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Another Side, Another Story

The Traitor's Tale
von

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Echos der Vergangenheit

A/N: Ein Hoch auf meinen Vater, meine Daten wurden gerettet. Deshalb geht es jetzt mit ASAS weiter, allerdings unregelmäßig, weil Studium und gerade nicht so in der Suikoden-Stimmung.

Ach ja: ungebetat. Trotzdem viel Spaß!! :)
 

Kapitel 35: Echos der Vergangenheit
 

Es war nicht so, dass Jowys Träume nicht ohnehin schon seit dem Fall von Muse von Blut, Tod und Mord dominiert gewesen wären. In dieser Nacht kam nun auch die Gewissheit hinzu, dass er erneut einen Unschuldigen nicht hatte retten können.
 

Im Morgengrauen hatte er es aufgegeben, noch sonderlich viel Schlaf zu bekommen, es hatte ja doch keinen Sinn. Stundenlang hatte er sich von einer Seite zur anderen gewälzt und wenn er doch einmal eingenickt war, so war er doch schnell wieder aufgeschreckt. Er musste dringend frische Luft schnappen.
 

Er verließ das Zelt, das er sich mit dem anderen Oberleutnant teilte – Jowy hatte sich noch immer nicht die Mühe gemacht, sich den Namen des älteren Mannes zu merken, den er ohnehin kaum zu Gesicht bekam – und sog tief die Nachtluft ein.
 

Wenn es etwas gab, das er hasste, dann war es diese Hilflosigkeit. Natürlich war ihm klar gewesen, dass es nicht ganz ohne Opfer gehen würde, dass es Tote geben musste in dieser Sache. Aber dass er würde hilflos daneben stehen müssen, mit ansehen, wie Unschuldige ihr Leben ließen… Das zu begreifen und zu akzeptieren war ein Ding der Unmöglichkeit.
 

Er wollte und konnte nicht zulassen, dass so etwas noch öfter passierte. Gab es denn keinen Weg, die Verluste in diesem Krieg möglichst gering zu halten?
 

Ihm war bewusst, dass Luca Blight und die anderen Generäle von Highland keinen Wert darauf legten, den Krieg möglichst schnell zu beenden. Ihre Devise war es, Angst und Schrecken zu verbreiten, um ein für alle Mal die Konflikte zwischen den beiden Ländern zu klären und das Königreich als glorreichen Sieger hervorgehen zu lassen, gegen den sich niemand aufzulehnen wagte.
 

Aber Jowy war keiner von ihnen. Er weigerte sich, so zu werden wie der Großteil der Soldaten in der Armee und sinnlos Menschen abzuschlachten. Aber er allein hatte keine Chance gegen den Rest des Königreichs.
 

Gab es denn keine Möglichkeit…?
 

Er spazierte ziellos durch die leeren Straßen von South Window, ohne wirklich auf seine Umgebung zu achten. Es mochte sein, dass die Stadt prunkvoller war als Muse und auch älter – immerhin war sie die Hauptstadt des Königreichs Dunan gewesen, das sich über die heutigen Territorien des Staatenbunds erstreckte – doch Jowy hatte keinen Blick dafür. Seine Gedanken wanderten von dem Mord an Anabelle zu dem an Granmeyer und er fragte sich, wie viele führende Personen der Staat noch verlieren würde, bis dieser Krieg beendet war.
 

„Schnell jetzt! Beeilt euch!“ Er hielt inne, als er plötzlich Stimmen nicht weit von sich hörte. Wer auch immer da sprach, er bemühte sich leise zu sein – planten die Städter etwas…?
 

Er vernahm Schritte, die zu einer Gruppe von Leuten zu gehören schienen. Was in aller Runen Namen war da los?
 

Jowy presste sich an eine Hauswand und lugte um die Ecke, nur um überrascht den Atem anzuhalten.
 

Auf der Straße, die zu einem der Nebentore der Stadt führte, bewegte sich eine Gruppe von mindestens 30 Personen, alles Frauen und Kinder. Sie eilten an ihm vorbei, ohne Notiz von ihm zu nehmen, und ein Teil von ihm verspürte bereits das Bedürfnis, Oberst Russell von diesem Fluchtversuch zu berichten – denn genau darum handelte es sich hier zweifellos – doch als er plötzlich eine der gehetzt wirkenden Frauen erkannte, konnte er nichts weiter tun als zu starren.
 

