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Der Schatten des Doktors

von

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Cambridge-Geheimnisse

Eineinhalb Monate nach der Trennung

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John stützte die Hände auf die Umfassung der alten Steinbrücke und blickte nachdenklich über den Fluss, den sie überspannte. Träge und grau strömte der River Cam dahin … wirkte ebenso trostlos wie das verfaulende Gestrüpp am Ufer und die braunfleckigen Wiesen des Parks, die das Gewässer umgaben.
 

Jetzt im Februar konnte man wirklich noch nicht von Frühlingserwachen sprechen, eher das Gegenteil war der Fall, auch wenn der Himmel heute einmal nur wolkenverhangen war und es nicht nieselte oder gar regnete.
 

Aber das kümmerte ihn nicht, denn er hatte in diesem Moment andere Bilder vor Augen. Er sah das Wasser im Sonnenlicht glitzern, spürte für einen kurzen Moment das warme Holz einer langen Stange in den Händen und dachte daran, wie entspannend es sein konnte, eines der Boote, die man zwischen Ende März und Oktober mieten konnte, den Fluss entlang zu staken und dabei die malerische Landschaft zu genießen.

Vor allem verliebte Paare nahmen diesen Service in Anspruch um die romantische Szenerie zu genießen, die ihnen dieser Teil der Stadt bot, oder solche Träumer wie er.
 

Daran hatte sich in all den Jahren … Jahrzehnten … Jahrhunderten nichts geändert und auch die Silhouette der Gebäude in der Umgebung des Parks vermittelten den Eindruck, dass hier in Cambridge die Zeit still zu stehen schien … wenn man einmal davon absah, dass einem auf dem zweiten Blick doch die ein oder andere Satellitenschüssel an der Wand oder ein Funkmast auf den Dach für das Mobilfunknetz ins Auge stach.
 

Zwei Wochen war er nun schon hier – und langsam vermischten sich die neuen Eindrücke mit den alten Erinnerungen an frühere Besuche in dieser Stadt der Gelehrsamkeit und versöhnten sich miteinander. Er konnte dieses Wissen nun endlich sein Eigentum nennen … und daraus neue Kraft für sich schöpfen.
 

John schloss für einen Moment die Augen und streckte sein Gesicht dem Wind entgegen. Die kalte Böe ließ sein Gesicht prickeln, was er als sehr belebend empfand. Der Aufenthalt an diesem Ort tat ihm wirklich gut, denn jetzt endlich kam sein aufgewühltes Inneres zur Ruhe.
 

Er kämpfte nun nicht mehr ständig gegen den Widerwillen, der Ersatz des Doktor für Rose sein zu müssen, weil sie eigentlich diesen liebte - und nicht ihn selbst. Statt dessen versuchte er mittlerweile das Erbe seines Originals einfach als Aspekt seiner eigenen Persönlichkeit zu sehen und dabei herauszufinden, was an ihm anders war … und was er selbst daraus machen wollte.
 

Immerhin steckte auch eine ordentliche Prise Donna in ihm, wenn er ehrlich mit sich war. Die Auseinandersetzungen mit Rose hätten nämlich nicht unbedingt so heftig ablaufen müssen, wie sie es getan hatten … da hatte ihm ihre aufbrausende Art und ihre Sturheit manchmal ein Schnippchen geschlagen.

Aber nun spürte er auch, dass sie ihm ebenfalls gute Eigenschaften hinterlassen hatte – die Fähigkeit, nicht mehr länger an den Fehlern der Vergangenheit zu nagen und sich davon herunter ziehen lassen, sondern einfach mit den Schultern zu zucken und unbeirrt mit dem weiterzumachen , mit dem er angefangen hatte, in der Gewissheit, dass es irgendwie immer weiter ging.

Dazu kam ihre lebhafte Art mit anderen Menschen umzugehen. Es machte regelrecht Spaß, die Leute unbeschwert anzusprechen, los zu quasseln und seine Argumente vorzubringen, ehe die anderen auch nur einen Piep sagen konnten.
 

