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I want to sing

von

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I taught him

I taught him
 

Die nächsten Tage kommt er nicht.

Erst nach vier Tagen taucht er humpelnd und ziemlich verbeult aussehend auf.

Auf meinen fragenden Blick bekomme ich nur ein leichtes Kopfschütteln.

Wir setzen uns.

„Ich habe versucht mit der Heimleitung zu reden, aber die haben mir gar nicht richtig zugehört!“, brummt er unzufrieden und massiert sich den Knöchel.

„Und wer war das schon wieder?“, ich deute auf seine Verletzungen.

Blaue Flecken, Schrammen, Kratzer.

„Ach das, dass ist schon fast vier Tage alt… Mein Fuß tut weh, weil ich vorhin die Treppe runtergefallen bin, sonst ist nichts.“

Er reibt sich den Arm.

„Und vor vier Tagen bist du da auch irgendwo runtergefallen?“

Ich sehe mir die Schramme an seinem Arm genauer an.

„Nö, da haben mich ein paar aus meiner Klasse verprügelt, weil ich die beste Note in Mathe hatte.“

Ich balle die Hände zu Fäusten.

„Warum unternehmen die in deiner Schule denn nichts?“, frage ich aufgebracht.

Stehe auf, tiger vor ihm aufgeregt auf und ab.

„Was ist denn das für eine bescheuerte Schule, wo man andere einfach verprügeln kann?“

Er lehnt sich zurück.

„So ist es nun mal. Selbst wenn einer aus meiner Klasse erwischt werden würde, sein Papi kann der Schule einen vierstelligen Betrag auszahlen und schon ist derjenige frei. Ich kann das leider nicht und in meiner Klasse ist auch sonst keiner aus dem Heim.“, erzählt er ruhig und schaut sich die Wolken an.

„Warum denn nicht? Ich meine, was soll das, warum machen die das?“

„Weil sie eifersüchtig sind. Ich habe eine Schulklasse übersprungen, weil ich einfach unterfordert war und nun ist auch noch der arme Schlucker der Beste! Das vertragen die einfach nicht!“

Ich sehe ihn einige Minuten lang einfach nur an.

Es ist doch zum Mäuse melken mit ihm.

Deprimiert gucke ich mir auch die Wolken an.

„Noch zwei Jahre, dann bin ich da eh weg!“, murmelt er und es klingt trotzig, wie bei einem kleinen Kind.

„Ich will aber keine zwei Jahre warten, ehe ich wieder singen kann!“

Wir seufzen beide.

Schweigen uns eine Weile aus.

„Du hast gesagt, du hättest mit der Heimleitung geredet?“, erinnere ich mich plötzlich wieder.

Er brummt zustimmend.

„Was genau hat sie denn gesagt?“

Er legt den Kopf schief.

„Sie dachte, ich will auf irgend so ein Konzert und hat es mir natürlich verboten.“

Dieses Mal brumme ich zustimmend.

„Dann lass mich mit ihr reden. Dann weiß ich wenigstens auch, wo du wohnst, wenn du wieder vier Tage verschwunden bist.“

Ein paar Sekunden sieht er mich schweigend an, ehe er sich ächzend aufrafft und loshumpelt.

Seine Haare wippen schön mit.

Ich folge ihm ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Durch die Stadt, zu Fuß, ohne Bahn.

Er geht vor, ich ihm hinterher.

An einem älteren Haus macht er Halt.

In großen, rostigen Buchstaben steht über der Tür ‚Saint Claire Waisenhaus’.

Deswegen geht er auf diese Schule.

Die Schule hat für wohltätige Zwecke ein Heim eröffnet und bietet den Waisenkindern an, auf die teure Privatschule zu gehen.

Wir gehen durch die Tür, folgen einem langen Flur bis wir zu unserer Linken eine Tür mit der Aufschrift ‚Büro’ finden.

Namaeshi klopft an.

Wartet.

Erst nach einem ‚Herein!’ schiebt er seinen Kopf durch den Türspalt und fragt, ob man hereinkommen dürfte.

Zuerst höre ich ein harsches ‚Nein!’, aber als der Brünette erklärt, dass da Besuch wäre, der gerne mit ihr reden möchte, schwingt schon die Tür auf.

Allerdings nur für mich.

Namaeshi muss noch im Türrahmen stehen bleiben, während ich einen Sitzplatz angeboten bekomme.

Ich erkläre der Heimleiterin die Situation, dass ich mit Namaeshi eine Band gründen will.

Und dass ich an unseren Erfolg glaube.

Dass ich schon mit meinem Manager geredet habe und dieser bereit ist, Namaeshi einmal anzuhören.

Und dass es natürlich nicht geht, dass der Brünette immer wieder Verletzungen vorweist.

Am Anfang habe ich noch das Gefühl, sie ist hellauf begeistert von mir und meiner Idee.

Gegen Ende weiß ich, dass mein Freund sie nicht ein kleines bisschen interessiert.

Sie würdigt ihn mit keinem Blick.

Er darf nur stumm hinter mir stehen, in der Türschwelle.

Letztendlich bekomme ich nur ihre Zustimmung, dass ihr Heimkind bei meinem Manager vorsingen darf.

Ich bin froh wieder aus dem Büro heraus gekommen zu sein.

„Von der können wir ja nicht viel erwarten…“, seufze ich als wir durch den Park gehen.

„Was erwartest du? Im Heim leben etwa 200 Personen und sie alle haben Namen. Alle Kinder wollen vermittelt werden an Pflegeeltern, nur ich eben nicht.

Schon allein deswegen mag sie mich nicht.“

„Dich mögen wirklich nicht viele Leute…“, seufze ich erneut und massiere mir leicht den steif gewordenen Hals.

Er bleibt stehen.

„Ich geh jetzt da lang!“, sagt er plötzlich und ist schon um die nächste Ecke verschwunden.

Im selben Moment könnte ich mich ohrfeigen.

Statt ihn am nächsten Morgen im Park zu treffen, dachte ich mir, überrasche ich ihn.

Pünktlich um halb 8 Uhr sitze ich im Vorzimmer des Direktors der Saint Claire Schule und melde mich an.

Auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin in die Klasse von Namaeshi zu kommen, werde ich zwar ziemlich blöd angeguckt, aber mir einer kleinen Spende für das Schuldach wird mir auch dieser Wunsch erfüllt.

Als es klingelt, werde ich noch zu meinem künftigen Klassenraum geführt.

Jetzt heißt es Showtime!

Die Tür geht auf und vor mir sehe ich edle Markennamen, viel Schminke, viel Schmuck und teure Haarschnitte und einen Jungen, der in älteren Sachen auf seinem Tisch fast liegt und zu schlafen scheint.

