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Das Leben ist zum Sterben da

Eine Biografie... oder auch nicht
von

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Erster Schultag

{Hinweis: Die Personen in diesem Kapitel sind frei erfunden. Die Namen sind der Generation angepasst (www.beliebte-vornamen.de) und ich habe versucht so wenig wie möglich die zu benutzen, die früher in meiner Klasse waren. Manche von diesen Personen und Situationen sind aber an damals angelehnt. So hart wie bei denen ging´s bei uns aber eigentlich nicht zu}
 

Heute geht die Schule wieder los. Es ist ungewohnt so früh aufzustehen, nach sechs Wochen Ferien und ich bin todmüde, als ich im Bus stehe, der uns in die Schule bringt. Ich versuche, nicht einzuschlafen, denn das wäre wohl nicht so vorteilhaft für meine Knochen. Lily, die mir gegenüber steht, hat den Kopf an die Sitzlehne gelegt und guckt verpeilt ins Leere. Plötzlich gibt es einen Ruck, ich verliere den Halt und lande auf meinem Hinterteil. Unter großem Gelächter von allen Seiten erhebe ich mich halbwegs würdevoll, nur um zu beobachten wie Jakob (in den ich schon seit Jahren verliebt bin) mit einem charmanten Lächeln meiner Cousine wieder auf die Beine hilft. Peinlich berührt lächelt sie zurück und sieht ihm hinterher, als er wieder zu seiner Freundin geht, die mich immer von oben herab anguckt. „Wow, der ist heiß“, flüstert Lily als wir später hinter den beiden die Straße entlang gehen. „Vergiss es. Das ist meiner“, antworte ich entsetzt. „Schon okay. Er ist deiner“, sagt sie beinahe entschuldigend. Nach einer weiteren Busfahrt kommen wir stillschweigend in der Schule an. Vor dem Tor warten zwei sehr auffällige Gestalten. Jana, größer als die meisten Schülerinnen, die starrend an ihr vorbeigehen, und in ihren üblichen selbst gemachten Klamotten. Ihre ursprünglich braunen Haare strahlen mittlerweile in rot, gelb und grün, wobei sich auch noch einige schwarze Strähnen darin finden. Neben ihr steht Alexandra, sommerlich-ungesund dünn und wie immer ziemlich schwarz angezogen. Einen Moment lang sieht es so aus als ob sie ihre hellblaue Haarpracht abgeschnitten hätte, aber sie hat die langen Strähnen einfach nur ungeschickt zusammengebunden. Die Beiden sehen todmüde aus und starren Löcher in die Luft. Als sie uns entdecken sind sie von einer Sekunde auf die andere hellwach und blicken verwundert von Lily zu mir. Nachdem wir unsere Ferienberichte ausgetauscht haben, erzähle ich ihnen, was in den letzten Tagen so alles passiert ist. Jana fällt fast die Treppe runter, als sie von der Stiefoma erfährt. Genau wie ich macht sie sich Sorgen um die Band. Ich sehe dieselben Ängste auch in Lexis Gesicht, aber wie immer spricht Jana für sie beide. Ich versichere ihnen halbwegs überzeugt, dass ich die Sache schon regeln werde. Daraufhin tun sie wenigstens so, als wären sie beruhigt.
 