Warum war ihm bisher nicht aufgefallen? Der Doktor, war zwar auch nicht schlecht in diesen Sachen gewesen – ha, dennoch nicht so gut wie er in den letzten Tagen! Tiefe Zufriedenheit erfüllte ihn – das erste Mal seit Jahren.
 

John steckte die Hände zurück in die Taschen und schlenderte weiter. Er schlug einen Weg durch den Park ein, der ihn am Fluss entlang führte und ertastete dabei auf der einen Seite sein Notizbuch, auf der anderen ein paar zusammengefaltete Seiten Papier – Kopien, die er aus dem Stadtarchiv mitgenommen hatte und die seine bisherigen Erkenntnisse bargen.
 

Er dachte mit einem Schmunzeln an Mary Sullivan, die Angestellte, die ihm beim Sichten der Unterlagen geholfen hatte, weil er „die freundliche und zuvorkommende Höflichkeit eines Gentleman besäße, die viele ihrer anderen Kunden bereits vermissen ließen“.
 

Und vielleicht … wenn er die Blicke und Bemerkungen richtig einschätzte … schien die ältere Dame, die im nächsten Jahr in den Ruhestand gehen wollte, die „Gesellschaft eines jüngeren Mannes mit gepflegtem Äußeren und entsprechenden Manieren“ auch zu genießen.
 

So hatte er neben den Informationen, nach denen er eigentlich suchte, noch einige Dinge mehr über die Archivarin erfahren, die vielleicht für ihn nicht für Belang waren, aber eine Verbindung schufen, auf die er vielleicht noch einmal zurück kommen konnte.
 

Und dass er sich die Zeit nahm, ihr geduldig zuzuhören, auch wenn es ihm manchmal schwer fiel, rentierte sich schon jetzt, denn im Gegensatz zu den Archiven in London hatte man hier viele der Loseblattsammlungen und Bücher noch nicht digitalisiert, so dass sie über eine zentrale Datenbank abrufbar waren, sondern verließ sich noch auf Kartei-Register und lange Regale in einem altertümlichen Keller.

Das bedeutete, das vieles noch mühsam per Hand gesucht werden musste … aber er hatte ja auch Zeit und Muße dazu. Er hatte unterhaltsame Tage in den Räumen des Stadtarchivs verbracht, in denen alles nur darauf abzielte, die alten Schriften möglichst lange der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Schon bald hatte er sich genau so sicher wie Mary zwischen den Regalen bewegt und hatte ihr gelegentlich auch beim Einsortieren geholfen – so dass sie sich damit revanchiert hatte, ihm Zugang zu den Daten zu gewähren, an die man eigentlich nur mit Sondererlaubnis durch die Stadtkurator kam.
 

Da sie jedoch gesehen hatte, wie sorgsam er mit allem umging, hatte sie keine Bedenken gehabt, ihn auch einmal eine Stunde alleine zu lassen. Und die hatte John gut genutzt, um sich in die Vergangenheit der Familie Gate einzulesen. Er fasste die Erkenntnisse kurz für sich zusammen.
 

Inzwischen kannte er so nicht nur die Geburts- und Todesdaten, der für ihn interessanten Mitglieder der Familie, sondern auch ein wenig mehr.

Penelopes Vater Archibald hatte als Professor für Physik und Mathematik am St. Cedd's College bis ins Jahr 1903 unterrichtet und noch bis Ende 1909 gelebt, ihre Mutter Mary, die vor allem durch ihre literarischen Salons und Veranstaltungen in der Gesellschaft für Gesprächsstoff sorgte, war fast zwei Jahrzehnte nach dem Gemahl „einsam, ohne den Beistand ihrer Anverwandten nur in der Obhut einer Pflegerin“ gestorben.
 

