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Immer einen Schritt zurück

Seishirou/Subaru
von

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Nähe

Schritt II: Nähe
 


 

»Gut siehst du aus.«
 

Subaru sah überrascht von seiner Speisekarte hoch. Seishirou lächelte ihn über den Rand seiner eigenen hinweg an. Obwohl er sich nicht sicher war, wie er reagieren sollte, murmelte Subaru ein schüchternes »Danke«. Er hatte schließlich gewusst, auf was er such einließ, als er die Einladung angenommen hatte. Subaru nannte es eine Verabredung, aber Seishirou nannte es immerhin ein Date.
 

Sie saßen an einem der hinteren Tische in einem kleinen, aber gemütlichen Restaurant, das Seishirou ausgesucht hatte. Subaru kannte es nicht, aber dem Namen und Angebot nach war es hauptsächlich italienisch, obwohl eigentlich alles mögliche angeboten wurde, und dagegen hatte Subaru nichts einzuwenden. Allerdings hatte er schon häufiger bemerkt, dass Seishirou ein Faible für ausländisches Essen hatte.
 

Subaru sah im Schutze seiner Speisekarte an sich herunter. Vielleicht hatte der Kommentar ja gar nichts zu bedeuten, sondern Seishirou wollte einfach nur etwas Nettes sagen und eventuell hatte er einfach nur Recht. Hokuto war in Höchstform gewesen—als sie erfahren hatte, dass er mit Seishirou essen gehen wollte, war sie hellauf begeistert und hatte im Laufe von zwei Tagen ein handwerklich perfektes Outfit geschneidert. Es war sogar verhältnismäßig zahm, auch wenn das leuchtende Blau zusammen mit der zartorangefarbenen Tischdecke doch etwas auffällig war. Aber eigentlich fand er es gar nicht schlecht.
 

Auch wenn er nicht verstehen konnte, warum das rechtfertigte, einen Tag lang nicht zur Schule zu gehen, nur um daran zu arbeiten.
 

»Weißt du schon, was du nimmst?« fragte Seishirou mit gerunzelter Stirn.
 

»Ja. Nummer siebzehn, glaube ich... und du?« Es war noch ein wenig seltsam, jemanden zu duzen, den er noch nicht allzu lange kannte, auch wenn Seishirou offensichtlich Wert darauf legte. Subaru verstand gar nicht, warum der Mann überhaupt Zeit mit ihm verbringen wollte, so interessant war er schließlich nicht. Von der anderen Sache ganz abgesehen. Vielleicht machte Seishirou sich ja einen Spaß daraus und machte sich ein wenig über ihn lustig?
 

Seishirou nickte wissend. »Dann bist du ja schon mal weiter als ich. Das klingt alles gut. Vielleicht können wir ja erst einmal mit der Vorspeise anfangen... Wir können ja mal nachfragen.«
 

*
 

Die Minuten verstrichen und Subaru begann langsam, sich zu fragen, wie viele Komplimente ein Mensch in so kurzer Zeit formulieren—und dann an ihn richten—konnte. Besonders letzteres war ihm ein Rätsel und es wurde von Minute zu Minute schwieriger, damit auch klarzukommen.
 

Vor allem, da Seishirou nicht einmal wusste, was er eigentlich wirklich war. Er hielt ihn schließlich für einen ganz normalen High-School-Schüler. Die Wirklichkeit würde ihm ganz sicher nicht gefallen. Sie gefiel niemandem wirklich, am Allerwenigsten Subaru selbst. Manche hatten doch tatsächlich Angst vor ihm, Andere hielten seine Arbeit für Blödsinn und ihn für wahlweise verrückt oder eingebildet, und die Meisten, darunter der Großteil seiner Mitschüler, mieden ihn, wenn sie ihn nicht gerade brauchten. Und gerade deshalb musste Seishirou es wissen. Er würde ihn mit Sicherheit nicht mehr so gerne mögen, wenn er es erst wüsste, aber damit konnte Subaru leben. Er hatte schließlich Hokuto und er wusste auch gar nicht so recht, ob er diese Art Aufmerksamkeit überhaupt jemals wollte.
 