Es war Rina. Ihr langes, schwarzes Haar war verdeckt von einem dunklen Tuch und sie sah viel älter aus, als er sie in Erinnerung hatte, doch es war ohne Zweifel das älteste Mitglied der Zirkustruppe, von denen er und Riou sich in Kyaro getrennt hatten, vor so, so langer Zeit.
 

Sie blickte sich nervös zu allen Seiten um, bis die letzte Mutter samt Kind an ihr vorbeigelaufen war, dann folgte sie ihnen und Jowy wusste plötzlich genau, dass er diese Menschen unmöglich an die Highlander verraten konnte.
 

Sie mochten ihn nicht gesehen haben – und Runen, er war nun wirklich niemand, dem man sein Vertrauen schenken sollte! – doch er fühlte sich ihnen verpflichtet. Was auch immer diese Leute dazu bewegt hatte, trotz Granmeyers grauenhaftem Schicksal zu fliehen, es reichte, um ihn auf ihre Seite zu bringen.
 

Vielleicht konnte er nichts dagegen tun, dass die Highlander Menschen töteten, aber wie viele sie umbrachten, das konnte er regulieren, wenigstens dieses eine Mal.
 

Jowy machte auf dem Absatz kehrt und eilte auf kürzestem Weg zurück zum Haupttor der Stadt. Die Flüchtlinge hatten sich für den längeren Weg entschieden, doch an sämtlichen Nebentoren von South Window waren Wachen postiert worden. Natürlich hatte er miterlebt, wie Rina für gewöhnlich mit Wachleuten umzugehen pflegte, doch irgendetwas sagte ihm, dass sie diesmal nicht so viel Erfolg haben würde.
 

Er beeilte sich, die Stadtmauern bis zu dem Tor zu umrunden, zu dem die Gruppe der Frauen und Kinder höchstwahrscheinlich unterwegs war (er konnte nur beten, dass er nicht falsch lag) und stellte fest, dass die davor postierten Wachen wenig motiviert miteinander Chinchirorin spielten.
 

In jeder anderen Situation hätte das genügt, damit die Flüchtlinge sich unbemerkt davon schleichen hätten können – doch hier führte ihr Weg zu dicht an den Highlandern vorbei, als dass diese sie nicht bemerken würden. Nun, da gab es wohl nur eine Lösung…
 

„Ihr da!“ Die beiden Männer blickten zu ihm auf und sprangen erschrocken auf die Beine; er stand rangtechnisch über ihnen und hatte sie gerade dabei erwischt, wie sie alles Andere als ihrer Pflicht nachgingen.
 

Vielleicht hatte es doch Vorteile, dass man ihm den Rang eines Oberleutnants verliehen hatte.
 

„S-Sir!“
 

„Oberleutnant, bitte… bitte verratet uns nicht an General Jhee!“ Die beiden Männer schienen es wirklich mit der Angst zu tun zu bekommen. Zwangsläufig wunderte Jowy sich, ob sie ihn beim Duell gegen Rowd gesehen hatten, dass sie so eigenartig reagierten. Denn damals hatte er selbst Angst gehabt…
 

„Warum sollte ich das nicht tun?“, entgegnete Jowy mit aller Kälte, die er aufbringen konnte. „Man hat euch beiden klare Befehle erteilt, ihr habt es jedoch vorgezogen, euch die Zeit zu vertreiben.“
 

„Sir, bitte…“ Beide Männer sahen ihn nun verzweifelt an. „Wir tun wirklich alles… alles!“
 

„Ich habe eine kranke Frau zu Hause und mein Sohn ist noch keine drei Jahre alt“, erzählte einer von ihnen mit bebender Stimme. „Bitte, es wäre ihr Tod, wenn ich kein Geld mehr nach Hause schicke!“ Jowy schnaubte, obwohl er sich selbst in diesem Augenblick zuwider war.
 

Diese Männer waren auch nur Menschen…
 

„Ihr feiges Pack solltet euch verziehen und schleunigst die Wachablösung holen!“, blaffte er unfreundlich und hoffte, dass diese Aktion lange genug dauern würde, damit die Frauen und Kinder fliehen konnten. „Bewegt euch! Oder muss ich erst den ranghöheren Offizieren Bescheid geben, dass ihr hier faulenzt anstatt zu arbeiten?!“
 

„N-Nein!“
 

„Da-Danke, Sir!“ Die Soldaten nahmen die Beine in die Hand und verschwanden zwischen den Zelten. Auch Jowy beeilte sich, sich von dem Torbogen zu entfernen und bezog in einiger Entfernung hinter einem Zelt Stellung, mit aller Macht hoffend, dass er sich nicht völlig geirrt hatte, was die Marschrichtung der Flüchtlinge anging.
 

