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Melodien des Widerstands

von

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Vollmondmorgen

Der Morgen war grau. Grau, aber still. Der Sturm der vergangenen Nacht hatte sich gelegt, nicht ein winziger Luftstoß war noch zu spüren. Lediglich ein leichter Nebel mit feuchtem Tau in der Luft erinnerte noch an den wilden Regen, der wenige Stunden vorher die Fensterläden ausgepeitscht hatte.

Ursave war an diesem Morgen mit äußerster Vorsicht vor die Tür getreten, um den Zustand ihres Gartens zu überprüfen. Ein Blick hatte genügt, um sie zufrieden zu stellen. Ihr Schutzzauber hatte seine volle Wirkung erzielt. Das Grün der wenigen Bäume schimmerte zwar nur blass durch den Nebel, doch alles war noch an seinem Platz; nichts war zerstört, das Gartentor war noch intakt – aber es war geöffnet…

Fast unwillkürlich senkte sie den Kopf zu der kleinen Steintreppe, die hinauf zu ihrer Haustür führte.

Das Mädchen war leichenblass. Im ersten Moment schien diese Annahme sogar gerechtfertigt, doch schließlich wurde erkennbar, wie ihr Brustkorb sich minimal bewegte. Ihre Lider waren geschlossen, schienen bei jedem Atemzug jedoch leicht zu flattern. Einen winzigen Spalt war ihr Mund geöffnet, die Lippen wiesen leichte Risse auf, als hätten lange Schreie sie strapaziert. Weizenblondes Haar fiel in ihr Gesicht, konnte die blutverkrusteten Kratzer an beiden Wangen aber nicht verdecken.

Um ihren Oberkörper schlang sich etwas, was einmal ein weißes T-Shirt gewesen sein musste; nun hing es in faserigen Fetzen von ihrer Haut und entblößte darunter einige tiefe, dunkelrot pulsierende Wunden.

Eine davon stach ihr besonders ins Auge… »Scheiße«, murmelte Ursave. Sie warf einen kurzen Blick auf die Landstraße vor dem Gartentor, dann schob sie je einen Arm unter Schulterblätter und Kniekehlen des Mädchens und hob sie mit aller Vorsicht an. Sie trat die Tür hinter sich zu, platzierte den zierlichen Körper auf ihrem Sofa und entfernte den zerrissenen Stoff von der Wunde.

Ein Stück Knochen war durch ihre Schulter zu sehen. Es schien noch intakt und nicht gebrochen zu sein – Immerhin, dachte Ursave bitter –, allerdings zeigten die Konturen der Verletzung einige deutliche Hinweise.

Sorgfältig säuberte und verband Ursave alle Wunden, die sie hatte finden können, und ließ sich dann auf einen Stuhl in der Nähe des Sofas fallen. Mitleidig musterte sie das junge Mädchen. Gerade jetzt… Gerade jetzt gebissen worden, gerade in diesen Zeiten, dachte sie. Und noch so jung… Sie wird keine sechzehn sein… Es wird Jahre dauern, bis sie sich eingewöhnt hat, bis dahin wird jede Vollmondnacht die Hölle für sie.

Mit einem Seufzen ließ sie den Blick aus dem Fenster schweifen. Und ich kann es diesem Werwolf nicht einmal übel nehmen… Wahrscheinlich wollte er selbst nicht, dass es so kommt. Jeder von ihnen weiß, wie es im Moment um sie steht.

Nachdem das Mädchen Minuten später noch immer nicht aufgewacht war, begann Ursave in der Küche Tee und Frühstück zu machen. Mit einer dampfenden Tasse und einem Croissant in den Händen ließ sie sich wieder im Wohnzimmer nieder und legte die Füße auf den Couchtisch. Nur wenige Sekunden lang beobachtete sie ihren Gast, bis sie beschloss, anzurufen.

Es tutete einige Male in der Leitung, bis sich eine gedämpfte Stimme meldete: »Ja?«

»Ich bin’s, Ursave«, sagte sie. »Weißer Ordner.«

Sie hörte ein leises Aufatmen am anderen Ende, eine weit verbreitete Reaktion auf ihr Passwort. »Hey, schön dich zu hören. Alles in Ordnung, bist du zu Hause?«

»Ja, ich bin zu Hause, alles soweit okay. Aber hör zu, Quintus, ich brauche deine Heilkräfte. Hab vorhin ein Mädchen vor meiner Tür gefunden; meinst du, du kannst kommen?«

Quintus schwieg einen Moment lang. »Du weißt aber schon, dass es helllichter Tag ist, oder?«

»Ja, aber es ist neblig und du kannst dich doch verwandeln. Nach letzter Nacht werden die meisten Aufseher sowieso damit beschäftigt sein, die Trümmer zu beseitigen – und du kannst durch den Hintergarten rein.« Sie warf ihrem Sofa einen besorgten Blick zu. »Komm schon, bitte. Ich hab Angst, dass mir das Kind hier sonst wegstirbt.«

»Also gut.« Quintus seufzte. »Überredet – bevor du mir noch ’nen Mord anhängst. Ich bin gleich da.«

Ursave bedankte sich, bevor beide auflegten. Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, schielte dann immer wieder zu dem Mädchen. Während sie halbherzig an ihrem Croissant nuckelte, versuchte sie zu erkennen, ob die Bandagen durchgeblutet wurden, und ob ihr Atem womöglich aussetzte, doch der junge Körper siechte nur weiter in seiner Bewusstlosigkeit dahin.

Mehrere Minuten verstrichen, in denen sie geistesabwesend an ihrem Tee nippte und beobachtete, wie sich ihre Gedanken im Kreis drehten. Letzte Nacht war Vollmond, das stimmt. Und letzte Nacht war Sturm. Und sie ist noch nicht alt genug, um alleine zu leben. Warum in aller Welt ist sie gerade in einer solchen Nacht draußen unterwegs? Niemand stürzt sich freiwillig in Sturm und Vollmond gleichzeitig… Wenn sie nicht allein war, haben wir ein noch größeres Problem, dann wird entweder nach ihr gesucht oder da draußen fliegen noch irgendwelche Körperteile rum, was wiederum die Aufseher ärgern könnte… Gott, es wird jeden Monat schlimmer.

Sie kippte versehentlich etwas lauwarmen Tee über ihre Finger, als etwas an ihrer Hintertür kratzte. Rasch verdrängte sie den Schrecken, atmete leise durch und stellte ihre Tasse ab. Sie öffnete die weiße Holztür zum hinteren Teil ihres Grundstücks gerade so weit, dass der Wolf hindurchschlüpfen konnte, warf dann aus Gewohnheit noch einen prüfenden Blick zwischen die verwilderten Bäume, und drückte sie sorgfältig wieder zu.

Als sie sich umdrehte, stand Quintus bereits zurückverwandelt vor ihr. Er blies sich eine braune Strähne aus dem Gesicht, die sich aus seinem kurzen Pferdeschwanz gelöst hatte, und grinste ihr zu. »Guten Morgen, alte Frau. Siehst müde aus.«

Ursave musterte für einen Moment die kleine fehlende Ecke an seinem Schneidezahn, dann zuckte sie mit den Schultern. »Sturm macht mich unruhig. Wie geht’s dir?«

»Kann nicht klagen.« Quintus wandte sich dem Sofa zu und verzog augenblicklich das Gesicht. »Hab mich zu Hause mit ein paar Ratten anfreunden können… Was’n mit ihr passiert?«

»Aus irgendeinem Grund war sie letzte Nacht draußen. Sieh dir mal die Schulter an…« Für einen winzigen Moment keimte in ihr die Hoffnung auf, dass sie sich geirrt hatte, doch Quintus schüttelte seufzend den Kopf. »Werwolf«, sagte er düster.

»Kannst du ihr helfen?«, fragte Ursave. »Die Verbände sind notdürftig; ich hab Angst, dass sie verbluten könnte.«

Er nickte. »Ist schon gut, das krieg ich hin. Wie lange ist sie schon ohnmächtig?«

»Das weiß ich nicht…« Sie beobachtete, wie er vor dem Sofa in die Hocke ging und langsam seine Hände wenige Zentimeter über dem geschundenen Körper auf und ab bewegte. Die Luft dazwischen schien für einen Moment zu flimmern, typische Wärme ging von dem Jungen aus. »Ich hab sie vorhin so gefunden, lag direkt vor meiner Haustür und hat sich nicht bewegt. Die Verwandlung kannst du nicht aufhalten, oder?«

»Näh.« Er schüttelte den Kopf. »Das wär eher ein Job für euch Magier. Aber wahrscheinlich ist sie sowieso längst fertig. Tut mir leid.«

»Kein Ding… Ich hoffe nur, wir können ihr das erklären, wenn sie aufwacht. Wie weit bist du?«

Quintus richtete sich auf und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Er hob einen der Verbände an, um vorsichtig darunter zu blicken. »Hab getan, was ich kann… Die Blutung ist gestoppt und es ist alles größtenteils verschorft. Wenn ich noch mehr machen soll, brauch ich erst mal Frühstück und dann viel, viel Zeit.«

»Alles klar«, gluckste Ursave. »Dann lassen wir das Mädchen mal schlafen, komm mit in die Küche.«

Quintus schob sich auf einen der Hocker vor der Anrichte, faltete seine ledernen Flügel sorgfältig um seinen Rücken und sah sich um. »Aufgeräumt bis zum letzten Löffel«, murmelte er. »Wie hältst du das hier denn nur aus?«

»Weißt du doch«, grinste Ursave. »Liegt alles in der schweren Kindheit. Croissant?«

»Jap, gerne. Warst du schon draußen heute?«

»Nee… Hab nur kurz geguckt, ob meine Bäume noch stehen, seitdem liegt die Kleine in meinem Wohnzimmer. Warum?«

»Sieht lustig aus. Alles liegt kreuz und quer verstreut und auf den Straßen kullern lauter Menschen und Schwarzis rum, die versuchen alles wieder aufzuräumen und gleichzeitig nach jedem zu gucken, der irgendwie nach gesättigtem Werwolf aussieht. Das pure Chaos. Nur hier auf dem Land wird’s ruhiger, da schert sich ja keiner um ein paar umgekippte Bäume. Aber in der Stadt hätte ich sogar direkt vor deren Nase rumtanzen können, die hätten mich als Wolf keinen Meter erkannt… Alle viel zu beschäftigt mit Trümmern und Leichenteilen.«

»Ich wette, du hast es trotzdem versucht…«

Quintus grinste entschuldigend. »Wenn man nicht mehr altert, bleibt eben auch der jugendliche Leichtsinn erhalten…«

Ursave lachte und schüttelte den Kopf, wollte gerade etwas erwidern, als es an der Tür klopfte.

No More Sorrow

Lautes Pfeifen kündigte den Windzug an, der weitere nasskalte Luft durch die Ritze zwischen den Steinen blies; die Flamme erlosch. Sie seufzte, schloss für einen Moment die Augen, konzentrierte sich und entfachte eine neue.

Arschkalt hier, kommentierte Feli.

Sie sah auf. »Geh weg«, murmelte sie.

Getroffen verzog Feli das Gesicht, nahm die Hände aus den Hosentaschen und ließ sich neben ihr nieder. Er lehnte sich an sie, seine schneeweiße Haut berührte ihren Arm. Entschuldige, sagte er leise, als sie zusammenzuckte. Sie schüttelte bloß den Kopf und schwieg.

Eine Weile lang saßen sie stumm nebeneinander und blickten durch die Gitter auf den halbdunklen Gang. Das Feuer warf tanzende Schatten an die kahlen Wände, knisterte und knackte leise, spendete jedoch nur spärlich Wärme. Es ließ die Tränen in ihren Augenwinkeln rötlich glitzern. »Sie haben gesagt, du bist tot«, flüsterte sie. Ihre Stimme brach.

Feli stieß hörbar die Luft aus und blickte an sich herunter. Sichtlich unbehaglich zupfte er an seinem verschmutzten Oberteil. Ich weiß nicht, sagte er leise. Vielleicht bin ich das. Vielleicht sind wir das alle.

Erschrocken drehte sie den Kopf zu ihm, starrte ihn aus den großen hellblauen Augen an. »Wir alle?«, hauchte sie. »Alle?«

Feli lächelte gequält. Nein, nicht alle. Du nicht, Deb, du nicht. Aber wir… Wir Elementarier, verstehst du? Alle, die sich in dir vereinen. Kann schon sein, dass wir tot sind. Die haben ja widerliches mit uns angestellt, also… Er zuckte mit den Schultern.