Aber es tat schon ein bisschen weh.
 

»Seishirou-san?« begann er zaghaft. Jetzt oder nie, bevor es zu spät war. Seine Hand verkrampfte sich um den Griff seiner Gabel und er stocherte ein wenig im Rand seiner Bruschetta. Nicht gerade bestes Benehmen.
 

Der Mann sah auf. »Mh?«
 

Subaru biss sich auf die Unterlippe. »Ich glaube, ich muss dir etwas sagen. Ich weiß noch nicht genau wie, aber es ist wichtig und du musst das wissen. Ähm... Ich bin kein normaler Jugendlicher«, sprudelte es aus ihm heraus. »Also, ich eigentlich schon«, setzte er als Antwort auf Seishirous hochgezogene Augenbraue hinzu. »Meine Arbeit ist es nicht.«
 

»So?« Seishirou wirkte wenig überrascht. Aber er schien im Allgemeinen nicht sehr leicht zu beeindrucken zu sein, die Erfahrung hatte Subaru ja schon gemacht. Entweder das, oder es gehörte zum Alltag des Mannes, sich in Teenager zu verlieben. Oder so zu tun, erinnerte Subaru sich.
 

»Du... kennst ja meinen Familiennamen. Sumeragi. Der Sumeragi-Clan ist... Wie viel weißt du über Onmyouji? Yin-Yang-Meister?« In der heutigen, modernen Zeit konnte man sich nicht immer darauf verlassen und er wollte die Angelegenheit so schnell und unmissverständlich hinter sich bringen, wie irgend möglich.
 

Seishirou, der gerade mit Kauen beschäftigt war, konnte als Antwort zuerst nur nicken. »Ich kenne mich da... ein wenig aus«, fügte er nach dem Schlucken hinzu.
 

Subaru räusperte sich. »Ich bin einer—das Oberhaupt meiner Familie. Ich denke mir das nicht aus, wirklich nicht!« Ein nagendes Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit. Ich bin so dumm. Ich bin so dumm; ich mag ihn doch, glaube ich... Und jetzt hatte er sich bestimmt alles verdorben.
 

Zu seiner großen Überraschung lächelte Seishirou nur. »Wie spannend!« rief er aus. Täuschte Subaru sich gerade ganz schrecklich, oder war das... echte Begeisterung in seiner Stimme? Für eine Weile vernachlässigte der Mann sogar sein Essen. Subaru hingegen war so sehr mit Grübeln beschäftigt gewesen, dass sein Teller nicht einmal halb leer war. »Erzählst du mir mehr?«
 

Es stört ihn nicht. Es interessiert ihn. Subaru schluckte. Das passte gar nicht zu dem, was er sich vorgestellt hatte. »Ich wüsste nicht, was«, murmelte er schließlich, aus unerfindlichen Gründen leicht beschämt, vor sich hin. »Es klingt aufregend, aber es ist nichts besonderes, für mich zumindest. Eigentlich mache ich es nicht einmal gerne. Ich wollte also auch nicht prahlen. Aber ich dachte, dass du es wissen solltest, weil viele Leute es... abschreckend finden, und weil du mich ja wohl...« Er hielt inne und sein Gesicht wurde hochrot. »Ich wollte nicht das Gefühl haben, dich anzulügen.« Er hatte Seishirou die ganze Zeit über nicht angesehen, und auch jetzt vermied er es, hochzusehen. Seishirou aß immer noch nicht weiter. Seine freie Hand lag entspannt neben dem Teller, das Messer hatte er weggelegt. »Ich wollte eigentlich immer eine andere Arbeit machen.« Die Worte waren draußen, bevor er sich stoppen konnte. »Aber ich will nicht jammern«, fügte er eilig hinzu.
 