Doch ihm fiel ein Stein vom Herzen, als sich das Tor leise knirschend einen Spalt weit öffnete, breit genug, damit ein Mensch sich hindurch quetschen konnte. Nacheinander eilten Frauen und Kinder hinaus und Jowys Herz verkrampfte sich, als er mehr und mehr Leute erkannte.
 

Apple, Barbara, Leona… Er verspürte einen schmerzhaften Stich in seinem Inneren, als er die bekannten Gesichter sah, die eins nach dem anderen im Torspalt erschienen. Natürlich sahen sie sich die betreffenden Personen nicht lange um, sondern liefen so schnell es ging davon, dicht gefolgt von Kindern und Zivilisten. Eines der Kinder kam ihm seltsam bekannt vor und er hätte beinahe schwören können, dass es sich um Pilika handelte, doch das Kind trug einen unförmigen, dunklen Umhang mit Kapuze, der Gesicht und Haare beinahe vollständig verdeckte.
 

Aber wahrscheinlich war es ohnehin nur sein schlechtes Gewissen, das ihm einen Streich spielte.
 

Schließlich trat Rina durch das Tor, deren Augen für einen kurzen Moment in ihre Richtung zu flackern schienen. Erschrocken sog Jowy scharf die Luft ein, doch die junge Frau wandte sich nur allzu schnell wieder ab und folgte dem Rest der Gruppe.
 

Er atmete bereits erleichtert aus, als sich eine weitere Gestalt durch den Torspalt schob und Jowys Herzschlag vor Schreck einen Augenblick aussetzte.
 

Derjenige, der da gerade aus der Stadt gekommen war, war weder eine Frau noch ein Kind, wie der Rest der Flüchtlingsgruppe. Nein, es war ein hochgewachsener, schlanker Mann in einem langen, dunkelblauen Umhang, den Jowy nur allzu gut kannte.
 

Flik.
 

Warum war er in der Stadt gewesen? War Viktor nicht bei ihm? Hatten sie Riou getroffen? Ging es ihnen allen gut?
 

Viel zu viele Fragen jagten einander in seinem Kopf, während er zusah, wie der Söldner das Tor wieder zuschob und den Anderen folgte.
 

Doch zum ersten Mal seit dem Fall von Muse, ja, eigentlich seit seiner Gefangennahme im Highland-Camp fühlte sich Jowy so, als habe er das Richtige getan. Er konnte nur hoffen, dass das Schicksal es gut mit ihm meinte.
 


 

Die Flucht schien unbemerkt geblieben zu sein, denn während der nächsten Tage machte keiner Anstalten, die Wachposten zu verstärken. Jowy hatte beschlossen, den Vorfall tatsächlich zu verschweigen und zu hoffen, dass Flik und die anderen ein sicheres Versteck gefunden hatten. Jetzt konnte er nämlich nichts mehr für sie tun.
 

Was auch immer die Obrigkeit in der Armee als Nächstes plante, es schien keine Eile zu haben. Eine Woche zog unbemerkt an den Besatzern von South Window vorbei und auch eine zweite verging, ohne, dass die highlandischen Truppen sich bewegten.
 

Aber andererseits gab es nun auch nicht mehr viel zu tun in den Ländereien von South Window – die einzige Stadt, die über nennenswerte Streitkräfte verfügte, stand unter highlandischer Kontrolle, der Hafen in Kuskus war abgesperrt und ohne den regen Handel mit den umliegenden Dörfern und Städten würde auch die Händlerstadt Radat sehr bald untergehen.
 

Leider behielt Solon Jhee Recht und die Enthauptung ihres Bürgermeisters versetzte die Bürger von South Window dermaßen in Angst, dass keiner es wagte, offen gegen das Königreich anzugehen. Natürlich gab es hier und dort doch Rebellen und Widerständler, doch die kleinen Ausbrüche wurden schneller niedergemacht als sich etwas Ernsthaftes daraus entwickeln konnte. Und Granmeyers abgeschlagener Kopf hing als düsteres und grausames Mahnmal noch immer über den Toren des Rathauses.
 

