Zum Inhalt der Seite

How I met my love

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Den Sternen so nah

Montag in der Schule ist es alles andere als angenehm.

Jonas ist immer noch ein wenig böse auf mich, aber nicht allzu sehr. Er schmollt die ersten Stunden, redet aber zum Nachmittag wieder wie immer mit mir. Bei Basti sieht die ganze Sache anders aus. Als ich gestern Abend auf mein Handy schaute, waren da fünf verpasste Anrufe und eine SMS von ihm drauf, doch ich habe sie geflissentlich ignoriert. Ich will mit ihm nicht reden, zumindest jetzt noch nicht.

Er versucht mich zwar anzusprechen, doch ich kann ihn abwimmeln und seit dem lässt er mich vorerst in Ruhe. Ich bin immer noch wütend auf ihn, er soll mich in Frieden lassen.

Mit Katrin ist es noch merkwürdiger, da ich immer noch beleidigt bin. Vielleicht benehme ich mich wirklich kindisch, aber wer würde anders fühlen, wenn die eigene Freundin einen betrügt, nur weil man nicht mit ihr fummeln wollte. Sich gleich an den nächst Besten zu schmeißen...und dann auch noch Basti! Das ist für mich einfach das verhalten einer Schlampe. Hätte ich von ihr tatsächlich nicht erwartet, was es noch schlimmer macht. Vielleicht lag ihr auch gar nichts an mir als Person, sondern war nur an mir als Junge interessiert. Ein weiblicher Basti sozusagen. Dann passen die beiden ja echt perfekt zueinander…

Man merkt, dass ich immer schlechtere Laune bekomme, um so mehr ich darüber nachdenke, oder? Aus dem Grund lass ich es für den Rest des Tages sein und beschließe mich irgendwie zu beschäftigen. Doch dann stoße ich auf das nächste Problem. Jonas hat keine Zeit, da er wieder in die Muckibude geht, er scheint es ja tatsächlich mal ernst zu meinen damit, und sonst bleibt mir nicht so viel Auswahlmöglichkeit. Auf Schwimmen habe ich alleine keine Lust, zocken mit Basti entfällt ebenso, und mit Katrin hatte ich schon keine Lust was zu unternehmen, als sie noch meine Freundin war. Aus Mangel an Ideen gehe ich tatsächlich sogar einkaufen ohne zu murren, weil mich Mum gefragt hat, da sie noch länger im Salon heute Arbeitet. Sie ist Frisörin, und scheinbar ist eine Kollegin krank.

Doch danach sitze ich wieder in meinem Zimmer, mit demselben Problem. Arg, was hab ich denn früher nur gemacht? Tja, die Antwort ist wohl klar, mit Basti und Jonas rumgehangen.

Ich zocke ein bisschen am PC, aber auch daran verliere ich schnell mein Interesse, und nachdem ich auch im TV alle Programme einmal durch gezappt habe, weiß ich wieder nicht was ich machen soll. Ich brauche definitiv mehr Freunde...David!

Plötzlich bin ich ganz aufgeregt, hüpfe vom Sofa, grabe mein Handy aus meiner Schultasche und rufe ihn sogleich an. Schon nach den dritten Tuten geht er ran.

„Hey, Kai! Schön, dass du anrufst. Was gibt’s?“

Im Hintergrund höre ich mehrere Stimmen.

„Störe ich gerade?“, frage ich ein wenig verlegen, denn ich hatte gar nicht daran gedacht, dass er etwas zu tun haben könnte und vielleicht auch gar keine Zeit hat.

„Was? Ach, nein nein. Mein Bruder hat nur ein paar Freunde eingeladen, deine Schwester ist übrigens auch hier.“ Die Stimmen werden leiser und ich kann hören wie er eine Tür schließt.

„So ist schon besser.“

„Ähm...“ Ich weiß gar nicht richtig was ich sagen soll. Scheinbar hat er zu tun, da mag er sicher nicht seine Zeit mit mir vergeuden.

„Was ist los?“, fragt er besorgt, als ich nichts weiter sage.

„Nichts! Also, na ja. Ich langweile mich etwas.“, murmle ich möglichst gelassen. Zumindest hoffe ich, dass man nicht heraushört, das ich etwas nervös bin. Wir kennen uns ja noch kaum und das macht mich etwas befangen.

„Und da dachtest du, du rufst mich an?“

„Hm.“, gestehe ich ihm und werde wieder verlegen.

„Was ist mit deinen Freunden?“

Aus seiner Frage kann ich nicht wirklich heraushören, ob ich ihn nerve, aber trotzdem komme ich mir blöd vor.

„Jonas hat zu tun und Basti...na ja du weißt ja.“

Klingt das nicht armselig? Ja oder? Jetzt muss er doch denken ich hätte kaum Freunde und nachher glaubt er noch ich hätte ein gestörtes Sozialverhalten, oder es gibt sonst welche Gründe weshalb man nicht mit mir befreundet sein sollte. Will er überhaupt mit mir befreundet sein? Aber Gestern sah das zumindest danach aus.

Verwirrt schüttle ich die wirren Gedanken aus meinem Hirn.

„Also, ich wollte dich auch gar nicht stören, ihr habt sicher noch was vor. Wir sehen uns ja Freitag.“, will ich schon ausweichend antworten, um das Gespräch zu beenden, doch David geht nicht auf diesen Wink ein.

„Mit denen? Sicher nicht. Mit meinem Bruder und seinen Freunden den Abend zu verbringen ist sicher kein Spaß.“

Jetzt klingt er tatsächlich etwas bedrückt, wegen seinem Bruder, nehme ich an.

„Dann hast du Zeit?“

„Für dich? Sicher.“ Jetzt werde ich ungewollt rot. Peinlich! Aber er kann mich ja zum Glück nicht sehen.

Es tut gut seine Stimme zu hören und er hat nichts dagegen, als ich frage ob er Lust hat vorbei zu kommen zum zocken. Und jetzt freue ich mich sogar doch noch auf den Abend!

Und er wird schön. Es ist niemand zu Hause, also öffne ich ihm die Tür, als es klingelt und wir setzen uns dann mit Getränken und Chips vor die Konsole.

Und schon ist Basti vergessen, und auch David scheint seine Probleme mit seinem Bruder aus seinem Kopf verbannt zu haben, so ausgelassen redet und lacht er mit mir. Boxt mich gegen die Schulter, wenn ich ihn ärgere und ich will gar nicht dass der Abend endet.