Ich stelle mich der Klasse kurz vor, wie es üblich ist, merke aber bald, dass mich bereits alle kennen.

Namaeshi sieht nicht einmal auf.

Ich bekomme sogar den Platz neben ihm.

Kaum sitze ich, will ich ihn ansprechen, doch meine neuen Mitschüler halten mich leider auf.

Sie bombardieren mich geradezu mit Fragen.

Die ganzen drei ersten Stunden werde ich mit Zetteln bombardiert, während der Braunhaarige auf seinem Tisch ein Nickerchen hält.

Als es Mittagspause ist, rennt er los, ich will ihm nachlaufen, doch die lieben Mitschüler halten mich erneut auf und schleppen mich in die fünf Sterne Kantine der Schule.

Leider hat mir niemand gesagt, wie teuer hier doch alles ist.

Somit muss ich den lieben Mitschülern vorlügen, dass ich keinen Hunger habe oder aber auf Diät bin und verdünnisiere mich so schnell es noch geht.

Auf dem Pausenhof finde ich den Namenlosen.

Gerade stehe ich vor ihm und sehe ihm begierig sabbernd beim Essen eines Baguettes zu, da wirft er mir eine Tüte zu, die ich mehr schlecht als Recht fange.

Er hat mir ein Baguette mitgebracht!

„Für den ersten Schultag!“, antwortet er mir zwischen zwei Bissen.

Bald sitzen wir nebeneinander und essen unser Pausenbrot.

„Morgen komme ich mit zum Bäcker, also renn’ nicht wieder davon!“, ich sehe ihm in die Augen und er nickt nur.

Ob er mir noch böse ist wegen gestern?

In der Klasse habe ich wieder keine Minute lang meine Ruhe.

Dieses Mal schläft Namaeshi nicht, sondern er schreibt brav die Notizen von der Tafel ab, so wie es sich für einen braven Schüler gehört.

Ich hoffe nur, ich kann seine Notizen nachher abschreiben, denn vor lauter Zettelchen von Mitschülern komme ich zu nichts mehr.

Ich kriege mittlerweile sogar Warnungen vor dem armen Wesen, welches neben mir sitzt.

Man merkt schon, dass es in dieser Klasse eine Menge Arschlöcher gibt.

Und sie zählen mich dazu.

So wie sie mich sehen wollen als einer von ihnen.

Reich.

Hochnäsig.

Eingebildet.

Arrogant.

Dabei will ich das gar nicht mehr sein.

Ich kann noch nicht mal mit Namaeshi reden.

Irgendwer stört immer.

Er reißt sich auch nicht besonders darum.

Ich dachte, ich mache ihm eine Freude nach meinem Satz von gestern.

Am Nachmittag steht ein Raumwechsel bevor.

Keiner hat mir etwas gesagt und so stehe ich etwas bedröppelt da, als ich von der Toilette wieder komme und eine wie leer gefegte Klasse vorfinde.

Ich packe meine Sachen zusammen, bin wütend.

„Mit dem Lehrer ist jetzt alles geklärt, kommst du?“, ich erschrecke mich so sehr als ich die Stimme des Brünetten direkt hinter mir höre, dass ich gegen meinen Stuhl stolpere und umfalle.

„Wo kommst du denn so plötzlich her?“, frage ich hochrot und lasse mir aufhelfen.

„Na vom Physikraum! Ich soll dich holen!“

Ich folge ihm einfach.

„Bist du deshalb gleich losgespurtet um dem Lehrer zu sagen, dass ihr nen Neuen habt?“

Wir laufen einmal quer durch die gesamte Schule.

„Na ja, wie du vielleicht mitgekriegt hast, ist der Weg zu Physik echt lang und ich habe mich deshalb so beeilt, damit du in Physik und Bio neben mir sitzt. Selber Lehrer! Nur in Sozialwissenschaften müssen wir das noch regeln!“

Ich bleibe kurz stehen.

Muss dann lächeln.

„Und ich dachte schon du magst mich nicht mehr!“ und schon gehe ich wieder neben ihm her und spiele nervös mit meinen Haaren.

„Sorry, aber hier in der Schule bin ich so. Und die anderen sollen dich ja auch nicht gleich am ersten Tag hassen!“

Ich beschließe an seinem ersten Satz etwas zu ändern.

Aber erst später.

Wir kommen vor dem Physikraum an.

Nach kurzem Anklopfen und Vorstellen, sitze ich auch schon wieder.

Die lieben Mitschüler beäugen mich misstrauisch.

Da ich kein Buch habe, schaue ich in das von Namaeshi.

Es ist alt und schon zigmal benutzt worden aber es geht.

In der zweiten Stunde knallt mir plötzlich einer der Neureichen Schnösel sein Buch auf den Tisch.

„Hier, Yamato-san, du kannst mein Buch geschenkt haben. Dann musst du nicht mehr in dieses flohverseuchtes Buch gucken!“, sagt Mister Diplomatensohn Nummer 1.

„Nein danke, es geht schon so!“, antworte ich und lecke mir über die Oberlippe, um sie zu befeuchten.

„Lieber habe ich Flöhe, als in deinem Schneckenschleim qualvoll zu sterben…“, gebe ich schließlich noch schnippisch von mir und rücke noch dichter an den Brünetten.

Der Brünette zieht die Mundwinkel nur minimal hoch, während der Diplomatensohn guckt wie ein Auto.

Den Rest der Stunde kann ich sogar mal aufpassen.

Ich verstehe sogar einiges.

Der Namenlose erklärt mir auch bereitwillig die eine oder andere Sache.

Physik ist für heute unsere letzte Doppelstunde.

Wir packen zusammen.

„Wer holt dich denn ab, Yamato-sama?“, Mister Diplomatensohn Nummer 2.

„Keiner, ich gehe kurz ins Studio und fahre dann nach Hause.“

Hätte ich das doch bloß nicht gesagt!

„Oh, na wie wäre es denn, wenn ich dich hinfahren ließe und du mir das Studio zeigen würdest! Das wollte ich doch schon immer mal sehen!“

„Wenn du es sehen willst: Die Adresse von dem Studio steht in den Gelben Seiten und nun: Tschüß!“, Gott, wie mich diese Reichen nerven.

Namaeshi steht auf dem Gang und wartet auf mich.

„Du hattest Recht! Es sind Arschlöcher!“, schnaube ich genervt und trotte weiter.

Ich höre ihn leise lachen.

„Muss ich mir eigentlich auch erst die Gelben Seiten besorgen um dein Studio zu sehen oder reicht auch Google Earth?“, grinst er neben mir und schultert seine Tasche.

„Du kommst morgen einfach mit. Heute muss ich mit Akihito alle Details noch mal absprechen und morgen singst du einfach vor!“

Er nickt.

