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Immer einen Schritt zurück

Seishirou/Subaru
von

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Leben

Immer einen Schritt zurück
 

Von Cyel~
 

Schritt I: Leben
 


 

Subaru lehnte müde an der Wand des Fahrstuhls. Er war froh, dass sich außer ihm niemand hier befand, da er so furchtbar würdelos in sich zusammengesunken war und seine Augen immer wieder drohten, einfach zuzufallen. Drei Jobs—drei besonders harte Jobs—an einem Tag waren einfach zu viel; er fühlte sich wie ein ausgewrungenes Handtuch. Er schlurfte mit bleischweren Füßen über den Flur, als der Fahrstuhl endlich auf seiner Etage angekommen war. Seine nassen Schuhe quietschten auf dem Laminat im Flur. Seufzend streckte Subaru seinen Schlüssel ins Schloss und betrat endlich, nach fast vierzehn Stunden außer Haus, wieder seine Wohnung. Was freute er sich nur auf ein heißes Bad und ein kleines Abendessen! Subaru schloss leise die Tür hinter sich, hängte seinen Mantel an die Garderobe, streifte die Schuhe einfach ab, und tapste auf Socken ins Wohnzimmer. Dass er seinen Hut immer noch trug, fiel ihm nicht auf. Der Parkettboden war unangenehm kühl unter seinen Fußsohlen, aber es roch nach Essen. »Hokuto-chan?« fragte er mit gerunzelter Stirn. Er hatte sie nicht erwartet—aber natürlich freute er sich trotzdem. »Bist du das?«
 

»Und wie!« rief seine Schwester und steckte den Kopf durch den Türrahmen aus der Küche hinaus. »Freust du... wie siehst du denn aus?« Das Grinsen, das eben noch ihre Zähne gezeigt hatte, verschwand so schnell, wie es gekommen war.
 

Subaru sah an sich herunter. Sein Oberteil war voller Staub und sein linkes Hosenbein über dem Knie aufgerissen. Das andere war zumindest verdreckt. »Es tut mir Leid, Hokuto-chan«, sagte er mit ehrlichem Bedauern in seiner Stimme. Die Kleidung war neu gewesen, wie fast alles, dass er zur Arbeit trug—Hokuto legte Wert darauf—und egal, ob er sie jemals wieder anziehen würde, es war immer schade, wenn etwas kaputt ging. »Ich wollte nicht—«
 

»Das meine ich gar nicht. Schau mich mal an«, sagte Hokuto. Sie tippte ihm unters Kinn, woraufhin er gehorsam aufschaute.
 

»Was ist denn?« fragte er verwirrt, als sie die Hand nach seinem Gesicht ausstreckte. Dann zuckte er zusammen, als sie seine Wange berührte. »Au«, sagte er mehr überrascht als vor Schmerz. Ach ja, das, fiel es ihm wieder ein.
 

»Das meine ich. Wie ist das passiert?« Sie verschränkte die Arme. Dabei sah sie nicht wirklich glücklich aus.
 

Subaru seufzte. »Bei der Arbeit. Aber es ist nicht so schlimm«, ergänzte er und versteckte instinktiv die linke Hand hinter dem Rücken. »Nur ein paar Kratzer und ein blauer Fleck.«
 

Hokuto stemmte die Fäuste in die Hüften. »Du meinst wohl eher Schnitte.« Sie nahm seine rechte Hand und zog ihn energisch mit sich in Richtung Wohnzimmer. Dass ihre Laune auf einem Tiefpunkt angekommen war, merkte er daran, dass er beim Versuch ihr zu folgen fast stolperte. »Komm, ich schau mir das mal an.«
 

»Es ist nichts, wirklich...« versuchte Subaru, sie zu beruhigen. Es war wirklich nicht sehr schlimm, schließlich hatte er die Verletzungen zuerst gar nicht bemerkt, auch wenn sie—zugegebenermaßen—jetzt ein wenig zu brennen anfingen. Aber er hatte schließlich schon viel schlimmeres durchgestanden, als so etwas. Es war ja nicht das erste Mal, dass er mal mit kleineren, mal mit schlimmeren Blessuren von einem Job zurückkam.
 

