wenn Nathaniel ihn abwies konnte er für nichts mehr garantieren. Er würde am Schmerz zerbrechen und daran zugrunde gehen. Diese Gedanken quälten Simon jeden Tag und jede Nacht. Er war kurz vor dem Zusammenbruch und hatte schon seit Tagen nicht geschlafen und nichts gegessen, als er eines Nachts durch die dunklen Flure der Universität schlich. Der Mond schien und erhellte alles. Simon liebte das Mondlicht, es hatte etwas beruhigendes und gleichzeitig trauriges. Er wandelte wie ein Geist durch den Korridor, als ihn der Klang von Musik plötzlich aus seinen Gedanken riss. Er war in der hintersten Ecke der Uni angekommen, wo es einen Saal gab, der für alle möglichen Musik- und Theaterproben benutzt wurde. Dort kam die Musik her und wie von einer unsichtbaren Hand geführt ging er weiter in diese Richtung und öffnete vorsichtig die Tür. Er schob sich durch den Türspalt und blickte in Richtung Bühne. Hatte er es doch gewusst; der nächtliche Musiker war Nathaniel. Simon setzte sich neben der Tür auf den Boden und sah und hörte ihm aufmerksam zu. In dieser Nacht sah er noch schöner aus als sonst; seine blauen Haare glänzten im Scheinwerferlicht und sein Gesichtsausdruck war so friedlich und melancholisch, wie niemand es je für möglich gehalten hätte. Außerdem spielte er wie ein Gott, jeder Ton saß an der richtigen Stelle und war voller Gefühl. Simon hätte ihm stundenlang zuhören können. Plötzlich hörte er auf zu spielen. „Hey, wer auch immer da ist. Du kannst rauskommen, ich weiß, dass du da bist“, sagte er laut in den scheinbar leeren Saal hinein. „Ich bin es“, sagte Simon, der aufgestanden war und nach vorne ging. Der Andere sah aus, als hätte er niemand anders erwartet. „Nathaniel, du spielst wunderbar“, flüsterte Simon ehrfürchtig, als er die Bühne erklettert hatte und sie sich gegenüber standen. „Ähm, danke“, murmelte der Angesprochene fast verlegen. „Ich wollte dich nicht stören. Wenn du willst geh´ ich wieder“, sagte der Kleinere und fühlte sich schuldig, dass seine Anwesenheit die unglaublich schöne Szene zerstört hatte. „Nein, bitte bleib noch. Wenn du da bist fühle ich mich nicht mehr so einsam“, antwortete der Musiker. Diese Worte legten sich auf Simons Seele wie Heilende Hände. Nathaniel wollte ihn bei sich haben, es war kaum zu fassen. Er setzte sich auf einen umgedrehten Stuhl, der auf der Bühne stand, sodass er seinen müden Kopf auf der Rückenlehne ablegen konnte. Die Musik begann noch einmal und wieder wurde Simon von ihrer Schönheit in den Bann gezogen. Nathaniel spielte sich praktisch in Ekstase, er sah aus, als wollte er nie wieder aufhören. Seine Finger flogen mit beeindruckender Geschwindigkeit über die Saiten und füllten den Raum mit Tönen, die Simon vorher noch nie gehört hatte. Er spielte immer weiter, bis er schließlich an einem Punkt angelangt war, wo seine Melodie nicht mehr weiterging. Mit einem halben Lächeln schüttelte er seine Hände und strich die Haare aus dem Gesicht. „Das war unglaublich!“, war alles, was sein Zuhörer hervorbrachte. „So lange hab´ ich das noch nie geschafft. Ist fast so anstrengend wie Sex“, antwortete der Ausnahmegitarrist lächelnd. Bevor Simon eine plausible Antwort eingefallen war gab der Verstärker ein komisches Geräusch von sich und Nathaniel schaltete ihn aus. „Den hab´ ich jetzt endgültig überlastet. Das blöde alte Ding läuft immer warm“, sagte er, während er seine Gitarre wegpackte, „Bist du eigentlich auch Musiker? Du hast so was musikalisches an dir“ Der Jüngere zögerte einen Moment und sagte dann: „Als Kind hab´ ich mal Klavier gespielt, aber dann hatte ich einen Unfall und seitdem kann ich meinen linken kleinen Finger nicht mehr bewegen. Danach hat meine Lehrerin mich in den Gesangsunterricht geschickt. Ich sollte mein musikalisches Talent nicht vergeuden, hat sie gesagt. Ich bin anscheinend