„Ich muss jetzt hier rechts!“, sagt er und ich rufe nur verdutzt zurück „Zum Heim geht’s aber hier links!“, doch er dreht sich nicht noch mal um für mich.

Er deutet auf seine Schuhe, deren Sohle sich jedes Mal deutlich ablöst, sobald er den Fuß hebt.

Er geht sich neue Schuhe besorgen.

In der Schule, der nächste Tag.

Er hat versucht sich besser anzuziehen, dass muss ich ihm lassen.

Neuere Schuhe hat er auch gefunden, allerdings ist die Farbe schon ziemlich rausgewaschen.

Auf meine Frage hin, woher er die Sachen hat, antwortet er nur leise, dass er sie aus dem Fundbüro hat.

Eine neue Kappe hat er auch gefunden, sie sieht sogar noch neu aus.

Die Mitschüler nerven mich immer noch ziemlich.

Doch in der Pause kann ich ihnen entkommen.

Namaeshi und ich holen uns vom Bäcker Brötchen und Käsekuchen.

Wie ich mitbekommen habe, hilft er samstags in der Bäckerei aus und darf sich dafür in der Woche dann immer etwas holen ohne zu zahlen.

Als wir am Nachmittag zu Sozialwissenschaften gehen, war ein Mitschüler schneller.

Prompt sitze ich neben Miss Immobilentochter und Miss Auktionärtochter.

Die schlimmsten zwei Stunden meines Lebens.

Nach dem Unterricht gehe ich mit meinem Freund gemeinsam zu meinem Studio.

Akihito empfängt uns unten, beäugt den Brünetten erstmal kritisch.

„Gehen wir doch in mein Büro, ja?“

Wir bekommen etwas zu trinken und Kekse.

Ich notiere mir in Gedanken, dass er gerne Kekse isst, da er sie so langsam und genüsslich verzehrt, als wäre es die letzten auf Erden.

„Du willst also Musik machen, Namaeshi, richtig?“, fragt mein Manager freundlich.

„Ich singe ganz gerne, ja…“, beantwortet der Brünette die Frage und futtert noch einen Keks.

„Okay, dann würde ich mal sagen, wir gehen kurz ins Tonstudio und hören mal was du zu bieten hast!“

Natürlich habe ich meinen Manager von den Umständen erzählt.

Im Studio angekommen sitzen Akihito und ich hinter der Glasscheibe, während Namaeshi in den Aufnahmeraum gebracht wird.

„Setz die Kopfhörer auf und stell dich frontal zu dem Mikrofon, dann spielen wir dir Musik ein und du singst einfach los!“

Noch etwas irritiert stellt sich der Angesprochene an das Ding, das weitentfernt an ein Mikrofon erinnert.

Die Musik spielt ein.

‚Crazy’ von Gnarf Barkley.

Ein schwieriges Lied, das er aber bestimmt locker schaffen wird.

„I remember when, I remember when I lost my mind!“, fängt er an und schließt die Augen.

Ich muss grinsen.

Eigentlich könnten wir jetzt schon aufhören, da er längst überzeugt hat, doch Akihito hat noch seine Tricks auf Lager.

Kaum ist das 1. Lied vorbei, gibt es eine Überleitung zu ‚Billionair’.

„I wanna be a billionair so f***ing bad! Buy all of the things I never had! Uh, I wanna be on the cover of Forbes magazine, smiling next to Oprah and the Queen!”, singt er fehlerfrei und so herrlich unbeschwert, dass man ganz automatisch anfängt mit dem Fuß im Takt zu wippen.

Ich bin zufrieden.

Mein Manager drückt schon panisch auf den Aufnahmeknopf, da das Gerät eine leichte Macke hat und die Aufnahme immer wieder unterbricht.

Als das Lied vorbei ist, öffnet der Brünette die Augen, zieht sich die Kopfhörer vom Kopf und sieht uns mit schief gelegtem Kopf an.

Ich zeige ihm den Daumen hoch und Akihito kämpft mit der Technik, die nicht so will wie er.

Wir fahren Mittagessen.

Kein superschickes Restaurant, ein einfacher Italiener um die Ecke tut es auch.

Namaeshi wird eingeladen.

Er hat ja auch kein Geld.

Es gibt Pizza und anschließend Tiramisu.

Der Brünette soll über sich erzählen.

Er erzählt, wie er ins Waisenhaus kam, wie sie ihn nannten, wie er auf die Schule kam und was er dort so macht, wie ich mich in sein Leben gedrängelt habe. Nur eines wundert Akihito: Wieso Namaeshis Haare ohne Gel so sehr abstehen!

Doch die Frage wird nur mit einem „Die waren schon immer so!“, beantwortet.

„Also gesanglich Tip-Top, natürlich müsste ich von euch beiden noch mal ein Duett hören und ich müsste mir mal anschauen, ob du tanzen kannst.“, lächelt mein Manager und bezahlt.

Also zurück zum Studio.

Dort sehen wir beide am Mikrofon und hören die Anfangsmelodie von dem Lieblingslied meines Managers: ‚Crazy little thing called love’ von Queens.

„This thing, called love, I just can’ t handle it!“, fange ich an und genieße es mal wieder singen zu können.

„This thing, called love, I must get round to it! I ain’ t ready! Crazy little thing called love!”, ende ich mit meiner ersten Strophe.

Jetzt ist er dran.

„This thing, called love, it cries in a cradle all night! It swings, it jives, it shakes all over like a jelly fish! I kinda like it! Crazy little thing called love!”, singt er noch leidenschaftlicher und tiefer als ich, doch es passt perfekt.

Die Dritte Strophe singen wir beide gemeinsam.

Er passt sich mir an und wir klingen einfach nur tierisch genial.

Akihito ist auch ziemlich zufrieden.

Gleich am nächsten Tag soll der Namenlose vortanzen, da es heute ziemlich spät geworden ist.

„Hat es dir heute Spaß gemacht?“, frage ich ihn auf unseren gemeinsamen Heimweg.

Er futtert schon wieder einen Keks.

„Doch, das war schon lustig. Besonders als Akihito getanzt und vergessen hat, dass wir ihn durch die Glasscheibe sehen können!!“, wir müssen beide lachen.

„In der Schule war es auch mal wieder seit langem lustig!“, fügt er leise hinzu.

Er zieht sich sein Kappy auf, nickt kurz mit dem Kopf in meine Richtung.

„Wir sehen und dann morgen und danke!“

Er geht.

Ich habe mich an seine Abgänge gewöhnt und gehe ebenfalls nach Hause.

Am nächsten Morgen haben wir gleich Mathe.

Ich hasse es.

Mies gelaunt betrete ich den Klassenraum, wo Mister Firmenkonzernsohn Nummer 1 gerade an Namaeshis Haaren zieht, als wolle er dessen Kopf gegen den Tisch schlagen wollen.