Als Jowy beinahe zweieinhalb Wochen nach der Besatzung von South Window ein verspätetes Abendessen einnahm – es war längst dunkel geworden – drangen die Stimmen einiger Offiziere an seine Ohren.
 

Die Männer saßen um ein großes Feuer versammelt und unterhielten sich, sodass er auf seinem Weg zurück von den Kantinenzelten nicht umhin kam, ein bisschen von ihrem Gespräch aufzuschnappen.
 

„… noch immer nicht glauben, dass der alte Granmeyer so schnell kapituliert hat.“
 

„Ja, wo er doch gegen das Reich des Scharlachroten Mondes immer ganz vorne mit dabei war, wenn es darum ging, Krieg zu führen!“
 

„Hat wahrscheinlich aus seinen Fehlern gelernt, der alte Sack. Gerüchten zufolge soll ja ein Silverberg dem Kaiserreich im Torrunenkrieg geholfen haben, da hatte der Staat doch gar keine Chance!“
 

„Silverberg? Etwa einer von den Silverbergs?“
 

„Aber ja! Wie viele Strategenfamilien kennst du denn noch?!“
 

Das Gespräch ging noch weiter, doch in Jowys Kopf hatte es bereits zu arbeiten begonnen.
 

Der Torrunenkrieg. Er hatte in Muse ein Buch darüber gelesen und auf diese Weise nicht wenig über die Silverbergs erfahren.
 

Da war Odessa Silverberg gewesen, die die Befreiungsarmee gegründet und später unter unbekannten Umständen verstorben war, wonach Tir McDohl die Führung übernommen hatte. Und Mathiu Silverberg, ihr Bruder, der nur kurz nach der Schlacht um Gregminster einer tödlichen Wunde erlegen war.
 

Aber es hatte noch einen anderen gegeben, einen dritten Silverberg, der in der Chronik des Torrunenkrieges nur ein einziges Mal erwähnt worden war, als die Schlacht um die Festung Shasarazade getobt hatte, und sich nach Ende des Kriegs Gerüchten zufolge wieder nach Kalekka zurückgezogen hatte, wo er vor seiner Rekrutierung im Torrunenkrieg viele Jahre gelebt haben sollte.
 

Und was, wenn…?
 

In seinem Kopf reifte langsam ein Plan heran, der so wahnwitzig und absolut verzweifelt war, dass er einfach aufgehen musste.
 


 

„Oberst?“ Der Mann drehte sich zu Jowy um und sah ihn überrascht an. Es war noch früh am Morgen und offensichtlich hatte Russell noch keinen erwartet; der Oberst war nicht vollständig bekleidet und sah aus, als ob er gerade erst aus dem Bett gekrochen wäre.
 

„Jowy“, sagte er erstaunt, „was kann ich für dich tun?“
 

„Guten Morgen, Oberst“, erwiderte Jowy förmlich und salutierte. „Ich… Ich habe eine Bitte.“
 

„Wenn es nicht einmal bis zum Frühstück warten konnte, muss es wohl dringend sein“, seufzte Russell, wischte sich müde übers Gesicht und wies zu dem Tisch und den zwei Stühlen, die in seinem Zelt standen.
 

„Setz dich, Junge. Kann ich dir einen Tee anbieten?“
 

„Nein, danke…“ Jowy setzte sich auf die Kante des ihm angebotenen Stuhls und fühlte sich, als würde er jeden Moment explodieren. Er wollte und konnte jetzt eigentlich nicht sitzen… Aber ihm war klar, dass er ohnehin die Gastfreundschaft seines Befehlshabers strapazierte.
 

„Du hast also eine Bitte“, stellte der Oberst fest und ließ sich auf den Stuhl Jowy gegenüber sinken. Er wirkte entspannt, wenn auch müde. „Was ist es?“
 

„Ich… möchte Euch darum bitten, mich vom Dienst zu befreien.“ Russells buschige Augenbrauen wanderten in die Höhe, ehe er sie zusammenzog und fragte:
 

„Warum sollte ich das tun?“ Er kratzte sich über den beachtlichen Bart an seinem Kinn.
 

„Ich muss etwas erledigen.“ Jowy sah seinem befehlshabenden Offizier fest in die dunkelgrünen Augen, doch dieser schüttelte den Kopf und sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich.
 