»Aber du bist doch noch hier«, sagte sie sachte. »Ich seh dich doch.«

Er verzog mitleidig das Gesicht, versuchte weiterhin zu lächeln, was jedoch bloß tiefe, vielsagende Furchen durch seine Haut zog. Diese Versuche hier können dem Verstand ganz schön zusetzen…

Fassungslos öffnete sie den Mund, wollte antworten, als eine barsche Stimme Felis Gestalt wie Staub zerstob: »Deborah! Feuer aus! Aufstehen!«

Noch einige Momente lang starrte Deborah auf den leeren Fleck, den ihr Zellengenosse eben noch ausgefüllt hatte, dann drehte sie langsam den Kopf zu der schmalen Flamme zwischen ihren Händen.

»Los, schneller. Ich hab nicht ewig Zeit.«

Ein Zucken ging durch ihren Körper, mit einer flüchtigen Fingerbewegung ließ sie das Feuer verschwinden, klopfte ihre rußschwarzen Hände an der Kleidung ab und drückte sich schwerfällig auf die Beine. Scheu hob sie den Blick zu Hannah Seymour, der Projektleiterin für diesen Bereich. Ein streng zusammengebundener, brauner Pferdeschwanz ließ ihr Gesicht immer angespannt, hart und kantig wirken – Feli hatte es mal als steinhässlich bezeichnet; ihr gesamtes Auftreten war immerzu starr und unwirsch.

»Mit wem hast du eben geredet?«

Deborah senkte den Blick. »Mit Feliccio«, nuschelte sie.

Mit einem Knurren langte Seymour durch die Gitterstäbe und packte ihren Kragen, zog sie mit einem kräftigen Ruck nach vorne, sodass ihr Brustkorb schmerzhaft gegen das Metall gedrückt wurde. Kalte Augen bohrten sich in die ihrigen, ließen keine Emotion zu, obwohl ihre Stimme bereits furchtbar wütend klang, als sie betont langsam wiederholte: »Mit wem hast du geredet?«

Deborah gab ein schwaches Fiepen von sich, wagte nicht einmal die Arme zu bewegen, um sich ein wenig von den Stäben zu befreien. Ängstlich starrte sie die Frau an, die all ihre Reaktionen auf die Versuche so aufmerksam beobachtet hatte, und brachte es schließlich fertig, den Kopf zu schütteln. »Mit niemandem.«

»Schon besser.« Seymours Griff um ihren Kragen lockerte sich, mit zufriedener Überheblichkeit musterte sie Deborah von oben bis unten, ein humorloses Lächeln zog sich über ihr Gesicht. Sie zog ihre Hand zurück und schloss langsam die Tür auf, die von innen kaum von den restlichen Stäben zu unterscheiden war. »Komm mit«, befahl sie. »Ich werd dir jemanden vorstellen.«

Die Gewohnheit in Deborah quittierte das unwohlige Gefühl in ihrem Magen mit einem kräftigen Schlucken, sie führte ihre tauben Beine wie selbstverständlich aus der Zelle und ließ die aufkommende Angst zu einem dumpfen Pochen in ihrer Schläfe werden. Alles, was blieb, war die Frage, wer ihr vorgestellt wurde.

Wahrscheinlich bloß noch so ein Arzt, der schon wieder neue Elektroden entwickelt hat, damit ich nicht mehr ganz so viele Stromschläge bekomme, dachte sie bitter. Oder ein weiterer Fanatiker, der sein Blut für mich spenden will.

Verspricht ja, ein sonniger Tag zu werden, sagte Feli, während sie gemeinsam neben Seymour herhasteten, doch mit einem warnenden Blick zu ihr ließ Deborah ihn wieder verschwinden. Sie hatte jetzt keine Zeit, über Existenz oder Nichtexistenz nachzudenken.

Seymour entriegelte die üblichen Sicherheitstüren, führte sie erst den gewohnten Gang in Richtung der Labore entlang, bis sie plötzlich abbogen. Überrascht musterte Deborah den unbekannten Korridor; er war ebenso perlweiß wie alle anderen, Halogenlampen prallten auf sie nieder, alles war so steril wie der gesamte ihr bekannte Rest des Gebäudes, doch es gab weder Türen noch kleine Guckfenster an den Wänden – einzig am Ende des Ganges thronten zwei massive, dunkle Flügeltüren.

Fragen brannten auf ihrer Zunge, doch Deborah musste widerstehen: Würde sie jetzt den Mund öffnen, würde Seymour sofort die Würgemale an ihrem Hals auffrischen.

Sie näherten sich immer weiter den riesigen Türen und Deborah erwischte sich mit jedem Meter dabei, wie sie nervöse Blicke über die Schulter warf. Die meisten Ärzte, Versuchsleiter und Assistenten, die sonst so zielstrebig durch das Gebäude stolzierten, verlangsamten vor diesem Korridor und lugten neugierig hinein, beäugten sie und Seymour wissend und grinsten ihr sogar teilweise zu, was ihr Unbehagen zu brodelnder Übelkeit machte. Irgendetwas passierte hinter diesen Türen und auch wenn es nicht allen ganz klar zu sein schien, sie wussten, was es war.

»Blick nach vorn, Deborah. Komm rein.«

Desorientiert sah sie durch die Türen, die sich offenbar lautlos geöffnet hatten. Ein großer, halbdunkler Raum erstreckte sich vor ihnen, in seiner Mitte wurde ein schwaches Licht auf den Boden geworfen, wo ein zitterndes und zuckendes Bündel kauerte. Deborah unterdrückte den Drang, umzudrehen und zurück in ihre Zelle zu laufen.

Als hätte sie das gespürt – was sie vermutlich sogar getan hatte –, legte Seymour eine Hand auf ihre Schulter und drückte sie mit bestimmtem Griff weiter nach vorne. Sie senkte die Stimme. »Siehst du die Ärzte da vorne? Und die junge Frau? Die haben ihn gefunden, unseren Flüchtling. Unser anderes Musterobjekt, dein Gegenstück. Die Nachricht seines Verschwindens hat auch dich erreicht, nicht wahr?«

Deborah nickte stumm. Ihr Blick streifte nur kurz die lächelnden Ärzte und das augenscheinlich schrecklich nervöse Mädchen, das sie kaum älter als fünfzehn schätzte, dann haftete er wieder an dem Haufen Lumpen im Mittelpunkt, der ab und zu leise, zittrige Geräusche von sich gab.

Sie kannte seinen Namen nicht. Sie hatte von ihm gehört, aber sie kannte seinen Namen nicht. Mistvieh hatten sie ihn immer nur genannt, und Bastard. Sie wusste, dass er ebenfalls Versuchsobjekt gewesen war, aber sie wusste nicht, was genau an ihm getestet worden war. Seine Flucht musste bereits Monate her sein. Deborah hatte kein besonders gutes Zeitgefühl in ihrer Gefangenschaft, doch gelegentlich hörte sie die Ärzte neben ihr aktuelle Daten vor sich hinmurmeln.

Es war ein riesiger Aufruhr gewesen, tagelang hatten überall rote Lichter geblinkt, alle waren permanent durch die Gänge gerannt. Als die Panik um die Unsicherheit des Gebäudes sich gelegt hatte, waren sie nur noch wütend gewesen. Deborah hatte das zu spüren bekommen. Sie waren plötzlich weitaus brutaler mit ihr umgegangen und hatten immer wieder geschimpft über wertlosen Abfall, der es wagte, sich aufzulehnen. Feli hatte während dieser Zeit außerordentlich gute Laune gehabt. Hoffnung, hatte er immer wieder gesummt, es gibt noch Hoffnung! Und Deborah hatte gezögert, aber dann zugestimmt. Es klang einfach logisch. Es klang logisch, sich Freiheit von diesen Leuten schaffen zu wollen, und es klang logisch, dass es alle schaffen konnten, wenn es einer geschafft hatte.

Aber jetzt war er wieder gefunden worden und all das klang überhaupt nicht mehr logisch.

»Ich möchte, dass du dir genau ansiehst, was mit ihm passiert«, sagte Seymour neben ihr leise. »Dann wirst du vielleicht endlich lernen zu schätzen, wie locker wir mit dir umgehen. Immerhin testen wir an dir bloß ein paar Reaktionen und neue Fähigkeiten. Er hier wird unter anderem auf Schmerzempfindlichkeit getestet.« Sie nickte einem der Ärzte zu, der sich daraufhin einem großen Schalter in der Wand näherte. »Obwohl er im Moment noch von Tests befreit ist; erst steht eine ganze Reihe von Bestrafungen an… Einige davon wirst du dir auch ansehen dürfen. Zur reinen Prävention. Verstanden?«

»Ja«, sagte Deborah bloß. Ihre Stimme war nicht mehr als ein heiseres Kratzen; sie wusste genau, worauf Seymour hinauswollte: Wenn sie mit ansah, was mit Flüchtlingen passierte, würde sie nicht auf die Idee kommen, selbst einer zu werden.

Mit einem lauten Krachen wurde der Schalter umgelegt. Deborah verfolgte die Kabel, die von ihm ausgingen, bis ins Innere des Bündels. Sie kannte diese Kabel, sie schickten Strom in Form von unterschiedlich starken Schmerzenswellen durch den Körper.

Einige Momente lang geschah nichts. Der umgelegte Schalter machte dumpfe, bohrende Geräusche, alle Blicke waren auf den gefangenen Flüchtling gerichtet, aber niemand regte sich. »Er hat Fortschritte gemacht«, murmelte Seymour. »Sein Glück.«

Die Glieder am Boden zuckten. Der Körper ruckte einige Male hin und her, dann, mit einer plötzlichen Bewegung aus dem Nichts, sprossen Flügel hervor, streckten und beugten sich wieder, schlugen kurz und sanken wieder zusammen. Deborah nahm ein tiefes Grollen wahr, das sie erst nicht zuordnen konnte, bis es immer weiter anschwoll und sie es als eine Stimme identifizierte. Die Gestalt am Boden schmiss den Kopf in den Nacken, sie sah schweißnasse Haarsträhnen in ihrem Gesicht kleben, der Mund war weit geöffnet, die Arme, die sich langsam vom restlichen Körper abzeichneten, krampften synchron mit den Flügeln am Rücken; der Mann brüllte aus voller Kehle.

Erschrocken wollte Deborah einen Schritt nach hinten machen, doch Seymours Hand riss sie unwirsch zurück. »Sieh es dir an.« Noch immer sprach sie leise, gewann jedoch einen immer drohenderen Unterton. »Wir haben ihm Gene eingepflanzt, die sein Schmerzempfinden lindern. Eigentlich fühlt er kaum noch etwas. Aber diese Stromstöße bringen selbst ihn zum Winseln.«

Deborah hatte Schwierigkeiten ihr zuzuhören. Obwohl die Schreie heiser und gedämpfter geworden waren, hallten sie noch ohrenbetäubend in ihrem Kopf wider; noch immer bäumte sich der Körper unerlässlich auf, bebte und wand sich unter den Stromschlägen, die seine Gliedmaßen durchfuhren. Sie zuckte mit jedem Mal zusammen, als sein Kopf mit einem dumpfen Geräusch mit dem Boden kollidierte.

Der Gefangene erschlaffte. Letzte Spasmen ließen ihn erzittern, ebbten jedoch nach und nach ab. Sie schielte zu den Ärzten und stellte fest, dass der Schalter noch nicht wieder umgelegt worden war. Ein Schauer überkam sie, mit zusammengekniffenen Augen suchte sie den Brustkorb des unbekannten Mannes, um eine eventuelle Atmung beobachten zu können.

Deborah hob erleichtert die Mundwinkel, die Gegend um seine Rippen bewegte sich. Langsam, flach, aber sie bewegte sich. Der Flüchtling war schwach.

Und dennoch brachte er es fertig, den Kopf zu ihr zu drehen… Sie gab vor lauter Überraschung ein leises Quieken von sich, drückte rasch eine Hand auf ihren Mund. Der Mann, oder eher der Junge, wie sie jetzt feststellte, sah sie direkt an. Um seine Augen glitzerten getrocknete Tränen, sie waren bloß halb geöffnet, und doch schien sein Blick klar und bestimmt. Und er ging direkt in ihr Gesicht.

Und er lächelte. Obwohl Lächeln fast das falsche Wort war, fand Deborah, er grinste sogar fast. Er grinste. Grinste zu ihr hoch. Nach allem, was er durchlebt hatte – die Stromstöße waren allem Anschein nach nicht das einzige, was er bisher zu erleiden gehabt hatte. Er grinste zu ihr hoch, und dieses Grinsen strotzte nur so vor Überlegenheit, vor Rebellion, vor Freiheit – so sehr, dass es begann, Deborah zu ängstigen.

Ihre Knie drohten nachzugeben, deutlich witterte sie die Gefahr, die von diesem Kämpfer ausging. Er hatte sich diese Folter selbst zu verschulden und sie wollte nicht, dass es mit ihr auch so weit kam. Sie hatten doch die ganze Zeit Recht gehabt. Flucht gab nur Schmerz.