Wir betreten den Klassenraum, wo schon einige Mitschülerinnen warten. Ihr Gespräch verstummt augenblicklich und sie tun so als ob sie uns nicht bemerken würden. Uns ist das egal, wir brauchen ihre Aufmerksamkeit nicht. Aber die haben wir schon längst. Es ist natürlich klar, dass sie über uns am reden waren. Ich bin schon gespannt, welche Gemeinheiten sie sich dieses Jahr ausdenken. Die Mädchen starren Lily an. „Was denn? Noch nie jemand mit roten Haaren gesehen?“, fragt sie halbwegs ruhig mit ihrem breiten irischen Akzent. Sie weiß, wer die Weiber sind; ich hab sie vor ihnen gewarnt. Jetzt hat sich ihr Starren in ablehnendes Blickewerfen verwandelt. „Noch eine aus dieser Familie...“, sagt meine Erzfeindin Jasmin Adelki und mustert meine Cousine abwertend. Bevor ich etwas antworten kann, betritt unsere Klassenlehrerin Frau Bering den Raum. Sie ist früh dran und begrüßt uns mit ihrem üblichen netten Lächeln. Dann ruft sie mich und Lily zu sich nach vorne. Ich bin mir keiner Schuld bewusst... „Nun, Lily, willkommen in unserer Schule. Ich hoffe, dass es dir gefallen wird und ich hoffe auch, dass du deine Cousine hier ein bisschen von ihren Streichen abhälst. Sheenagh, von dir erwarte ich, dass du Lily hilfst sich zurechtzufinden. Außerdem fände ich es gut, wenn du dieses Jahr dein unbändiges Temperament ein wenig zügeln könntest und dich mit deinen Mitschülerinnen vertragen würdest“, sagt sie und sieht mich durchdringend an, was mich einen Moment vom Antworten abhält. „Sagen Sie das denen, und nicht mir“, bringe ich schließlich hervor und werfe einen bösen Blick über meine Schulter auf die Gruppe Feindinnen, die sich im hinteren Teil des Raumes gesammelt hat und uns anstarrt. Gerade betritt Jessica Lübisch das Zimmer. Sie bleibt kurz bei ihren Zicken-Freundinnen stehen und kommt dann mit einem gefährlichen Blitzen in den Augen auf uns zu. „So, du bist neu hier, hä?... Dann lass dir eins gesagt sein: Ich bin der Boss, klar?“, sagt sie und schubst Lily rückwärts gegen einen Tisch. „Jessica!... Setz dich hin!“, ruft Frau Bering und zeigt wutentbrannt auf einen Platz in der ersten Reihe. „Es ist ja gar nicht mein Ziel, hier der Boss zu sein. Wir denken nicht alle so wie du, weißt du“, sagt Lily, die sich schwer zusammenreißen muss, dem Mädchen nicht ordentlich eine zu zimmern. Das ist offenbar zu hoch für Jessica, denn sie fängt an, mit Schimpfwörtern um sich zu werfen, was sie in solchen Situationen immer tut, sodass Frau Bering sie wieder anschreien muss. „Und eine dreckige Ausländerin ist sie auch noch!“, ruft Jessica uns hinterher. Das ist zu viel. Das darf sie nicht zu meiner Lily sagen! Unbändiger Zorn steigt in mir hoch; so extrem, dass mir richtig schlecht wird. Kochend vor Wut gehe ich auf sie zu und verpasse ihr eine üble Linke, sodass sie endlich die Klappe hält. „You won´t say that again, bitch!“, sage ich bedrohlich leise und sie sieht mich nur verständnislos an. „Das sagst du nicht noch mal, Schlampe!“, wiederhole ich und ihr Hirn verarbeitet wohl nur das letzte Wort, denn sie beginnt wieder zu schimpfen. „Jetzt reicht es aber! Seid ihr denn wahnsinnig geworden?! Zur Direktorin, sofort... alle Drei!“, schreit Frau Bering. Stimmt, die ist ja auch noch da; die hatte ich vollkommen vergessen. In einem Anflug von Vernunft unterdrücke ich meine glühende Wut und werfe einen Hilfe suchenden Blick in Richtung Jana und Lexi, die mich verständnisvoll aber hilflos ansehen. Zum Glück kennen die meine Wutanfälle, sonst hätten sie jetzt so belämmert geguckt wie der Rest der Klasse. Frau Bering schiebt uns in Richtung Ausgang; Jessica auf der einen, ich auf der anderen Seite und Lily kommt uns verunsichert hinterher. „Warten Sie mal... brauchen Sie nicht einen unbeteiligten Zeugen?“, sagt da plötzlich Alexandras zarte Stimme hinter uns. „Du hast recht. Wir nehmen Linda mit“, antwortet die Lehrerin und nickt einem fein angezogenen Mädchen zu. Linda Wasten, die Klassenstreberin, die Todesangst vor Jessica und ihren Mädels hat. Na toll.
 