Penelope wurde zunächst immer wieder nur im Zusammenhang mit ihren Eltern erwähnt und wurde erst ab dem Jahr 1885 mehrfach in einer der lokalen Zeitungen, die auch Klatsch und Tratsch verbreitete, als „zugegebenermaßen hochbegabte aber leider auch skandalös aufführende Tochter des respektablen Professors Gate“ bezeichnet, „die sich mit Dingen beschäftigte, die sich eigentlich für eine junge Dame nicht ziemten“.
 

Der letzte Eintrag stammte von 1889. Es handelte sich nicht um viel mehr als eine kleine Notiz in den Gesellschaftsnachrichten, in der erwähnt wurde, dass „Miss Gate im kleinen Kreis den Bund der Ehe mit ihrem entfernten Cousin, einem gewissen Doktor Ulysses aus Amerika, geschlossen habe und das junge Paar dann überraschend schnell mit unbekanntem Ziel abgereist sei.“
 

Dieser Hinweis hatte ihn in Hochstimmung versetzt, aber auch schon bald wieder ernüchtert, denn danach fehlte jede Spur von ihr, auch die Frage, nach dem späteren Wohnort der frisch Verheirateten blieb ungeklärt. Damit hatte sich dann aber auch diese Quelle erschöpft.
 

„Oh, geben Sie Die Hoffnung noch nicht auf, Mr. Smith, denn das alte und ehrwürdige Cambridge vergisst seine Kinder nicht so schnell, vor allem nicht, wenn sie viel zu seinem Wohl beigetragen haben. Ich würde vorschlagen, Sie suchen einfach einmal das St. Cedds College auf und sprechen mit dem dortigen Archivar, Mr. Wilks. Vielleicht gibt es dort ein paar Aufzeichnungen mehr als hier, immer hin haben der Professor und seine Familie lange Jahre dort gewohnt. Sagen Sie dem Guten ruhig, dass ich Sie geschickt habe“, hatte Mary ihm am Mittag noch mit einem freundlichen Lächeln geraten. „Seine Frau und ich treffen uns regelmäßig im Bridgeclub und zu kleinen Feiern im Freundeskreis, daher sind wir einander wohl bekannt! Am Besten erreichen Sie ihn gegen fünf Uhr nachmittags, wenn es dort langsam ruhiger wird und er sich bei einem Tee entspannen kann, dann ist er auch ansprechbar. Vorher kann es nämlich gut sein, dass Sie ihn auf dem falschen Fuß erwischen, weil er sich wieder einmal über respektlose Studenten geärgert hat.“
 

Genau das wollte John nun in Angriff nehmen.
 

Er blieb nachdenklich an einer Wegkreuzung ohne Beschilderung stehen und überlegte. Welche Richtung musste er jetzt einschlagen? Unwillkürlich blickte er nach rechts, dann wieder nach links … versuchte sich die Wegbeschreibung zusammen zu reimen, so gut er konnte … oder sich auf sein Gespür zu verlassen.
 

Plötzlich zuckte ein scharfer Schmerz durch seinen Kopf, ein kurzes unangenehmes Stechen, das er nur all zu gut kannte … und dann kam das Wissen ungefragt an die Oberfläche seines Bewusstseins. Zum St. Cedds College ging es nach rechts, dessen war er sich ganz sicher. Denn Ende der 1970ger Jahre war er schon einmal hier gewesen und genau diesen Weg mit seiner damaligen Begleiterin Romana entlang geschlendert, um eigentlich nur einen alten Freund zu besuchen, aber statt dessen war er dann in ein gefährliches Abenteuer geraten, dass ihm fast seinen Verstand geraubt …
 

Er rümpfte angewidert die Nase. „Ach was …“
 

Natürlich handelte es sich hier wieder nur um die Erinnerungen des Doktors, aber das war ihm in diesem Moment ehrlich gesagt, ziemlich egal, zumindest war die Wegbeschreibung hilfreich.
 