Scheu blickte sie hoch zu Seymour, wünschte sich nichts mehr, als zurück in ihre Zelle zu können, ohne weitere Show, ohne Diskussion, bloß zurück und weiterleben wie bisher; doch sie wagte nicht, ein Wort zu sagen.

Seymour senkte den Kopf zu ihr; sie schmunzelte trocken und schief. »Genug gesehen, Deborah?«

Ihr Nacken war steif, doch sie nickte, in der desperaten Hoffnung, gnädig entlassen zu werden.

»Gut. Strom aus, Jungs, bringt ihn zurück. Wir sehen morgen weiter, ob er noch immer so viel Blut verliert…«

Sie drehte sich weg und schob Deborah weiterhin mit sich. Zögernd blickte sie noch einmal über die Schulter, der Junge hatte die Augen mittlerweile geschlossen, doch noch immer umspielte ein schmales Lächeln seine Lippen.

Deborah erschauderte, dann trat sie zurück auf den Gang.
 

Nach einiger Zeit wurde es leiser. Das Schluchzen flaute zu einem zarten Wimmern ab, bis durch die Tür zu Louis’ Arbeitszimmer gar nichts mehr zu hören war. Ein Klicken symbolisierte, dass sie wieder offen und er wieder ansprechbar war. Phoebe streckte kurz einen Arm in Richtung der Klinke aus, entschied sich dann aber gegen eine weitere Auseinandersetzung und kehrte der Tür den Rücken.

Sie ließ sich seitlich auf einen Sessel fallen, legte die Beine auf eine Armlehne und schloss die Augen. Seufzend rieb sie sich mit Daumen und Zeigefinger über die Nase, versuchte das leise Echo der Schreie, der Tränen und der Verzweiflung zu ignorieren. Ihr Kopf dröhnte, sie brachte es nicht fertig, sich zu entspannen.

Es war seltsam. Einfach seltsam. Sie war immer gerne als Dämon tätig gewesen und sie hatte auch Louis als ihren Mentor immer bewundert.

Man nannte ihn den Sonnengott, Louis Quatorze. Er hatte gelbe Haut, gelbe Augen, gelbes Haar und die dämonische Fähigkeit, nach Belieben Feuer zu entzünden. Und er war überheblich. Überheblich, selbstverliebt und volksverachtend. Der perfekte absolutistische König. So hatte er sich seinen Namen erarbeitet, und auch seinen Ruf, der zwar eher weniger schmeichelhaft, in der Unterwelt aber Gold wert war.

Louis hatte kein Mitleid. »Arbeit ist Arbeit«, pflegte er zu sagen, »und Mensch ist Objekt.« Vor mehreren hundert Jahren hatte er seine Stelle als Feuerdämon aufgegeben und war zu den herkömmlicheren Arbeiten gewechselt. Nun war es seine Aufgabe, sich in Köpfen einzunisten (Menschen hatten diese Köpfe dann »besessen« getauft) und den Verstand zu manipulieren.

Es war lange her, dass Phoebe neu ins Gewerbe eingestiegen war. Louis hatte sie sofort mit einem schiefen Grinsen begrüßt und sich als ihr Mentor vorgestellt, von da an hatte er ihr alles beigebracht. Sie hatten sich gut verstanden, Phoebes sadistische Ader war aufgeblüht, sie hatte schnell gelernt. Und sie hatte Spaß gehabt, bei jedem Auftrag, bei jeder Lektion.

Dann hatte der Krieg begonnen. Natürlich florierte das Geschäft der Unterwelt in jedem Krieg, und zu Anfang hatte sich Phoebe auf die kommende Arbeit gefreut, doch sie hatte schnell festgestellt, dass dieser Krieg ein anderer war. »Es geht uns trotzdem nichts an«, hatte Louis gesagt. »Das ist bloß eine Sache zwischen Menschen und dem ganzen anderen Ungeziefer.« Aber Phoebe hatte von Beginn an das Gefühl gehabt, dass sie diesmal ebenso zu dem anderen Ungeziefer gehörten, wie all die Magier, Werwölfe, Vampire, Zwerge, Elfen, Zwölfen und Elementarier. Und das hatte ihre Augen geöffnet.

Es hatte ihr immer Freude bereitet, Menschen schreiend im Kreis rennen zu lassen, sie dazu zu bringen ihre Zimmerwände voll zu kritzeln, ihre Familienmitglieder grundlos anzubrüllen, bis diese wutentbrannt abhauten, sie dazu zu überreden mit einer Schrotflinte in den Supermarkt zu springen – doch Louis’ jetzige Pläne nahmen Ausmaße an, die sie nicht billigen wollte.

Das Schluchzen aus dem Arbeitszimmer war von einem vierzehnjährigen Mädchen gekommen; nach außen waren die Geräusche ihrer Umgebung immer hörbar, wenn Louis sich mental in ihrem Kopf befand.

Er hatte sie zum Verrat gebracht. Das war nicht das Schlimme, Verrataufgaben waren in Kriegszeiten nichts Besonderes; schlimm war, wen sie seinetwegen verraten hatte. Sie hatte eine Zwillingsschwester, die vor einiger Zeit von einem Werwolf gebissen und verwandelt worden war. Um sich vor ihrem fanatischen Vater zu schützen, hatte sie sich in der Nacht ihres Bisses noch zu dem Haus einer Magierin geschafft, die seit Kriegsbeginn als Rebellin überall gesucht wurde. Zur gleichen Zeit war ein Flüchtling aus den Versuchslaboren der Menschen im Haus zu Besuch.

Und Louis hatte dem Mädchen die Adresse dieses Hauses in den Kopf gesetzt und sie dazu gebracht, dort hereinzuplatzen. Es hatte einige weitere Tage gebraucht, bis er sie weit genug hatte, um alle drei zu verraten, doch er hatte es tatsächlich geschafft. Sie hatte die zwei meistgesuchten Rebellen und ihre eigene Schwester verraten, und das unbewusst, wegen Besessenheit.

Die Schreie, die Tränen, waren das Resultat gewesen aus dem Moment, in dem ihr das Ausmaß ihrer Tat bewusst geworden war. Die Magierin hatte noch entkommen können, doch der Flüchtling und die junge Werwölfin waren abtransportiert worden. Ersterer musste jetzt wahrscheinlich einige Folter über sich ergehen lassen, über das Schicksal des Mädchens war Phoebe sich nicht sicher.

»Sie werden sie schon nicht töten«, hatte Louis rasch auf ihre tadelnde Anfrage geantwortet. »Ich kann auch versuchen darauf aufzupassen, dass keine von den Minderjährigen stirbt, wenn dir dann wohler ist.«

Phoebe schnaubte gegen den Sessel.
 

Are you lost in your lies?

Do you tell yourself I don’t realise?

Your crusade’s a disguise

Replace freedom with fear, you trade money for lives

I’m aware of what you’ve done
 

Sie wusste, dass es nicht stimmte. Sie wusste es mit hundertprozentiger Sicherheit. Möglicherweise würden die Menschen das Mädchen nicht umbringen, doch Louis würde sich niemals darum kümmern. Ihm wäre es egal, für ihn zählte die Arbeit, nicht die Zahl der Überlebenden – und erst recht nicht ihr Alter.

Er hatte sie angelogen. Und er tat es immer wieder. Und offenbar befand er sich auch noch in der dreisten Annahme, ihr würde es nicht auffallen.

Phoebe blickte aus dem Fenster ihres Diesseitshauses. Sie hatten sich direkt hier eingenistet, um während des Krieges näher bei ihren potenziellen Opfern zu sein. Vom Sturm der letzten Nächte war kaum noch etwas zu bemerken, der Sommer hatte endlich begonnen: Die Tage waren hell und warm, kein Lüftchen wehte, und Tiere wagten sich wieder aus ihren Bauten – aber damit waren sie die einzigen. Keine Rasse traute sich mehr auf die Straße. Ein paar Menschen, nur in Begleitung von Schwarzmagiern, alle anderen verbarrikadierten sich in ihren Häusern. Die ganze Welt lebte in Angst und Sorge.

Und das hätte nicht sein müssen. Vor allem sie als Dämonen hätten es verhindern können. Natürlich war es nicht gerade ihre Aufgabe, Weltfrieden zu schaffen, jedoch waren sie auch nicht nur zu durch und durch bösen Taten fähig. Eigentlich hatten Phoebe und Louis sich darauf geeinigt, nur bedingt einzugreifen. Sie wollten ein bisschen Unruhe stiften, sich aber nicht weiter einmischen und den Krieg Krieg sein lassen. Sie hatten keine Tode verantworten wollen. Immerhin würde das dieser Krieg von ganz alleine erledigen; er war anders als die vorigen, alle waren daran beteiligt, es würde also genügend Opfer geben.

Louis hatte irgendwann aufgehört, sich daran zu halten. Der Spaß an der Sache hatte ihn übermannt, er hatte gewütet, gelacht, im regelrechten Blutrausch immer jüngere Opfer manipuliert – und Phoebe hatte immer daneben gestanden und ihre Schreie gehört, sich gesorgt und gleichzeitig geekelt.
 

No, no more sorrow

I’ve paid for your mistakes

Your time is borrowed

Your time has come to be replaced
 

Phoebe warf einen Blick zum Arbeitszimmer, es war noch immer aufgeschlossen, also war Louis nicht mehr mit dem armen Zwillingsmädchen namens Candace beschäftigt; sie hatte freie Bahn. Etwas widerwillig schloss sie die Augen und begann langsam, sachte, sich in ihren Verstand einzufühlen.

Sie wollte sich vergewissern, was Louis diesmal angerichtet hatte. Sie wollte mit ihren Augen sehen.

Candace saß in einem kahlen Kinderzimmer auf ihrem Bett. Die Pritsche ihr gegenüber war leer, die Laken unordentlich zerwühlt. In verschnörkelter Schrift war an die Wand darüber der Name Zoé gepinselt worden.

Das Mädchen seufzte zittrig und wischte sich mit dem Handrücken Tränen von den Wangen. Sie hatte ihre Schwester immer geliebt. Sie waren das Zwillingspaar aus dem Bilderbuch gewesen, hatten einander die Sätze beendet, sich nie gegenseitig allein gelassen, den Krankheitstod ihrer Mutter hatten sie rein aus gemeinsamer Kraft überstanden, es hatte keinen Moment gegeben, in dem sie nicht die Gefühle der anderen haarklein hätten beschreiben können.

Auch zu ihrem Vater hatte sie immer eine gute Beziehung gehabt – Zoé auch. Ja, er hatte schon immer etwas extreme Ansichten gehabt, doch gestört hatte sie das nie. Sie hatten sich immer gerne auf Diskussionen mit ihm eingelassen.

Und dann eskalierte die letzte dieser Diskussionen.

Natürlich ging es um Mord. Kriegsmord, wie ihr Vater es nannte. Seit dem Tod ihrer Mutter waren die Mädchen empfindlich, wenn es zu diesem Thema kam. Sie wollten nichts mehr von Sterben hören, selbst wenn es dabei um Gegner ging.

Die sonst so stille Zoé steigerte sich immer mehr in ihre Argumente hinein – soweit, dass sie irgendwann brüllend und auf den Zehenspitzen vor ihrem Vater endete. Sie wollte und wollte ihm nicht zustimmen, dass es in Ordnung war, Lebewesen von ihren Familien und Freunden zu reißen, bloß weil sie keine Menschen waren, dass sie sich dann nicht genauso wie sie und Candace fühlen würden, dass es auch in einem Krieg nicht das Ziel sein konnte andere zu quälen.

Candace wusste nicht mehr genau, was sie alles gesagt hatten. Sie wollte sich auch nicht mehr daran erinnern. Die Situation artete aus. Irgendwann warfen sie sich statt Argumenten nur noch Beleidigungen an die Köpfe und schließlich holte ihr Vater tief Luft, deutete zittrig auf die Tür und raunte ihren Rausschmiss.

Beide Schwestern hatten versucht ihre Erschrockenheit zu verbergen. Draußen riss der Sturm an Bäumen und Straßenlaternen, selbst das Haus schien zu beben unter den immer heftigeren Windböen und dem harten Regen. Doch Zoé widersprach nicht. Sie schob bloß trotzig den Unterkiefer vor, schnappte sich ihre Jacke und stapfte aus der Tür.

Und am nächsten Morgen hatte Candace plötzlich diese vertrauensvolle Stimme wahrgenommen, die ihr eine Adresse zuflüsterte, wo sie ihre Schwester finden konnte…

An diesem Punkt klinkte Phoebe sich aus ihren Erinnerungen aus. Mit einem tiefen Seufzen öffnete sie die Augen und schüttelte den Kopf. Das Mädchen war verzweifelt, hatte Dinge mitangesehen, die eine Vierzehnjährige viel zu sehr belasteten, hatte Dinge getan, für die sie sich selbst am liebsten in Stücke reißen würde – bloß weil Louis eine seiner aus Langeweile entstandenen Ideen gehabt hatte, die er für lustig hielt.