Erst als es schon wirklich spät wird, und wir von unten Lärm hören, da meine Mutter und Sheila heim gekommen sind, macht sich David auf den Weg nach Hause.

An der Tür bleibe ich kurz mit ihm stehen und sehe ihn unsicher an.

„Danke, das du rum gekommen bist.“

Er lächelt mich offen an. Ich mag das.

„Keine Ursache. Ruf mich an, wenn dir wieder langweilig ist.“ Zum Abschied wuschelt er mir kurz durchs Haar und ich sehe ihm noch kurz nach, ehe ich die Tür schließe.

„Wer war das?“, fragt Mum interessiert, als sie in den Flur tretet.

„David, du weißt schon, Mathias Bruder.“

„Ach ja, der nette junge Mann von Samstag.“, erinnert sie sich.

„Hm. Ja, nett.“, sage ich etwas unwirsch. Immer noch in Gedanken an ihn.

„Komm Schatz, auch wenn dein Vater auf Geschäftsreise ist, können wir ja trotzdem gemeinsam zu Abend essen. Sheila deckt schon den Tisch.“

„Hm, ich komm gleich.“
 

Die folgenden Tage wird es nicht viel besser in der Schule. Jonas hat dauernd zu tun, Katrin ignoriert mich, genauso wie ihre Freundinnen, mit denen ich eh noch nie viel zu tun hatte, und Basti hält auch erst einmal Abstand. Wir haben noch nie so lange nicht miteinander gesprochen. Natürlich hatten wir auch als Kinder streit, nur noch nie in diese Ausmaß. Ich will nicht mit ihm reden und ihm scheint es zur Zeit genauso zu gehen. Es ist mir egal...

Dafür Telefoniere ich jeden Tag inzwischen mit David. Manchmal ruft er mich an, oft genug tue ich es. Es tut gut ihm von meinen Frust von der Schule zu erzählen, er erzählt mir wiederum immer wenn er streit mit seinem Bruder hatte.

Wenn es besonders schlimm ist, kommt er bei mir vorbei und wir zocken, oder gehen weg.

Noch eine Sache die ich faszinierend finde an ihm, denn wenn David von weggehen spricht, meint er nicht das wir in eine Disko gehen, ins Kino oder Feiern. Die Dinge die normale Typen eben machen.

Den einen Tag schleppt er mich zu einer Vorlesung über Animismus. Ein Typ steht dort auf der Bühne in einem riesigen Vorlesungssaal und erzählt den Zuschauern eine recht spannende Geschichte über eine Reise durch Kanada, von Walen, aggressiven Seelöwen und das er Tanzen musste um diesen zu entkommen. Er stellt uns die Frage, woher man wissen kann, wie die andere Seite eines Baumes aussieht, wenn man sie nicht sehen kann. Solche Sachen halt. Am Ende der Vorlesung habe ich immer noch nicht ganz verstanden was Animismus ist, aber das was der Typ erzählte war schreiend komisch gewesen! Ich lache gerne mit David zusammen, denn wenn er lacht, dann klingt es nicht gezwungen laut oder unterdrückt. Das gefällt mir ungemein.

Am Freitag gehe ich zu seinem Schulfest mit den Projekten, und er zeigt mir einige seiner Bilder, die er schon gezeichnet hat. Ich muss neidvoll feststellen das er das richtig gut kann! Mehr als ein Strichmännchen würde ich nicht zustande bringen, aber Davids Zeichnungen sind sogar für meine ungeübten Augen gut. Hätte ich ehrlich nicht erwartet, denn er sieht nicht aus wie einer dieser typischen Künstler, die man so kennt.

Klischee lässt grüßen. Ich weiß, ich bin manchmal einfach viel zu Oberflächlich.

Doch durch David lerne ich die Dinge anders zu sehen, als bisher. Vieles über das ich bis jetzt eine vorgefertigte Meinung hatte, ist gar nicht so wie gedacht, stelle ich wieder fest.

Philipp ist auch da und wirft uns merkwürdige Blicke zu, als wir zusammen die Präsentation seiner AG begutachten.

Nach dem Wochenende kann ich mir auch endlich mal seinen Namen merken.

David ist gerade in einem Gespräch mit einem anderen aus seiner Klasse vertieft, als er mich anspricht. „Hallo Kai.“, begrüßt er mich höflich.

„Hi Phil.“

Peinlich schweigend stehen wir einen Moment herum. Ich weiß nicht wirklich worüber ich mich mit ihm unterhalten soll.

„Wusste gar nicht das du auch kommst.“ meint er schließlich.

„David hat mich eingeladen. Stört doch nicht, oder?“, frage ich vorsichtig.

„Natürlich nicht, aber lass dich nicht von den Lehrern erwischen.“

„Okay. Ähm...wie geht’s Alina?“, versuche ich das Gespräch am laufen zu halten. „Ganz gut. Aber du gehst mit ihr doch auf eine Schule? Seht ihr euch nie?“ Er runzelt fragend die Stirn.

„Nee nicht wirklich. Sehe sie nur recht selten, sie hockt ja immer mit Sheila rum.“

„Achso, dachte nur.“ Er schien ganz glücklich mit der Antwort.

„Keine Angst, ich spann sie dir nicht aus.“, sage ich aus einem Impuls heraus, da mir seine komischen Blicke aufgefallen sind.

Er lächelt. „Gut. Sonst könntest du auch was erleben!“, meint er nicht ganz ernst.

Ob er mich etwa als Rivalen sieht, nur weil ich mit Alina auf eine Schule gehe? Ist doch Schwachsinn.

„Hey Phil, mein Sonnenschein!“, spricht uns plötzlich jemand an den ich nicht kenne. Ich drehe mich zu der frechen Stimme um und sehe einen Jungen auf uns zukommen, blond, schlank, etwas größer als ich und wirklich gut aussehend. Also ich meine nicht einfach nur hübsch, sondern richtig attraktiv! Ein Schönling, genauso wie David, aber etwas Puppenhaft. Und er scheint ein extrem sonniges Gemüt zu haben, so wie er breit grinsend vor uns zu stehen kommt.

„David steht da hinten.“, grummelt Philipp verstimmt und ich sehe wie er dem Blonden einen bitterbösen Blick zuwirft.