Kaum sieht mich das reiche Muttersöhnchen, lässt er den Brünetten los.

„Was ist denn hier los?“, frage ich meinen Freund und kriege gleich den nächsten Schrecken.

Er hat eine Platzwunde über dem linken Auge und es klebt ein zu kleines Pflaster über der Wunde.

Seine Lippe ist auch schon wieder aufgeplatzt.

„Wer war das?“, frage ich bedrohlich leise.

Wie sieht das denn aus, wenn er so zum Studio geht?

„Reg dich ab, das war keiner aus unserer Klasse und es verheilt doch auch schon!“, winkt er ab und holt sich seinen Block aus der Tasche.

„Wer war es dann?“, energisch reiße ich die Klebestreifen eines neuen, größeren Pflasters ab und klebe es an die Stelle von dem viel zu kleinen.

„Au! Das war nur einer aus meinem Heim, wir haben uns gestritten und dann geprügelt, keine große Sache!“

Grummelnd gebe ich mich mit dieser Antwort zufrieden, da auch der Unterricht gerade anfängt.

Als wir in der Pause zum Bäcker gehen, bin ich immer noch sauer!

„Warum prügelst du dich auch? Du weißt wie wichtig der Tag heute ist!“, schnauze ich ihn an.

„Weil mir der Kerl auf den Geist ging.“, ist die schlichte Antwort.

„Weshalb habt ihr euch wirklich geprügelt?“

„Er wollte wissen, wo ich so lange war und als er es wusste, wollte er meine Kette haben!“

Irritiert versuche ich etwas Derartiges an Namaeshis Hals zu finden, kann aber keine Kette erkennen.

Augen verdrehend holt er sich die kleine silberne Kette unter dem Shirt hervor.

„Das sieht eher aus wie ein Armband mit noch einer Kette!“, murmele ich und drehe sie herum.

„Das sind die Armbändchen, die Babys im Krankenhaus bekommen, wo dann ihr Name eingraviert wird. Meines war ja noch leer, aber ich habe es trotzdem behalten!“, erklärt er leise und steckt die Kette schnell wieder weg.

„Wahnsinn, was du für ein dürres Handgelenk hattest!“, necke ich ihn.

„Tja, damals war ich eben noch ein Keks mit abstehenden Haaren!“

Der restliche Tag verläuft ereignislos.

Am Nachmittag laufen wir durch den Regen zum Studio.

Er hat mir seine Kappe geliehen, damit meine Haare nicht so nass werden.

Akihito erwartet uns.

Kaum sieht er Namaeshi, muss sich der Arme eine Standpauke anhören, dass man sich als zukünftiger Star doch nicht einfach prügeln darf.

Der Namenlose nickt einfach nur.

„Gut, dann wollen wir mal ins Tanzstudio gehen, Ihr braucht aber vorher noch was Trockenes zum Anziehen!“

Das Tanzstudio ist dieser viel gesehene Raum mit den Spiegeln an der Wand.

„Welche Größe hast du?“, fragt ein Mitarbeiter und erntet von Namaeshi nur ein Schulterzucken.

„Vielleicht so was wie Größe M?“, antwortet er unsicher und sieht an seinen nassen Sachen herunter.

„Okay, dann zieh das schon mal aus, vielleicht finden wir ja was Schickeres für dich zum Anziehen!“

Namaeshi nickt und stülpt sich das Shirt über den Kopf, allerdings ist der Kragen etwas zu eng, wodurch er sich das Shirt eher vom Kopf reißt.

Dadurch, dass der Mitarbeiter anerkennend pfeift, werden auch Akihito und ich auf unseren Neuling aufmerksam.

Braun gebrannte Haut.

Die silberne Kette, die ihm fast bis zum Bauchnabel herunter hängt.

Und dann ist da dieser Ansatz eines Waschbrettbauches.

Warum hat mir keiner gesagt, dass er so gut durchtrainiert ist?

„Namaeshi, mein Guter, eben war ich ja noch ein wenig verärgert, aber das lässt mich doch schon wieder hoffen!“, lacht mein Manager und klopft dem Brünetten auf die Schulter.

„Was soll das denn heißen?“, fragt er irritiert und wringt sein altes Shirt aus.

„Du bist ziemlich gut durchtrainiert, das ist immer ein gutes Zeichen! Was machst du für Sport?“

Der Namenlose legt den Kopf schief.

„Fußball…“

Es erfolgt ein leichtes umstylen.

Der Brünette bekommt ein Shirt und Hemd, dass ihm endlich einmal passt und die Jeanshose zeigt nun auch deutlich, dass er einen ansehnlichen Po und wahre Fußballerwaden hat.

Er sieht jetzt schon ein bisschen mehr nach einem Star aus.

Der Choreograf zeigt ihm ein paar Tanzschritte, die er nachmachen soll.

Sie sehen okay aus, aber von Hocker reißen sie keinen.

„Ich habe eine andere Idee, Akihito!“, unterbreche ich irgendwann.

Ich werfe dem Brünetten einen Ball zu und stelle mich neben ihm.

„Wir machen es so, wie im Park!“, erkläre ich ihm.

„Selbes Lied?“, fragt er nur und bindet sich den Turnschuh neu zu.

„Dieses Mal zu ‚Dj got us falling in Love’, alles klar?“

Er nickt und schaut mir ein, zwei Takte zu, ehe er meine Tanzschritte nachmacht und beim 3. Mal versucht seinen Ball ins Ganze mit einzubringen.

Es sieht lustig aus, wie er den Ball auf und ab hüpfen lässt, sodass dieser ab und an ein paar Tanzschritte ohne Ball zulässt.

Mit ein bisschen mehr Übung wäre es der Perfekte Tanz, nur eben mit einem Fußball.

Da er von dem Lied nur den Refrain kennt, singe ich eben die Strophen und wir beide zusammen den Refrain.

Nach drei Stunden haben wir endlich alle überzeugt.

Wir werden gelobt und bekommen zu trinken.

„Wenn ihr was zu Essen wollt, wir haben auch einen Sandwichautomaten!“

„Habt ihr Kekse?“, kommt es prompt von unserem neuen Talent und alle müssen lachen.

Sehr zu unser allen Unmut zieht sich der Brünette auch wieder um.

Die Sachen wären ja eh nur ausgeliehen gewesen, sagt er.

Im Büro besprechen wir noch einmal alles.

„Also Gesang: mehr als Überzeugend! Tanz: etwas Verbesserungswürdig, aber hinzukriegen und an deinem Outfit müssen wir noch arbeiten. Genauso wie an deinem Namen!“

„Meinem Namen?“, fragt er mit vollem Mund und kratzt sich am Kopf.