Missmutig lasse ich mich von Frau Bering zum Büro der Direktorin schieben. Ich weiß, dass ich im Recht bin. Na ja, zumindest so teilweise. Aber ich weiß auch, dass die Direktorin mich hasst, seit ich letztes Jahr in so eine dumme Sache verwickelt war und nur auf den Tag wartet, an dem sie mich endlich los wird. Wir betreten das Büro. Es ist eigentlich ein sehr netter und heller Raum, aber als Schwester Marilinde sieht, wen unsere Lehrerin mitgebracht hat, fällt die Temperatur unter den Gefrierpunkt. „Was haben sie getan?“, fragt die ältere Frau. „Sie haben sich geschlagen“, antwortet ihre Angestellte peinlich berührt. Die Direktorin zieht eine Augenbraue hoch, kein gutes Zeichen. Da fängt Jessica auf einmal an, herzzerreißend zu schluchzen. War ja klar, sie zieht ihre übliche Heulnummer ab. „Schwester Marilinde, s-sie hat mich einfach... ohne Grund geschlagen... Ich hab solche Angst vor ihr!“, jammert sie. Vollkommen sprachlos muss ich doch ihre Überzeugungskraft bewundern. „Moment mal. Sie hat es nicht grundlos getan“, sagt da Frau Bering zu meiner Überraschung. Sie nickt Lily zu, die der Direktorin die ganze Geschichte erzählt. Jetzt zieht die Schwester beide Augenbrauen hoch, ein gutes Zeichen, denn dann weiß sie noch nicht, wem sie glaubt. „Ist das wahr?“, fragt sie schließlich Linda. „Jedes Wort“, antwortet diese mit einem verängstigten Seitenblick auf Jessica, die sofort ihr Schluchzen einstellt und sie mörderisch anfunkelt. „Du kannst was erleben, du miese kleine Streberin!“, zischt sie dem Mädchen zu. „Jessica, ich muss doch sehr bitten“, sagt die Direktorin. Was? Ich fasse es nicht! Wenn ich das gesagt hätte, wäre ich achtkantig aus der Schule geflogen! Aber nein, Jessica Lübisch, das arme kleine Einzelkindchen ohne eindeutigen biologischen Vater darf einfach so andere Leute bedrohen und muss nichtmal nachsitzen! Was ist das hier bloß für ein Laden?! Zu gerne würde ich dieser selbstgefälligen Direktorin mal sagen, was ich von ihrer tollen Schule halte! Aber, Halt, es spricht. „So etwas will ich nicht noch einmal erleben, habt ihr verstanden? Ihr drei kommt mit einer Verwarnung davon, aber das nächste Mal werdet ihr der Schule verwiesen. Also, nehmt euch in Acht. Habe ich mich klar ausgedrückt?“, sagt die Frau und sieht uns nach der Reihe an. Jessica nickt, Krokodilstränen laufen über ihr fettes Gesicht. „Was meinen Sie denn mit `wir drei´? Lily hat doch gar nichts gemacht“, frage ich perplex. „Lily hat die Sache ausgelöst. Und jetzt geht zurück in eure Klasse. In zehn Minuten seid ihr in der Messe“, antwortet sie und Frau Bering geht wieder der Tätigkeit nach, uns aus dem Raum zu schieben. Sie lässt Lily, Linda und mich im Flur stehen, während sie mit Jessica die Klasse holen geht. „Hey, Linda. Danke, das war echt anständig von dir“, sage ich und versuche meinen Zorn zu überwinden. „Na ja, ihr hattet Recht. Warum sollte ich lügen?“, entgegnet die Angesprochene und findet das Blumenbeet unter dem Fenster plötzlich sehr spannend. Sie hat Todesangst. Ich weiß, dass sie und Jessica Nachbarinnen sind und ich kann mir wohl nicht annähernd vorstellen, wie Linda sich grade fühlt. „Wenn du Angst vor ihr hast... ähm, dann können wir dich heimbringen“, murmele ich und weiß selbst nicht warum. „Danke, aber es geht schon. Mein Freund holt mich ab“, sagt sie und ein leichter Rotschimmer bedeckt ihr Gesicht. Die hat `nen Freund?! Unglaublich! Meine Gedanken werden unterbrochen, weil die Klasse lärmend die Treppe raufkommt. Jana und Lexi kommen auf uns zu, im Schlepptau unsere Freundinnen Daniela Foller, Karoline Dottel und Vanessa Seling, die alle sehr besorgt aussehen. Linda geht wieder zu ihrer Streber-Clique und wir begeben uns alle in die Kirche, während ich den Mädchen das vorherige Gespräch in haarkleinen Einzelheiten erzähle. Sie sind genauso empört wie ich und gemeinsam beraten wir, was wir dieser Jessica und der Direktorin so alles an den Hals wünschen. Die Messe ist langweilig, einige Schülerinnen schlafen, andere bekommen spontane Ohnmachtsanfälle. Ich vertreibe mir die Zeit damit, verschiedene Papierflugzeuge aus den Gebetszetteln zu basteln. Warum muss ich eigentlich in diese blöden Messen? Ich bin eigentlich Atheistin. Zwar wurde ich getauft, wie es sich wohl für eine Irin gehört, aber ich wurde nie wirklich religiös erzogen. Lily auch nicht. Sie sitzt neben mir und langweilt sich. Mit einem Grinsen drücke ich ihr eins von meinen Flugzeugen in die Hand und wir fechten eine gnadenlose Luftschlacht aus, bis die Messe vorbei ist. Lachend und quatschend macht sich die Menge der Schülerinnen wieder auf den Weg in die Schule, wo die Stundenpläne ausgeteilt werden und wir schließlich wieder heimgehen dürfen. Und dafür sind wir extra gekommen. Es ist doch echt jedes Jahr das Selbe und nie denke ich dran, am ersten Tag zu Hause zu bleiben.
 