„Ach, ist unserm Phil eine Laus über die Leber gelaufen? Oder hat es dir deine Freundin nicht richtig besorgt?“ Der Junge verzieht seinen Mund zu einer kindlichen Schnute. Zuerst dachte ich noch, dass er einfach nur frech ist, doch jetzt blitzt etwas herablassendes in seinen Zügen durch. So wie ich David auf den ersten Blick sympathisch fand, genauso unsympathisch finde ich den Blonden nun auf den ersten Eindruck.

„Nein, du bist mir über den Weg gelaufen.“, meint Phil nur.

Der Blonde lacht amüsiert und geht beinahe schon stolzierend an uns vorbei auf David zu, der sein Gespräch unterbricht, als der Junge einen Arm um seine Schultern legt.

Mit hochgezogenen Augenbrauen beobachte ich die Szene.

„Wer war das?“, frage ich Phil. Seine Gesichtszüge sind angespannt.

„Gabriel.“, meint er knapp.

„Und du magst ihn nicht?“

„Offensichtlich.“

„Warum?“, frage ich vorsichtig nach.

„Er ist ein Arschloch.“, antwortet er schlicht.

„Hm.“ Ich bin zwar immer noch nicht schlauer, aber ich merke das Philipp nicht weiter darüber reden will und sich schließlich ein paar anderen Schülern zuwendet, die gerade den Raum betreten haben, um ihnen sein Projekt vorzustellen.

Etwas verloren bleibe ich erst mal stehen und schiele unauffällig zu David hinüber, der sich jetzt ausgiebig mit diesem Gabriel unterhält. Sie scheinen sich zu kennen. Zumindest gehen sie recht ungezwungen miteinander um. Gabriel trägt eine wirklich recht enge Jeans und eine dunkle Sonnenbrille hatte er sich bis auf die Stirn hochgeschoben, wahrscheinlich damit ihm seine fast kinnlangen, blonden Strähnen nicht in die Augen fallen.

Strahlend sieht er David an, der über etwas lacht was Gabriel ihm wohl gerade erzählt hat.

Ein brennendes Gefühl entsteht in meinem Magen. Ist das sein Freund? Aber er hatte gesagt, dass er genug von Beziehungen hätte. Doch schließt das gleich auch komplett aus? Ich bin verwirrt.

Unsicher gehe ich zu der Gruppe, stelle mich an Davis andere Seite mit etwas Abstand. Dieser lächelt mich an, als er mich bemerkt und der Blonde beugt sich vor um mir einen abschätzenden Blick zuzuwerfen.

„Wen hast du denn da auf gegabelt Tiger?“

Tiger?! Warum im Himmel nennt er David so?

„Darf ich vorstellen? Kai, das ist Gabriel, mein bester Freund und Klassenkamerad.“

Ah ja. Bester Freund.

„Und Kai ist der kleine Bruder von Sheila.“

„Die Schnecke deines Bruders?“

„Richtig.“

Gut dann wären schon mal die Fronten geklärt.

„Niedlich.“, spottet Gabriel und sein Arm legt sich wieder fester um Davids Schultern.

Oder auch nicht. Gott, wie kann David nur mit so einem Typen befreundet sein? Oder ist da doch mehr? Das wäre ja noch schlimmer.

„Hi.“ grüße ich trotzdem artig.

„Etwas mundfaul der Kleine, hm?“, sagt Gabriel zu David gewandt.

Ich mag es nicht, wenn über mich spricht, als wäre ich nicht anwesend.

„Ich bin nicht klein.“

Gabriel verzieht den Mund zu einem breiten grinsen.

„Lass dich nicht ärgern, Gabriel ist eigentlich ein ganz guter Kerl.“, meint David nachsichtig und lächelt mich freundlich an, wobei ich Gabriels Blick bemerke der uns aufmerksam beobachtet. Guter Kerl. Pfff!

Ich hab schlechte Laune und das bessert sich auch in der nächsten Stunde nicht, denn Gabriel bleibt die ganze Zeit bei uns, schmeißt sich wie eine Klette an David während dieser mir seine Schule zeigt und wir wieder zurück zu seiner AG gehen. Der Blonde wird mir mit jedem Satz den er von sich gibt unsympathischer und noch mehr stört es mich, dass ich einfach nicht mitreden kann wenn sich die beiden unterhalten.

Meine Laune erreicht ihren Tiefpunkt, als ich plötzlich auch noch alleine mit Gabriel bin, weil Davids Lehrer was mit ihm besprechen will wegen irgendeiner Hausaufgabe.

„Lass die Finger von David.“, zischt mich Gabriel plötzlich an. Seine Stimme hat jeden Klang seiner Frechheit verloren und ist beinahe kalt.

„Bitte?“, sage ich verblüfft.

„Ich bin nicht blind, so wie du ihn anstarrst fallen dir ja beinahe die Augen raus.“

Hat der ein Rad ab? Gut, blöde Frage. Natürlich hat er das.

„Ich starre ni...bist du schwul oder was?“

Er lacht geringschätzig und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Das geht dich nichts an.“

„Schön, dich auch nicht.“

„Ah ja.“

„Ja!“

Trotzig stehen wir schweigend nebeneinander. Na gut, ich trotze. Gabriel lächelt nur übertrieben arrogant.

Ich fasse es nicht! Der Kerl hält mich tatsächlich für schwul? Und er glaubt ich will etwas von David! Dieser...arg!

„Ich bin nicht schwul!“, knurre ich ärgerlich. Warum muss ich das in letzter Zeit dauernd klar stellen?

Gabriel grinst überheblich. Blöder Sack!

„Na dann brauchst du ja nicht zu starren.“

„Ich starre nicht.“, versuche ich mich zu rechtfertigen.

„Was willst du von David?“

„Was meinst du?“

„Tu nicht so unschuldig. Wenn du ihn nicht fürs Bett willst, was dann?“

Bitte was? Sehe ich aus wie irgendein kriminelles Arschloch?

„Schon mal was von Freundschaft gehört?“

Gabriel schnaubt abfällig. „David hat mich, er braucht keine anderen Freunde.“

Jetzt klingt er eifersüchtig und seine Worte schockieren mich etwas.

„Was gibt dir das Recht so über ihn zu bestimmen? Er kann befreundet sein mit wem er will!“

„Mich dich nicht ein Knirps!“

Ich will gerade etwas entgegnen, als David lächelnd auf uns zu kommt und ich die Worte mühsam hinunterschlucke.

„Hey, ich hoffe es ist dir nicht zu langweilig.“ fragt er mich mit seiner sanften Stimme. Seine schönen Augen wandern abschätzend über mein Gesicht.

„Schon okay.“, meine ich etwas verlegen.