„Fahnenflucht ist ein schweres Vergehen, Junge“, brummte Russell. „Eigentlich sollte ich dich sofort festnehmen lassen… Das hätte ich sogar schon vor zwei Wochen tun müssen, als du General Jhee aufhalten wolltest.“
 

„Ich habe nicht vor, zu desertieren“, widersprach Jowy und schüttelte den Kopf. „Ich bitte Euch auch nicht darum, mich völlig vom Dienst zu befreien. Gebt mir lediglich zwei Wochen!“
 

„Zwei Wochen, um was zu tun, Jowy?“, fragte der Oberst grimmig. „Du weißt, dass Solon Jhee in ein paar Tagen die Ruinen von North Window angreifen will, um die Rebellen ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen. Wir haben jetzt keine Zeit für eigennützige Missionen!“
 

Rebellen? Was für Rebellen?
 

Manchmal verfluchte er sich selbst dafür, dass er in den militärischen Besprechungen mit den Gedanken ganz woanders war.
 

„Sie ist nicht eigennützig“, log der Aristokrat schließlich mit einem Seufzen und schob den Gedanken an irgendwelche Rebellen erst einmal weit fort, dabei hoffend, dass er sich nicht verriet. Aber im Lügen war er ja inzwischen fast schon ein Meister…
 

„Und was ist bitte so wichtig, dass du kurz vor einer großen Operation der Highland-Armee gehen willst?“, verlangte Russell zu wissen.
 

„Ich möchte nach einem Strategen suchen.“ Es war besser, wenigstens teilweise die Wahrheit zu sagen, bevor er sich in wüsten Geschichten verstrickte.
 

„Wir haben Strategen und mehr als genug.“ Der Oberst stöhnte. „Sie treten sich allmählich schon gegenseitig auf die Füße, du musst nur ein Blick in das Zelt werfen, das sich diese aufgeblasenen Idioten teilen.“
 

Dieser Stratege könnte die Wendung im Krieg bedeuten!“ Das hieß, wenn Jowy ihn überzeugen konnte, gegen anstatt mit Luca Blight zu arbeiten. „Wenn er noch lebt, ist er das größte militärische Genie dieser Welt! Ich kann nicht… zulassen, dass ihn womöglich jemand Anders anwirbt und all unsere bisherigen Bemühungen zunichte macht.“ Immerhin das entsprach der Wahrheit, auch wenn die Bemühungen, von denen er sprach, nicht zwangsläufig die der Armee von Highland waren.
 

Er wusste, wie verrückt der Plan war und dass es streng genommen nicht einmal wirklich einer war. Vielmehr ein verzweifelter Versuch, nicht sang- und klanglos unterzugehen im Angesicht seiner eigenen Hilflosigkeit…
 

Russell strich sich müde übers Gesicht und brummte:
 

„Solon Jhee wird das gar nicht gefallen.“
 

„Er muss es nicht wissen.“ Der Oberst schnaubte, sagte jedoch nichts. Einen Moment lang war es still, dann begann der Teekessel im hinteren Bereich des Zeltes so durchdringend zu pfeifen, dass Jowy erschrak.
 

Russell erhob sich, nahm den Kessel von der kleinen Eisenplatte, in die eine Feuerrune eingraviert war, und goss kochendes Wasser in eine große Tasse, die daneben auf einem kleinen Tisch stand; sofort breitete sich der Duft von frisch aufgebrühtem Tee im Zelt auf.
 

Dann seufzte der Oberst, drehte sich zu dem jüngeren Offizier um und sagte:
 

„Ich kann dich gut leiden, Jowy. Du bist ein guter Soldat und deine Männer gehorchen dir, ohne dass du viel dafür tun musst, obwohl du jünger und unerfahrener bist als sie. Aber kurz vor einer Schlacht einfach so zu verschwinden, wirft überhaupt kein gutes Licht auf dich.“
 

„Oberst, bitte“, flehte der Aristokrat und stand auf. „Ich bitte Euch nicht darum, mich ganz zu entlassen. Es geht nur um zwei Wochen. Ich werde zurückkommen, egal wie das Ergebnis meiner Suche ausgeht.“
 

Sie sahen sich an, grau gegen dunkelgrün, und Jowy gab bereits die Hoffnung auf, wohlwollend Urlaub zu bekommen, dann seufzte Russell schwer, stellte die Tasse auf dem Tisch ab und brummte:
 