Aber noch eine Tradition führen wir fort. Wie nach jeden Ferien kommen Jana und Alexandra zu mir, damit wir eine ausgiebige Bandprobe mit viel Bier veranstalten können. Gut gelaunt und voller Motivation fahren wir mit dem überfüllten Bus bis zu der einsamen Haltestelle und laufen die zwei Kilometer bergab bis ins Dorf. Daheim angekommen breiten wir uns direkt in der Scheune aus und legen mit voller Lautstärke los. Es tut verdammt gut, sich den ganzen Schulanfangs-Frust von der Seele zu spielen und ich kann erst wieder aufhören, als meine Hände ihren Dienst versagen und meine Fingerspitzen kurz davor sind zu bluten. „Du gehst heute echt ab“, sagt Jana mit einem anerkennenden Lächeln. „Wird Zeit, dass wir einen Bassisten finden, damit aus uns endlich was wird“, entgegne ich und greife nach der Bierflasche, die auf dem warmen Verstärker steht. Ich leere sie fast in einem Zug und schütte den Rest ins Waschbecken. „Das is´warm. Gib mir mal ein neues“, sage ich zu Lily, die neben der Bierkiste sitzt. Auch diese Flasche ist bald leer und es ist nicht die letzte für heute.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Marge91
2008-11-05T11:15:10+00:00 05.11.2008 12:15
tolles kapi. das ist so schon geschreiben
lese gleich mal wieder
mfg Marge91


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