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Katenha

von

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Aussprache

Ein leises, aber durchdringendes Schreien riss Raven brutal aus seinen Gedanken, ließ ihn gegen seinen Willen zusammenzucken und aufspringen. Das war Diu, das wusste er einfach, obwohl er an diesem Laut der Angst nichts Genaues feststellen konnte, außer dass der Verursacher des Lärms mit Sicherheit ziemlich gequält wurde.

Auch die anderen Jugendlichen hatten mitbekommen, was sich weit weg von ihnen abspielte – zumindest dachte sich jeder seinen Teil dazu – und schauten sich erschrocken an. Die einzige Grund, weshalb sie es hier noch hörten, konnte nur sein, dass zum ersten Mal ein Katenha an einem Experiment als Versuchs'person' beteiligt gewesen war und es anscheinend nicht positiv auf es wirkte, ganz im Gegenteil.

„Sind die jetzt völlig bescheuert?“, murmelte Jevo vor sich hin, dem die Außerirdischen mit ihren sinnlosen Tätigkeiten nur noch auf den Geist gingen. „Reicht es nicht, dass wir da durch müssen? Wollen die jetzt auch noch an sich irgendwelchen kranken Tests ausprobieren?“ Langsam aber sicher fühlte er sich hier wie in einem überdimensionalen, intergalaktischen Irrenhaus ohne eine Chance, von dort fortzukommen. Und wenn sich die Viecher zusätzlich unabsichtlich gegenseitig umbrachten, waren sie so gut wie verloren.

„Die spinnen alle“, fluchte Ninia vor sich hin und versuchte Jassin zu beruhigen, der auf bestimmte Dinge anders reagierte als eigentlich von normalen Jungs in seinem Alter erwartet und von der momentanen Situation ziemlich überfordert schien. Sicher irgendein psychisches Problem, um das sich mal jemand kümmern sollte; der Junge sollte an so einem Ort gar nicht sein, aber die Katenha fanden es wohl interessant, gerade solche Leute abzuchecken. „Und ich dachte, Menschen hätten einen Dachschaden, aber die sind noch viel schlimmer!“

Bei Raven brannten währenddessen von Sekunde zu Sekunde mehr die Sicherungen durch, bis er es nicht mehr aushielt, untätig im Raum zu stehen und zu lauschen, wie Diu sich immer mehr hineinsteigerte, sodass sich Sejena die Hände auf die Ohren drückte – was natürlich nichts brachte bei telepathischen Geräuschen –, und auf den Flur stürmte. Die Rufe von Virila, die ihn wohl zurückhalten sollten, ignorierte er eiskalt, im Moment zählte für ihn nur Diu zu finden und sich an den Katenha zu rächen, weil sie ihm körperlich oder geistig, sie waren zu allem in der Lage, weh taten.

Ohne wirkliche Ahnung, in welche Richtung er sich wenden sollte, rannte Raven die Gänge entlang und riss zwischendrin immer wieder Türen auf, um sich zu vergewissern, dass sich nicht dahinter die Quelle des Unheils befand und er Diu verfehlte. Genau orten konnte er dessen inzwischen leiser werdendes Jammern leider nicht, aber vielleicht begegnete ihm einer der Katenha, den er dazu zwingen würde, ihn zu Diu zu bringen. Wie er das anstellte, war Raven völlig egal, Hauptsache er unternahm irgendwas.

Als er schließlich gar nichts mehr hörte, bekam er plötzlich schreckliche Angst. Was, wenn Diu die Aktion der anderen Katenha nicht überlebt hatte? Wenn er noch ein zweites Mal von ihnen gequält wurde? Wenn Raven zu spät kam, um ihn davor zu retten und somit schuld an Dius Tod war?

Hastig verscheuchte Raven diese unschönen Überlegungen soweit es sein momentaner Zustand zuließ und befasste sich lieber weiter damit, seine Umgebung zu zerlegen, jedenfalls ging er nicht sehr sorgsam mit den Türen um. Doch das Ausbleiben eines Erfolgs machte ihn wahnsinnig, er wollte zu Diu und sonst nichts. Wieso zeigte sich nicht endlich einer dieser bunten Pappnasen? Vorhin hatten sie keinen benötigt und nun tauchte keiner auf, was sollte das? Machten die das absichtlich, um ihn an den Rand der Verzweiflung zu treiben?