Meine Wut verraucht regelrecht wenn er mich so anschaut und lächelt.

„Es ist eh schon spät, wir packen nur noch zusammen und dann können wir gehen.“

„Hm, gut.“

Seine Hand streicht kurz durch meine Haare, ehe er sich daran macht seinen Mitschülern beim Aufräumen zu helfen. Ich höre wie Gabriel wieder abfällig schnaubt und beschließe ihn einfach zu ignorieren.
 

„Wie hat es dir gefallen?“ , fragt David, als wir nebeneinander laufen, auf den Weg zur Straßenbahn.

„Gut.“, sage ich knapp. Irgendwie fühle ich mich ausgelaugt und immer noch gereizt durch Gabriels Anfeindungen.

„Phil schien sich auch gefreut zu haben dich wieder zu sehen.“

„Hm.

„Tut mir leid, wenn du dich zwischenzeitlich gelangweilt hast.“

„Schon okay.“

David bleibt plötzlich stehen und als ich mich zu ihm umdrehe bemerke ich seinen kritischen Blick der auf mir ruht.

„Was ist los?“, fragt er mich geradeheraus. Mir ist es etwas unangenehm, weil ich ihm eigentlich nicht unbedingt sagen will was los ist.

„Nichts.“, antworte ich ausweichend, doch ich merke schon an seinem Blick das er mir nicht glaubt.

„Sag schon. Habe ich irgendwas falsches gesagt? Du bist die ganze Zeit schon so.“ Ich schüttle den Kopf und schaue zu ihm hoch in seine grauen Augen, die mich so besorgt mustern. Ich mag seine Augen.

„Nein...es ist nur...also.“

„Ja?“

Ich seufze. Und schließe kurz die Augen.

„Gabriel.“, sage ich schlicht. Bestürzt sieht er mich an.

„Hat er was angestellt?“

„Nein, also nicht direkt. Er ist nur so...hmm na ja“

„Ich weiß was du sagen willst, Er ist sehr...gewöhnungsbedürftig. Aber eigentlich ein ganz guter Kerl.“

Schon wieder sagt er das.

„Wie lange kennt ihr euch schon?“

Er überlegt kurz. „Eine ganze Weile, ich weiß gar nicht genau wie lang. Aber er ist wirklich ganz anders, wenn man ihn erst mal kennt. Er hat viel durchgemacht weißt du? Aber ich bin mir sicher, dass ihr euch schon verstehen werdet.“

Scheinbar plant er eine längerfristige Freundschaft mit mir ein, und das schließt wohl ein, dass ich mit seinen Freunden klarkommen werde...irgendwann.

In meinem Bauch kribbelt es ganz arg.

„Hm...weiß nicht. Warst du mal mit ihm zusammen?“, frage ich ihn vorsichtig und hoffe ich klinge nicht allzu sehr interessiert.

Überrascht sieht er mich an. „Nein, wie kommst du denn darauf?“

„Na ja, dachte nur, ihr kennt euch so gut und es könnte ja sein.“

Jetzt lacht er. „Nein, wirklich nicht. Er ist nicht mein Typ und ich auch nicht seiner.“

„Okay“

Damit war das Thema erst mal beseitigt. Also für ihn zumindest. Mir geht die Sache nicht aus dem Kopf.
 

Es ist Samstagnachmittag und ich komme gerade aus der Dusche, als ich mein Handy klingeln höre. Hastig krame ich danach und gehe ran ohne aufs Display zu schauen.

„Ja Hallo?“

„Hi, ich bin's“, höre ich Davids Stimme sagen. Ein Lächeln schleicht sich sogleich auf mein Gesicht.

„Hey, was gibt’s?“

„Hast du Lust vorbei zu kommen? Meine Eltern sind nicht da und Mathias ist mit deiner Schwester weg. Also haben wir Sturmfrei.“

„Zu dir?“, frage ich etwas verblüfft und raufe mir meine noch feuchten Haare.

„Klar. Also nur wenn du Lust hast.“

Mein Herz pocht aufgeregt. „Ja!“, antworte ich ganz enthusiastisch. Als ich David lachen höre, räuspere ich mich peinlich berührt.

„Also ich mein, ja klar. Warum nicht. Hab ich eh nichts weiter vor.“

„Gut, ruf mich an wenn du an der Straßenbahnstation bist, dann hole ich dich da ab.“ Ich nicke.

„Super, ist auch nötig, denn ich hab nämlich einen Orientierungssinn wie 'nen Teelöffel.“ , gestehe ich ihm.

Schnell mache ich mich fertig und nicht mal eine Stunde später bin ich bei ihm. Er führt mich in sein Zimmer und geht nochmal in die Küche um etwas zu trinken zu holen. Neugierig sehe ich mich solange um und entdecke einige Zeichnungen die er an seine Wand gepinnt hat. Diesmal sind es keine fantasievoll gestaltete Spielcharaktere, sondern reale Menschen. Eine Zeichnung fällt mir besonders auf, da der Junge darauf schlafend auf einem Bett liegt. Eine weiche Decke bedeckt seinen nackten Körper zum Großteil, was mich etwas erröten lässt.

Er liegt auf der Seite, seine Haare sind ganz zerstrubbelt und auf seinem Gesicht liegt ein seliger Ausdruck als hätte er gerade...oh...oh!

Mit flammenden Wangen drehe ich mich weg. Keine gute Idee, wie ich merke als ich in der hinteren Ecke des kleinen Zimmers sein schmales Bett sehe. Moment...

Kurz werfe ich nochmal einen Blick auf das Bild. Doch, ich habe mich nicht geirrt! Das auf der Zeichnung ist sein Bett. Oh Gott!

„Ich hoffe Cola ist okay?“ David kommt ins Zimmer und sieht mich kurz fragend an, in der Hand zwei gefüllte Gläser.

„Äh...sicher.“, stottere ich verlegen. Einglück bemerkt er meine Unsicherheit gar nicht und reicht mir das Glas.

„Wollen wir was gucken?“ Er zeigt auf seinen Fernseher an der gegenüberliegenden Wand vom Bett. Ich nicke. „Gut, such du aus, im Schrank hab ich 'ne Menge DVD's“

Ich krame etwas herum, kann mich aber nicht wirklich entscheiden, dann ziehe ich wahllos eine DVD raus, deren Titel mir gar nichts sagt.

„Hast du was gefunden?“, fragt mich David.