„Zwei Wochen, Junge. Wenn du in genau zwei Wochen nicht wieder hier bist, werde ich Solon Jhee Bescheid geben und ein Verfahren wegen Fahnenflucht gegen dich einleiten.“
 

„Danke, Oberst.“ Russell kratzte sich am Kinn und fuhr fort:
 

„Ich werde dich für heute Abend zur Lagerwache einteilen. Dann kannst du von mir aus in alle vier Himmelsrichtungen verschwinden… aber lass dich nicht erwischen. Sonst habe ich mit all dem nicht zu tun.“
 

„Ich verstehe.“
 

„Pass auf dich auf, Jowy“, schloss Russell kopfschüttelnd. „Es wäre eine Schande, einen so guten Mann wie dich zu verlieren.“
 

Oh, wenn der Oberst nur gewusst hätte, was Jowy da plante! Dann wären seine Abschiedsworte sicher anders ausgefallen…
 

Aber das war wohl sein Schicksal – die Leute, die ihm vertrauten, zu hintergehen. Und allmählich bekam er ja wirklich Übung darin…
 


 

Fünf Tage später war sich Jowy absolut sicher, dass es keinen Ort auf dieser Welt gab, den er mehr hasste als die Ödlande, die zwischen der Republik Toran und den Vereinigten Stadt-Staaten von Jowston lagen.
 

Er hatte vor seiner Abreise alte Karten gewälzt und sich vergewissert, dass es einen Weg nach Toran gab, der nicht einen furchtbaren Umweg bedeutet hätte, und war von South Window in Richtung Süden gereist. Nur einen Tag später hatte er das Land des Fürstentums verlassen und die neutralen Ödlande betreten, die eine natürliche Grenze zwischen Toran und Jowston waren.
 

Und absolut verabscheuungswürdig. Hier gab es einfach nichts – so weit man sah, nur ausgetrocknete Erde, die von tiefen Rissen durchzogen war, hier und da vertrocknete Pflanzen und von Zeit zu Zeit ein paar Tiere, die in dieser Einöde noch nicht eingegangen waren.
 

Immerhin war er geistesgegenwärtig genug gewesen, um dem Fluss zu folgen, der aus dem Dunan-See Richtung Süden direkt in den Toran-See floss; so mangelte es ihm wenigstens nicht an Trinkwasser oder Proviant. Auch, wenn er Fisch langsam nicht mehr sehen konnte…
 

Müde wischte sich Jowy über das sonnenverbrannte Gesicht und fragte sich, ob es jemals jemand geschafft hatte, durch die Ödlande zu reisen, ohne diesen Landstrich zu verfluchen. Hatte es überhaupt schon einmal jemand geschafft, ihn zu durchqueren? Bei der Hitze, die hier herrschte, bezweifelte er das irgendwie…
 

Er verbrachte die Nacht am Ufer des Flusses und überquerte ihn am nächsten Morgen, sich insgeheim fragend, ob überhaupt jemand diese Grenze von Toran bewachte. Aber dann dachte er daran, wie sehr er die Ödlande hasste – und dass wohl niemand, der noch ganz bei Trost war, den selben Weg wählen würde.
 

Nun… er hatte niemals behauptet, noch ganz bei Trost zu sein. Immerhin plante er, Luca Blight umzubringen. Wenn das nicht völlig verrückt war, dann wusste er auch nicht…
 

Er ging zielstrebig nach Südosten. Jedenfalls hoffte er das stark, da er keinen Kompass eingesteckt hatte und in dem Bergwald, in den er nun geraten war, absolut alles gleich aussah. Jowy hatte keine Ahnung, ob er noch in die richtige Richtung ging – er konnte lediglich hoffen, dass er bald aus diesem Wald herauskam, um sich vernünftig zu orientieren; die Sonne konnte ihm nämlich zurzeit auch nicht viel weiterhelfen, weil es bewölkt war, seit er die Ödlande verlassen hatte.
 

Immerhin war es im Wald angenehm kühl…
 

Es war Mittagzeit und Jowy dachte bereits daran, eine Pause einzulegen, um seine schmerzenden Füße etwas auszuruhen, doch dann hörte er eine Stimme durch den Bergwald schallen:
 

„Junger Herr, bitte wartet! Ihr könntet hier verloren gehen und was soll ich dann Pahn und Cleo erzählen?“ Zur Antwort ertönte ein Lachen, das nach einem Jungen in etwa Jowys Alter klang, und eine zweite Stimme erwiderte:
 

„Ich gehe schon nicht verloren! Beeil dich ein wenig, ja?“ Im nächsten Moment trat ein dunkelhaariger Junge zwischen den Bäumen hervor und einen Moment lang glaubte Jowy, er sähe nicht recht.
 