Nach einer halben Ewigkeit, wie es Raven schien, erreichte er einen der Laborräume, der allerdings leer war, was ihn trotzdem sicher machte, auf dem richtigen Weg zu sein, auch ohne Hilfe eines lebendigen Wegweisers. Hoffentlich war er wirklich nicht zu spät, sonst würde er komplett durchdrehen, da bestand kein Zweifel. Die letzten Stunden hatten ihn dermaßen angespannt, dass er auf irgendeine Weise davon loskommen musste. Außerdem schrie ihm sein überforderter Verstand zu, seine Aufsichtspflicht und die Verantwortung nicht ernst genug genommen zu haben, was eigentlich ziemlicher Unsinn war. Was hätte er gegen die Trennung von Diu unternehmen sollen? Zaubern gehörte nicht zu seinen Fähigkeiten und selbst ein Raven konnte nicht Unmögliches vollbringen.

Das vermutete er allerdings inzwischen bei den Katenhas.

Mit vor Panik zitternden Händen schaffte sich Raven weiter Zugang zu den anderen Räumen in diesem Bereich, bis er schließlich am Ziel stand. Entgegen seiner Vermutung stand die Tür offen und er hatten direkten Blick auf eine große Ansammlung Katenha, die wild miteinander diskutieren zu schien.

Und einsam und allein lag an einer Wandseite auf dem Boden Diu, der sich nicht bewegte und von dem Raven kein Zeichen auffing, dass er noch lebte. Die Katenha um ihn herum störte das nicht, sie beschäftigten sich mit ihren eigenen Problemen, zu denen Diu nicht mehr gehörten zu schien.

Das hier war alles nur ein schrecklicher Alptraum, in dem er ausversehen hineingeschlittert war, so kam es Raven immer mehr vor und das wollte er sich auch bald einreden. Vielleicht wachte er gleich allein in seinem Apartment auf und hielt sich selbst für bescheuert, so einen Quatsch für real gehalten zu haben. Nichts hier durfte wahr sein, weder dieses rote abstrakte Gebäude noch dessen Bewohner.

Am besten er selbst auch nicht, dann hätte der Spuk ein Ende.

Leider änderte sich die Wirklichkeit kein Stückchen, die Katenha hatten ihn immer noch nicht wahr genommen und Diu war auch nicht plötzlich aufgestanden.

Mit einer Mischung aus Angst vor der Wahrheit und der bekannten Anspannung trat Raven vorsichtig durch die Tür, er wartete, dass jemand ihn daran hinderte, doch ohne Verzögerung durchquerte der den Raum, ließ sich neben Diu auf die Knie sinken und fasste ihm zögernd an die Wange. Sie fühlte sich nicht besonders lebendig an, hatte wieder diesen ungesunden, hellgrünen Hautton, genau den Gleichen wie im Zeitraum, als Diu krank bei Raven im Bett gelegen hatte. Bedeutet das nun etwas Gutes oder Schlechtes?

„He, was machst du hier?“ Endlich richtete sich die Aufmerksamkeit eines gelben Katenhas – hatte hier jeder seine eigene Farbe? – auf ihn, wodurch auch der Rest zu ihm hinüberblickten.

Muka hielt sich wieder als einer der Hauptverantwortlichen für Ordnung unter seinen Artgenossen und ging auf Raven zu, um sich einen genauen Plan der Situation zu machen, doch der Junge befürchtete, erneut von Diu getrennt zu werden, zog diesen an sich und rutschte hastig von Muka weg. Noch einmal ließ er sich nicht einfach entfernen, beschloss Raven, und funkelte den Katenha, der ihm nun gegenüberstand, so bedrohlich wie er konnte an. Hoffentlich bemerkte es nicht, wie schlecht es ihm eigentlich wegen der Sorge um Diu ging, er musste so selbstsicher wie möglich erscheinen, das klappte sonst auch immer.

Wenn man die Leute nur böse genug ansah, machten sie bald von allein die Fliege.