ein guter Sänger, aber wenn jemand zuhört krieg ich keinen Ton raus“ Er sah zu Boden. Normalerweise erwähnte er diese Geschichte nie, weil dann immer alle wollten, dass er ihnen sein Gesangstalent bewies. „Es tut mir leid. Ich hätte nicht fragen sollen“, murmelte Nathaniel und sah ihm in die Augen. Sein Blick brannte nicht wie sonst; er zerschmolz viel eher. Simon gab etwas, das nach „Schon okay“ klang, von sich und versank gedankenverloren in den wunderschönen warmen Augen, die von einem bemerkenswert strahlenden blau-grün waren. „Es ist schon spät. Wir sollten lieber ins Bett gehen. Du siehst aus, als könntest du mal wieder eine ordentliche Portion Schlaf vertragen“, sagte der Ältere sanft. „Das ist wohl wahr“, antwortete Simon und streckte sich. Er erhob sich vom Stuhl und schwankte dabei leicht. Für einen kurzen Moment glaubte er, das Gleichgewicht zu verlieren, aber eine starke Hand ergriff seine Schulter. „Dir geht es in letzter Zeit nicht so gut, oder?“, fragte Nathaniel, strich Simons hellbraune Haarsträhnen aus seinem Gesicht und streichelte zärtlich seine Wange. Ihre Blicke trafen sich wieder und Simons Beherrschung verließ ihn angesichts der großen Zuneigung, die aus den wunderschönen Augen sprach. Seine mentalen Verteidigungslinien brachen und seine Augen füllten sich mit Tränen. Wortlos zog der überraschte Nathaniel ihn in seine starken Arme. Der Kleinere klammerte sich an den schlanken Körper wie ein Ertrinkender; er wollte ihn nie wieder loslassen. Sein Leben lang wollte er in diesen Armen liegen und der sanften Stimme zuhören, die beruhigende Worte in sein Ohr flüsterte. Irgendwann hatte er sich wieder so weit gefangen, dass er sich von seinem Gegenüber lösen konnte und es schaffte, die Tränen abzuwischen. „`Tschuldigung“, murmelte er verlegen. „Ist schon in Ordnung. Komm, wir gehen“, sagte der Andere und legte einen Arm um seine Schultern. Er führte den immer noch schwachen Jungen in sein Zimmer, half ihm es sich auf dem Bett bequem zu machen und ließ sich neben ihm nieder. „Was ist denn los mit dir? Was hat das Leben mit dir angerichtet?“, fragte er besorgt. „Ich kann nicht drüber reden. Es... es tut zu weh“, antwortete Simon. „Das kann ich verstehen. Das Leben ist meistens ein Scheiß-Spiel“, sagte der Ältere mit gesenktem Blick. Er musste es wissen, dachte Simon. Trotz seiner eigenen Probleme waren ihm die feinen Narben von zahlreichen Einstichen an Nathaniels Armen und die halb leere Tequila-Flasche hinter dem Gitarrenverstärker nicht entgangen. Dieser Mann hatte auch seine Probleme. „Was hat das Leben denn mit dir angerichtet?“, fragte er und erwartete keine Antwort. Aber er bekam sie nach kurzem Zögern. „Eigentlich schon viel zu viel. Enttäuschungen, Betrug, Gewalt, Jugendknast, die ganze Sammlung. Ich war mal verlobt, weißt du. Zwei Monate vor unserer Hochzeit hat sie mich betrogen und ist abgehauen. Und zwar mit meiner Schwester, ihrer neuen großen Liebe. Ich habe meine Schwester und meine Verlobte gleichzeitig verloren. Kurz darauf erschoss sich meine Mutter. Eine Zeit lang war ich ganz unten, den Drogen verfallen und mehr als bereit zu sterben. Aber mein Vater, der gute Mensch, er gab mich nicht auf und sorgte dafür, dass ich ins Leben zurückfand und weiter studieren konnte. So weit meine Geschichte“, erzählte Nathaniel fast emotionslos. Anscheinend war er tatsächlich in der Lage, seine Gefühle auszublenden. Simon konnte das nicht. „Es tut mir leid, was dir passiert ist... Du hast mir deine Geschichte erzählt, dann erzähl´ ich dir auch meine“, sagte er leise und nervös. Würde sich Nathaniels Verhalten ändern, wenn er die Wahrheit kannte? Würde er Simon fallen lassen? Hoffentlich nicht. „Ich war noch sehr jung, als mein Vater uns verließ. Er hatte eine andere Frau gefunden, die keine Kinder hatte. Meine Mutter kam