Zwar lief nun auch noch ein kalter Schauder über seinen Rücken … wie eine zusätzliche Warnung, dann aber schüttelte er das unangenehme Gefühl energisch ab. Selbst wenn da etwas sein mochte, an das er sich im Augenblick nicht erinnern konnte – was sollte ihn das scheren, wollte er doch nur zu diesem Mr. Wilks und nicht zu einem der dort ansässigen Professoren, so wie ein anderer Mann in einem anderen Universum. „Jetzt recht es mir! Ich lasse mich doch nicht von Ahnungen ins Bockshorn jagen, die nicht einmal die meinen sind!“, schnaubte John und straffte die Schultern.
 

Dann schlug er mit zügigen, schnellen Schritten die ausgewählte Richtung ein, wurde erst langsamer, als er den Park verlassen hatte und ein paar Straßen weiter den Gebäudekomplex sah, bei dem es sich um das gesuchte College handeln musste.
 

Da er, seiner Armbanduhr zufolge sogar noch eine halbe Stunde Zeit hatte, blieb er erst einmal vor dem Metallschild neben dem Eingang stehen und studierte nachdenklich die Informationen über St. Cedds, das wohl bereits Anfangs des 18. Jahrhunderts errichtet und in der Folge kaum umgebaut, sondern vor gut hundert Jahren nur noch um ein paar Gebäude erweitert worden war.

Zudem wurden ein paar Namen von großen Männern genannt, die hier studiert und gelehrt hatten, bevor sie ihre Spuren in der Geschichte hinterließen, ihm allerdings in den wenigsten Fällen wirklich etwas sagten.
 

Erst als er mit dem Lesen fertig war, trat er durch das weit geöffnete Tor und folgte dem Weg zu einem Durchgang. In einem Innenhof blieb er stehen und drehte sich einmal um sich selbst, studierte aufmerksam die Fassade des alten Gebäudes, als wolle er sie mit seinen Erinnerungsbildern vergleichen.
 

Er horchte jedoch überrascht auf, als er von der anderen Seite des Platzes Stimmen hörte. Dort strömten junge Männer und Frauen aus einer der Türen und eilten die Treppe davor hinunter. Offensichtlich war wohl gerade eine Vorlesung zu Ende.
 

Das war vielleicht eine gute Gelegenheit, um nach dem Weg zum Archiv zu fragen, denn noch immer hatte er keine Hinweisschilder gesehen, die ihm den Weg zu ihm weisen konnten.
 

„Hallo – entschuldigen Sie!“, sprach er spontan zwei junge Mädchen an, die in seine Richtung schlenderten und in ihrem Gespräch innehielten, als sie ihn so überhaupt erst wahr nahmen. Die eine strich ihre hellroten Locken zurück und betrachtete ihn neugierig, während die andere ihre Brille zurecht rückte und ihn kritisch musterte. „Ja, Sir?“
 

„Könnten Sie mir bitte sagen, wo ich das Archiv von Mister Wilks finde? Ich bin das erste Mal auf dem Campus, und kenne mich noch nicht so gut hier aus,“ fragte er dann mit einem gewinnenden Lächeln. „Deshalb würde ich mich über einen netten Hinweis sehr freuen.“
 

Die Brillenträgerin kicherte, weswegen, das wusste er nicht. „Oh, da müssen Sie sich aber sputen, wenn Sie noch was von Mr. Wilks wollen, denn der macht gleich Feierabend. Und den nimmt er leider ziemlich genau.“
 

„Ja, vielleicht erwischen Sie ihn noch bei seinem täglichen Ritual“, die Rothaarige grinste. „Sie müssen wissen, Mr. Wilks steht knapp fünf Minuten vor Fünf bereits mit seiner Taschenuhr an der Tür, um auf die Sekunde genau wieder in das Archiv zu treten und es dann ganz schnell abzuschließen, egal ob noch jemand drin ist, oder nicht … und dann gibt es ein Donnerwetter für denjenigen, den er dann noch in seinen heiligen Hallen aufspürt.“

Sie deutete mit dem Arm zu einem weiteren Durchgang.