Es war einfach zu viel geworden.
 

I see pain, I see need

I see liars and thieves abuse power with greed

I had hope, I believed

But I’m beginning to think that I’ve been deceived

You will pay for what you’ve done

No, no more sorrow

I’ve paid for your mistakes

Your time is borrowed

Your time has come to be replaced
 

Louis stand im Türrahmen zum Wohnzimmer. Seine Augen hafteten nachdenklich an ihr, als er leise Luft holte. »Du warst in ihrem Kopf«, sagte er. Er klang gedämpft, unschlüssig.

Er traut mir nicht zu, mich gegen ihn aufzulehnen, dachte Phoebe mit einem Anflug von Bitterkeit.

Sie nickte bloß.

»Und?« Jetzt klang er schroff, schob offenbar aus Frustration über den Mangel an Antwort den Unterkiefer nach vorne.

»Du hast einem Teenager das Leben zertrampelt«, sagte sie schlicht.

Er gab einen grunzenden Laut von sich und zuckte mit den Schultern. »Hat sie eben eine schwere Jugend. Kommt vor; haben wir doch alle irgendwo.«

»Und du bist dafür verantwortlich.«

»Jetzt versuch nicht, mir Schuldgefühle einzureden. Was muss, das muss, Phoebe. Arbeit ist Arbeit.«

»Und Mensch ist Objekt, lass mich damit bloß in Ruhe.« Phoebe hielt es für angebracht aus dem Sessel aufzustehen; sie verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich direkt vor ihn. »Es geht diesmal nicht mehr nur um Menschen. Es geht um uns alle.«

»Nicht um uns, es geht nie um uns, wir sind immun. Wir gehören zur Unterwelt, das ist alles, was uns etwas angeht.«
 

Thieves and hypocrites
 

»Wenn es uns nichts angeht, warum mischst du dich dann in ihr Leben ein?«

»Teufel noch mal, Phoebe, das ist unser Job

Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht unser Job, Kinder dazu zu zwingen, ihre eigenen Geschwister an einen Haufen mordlustiger Irrer zu verraten«, sagte sie leise.

»Wenn die Umstände so stehen, ist es…«

»Nein. Du hättest es verhindern können. Es war nicht deine Pflicht, es gehörte nicht explizit zum Auftrag. Du hättest es einfach sein lassen können.«

»Dann wäre ihre Schwester die ganze Zeit verschwunden gewesen und sie hätte sich Sorgen gemacht.«

Phoebe hob spöttisch eine Braue. »Und das ist schlimmer als zu Hause zu sitzen mit dem Wissen, dass sie als Werwolf vermutlich in irgendeiner Zelle sitzt und auf ihre Hinrichtung wartet? Wer weiß, was ihr Vater im Moment alles anstellt – du weißt es wahrscheinlich – ich will es mir überhaupt nicht vorstellen.«

Er verdrehte die Augen. »Mach dir doch um so was keine Gedanken. Das kann uns völlig egal sein.«

»Es ist mir aber nicht egal. Ich kann nicht aufhören darüber nachzudenken, wie sich so was anfühlen mag, und es muss einfach nur furchtbar und widerlich und eklig sein und ich werd den Gedanken nicht los, dass wir verdammt noch mal daran Schuld sind!«

»Phoebe…« Louis hatte wieder diesen gönnerhaften Blick, sah auf sie herab als ihr Mentor und Lehrer, geduldig und milde lächelnd. »Das ist eben der Preis für diese Arbeit. Aber daran hättest du dich doch langsam gewöhnen müssen. Wir sind eben Dämonen und das ist, was Dämonen eben so tun. Das hab ich dir das letzte Mal doch vor hundert Jahren erklären müssen.«

»In diesem verfluchten Krieg ist es anders. Es ist alles anders. Und Louis, ich…« Sie zwang sich selbst, zu stoppen. Mit einem Blick in seine Augen wusste sie wieder, dass er Strategie anwandte. Ihr Tonfall war bereits weicher geworden, einfach nur weil er ihr gegenüber wieder die Vaterrolle angenommen hatte und sie deshalb aufpassen wollte, ihn nicht zu verletzen. Sie schnaubte innerlich, dieser Gedanke war lächerlich. Louis konnte nicht verletzt werden, Louis war emotional völlig tot, wenn es nicht gerade um menschliche Abgründe ging. Sie musste jetzt weiter hart und ehrlich bleiben. Es war egal, was er deshalb fühlte. »Ich mach das nicht mehr mit. Ich gehe.«

Einen Moment lang sagte er nichts, dann zog er bloß langsam die Augenbrauen hoch. »Ach«, machte er. »Und wohin?«

Sie zuckte die Achseln. »Die Welt ist groß, irgendetwas werd ich schon finden. Jedenfalls brauch ich erst mal meine Ruhe von dir, und zu den Arbeitslosen werd ich mich wohl auch gesellen.«

In Louis’ Gesicht mischten sich Ungläubigkeit und Hohn. »Du wirst nicht von mir abhauen, Phoebe.« Er senkte die Stimme. »Seit deinem Einstieg warst du nirgends mehr alleine. Ich bin dein Mentor, meine Liebe. Ich hab dir alles beigebracht. Bis heute. Du wirst doch ohne mich kaum klar kommen… Und du willst es doch noch nicht mal wirklich, du willst mich doch nicht alleine lassen, uns trennen. Du kannst es dir nicht mal richtig vorstellen.«
 

Thieves and hypocrites
 

Phoebe schaffte ein sarkastisches, schiefes Grinsen. »Ich kann es mir sogar so gut vorstellen, dass ich jetzt nicht einmal meine Sachen packen werde, sondern sofort verschwinde.« Sie wandte sich ab und schlenderte auf die Haustür zu. »Viel Spaß noch, Lou. Und vermiss mich nicht allzu sehr.«

Erst als sie die Tür bereits geöffnet hatte, machte Louis noch einen Schritt auf sie zu. »Denk darüber nach.« Er sprach noch immer leise. »Denk bloß gut darüber nach. Und sei froh, wenn ich dich noch aufnehme, wenn du zurückgekrabbelt kommst. Du verrätst mich, Phoebe, du verrätst deinen eigenen Mentor.«

Mit einem schmalen Lächeln blickte sie über die Schulter. »Dann merk dir jetzt gut, wie sich Verrat anfühlt.«
 

Thieves and hypocrites!
 

Sie trat nach draußen und schloss die Tür hinter sich. Rasch ging sie voran, mit dem schleichenden Gedanken im Hinterkopf, dass er ihr folgen könnte, gekoppelt mit den Erinnerungen an die Dinge, zu denen er fähig war.

Er wird schon noch eine ganze Weile brauchen, bis er auch mir gegenüber gewalttätig werden will, dachte sie schmunzelnd.

Dann ließ sie den Blick über das leere Feld schweifen, das bald an einen Wald grenzte, über den rosa-blauen Horizont und die verblassenden, langsamen Wolken – sie wusste wirklich nicht, wo sie jetzt hin sollte oder wollte.

Aber das war vorerst sowieso egal.
 

No, no more sorrow

I’ve paid for your mistakes

Your time is borrowed

Your time has come to be replaced

No more sorrow

I’ve paid for your mistakes

Your time is borrowed

Your time has come to be replaced

Your time has come to be replaced

Your time has come to be erased.

Fragment

Ursave zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und vergewisserte sich, dass deren Schatten ihre Augen bedeckte. Sie bemühte sich, nicht allzu hektisch zu wirken. Ich bin irre, dachte sie, völlig irre, hier am helllichten Tag quer durch die Stadt zu rennen.

Sie hatte sich gesagt, dass man höchstwahrscheinlich eher in dunklen, nächtlichen Verstecken nach ihr suchen würde, also wollte sie das Gegenteil davon tun. Viel mehr Sicherheit gab ihr das allerdings trotzdem nicht. Das ganze Land wusste von ihrer Flucht und das ganze Land wusste von ihrem Kopfgeld.

Sie seufzte. Mit viel Mühe hatte sie es geschafft, ihr schwarzes Haar zu einem dreckigen Blond aufzuhellen – der Zauber musste noch ein paar Stunden halten, wenigstens bis sie aus der Stadt war, wo ihr überall Fahndungsplakate mit ihrem Gesicht entgegenstarrten. Ihre Robe lag zusammengefaltet in ihrem Rucksack; es war klüger, wie ein ganz normaler Mensch auszusehen, die waren immerhin am weitesten verbreitet.

Aus dem Augenwinkel sah sie zwei dunkle Roben mit eindeutigen Symbolen am Saum – Schwarzmagier. Sie unterhielten sich lachend und laut, und Ursave schnappte das Wort Flüchtling auf. Sie hob den Kopf, versuchte, nicht zu auffällig zu reagieren.

Die beiden Männer hatten ihre Kapuzen weggezogen, die Gesichter kannte sie nicht. Ungeduldig wartete sie, bis sie an ihr vorbeigegangen waren, um ihnen in gebührendem Abstand zu folgen. Zu ihrer Erleichterung bogen sie in eine weitere Einkaufsstraße ein, wo sie nicht die einzigen Passanten waren.

Ihr erster Gedanke war, dass sie hier von viel zu vielen Menschen gesehen werden konnte, doch dann sagte sie sich, dass sie von umso mehr Menschen übersehen werden konnte. Spätestens seit der Kriegserklärung waren alle mit sich selbst beschäftigt, was Ursave ihnen kaum verübeln konnte.

»Unser Mischling«, hörte sie von vorne.

»Er ist endlich wieder zu den Experimenten zugelassen worden«, sagte einer der Magier. Das Grinsen war in seiner Stimme noch zu hören.

»Jeff hat vorhin gemeint, er kann sich kaum noch bewegen«, lachte der andere. »So viel zum Thema Schmerzempfinden. Na ja, er soll ja noch immer bluten wie ein Schwein.«

»Ich find das mit dem Heilen viel lustiger. Letztens hat er sich wohl so sehr zur Wehr gesetzt, dass er Jeff die Nase gebrochen hat; und Jeff hat ihn gezwungen, ihn wieder zu heilen, aber seine eigenen Brüche konnte er nicht richten.«

Ursave hatte die Zähne mittlerweile so tief in ihre Unterlippe gegraben, dass es schmerzte. Wüste Flüche und Zauber lagen ihr auf der Zunge, doch sie musste sich zurückhalten. Von Quintus’ neuen Fähigkeiten hatte bisher keine so funktioniert, wie es vorgesehen gewesen war. Die Menschen hatten auf ihrer Suche nach dem perfekten Krieger alle bekannten Rassen in ihm vereint.

Er sollte die Vollmondsverwandlung des Werwolfes beherrschen, allerdings kontrolliert und nicht so wütend, wie es artgerecht wäre. Nun, er konnte sich bei Vollmond kontrollieren. Allerdings kostete ihn das jedes Mal so viel Kraft, dass er in seiner Wolfsgestalt nur noch regungslos am Boden liegen konnte, statt zu kämpfen.

Auf seinem Rücken prangten die großen, ledernen Flügel eines Dämons. Allerdings benötigen Dämonen zum Fliegen sowohl ihre Flügel als auch eine ganz bestimmte Magie, die Quintus nicht beherrschte. Ohne sie waren die Flügel zu schwer, um sie groß zu bewegen.

Er beherrschte ein kleines Bisschen der herkömmlichen Magie. So, wie sie Ursave ebenfalls bereits beherrscht hatte, als sie auf die Welt gekommen war. Theoretisch hatte Quintus die Fähigkeit, mehr von dieser Magie zu lernen, doch bei diesem Thema sträubte er sich meist aus purem Trotz.

Die beiden Schwarzmagier hatten auf seine fehlgeschlagenen Eigenschaften von Elfen und Zwölfen angespielt. Elfen hatten Heilkräfte – Quintus auch, allerdings nur an fremden Körpern. An seinen Wunden konnte er nichts ändern. Zwölfen wiederum empfanden keinen Schmerz, waren dafür aber oft starke Bluter. Solang man Quintus nichts allzu Heftiges zufügte, empfand er auch keinen Schmerz, blutete jedoch ebensoviel wie eine Zwölfe. Noch problematischer war jedoch, dass er statt Wundschmerz zuweilen einfach grundlos Krämpfe bekam und in diesen Momenten ein äußerst ausgeprägtes Schmerzempfinden hatte. Kurz gesagt waren also fast alle Experimente der Menschen nach hinten losgegangen. Erfolgreich waren bloß die Gene von Zwergen und Vampiren gewesen: Quintus hatte an Größe verloren und alterte nicht mehr.