danach nicht mehr mit Männern klar; auch mit mir nicht. Sie misshandelte mich und manchmal auch meine Schwester. Sie machte mir klar, wie wertlos ich bin und, dass ich besser tot wäre. Seitdem will ich sterben. Es ist ein unerklärliches Gefühl; ich will einfach sterben... Es ging damit weiter, dass ich in der Schule gemobbt wurde. Jahrelang, jeden Tag. Als ich vierzehn war wurde mir klar, dass ich schwul bin. Somit hatte ich ein Problem mehr. Ich war oft verliebt, aber niemand war je in mich verliebt. Mein letzter Freund hat mich missbraucht und geschlagen. Er sagte, wenn ich ihn verlasse oder zur Polizei gehe, tut er meiner Schwester was an. Ich sah keinen Ausweg mehr. Nachdem er mich mal wieder... v-vergewaltigt hatte versuchte ich, mir das Leben zu nehmen, genauso erfolglos wie vorher schon oft. Zumindest endete es damit, dass ich in die Psychiatrie eingewiesen wurde und die Polizei auf den Kerl aufmerksam wurde. Na ja, und jetzt bin ich hier“, erzählte er mit zittriger Stimme und den Tränen nahe. „Das ist ja furchtbar. Und ich dachte immer, ich hätte es schwer gehabt“, sagte Nathaniel. „Du hattest es schwer. Das hattest du wirklich“, flüsterte Simon. Nach einer kurzen Pause schloss der Ältere ihn wieder in die Arme und fragte: „Willst du jetzt immer noch sterben?“ Simon antwortete ehrlich: „Nein, jetzt im Moment nicht“ Nathaniel atmete erleichtert auf. „Dann ist ja gut“, wisperte er und zog den Jungen an sich. Dem Kleineren wurde es ganz warm ums Herz bei dieser Reaktion. Er hatte ihn nicht von sich gestoßen. Er verstand ihn und sorgte sich um ihn. Vielleicht mochte er ihn sogar. Er wagte es gar nicht, das zu denken. Er durfte sich auf gar keinen Fall Hoffnungen machen. Den Rest der Nacht verbrachten sie in dieser Position; Simon schaffte es sogar, ein bisschen zu schlafen. Als der Morgen kam war Nathaniel wieder ganz der Alte, kalt und unnahbar. Er verschwand in sein eigenes Zimmer und ließ sich den ganzen Tag nicht mehr blicken.
 

Simon verstand ihn nicht. In der Nacht war er ein ganz anderer Mensch gewesen, so liebevoll und sanft, aber jetzt war er wieder der eiskalte Bad-Boy, der sich durch seine Art überall unbeliebt machte. Warum tat er das? Vielleicht wollte er gar keine Freunde, weil er so oft enttäuscht worden war und die Hoffnung aufgegeben hatte. Simon wollte es wissen und ihm helfen, aber er sah keine Möglichkeit. Seine eigenen Gefühle ließen es nicht zu, dass er sich mit Nathaniel aufhielt. Er wurde in seiner Gegenwart immer fast verrückt vor Liebe und konnte sich nicht mehr normal benehmen. Einige Tage nach ihrer nächtlichen Begegnung bemerkte Simon, dass Nathaniel ihn verstohlen beobachtete, wenn sie sich über den Weg liefen (was sie verdächtig oft taten). Passierte das wirklich oder war es nur ein Produkt seiner kranken Fantasie, ein Wunschdenken? Den ganzen Tag grübelte er dieser Frage nach; sie hielt ihn sogar nachts wach. Als er im Dunkeln auf seinem Bett lag und der Straßenlampe beim Schwanken zusah hörte er Nathaniels Zimmertür. Leichte Schritte entfernten sich über den Flur. Simon stand auf und folgte ihm unauffällig in Richtung des „Proberaums“. Er wartete vor der Tür, bis die Musik einsetzte und betrat den Raum, wie schon beim letzten Mal. Nathaniel spielte eine Weile und hörte dann auf. „Simon, komm her. Ich mag es nicht, wenn du da im Dunkeln hockst“, sagte er. Freudig stand der Angesprochene auf und ging auf die Bühne. Vielleicht würde der Abend so enden wie beim letzten Mal. „Ich wusste, dass du kommen würdest“, sagte der Musiker mit einem rätselhaften Lächeln, setzte sich auf einen der beiden Barhocker und bedeutete Simon mit einer Handbewegung, auch Platz zu nehmen. „Macht es dir was aus...?