„Weiß nicht, was ist das hier für einer? Ist der gut?“

Fragend halte ich ihm das Cover entgegen.

„Sommersturm?“ Er fängt an zu schmunzeln. „Ne ich glaube das ist nichts für dich.“

„Warum nicht?“, frage ich verblüfft.

„Lies die Inhaltsangabe.“, meint er schlicht.

Kurz überfliege ich den Text und begreife. „Oh...“, hauche ich peinlich berührt.

Sein Lächeln wird noch breiter.

Von allen Filmen die ich hätte aussuchen können greife ich nach einer coming out Geschichte über einen schwulen Jungen. Ganz große Klasse...

Schnell lege ich ihn zurück und nehme lieber einen Film den ich kenne. Iron Man. Solider Film. Kann ich zumindest nichts falsch machen.
 

Nach einer Stunde merke ich dann doch, dass man damit was falsch machen kann, denn der Film ist grade mal zur Hälfte vorbei. Wir sitzen nebeneinander auf Davids Bett mit dem Rücken an der Wand. Sein Zimmer ist wirklich klein, vielleicht gerade mal Zwölf Quadratmeter. Dabei ist das Haus nicht gerade klein, also warum bekommt er das kleinste Zimmer? Vorhin als er mir kurz das Haus zeigte, habe ich auch ein Gästezimmer bemerkt und selbst das schien größer zu sein. Seltsam...

„Träumst du?“, fragt er mich plötzlich.

„Hm, nein. War nur in Gedanken.“

„Das bist du häufig.“

„Kann sein.“ Ächzend setze ich mich kurz anders hin, als ich merke wie mein Fuß langsam einschläft. In meinem Magen grummelt es leise.

„Hast du Hunger?“

„Nein.“, lüge ich, denn ich möchte ihm keine Umstände bereiten. Irgendwie habe ich schreckliche Angst, dass er irgendwann merkt wie schrecklich langweilig ich eigentlich bin und er keine Lust mehr hat mit mir befreundet zu sein. So wie er aussieht könnte er jede Menge cooler Freunde haben. Und ich zähle sicherlich nicht dazu. Ich weiß sowieso nicht was er an mir findet. Er ist gutaussehend, klug und schwul. Ich bin langweilig, normal und hetero.

„Ich wüsste zu gerne was in deinem hübschen Köpfchen vor sich geht wenn du mit der Nase zuckst.“ Seine Augen mustern mich intensiv und ich ziehe unsicher die Knie an und schlinge meine Arme darum.

„Ich zucke nicht mit der Nase.“

Er lächelt. „Oh doch. Wie ein kleines Kaninchen.“

Seine Hand schnellt plötzlich vor und zwickt mir in die Nase, so dass ich vor Schreck die Augen zu kneife. „Hey!“, protestiere ich.

„Komm lass uns was essen, ich kann mich auch nicht mehr auf den Film konzentrieren.“, meint er, schaltet den Fernseher aus und steht auf, wobei er mich mitzieht.

Unten in der Küche buddeln wir uns etwas ratlos durch die Fächer, können uns aber nicht so recht entscheiden. Selbst die Küche ist glaube ich sogar größer als sein Zimmer. Und sieht unglaublich luxuriös aus, also soweit ich das beurteilen kann. Zumindest sieht hier alles recht teuer aus. Seine Eltern müssen echt gut verdienen, schätze ich.

„Wie wäre es mit Pasta?“, fragt er mich, während er seinen Kopf in den Kühlschrank steckt. „Hm aber wir habe keinen Käse mehr.“

Ich zucke nur mit den Schultern. „Mir eigentlich egal.“

„Dann doch lieber was anderes?“ Er schließt nachdenklich den Kühlschrank.

„Auf was hast du denn Lust?“, frage ich ihn einfach. Seine Augen blitzen mir regelrecht entgegen und ich grinse unsicher. Hab ich gerade was falsch gemacht?

„Du bist süß.“, schmunzelt David und streicht mir wieder mal durchs Haar.

Ich bin was? Warum sagt er dauernd so einen Blödsinn? „Willst du mich absichtlich ärgern?“, frage ich nach.

„Was meinst du?“

Ich druckse ein wenig herum. „Dauernd sagst du so merkwürdige Sachen.“

„Das ist nicht merkwürdig, ich bin nur ehrlich. Du bist es nicht gewöhnt wenn man dir Komplimente macht hm? Aber zurück zum Thema. Wie wäre es mit Auflauf? Aber wir müssten dann nochmal einkaufen gehen.“

„Okay.“
 

„Warum fahren wir eigentlich so weit? Hätten wir nicht zu Kaisers gehen können?“, murre ich etwas unwillig, weil David darauf bestand das wir in da kleine Einkaufzentrum in der Nähe fahren.

„Schon, aber wir haben doch noch Zeit und im Center läuft gerade eine Ausstellung zu der ich eh mit dir gehen wollte. Willst du nicht?“

„Schon okay.“ Er schmunzelt.

„Ja ja, schon okay.“

Wir steigen aus der Bahn und ich kann schon das Center sehen, das an einem Samstag natürlich voller Leute ist. Paare, Familien und Freunde.

Und David ist mit mir hier.

Nur mit mir.

Ein wenig fühle ich mich schon geschmeichelt, zumal einige Mädchen an denen wir vorbei kommen uns, besser gesagt ihm, unverhohlen hinterher starren.

Wäre er mit Gabriel hier, wären die Mädels wahrscheinlich schon in Ohnmacht gefallen.

„Warum gehst du eigentlich nicht mit Gabriel weg?“

Nicht das ich nicht mit ihm weggehen will, ganz im Gegenteil. Aber wenn er so gut mit dem Blonden befreundet ist, warum unternimmt er so viel mit mir?

„Dahin wo er mit mir gehen will, will ich nicht hin. Ich würde sagen da laufen unsere Interessen ein wenig in verschiedene Richtungen.“

„Und das heißt?“

„Das ich nicht gerne bedeutungslosen Sex mit fremden Männern in schmutzigen Clubs habe.“, sagt er mit harter Stimme.

„Oh...“ Ich weiß nicht wirklich was ich darauf antworten soll. Anscheinend habe ich einen wunden Punkt getroffen.