Seishirous freie Hand bewegte sich und legte sich auf seine. Subaru sah sie fassungslos an. Sie war warm, ein bisschen rau, und so groß, dass selbst seine langen Finger fast komplett verschwanden. Seishirou schien vieles nicht sehr ernst zu nehmen, darunter auch die Distanz, die die meisten Menschen—darunter auch, oder vor allem, Subaru—zueinander bewahrten. Das hatte er oft genug bewiesen, aber... »Ich glaube dir«, unterbrach Seishirou seine Gedanken mit ernster Stimme. Es war unfassbar, wie schnell er zwischen kindisch und erwachsen—normal?—wechseln konnte. »Ich habe auch nichts dagegen, wenn du ›jammerst‹. Wir können ja schließlich nicht mit allem zufrieden sein, oder? Und manches können wir weder ändern noch beeinflussen, aber ignorieren macht es auch nicht besser. Und wenn darüber sprechen das Einzige ist, was wir tun können, warum solltest du es nur aus... Höflichkeit... vermeiden?« Sein Lächeln war warm und was er sagte, war logisch. Nur...
 

»Ich will dich nicht nerven«, erklärte Subaru wahrheitsgemäß. »Ich will niemanden nerven.«
 

»Davon gehe ich doch aus.« Er lächelte immer noch. »Alles andere passt ja auch gar nicht zu dir. Und weißt du was? Du könntest es nicht einmal aus Versehen. Ich höre dir nämlich gerne zu.«
 

Subaru war sprachlos. Seishirou war... nett, nicht nur freundlich. Er war definitiv nicht wie die meisten Menschen und hatte gewiss einige ungewöhnliche Anwandlungen—und, oh Gott, er hielt immer noch Subarus Hand—, aber er schien einfach immer genau zu wissen, was er sagen musste. Zumindest tat er es nun. Subaru fand es zwar definitiv seltsam, einem nach den Regeln der Gesellschaft fast fremden Menschen so nahe zu kommen, aber das war wohl doch irgendwie in Ordnung, solange Seishirou ansonsten so weitermachte, wie bisher.
 

Seine Hand kribbelte trotzdem ganz komisch.
 

***
 

Er wusste nicht, was ihn geweckt hatte, aber als Subaru die Augen öffnete, stürzten Schmerz, Übelkeit und Schwindel auf ihn ein wie ein Erdrutsch. Sobald er sich aufsetzte, dachte er für einen Moment, er müsste sich auf der Stelle übergeben. Irgendwie kam er auf die Beine, konnte sich aber kaum aufrecht halten. Er würde sich wirklich übergeben müssen... Irgendetwas war nicht in Ordnung. Subaru würgte, schlug sich die Hand vor den Mund und taumelte vorwärts. Um ein Haar wäre er über seine eigenen Füße gestolpert, aber jemand packte ihn mit eisernem Griff am Oberarm und stützte ihn.
 

Ohne diese Hilfe hätte er es wahrscheinlich kaum geschafft, das Zimmer zu verlassen ohne zu stürzen. In seinen Ohren rauschte es und er sah nur verschwommen, was durch die Dunkelheit selbstverständlich nicht besser gemacht wurde.
 

Der Druck auf seinem Arm verschwand und er stolperte ins Bad und erbrach sich in die Toilette. Er hatte nur sehr wenig gegessen an diesem Tag, aber das hinderte ihn nicht daran, etwas hochzuwürgen, das es gar nicht gab, denn sein Magen rebellierte trotzdem noch. Auch, als es langsam aufhörte, blieb er noch kurz auf den Knien hocken, ehe er sich am Rand des Waschbeckens hochstemmte und darauf gestützt hineinspuckte. Er wusch sich den Mund, um den widerlichen Geschmack von seiner Zunge zu spülen.
 

Ohne hinzusehen wühlte er durch seinen Schrank, zog eine Packung Schmerztabletten heraus—etwas anderes befand sich dort außer Seife ohnehin nicht—und schluckte zwei davon mit einer Hand Wasser. Bis sie wirkten, würde es wohl noch eine Weile dauern, aber zumindest sein Schwindel hatte ein wenig nachgelassen und er konnte wieder klar denken.
 

Jemand hatte den Bannkreis um seine Wohnung ziemlich effektiv zertrümmert.
 