»Ich bin die größte Enttäuschung der Menschheit«, grinste er immer.

Die beiden Magier wechselten das Gesprächsthema zur Diskussion über das bevorstehende Mittagessen, und Ursave wandte sich ab. Sie verließ die Einkaufsstraße, gelangte schnell in ein menschenleeres Feld nahe der Autobahn. Mit einem tiefen Seufzen ließ sie sich ins hohe Gras fallen. Ihre Vernunft brüllte ihr noch entgegen, sie solle sich gefälligst ein besseres Versteck suchen, doch sie schüttelte nur den Kopf. Für den Moment wollte sie an ihre Sicherheit glauben.

Sie schloss die tränenden Augen und legte eine Hand über sie. Was war nur passiert in den letzten Monaten? Oder Jahren? Wann hatte dieser ganze Hass eigentlich begonnen?

Es war schon immer so, dachte sie dumpf. Schon vor der Offenbarung.

Die Offenbarung nannten die meisten Wesen den Tag, an dem sie an die Öffentlichkeit getreten waren. Es war in Etappen geschehen, die Vampire hatten den Anfang gemacht. Langsam, schonend hatten sie versucht der Menschheit beizubringen, dass es sie gab und dass sie bereits seit langen Jahrhunderten in ihren Städten wohnten. Werwölfe und Magier waren ihrem Beispiel gefolgt, dann hatten sich auch die Rassen getraut, die den Menschen nicht ganz so ähnlich sahen.

Eine Weile lang hatte das gut geklappt. Und dann… Ja, was dann? Es hatte wohl kein ausschlaggebendes Ereignis gegeben, jedenfalls konnte Ursave sich an keines erinnern. Die Menschen hatten schon immer ein Problem damit gehabt, nicht allein auf diesem Planeten zu sein.

Sie konnte es letzten Endes ja verstehen. Als ihre Großmutter ihr zum ersten Mal erklärt hatte, dass es nicht nur Magier gab, sondern noch etliche andere, und dass von einigen sogar eine natürliche Gefahr ausging, da war sie auch erschrocken gewesen.

Ursave schmunzelte. »Aber da war ich vier«, murmelte sie heiser in die Luft.

Sie wusste nicht, weshalb die Menschheit solch kopflose Panik geschoben hatte, und sie war jetzt auch zu müde, um darüber nachzudenken. Jedenfalls hatten sie sich nie so wirklich mit dem neuen Wissen anfreunden können.

Schon vor der Offenbarung hatte es Gegner gegeben. Jäger. Größtenteils waren sie bloß auf Vampire oder Werwölfe spezialisiert, der Bedrohung wegen, doch einige waren auch hinter Elfen und Zwölfen her, wegen der Flügel, oder hinter Erd-Elementariern, wegen der tierischen Fellohren.

Und als das Misstrauen wuchs, als der Hass wuchs, traten sie in den Vordergrund. Aus Hass wurde Jagd. Aus Jagd wurde Krieg. Aus Jägern wurden Armeen.

Und aus Ärzten wurden Verrückte, dachte Ursave. Sie versuchte, diesen riesigen Kloß von Sorge herunter zu schlucken. Quintus würde klarkommen in den Versuchslaboren. Er hatte es schon einmal überstanden und er würde es wieder überstehen. Quintus war ein Kämpfer, er grinste über alles was man ihm gab, selbst wenn es fehlgeschlagene Versuche waren. Quintus war nicht leicht zu brechen.

Natürlich war es eine unrealistische Vorstellung gewesen, als Mensch gegen einen Vampir oder Dämon anzukommen. Einfache Armeen hatten von Anfang an nicht gereicht. Also hatte man sich dazu entschlossen, eine eigene Rasse zu schaffen und in den Krieg zu schicken, eine perfekte Rasse, eine Rasse, die alles kann, alles abwehrt und alles angreift. Und dafür hatte man sich beliebige Versuchsobjekte herausgepickt… Solche wie Quintus. Solche, die jahrelang als Mensch hatten leben dürfen und dann aus ihrer Jugend gerissen wurden von einem Haufen verrückter Ärzte und verrückter Schwarzmagier.

Schwarzmagier.

Ursave konnte noch immer nicht wirklich glauben, dass sie das geschafft hatten. Sie hatten den Menschen angeboten, ihnen bei der Kriegsführung zu helfen. Sie hatten ihnen angeboten, ihre Armeen zu stärken, eigene Kämpfer dazu zu schicken, Kämpfer, die über Schwarzmagie verfügten; sie hatten ihnen angeboten, bei den Versuchen zu helfen, sie bei der Beschaffung des nötigen Genmaterials der anderen Rassen zu unterstützen; sie hatten versprochen, sich dafür nach dem Krieg wieder in die Versenkung zu verziehen und nichts mehr von sich hören zu lassen, so wie es die Menschheit wünschte – und man hatte ihr Angebot angenommen.

Der Weiße Ordner, ihr inoffizieller Verband für Rebellen gegen den Krieg, hatte darauf nur synchron aufgestöhnt. Sie hörte noch Wesley, den humorvollen, Jahrhunderte alten Vampir sagen: »Wenn mir ein Schwarzmagier ein Angebot macht, bei dem ganz offensichtlich nichts für ihn herausspringt, dann sollte ich doch eigentlich nichts Besseres zu tun zu haben, als ihm einmal kräftig die Eier in den Enddarm zu treten und meinen hübschen Stinkefinger zu zeigen – ich kann ihm auch etwas anderes in den Enddarm treten oder statt Fingern meine Zähne zeigen – aber ich nehme dieses Angebot doch nicht an

Es war wieder etwas, wovon Ursave nicht wusste, weshalb es geschehen war. Womöglich hatten sich die Menschen doch machtlos gegenüber der Schar an Wesen mit sogenannten übernatürlichen Kräften gesehen, womöglich hatten sie in ihrer Not und unter dem Zeitdruck keine andere Wahl gesehen als einem Volk zuzustimmen, das für seine Hinterhalte bekannt war. Womöglich war auch noch etwas ganz anderes mit im Spiel, was sie alle nicht mitbekommen hatten.

Sie wusste das alles nicht, und es war ihr wieder einmal egal. Ursave öffnete die Augen und starrte in den blauen, wolkenlosen Himmel. Sie richtete sich auf, blickte auf die Autobahn. Über die Nacht brauchte sie ein gutes Versteck.
 

Stimmen. Da waren Stimmen. Überall.

Sie flüsterten. Sie kamen von allen Seiten.

Stöhnend öffnete Quintus die Augen.

»Ah! Er ist wach.«

Der gleiche Satz aus allen Himmelsrichtungen. Quintus wünschte sich, sich bloß nicht gerührt zu haben. Langsam, sehr langsam, begann er zu rekapitulieren: Er lag in diesem Glaskasten. Um ihn herum waren die Leute, die sich Wissenschaftler schimpften, und erwarteten irgendeine Reaktion… Was hatte er heute noch gleich bekommen? Irgendein Hormonmix oder sowas… Ja, Hormone, Hormone und noch mehr Gene, wahrscheinlich von Vampiren. Er sollte stärker werden. Noch stärker. Er war eigentlich schon überrascht gewesen, als er sein eigenes Gewicht hatte stemmen können, aber es musste ja immer mehr werden.

Ein schiefes, sarkastisches Lächeln zog sich über sein Gesicht, träge hob er einen Arm, um sich über die Schläfen zu reiben. Und warum war er ohnmächtig geworden?

In seiner linken Armbeuge machte sich ein altbekanntes Ziehen bemerkbar. Ach ja… Er hatte eine gute Portion Beruhigungsmittel gespritzt bekommen, nachdem seine Ellenbogen und Knie einige Male mit den Gesichtern der Ärzte kollidiert waren.

Er gab ein leises Seufzen von sich und drückte die Hände gegen den Boden, setzte sich betont langsam auf. Mit einem missbilligenden Schnauben ließ er den Blick schweifen. Weiße Kittel und Klemmbretter starrten ihm entgegen, das Flüstern der Stimmen hatte sich etwas gehoben, die Menschen und Schwarzmagier hinter dem Glas unterhielten sich gedämpft, alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Es juckte ihm in den Fingern, einfach aufzuspringen und den Hampelmann zu machen, doch er legte keinen Wert auf eine weitere Spritze.

Du hast Angst, flötete jemand in seinem Kopf langgezogen. Quintus quittierte das mit einem Gähnen. Er hatte keine Angst. Wovor auch? Alles, was er noch an Schmerzen empfand, war so etwas wie das Ziehen in seinem Arm oder das dumpfe Pochen in seinem gebrochenen Fußknöchel. Und viel mehr als das und ein paar weitere Körperteile konnten sie ihm hier ja nicht antun.

Doch. Sie können mich töten. Das konnten sie zwar, aber Quintus glaubte nicht daran. Er war ihr fortgeschrittenstes Versuchsobjekt, noch brauchten sie ihn. Noch würden sie ihn nicht umbringen.

Hinter seinem Rücken ertönte ein Klicken. Als er sich umdrehte, öffnete sich gerade die schwere Tür zwischen den Glaswänden, und Jeff Garner, der führende Aufseher über seine Experimente, trat ein.

Ein mildes Lächeln lag auf seinen Lippen. »Hallo, Quintus«, sagte er leise. Er war der einzige, der ihn beim Namen nannte und keine Schimpfwörter dafür brauchte.

Allerdings machte ihn das nicht unbedingt sympathischer. »Tag auch«, sagte Quintus trocken. »Na, hat’s wieder nicht geklappt?«

»Das werden wir gleich sehen. Ich nehme mal an, selbst wenn du eine Veränderung spüren würdest, wärst du wieder nicht bereit, sie uns mitzuteilen?«

Quintus lehnte sich mit dem Rücken an die durchsichtige Wand hinter ihm, neigte gespielt nachdenklich den Kopf zur Seite. »Nein, ich habe komischerweise immer noch das Gefühl, dass euch mein Körper nichts angeht.«

Jeff schmunzelte. »Schade; immerhin hast du einen Großteil dieses Körpers uns zu verdanken.«

»Tu uns beiden ’nen Gefallen und komm zum Punkt«, seufzte Quintus. »Das Zeug hat nicht gewirkt. Passiert hier drin jetzt noch irgendwas?«

»Es hat sich wahrscheinlich gerade erst fertig verteilt«, sagte Jeff langsam. »Wir sehen gleich, ob und wie es wirkt. Es soll deine Kräfte stärken im Widerstand gegen den Vollmond, ergo dir helfen, deinen Verstand zu kontrollieren, ohne gleich zusammenzubrechen.«

Quintus zog eine Augenbraue hoch. »Kommt mir ja richtig gelegen«, murmelte er. »Aber das heißt nicht, dass ich jetzt noch bis zum nächsten Vollmond hier rumsitzen darf, oder?«

»Nein…« Jeff grinste. »Natürlich nicht. Wir waren abgeneigt, das Risiko einzugehen, dich echtem Vollmond in einem ungeschützten Raum oder gar vor der Tür auszusetzen. Glücklicherweise haben sich unsere Schwarzmagier deshalb bereiterklärt, dir deinen eigenen, persönlichen Vollmond zu schenken.« Er hob den Blick über Quintus’ Kopf hinweg und machte eine einladende Handbewegung. Einen Augenblick später traten drei Mitarbeiter in den unverkennbaren Roben der Schwarzmagier in den Glaswürfel.

Mit zusammengezogenen Brauen musterte Quintus die drei Magierstäbe, verkniff sich die Frage, was das nun heißen sollte; in seinem Kopf hatte sich bereits eine Ahnung gebildet. »Seid ihr denn überhaupt sicher, dass das funktioniert?« Seine Stimme klang dumpf, nun gestand er sich doch Angst ein… Er hasste diesen Zustand aggressiver Ekstase, in dem er sich absolut nicht selbst kontrollieren konnte, wenn er nicht all seine Kraftreserven für die nächsten Tage aufbrauchte. Den letzten Vollmond hatte er noch in seinem Versteck verbracht, wo die Fenster sauber vernagelt waren, sodass nichts vom Mondlicht in die Räume hatte dringen können. Und jetzt das…

Ihm wurde keine Beachtung mehr geschenkt, die Magiere hatten ihre Stäbe auf einen Punkt in der Luft gerichtet, einer von ihnen murmelte ruhig und konzentriert Phrasen vor sich hin. Langsam hob Quintus den Blick zu dem Fleck, an dem sich die drei Magierstäbe kreuzten.