„Tut mir leid.“

Er sieht mich verblüfft an. „Dir brauch das nicht leidtun! Du kannst doch nichts dafür. Gabriel ist eben sehr speziell.“

„Aber es scheint dich schon zu stören.“

„Würde es dich denn nicht, wenn dein bester Freund so was machen würde?“

Unwillkürlich muss ich an Basti denken und ein harter Klumpen bildet sich in meinem Hals. „Okay, du hast gewonnen.“

Ich will das Thema wechseln, da ich mir blöd vorkomme über Basti oder Gabriel zu reden, weshalb ich ihn frage wer das eigentlich auf dem einen Bild ist.

„Welches Bild?“

„Das an der Wand. Mit dem Jungen...der schläft.“ Ich werde etwas rot bei der Erinnerung daran.

„Achso das. Nur ein alter Freund meines Bruders. Aber wir haben schon länger keinen Kontakt mehr.“

Das klingt so harmlos, aber die Zeichnung ist alles andere als harmlos. Oder habe ich nur zu viel Fantasie? „Warst du mit ihm zusammen?“

„Willst du das wirklich hören?“

„Ja, warum nicht?“

„Du bist nicht schwul.“, erinnert er mich an meine eigenen Worte.

Autsch. Irgendwie ein blödes Gefühl mit dieser Ablehnung in seiner Stimme.

„Das ist doch unwichtig.“

„Ach ja?“

„Ja.“

Er schüttelt schmunzelnd den Kopf. „Ich glaub du bist die erste Hete, die nicht schreiend davon läuft und etwas über mein Liebesleben wissen will.“

„Ähm.“ Was soll ich denn darauf sagen? Irgendwie stört es mich, wenn er Hete sagt. Es klingt schon wieder so abweisend.

„Wir waren kurz zusammen. Ist aber schon länger her und das Ende war nicht schön.“, antwortet er schließlich mit belegter Stimme. Er sieht mich nicht an und   der Nebel in seinen Augen scheint dichter zu werden. „Was ist passiert?“

Doch er schüttelt nur ablehnend den Kopf. „Ein andern mal. Das ist kein Gespräch was man im Einkaufcenter führen sollte, außerdem will ich den Tag mit dir genießen!“

Er greift nach meinem Arm und zieht mich durch den Eingang des Centers. Es gibt tatsächlich eine Ausstellung, aber scheinbar für Kinder. So mit optischen Experimenten, rätseln und dergleichen.

Wir bleiben an einer Wassersäule stehen, wo man an einer Kurbel drehen muss. Im Innern ist ein kleiner Propeller, der sich darauf schnell zu drehen beginnt und ein Strudel entstehen lässt. Einige Kinder spielen an einem Gestellt mit verschiedenen Kugeln herum. „Ist das nicht für Kinder gedacht?“

„Nein, das ist für jedes Alter konzipiert. Schau dahinten.“ Er deutet auf ein Seniorenpärchen weiter entfernt, das faszinierend vor einem großen Spiegel steht.

„Uhi“

„Komm lass uns das mal ausprobieren!“. Er greift wieder nach meinem Arm und steuert auf zwei Stühle zu, die sich gegenüber stehen, dazwischen befindet sich ein Tisch mit einem kleinen Vorhang als Sichtschutz in der Mitte, wodurch ich David nicht mehr sehen kann, als wir uns setzen.

„Was soll man denn machen?“, frage ich verwundert.

„Du nichts, ich schreibe.“

„Schreiben?“

„Ja, guck dir mal die Tafel vor dir an, das ist das Alphabet in Blindenschrift. Ich schreibe jetzt etwas und du musst ertasten, was ich geschrieben habe.“

Dann höre ich einige Geräusche, als wenn er etwas zusammen stecken würde.

„Wie schreibst du denn das, wenn ich das ertasten soll?“ Schrift auf Papier kann man ja schlecht ertasten.

„Auf meiner Seite ist ein Brett mit Löchern, da stecke ich die Buchstaben ab.“

„Aha.“ Wieder dieses Geräusch.

„Bist du fertig?“, frage ich nach einer Weile, da mir langweilig wird.

„Moment...jetzt.“ Ich kann hören wie er das Brett dreht und dann an den Vorhang schiebt. Nervös strecke ich meine Hände vor, dringe unter den Stoff durch und ertaste das kalte Brett. Orientierungslos versuche ich mit meinen Fingerspitzen auf der glatten Fläche den Anfang zu finden. Erfolglos.

„Warte, ich helfe dir.“ Plötzlich spüre ich seine warmen Hände auf den meinen. Sanft streichen sie über meine Haut und führen mich über eine Stelle, wo ich eine Erhebung erfühlen kann. „Da musst du anfangen.“

Meine Haut kribbelt unter seinen Berührungen, doch er nimmt seine Hände nicht fort. Vorsichtig taste ich mich weiter und brauche eine Weile um das System zu verstehen., trotz der Tabelle. Seine führende Berührungen stehlen mir zusätzlich die Konzentration.

„S...L...E...nochmal E?“

„Ja, weiter.“

„Ähm, P? I...N...G. Sleeping?“

„Der Kandidat hat fünfzig Punkte.“, scherzt er und ich kann ein Grinsen in seiner Stimme mitschwingen hören.

„Nur fünfzig?“, schmolle ich gespielt.

„Ja, für die vollen Hundert musst du den Rest auch noch herausfinden.“

„Okay...“ Einer seiner Finger, ich nehme an der Daumen, schmiegt sich an meine Haut und streicht meinen Zeigefinger entlang.

„B...nochmal E...A...U...D...“

„Nicht ganz.“

„Ah T, nicht D.“

„Weiter.“

Es fällt mir immer schwerer, und David weiß es. Er macht es mit Absicht! Er will mich verwirren, aber warum?  Ich bin ein furchtbar schlechter Verlierer, selbst wenn es um so kleine Spielchen geht. Also verbietet es mir schon mein Stolz einfach abzubrechen, oder mich wegen seiner unfairen Methoden zu beschweren.

„Einer noch.“

„Y! Also, Beauty? Sleeping Beauty?“

„Hundert Punkte, Dornröschen!“ Und dann spüre ich seine Lippen auf meinem Handrücken, aber nur kurz, flüchtig, ehe ich sie erschreckt wegziehe und aufspringe. Verwirrt und etwas verdutzt sehe ich in sein Gesicht, in der Hoffnung zu erkennen was das eben sollte, doch David schaut mich nur belustigt an. An seiner Miene kann man es allerdings ablesen. Es war ein Scherz. Schon wieder! Warum macht er andauernd diese Sachen mit mir?