„Ja, vor der Presse ist Namaeshi nicht so geeignet. Und ich weiß nicht, ob da nicht einige gemeine Kritiker wären, die dich an deiner Frisur versuchen würden zu zerreißen.“, überlegt unser Manager laut.

„Wie wäre es denn damit?“, frage ich siegessicher und setze meinem Brünetten sein Baseballcap auf.

„Perfekt!“, brüllt Akihito und schreibt sich gleich was auf.

„Und ein Name…. Namaeshi geht als Nachname, das klingt wie ein Künstlername, aber ein guter Vorname?“, überlegt unser Chef laut.

„Hans, Peter, Shinji, Klaus, Kai, Steffan, Yuki, Ken, Ludwig, Konstantin, Keisuke, August, Martin, Steffan, Toru, Momiji, Leonard, Michael, Ichigo, Daichi, ehm…“, listet Namaeshi einfach auf.

„Daichi? Ichigo? Da gefällt mir spontan nur das Ichi… Wie wäre es…“, schlägt Akihito vor und grinst.

Ich lasse mir den Namen durch den Kopf gehen.

Ichi klingt zwar wie eine Zeichentrickfigur, aber besser ist es allemal als Namaeshi.

„Ich bin dafür!“, werfe ich also ein.

„Ihr wollt aus einer Null eine Eins machen, wie bei den Computern? Damit wäret ihr die Ersten, die das machen wollen! Einverstanden!“

Irgendwie erinnert mich seine Aussage an die, als er meinte, ich wolle ihn wie einen Kaugummi im Supermarkt einkaufen.

Aber ich sage nichts weiter dazu.

„Also dann bist du ab jetzt: Ichi Namaeshi! Auf gute Zusammenarbeit!“, lacht Akihito und stößt mit seinen an Ichis Keks.

„Dann nenne ich dich ab jetzt also Ichi…“, sinniere ich auf dem Heimweg laut.

Er muss lachen.

„Du hast mich doch noch nie beim Namen genannt!“, lacht er und biegt ab.

Verwundert bleibe ich stehen und denke nach.

Er hat Recht!

Ich habe ihn noch nie mit Namaeshi direkt angesprochen.

War vielleicht auch ganz gut so.

Am nächsten Morgen stelle ich missmutig fest, dass ich meine Hefte vergessen habe.

„Morgen Ichi!“, murmele ich gähnend und setze mich.

„Morgen! Wir haben eine Freistunde!“, informiert er mich und grinst.

„Super, dann darf ich jetzt nach Hause rennen, um meine Schulhefte zu holen. Dann eile ich zurück und schaffe es gerade noch so zur 2. Stunde…“, genervt will ich mich auf dem Weg machen.

„Deine Hefte hast du doch gestern wegen des Regens in dein Pult gepackt. Schon vergessen?“

Ich sehe nach.

Tatsächlich liegen hier meine Hefte.

Erstaunlich.

„Setz dich hin und penn erstmal ne Runde bevor der Rest dich zulabert!“, rät mir der Brünette und streckt sich.

„Und was machst du?“, frage ich, während ich ein Gähnen unterdrücke.

„Mich auch erholen!“, seufzt er und scheint schon eingeschlafen zu sein.

„Wovon musst du dich denn erholen?“, murmele ich leise in meinen nicht vorhandenen Bart.

„Ich hatte gestern noch Putz- und Küchendienst…“, murmelt er genauso zurück.

„Für 200 Kinder? Respekt!“

„Bloß kein Mitleid, ehrlich!“

Wir lachen beide leise.

Irgendwie stehen nach dem Aufwachen vier dieser Reichen vor mir und beschließen mich voll zu quatschen.

Ich bin müde und genervt, weise sie ziemlich ruppig ab.

Ichi neben mir gähnt verstohlen.

„Warum können die mich nicht in Ruhe lassen?“, stöhne ich und lasse meinen Kopf erneut auf den Tisch fallen.

„Weil du ein Star warst, viel Geld hattest und weil du gut aussiehst, würde ich mal tippen!“, ist der Kommentar von links neben mir.

„Du sähest auch gut aus, wen du mal diese Schlabberklamotten loswerden würdest!“, ist mein Kommentar dazu.

„Die sind aus dem Heim oder aus der Fundgrube, besser als nichts!“, brummt er zurück.

„Wir müssen dir noch neue Sachen kaufen, erinnere mich dran!“, gähne ich.

„Akihito will heute ins Heim kommen und fragen, ob ich darf. Dann wird alles ausgehandelt. Ich glaube aber noch nicht, dass die mich wirklich singen lassen!“

„Du musst, sonst bin ich traurig!“, protestiere ich und ernte ein schiefes Lächeln.

„Wir werden ja sehen…“
 

Den restlichen Tag verbringe ich mehr vor mich hindösend als wach.

Wäre Namaeshi nicht da gewesen, wäre ich völlig eingeschlafen und hätte nicht mal Notizen gehabt.

Er hat mich sogar die Matheaufgaben abschreiben lassen.

In der Pause gehen wir zum Bäcker, wie immer.

Als wir zurückkommen, erwartet mich schon Mister Firmenbosssohn Nummer 2.

„Hey, ich habe gehört, du planst ein neues Album? Wann kommt es denn heraus?“

Schnell bildet sich um mich eine kleine Traube, aus welcher Namaeshi mal wieder ausgestoßen wird.

Anstatt auf mich zu warten, geht er weiter, hinein in die Schule.

Ich werde in der Zwischenzeit mit Fragen gelöchert.

Ich versuche bloß alles schnell hinter mich zu bringen, werde erst durch das Klingeln erlöst.

Schnell sprinte ich in unser Klassenzimmer.

Er sitzt noch nicht an seinem Platz.

Die Stunde fängt an und er ist immer noch nicht da.

Ich mache mir Sorgen.

Erst die nächste Stunde ist er wieder da.

Auf meinem fragenden Blick bekomme ich keine Antwort.

In der nächsten Pause frage ich ihn.

„Wo warst du?“, ich zerre ihn am Arm hinter mir her bis zum Dach unserer Schule.

„Ich war im Lehrerzimmer!!“, gesteht er schließlich und tut so, als wäre alles glasklar.

„Und was hast du da gemacht? Hättest du nicht wenigstens mal Bescheid sagen können?“, ich stemme meine Arme in die Hüften und sehe ihn wütend an.

Er lehnt sich an die Wand.

„Der Lehrer hat mich auf dem Flur getroffen und wollte mit mir reden!“, beginnt er.

„Ging es etwa darum, dass du immer verprügelt wirst?“

Verwundert sieht er mich an, ehe sein Blick spottend wird.

„An dieser exklusiven Schule wird doch niemand verprügelt! Nein, es ging eher darum, dass ich keine Unruhe stiften soll, schließlich sollte ich der Schule dankbar sein, dass ein Heimkind hier unterrichtet werden darf.“

Ich fasse mir an den Kopf.