Er kannte nur wenige, die dazu in der Lage waren und nur eine Person, die es auch tun würde. Seishirou. Subaru stieß sich vom Waschbecken ab und ging langsam—schlicht und einfach, weil er nicht schneller konnte—durch den Flur ins Wohnzimmer zurück. Seine Erinnerungen an die letzten Minuten lagen verständlicherweise halb im Schatten, aber die Hand, die seinen Arm vorhin umschlossen hatte, konnte er immer noch spüren. Er stieß die Wohnzimmertür grob auf.
 

»Geht’s dir besser?«
 

Subaru drehte sich ruckartig halb um die eigene Achse und sah Seishirou mit verschränkten Armen neben der Tür an der Wand lehnen. Trotz seiner Verfassung reagierte er so schnell wie noch nie. Sein Mantel mit den Ofuda in den Taschen hing über einem Stuhl. Er hechtete durchs Zimmer.
 

Seishirou war schneller.
 

Er hakte seinen Fuß um Subarus Knöchel und zog ihn nach hinten. Kurz bevor Subaru mit dem Kinn auf die Sitzfläche aufschlagen konnte, packte er seinen ausgestreckten Arm und riss ihn wieder zurück. Er kugelte ihm fast den Arm aus, aber nur fast, griff auch noch das andere Handgelenk und verdrehte beide so hinter Subarus Rücken, dass dieser sich nicht mehr bewegen konnte. Subaru röchelte. Seine Kopfschmerzen—die schließlich nicht natürlichen Ursprungs waren—hatten fast schon aufgehört, aber sie kamen mit voller Kraft zurück und vereinten sich mit dem Zerren aus seinen verrenkten Armen. Er konnte sich nicht wehren, sondern hing hilflos in Seishirous Griff, Tränen in den Augen. Das kannte er schon. Neu war der Geschmack bitterer Galle, der immer noch auf seiner Zunge lag. Wie passend.
 

»Du solltest dich beruhigen, Subaru-kun, mein Lieber. Das ist nicht gut für dich. Manchmal tut das weh«¸ erklang Seishirous tiefe, melodische Stimme. Um seine Worte zu unterstreichen, zog er seine Arme noch weiter nach oben. Subaru stöhnte. »Benimmst du dich?« Seishirou schob ihn durchs Zimmer und stieß ihn von sich weg. Subaru landete mit verdrehten Gliedern und dem Gesicht im Polster auf dem Sofa. Er atmete schwer. »Wenn du brav sitzen bleibst, dann ist das wesentlich sicherer«, fügte Seishirou hinzu.
 

»Amüsierst du dich?« stieß Subaru hervor. Er hatte eine Hand in die Rückenlehne gekrallt und die andere zur Faust geballt. »Hast du Spaß?« Er drehte sich langsam um. Seine Decke verfing sich um seine Beine. Er schob sie und sein Kissen mit den Füßen auf den Boden und zur Seite. Er wollte noch etwas sagen, schaffte es aber einfach nicht, seine Gedanken soweit zu ordnen, dass es Sinn ergeben hätte.
 

»Du wohnst recht einfach, nicht?« Seishirou ignorierte ihn einfach. »Warum schläfst du denn im Wohnzimmer?« Er wartete auf eine Antwort, aber als er keine bekam, fuhr er einfach unbekümmert fort. »Ist dir noch schlecht? Ich war vielleicht ein bisschen grob. Beim nächsten Mal mache ich es besser. Ich hätte erwartet, dass du dich besser schützt.« Er setzte sich neben Subaru, der hektisch von ihm wegrückte. Er kramte in der Tasche seines Jacketts. »Bonbon?« Er bot Subaru eine offene Tüte an. »Die sind scharf, das sollte gut gegen den Geschmack helfen.«
 

Am Liebsten hätte Subaru ihn einfach nicht beachtet, aber das Angebot war in diesem Moment zu verlockend. Er griff gleich doppelt zu—es half wirklich—, stand allerdings auf und blieb einige Schritte von Seishirou entfernt stehen. Sein Mantel hing jetzt neben ihm, aber er konnte sich nicht zum Handeln durchringen. Schon wieder. Was brachte ein Wunsch, für den man nichts tat, um ihn zu erfüllen?
 