Ein wenig später saß Subaru umgezogen—und auch endlich ohne Hut—auf der Couch, drei große Pflaster im Gesicht und wartete darauf, dass Hokuto wieder ins Zimmer zurückkommen würde. Er sah auf seine Hand. Wie würde seine Schwester wohl darauf reagieren? Er war bei einem Fall, bei dem er sich abgefangen hatte, einfach umgeknickt und konnte nun als Ergebnis einen geschwollenen blauen Fleck um sein Handgelenk »bewundern«. Ganz zu schweigen davon, dass ihm jede Drehung und Biegung wehtat. Für ihn selbst war das natürlich unangenehm, aber nichts, mit dem er nicht zurechtkommen würde. Auf jeden Fall war es deutlich schlimmer als die Kratzer—und nach Hokutos erster Reaktion konnte er sich die nächste ausrechnen.
 

Er bemerkte nicht, wie sie hinter ihn trat und sich über die Lehne beugte. Als er seine Hand wieder verstecken wollte, war er viel zu langsam. Hokuto sah alles, wenn sie wollte. »Warum hast du mir das nicht gezeigt?« fragte sie, mit zusammengezogenen Brauen. Selbst die Hasenohren, die über ihrer Stirn hin und her wippten konnten die Ernsthaftigkeit in ihrem Blick nicht minder eindringlich erscheinen lassen. Für einen Moment sah sie wirklich wütend und enttäuscht aus, dann entspannten sich ihre Gesichtszüge und sie seufzte. »Du bist unverbesserlich.«
 

»Du musst besser auf dich aufpassen, Subaru«, sagte sie zu ihm, während sie einen Verband um sein dick mit Salbe beschmiertes Handgelenk wickelte. »Ich möchte mir nicht immer Sorgen um dich machen müssen.« Er hätte nicht erwartet, dass sie so ruhig blieb. So gern er seine Schwester auch hatte, Hokuto war und blieb nun einmal impulsiv und laut, und wenn sie sich nicht so verhielt, wie er es von ihr erwartete, dann war ihr die Angelegenheit wirklich, wirklich wichtig.
 

»Das musst du nicht, Hokuto-chan«, murmelte er verlegen. »Es ist doch nun wirklich nicht viel mehr als ein Kratzer.«
 

»Natürlich muss ich mir Sorgen um meinen kleinen Bruder machen!« Sie klebte das Ende des Verbandes mit einem Pflaster fest. Er ließ seine Hand in den Schoß sinken. Vorher war es erträglich gewesen, jetzt war es viel angenehmer. »Und ich würde mir wünschen, du würdest das auch tun«, sagte sie ernst und umfing sein Gesicht mit ihren Handflächen. Da sie ihre Stirn gegen seine gelegt hatte, waren ihre Augen zu nah, um sie klar zu erkennen, aber er konnte sich ihren Ausdruck vorstellen: eindringlich und sehr bestimmt. »Du solltest besser auf dich aufpassen.«
 

Subaru seufzte. »Hokuto-chan, ich passe auf mich auf«, murmelte er.
 

»Nicht gut genug, sonst würdest du nicht so aussehen«, entgegnete sie vollkommen logisch. »Oder etwa nicht? Subaru, heute war es nur ein Kratzer, aber morgen ist es vielleicht etwas Schlimmeres. Es wäre nicht das erste Mal, dass du so nach Hause kommst. Deine Arbeit ist nicht immer ungefährlich, natürlich, aber es gibt Dinge, die lassen sich vermeiden. So was hier zum Beispiel«, sagte sie und stupste—nicht sehr fest—mit dem Zeigefinger gegen eine Beule auf seiner Stirn. »Ich will gar nicht wissen, wie und warum es genau passiert ist, aber ich würde mich besser fühlen, wenn du ein bisschen mehr Rücksicht auf dich selbst nehmen würdest.« Sie ließ ihn los und machte es sich neben ihm gemütlich. »Versprichst du mir das?«
 

»Ja.«
 

Offenbar erweckten sein Blick und seine Stimme nicht viel Vertrauen bei Hokuto. »Ich meine es ernst«, sagte sie. »Und wenn du dir selbst nicht reichst, dann denk an die Leute, denen du etwas bedeutest. An mich, zum Beispiel. Oder Oma. Oder Sei-chan.«
 

Subaru sah sie ratlos an. »Wer ist denn ›Sei-chan‹?« fragte er verwirrt.
 

»Na, der nette Tierarzt, den du mir neulich vorgestellt hast.«
 

Seine Augen wurden groß. Er hörte wohl nicht richtig! »Du nennst ihn ›Sei-chan‹? Wir kennen ihn doch kaum und außerdem...«
 

»Lenk nicht vom Thema ab!« Sie drohte ihm spielerisch mit der Faust.
 

