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Der Schatten des Doktors

von

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Ruinen und Schatten

Zwei Monate nach der Trennung

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Rose umklammerte das Lenkrad so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten und zwang sich auf die Straße zu achten, weil sie sich nur schwer konzentrieren konnte. Immerhin hatte sie es bisher geschafft keinen Unfall zu bauen, auch wenn jetzt zum Abend hin viele Pendler den Großraum London verließen.
 

Allerdings war sie froh, dass sich der Verkehr im Endstück der M11 stark verminderte und so kaum noch andere Autos an ihr vorbeizogen. Sie war zwar nun in der Nähe von Cambridge, hatte sich aber dazu entschieden, zunächst an der Stadt vorbei zu der Stelle zu fahren, an dem die Überreste des Wagens gefunden worden waren.
 

Warum, dass wusste sie selbst nicht so genau, schwirrten in ihrem Kopf doch immer noch alle Informationen wild durcheinander, die sie von diesem Privatdetektiv erhalten hatten. Sie wusste jetzt zwar in vielen Einzelheiten, was John nach dem Verlassen der Penthouse-Wohnung getrieben hatte, aber alles, was mit dem Tag seines Verschwindens zusammenhing blieb weiterhin reine Spekulation. Vielleicht mochten der Ermittler und ihr Vater nicht glauben, dass Johns Wagen zerstört worden war – sie selbst war sich absolut sicher, dass es sich um ihn handelte.
 

„John, verdammt John, in was hast du dich da wieder rein geritten!“ fluchte sie laut und trat unwillkürlich wieder aufs Gas. Und dann kamen die Schuldvorwürfe zurück. „Hätte ich doch nur versucht dir zuzuhören, dann wäre es erst gar nicht so weit gekommen … hätte ich doch nur einmal ein wenig mehr nachgedacht, dann …“
 

Im nächsten Moment hielt sie in ihren Selbstvorwürfen inne. Hätte … hätte … hätte … ja, das hätte sie alles tun können, aber auf der anderen Seite: Wäre sie damals schon dazu fähig gewesen? Hätte sie sich soweit öffnen können, um John mit anderen Augen zu sehen?
 

Nein, natürlich nicht!
 

Sie schüttelte wie zur Bekräftigung den Kopf und verringerte entschlossen die Geschwindigkeit. Die M11 näherte sich ihrem Ende, und danach waren es vermutlich nur noch ein paar Kilometer aufs Land hinaus.
 

'Wir hätten uns wie immer nur gestritten, weil ich ab einem bestimmten Punkt dicht gemacht hätte!', dachte sie, als die Ernüchterung kam und holte dann tief Luft. Das half ihr endlich dabei, ihre Gedanken zu sortieren, etwas, was ihr in ihrem Zimmer noch nicht gelungen war.
 

Dort hatte sie immer nur zwischen Vorwürfen, Verzweiflung und Wut geschwankt, was sie daran gehindert hatte, überhaupt einen klaren Plan zu fassen. Selbst die Entscheidung loszufahren war aus dem Bauch heraus geschehen, nicht aus dem Kopf. Sie hatte etwas tun müssen – sonst wäre sie noch geplatzt.
 

„Also, Rose“, murmelte sie zu sich selbst und atmete tief durch. „Was sagte der Privatdetektiv noch genau? Es handelt sich um ein altes Fabrikgebäude auf einem verwilderten Grundstück, etwa zwanzig Kilometer nördlich von Cambridge. Zwar abgesperrt … aber dennoch leicht zugänglich für jeden, wenn man weiß wie und wo.“
 

Sie grinste und dachte an Mickey und ihre gemeinsame wilde Phase. Nach welchen Schlupflöchern hatten sie damals wohl gesucht, wenn sie sich die verlassenen Grundstücke des Viertels genauer ansehen wollten? Natürlich nach Lücken im Bretterzaun, Löchern im den Maschendraht, verbogene Metallgitter und so fort. Das Werkzeug, das sie eventuell benötigte, hatte sie auf jeden Fall hinten im Auto.
 