Während er noch nachdachte, hatte Seishirou etwas aus der Ritze zwischen Sofalehne und Sitzfläche herausgezogen. Es war von Subarus Position aus kaum zu erkennen, aber er wusste, was es war und deshalb konnte er die Form—die eines kleinen Hundes—erahnen. Sein Atem stockte in seiner Brust.
 

Seishirou hielt das Stofftier mit beiden Händen. Subaru konnte sein Gesicht im Halbdunkel nicht besonders gut erkennen, aber es sah so aus, als hätte er die Stirn gerunzelt. Subaru maß dem nicht viel Bedeutung bei, denn wenn der Sakurazukamori es zuließ, dass Subaru seinen Gesichtsausdruck so einfach lesen konnte, dann war es nicht wichtig—oder mit voller Absicht. »Was ist?« fragte er.
 

»Du schläfst mit ihm?« Seishirou spielte scheinbar geistesabwesend mit den Ohren des Hündchens.
 

Subaru drückte den Lichtschalter. »Wieso nicht?« antwortete er. Seishirous Gesichtsausdruck, den er in dem hellen Licht nun gut erkennen konnte, gefiel ihm nicht. Die Deckenlampe warf scharfe Schatten auf sein Gesicht, die seine Augen noch schwerer sichtbar machten, als zuvor, enthüllte dafür aber auch ein selbstzufriedenes Lächeln.
 

»Ich hätte erwartet, dass du ihn nicht in deiner Nähe haben möchtest, oder ihn gar zerreißen würdest, aber für sein Alter sieht er ja noch ganz gut aus. Warum hast du ihn denn so gut behandelt?«
 

Subarus Herz fühlte sich an, als hätte man es zu einem Knoten gebunden und den mit einem Ruck zugezogen. Mit zwei schnellen Schritten hatte er die Distanz zwischen ihnen überbrückt. Er riss Seishirou den Hund aus den Händen und umklammerte ihn, als wollte er verhindern, dass er ihm wieder genommen wurde. Subaru nahm ihn in beide Hände und hielt ihn auf Höhe seines Bauches vor sich. »Es geht dich nichts an. Bitte geh.«
 

Für einen Moment sah es tatsächlich so aus, als wolle Seishirou seiner Aufforderung Folge leisten—aber stattdessen packte er Subaru am Handgelenk und zerrte ihn ruckartig aufs Sofa.
 

Subaru war viel zu überrumpelt, um auch nur einen Laut von sich zu geben. Sekundenlang sah er Seishirou einfach nur an, bis er schließlich »Was tust du?« hervorstieß und versuchte, wieder von Seishirou wegzukommen, aber das ließ dieser nicht zu.
 

»Subaru-kun, du bist viel zu aggressiv.« Seishirou verlagerte seinen Griff etwas, sodass er nun seine Hand hielt, und begann, mit dem Daumen seinen Handrücken zu streicheln, direkt über einer der Spitzen des Pentagramms, das unter seiner Berührung deutlich sichtbar wurde. Subaru hielt auf einmal sehr still. Er wusste nicht, ob es an der Magie lag, oder an der Berührung, aber er hatte das Gefühl als würde ein Kribbeln von Seishirous Fingern aus durch seinen Arm bis in seine Brust rasen. Er war sich nicht einmal sicher, ob er es als unangenehm oder als angenehm empfinden sollte. Langsam hob er seinen Blick von ihren Händen und sah Seishirou direkt ins Gesicht. Wie erwartet war dessen Gesichtsausdruck, wenn man überhaupt von einem solchen sprechen konnte, ein absolutes Rätsel
 

Subaru versuchte zu sprechen, aber sein Mund war trocken. Er schluckte schwer, leckte sich über die Lippen und versuchte es noch einmal: »Erwartest du etwas anderes?« krächzte er. Eigentlich war es gar nicht so sarkastisch gemeint, wie es klang, aber die Situation war einfach zu absurd. Er sah ihm gar nicht mehr ins Gesicht, denn das gab ihm den Eindruck, dass Seishirou trotz der körperlichen Nähe genauso gut am anderen Ende des Zimmers hätte sein können. »Lässt du mich los?«
 

Erstaunlicherweise tat Seishirou genau das.
 