Das war unfair, fand Subaru. Schließlich hatte sie damit angefangen und ihn abgelenkt. »Jedenfalls kennt er mich kaum«, beharrte er. »Und ich ihn auch nicht wirklich«, fügte er hinzu.
 

»Aber er mag dich, Subaru, und ich mag dich auch, falls dir das entgangen sein sollte.« Sie grinste. »Und ich wäre sehr böse auf dich, wenn dir etwas passiert, bloß, weil du dich selbst nicht wichtig genug genommen hast.«
 

Er seufzte. »Ich verspreche dir, beim nächsten Mal besser aufzupassen«, sagte er und setzte nach einem scharfen Blick seiner Schwester hinzu: »Ehrlich.«
 

Diesmal glaubte Hokuto ihm und wahrscheinlich hatte sie ganz Recht gehabt, seine erste Antwort nicht zu akzeptieren. Aber eigentlich konnte Subaru ihr gar nichts versprechen. Es war einfach unmöglich, in seinem Beruf Verletzungen vollständig zu vermeiden. Oder ging es ihr gar nicht darum? Er war sich nicht ganz sicher, was sie eigentlich genau meinte, aber er würde es ihr zuliebe wenigstens versuchen. Sie kannte ihn gut, das wusste Subaru, und wahrscheinlich war ihr bewusst, was sich in seinem Kopf abspielte. Deshalb lächelte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Danke. Komm, das Essen wird kalt.«
 

***
 

Als er das Feuer sah, den Boden beben spürte und die Narben auf seinen Handrücken in der Hitze heftig zu brennen begannen, da wusste Subaru, dass er Seishirou sehr, sehr nahe war. Er presste die Lippen zusammen, machte ein paar weitere Sätze, um festen Boden zu erreichen—und dann, vom Dach eines Hochhauses aus, sah er ihn: Einen großen, dunkel gekleideten Mann, vor dem die Flammen zurückzuweichen schienen und dessen Sonnenbrille ihren roten Schein zurückwarf. Subaru kannte das Lächeln auf Seishirous Lippen, ohne es sehen zu müssen—wie auch, auf diese Entfernung—und das kalte, stechende Kribbeln, das es in seiner Magengegend hervorrief.
 

Dieses Gefühl breitete sich aus, kroch durch seine Adern und spannte seine Muskeln bis er es nicht mehr aushielt. Subaru sprang und landete elegant wenige Meter von Seishirou entfernt, als dieser gerade etwas aus seiner Tasche zog.
 

Subaru radierte sorgfältig jegliche echte Emotion aus seinem Gesicht, sodass Seishirou nicht mehr als eine wütende Maske sehen würde.
 

Das Gesicht des Sakurazukamori war unerwartet lebendig; trotz der Sonnenbrille, bei deren Anblick Subaru erschauderte, war seine Überraschung offenkundig, als er den jungen Mann erkannte. Er hatte offenbar nicht damit gerechnet, einem Menschen zu begegnen, der nicht panisch auf der Flucht war—er hatte nicht damit gerechnet, Subaru zu begegnen. Seishirou nahm seine Sonnebrille ab, und mit einem Mal war sein Lächeln wieder tot. Er war komplett schwarz gekleidet, mit Anzug und Mantel, hielt eine Packung Zigaretten in einer seiner großen Hände und sah, obwohl er mittlerweile über dreißig sein musste—auch, wenn er Subaru wahrscheinlich angelogen hatte, was sein Geburtsdatum anging—nicht viel anders aus, als an dem Tag, an dem Subaru ihn das erste Mal gesehen hatte. Abgesehen davon, dass er nie in seiner Gegenwart geraucht hatte und das er sich damals wenigstens Mühe gemacht hatte, sein Lächeln echt erscheinen zu lassen.
 

»Subaru-kun...« sagte er mit falscher Freundlichkeit, die aber sogleich aus seinen Augen wich, als er bemerkte, dass Subaru sich—zumindest äußerlich—nicht beeindrucken ließ.
 

Um sie herum schien die Welt ihr Ende schon erreicht zu haben: Flammen griffen nach den Wolken und schickten dicke, massive Rauchwolken voraus, die sich ihren Weg durch umgestürzte Gebäude und zerrissene Straßen suchten. Asche und Funken wurden vom Wind umhergewirbelt und nahmen Subaru fast die Sicht. Inmitten dieses Chaos, ihm direkt gegenüber, stand Seishirou, eine Hand lässig in der Manteltasche, ein selbstzufriedenes Lächeln auf den Lippen und, bis auf einen halb verheilten Kratzer auf seiner linken Wange, unberührt und sauber.
 