„Durchqueren sie einfach die nächsten beiden Innenhöfe und dann biegen sie vor dem Park gleich rechts ab. Am Ende des Gebäudes führt eine Treppe nach unten zum Archiv.“
 

„Vielen Dank!“ John verabschiedete sich freundlich von den Mädchen, und sah aus den Augenwinkeln noch, wie sie die Köpfe zusammensteckten und miteinander tuschelten, als sie weiter ihres Weges gingen. Offensichtlich hatte der Archivar von St. Cedds einen gewissen Ruf … aber das würde er ja gleich selbst herausfinden können.
 

Nach einem weiteren kurzen Blick auf seine Armbanduhr setzte er sich in Bewegung. Immer wieder musste er nun Studenten und ihren Lehrern ausweichen. Einige davon musterten ihn interessiert und schienen zu überlegen, ob sie ihn ansprechen wollten, aber dann siegte wohl doch der Wunsch, den Feierabend zu genießen und sich nicht noch mit einem Fremden aufhalten zu wollen, der sich zu „so später Stunde“ auf den Campus verirrte.
 

John achtete deshalb darauf, jetzt so zu tun, als ginge er hier tagtäglich ein und aus, um nicht noch weiter aufzufallen. Die Beschreibung der Studentin führte ihn so auf die andere Seite des alten Hauptgebäudes, an den sich ein gepflegtes Rasenstück mit ein paar Bäumen und Blumenrabatten anschloss. Die Häuser auf der anderen Seite der Grünfläche wirkten moderner.
 

Wie von selbst schlug er den Weg zum Archiv ein und wunderte sich einen Moment über die mehr als mannshohe archaische Steinsäule am Rande eines Blumenbeetes. Sie begrenzte die barocke Darstellung der griechischen Musen, wollte aber irgendwie so gar nicht in das Bild passen …
 

John blieb irritiert stehen und rieb sich die Stirn, als es in seinem Kopf wieder gehörig rumorte. „Was zum Teufel ist jetzt schon wieder los?“
 

Ein mulmiges Gefühl machte sich in seinem Magen breit, warnte ihn vor etwas, an dass er sich wieder nicht so erinnern konnte, wie er wollte, es sei denn er riskierte eine ausgewachsene Migräne. Deshalb schüttelte er den Kopf, um den Schmerz wieder los zu werden und setzte sich trotzig in Bewegung. Er konnte jetzt nicht vor jedem Schatten zurückschrecken, die die Erinnerungen des Doktors ihm bescherten, das hatte er sich schließlich eben schon gesagt.
 

Mit weit ausholenden Schritten näherte er sich der Treppe zum Archiv und eilte sie ebenso zügig hinunter, blieb erst wieder vor dem Eingang. Er hob die Hand, um den schweren gusseisernen Klopfer zu benutzen, legte sie dann aber flach auf das dunkle Holz, denn er hatte bemerkt, dass die schwere Eichentür nur angelehnt war.
 

Erneut rann ein Kribbeln durch seinen Körper, der Nachhall einer Warnung. Aber gerade das weckte die Neugier in ihm. Vielleicht war es nur falscher Alarm und wenn nicht, dann würde er sich schnellstens auf die Situation einstellen müssen …
 

Er gab der Tür einen Schubs, so dass sie sich weit genug öffnete, um ihn ungehindert eintreten zu lassen. Ein paar schnelle Blicke in den dämmrigen Vorraum überzeugten ihn davon, dass weder jemand recht neben dem Eingang noch links lauerte und schon gar nicht hinter den beiden leeren Garderobenständern und der Hutablage.
 

So trat er ganz ein und steuerte auf die nächste Tür zu, die den Blick in einen weiteren Raum freigab. Dort verdeckten hohe Regale die hell getünchten Wände bis fast zur Decke, ließen nur die Bereiche frei, in denen sich zwei weitere Durchgänge befanden – die Eingänge zum eigentlichen Archiv vielleicht.

Das nur in der Mitte wirklich gut durch anachronistisch wirkende Neonröhren ausgeleuchtete Zimmer wurde ansonsten von einem großen Schreibtisch beherrscht. Auf dem lagen neben einem antik wirkenden Telefon mit Wählscheibe ein paar sorgfältig ausgerichtete Bücher und Akten.
 