„R-Riou…?“, entwich es ihm ungläubig und der Junge vor ihm drehte sich verblüfft zu ihm um.
 

„Wie bitte?“, fragte er überrascht und sah den Aristokraten fragend an. Dieser lief rot an und wäre am liebsten im Erdboden versunken, so peinlich war ihm die Situation.
 

Das war nicht Riou… aber er konnte nicht leugnen, dass eine große Ähnlichkeit bestand. Der Fremde hatte braune Augen und dunkles Haar und selbst seine Größe stimmte in etwa mit der von Riou überein, wie der freundliche Ausdruck auf seinem Gesicht, an dem es wohl hauptsächlich gelegen hatte, dass er den Unbekannten mit seinem besten Freund verwechselt hatte.
 

Aber bei genauerem Hinsehen gab es viel mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Die braunen Augen waren viel heller als die von Riou, mehr karamellfarben. Die Haare waren schwarz und nicht dunkelbraun wie die seines besten Freundes. Er trug einen roten Überwurf, den er mit einem schwarzen Gürtel um die Hüfte fixiert hatte, und darunter ein weißes, kurzärmeliges Hemd und eine beige Pluderhose; seine Hände steckte in Handschuhen und er hielt einen Kampfstab, der momentan wohl eher als Wanderstab fungierte. Doch das Auffälligste an ihm war ein grünes Kopftuch, das er zu einer Bandana gebunden trug.
 

Und außerdem wirkte der Junge vor ihm so, als hätte er bereits sehr, sehr viel gesehen… Irgendetwas in diesen Augen erinnerte ihn mehr an Leknaat als an seinen Freund. Fast so, als wäre der Junge viel älter als er aussah.
 

Ein leises Seufzen entfuhr Jowy, dann neigte er leicht den Kopf und sagte:
 

„Tut mir leid, ich habe dich mit jemandem verwechselt.“
 

„Oh“, machte der fremde Junge und grinste dann, „das macht nichts. Ich war nur überrascht, jemanden hier zu treffen.“ Das war Jowy auch, aber bevor er etwas sagen konnte, tauchte ein gehetzt wirkender Mann neben dem Jungen auf und rief:
 

„Junger Herr, Ihr solltet wirklich auf mich warten!“ Dann bemerkte er Jowy und runzelte die Stirn. „Ich hoffe, es ist alles in Ordnung, junger Herr?“ Er sprach den Jungen an, nicht den Aristokraten, der diese Tatsache etwas verwirrend fand.
 

„Aber ja, Gremio“, erwiderte der junge Herr. „Mach dir nicht immer so viele Sorgen. Davon bekommst du Falten!“ Sein Diener – war der Mann einer? – pustete sich ein paar Haarfransen aus der Stirn und nickte wenig überzeugt.
 

Gremio – so hatte ihn der Junge genannt – war von auffällig schlankem Wuchs, hatte langes, blondes Haar, das er in einen lockeren Zopf gefasst trug, und grüne Augen; auf seiner linken Wange prangte eine große Narbe in Form eines schiefen Kreuzes, als habe ihn jemand markieren wollen. Der Blonde trug ein blaues Hemd und eine Hose in einem etwas dunkleren Ton, doch von dieser Kleidung sah man kaum etwas, da sie größtenteils von einem hellgrünen Umhang verdeckt wurden. Genau wie die Axt, die er in der Hand hielt.
 

Plötzlich merkte Jowy, dass seine Rune ziepte und eine eigenartig dunkle Präsenz ihn abzutasten schien. Doch das Gefühl verschwand genau so plötzlich, wie es gekommen war und er dachte nicht weiter darüber nach. Abwesend kratzte er über die Haut unter dem Verband und fragte dann schnell:
 

„Ihr könnt mir nicht zufällig sagen, ob ich auf dem richtigen Weg nach Kalekka bin? Ich… muss jemanden besuchen und habe irgendwie das Gefühl, mich völlig verlaufen zu haben.“ Er hatte nicht nur das Gefühl, es war tatsächlich so.
 