Subaru zog seine Hand zurück und barg sie an seiner Brust, als müsse er sie beschützen. Aber um auch nur irgendetwas vor Seishirou zu beschützen, war es wahrscheinlich schon zu spät, dachte er bitter. Nur warum ist er so still?
 

Was nun passierte, hätte er in seinen kühnsten Träumen nicht erwartet. Ohne Vorwarnung, ohne auch nur eine Miene zu verziehen, beugte Seishirou sich vor, fasste ihm in den Nacken und küsste ihn. Nicht irgendwie, nicht zögerlich, nicht im entferntesten, wie Subaru es sich gelegentlich in seinen gewagtesten Tagträumereien vorgestellt hatte. Es glich eher einem Angriff—und wahrscheinlich sollte es sogar, auf gewisse Weise, genau das sein—, und ließ Subaru gänzlich ohne Verteidigung. Subaru schmeckte Zigaretten und Pfefferminze und für einen Moment kam es ihm so vor, als würde er sich selbst schmecken, aber das war nur ein Gedanke für eine Sekunde.
 

Viele Gedanken blieben ihm nämlich nicht.
 

Unter Seishirous Berührungen hatte Subaru das Gefühl, nicht mehr wirklich zu wissen, was er hier eigentlich tat. Auf rein rationaler Ebene gefiel ihm das gar nicht, aber der logische Teil seines Verstandes kam nicht gegen das an, was er eigentlich wollte—und wie er es wollte. Ehe er sich versah, ließ er es nicht nur über sich ergehen sondern erwiderte Küsse und Berührungen so gut er konnte. Doch da blieb ein nagendes Gefühl in seiner Magengegend, das Wissen, dass das, was er tat, falsch war, und dass er es nicht durfte. Aber das war nichts, das ihn stoppen konnte.
 

Mehr durch Zufall als aus irgendeinem anderen Grund traf sein Blick auf Seishirous rechte Hand. Das Licht der Lampe schien direkt auf sie und erleuchtete den Dreck unter seinen Fingernägeln. Oder eher: das alte Blut unter seinen Fingernägeln. Subarus Muskeln verkrampften sich, eine seiner Hände hinterließ Kratzspuren an Seishirous Unterarm. Der Mann sah ihm überrascht ins Gesicht, aber als er merkte, wo Subarus Blick verweilte, breitete sich ein hämisches Grinsen in seinem Gesicht aus und auf einmal kam Subarus Zorn zurück—glühend und so überwältigend, dass er sogar seine körperliche Schwäche überwand. Mit aufeinandergebissenen Zähnen und zusammengekniffenen Augen warf Subaru sich nach vorne, packte Seishirou an den Schultern und stieß ihn vom Sofa. Er selbst stürzte hinterher und als Seishirou mit dem Rücken auf dem Boden aufkam, saß Subaru rittlings auf ihm und drückte ihn an den Schultern auf den Boden.
 

Seishirou schaute zu ihm herauf und gleichzeitig auf ihn herab. Subaru erwiderte seinen Blick und hatte das Gefühl, als würde er zittern, als würde alles an ihm und um ihn herum beben, aber dieses Erdbeben war wirklich nur in ihm.
 

Denn das was er eigentlich sah—Seishirous Auge, klar und kühl—rückte in den Hintergrund und an seine Stelle trat, wofür es stand: die Träume, die er gehabt hatte—die, die Seishirou in ihm ins Leben gerufen und dann wieder zerstört hatte—Hoffnung und all diese Dinge—diese Dinge—, die er verloren hatte. Unbewusst grub er seine Fingerspitzen tiefer in Seishirous Schultern. Seine Wut war verschwunden. Stattdessen fühlte er sich auf einmal leer, wie ausgesaugt, und sehr, sehr müde.
 

