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Der Zweifel stirbt zuletzt...

von

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Keine Fragen stellen

Eine wohlbekannte Melodie wirbelte durch meine Gedanken, als mein Telefon klingelte. Hastig drückte ich den Anrufer weg, ohne überhaupt nachzusehen, wer es war. Meine neuen Arbeitgeber sahen es sicher nicht gerne, wenn ich Privatgespräche führte, obwohl jederzeit Kunden anrufen konnten. Außerdem hatte sich Vermouth angekündigt. Es war jetzt bereits über eine Woche her, dass sie mir diesen Job verschafft hatte und langsam begann ich, mich einzuarbeiten. Das Gefühl war immer noch etwas eigenartig, ich erfüllte Aufträge ohne Fragen zu stellen, verschickte riesige Geldmengen über den ganzen Globus und zerstörte vielleicht das ein oder andere Leben, ohne dass ich es überhaupt mitbekam. Dieser Gedanke war so unbehaglich, dass ich ihn schnell wieder verdrängte und stattdessen einige Überweisungsscheine unterschrieb. Stell keine Fragen.

„Und, wie läuft’s?“

Obwohl ich damit gerechnet hatte, hob ich überrascht den Kopf. Vermouth stand mit einem lippenstiftbemalten Lächeln in der Tür, in beiden perfekt manikürten Händen, was mir für eine Killerin seltsam vorkam, zwei Coffee-To-Go. „Ich hatte gedacht, wir könnten gemeinsam Mittagspause machen. Deine Chefin hat sicher nichts dagegen, Keiko ist ganz begeistert von dir.“ Sie zwinkerte mir freundlich zu. Vielleicht hätte es mich damals wundern sollen, dass sie immer so liebenswürdig zu mir war, hätte an ihr zweifeln sollen, so wie ich es anfangs getan hatte. Aber mittlerweile war meine Devise geworden, keine Fragen zu stellen. Verschwiegenheit war die Maxime meines Jobs und in gewisser Weise auch die der Organisation, in die ich hineingeraten war.

Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen.

„Gerne.“ Ich packte hastig die Unterlagen zusammen, die niemals unbeobachtet herumliegen durften und folgte ihr in den Aufenthaltsraum der Bank, der extra für die Mitarbeiter angelegt worden war.
 

„Und, wie schlägt sich dein kleines Vögelchen?“

Vermouth lehnte sich entspannt zurück und nippte an ihrem Martini. „Sehr gut, danke der Nachfrage, Gin.“

Er hob spöttisch die Augenbrauen, ihre leicht ironische Stimmlage entging ihm ganz und gar nicht. Einen Kommentar verkniff er sich allerdings, die Freude darüber, dass sie ihn nur allzu leicht zur Weißglut bringen konnte, gönnte er ihr nicht.

„Das hätte ich nicht erwartet. Sie wirkt wie ein ziemlicher Gutmensch.“

„Das ist sie auch.“ Vermouth lächelte triumphierend. „Und solche Menschen kann man leichter manipulieren als jeden anderen. Gute Menschen sind oftmals vor allem eines – gutgläubig. Es war ein leichtes, sie zu überzeugen, dass sie ihre Schwester retten kann, wenn sie nur genug Geld für uns verdient. Was für ein armes Ding.“ Lachend fuhr sie sich durch die platinblonde Mähne, die offen weit über ihre Schultern hinabfloss, wie ein goldener Sturzbach. Bedauernswert.

Gin fuhr mit seiner behandschuhten Hand über einen kleinen Riss in der sonst makellosen Tischplatte und sah dann wieder zu ihr auf. „Sie tut das alles also tatsächlich für ihre Schwester? Interessant. Was glaubst du, wie weit du sie noch bringen kannst?“

„Nun, vermutlich würde sie für sie sterben, aber das ist gar nicht mein Ziel.“

Gin runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“

„Wie wohl?“ Sie zog das tiefdunkle Rot ihrer Lippen sorgsam nach, als hätte sie alle Zeit der Welt dafür. Oh, wie er es hasste, dass sie ihn ständig auf die Folter spannen musste.

„Ich hatte doch bereits gesagt, dass ich Zweifel zwischen ihnen sähen möchte. Ich werde dafür sorgen, dass sie selbst zu dem schwarzen Monster wird, dass sie so sehr fürchte, werde offenbaren, dass sie genauso ist wie wir. Selbst ein Engel verkommt, wenn du ihn direkt in die Hölle schickst.“

„Wie poetisch.“ Er trank ebenfalls einen Schluck und stellte das Glas etwas härter als nötig ab, als wäre er bereit betrunken und hätte seine Handlungen nicht mehr richtig unter Kontrolle. „Aber auch Jammerschade. Es wird ihrem Schwesterchen das Herz brechen.“ Vermouth entging nicht, dass seine Augen ein beinahe bestialisches Funkeln bekamen, als er von Sherry sprach. Er erinnerte ein wenig an ein Raubtier, das über seine letzte Mahlzeit nachdachte und genüsslich die letzten Fleischfetzen von den blutigen Lippen leckte. Sie schauderte.
 

Nachdem Vermouth gegangen war, hatte ich auch bald Dienstschluss. Gleichsam müde und erleichtert trat ich aus dem Gebäude hinaus, womit zumindest meine oberflächlichen Gefühle beschrieben waren. Innerlich wäre verstört wohl der treffendere Ausdruck gewesen. Das Gespräch mit Vermouth war nicht besonders ausführlich gewesen, zumindest anfangs hatte es nur aus Smalltalk bestanden. Dann jedoch war sie dazu übergangen, über meine Schwester zu reden. Sie hatte erzählt, wie gut es Shiho hier gefiel, wie viel Macht sie bereits innehatte und ihre Stimme hatte bedauernd geklungen, es waren die Worte einer Mutter gewesen, die ihrem Kind beizubringen versucht, dass eine enge Vertraute gestorben ist. Gestorben.