Er hebt beschwichtigend die Hände. „Keine Angst, ich wollte dich nicht beißen.“

Das beruhigt mich allerdings nicht wirklich, denn immer noch kribbelt die Haut, an der Stelle wo seine Lippen eben noch lagen wie wild. In meinem Hals bildet sich ein Knoten, was mich am sprechen hindert.

Er merkt es, glaube ich, denn er steht seufzend auf und wir gehen schweigend weiter zum nächsten Spiel.
 

Wir bleiben länger als gedacht im Center, schlendern durch einige Läden und schauen uns die komplette Ausstellung an, die ja eher zum mitmachen gedacht ist, als nur zum angucken.

Dann machen wir uns auf den Weg zu Kaisers, endlich, denn ich habe langsam wirklich Hunger! Draußen hat es schon lange angefangen zu dämmern.

„Was brauchen wir denn?“

„Nudeln haben wir noch, also Sahne, Käse, Schinken, und magst du Champignons?“ Ich nicke.

„Gut, dann noch Champignons. Tomaten könnten wir auch noch reinschnibbeln, die haben wir allerdings auch noch zu Hause.“

Er geht voran und ich folge ihm, da ich mich im Laden nicht auskenne, doch er scheint schon öfter hier gewesen zu sein, so zielstrebig wie er sich bewegt. Er trägt wieder die enge Jeans, die er auch auf Alinas Geburtstag an hatte, aber er könnte wohl fast alles tragen ohne scheiße auszusehen. Das ist bei mir anders, ich sehe immer nur durchschnittlich aus, egal was ich trage. Nun ja, nicht ganz egal, denn sicher würde ich in solchen Hosen einfach lächerlich wirken.

An der Kasse müssen wir nicht lange warten und eine junge Kassiererin schiebt gerade unsere Waren über das Band, als mich David zu sich zieht und mir verspielt durch die Haare streicht. Er macht das in letzter Zeit immer häufiger, aber es stört mich nicht. Die Kassiererin wirft uns allerdings komische Blicke zu und grinst uns schließlich offen an.

„Ihr seid ein süßes Paar“, sagt sie völlig ungeniert, was mir ein erschrockenes Keuschen entlockt.

David schaut erst überrascht, dann strahlt er sie an.

„Aber wir....“, will ich etwas entgegnen, doch David unterbricht mich eilig.

„Danke.“ Wir packen unsere Sachen in einen Rucksack und als wir draußen sind spreche ich ihn darauf an.

„Warum hast du ihr nicht gesagt, das wir kein Paar sind?“

„Warum sollte ich? Oder kennst du sie?“

„Nein.“

„Dann lass ihr doch ihren Glauben.“

„Warum?“ Ich versteh es nicht.

„Warum willst du sie in Verlegenheit bringen und sie auf ihren Irrtum hinweisen? Lass sie doch. Manchmal sind Träume schöner als die Wirklichkeit.“

Er sagt es, als stecke da noch mehr hinter seinen Worten, doch was genau wird mir nicht klar.

„Denk nicht so viel über das nach was andere über dich denken. Eins der ersten Dinge die man lernt, wenn man etwas anders ist. Leb' ein bisschen.“

„Das tu ich doch gar nicht.“, sage ich zwar, aber insgeheim weiß ich das er schon recht hat.

„Oh doch.“

„Ein bisschen vielleicht.“

„Lass uns laufen, die Tram fährt eh nur noch im Dreißigminutentakt. Ist doch ganz schön spät geworden.“

„Wie spät ist es denn?“

Er schaut auf seine Armbanduhr. „Fast Zehn.“

„Oh, schaffen wir das dann noch mit dem Kochen?“

„Hast du noch was vor?“

„Nein.“

„Na dann.“
 

„Schau mal!“, ruft David, als wir über eine Brücke laufen, die über einen kleinen Fluss führt. „Eine Party.“, stelle ich fest, als ich seinem Fingerzeig mit den Augen folge. „Ja ich glaube sogar eine Hochzeit.“

„Lass mal irgendwo eine Pause einlegen.“, bitte ich ihn.

„Meine Füße sind vom vielen Laufen ganz wund.“

Er stimmt zu und aus Ermangelung an Möglichkeit setzen wir uns auf die Schaukeln eines Spielplatzes an dem wir vorbei kommen. Von hier aus können wir deutlich die Musik hören, die von der Feier zu uns herüber weht. Einen kleinen Anlegesteg gibt es hier auch, wo einige Boote angebunden sind. Jemand hatte einige Lichterketten aufgehängt, wahrscheinlich ein Überbleibsel der Hochzeitsfeier, denn eines der Boote ist so festlich geschmückt, wie man es normalerweise von einem Auto erwartet, in dem das Brautpaar abfährt.

Neben mir höre ich Davids Schaukel knarzen, als er sich leicht vom Boden abstößt.

„Hast du jemals vor zu Heiraten?“, frage ich ihn unvermittelt aus einer Laune heraus.

„Wie kommst du denn jetzt darauf?“

Ich zucke mit den Schultern. „Weiß nicht. Aber es gehört doch zur Lebensplanung dazu, oder? Eine Frau finden, Heiraten, Kinder kriegen.“

„Und dann willst du einen Baum pflanzen und ein Haus bauen oder wie?“, gluckst er. Ich lege den Kopf schief.

„Vielleicht.“

„Also das mit den Kindern geht schon rein biologisch bei mir nicht. Aber Heiraten wäre schon möglich. Na ja, oder zumindest eine 'eingetragene Lebenspartnerschaft'.“

„Oh, daran habe ich gar nicht gedacht. Sorry.“

„Schon gut, Kleiner.“

„Ich bin nicht klein, du bist nur größer als ich.“, sage ich halbherzig.

Inzwischen ist es schon richtig dunkel um uns geworden und ich kann das Wasser sachte gegen die Bäuche der Boote platschen hören.

„Ich kann mir das gar nicht richtig vorstellen. Heiraten meine ich.“

Ich schaue nachdenklich zu Boden. Sein ganzes Leben nach einer Frau richten stelle ich mir irgendwie komisch vor. Was finden nur alle daran? Selbst meine Mutter schwärmt dauernd von ihrer Hochzeit mit Dad.

„Na ja, zuerst kommt der Antrag, dann das obligatorische 'ja, ich will' und dann tanzt ihr. Oh und den Kuss darfst du natürlich nicht vergessen! Fertig.“

Ich schüttle nur den Kopf über seine Worte.