Ein Gebäude nicht weit von ihnen entfernt barst unter ohrenbetäubendem Lärm vom obersten Stockwerk bis zum Erdgeschoss. Ungestört davon versuchte Seishirou, sich eine Zigarette anzuzünden, aber sein Feuerzeug wollte einfach nicht funktionieren. Subaru ging langsam auf ihn zu, eine Hand suchend in der Manteltasche, die andere an seiner Seite zur Faust geballt
 

Sein Feuerzeug klickte und Seishirou beugte sich nach vorne, um die Spitze der Zigarette in die Flamme zu halten.
 

Dann zog er an seiner Zigarette und atmete aus, bevor er Subaru ein Lächeln schenkte. »Danke«, sagte er schlicht. Er schien nicht zu erwarten, dass Subaru ihn angreifen würde, obwohl dieser ihn mittlerweile mit unverholendem Zorn in den Augen anstarrte. Er selbst machte zunächst auch keine Anstalten, sich zu regen, sondern stand still, wie eine Statue.
 

Seishirou bewegte sich so schnell, dass Subaru ihn nicht kommen sah. Plötzlich befand er sich nur noch Zentimeter von ihm entfernt, seine Hand und sein Ellenbogen im Griff des Sakurazukamori. Und das alles, ohne, dass Seishirou mehr als einen Schritt nach vorne gemacht hatte.
 

Subarus Augen wurden groß, als seine Maske sich unter dem Druck von Nähe und Schrecken einfach in Nichts auflöste. Er kämpfte gegen Seishirous Griff an, doch dieser hielt ihn ohne große Mühe fest. Ihre Hände waren die einzige Stelle, an der sie einander berührten, aber Subarus Ansicht nach hätten sie genauso gut eng umschlungen dastehen können: Seishirous Hand war warm, sein Griff sicher, und erinnerte Subaru an etwas, an das er nicht gerne zurückdachte. Er biss sich von innen gegen die Unterlippe, um zu verhindern, dass sie zitterte.
 

»Du rauchst also?« fragte Seishirou, sein Atem warm auf Subarus Hand.
 

Subaru biss fester zu und senkte den Kopf. Er wollte Seishirou nicht in die Augen sehen und schwieg.
 

»Wie ungesund!« rief Seishirou aus, sein Gesicht so unpassend fröhlich, als wäre er ein Kind, dem man ein neues Spielzeug in die Hand gedrückt hatte.
 

Das war zu viel.
 

Subaru riss sich los und baute sich einige Meter von Seishirou entfernt auf, die zitternde Hand dicht vor seiner Brust, als müsste er sie vor etwas schützen. Das Feuerzeug hatte er fallen lassen; es lag zu ihren Füßen im Dreck. Er schmeckte Blut. »Ich habe dich gesucht.«
 

»Warum?«
 

Subaru konzentrierte sich, sammelte seine Kräfte, schob die Finger ineinander und rief seinen Bannkreis mit nach oben gerichteten Handflächen. »Damit mein Wunsch in Erfüllung geht.«
 

»Ein Bannkreis, nicht wahr?« fragte Seishirou, nachdem er sich umgesehen hatte. Sein Gesicht zeigte nichts außer milder Neugier und Erkenntnis—und vielleicht nicht einmal das. Er zog noch einmal an seiner Zigarette und als er wieder aufsah, tanzte der dünne Rauchfaden vor seinem Gesicht, das plötzlich viel finsterer war, als zuvor. »Die sieben Siegel«, sagte er zu sich selbst. »Nein... Die Sumeragi nennen euch Himmelsdrachen...«
 

Er klang nachdenklich. War es denn so unerwartet, dass Subaru, der in vielen Dingen sein absolutes Gegenstück war, auch hier eine ihm entgegengesetzte Rolle einnehmen sollte?
 

»Ihr sollt die Erde retten... Du bist ein Himmelsdrache.« Seishirous Stimme hätte durch Stahl schneiden können.
 

Da war eine plötzliche Kälte in ihm, die ihn selbst überraschte. »Die Zukunft der Erde... interessiert mich nicht.« Subaru ließ sich selbst keine Zeit, den ernsthaft verwirrten Blick auf Seishirous Gesicht genauer zu betrachten. Er machte einen Satz und schleuderte drei Ofuda in seine Richtung. Mit ein paar Worten verwandelte er sie in Shikigami, die direkt auf den Mann zurasten.
 