Sag Shiho, bist du schon tot? Bist du eine von ihnen?

Ein schwarzer Totengräber?

„Akemi?“

Mein Blick versteinerte, als ich aufsah. Ich hatte nicht damit gerechnet, sie so schnell wiederzusehen, aber womöglich war das Gespräch ein Omen gewesen. Krähen sind bekanntlich nicht weit, wenn irgendwo Fleisch verwest.

„Shiho, was machst du hier?“ Meine Stimme klang härter als gewollt. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass ich so klingen konnte. Alt und verbittert, rau und scharf wie zersplittertes Holz. Shiho schien auch schockiert zu sein, auch wenn sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Ihr Zurückzucken war mir trotzdem nicht entgangen.

Hast du Angst vor mir? Gehörst du zu ihnen?

„I-ich wollte dich nur besuchen. Es hieß, du arbeitest jetzt hier.“ Im Gegensatz zu meiner wirkte ihre Stimme unsicher und zittrig, als wäre das Selbstbewusstsein nur eine Fassade gewesen, eine dünne zweite Haut, die man nur allzu leicht fortwischen konnte.

„Ja, tut mir leid, ich bin nur etwas müde vom langen Arbeitstag.“

„Ich auch… Können wir vielleicht irgendwo reden?“

Ich schluckte. Sie klang immer noch fremd, aber nicht nur unsicher, sie klang verängstigt. Irgendetwas Furchtbares musste ihr widerfahren sein, ihre Augen hetzten von einer Ecke zur anderen, wie die eines fliehenden Tieres und ihre Lippen waren vollkommen blutleer. Nur keine Fragen stellen.

„Dort hinten ist ein kleiner Park, wir können Spazieren gehen.“
 

Wenig später durchschritten wir zusammen in bedächtigem Schweigen die sich durch symmetrisch angelegte Grünflächen schlängelten Wege. Keiner von uns wagte es, etwas zu sagen, vielleicht fürchteten wir uns ja beide davor, was wir gleich aussprechen würde.

Weil es uns verändern wird. Oder hat es das schon?

„Ich…“

„Wie läuft die Arbeit denn so?“, schnitt ich ihr unabsichtlich das Wort ab. Wieder zuckte sie zurück und blickte hastig zu oben, was mich wieder an ein gehetztes Tier denken ließ.

Reh oder Wolf? Taube oder Krähe? Wollen wir spielen?

„Gut.“

Schweigen.

„Es ist kompliziert. Irgendwie ist alles ein bisschen…“ Sie lachte gequält. Die Äderchen in ihren Augen sahen aus, als würden sie jeden Moment hervorquellen und blutige Rinnsale über ihr Gesicht fließen lassen. Sie zitterte nun am ganzen Körper.

„Shiho? Was ist mit dir?“

„Ich…“ Gerade, als ich mir sicher war, ihre Augen würden aus den Höhlen quellen, schlossen sie sich die Lider langsam und sie brach zusammen. Obwohl ich es nicht hatte kommen sehen, packte ich sie überraschend schnell und drückte sie an mich. Tränen liefen über mein Gesicht, als ich sie fest in meine Arme schloss und ihren Puls fühlte.

„Shiho?!“

Ich hatte das Gefühl, mein eigener Herzschlag würde aussetzen, erst, als ich das zarte Pochen fühlte, konnte ich mich beruhigen. Du lebst. Doch das war nur ein kurzer Trost, der sofort von meiner Panik verdrängt wurde, als ich an die erschrockenen Augen dachten, die wie zerbrochene Glasmurmeln gewirkt hatten, milchig und voller Risse. Tot.

„Keine Angst.“ Mit den eigenen Augen voller Tränen sah ich auf. Vermouth stand direkt vor uns und hielt einen dunkelroten Regenschirm schützend über uns. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass es zu regnen begonnen hatte. Erst jetzt realisierte ich, dass die dicken Tropfen über unsere Wangen gelaufen waren und sich mit den salzigen Tränen vermischten. „Was ist mit ihr?“

Die hübsche blonde Frau sah mich mitleidig an, wieder war ich das Kind, das nichts verstand.

Erklärst du‘s mir Mama? Bitte! Ich esse auch das ganze Gemüse auf…

„Sie ist nur überarbeitet. Anscheinend gibt sie ihr ganzes Herzblut für die Organisation.“ Sie lächelte gütig. „Es tut mir leid, ich weiß, du willst alles tun, um sie zu befreien. Aber du kannst Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen.“

Ich riss die Augen auf. „Meinst du…?“

Sie will gar nicht zurück. Sie ist freiwillig hier, obwohl es sie umbringt.

Auf einmal war ihr Blick furchtbar traurig, so verletzt, dass ich glaubte, einen Spiegel meiner eigenen Gefühle zu sehen. Aber ist sie nicht eine Schauspielerin?

Stell keine Fragen, mein Kind.

Das Spiegelbild bleckte die Zähne, als echte Tränen die eingefallenen Wangen herunterliefen. Einen Moment lang sah ich einen Totenschädel vor mir, eine groteske Fratze, die mich grausam anlächelte.

Wollen wir spielen? Du rennst…

Dann war der Spuk vorbei. Vor mir stand wieder die schöne Vermouth, mit reinen, aber tieftraurigen Kobalt-Augen. „Deine Schwester hat sich verändert, Akemi. Sie gehört jetzt einer anderen Welt an.“

Eine Welt, in die ich nicht passe.



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