Das kann doch wohl nicht wahr sein!

Ich setze mich neben ihn.

„Das ist doch alles total bescheuert!“, fluche ich und wünsche mir eine Zigarette.

„Da sprichst du ein wahres Wort!“, stimmt er mir zu und schaut hoch in den Himmel.

„Ich will gar nicht wissen, was passieren wird, wenn du ein Star geworden bist!“

Ich höre ihn nur neben mir brummen.

„Ich habe Akihito gesagt, dass er niemanden informieren soll, wer ich bin. Nicht die Schule oder sonst wem. Dass ich aus dem Heim bin soll auch weiterhin geheim bleiben!“

Ich springe auf.

„Aber wieso denn das?“

Er könnte es so viel einfacher haben.

Er könnte geachtet und bewundert werden.

„Weil ich nicht will, dass sich nachher einer mit fremden Federn schmückt, deshalb. Weder die Schule, die ‚mein Talent ja von Anfang an gefördert hat’, noch das Heim, ‚dass schon immer wusste, dass ich für Größeres geboren wurde’!“

Es riecht nach teurem, ekelhaftem Parfüm.

Der Wind kommt auf.

Fegt den üblen Geruch einfach weg.

„Ich verstehe das ja, aber wie soll das laufen? Wenn wir zur Schule gehen wird doch jeder wissen, dass ich in einer Band singe! Du kannst dich doch nicht verstecken!“

Er sieht mich an.

„Ich trage einfach immer mein Kappy bei Auftritten, selbst wenn einer mein Gesicht erkennt, wird doch niemand glauben, dass der Namenlose mit dir in einer Band singt!“

Ich stehe auf.

Bin zum ersten Mal enttäuscht von ihm.

Dass er der Welt nicht sein ganzes Ich zeigen will.

Dass er alles wie immer alleine bewältigen will.

Was wird sich schon ändern, wenn er ewig vorgibt der alte Namaeshi zu sein?

Man wird ihn weiterhin verprügeln und ins Lehrerzimmer rufen.

Im Heim bekommt er die Drecksarbeit zugewiesen.

„Mach doch, was du willst…“, gebe ich frustriert von mir und gehe wieder in unseren Klassenraum.

Ich kann ihn ja verstehen, dass er nicht will, dass jemand anderes die Lorbeeren kassiert.

Ich kann ihm da keine Vorwürfe machen.

Schließlich ist es sein Leben.

Die folgenden Stunden reden wir nicht mehr miteinander.

Wir folgen dem Unterricht.

Ich versuche den Gesprächen der Mitschüler aus dem Weg zu gehen oder sie zumindest so kurz wie möglich zu gestalten.

Als wir aus haben, folge ich ihm einfach.

Kurz vor dem Heim steigt auch schon Akihito aus seinem Wagen und winkt uns zu sich.

„Alles klar ihr Zwei?!“, fragt er vergnügt.

Wir nicken.

Schnell ist die Stimmung kühl.

Wir gehen ins Heim, laufen den Korridor hinab, und stehen vor der Tür mit der Aufschrift ‚Büro’.

Namaeshi klopft an, lässt erst mich und dann unseren Manager eintreten.

Die Heimleiterin begrüßt uns herzlich, sagt aber im selben Satz streng zu Namaeshi „Du gehst auf dein Zimmer und bleibst dort!“.

Er gehorcht und ist bald darauf verschwunden.

Mein Manager erklärt der Heimleiterin unser Vorhaben.

Es dauert etwa 15 min, da seufzt sie und setzt ihre Brille ab.

„Ich verstehe ihre Argumente, aber meine Erlaubnis bekommen Sie nicht. Der Junge stellt soviel Blödsinn an und benimmt sich so oft rücksichtslos, dass ich ihn jetzt nicht dafür belohnen werde!“

Allen Überredungskünsten trotzt sie.

„Solange Namaeshi in meinem Haus wohnt, wird kein Sänger aus ihm werden!“, sagt sie noch mal in aller Deutlichkeit.

Plötzlich hören wir ein Poltern und Krachen, einen lauten Fluch und einen Streit.

Wir drei folgen dem Lärm, stoßen fast mit meinem Braunhaarigen zusammen, der rot vor Zorn mit einem Koffer die Treppe hinunter eilen will.

Sein Schulhemd ist am Kragen zerknittert und ein paar Knöpfe wurden ihm ausgerissen.

Zudem hat er ein paar blutige Kratzer unterhalb vom Hals.

„Wo wollen wir denn hin, junger Mann?“, fragt die Heimleiterin streng.

„Ich gehe weg von hier! Mir reicht es endgültig!“, fluchend verlässt er das Heim, knallt die Türe zu, sodass ein Kreuz von der Wand fällt.

Einen Moment noch fassungslos sehen Akihito und ich uns an.

Die Heimleiterin betritt währenddessen Ichis ehemaliges Zimmer: Ein karg eingerichtetes, nun chaotisches, kleines Zimmer

„Wollen sie ihm gar nicht hinterher?“, fragt mein Manager.

Ein Junge mit geschwollenem Handgelenk jammert neben der Frau, dass der brutale Namaeshi ihn grundlos verprügelt habe.

„Der kommt schon wieder, wenn er merkt, dass er nirgendwohin kann!“

Die Kälte in ihrer Stimme versetzt mir einen Stich im Herzen.

Ich weiß ganz genau, dass der Brünette niemals wieder zurück kommen wird.

Niemals.

Und es ist dieser Frau egal.

Ich drehe mich um und verlasse schleunigst das Heim.

Habe plötzlich das Gefühl keine Luft mehr zu kriegen.

Auf der Straße sehe ich mich nach meinem Freund um, aber von ihm ist nichts zu sehen.

Akihito und ich suchen ihn stundenlang, auch als es dunkel wird.

„Wir müssen ihn finden, Akihito!“, keuche ich und bin außer Atem.

„Wo könnte er denn noch sein, verdammt!“

Ich denke nach.

„Vielleicht ist er im Park neben dem Studio?“

Wir fahren los.

Die Fahrt kommt mir länger vor, als sie ist.

Ich versuche mir zusammenzureimen, was in seinem Zimmer passiert ist.

Warum hatte er diese Kratzer und war so wütend?

Wann war er überhaupt schon einmal so wütend?

Was ist passiert?

Im Park angekommen laufe ich vor.

Wie in einem furchtbar kitschigen Film sitzt er da auf der Bank und schaut sich bekümmert auf die Hand.

Wir rennen zu ihm.

„Mensch Ichi! Wir suchen dich schon überall!“, rufe ich und muss erstmal wieder zu Atem kommen.