Der Kampf war kurz, aber heftig. Shiki schlugen gegen eilig hochgezogene Schilde, jagten ineinander und immer wieder blitzte kaltes, bösartiges, selbstsicheres Lächeln in Subarus Geist.
 

Und dann hatte Subaru ihn. Der Boden um Seishirou brach auf, die Wucht des Angriffs löste seinen Adler in Luft auf, wirbelte seinen Mantel umher und riss sogar ihn fast von den Füßen. Das hinderte ihn allerdings nicht daran zu grinsen, als er sich wieder gefangen hatte. Ein paar Tropfen Blut flogen von der wieder aufgerissenen Wunde an seiner Wange. »Dein Wunsch ist, mich zu töten?« fragte er amüsiert. »Weil ich deine Schwester getötet habe.« Er sprach, als wäre ihm diese Möglichkeit gerade erst in den Sinn gekommen.
 

Das war Seishirou, wie er ihn kannte: Entspannt, wo niemand sonst entspannt sein konnte, zwischen aufgerissenem Asphalt und fliegenden Steinsplittern. Aber er hatte Unrecht.
 

»Du bist rührend, Subaru-kun.« Das war die selbe Stimme, der selbe Gesichtsausdruck, mit dem er ihm früher Komplimente gemacht hatte. Wie hatte er nur niemals bemerken können, dass alles falsch war? Es war zu offensichtlich. Und es war hässlich. Sicher, Seishirou sah immer noch gut aus, aber auf andere, subtilere Weise war die Falschheit einfach nur abstoßend. Und es war unfassbar, dass Seishirou es immer noch versuchte.
 

»Gern würde ich länger mit dir spielen, aber ich habe noch was vor.«
 

Als Subaru bemerkte, dass Seishirou mit dem Finger etwas Blut von seiner Wange streifte, sprang er von seinem Platz auf dem Balkon eines Hochhauses herunter. Er landete sicher vor dem Gefängnis, in das er Seishirou gesperrt hatte, gerade in dem Moment, in dem der mit ruhigen Fingerbewegungen ein Zeichen auf seinen Handrücken malte. Er streckte die Hand nach vorne und rief mit ebenso ruhiger Stimme seine Magie. Als die Energiewand sich nach außen beulte, drückte der Schmerz das erste Mal in Subarus Brust, aber er reagierte nur, indem er seinerseits hektisch vor sich hinmurmelte.
 

Er hatte keine Chance.
 

Seishirous Hand brach durch die Wand, ohne, dass er auch nur in Schweiß ausbrach. Er durchschnitt sie glatt mit der Handkante. Subarus Konzentration sackte in sich zusammen. Blut spritzte aus einem langen Schnitt quer über seiner Brust und der Schmerz war im ersten Moment so enorm, dass er nicht einmal schreien konnte. Leider war es nicht tief genug. Schwer atmend fiel er auf seine Knie, einen Arm schützend vor die Brust gedrückt und mit schmerzverzerrtem Gesicht. Seishirou stand vor ihm und kam im ersten Moment nicht einmal näher. Alles, was Subaru in seiner Haltung von ihm sehen konnte, waren seine Beine bis zu den Knien und die auf Hochglanz polierten, schwarzen Lederschuhe. Die Schleife in seinem rechten Schnürsenkel löste sich langsam auf.
 

Seine Schmerzen schränkten ihn deutlich ein, doch seine Wut war stärker: Sobald Seishirou in Reichweite kam, zerrte er eine Handvoll Ofuda aus seinem Mantel—und wurde festgehalten. Seishirou hatte—schon wieder—seine Hand fest im Griff. Subarus wütender Blick animierte ihn nur zu einem amüsierten Lächeln. Subarus Hand zitterte.
 

Seishirou schmierte etwas Blut über seine Wange. Er war fast zärtlich. Warum?
 

Subarus Atem stockte in seiner Kehle. Seishirous Gesicht war so kalt, hart und—grausam—wie Eis, aber sein Blut, auch wenn es langsam trocknete, war warm.
 

Die Welt hätte genauso gut stillstehen können. Seishirous Hand rutschte bis zu seinem Handgelenk. Währenddessen lockerte sich dafür sein Griff, sodass Subaru sich hätte losreißen können, aber daran dachte er gar nicht mehr. Seine Augen brannten, aber Subaru redete sich ein, dass es am Schweiß lag, der seine Stirn und seinen Haaransatz durchnässte.
 