„Der Ablauf ist mir schon klar, aber ich kann mir das so kaum vorstellen.“

Ich höre seine Schaukel wieder knarzen und Kleidung raschelt, als sich plötzlich sein Gesicht vor meines schiebt. Graue Augen schauen in meine.

„Das mit dem Antrag überspringen wir einfach mal würde ich sagen.“ Er grinst mich schelmisch an.

Er räuspert sich und verbeugt sich dann sehr vornehm vor mir.

„Werte Dame, darf ich sie zu einem Tanz auffordern?“

Erst will ich erbost widersprechen, doch dann zucke ich nur mit den Schultern und versuche mich auf sein Spiel einzulassen. Warum nicht?

„Na gut, tretet mir aber nicht auf die Füße, werter Herr...“

„Siegfried von Unruh. Aber Sie können mich Siegfried nennen, wo wir doch schon verheiratet sind. Und keine Sorge, ich bin des Tanzens durchaus mächtig.“

Belustigt greife ich elegant nach seiner ausgestreckten Hand und lasse mich auf die Füße ziehen. „Nun Gut, Sir Siegfried.“

„Wie ist ihr werter Name holde Maid?“

„Solltet ihr dies nicht wissen, wo wir doch schon so eng verbunden sind?“

„Verzeiht, er ist mir bei Ihrem Anblick wohl entfallen, so sehr habt ihr mich in Euren Bann gezogen.“ Seine Mundwinkel zucken leicht, doch er schafft es tatsächlich halbwegs ernst zu bleiben.

Seine Hand legt sich sanft auf meine Taille, die andere erfasst meine noch freie Hand, seine Finger schieben sich dabei zwischen meine.

„Dann nennen Sie mich einfach Dornröschen. Wir müssen uns beeilen, ehe meine Eltern nach mir suchen.“

Langsam finde ich sogar gefallen an dem Spiel, kann aber ein Grinsen nicht verkneifen. Die Musik von neben an ändert sich und wird langsamer.

„Das heißt sie wissen nichts von dieser Soirée?“

„Oh, wohl kaum. Ich fürchte, ich werde Hausarrest bekommen.“

Der Sand unter unseren Füßen macht es etwas schwer sich zu bewegen, doch er stört sich nicht daran und ergreift die Führung. Er kann es wirklich. Tanzen meine ich.

Ich allerdings nicht, sodass es eigentlich nur eine Frage der Zeit war, als ich plötzlich stolpere und mit einem leisen Schrei nach hinten falle. Vor Schreck klammere ich mich an David der lachend neben mir im Sand landet. Wir sehen uns an und dann muss auch ich lachen. Einen Moment liegen wir so da, bis ich wieder seine Stimme höre. Ganz nah an meinem Ohr. „Liebliches Dornröschen, ich fürchte ich muss mir ein Versprechen einholen, das ihr mir gabt.“

„Und dieses wäre?“

„Ihr verspracht mich zu lieben und zu ehren, doch einen Kuss bekam ich nie.“

„Ist das so?“, flüstere ich. Ist das immer noch ein Spiel? Ich fühle mich wie betäubt.

Ich höre wie er sich aufsetzt und dann beugt er sich vor zu mir. „Ja“, haucht David.

Er ist direkt über mir und schaut mich mit einem seltsamen Blick an. Das Lächeln, das ich so an ihm mag erlischt von seinen Lippen und in seinen klaren, grauen Augen, die mich so eindringlich mustern, liegt eine unausgesprochene Frage, die ich nicht kenne, nur erahnen kann.

Die Lichterketten um uns herum spiegeln sich in seinen Pupillen wider wie Sterne, und so wirkt es, als würden seine Augen zu dem Sternenhimmel über uns dazu gehören.

Eine Kette baumelt von seinem Hals schwebend zwischen uns, und als er sich tiefer hinab beugt kann ich das kalte Metall durch den Stoff des Shirts auf meiner Brust fühlen und dann...seine Lippen auf den meinen.

Sanft streichen sie darüber, schmusen mit leichtem Druck. Sie sind weich und rau zugleich.

Männerlippen.

Davids Mund... Es kribbelt in meinem Bauch, in meinem Rücken und Hitze steigt mir in die Wangen, als ich ohne wirklich nachzudenken den Kuss leicht erwidere. Nur ganz leicht, vielleicht bemerkt er es nicht einmal.

Mein Herz pocht so wie wild in meiner Brust, dass ich angst habe es würde zerspringen! Meine Hände graben sich in den Grund unter mir und fühlen den kühlen Sand, der sofort zwischen meinen Fingern davon rieselt.

Zuckersand nannten wir das als Kinder.

Ich kann seinen Atem auf meiner Wange spüren, der genauso heftig geht wie mein eigener. Davids Lippen fühlen sich so gut an...ich spüre alles so intensiv, als wäre dies mein erster Kuss. Nichts anderes fühle ich in dem Moment.

Nur ihn!

Der Kuss wärt nur ein paar Sekunden, und doch, habe ich das Gefühl schon seit Minuten hier im weichen Sand zu liegen. Doch dann zieht er sich zurück, fährt mit seinen Händen durch sein dichtes Haar und schließt gequält die Augen.

Verwirrt finden meine Finger den Weg zu meinen Lippen und betasten diese, als würde es mir verstehen helfen. Mein Herz klopft noch immer stark in meiner Brust.

Er hat mich geküsst.

„Wir sollten gehen, es ist spät.“, höre ich seine monotone Stimme.

Da ich unfähig bin zu antworten, nicke ich nur und stehe ebenfalls auf.

Den ganzen Weg zu ihm nach Hause schweigen wir. Ich weiß eh nicht was ich sagen könnte. Immer wieder schwirrt diese eine Erkenntnis durch mein zermartertes Hirn. Er hat mich geküsst...

Immer wieder diese Worte. Ich kann an nichts anderes denken! Und noch etwas anderes bahnt sich seinen Weg nach draußen, ausgebrochen aus den tiefen Winkeln meines Herzens.

Er hat mich geküsst...und ich mochte es!
 

*



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2015-04-02T20:43:21+00:00 02.04.2015 22:43
YAYYY!!<3
Endlich geküsst!Herzlichen Glückwunsch *mit Konfetti durch die Gegend werf*
Man war das wiedermal ein himmlisches Kapi,man ich liebe diese Geschichte <333
Antwort von:  ellenorberlin
02.04.2015 22:46
Das freud mich total X///D bei solchen Kommis schreibt man doch gerne FF's =^-^=
hehe, es wird noch besser, lies schnell weiter xD~


Zurück