Jetzt wusste sie auch, was sie hier eigentlich wollte: Nach Spuren suchen, die die Polizei und Torchwood übersehen hatten, nach kleinen aber feinen Hinweisen, die ihr weiterhelfen konnten, die Bestätigung zu finden, dass es sich um Johns Wagen handelte … oder wenigstens, was dafür gesorgt hatte, dass das Auto so ausbrennen konnte, ohne Spuren zu hinterlassen.

Vermutlich würde sie das Wrack nicht mehr vorfinden … aber damit hatte sie von Anfang an auch nicht gerechnet – Torchwood pflegte in diesen Angelegenheiten gründlich zu sein. Sie hoffte nur, dass sowohl die Polizei als auch die geheime Regierungsorganisation inzwischen abgezogen waren, und sie in Ruhe herumstöbern konnte.

Ansonsten …
 

Für einen Moment huschte ein Lächeln über ihre Lippen.
 

… dachte sie an die Zeit ihrer großen Abenteuer zurück. Damals hatten weder sie noch der Doktor sich an Absperrungen gestört, auch wenn sie sich damit manchmal in gehörige Schwierigkeiten gebracht hatten. Irgendetwas würde ihr dann schon einfallen. Ganz bestimmt.
 

Das halb ihr gelassener zu werden, breitete sich doch ruhige Zuversicht in ihr aus. Selbst wenn sie nichts mehr fand, was ihr weiterhelfen konnte würde sie diesen Ort schon einmal als kalte Spur abhaken können und wissen, dass sie hier nicht weiter kam.
 

Die M 11 ging nun in eine ausgebaute Landstraße über, die sich erst einmal in nichts, außer der Geschwindigkeit von der Autobahn unterschied. Deshalb nutzte sie den nächsten Parkplatz aus, um die Straßenkarten zu Rate zu ziehen.
 

Natürlich hätte sie auch das Navigationsgerät einschalten können, aber das sie wollte sich nicht noch verfolgbarer machen, als sie es ohnehin schon war. Während der Rast stellte sie fest, dass ihr Magen rumorte – kein Wunder, hatte sie doch seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Ein paar trockene, schon etwas muffig schmeckende Kekse aus dem Handschuhfach mussten reichen, um den ersten Hunger zu stillen – richtig essen konnte sie später.
 

Eine halbe Stunde später erreichte sie ihr Ziel und wunderte sich nicht, warum die Besitzer die Fabrik aufgegeben hatten. Rundherum waren nur brachliegende Felder und in der Ferne ein größeres Waldstück zu sehen – die Landschaft wirkte kaum erschlossen, und auch die Straße wirkte nicht gerade vertrauenswürdig mit den ganzen Schlaglöchern.

Das ganze wirkte so, als habe seit dem Zweiten Weltkrieg niemand mehr etwas mit der Gegend angestellt. Vermutlich hatte die Fabrik deshalb die Jahre danach nicht überlebt und war ihrem Schicksal überlassen würden, was die Ruinen zweier Hallen und eines kleineren Verwaltungsgebäudes verrieten.

Die Dächer waren längst eingestürzt, nur noch die Hälfte die Backsteinmauern ragten in die Höhe. Ein Teil war zusammengebrochen oder abgebaut worden, der Rest schimmerte im Licht der untergehenden Sonne noch röter als sonst. All das lag hinter einem ganz normalen Maschendrahtzaun zwischen Wildwiesen.
 

Rose bemerkte aber auch die Spuren von Fahrzeugen auf der teilweise eher lehmigen Straße. Diese waren zu deutlich um mehr als ein paar Tage alt zu sein, aber das wunderte sie aufgrund der Informationen, die sie hatte, auch nicht.
 

Deshalb musterte sie aufmerksam die Umgebung, und parkte schließlich bewusst unter ein paar eng zusammen stehenden Bäumen, um nicht gleich aufzufallen. Zwar war noch kein Laub an den Zweigen aber das dichte Astwerk reichte sehr tief, dass der Wagen von der schon ein paar hundert Metern entfernten Landstraße aus nicht mehr sichtbar sein würde.
 