“, fragte er überflüssigerweise und Nathaniels Lächeln wurde breiter. „Nein, überhaupt nicht“, flüsterte er. Er stellte die E-Gitarre weg, griff nach einer uralten Akustischen und reichte Simon einen zerfledderten Ordner. „Such dir ein Lied aus“, meinte er auffordernd. Der Jüngere blätterte die Seiten um, bis er auf ein Lied namens „Comfortably Numb“ von Pink Floyd stieß, zufällig sein Lieblingslied. „Oh, ja das ist ein toller Song. Willst du, oder soll ich? Singen, mein´ ich“, sagte Nathaniel. Simon zögerte einen Moment lang, dann sagte er: „Ich mach´s. Aber lach mich nicht aus, wenn ich es nicht kann“ Auf dem Gesicht seines Gegenübers breitete sich ein hübsches Lächeln aus. „Ich würde dich niemals auslachen“, sagte er. Und er meinte es ernst, man konnte es in seinen Augen sehen. Erleichtert wie er war ging Simon die Sache ganz entspannt an. Er hatte seit Jahren nicht mehr vor Jemandem gesungen, aber in dieser speziellen Situation machte es ihm nichts aus. Er gab sein Bestes und als die letzten Töne verklangen, war er doch ganz zufrieden mit seiner Leistung. Nathaniel strahlte ihn an. „Hey, Kleiner, du bist nicht nur gut, du bist excellent“, meinte er mit einer unüberhörbaren Ehrlichkeit in der Stimme. Das gab Simon neue Motivation und als der Ältere vorschlug, noch ein Lied zu singen stimmte er direkt zu. Sie verbrachten Stunden mit dieser Tätigkeit, wobei sie beide immer mal wieder einen Schluck aus der Tequila-Flasche nahmen. Irgendwann gingen ihnen die Songs aus und sie beschlossen, es gut sein zu lassen. Leicht angeschwipst spazierten sie über das Uni-Gelände, das immer noch vom Mondlicht erhellt wurde. Plötzlich legte Nathaniel einen Arm um Simon, der das zwar merkwürdig fand, aber nicht unangenehm. Kurz vor dem Wohnheim blieb der Größere unvermittelt stehen. Er stellte sich Simon gegenüber und legte die Hände auf seine Schultern. Sein Gesichtsausdruck war unlesbar und er sah aus, als ob er etwas sagen wollte. „Was ist?“, fragte der Junge leise und erwartungsvoll. Ohne ein Wort beugte Nathaniel sich nach vorne und küsste ihn vorsichtig. Simon war vollkommen perplex. Was sollte das werden? War es der Alkohol, der ihn zu dieser Tat brachte, oder war er neugierig? Vielleicht wollte er ihn auch nur verführen und dann wieder abblitzen lassen. Simon hätte mit Allem gerechnet, aber nicht mit dem, was sein Gegenüber ihm jetzt sagte: „Simon, ich... ich warte schon die ganze Zeit auf die Gelegenheit, dir das endlich zu sagen... ähm, ich... ich liebe dich und ich... will gerne mit dir zusammen sein“ Er war sprachlos. Einfach vollkommen sprachlos. „Nathaniel, warum sagst du das?“, brachte er schließlich hervor. „Weil es die Wahrheit ist“, antwortete der Ältere nur. Und es war die Wahrheit; Simon hätte es gehört, wenn er gelogen hätte. Also entschloss er sich, ihm auch endlich die Wahrheit zu sagen. Mit einem Lächeln trat er einen Schritt an den Größeren heran und streichelte seine Wange. „Ich liebe dich auch. Schon seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Vom ersten Moment an wusste ich, dass ich dich liebe“, flüsterte er. Das Strahlen in Nathaniels Gesicht übertraf den Mond bei Weitem. Sie küssten sich wieder, diesmal nicht mehr so vorsichtig. „Das ist kein Traum, oder?“, murmelte Simon und sah seinem Freund tief in die Augen. „Nein, zum Glück nicht“, antwortete dieser lächelnd. „Das ist gut“, flüsterte der Jüngere und zog ihn an sich, um ihre Lippen ein weiteres Mal zu vereinen. Das war einfach zu schön um wahr zu sein. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Simon sich geliebt und verstanden. In diesem Moment glaubte er fest daran, dass er eines Tages glücklich würde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  RayDark
2008-05-08T06:01:55+00:00 08.05.2008 08:01
Ui, wie süß!
Will auch wen kennen lernen!
Ob ich auch mal nachts durch die Gegend schleichen sollte, anstatt vor dem PC zu hockenund Geschichten zu lesen?
xD


Zurück