Deshalb ließ er es zu, dass Seishirou die Gelegenheit ergriff und ihre Position wieder veränderte, bis Subaru mit dem Rücken gegen die Sitzfläche der Couch gepresst war. Die harte Unterkante drückte gegen seine Schulterblätter. Seishirous triumphales Grinsen brannte sich durch seine Seele.
 

Ihre Körper waren gegeneinander gepresst und als Seishirou ihn dann küsste, gab Subaru auf, vor Seishirou, und vor sich selbst.
 

*
 

Seishirou hatte ihn mit einem Schlafzauber belegt und war gegangen. Hätte er es nicht getan, hätte Subaru auch nicht schlafen können, schließlich war er jetzt immer noch furchtbar aufgewühlt. Warum hatte er das nur getan? Warum hatte er das getan? Subaru rieb sich die Augen und lehne sich gegen sein Kissen zurück. Die Wohnzimmerdecke sah immer noch genau so aus wie am Vortag. Neben der Deckenlampe klebte noch immer die zerdrückte Spinne—schon seit Wochen—, die weiße Farbe war alt und ein bisschen verfärbt, und das gelbliche Rechteck, dass die Abendsonne an die Decke malte, sah aus wie jeden Tag. Der Rest des Zimmers hatte sich auch nicht verändert. Auf dem Wohnzimmertisch lag eine noch fast volle Packung Hustenbonbons, aber das war alles. Er strich sich die Haare aus der Stirn und seufzte. Er hatte viele Fragen nach dem »Warum«, aber keine einzige Antwort. Am Liebsten wäre er jetzt wieder eingeschlafen und nie wieder aufgewacht. Das wäre so viel einfacher gewesen.
 

Subaru wusste einfach nicht, was er als nächstes tun sollte. Es war das passiert, was nicht hätte passieren dürfen und er hatte es nicht erwartet—wie auch? Er bedeckte sein Gesicht mit einer Hand, schloss die Augen, sodass er nicht zwischen seinen Fingern hindurch sehen konnte, und atmete tief durch. In der Hoffnung, sich abzulenken, drückte er mit den Fingerspitzen fester gegen sein Gesicht. Es tat weh, aber es half nicht im Geringsten.
 

*
 

Anmerkungen:

Dieses Kapitel fiel mir echt am allerschwersten. Mir gefällt ja sogar, was ich geschrieben habe, aber ich habe an keinem anderen Teil so viel gefeilt. Zumindest der Tokyo Babylon-Teil hat mir eine Menge Arbeit gemacht, weil ich ihn in ganz viele kleine Teile zerstückelt geschrieben habe. Am Ende habe ich mich auf Dinge berufen, die ich zwar schon geschrieben hatte, die aber in der Geschichte erst viele Absätze später vorkamen... Es war viel Arbeit, da wieder so etwas wie Ordnung hereinzubringen.

Beim zweiten Teil (den ich Wochen vorher schon halb fertig hatte) gab es dann das Problem, dass ich es zu der Zeit lustig fand, unheimlich viele Metaphern und ähnliche Stilmittel zu verwenden. Den größten Teil davon habe ich zwar schon gelöscht, bevor ich es zum Betalesen weggeschickt habe, aber irgendwie sieht man die letzten Überbleibsel davon immer noch.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2009-08-12T18:36:19+00:00 12.08.2009 20:36
supi..! ;)

es hat mir total gefallen, wie schon gesagt, dein Stil ist außergewöhnlich gut..!
hab ich bis jetzt nur selten gesehn..

weiter so..♥
Von:  Sephie
2008-09-13T15:15:50+00:00 13.09.2008 17:15
das kapp war echt toll ><
hoffe es geht bald weiter ^^
Von:  2you
2008-09-12T19:23:35+00:00 12.09.2008 21:23
Ich finde es sehr schön!!! Mach weiter so - Danke


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