Seishirous Finger lagen noch immer an seiner Wange, sein Gesicht war die höhnische Nachahmung eines freundlichen Lächelns. Subaru konnte seine Augen nicht vom Gesicht des anderen Mannes nehmen, welches ihn an etwas erinnerte, an das er lieber nicht zurückdachte. Da war Blut auf Seishirous Wange, diesmal die linke, aber es war Blut in seinem Gesicht. Und sein zerstörtes Auge war ihm so nah...
 

Die Schuldgefühle taten weh.
 

»Also... bis bald.« Seishirou zog seine Hand zurück. Sie war gepflegt, stellte Subaru etwas benebelt fest, seine Fingernägel waren gerade geschnitten und nicht kurz gebissen wie bei ihm. Wenn da nicht das Blut gewesen wäre, sie wären sauber gewesen.
 

Kirschblüten wurden vom Wind verweht, fort von der Stelle, an der Seishirou gerade noch gestanden hatte.
 

Damit war er verschwunden, aber er war nicht weg.
 

*
 

Subaru hatte sich verändert. Er war gewachsen, acht Jahre Verzweiflung und Verbissenheit hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, seine Haare, die früher genauso geschnitten waren, wie Hokutos, waren kurz und zerzaust. Die feinen, in Seishirous Gegenwart sanft glühenden, Linien auf seinen Handrücken lagen zum ersten Mal vor ihm frei. Um seinen Mund lag ein bitterer Zug, der sich auch in seinen Augen widerspiegelte. Einst grün und lebendig, waren sie nun von Trauer überschattet. Seishirou konnte nicht bestreiten, dass es ihn... faszinierte.
 

Der Sakurazukamori umrundete ihn im Schutze seiner Illusion, um ihn genauer zu betrachten. Faszination war durchaus das richtige Wort, wenn man den Umstand beschreiben wollte, dass er die Augen nicht von ihm lassen konnte.
 

Seishirou hatte ihn in all den Jahren nicht einmal gesehen—er hatte die Unannehmlichkeiten, die entstanden wären, wäre er Subaru auf seiner Jagd zu nahe gekommen, so weit wie möglich vermieden. Er hatte viel verpasst. Schade eigentlich.
 

Er konnte sich nicht einmal einen Reim auf Subarus Verhalten machen, welcher scheinbar aufgegeben hatte: er versuchte nicht, ihn zu finden, obwohl ihm klar sein musste, dass Seishirou noch da war. Das Einzige, was er tat, war, die Kirschblüten durch seine Finger rieseln zu lassen.
 

Es war interessant, seine Unterhaltung mit den beiden Himmelsdrachen zu beobachten. Subaru, sein Subaru-kun, war unhöflich und kalt. Untypisch, äußerst untypisch. Für einen Moment lang musste Seishirou an einen Strand denken, den man zu kennen geglaubt hat und den die Flut vollkommen verändert zurückgelassen hat. War er das Wasser gewesen? Höchstwahrscheinlich.
 

Als Subaru seinen Bannkreis auflöste, nahm Seishirou das zum Anlass, zu verschwinden. Aber sie würden sich wiedersehen.
 

*
 

Anmerkungen:

Hokuto! <3 Es hat riesigen Spaß gemacht, sie hier auftreten zu lassen. Ich schreibe sie wirklich viel zu selten...

Ich finde den ersten Teil auf jeden Fall sehr gut gelungen: Subaru weiß einfach nicht, wie viel er eigentlich wert ist, oder es kümmert ihn zumindest nicht, selbst nachdem Hokuto ihn darum gebeten hat, auf sich aufzupassen. Er verspricht es nur, weil sie das gerne hören möchte, und weil er sie natürlich glücklich sehen will. Aber wirklich verstehen tut er es nicht.

Im zweiten Teil haben wir dann einen Subaru, der überhaupt keine Rücksicht mehr auf sich selbst nimmt. Seine einzige Chance, das zu lernen steht immerhin vor ihm. So ziemlich das Gegenteil von dem, was Hokuto immer erreichen wollte, leider.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-08-12T18:35:18+00:00 12.08.2009 20:35
Du hast einen echt tollen Stil..!
ich mag's total..^.^b
und ein dickes danke an dich, weil du eine der wenigen bist, die meine geliebte Hokuto auftauchen lassen..

ich liebe sie..! ♥

und an dich ein dickes 'TOP'..!


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