War er dumm im Kopf oder wieso glaubte er, diese billige Methode funktionierte bei einem Wesen ohne vorhandene Gefühle? Es verstand die Botschaft doch gar nicht.

„Wenn du ihn nicht bald loslässt, erdrückst du ihn“, erklärte Muka Raven sachlich. „Das willst du bestimmt nicht, aber Katenha und auch Halbkatenha sind nicht unsterblich. Obwohl wir nichts dagegen hätten, genau wie jedes Lebewesen, das nicht für immer existiert.“

„Halt die Klappe“, fauchte Raven ihn an – schlechte Formulierung für jemanden, der wahrscheinlich gar keine Stimmbänder besaß und somit auch nicht den Mund zum Sprechen öffnete – und hoffte, dass Muka wirklich sein bedeutungsloses Gefasel einstellte. Philosophische Gedanken gehörten nun nicht hierher. „Diu ist entweder schon tot oder er wird es bald sein.“ Er vielleicht auch, aber das störte ihm gerade überhaupt nicht. Hier kam er sowieso nicht lebend heraus, damit hatte er in den letzten Minuten abgeschlossen. „Und ihr seid daran Schuld!“ Seine Arme schlangen sich noch fester um Dius Oberkörper, um sich Sicherheit einzubilden, die es nicht gab. Mukas Hinweis überhörte er komplett.

„Menschen und ihre Anschuldigungen.“ Völlig unberührt betrachtete Muka den Eindringling kritisch. „Falls du es nicht weißt: Diu lebt, er ist nur ohnmächtig. Und umbringen werden wir ihn auch nicht. Zwar ist es inakzeptabel von ihm gewesen, hier her zurückzukommen, aber im Gegensatz zu Menschen können wir unsere Konflikte ohne Tote lösen.“

„Super Konfliktlösung, gar nicht gewalttätig. Was habt ihr mit ihm gemacht, verdammt?“ Äußerlich erkannte er keine Spuren von Verletzung oder ähnlichem, aber den Schreien nach zu urteilen musste Diu ziemlich gelitten haben. Und daran waren eindeutig diese gefühlsgestörten Wissenschaftler schuld, da gab es für Raven keinen Zweifel.

„Wir haben an ihm etwas ausprobiert, aber irgendetwas hat wohl nicht gestimmt, deswegen hat er es gar nicht gut vertragen.“

„Geht es noch etwas ungenauer? Jetzt sag endlich, was ihr mit ihm gemacht habt!“ Das war doch reine Absicht, ihm so wenige Informationen zukommen zu lassen.

„Wir haben die gesammelten Emotionen auf ihn übertragen, aber entweder waren es zu viele auf einmal oder wir Katenha sind wirklich nicht dafür gemacht, mit ihnen klarzukommen.“ Wenn das zuträfe, wäre das ein herber Schlag für das ganze Forschungszentrum, das wussten Muka und Raven, auch ohne es zusätzlich zu erwähnen.

„Wahrscheinlich beides, dann hätten wir endlich Ruhe vor euch und eurem Wahn, uns die Gefühle zu stehlen und sie für euch zu verwenden.“ Der Plan klang immer noch völlig idiotisch in seinen Ohren, obwohl er tatsächlich das Ziel der Katenha war. „Ihr könnt ja langsam anfangen, die Leute zurück nach Hause zu bringen, wenn ihr allergisch auf uns reagiert.“

„Kommt nicht in Frage, erst wird genau erforscht, aus welchem Grund er plötzlich diese Selbstmordgedanken hatte.“

„Was?“ Spätestens nun verflog Ravens erzwungene Geduld für das Gespräch mit Muka und er verlor die Beherrschung. „Wegen euch steht er kurz davor, sich umzubringen? Sag mal, habt ihr überhaupt eine Ahnung, wie krank das Ganze hier wird? Tickt ihr noch ganz richtig? Ihr entführt wahllos Menschen, sperrt sie auf dem Mond ein, stehlt ihnen die Gefühle und setzt sie ohne Erfahrung von den Auswirkungen einem von euch ein! Ihr seid doch bescheuert, ihr verdient gar keine Gefühle!“ Hätte er nicht Diu festgehalten, wäre er auf den Katenha losgegangen, der ruhig Ravens Ausbruch zur Kenntnis nahm und wartete, dass dieser sich wieder beruhigte, damit er mit ihm in normalem Ton reden konnte.