Danach stieg sie aus und ging zum Kofferraum, um sich entsprechend auszurüsten. Eine Zange, das Messer, vielleicht auch noch … Sie klappte eine Verkleidung weg, nachdem sie die Sperre freigeschaltet hatte und holte sich die Schusswaffe und ein Ersatzmagazin heraus, denn man konnte nie vorsichtig genug sein.
 

Rose strich sich die Haare aus der Stirn, klappte den Kofferraum wieder zu und sah sich noch einmal in aller Ruhe um. Die Sonne schien ihr warm ins Gesicht und vermittelte wie die ersten Vogelstimmen die Hoffnung auf baldigen Frühling. Der Himmel hier zeigte ein paar blaue Flecken zwischen den Wolken, und dazwischen war auch ein Zeppelin mit Werbeaufdruck zu sehen, der unablässig seine Bahn zog …
 

Sie kniff für einen Moment die Augen zusammen, dann aber beschloss sie sich in die Bewegung zu setzen und das nicht als schlechtes Zeichen anzusehen. In London gehörten die Luftschiffe zum üblichen Bild und bevölkerten zu Dutzenden den Himmel, warum sollte es hier auf dem Land so viel anders sein?
 

Deshalb richtete sie ihren Blick jetzt nach vorne und suchte nach einem Zugang auf das Gelände, auch wenn sie sich mit der Kneifzange im Maschendraht leicht einen hätte schaffen können. Etwa hundert Meter weiter wurde sie fündig. Das lockere Metallgeflecht flatterte an einer Stelle in einer plötzlich aufgekommenen Bö hoch und verriet ihr so, welchen Zugang die Jugendlichen benutzt haben dürften. Zwar schien der Zugang schon einmal notdürftig geflickt worden zu sein – aber das hatte offensichtlich nicht lange gehalten.
 

Rose grinste amüsiert und schlüpfte durch die Lücke. Wenn sie noch vor Sonnenuntergang die Ruinen erreichen und das Restlicht der Dämmerung ausnutzen wollte, dann konnte sie sich nicht mit solch kleinen Details aufhalten.
 

Die Wildwiese erwies sich dann doch als tückischer als sie gedacht hatte. Überall waren Maulwurfshügel und kleine Senken, die das Gelände uneben machten, teilweise gut unter Gras aus den letzten Jahren versteckt. Ein zügiges Vorankommen hatte sich damit erledigt, vor allem, als sie zwischen dem braunen Gestrüpp auch noch verkohlte Stellen, Reste von Aluminiumverpackung oder allen möglichen Plastikmüll sah und ihr glitzernde Glasscherben ins Auge fielen. Offensichtlich wurde diese Wiese bei trockenem und sonnigen Wetter gerne für allerlei wildes Treiben genutzt.
 

Die Sonne war schon halb hinter dem Horizont verschwunden, als sie die erste der Hallen erreichte. Tiefe Schatten verdeckten den Fuß der Mauern, so dass sie nach der Taschenlampe greifen musste, um die dunklen Stellen auszuleuchten.
 

Wo genau der Wagen gefunden worden war, hatte der Privatdetektiv nicht sagen können, weil man ihn nicht auf das Gelände gelassen hatte, also musste sie wohl oder übel alles absuchen. Doch vielleicht sah sie schon mehr, wenn sie die Mauer hier erst einmal umrundet hatte.
 

Rose blickte jedoch schon jetzt immer wieder zu Boden und suchte mit den Augen nach Dingen, die hier nicht hingehörten, stieg dabei vorsichtig über verrostetes Metallgestänge und und tastete sich dann vorsichtig an der Wand entlang, um den Steinhaufen vor ihr nicht weiträumig umgehen zu müssen.
 