Es war erst nur ein grelles Leuchten, entwickelte sich dann aber immer schneller Zentimeter um Zentimeter zu einer stetig wachsenden Kugel, die in pulsierendem Takt anschwoll. Noch war das Licht viel zu hell, um dem Mond nahe zu kommen, doch Quintus traute seinen verhassten Schwarzis durchaus zu, das noch zu richten.

Er wandte den Blick ab, wollte es nicht sehen. Das Geräusch der sich schließenden Tür sagte ihm, dass er wieder allein im Glas war. Den Beginn der Verwandlung würde er auch so spüren, sobald der künstliche Mondschein ihn erreichte.

Nur wenige Sekunden mussten verstreichen, bis er es spürte. Das Ziehen, das Pochen, der Druck, der früher einmal Schmerz gewesen war. Doch der Mangel an Qual linderte die Reaktionen nicht. Quintus’ Mund schien sich von ganz allein zu öffnen, sein Körper verkrampfte sich, in einem Ruck wälzte er sich auf alle Viere. Er drehte den Kopf, um über die Schulter zu blicken, sah, wie sich seine Füße verlängerten, seine Fersen immer weiter nach oben wanderten; Schweiß perlte von seiner Stirn, aus seinen Nägeln wurden Krallen, dichtes braunes Fell spross aus seinem gesamten Körper hervor –
 

Ich terminiere

Lösche aus, was zu sein ich glaubte
 

Ein tierisches, bestialisches Heulen hallte an den Wänden wider. Quintus realisierte nicht mehr, dass es aus seiner eigenen Kehle gekommen war. Er hatte sich zurückgezogen, kauerte in der hinteren Ecke seines Verstandes, wartete darauf, dass es vorbei war. Es hatte keinen Sinn zu kämpfen. Seine Kraft zum Widerstand war nicht gestiegen. Er konnte das Tier noch immer nicht aufhalten. Der einzige Grund, es noch zu versuchen, wäre die Alternative, von den Wachen mit Silber beschossen zu –

Der Gedanke brach ab. Sein Fokus verlagerte sich von der zurückgezogenen Vernunftsperson zu dem tiefen Grollen und den starren gelben Augen des durch und durch angespannten Tieres, das in der Mitte des Kastens stand und den Blick langsam durch den großen Raum schweifen ließ.

Da waren Personen… Personen, die er versuchen musste, nicht anzugreifen, weil sie ihm sonst schaden könnten…

Er blinzelte.
 

Und transformiere

In das nächste, große Nichts
 

Da war Fleisch. Fleisch, das er angreifen musste, das er zerfetzen musste, das er zerreißen musste, weil – weil es so war. Da war Fleisch.

Langsam ging er einige Schritte zurück. Seine Ohren waren angelegt. Aus seiner Kehle drang lautes Knurren. Die Muskeln in seinen Läufen spannten sich. Er machte einen Satz, zwei Sätze, drückte sich schwungvoll vom Boden ab.

Seine Schulter kollidierte mit dem Glas, dumpf ging er zu Boden. Weit entfernt drang Gelächter an seine Ohren. Er hob den Kopf. Sah zur Wand. Das Gelächter erstarb.

Feine Risse schlängelten sich durch das Glas, in ihrer Mitte war sogar ein kleines Loch. Das Tier ignorierte das Klicken entsichernder Waffen.

Erneut ging er einige Meter zurück. Jemand rief Quintus hastig etwas zu, doch Quintus saß längst nicht mehr am Hebel. Niemand saß am Hebel. Das Tier hatte keinen Herrn.

Der nächste Sprung durchbrach das Glas. Sofort durchbohrten Kugeln aus reinem Silber seinen Körper. Irgendwo im hinteren Teil seines Kopfes musste Quintus lachen. Das Silber hinterließ keine Brandwunden mehr. Und er wusste nun, was die Hormone wirklich bewirkt hatten. Er hatte dem Glas noch nie schaden können. Jetzt hatte er nicht mehr Kraft um gegen das Tier anzugehen, sondern um das Tier zu sein.

Selbst wenn das seine Kontrolle nicht steigerte, drang seine Erkenntnis auch bis in das Bewusstsein des Tiers vor. Er stieß ein triumphales Heulen aus, keine Schusswunde, kein Knochenbruch konnte ihn nun noch behindern; Personen sprangen ihm in den Weg – Fleisch sprang ihm zwischen die Zähne. Er preschte durch die Menge, schlug und schnappte nach allem, was er sah, Blut befleckte sein Fell, er sah nichts mehr außer dem Weg nach draußen und unwichtigen Fleischbrocken, die ihn ihm versperren wollten.

Als der Alarm zu allen Wächtern durchgedrungen war, hatte das Tier sich längst seine Freiheit erkämpft.

In Pieces. Rebell. Revolution.

Die Beerdigung verlief kurz und schmerzlos. Ein paar Worte über seine Leistungen, wenige Tränen seiner Familie, Versprechen über Rache, leise Blasmusik, dann Trommeln. Jeffrey Garners Überreste wurden langsam hinabgelassen.

Hannah Seymour verzichtete darauf, Erde oder Blumen auf den dunklen Sarg zu werfen; das schien makaberer als Jeffs Tod selbst. Das hier war keine schöne Sache und auch diese lächerlichen bunten Kränze würden das nicht ändern können.

Sie war an der »Aufräumaktion« beteiligt gewesen. Sie hatte Jeffs Gliedmaßen aufgesammelt und sein Blut vom Boden gewischt. Das hier war keine schöne Sache, sondern die Beerdigung eines Körpers, der noch immer nicht ganz komplett war.

Mit einem leisen Schnauben wandte sie sich ab. Sie schob die Hände in die Taschen ihres Mantels, stemmte sich gegen den heulenden Wind und trat langsam den Weg zurück zum Laborstützpunkt an. Der verdammte Mischling musste eingefangen werden. Seine letzte Flucht hatte auf ein paar magischen Spielereien und dummen Lücken im Gebäudegrundriss basiert; sie hatten alles überarbeitet, ausgebaut, Sicherheit erhöht, neues Wachpersonal eingestellt – und nun hatte der Bastard sich einfach den Weg frei gemetzelt.

Seufzend drückte sie die Tür zu den Büroräumen auf, und sofort sprang ihr einer der Assistenzärzte entgegen. »Doktor Seymour! Ich hab Sie die ganze Zeit gesucht, wo waren Sie?«

»Jeffs Beisetzung«, antwortete sie knapp.

»Oh… Oh. Tut mir leid.«

»Was tut dir leid?«

»Ich… Egal. Ich sollte Ihnen bescheid sagen, dass der neue Werwolf noch wartet. Wir haben mittlerweile immerhin rausgefunden, dass sie vierzehn ist; Hinrichtung könnte also problematisch sein.«

Ein schmales Lächeln zog sich über Hannahs Lippen. »Das werden wir sehen«, sagte sie leise. »Danke, ich bin unterwegs.«

Sie machte nur einen kurzen Abstecher in ihr Büro, um ihren Mantel abzuwerfen und ihr Silbermagazin aufzuladen, dann brach sie schnellen Schrittes auf zum Gefangenenteil im anliegenden Gebäude.

Die Zelle des Mädchens befand sich im gleichen Gang wie Deborahs, also machte Hannah den gewohnten Abstecher zu ihr – und musste mit Belustigung feststellen, dass sie sich erneut mit ihrem toten Freund unterhielt. Deborah hatte man obdachlos von der Straße aufgelesen, dann war sie mit einigen Elementariern in dieser Zelle gelandet und man hatte sich an den ersten Experimenten versucht.

Leider hatten sich die Elementarier als eine sehr schwache Rasse herausgestellt und innerhalb kürzester Zeit waren sie gestorben wie die Fliegen. Bloß ein Wasser-Elementarier namens Feliccio hatte sich gut gehalten, ein furchtbar vorlauter junger Mann, der immer größeren Einfluss auf Deborah geübt hatte, obwohl man ihm fast jeden Tag auf andere Weise seine große Klappe gestopft hatte. Die beiden hatten sich angefreundet, er hatte sie bei Laune gehalten, und bald sogar zu kleinen Revolten angestiftet. Doch irgendwann hatten Versuche und Folter auch ihn in die Knie gezwungen.

Dummerweise war das Volk der Elementarier seitdem ausgestorben.

Deborah war von Anfang an leicht zu brechen gewesen, Feliccios Tod hatte ihr den Rest gegeben. Sie legte seitdem einige Symptome von Schizophrenie an den Tag, bildete sich noch die alten Zellengenossen an ihrer Seite ein. Im Grunde genommen war das nicht so dramatisch für das Projekt, Deborah brauchte keinen Verstand, um ihnen zu nutzen; aber in diesem Zustand war es schwieriger, mit ihr umzugehen. Deshalb versuchte Hannah, zumindest die Gespräche mit Toten zu unterbinden.

Nach einem kräftigen Tritt gegen die Gittertür verstummte Deborah. »Mit wem redest du?«, fragte Hannah leise, im gewohnt drohenden Unterton.

Verschreckte Augen starrten ihr entgegen; »Mit niemandem«, antwortete sie mechanisch.

Hannah schmunzelte. »Gut so.« Sie musterte Deborah prüfend, die selbst in ihrem Aussehen über die Jahre immer mehr vereint hatte: Ihr Haar hatte sich rot verfärbt, wie das aller Feuer-Elementarier; ihre Augen hatten ihr Grün verloren und waren nun strahlend blau, wie die des verschiedenen Feliccio; nach einigen äußerst schmerzvollen Wachstumsschüben hatten sich ihre Ohren in die langgezogenen, felligen braunen Erd-Elementarier-Ohren verwandelt; ihre Haut war schneeweiß, dank der Luft-elementarischen Gene – allerdings bedeckte erneut ein feiner schwarzer Aschfilm ihre Handflächen. »Und, Deborah… Hör auf, dir ständig selbst Feuer zu machen. Sonst bearbeiten wir deine Hände mal ein wenig.«

Deborah verstand die Drohung. Rasch klopfte sie sich die Hände an ihrer abgenutzten, verdreckten Hose ab und nickte, holte kurz Luft um etwas zu sagen, schwieg aber. Besser so.

Ohne ein weiteres Wort wandte Hannah sich wieder ab, schlenderte den restlichen Gang herunter. Die winzige Zelle des Mädchens lag ganz am Ende, in der Nähe der »Bearbeitungsräume«. Dort wurden Knochen und Persönlichkeiten gleichermaßen gebrochen und von Zeit zu Zeit drangen dadurch gedämpfte, schwächelnde Schreie nach außen. Den meisten Häftlingen bereitete schon das Zuhören weiche Knie.

Aber dieses Mädchen schien hartnäckig. Hannah persönlich hatte noch nicht mit ihr gesprochen, doch laut den anderen wollte sie einfach den Mund nicht aufmachen. Sie würde schon sehen, wie sich das ändern ließ.

Das Gitter gab ein schepperndes Geräusch von sich, als Hannah aus gewohnter Manier dagegen trat. »Hey, Werwolf.«

Sie bekam keine Antwort. Das Mädchen lag still am Boden und musterte die schimmelnde Decke. Fettendes, weizenblondes Haar verdeckte einen Teil ihres Gesichtes, ihre Augen waren nur zur Hälfte geöffnet, sie schien völlig entspannt zu liegen. Hannah spürte einen kleinen Stich in ihrem Ego. Mit einem gespielten Seufzen öffnete sie die Tür und trat ein, ging neben dem Mädchen in die Hocke.

Einen Moment schwieg sie noch, dann begann sie leise: »Eine starke Einstellung, dem Feind gegenüber kein Wort zu sagen. Würde mir gefallen, wenn es nicht gerade von einer vierzehnjährigen Wolfsgöre käme. Aber gerade dieses Alter hast du uns eben doch verraten, oder?«

Langsam drehte sie den Kopf zu Hannah, müde Augen musterten sie flüchtig, die rissigen Lippen öffneten sich. »Ich hab es ihnen an den Kopf geklatscht«, sagte sie heiser, »als sie mich köpfen wollten.«

Hannah schmunzelte. »Oh, das wollen sie immer noch, weißt du. In Wahrheit wird dein Alter niemanden interessieren. Immerhin herrscht Krieg, dein Tod würde ja kaum jemandem auffallen.«

Die Augenbrauen des Mädchens hoben sich minimal. »Und warum bin ich dann noch nicht tot?«

»Na ja, dein Vater geht hier noch immer ein und aus. Und er bat uns, dir zumindest noch ein paar Jahre Zeit zu geben.« Faktisch hatte der Mann sie unter Tränen angebrüllt, er würde sämtliche Anwälte des Landes zusammentrommeln, wenn sie seiner verirrten Tochter etwas tun würden. Aber das musste die Kleine ja nicht wissen. »Das heißt, bis dahin sollten wir noch irgendwie miteinander klar kommen… Du heißt Zoé, richtig?«

Darauf wandte sie den Kopf wieder zur Decke, seufzte leise. Schwieg. »Verstehe…«, sagte Hannah. »Sehr konsequent, deine Stille. An der Rebellion solltest du noch ein wenig feilen. Du willst doch rebellieren, oder nicht?« Zoé antwortete weiterhin nicht, doch darum ging es jetzt: Um die Rebellion. Um die Rebellion, die eine Hinrichtung rechtfertigen würde. »Ich glaube, deine Familie würde das von dir erwarten. Trotz des Verrats. Seltsam, nicht?« Und wenn es doch nicht zur Hinrichtung kommen könnte, dann würden sie sie eben in die Experimente eingliedern. Immerhin war sie ein Werwolf, sie konnten ihre Gene gut gebrauchen, und das wäre kein so großes Problem wie eine Exekution. Das würde sie früher oder später sowieso brechen… Ihre Familie würde sie aufgeben und sie würde von alleine sterben. Wenn Hannah es sich recht überlegte, war das viel effizienter, als ihr einfach den Kopf abzuschlagen.