„Hi…“, grüßt er tonlos zurück und setzt sich gerade hin.

„Was ist denn passiert?“, fragt unser Manager nach und setzt sich links neben ihn.

„Was ist denn das?“, fragt er weiter und fischt aus Ichis Hand die kleine Kette ohne Namen-

Sie ist zerrissen.

Und die längere Kette drum herum ist auch zerstört.

„Toru und ich haben wieder gestritten und er hat sie kaputt gemacht!“, flüstert der Brünette leise und nimmt seinen wertvollsten Besitz wieder an sich.

„Kennst du einen, der das repariert?“, fragt er mich und hält mir die Kette hilflos hin.

Ich lächle.

Setze mich rechts neben ihn.

„Das kriegen wir schon wieder hin…“

Akihito räuspert sich.

„Es ist spät. Wir sollten jetzt zurück und-“ „Ich gehe nicht zurück!“, poltert der Namenlose und ist von einer Sekunde auf die nächste wieder rot vor Zorn im Gesicht.

„Ich hab gesagt, die sehen mich nie wieder und dabei bleibt es auch! Und wenn ich unter der Brücke schlafe, es ist mir egal!“

Ich lege meine Hand auf seine Schulter und versuche ihn zu beruhigen.

Unser Manager seufzt einfach nur kellertief.

„Du kommst einfach erstmal zu mir und dann sehen wir weiter…“, ich nehme seinen Koffer.

Er sieht mich mit schief gelegtem Kopf an-

„Geht das denn so einfach?“

Auch unser Manager steht nun auf und wischt sich den Dreck von seiner Hose.

„Hier bleiben kannst du nicht und bei Yamato sollte genügend Platz sein!“

Also gehen wir zum Wagen.

Steigen ein und fahren los.

Namaeshi starrt nachdenklich auf seine Kette, die ganze Zeit, die ganze Autofahrt lang.

„Wir bringen das schon wieder in Ordnung! Morgen bringen wir sie zu jemand, der sie dir reparieren kann. Da können wir auch gleich eine neue Kette für dich kaufen, die alte war viel zu lang, die ging dir ja bis zum Bauchnabel!“

„Mhm, okay… Ich hoffe, die Kette kann repariert werden!“

Bei mir angekommen, lässt Akihito uns raus.

In meiner Wohnung duscht Ichi erstmal, während ich das Essen fertig mache.

Es gibt Pizza.

Seinen Koffer habe ich neben die Couch gestellt.

Ich habe nur eine zwei Zimmer Wohnung, also muss er auf der Couch schlafen.

Als er vom Duschen wiederkommt, sieht er mal wieder geknickt aus.

Diese Kette bedeutete ihm wirklich viel.

„Ich hoffe du magst Pizza Hawaii!“

Er nickt nur, fängt an zu essen.

Seufzend lasse ich ihn in Ruhe.

Wir essen gemeinsam, wünschen uns eine Gute Nacht und legen uns dann Schlafen.

Der Tag lief heute nicht so gut.
 

Am nächsten Morgen weckt er mich.

Fragt, ob ich Nadel und Faden habe.

Er müsse seine Hemdknöpfe wieder annähen.

Tatsächlich sitzt er nachher da und fängt an die Knöpfe ans Hemd zu nähen.

In seinem Koffer sind keine Kleider.

Bücher, Hefte, alte Poster und Krimskrams, den er gefunden hat.

Kleider besitzt er keine.

Die, die er hatte, gehörten dem Heim.

Sie lagen in einem großen Raum, wo sich jeder seine Wäsche hole konnte und wieder abgeben musste.

Am liebsten hätte ich ihm Sachen von mir gegeben, aber da er gute 10 cm größer ist als ich, war es mein Wunschdenken.

So ging er mit dem gleichen Hemd wie am Vortag zur Schule.
 

In der Schule läuft es auch nicht besonders.

Die anderen haben natürlich bemerkt, dass er die gleichen Sachen wie am Vortag an hat und ziehen ihn damit auf.

Nicht mal seine Eins in Physik konnte ihn aufmuntern.

Wir haben kaum ein Wort miteinander gewechselt.

Nach der Schule gehen wir zu einem Juwelier.

Der Mann sah sich die zerrissene Kette genau an.

Er könne das Armband reparieren und eine neue Kette an das Armband hängen, so sagte er.

Als es um die Frage des Bezahlens geht, verspannt sich Namaeshi.

Erst bietet er an, die Kette abzuarbeiten.

Der Juwelier will aber nicht.

„Ich bezahle!“, werfe ich irgendwann leise ein und halte den Mann meine Kreditkarte hin.

Er verschwindet mit Kette und Karte ins Hinterzimmer.

„Bevor du meckerst, Ichi: Das Geld kannst du mir wiedergeben, wenn wir unseren ersten Lohnscheck erhalten haben, also hör auf dir Sorgen zu machen!“

Sprachlos sieht er mich an.

Er wird sogar ein bisschen rot.

„Danke…“, nuschelt er mir zu und sieht sich besonders interessiert den Schmuck im Laden an.

„Wir müssen dir ja eh noch ein paar Dinge besorgen! Klamotten zum Beispiel!“, erwähne ich am Rande.

„Ich kann auch zur Fundgrube gehen und mir da was holen!“, ist seine Antwort, die mir definitiv nicht gefällt.

„Nix da! Vorbei die Zeit der Schlabberklamotten! Akihito hat mir den Auftrag gegeben, dass ich dir was Cooles besorge!“, lüge ich ohne rot zu werden.

„Ich kann das doch gar nicht bezahlen und ob das auch jetzt noch was mit der Band wird, weiß ich doch auch nicht!“

„Wieso sollte es nicht gehen? Du bist aus dem Heim raus und nun dein eigener Herr!“

„Ich hab ja nicht mal einen Schlafplatz!“, murmelt er ärgerlich, da wir hier im Laden doch keinen Streit beginnen wollen.

„Dann ziehen wir eben gemeinsam in eine WG! Ist sowieso besser für die Band, da kann man sich besser absprechen und die Termine festlegen!“

Mit großen Augen sieht er mich an.

„Und wie denkst du, soll ich die Miete bezahlen? Ich verdiene doch noch nichts!“

Grinsend klopfe ich ihm auf den Rücken.

„Gib mir für den Anfang Nachhilfe in Mathe! Da komme ich nämlich nicht mehr mit!“, ehe er etwas erwidern kann, ist der Juwelier wieder da und will die Kette, die wesentlich kürzer und schöner geworden ist, mal anprobieren.

Endlich sitzt die Kette am Hals und nicht am Bauchnabel.

Und die kleine, silberne Kette mit dem ungravierten Plättchen wird auch schön betont, als wäre sie besonders wertvoll.