Eine kleines Fenster bot ihr schließlich die Möglichkeit einen Blick in das Innere der Halle zu werfen. Rose pirschte sich vorsichtig heran und lugte vorsichtig durch die verbogenen Streben, die schon lange kein Glas mehr in der Fassung hielten. Sie achtete sorgsam darauf, nicht aus Versehen in einen der verbliebenen Splitter zu greifen, die noch dazwischen steckten.
 

In dem Halbdunkel war zunächst nicht viel zu erkennen, doch ihre Augen gewöhnten sich schnell an das schwache Licht, das in der halb zerfallenen Halle herrschte. Nur zehn, vielleicht fünfzehn Meter von sich entfernt, sah sie auch die völlig zerwühlte Fläche, von der deutliche Reifenspuren wegführten. 'Hier muss das Autowrack gelegen haben!', durchfuhr es sie wie ein Blitz, während ihr Herz vor Aufregung schneller zu schlagen begann.
 

Sie hatte überraschend schnell gefunden, was sie suchte, nun musste sie nur noch die richtigen Schlüsse daraus ziehen …
 

Im nächsten Moment schrak sie heftig zusammen und hielt unwillkürlich die Luft an. Denn da war eine Bewegung am Rand der Schatten, ein schwaches Aufblitzen von hellem Stoff, der sich gegen den dunklen Boden abhob… und nun, wo sie genauer sie hinsah, erkannte sie, dass eine Gestalt am Rande der Fläche kauerte.
 

Was genau die Person da eigentlich tat konnte Rose allerdings nicht erkennen. Sie kniff die Augen zusammen, aber das half ihr auch nicht weiter – sie befand sich in einer zu ungünstigen Position zu dem oder der Unbekannten, die sich jetzt langsam aufrichtete.
 

Handelte es sich hier um einen Mann oder doch um eine Frau? Rose kniff die Augen zusammen, aber das half ihr auch nicht weiter, genau so wenig wie die schulterlangen lockigen Haare. Als sich die Person etwas mehr von ihr weg drehte,konnte sie es schon besser einschätzen – das war eindeutig die Silhouette eines schlanken Mannes.

Nur die Kleidung irritierte sie.

Wer bitteschön lief heute noch in einem, in den letzten Lichtstrahlen grünlich schimmernden, langen Samtjacke herum, die aus dem vorletzten Jahrhundert zu stammen schien, und trug ein lockeres Seidenhalstuch, wenn er nicht auf einen Kostümball war oder zu der Gruppe der „neuen Romantiker“ gehörte?
 

Nun stopfte der Fremde den rechteckigen Gegenstand, den er bisher in Händen gehalten hatte, zurück in die Taschen seiner Jacke und zog etwas anderes daraus hervor, einen länglichen Zylinder mit einer Verdickung am Ende. Ein leises Sirren erklang.
 

Das war doch eindeutig ein …
 

Rose liefen kalte Schauer über den Rücken, denn sie kannte das Geräusch verdammt gut. Sie machte überrascht einen Schritt nach hinten und trat dabei auf eine brüchige Stelle, die ihrem Gewicht nicht stand halten konnte.
 

Der Steinbrocken unter ihrem rechten Fuß knickte weg, sie verlor das Gleichgewicht und ihr blieb nichts anderes übrig, als einen Schritt zur Seite zu machen, um die Wucht des Aufpralls abzufangen.
 

Rose taumelte mit einem überraschten Aufschrei weiter und konnte nicht verhindern, dass sich ein paar Steine von dem Haufen lösten, an dem sie sich notgedrungen abstützen musste, und natürlich nicht gerade geräuschlos herab polterten. Bei dieser unglücklichen Aktion schürfte sie sich nicht nur die Hände auf, sondern schlug sich auch noch das rechte Knie an einem spitzen Mauerrest an.
 

„Aua. Verdammt!“ fluchte sie nach der ersten Schrecksekunde und wollte sich schon wieder aufrichten, als sich ihr bereits eine Hand helfend entgegen streckte.
 

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine warme Stimme besorgt. „Übrigens, ich bin der Doktor.“



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