Sie räusperte sich und stand auf. »Ich denke, wir werden uns noch einige Male sehen, Zoé«, sagte sie. »Soll ich deiner Familie noch irgendetwas ausrichten?«

Zoé schloss die Augen.

»Alles klar…« Wenige Augenblicke lang noch beobachtete Hannah die dilettantische Revolte einer Vierzehnjährigen, dann wandte sie sich ab und verließ die Zelle.

In ihrem Büro trommelte sie einige Arbeiter zusammen. »Versucht, sie aufzuregen«, orderte sie. »Und wenn ihr das geschafft habt, straft sie dafür. Bringt sie dazu, sich noch mehr quer zu stellen, dann können wir ihr die Versuche aufbrummen. Und wenn ihr Vater noch mal fragt, sagt ihm, dass sie furchtbar aggressiv ist. Verstanden?«

Als sie wieder allein im Raum war, drehte sie sich zum Fenster und beobachtete die Sturzbäche von Regen, die sich zu Boden stürzten. Jeff lag unter der Erde. Quintus würde nicht weit kommen. Zoé war bald nicht mehr als ein wimmerndes Häufchen Elend.

Der Krieg lief gar nicht schlecht.
 

Feine Bäche aus bräunlichem Wasser rannen durch den ungepflegten Lehmboden unter Candaces Fenster. Trübe hafteten ihre Augen an diesem Bild, das plötzlich so trostlos geworden war. Früher hätten sie und Zoé sich strahlend am Regen erfreut, der stets die Luft auf ihrem stickigen Hof bessern würde…

Nun hieß es schon früher. Nun war Zoé schon früher. Vergangenheit.

Ihr Vater hatte anders reagiert, als erwartet. All seine Prinzipien waren plötzlich verschwunden. Mensch oder Werwolf spielte auf einmal keine Rolle mehr. Tot oder lebendig schon.

Candace seufzte tief. Er konnte auch nicht mehr normal mit ihr reden. Es war wie damals, als ihre Mutter gestorben war, nur noch ein ganzes Stück heftiger. Als Candace ihm gebeichtet hatte, dass sie Zoé verraten hatte, hatte er kaum darauf reagiert. Es war mit einem Nicken abgetan worden und er hatte geschwiegen.

Dafür prallte es nun auf sie zurück. Tag für Tag. Er war mittlerweile ziemlich heiser, doch trotzdem konnte er nicht leise mit Candace sprechen.

Ja, sie machte sich auch Vorwürfe… Ja, sie konnte nachts nicht schlafen vor Schuld. Ja, sie hörte weiterhin diese Stimme in ihrem Kopf, die ihr noch immer Anweisungen gab.

Aber nein, sie befolgte sie nicht mehr. Nein, sie wollte jetzt nicht aufgeben. Nein. Sie wollte jetzt nicht so werden wie ihr Vater. Wie ihr Vater, der seine Trauer in Wut ertränkte, seine Wut in Aggressionen und seine Aggressionen an seiner Tochter. An seiner letzten Tochter. An seinem letzten Familienmitglied.

»Mach nur so weiter!«, hatte Candace gestern geschrien. »Mach nur! Dann verlierst du mich auch noch! Dann hast du niemanden mehr; vielleicht geht’s dir dann besser.«

Und er hatte bloß die Haustür aufgerissen und fahrig nach draußen gestikuliert. Aber Candace war nicht gegangen. Candace war geblieben. Obwohl sie nicht gewusst hatte, wieso.

Er hatte die Tür wieder zugeschlagen und sie einige Sekunden lang aus völlig ausdruckslosen Augen angestarrt.

Dann hatte er sie umarmt. Und er hatte nach Alkohol gestunken. Und Candace hatte sich nicht bewegt. Sie war bloß dort stehen geblieben, hatte die Stirn ganz vorsichtig an seine Schulter gelegt, ohne dabei einzuatmen.

Und er hatte sie so fest an sich gedrückt, dass es geschmerzt hatte, und tonlos gesagt, dass er sie liebte.

Und sie hatte wirklich versucht, es ihm zu glauben.
 

Telling me to go

But hands beg me to stay

Your lips say that you love

Your eyes say that you hate
 

Es war kalt. Die Luft war kalt, das Haus war kalt, die Umarmung war kalt gewesen. Und er war kalt.

Ab und zu hatte er weiche Phasen. Phasen, in denen er ganz offensichtlich verwirrt war, in denen er ein weiteres Mal all seine vorigen Aussagen komplett über den Haufen warf. Phasen, in denen sich seine Arme warm anfühlten und seine Worte wahr. Phasen, in denen er Candace verzieh.

In diesen Launen würde er ihr warmes Essen machen und mit ihr sprechen. Seine Stimme würde noch immer irgendwie seltsam klingen, noch immer zu hart und verkrampft, doch sie würde wenigstens Dinge sagen, die Candace gern glaubte.

Er würde ihr sagen, dass sie das alles schon gemeinsam schaffen würden. Und dass er ihr keine Vorwürfe machte, und dass sie das auch nicht tun sollte. Und dass es in diesen Zeiten eben schwer sei, Entscheidungen zu fällen. Und dass er alles tun würde, um Zoé zu helfen, damit sie wieder eine glückliche Familie werden könnten. Und Candace würde lächeln und nicken und hoffen.

Nun, da sie in ihrem leeren Zimmer saß, aus dem Fenster starrte, und genau wusste, dass von einer solchen Phase momentan nichts zu spüren war, waren diese Hoffnungen utopisch. Natürlich wollte sie Zoé helfen. Doch das schien nahezu unmöglich. Und selbst wenn sie irgendwann wieder zueinander finden würden, niemand konnte sie wieder zu einer Familie machen. Nichts würde all das reparieren können, was zu Bruch gegangen war.

Etwas krachte von außen gegen eine ihrer Zimmerwände. Candace seufzte leise. Sie schloss die Augen, versuchte sich zu sammeln, sich zurückzuhalten, doch der größere Teil in ihr kam an der Sorge nicht vorbei. Langsam drehte sie sich um und öffnete die Tür.

»Papa?«, rief sie vorsichtig.

Einen Augenblick lang geschah nichts. Dann ertönte ein Stöhnen und ihr Vater stampfte aus dem Nebenraum. »Erinner’ mich daran, dass ich morgen den Schrank repariere«, murmelte er.

»Hast du ihn umgeworfen?«

»Er ist kaputt

»Weil du ihn schon wieder umgeworfen hast.«

Ihr Vater antwortete nicht, rauschte bloß weiter durch den Flur und verschwand in der Küche. Candace schüttelte den Kopf, stieß sachte die Tür zum Zimmer auf. Es war eine Art Büro für ihn, damit er sich auf seine Arbeit konzentrieren konnte, ein kleiner, stiller Raum; und in einer Ecke stand normalerweise ein verglaster Schrank mit Fotos und Andenken seiner verstorbenen Frau.

Nun lag der Schrank seitlich am Boden. Langsam ging Candace auf die Knie und hob einen der Fotorahmen auf, die aus den Regalen gefallen waren. Mit aller Vorsicht zog sie das Bild zwischen den Scherben hervor.

Es war am Tag ihrer Geburt aufgenommen worden. Ihre Mutter lag im weißen Krankenhausbett, lächelte breit in die Kamera, Zoé und sie in je einem Arm, schlafend und in Decken gewickelt.

Candace spürte das starke Bedürfnis, zu weinen. Sie wollte den Gedanken verdrängen, er schien ihr viel zu kitschig, doch dieses Bild implizierte alles, was sie im Moment so vermisste. Ihre Mutter war am Leben. Zoé war nah bei ihr. Ihr Vater stand lachend irgendwo hinter der Kamera. Es gab keinen Krieg. Sie waren eine friedliche Familie.

Mechanisch verstaute sie das Foto in ihrer Gesäßtasche. Sie wollte weg. Es war alles kaputt, sie hatte hier nichts mehr verloren. Sie musste weg. Und zwar alleine. Sonst würde ihr Vater ihr noch den letzten Weg verbauen.
 

There’s truth in your lies

Doubt in your faith

What you build you lay to waste

There’s truth in your lies

Doubt in your faith

All I’ve got’s what you didn’t take

So I, I won’t be the one

Be the one to leave this

In pieces

And you, you will be alone

Alone with all your secrets

And regrets – don’t lie
 

Langsam richtete sie sich auf, warf noch einen letzten Blick auf das Trümmerfeld der Wut ihres Vaters und wandte sich ab. Einen Moment lang stand sie bloß stumm in der Tür, überlegte, dann ging sie leise in ihr Zimmer.

Es dauerte nicht lange, bis sie wieder auf den Flur trat, ihren vollgepackten Rucksack auf den Schultern, und sich bedächtig der Küche näherte.

»Papa?«

»Diese verdammten Kriegsgegner. Guck dir das an. Schon wieder Aufstände.« Ihr Vater stand mit verschränkten Armen vor dem kleinen Fernseher auf der Anrichte, in dem ein flimmerndes Bild Nachrichten lieferte. »Da hat irgendein blöder Mischling lauter Wächter zerfleischt und ist dann geflohen. Und jetzt demonstrieren die wieder alle, wegen sinnlosen Toten. Guck, guck. Die marschieren alle zum Hauptquartier von uns Menschen und kein Arsch hält sie auf.«

Candace lehnte seitlich im Türrahmen, schenkte dem Fernseher nur einen kurzen, skeptischen Blick. Die Küche war ungewöhnlich aufgeräumt, auf dem Herd stand ein kleiner Topf, in dem irgendetwas brodelte.

»Machst du was zu essen?«, fragte Candace. Sie wollte wenigstens noch den geistigen Zustand ihres Vaters prüfen, bevor sie ging.

»Hm?« Er sah sich kurz desorientiert um, zuckte dann mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich koche Wasser.«

Candace spürte das Bedürfnis zu lachen in sich aufsteigen. »Achso… Du weißt noch, dass du den Schrank reparieren wolltest, ja?«

»Was?«

»Bist du betrunken?«

Er drehte sich schwungvoll zu ihr, die Hände in groteskem Enthusiasmus in die Luft gehoben. »Candace«, sagte er, plötzlich viel ruhiger. »Candy. Meine Tochter. Ich bin dein Vater, würde ich mich am helllichten Tag betrinken?«

»Wäre nicht das erste Mal«, sagte sie trocken. »Hast du’s getan, oder nicht?«

»Nein, Candy. Ich bin völlig nüchtern. Ich muss wachsam sein, wir müssen alle wachsam sein, sonst gewinnen diese Aufstände, verstehst du? Wir brauchen diesen Krieg, wir brauchen Ordnung.«

Candace schwieg einige Momente lang, beobachtete das unklare Fernsehbild. Es waren mutige Kriegsgegner, die mit Plakaten und lauten Parolen zum Stützpunkt der menschlichen Kriegspartei gezogen waren, um gegen die Kämpfe zu demonstrieren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie niedergeschossen wurden.

»Zoé ist da drin«, sagte sie ruhig.