„Ist es so in Ordnung?“, frage ich den Brünetten, der sich gerade im Spiegel betrachtet.

„Die sieht toll aus!“, informiert er uns und zaubert den Anwesenden ein Lächeln auf die Lippen.

Ich bezahle, während er noch immer seine Kette bestaunt.

Draußen vorm Laden strahlt er richtig.

„Danke, Yama!“, quietscht er vergnügt und läuft etwas voran.

„Ach, jetzt habe ich richtig Lust zu singen!“, redet er mit sich selbst und wirft dabei die Schultasche über den Rücken.

Wir gehen in den Park und genießen das Wetter.

„Wenn du unbedingt singen willst, wie wäre es, wenn wir ins Studio gehen würden?!“

Euphorisch hüpft er hoch, nimmt meine Hand und läuft zum Studio!

„So gefällt mir das!“, lache ich nur.

Zehn Minuten später sitzen wir im Tonstudio mit Kopfhörern auf den Ohren.

„One, two, three, four, five,

Everybody in this car, so come on let’s ride

to the liquer- store around the corner.

The boys say they want some gin and juice,

But I really don’t wanna!”, singt er los und wippt munter mit dem Fuß im Takt.

„Beerbust like I had last week,

I must stay deep,

Because talk is cheap!

I like Angela, Pamela, Sandra and Rita and as I continue

You know, they are getting sweeter!”, singe ich weiter und lasse mich ein bisschen anstecken von seinem Wippen.

„So what can I do I really beg and you my Lord,

To me flirting it’s just like a sport!

Anything fly, It’s all good let me dump it!

Please set in the trumpet!”, er kann kaum ruhig auf seinem Stuhl sitzen.

Und das wegen einer Kette!

„A little bit of Monica in my life!

A little bit of Erika by my side!

A little bit of Rita is all I need!

A little bit of Tina is what I see!

A little bit of Sandra in the sun!

A little bit of Mary all night long!

A little bit of Jessica, here I am!

A little bit of you makes me your man!”, singen wir gemeinsam.

Als wir fertig mit dem Üben sind, winkt uns Akihito gerade zu sich.

„Na ihr zwei? Hattet ihr Sehnsucht nach mir?“, fragt er grinsend und bringt uns etwas zu trinken.

„Ja, furchtbare!“, erwidere ich sarkastisch.

Ichi lacht.

„Ihr zwei scheint gute Laune zu haben!“

„Meine Kette wurde repariert, schau mal!“, manchmal klingt der Namenlose wie ein kleines Kind.

Wir plaudern eine Weile.

Ich erkläre Akihito, dass Ichi erstmal bei mir bleiben wird und dass wir uns um seine Klamotten auch noch kümmern werden.

„Wie wäre es, wenn wir jetzt zu dritt losgehen würden? Dann können wir in der Stadt noch einen Happen essen und auf uns anstoßen!“, schlägt unser Manager vor.

„Bin dafür!“, brüllt der Namenlose gleich los.

Er ist wirklich überglücklich.

Und irgendwie macht es mich auch glücklich.

Gemeinsam fahren wir in die Stadt.

Kaufen ein.

Essen gemeinsam.

Und schmieden Zukunftspläne.

Die Idee von einer WG gefällt unserem Manager sehr.

Er will sich sofort um eine geeignete Wohnung kümmern.

Genauso wie er mit der Schule abklären will, dass Ichi nun Schulgeld wie jeder andere zahlt.

Den ganzen Abend lacht und grinst der Brünette.

Es ist ein ziemlicher Wechsel von dem ernsten Jungen, ohne Namen und viel unterdrückter Wut im Bauch zu diesem ausgelassenen Strahlemann.

Aber das Lächeln steht ihm.

Damit haut er bestimmt eine Menge Fans um.

Als es so langsam dunkel wird, fahren wir zu mir Heim.

Wir erledigen unsere Hausaufgaben, putzen uns die Zähne und fallen hundemüde ins Bett.

Am nächsten Tag werde ich schon wieder von Ichi geweckt.

Weil er sich nicht entscheiden kann, was er anziehen soll.

Frisch rausgeputzt betreten wir die Schule und genießen dieses Mal das Gefühl, wie sie uns alle hinterher gucken.

Es herrscht ein stetiges Raunen und Flüstern.

Die aus unserer Klasse lassen sich aber nichts anmerken.

Sie tun immer noch so, als hätte Ichi irgendwelche abgetragenen Fummel an.

Mich nerven sie mit Diskussionen-, in die ich mich auch noch einbringen soll-, über Namaeshis neusten Beruf: Bettler in normalen Klamotten. So bekäme er vielleicht mehr Geld.

Bei manchen heißt es sogar, er sei ein Stricher geworden.

Es ist eigentlich eine Frechheit, dass so was sich fortpflanzen darf und dabei meine ich die reichen Schnösel aus meiner Klasse.

Nach zwei Sätzen der Diskussion, wende ich mich schon mit den netten Worten ‚Ihr könnt mich mal!’ ab.

Die Bäckerin ist freundlicher.

Sie lobt Ichi und freut sich aufrichtig für ihn.

Ich gebe der Frau Trinkgeld.

Nach der Schule geht Ichi wieder zu seinem Fußballverein, bei welchem sie ihn eh nie mitspielen lassen.

Tatsächlich kickt er den Ball nur gegen einen Baumstamm anstatt zu spielen.

Ich sitze auf der Tribüne und brüte über meinen Mathehausaufgaben.

Mir scheint, dass ich die Nachhilfe dringender brauche, als ich zuvor gedacht habe.

Mein Privatlehrer hat wohl ein paar Kapitel Algebra ausgelassen.

„Yama, wir können jetzt gehen!“, ruft mir vom Spielfeld der Braunhaarige zu und erlöst mich von Mathe.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Haine_Togu
2011-07-31T17:45:54+00:00 31.07.2011 19:45
Huhu^^
dieses Mal ja wirklich ein total langes Kapi! Wahnsinn, hab einfach die
Klappe aufgemacht, weiß garnicht wieviele Seiten es ingesamt warten XD
Und viel passiert ist auch!!!!
Ich muss sagen diesen schnöden Klassenkameraden von den Beiden kann ich absolut nicht ab, genauso wenig wie diese olle Frau aus dem Heim.
So´ne alte Schachtel... von wegen:"Der kommt schon wieder blablabla!"
*frustriert schnauf*
Ich hoffe die kriegt auch noch mal so eine auf den Deckel, son schöner Denkzettel, würde ihr Recht geschehen! ;)
Es ist auch schön, dass zum Kapitelende alle so glücklich waren, war aber auch höchste Zeit, dass Ichi lacht :)
Freu mich aufs nächste!!
Wer weiß was aus unseren Zwei wird! *G*
Grüßele
deine Haine-chan <3


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