Narr, schien die Rune des Schwarzen Schwertes in seinen Gedanken zu murmeln, doch da sie dabei eigenartig erheitert klang, achtete er nicht weiter darauf. Sie beleidigte ihn ohnehin ständig.
 

Der dunkelhaarige Junge und sein Begleiter wechselten einen Blick, dann betrachteten sie Jowy aufmerksam, als würden sie ihn zum ersten Mal sehen.
 

Schließlich machte der Junge ein mitfühlendes Gesicht und fragte:
 

„Hast du jemanden im Krieg verloren?“ Jowy schluckte.
 

Ja, so konnte man es ausdrücken. Wäre der Krieg nicht gewesen, hätte er seine Mutter nicht verloren. Oder Riou. Nanami. Pilika…
 

„Ja…“, antwortete er daher und seufzte, obwohl er wusste, dass sein Gegenüber eigentlich etwas Anderes gemeint hatte.
 

„Das tut mir leid“, sagte der Junge ehrlich, „ich weiß, wie sich das anfühlt.“ Jowy sah auf in die dunklen Augen. Wusste er das wirklich? Er wirkte nicht wie der Typ Mensch, der solche Sachen nur so dahinsagte.
 

„Schon gut“, winkte Jowy ab. „Das Leben geht weiter.“ Oder zumindest das, was davon übrig war.
 

Der Junge lächelte.
 

„Wenn du nach Kalekka willst, dann bist du etwas zu weit nach Osten gegangen“, erklärte er freundlich. „Es liegt in…“ Er runzelte die Stirn und schien zu überlegen, doch sein Diener kam ihm zu Hilfe:
 

„In der Richtung.“ Gremio wies nach links, tiefer hinein in den Wald. „Wenn du weiter in diese Richtung gehst, kommst du heute Nachmittag noch in Kalekka an.“
 

„Danke“, sagte Jowy, überrascht darüber, dass die beiden ihm tatsächlich weiterhalfen. Machte er einen derart vertrauenswürdigen Eindruck auf Fremde? Der Junge nickte und erwiderte:
 

„Aber es gibt dort wirklich nicht viel zu sehen, also sei nicht allzu enttäuscht. Das Dorf ist fast völlig zerstört.“
 

„Oh, das ist schon in Ordnung“, entgegnete der Aristokrat und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich habe nicht vor, dort sonderlich viel zu tun…“
 

„Dann eine gute Reise“, nickte der dunkelhaarige Junge. „Und… viel Glück, bei was auch immer.“
 

„Danke. Euch auch.“ Sie verabschiedeten sich und der dunkelhaarige Junge und sein Diener verschwanden wieder zwischen den Bäumen. Während sich Jowy umwandte, um in die angegebene Richtung zu gehen, hörte er Gremios leiser werdende Stimme:
 

„Junger Herr, war das wirklich in Ordnung?“
 

„Ich habe in seinen Augen keine Lüge gesehen, Gremio. Er wird schon nicht…“ Was er auch immer er nicht tun würde, verstand er nicht mehr, weil die beiden außer Hörweite verschwanden.
 

Aber er kümmerte sich auch nicht wirklich darum. Jetzt, wo er wusste, dass er kurz vor seinem Ziel war, beeilte er sich noch mehr.
 

Wenn nur seine Rune nicht so geziept hätte…



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Flordelis
2011-06-06T16:44:38+00:00 06.06.2011 18:44
Ein Hoch auf meinen Vater, meine Daten wurden gerettet.
*Konfetti werf*

Chinchirorin
The Game-that-shall-not-be-named! O_O
... Äh, ich meine, nice~ So ne verlässliche Wache wünscht man sich doch~

Schließlich trat Rina durch das Tor, deren Augen für einen kurzen Moment in ihre Richtung zu flackern schienen.
Entweder Jowy ist nun eine Frau oder es stehen mehrere Leute bei Jowy oder ich verstehe mal wieder nichts, aber müsste es nicht seine Richtung sein? :3

Ein Tir und ein Gremio. *____*
*Fangirl-Modus*

Mal wieder ein kurzweiliges, wenn auch nicht sehr ereignisreiches Kapitel. Aber alles mit Gremio muss einfach toll sein. XD
Mehr... hab ich wohl nicht zu sagen. :,D
Ich bin gespannt, wie es weitergeht, aber lass dir ruhig Zeit. *solange Tee trink*


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