Ihr Vater blickte zwischen ihr und dem Bildschirm hin und her. »Wo?«

»Na, da, im Hauptquartier. Hast du keine Angst, dass ihr was passiert, bei diesen Aufständen?«

Seine Gesichtszüge verdunkelten sich. »Soll das vielleicht ein Vorwurf sein, ja? Ich seh schon. Ich tu doch alles, um sie zu beschützen, ich rede auf diese blöden Bastarde ein, dass sie deine Schwester in Ruhe lassen sollen, während du sie bloß dreckig verraten hast. Also sag mir nicht, was ich tun soll, kapiert?«

Ein feines Drahtseil schlang sich um Candaces Inneres, ihre Lunge schien sich zusammenzuziehen, sie musste den Mund öffnen, um Luft holen zu können; für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Sie atmete tief ein, schluckte schwer, um den schmerzenden Kloß in ihrem Hals loszuwerden. »Nein.« Ihre Stimme war heiser, obwohl sie eigentlich so kalt wie möglich hatte klingen wollen. »Nein, das war kein Vorwurf. Und ich sag dir auch nicht, was du tun sollst. Das solltest du nämlich allmählich ganz gut selbst wissen.«

Seine Haltung wurde bedrohlich, er machte einen großen Schritt auf sie zu und senkte die Stimme: »Was soll das heißen, hm?«

Candace schwieg. Ihre Füße wollten sich bewegen, doch sie blieb still stehen. Eine deutliche Alkoholfahne bahnte sich den Weg in ihre Nase. So definierte ihr Vater also völlig nüchtern.

Einige Augenblicke lang standen sie sich nur gegenüber und starrten einander an – bis sich ein Gedanke endlich voll und ganz in Candaces Kopf brannte. Das kann so nicht weitergehen.

Sie atmete tief ein, versuchte dabei nicht zu viel Alkoholgestank zu inhalieren, und schüttelte den Kopf. »Nichts«, sagte sie und rückte dabei ihren Rucksack zurecht. »Das soll nichts heißen. Ich geh jetzt.«

Sichtlich perplex runzelte er die Stirn. »Wohin?«

»Weg. Ich will hier nicht bleiben.«

Sein Blick wanderte langsam zu ihrem Rucksack, und zu ihrer Verwunderung – und Beunruhigung – hob er die Mundwinkel. »Du willst also von zu Hause abhauen, und sagst mir vorher bescheid?«

Sie seufzte. »Mama ist tot und Zoé weg. Ich dachte einfach, ich sollte dich vorwarnen. Du bist jetzt allein.«

»Du gehst nicht«, sagte er leise. »Du bleibst hier bei mir. Du kannst da jetzt nicht raus, es ist Krieg.«

»Und dein toller Krieg hält mich also davon ab, vor die Tür zu gehen, ja? Ich kann nicht hier bleiben, Papa. Die letzten Tage waren die Hölle. Die letzten Monate waren die Hölle! Und du sitzt nur hier rum wie ein nasser Sack und tust nichts. Ich will was machen

»Was soll ich denn machen, hm?« Mit wachsender Abscheu bemerkte Candace, dass seine Stimme immer lauter wurde. »Was denn? Sie wollen deine Schwester nicht in Ruhe lassen, sie wollen sie töten, und was soll ich dagegen tun? Denkst du wirklich, ich kann da draußen irgendetwas bewegen? Und deshalb wirst du hier bleiben, Candace. Deshalb schließ ich dich notfalls hier ein: Du bist ein Kind. Du stellst dir den ganzen Scheißdreck viel zu einfach vor, du bist verdammt noch mal viel zu jung!«

Candace verzog das Gesicht. »Schon lang nicht mehr«, sagte sie bloß ruhig.
 

Herzlich willkommen in meinem Lebenslauf

Ich bin ganz ruhig – warum regst du dich denn so auf?

Wenn du dann durchdrehst und mich wieder verhaust

Stellst du dir selber ein Armutszeugnis aus

Du kannst mir leid tun

Die Wut, sie macht dich blind

Du hast verloren –

Ich bin nicht mehr dein Kind!
 

Mit einer überraschend schnellen Bewegung packte er ihren Oberarm und zerrte sie stampfend in die Richtung ihres Zimmers. »Dann schließen wir eben ab!« Seine Stimme war eine makabere Mischung aus Flöten und lautem Knurren. »Dann vernageln wir deine Fenster und sichern deine Tür, und dann geht meine kleine Tochter nicht raus um sich umzubringen.«

Für einige Augenblicke war Candace zu perplex, um zu reagieren. Erkenntnis brannte sich in ihr Gehirn, gepaart mit Angst: Ihr Vater war betrunken und er hatte die Illusion, sie nur schützen zu wollen – sie wusste nicht, wozu er fähig war – er tat ihr weh.

»Papa«, sagte sie, kleinlauter als beabsichtigt. »Lass mich los.«

Er blieb abrupt stehen und drehte sich zu ihr. »Nein. Du darfst da nicht raus, ich helfe dir nur.«

Candace spürte, wie Panik sich mit Wut mischte, ihre Stimme war so schrill, dass sie sich selbst erschreckte. »Lass – los! Lass deine Scheißfinger von mir, verdammt!«

Sein heiterer Gesichtsausdruck fiel sofort ab. Wie in Zeitlupe holte seine freie Hand aus, bevor sein Handrücken mit ihrer Wange kollidierte. »Sprich nicht so mit mir«, sagte er leise. Dann zog er sie weiter.

Abermals brauchte Candace mehrere Sekunden, um sich zu fassen. Steif stolperte sie hinter ihm her, beobachtete gelähmt, wie sie sich ihrem Zimmer näherten – als es jemand in ihrem Kopf deutlich aussprach:

Er hat mich geschlagen.

Durch jede Faser ihres Körpers ging ein Ruck, sie hörte auf zu denken, ließ sich nur noch von ihren eigenen Reflexen dirigieren.

Mit aller Kraft senkte sie ihre Zähne in den Arm ihres Vaters, donnerte gleichzeitig ihren Fuß gegen seine Wade. Er schrie auf, ließ sie los, bloß um direkt darauf wieder nach ihr zu greifen, doch Candace war schneller.

Sie sprintete quer durch den Flur, warf einen der Stühle am Esstisch um, riss die Tür auf und schlug sie unter lautem Scheppern wieder hinter sich zu.

Er wird mir nachkommen.

Aus ihrer Kehle drang hörbares Keuchen, ihr Rucksack hing nur noch locker in ihren Armbeugen, sie blickte sich hektisch um.

Wo sollte sie hin? Sie lebten in einem Dorf, groß war hier nichts, sie war überall leicht zu finden.

Ich geh zu diesem Hauptquartier, dachte sie plötzlich. Zu den Aufständischen. Zu Zoé. Vielleicht sind Rebellen unter ihnen, vielleicht können die mir helfen.

Die tiefe Stimme in ihrem Hinterkopf, die die ganze Zeit Ruhe gehalten hatte, gab ein leises Lachen von sich. Dann kannst du auch gleich an ihrer Tür klingeln und dich umbringen lassen. Kein sehr sicherer Plan, oder? Lass mich das lieber organisieren.

Candace schnaubte, sie orientierte sich kurz, richtete ihre Tasche und ging dann schnellen Schrittes voran. »Halt die Klappe«, murmelte sie. »Deine verdammte Organisation ist doch erst an alldem hier schuld. Vergiss es. Ich lass mich nicht mehr lenken.«
 

Du bist die Revolution

Gegen den Strom

Geh auf die Straße

Hol dir den Lohn

Du bist die Revolution

Gegen den Strom

Sing deine Lieder

Scheiß auf den Thron

Du bist die Revolution

Erst wenn du laut bist

Wird man dir zuhören

Und wenn sie taub sind

Dann lass sie spürn...



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Kommentare zu dieser Fanfic (19)
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Von:  Rynshen
2009-03-10T22:24:22+00:00 10.03.2009 23:24
endlich auch mal gaaanz durchgelesen xDDD
und ich finds mal wieder echt klasse,... obwohl ich die stelle an der sie im türrahmen steht und darauf folgendes nicht ganz angenehm zu lesen war xD kA warum xDDD hatte i-wie bissl das gefühl da war so nen kurzer stopp der spannung die gegen ende dafür aber wieder da war *-* also weiter schreiben!!! o.o

*knuff*
Ryn~
Von: abgemeldet
2008-12-15T12:02:17+00:00 15.12.2008 13:02
Besser spät als nie, obs zu spät ist, is ne andere Sache... : Also, da fällt mir ein, manche Brüche sind nicht mehr zu heilen, Rebellion ist manchmal einfach von Nöten und sich befreien wichtig. So, das isses. Schön.
Von:  Rynshen
2008-12-09T16:19:43+00:00 09.12.2008 17:19
nyoa,... ich dacht ich hinterlass dir doch auch i-wann nochma nen kommi xD
aba das is so schwer jetz noch was zu schreiben wenn mans schon ma gelesen hat und scho gesagt hat was ma davon hält xD
is halt supa
wie glaub schon lalala~oft ma gesagt ^-^'
und ach keine ahnung mein kommi is mit abstand hier der sinnloseste o.o'
*knuddl* les ma noch weiter grad xD

Von:  Salatherz
2008-11-06T11:03:17+00:00 06.11.2008 12:03
Diese Konflikte sind der Wahnsinn! Total nachvollziehbar und irgendwie auch nicht. Das macht mich stutzig und gleichzeitig macht es irgendwie Spaß... *Quatsch laber*
Meen, dein Schreibstil war dieses Mal wieder ruhig. Gedanklich zu verstehen, vorstellbar. Hm.
Ja, mach weiter. (auch wenn ich mir die Personen nie merken kann xD)
Aber... mit wem redet sie da am Ende? O.O
Von:  Miaka-cat
2008-11-01T13:43:36+00:00 01.11.2008 14:43
juhu, es tut sich was °-°
Der aufbau des kapitels ist super gelungen, die stimmung total klasse! Die Texte mittendrin sind perfekt auf die geschichte abgestimmt, hut ab °-°b
Mir gefällt es wirklich sehr, wie du das anstellst, einem immer nur in häppchen die deteils vor die füße zu werfem so zieht sich die spannung wirklich bis zum schluss!
1a!

p.s. (Da freu mich schon total auf meine geschichte *___*)
Von: abgemeldet
2008-10-31T18:47:11+00:00 31.10.2008 19:47
Wuhu, da isses... Nachdem es Ewigkeiten irgendwo rumlag und Staub ansetzte (und ich es nach Ewigkeiten mal gelesen hab, hühü <,<) °-°v
Jetzt bin ich völlig eiongerotstet was Kommentare schreiben angeht... Völlig eingerostet im... *hust* konstruktiv sein... xD
Schön, versuchen wirs trotzdem mal °0°/
Ich finds klasse ^_________^
Schön geschrieben, die sütere Stimmung zieht sich immer noch durch jedes Kapitel und gibt ihnen immer eine gewisse Schwere. Den zweiten Teil des Kapitels finde ich ebenfalls sehr gelungen. Die Stimmungsschwankungen gehen nicht zu schnell von statten, obwohl man ja weiß, wie schnell die Stimmung mal umschlagen kann °-°
Es ist gut geworden und es ist schön, das du mal wieder was hochladen konntest xD
<.< Und ich üb bei Gelegenheit mal Kommentare schreiben ^0^
Von:  Miaka-cat
2008-08-16T20:18:17+00:00 16.08.2008 22:18
waaaah und wie gehts jetz weiter?? du kannst ihn doch nicht einfach so verwandelt rumrennen lassen, ohne dass es weitergeht O____O


"Wenn mir ein Schwarzmagier ein Angebot macht, bei dem ganz offensichtlich nichts für ihn herausspringt, dann sollte ich doch eigentlich nichts Besseres zu tun zu haben, als ihm einmal kräftig die Eier in den Enddarm zu treten und meinen hübschen Stinkefinger zu zeigen – ich kann ihm auch etwas anderes in den Enddarm treten oder statt Fingern meine Zähne zeigen – aber ich nehme dieses Angebot doch nicht an!«"
die stelle fand ich auch total geil xDD
jaja, deine fantasie ¬_____¬
Von:  Miaka-cat
2008-08-16T19:52:25+00:00 16.08.2008 21:52
woah *-*
wie du diese spannung aufbaust, finde ich klasse! du verrätst gar nichts über die einzelnen charas, sondern wirfst immer häppchenweise neue infos ein, find ich sehr spannend! die englischen passagen zwischendrin machen auch einen gewissen spannungseffekt.
dein humor an manchen stellen ist echt bösartig xD
spannung kannst du suuper aufbauen, will gar nicht aufhören weiterzulesen!
*-*b

Von:  Miaka-cat
2008-08-16T19:15:42+00:00 16.08.2008 21:15
ich fand es schon klasse, als dus uns vorgelesen hast, aber noch mal zu gelesen, finde ichs sogar noch besser, als am anfang *-*
werd gleich weiterlesen!
°-°b
Von:  Rynshen
2008-08-02T19:19:52+00:00 02.08.2008 21:19
MEHR!!!
total klasse! die Stelle wie er sich verwandelt und kurz darauf(also im Prinzip der Schluss des Kapitels) find ich am besten! Und jetz brauch ich mehr!!! Das is echt unfair das es noch nich weiter geht . . .
Naja, ich werde mich in Geduld üben! ^^'

*knuddl*


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