„Eigentlich ist es fast schon... hm, lustig oder wie ihr es nennt, dass ein Mensch uns belehren will, wie man am besten mit anderen umgeht. Wir haben euch lange genug beobachtete, um zu sagen, dass ihr für uns keine Vorbildqualitäten habt. Zumindest ein großer Teil von euch, der sich eindeutig nicht an eure Moralvorstellungen oder auf was auch immer ihr so stolz seid hält.“

„Das ist gar nicht lustig.“ Als ob Muka wusste, was lustig überhaupt bedeutete. Bestimmt hatte er das Wort irgendwo aufgeschnappt und benutzte es, ohne die Bedeutung zu kennen, allerdings war das momentan völlig irrelevant. Das Vieh hatte mehr als eine Schraube locker, obwohl es mit seinem Seitenhieb auf das Verhalten der heutigen Gesellschaft Recht hatte.

Menschen waren nicht perfekt, das war klar, er selbst könnte als lebender Beweis durchgehen, aber er gehörte nicht zu der Sorte, die aus sinnlosen Gründen Leute quälte und mit unsinnigen Vergleichen sein Handeln verteidigte.

Diu bewegte sich plötzlich leicht in seinen Armen und Raven richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf seinen kleinen Schützling, der möglicherweise durch die laute 'Unterhaltung' zwischen Raven und Muka aus seiner Bewusstlosigkeit gezerrt worden war, allerdings hielt er die Augen weiterhin geschlossen.

Erleichtert atmete Raven aus, Muka hatte endlich einmal recht gehabt und seine Sorgen lösten sich zu einem kleinen Teil in Luft auf. Natürlich könnte es sich als Einbildung herausstellen, aber als Diu vorsichtig seinen Kopf gegen Ravens Brust drückte, wusste er, dass er ihm nur noch etwas Erholungszeit geben musste, bis er wieder vollkommen da war.

Die Katenha im Raum hatten ihnen die ganze Zeit ausdruckslos zugesehen und -gehört, doch Muka wies ihnen nun an, zurück auf ihre Posten zu gehen. Irgendetwas plante er, was sie nicht miterleben sollten.

Misstrauisch wegen des Übergriffs vorhin bereitete sich Raven vor, Muka im schlimmsten Fall eins auf die – imaginäre – Mütze zu geben, aber es schien gerade keine Lust zu haben, Raven ein weiteres Mal zu bedrängen, sondern stupste Diu an, damit dieser aufwachte.

„Lass ihn“, zischte Raven und schlug Mukas Finger von Dius Seite weg, „du bist selbst dran schuld, dass er in diesem Zustand ist, also hat er auch das Recht, sich erst auszuruhen, bevor du neue, verrückte Sachen mit ihm machen willst.“ Was Raven garantiert nicht zulassen würde.

„Ich möchte aber von ihm wissen, warum er so darauf reagiert hat. Vielleicht dürft ihr dann auch früher gehen, du und die anderen Menschen.“ Erpressungsmethoden kannte Muka, die gab es sogar bei den Katenha. „Dafür muss Diu nur wach sein und mit mir zu sprechen.“

Wenig begeistert ließ Raven zu, dass Diu auf diese Art in die Wirklichkeit zurückgeholt wurde, achtete allerdings auch auf jede Bewegung von Muka. Nicht, dass es irgendetwas anstellte, was sich nachteilig auf Diu auswirkte.

Über den Weg traute Raven dem Katenha nämlich ganz und gar nicht, selbst wenn es so aussah. Was blieb ihm auch anderes übrig, um schnell zu zeigen, dass das Projekt – um es drastisch auszudrücken – für die Katz war und alle beteiligten schnellstmöglich dorthin gehörten, wo sie herkam, egal ob von der Erde oder aus den letzten Ecken des Weltalls. Nur so erfüllte er seine Pflicht Noevy und Jevo gegenüber, weswegen er überhaupt hergekommen war; und zusätzlich noch für Diu, den er nun auch nicht mehr hängen lassen wollte.

Irgendwie verhielt er sich seit neustem sehr seltsam, bemerkte Raven.



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