„Mr. Wilks!“ rief John. „Hallo, sind Sie da?“ Er hatte nicht übersehen dass hier ganz offensichtlich bis gerade eben noch jemand gearbeitet hatte, denn ein Füllfederhalter lag offen auf einem Blatt Papier, mitten auf einem handgeschriebenen Text.
 

Im nächsten Moment weiteten sich jedoch seine Augen, denn als er sich ein Stück nach rechts beugte, entdeckte er eine Hand auf dem Teppichboden.
 

„Mr. Wilks?“ Hastig umrundete er den Tisch und sah nun den leblos wirkenden Körper neben dem umgestürzten Stuhl. Sofort kauerte er sich neben den Mann und tastete nach dessen Puls, bemerkte dann erst die in den Teppich gesickerte Blutlache unter dem Kopf und dann die Wunde an der Schläfe.
 

Seine oberflächliche Untersuchung ergab, dass der Mann zwar noch lebte, jedoch umgehend Hilfe brauchte. Und die sollte er jetzt besser rufen …
 

John richtete sich wieder auf und erstarrte in dem Moment, in dem er nach dem Hörer des Telefons auf dem Tisch hatte greifen wollen. Er sah in die Mündung einer Waffe, die ihm bekannt vorkam – auch wenn er deren Herkunft nicht genau zuordnen konnte. Ebenso wenig verstand er, warum er jetzt niesen musste. Lag es an dem stechenden Geruch, der plötzlich in seine Nase stieg?
 

Egal … darüber sollte er sich jetzt keine Gedanken machen, eher um etwas anderes … Langsam und bedächtig legte er die Hände auf die Tischplatte, um sein Gegenüber nicht zu reizen, und hob langsam den Kopf.
 

„Bedauerlicherweise haben Sie etwas gesehen, was sie nicht hätten sehen sollen!“, sagte der Unbekannte, ein ganz in schwarz gekleideter Mann, dessen Gesicht so weit im Schatten lag, dass er außer dem Vollbart und einem schmallippigen Mund nicht viel sehen konnte.
 

„Hören Sie, der Mann braucht dringend Hilfe, sonst stirbt er … “ John versuchte es mit einem unschuldigen und besorgten Blick. „ … Wollen Sie wirklich daran Schuld sein. Wir können doch da-“
 

Er wurde mitten im Wort abgeschnitten, als ein Lichtstrahl aus der Waffe schoss und ihn mit voller Wucht in den Oberkörper traf. Es war kein physischer Schlag, der ihn dazu zwang, sich nun verzweifelt an der Tischkante festzuklammern, nur eine Taubheit, die sich von seiner Brust immer weiter ausbreitete und lähmte – aber noch nicht genug um in Bewusstlosigkeit zu fallen.
 

Der Fremde trat einen Schritt vor. Er schien sichtlich überrascht zu sein.
 

John zwang sich – auch wenn es ihm schwer fiel - noch einmal den Kopf zu heben. „Wir können … wirklich …“
 

Doch der Mann ließ nicht zu, dass er sein Gesicht besser erkennen konnte. Statt dessen drückte er ein zweites, dann ein drittes Mal ab. Die Benommenheit, die Lähmung waren nun nicht mehr so leicht abzuschütteln wie eben.

John hatte keine Kraft mehr in den Händen und Armen. Sein Griff erlahmte … dann sackte er am Schreibtisch zusammen und spürte, wie seine Sinne den Dienst versagten.
 

Schließlich war da nur noch eine Stimme, die sich in seinen Geist brannte, ehe es ganz dunkel um ihn wurde. „Das ist wirklich interessant. Normalerweise brechen Menschen schon nach dem ersten Schuss bewusstlos zusammen. Bei dir jedoch habe ich wesentlich mehr gebraucht … Solltest du tatsächlich der sein, den ich suche?“



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