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Zwischen Fieber und Stolz

ZdW-Jubiläumsspecial
von

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Eskorte vs. Leichtsinn

Bis zur Bahn war es noch gutgegangen. Ich habe Ukyo versichert, dass er mich nicht weiter begleiten muss, da es vom Bahnhof bis zum Meido wirklich nicht weit ist. Ich will nicht, dass man uns zu oft zusammen sieht – ihm zuliebe.

Aber im Zug kehrte der Schwindel zurück. Ein Gefühl der Mattigkeit überkam mich, und obendrein zittere ich unter der Kälte. Glaube ich. Vielleicht hätte ich Tomas Angebot nicht ausschlagen sollen. Ich könnte jetzt gemütlich im Bett liegen und warten, dass sich alle Probleme von selbst lösen. Wie schön wäre das gewesen, aber nein, ich musste ja selbst losziehen. Tolle Kiste.

Es kommt mir vor, als sei es schon besser, als ich den stickigen Wagon verlassen habe. Die kühle Winterluft fühlt sich herrlich erquickend an. Zu kalt zwar, als dass ich die Hände aus den Taschen nehmen will, dennoch angenehm.

„Hey!“

Die laute Stimme lässt mich erschrocken zusammenfahren. Sie war nah gewesen, zu nah für meinen Geschmack. Ich drehe mich hastig herum und erkenne, dass es Shin ist, der auf halber Armlänge hinter mir steht.

„Shin!“, stoße ich aus und japse nach Luft. Indem ich mir die Hand auf die Brust presse, versuche ich, mein ausschlagendes Herzklopfen zu besänftigen. „Mann, tu das nie wieder! Du hast mich halb zu Tode erschreckt.“

„Was machst du für einen Aufstand?“, wirft er mir vor und zieht die Augenbrauen tief. „Selbst schuld. Ich habe dich dreimal gerufen, aber du bist stur an mir vorbeigelaufen. Mach andere nicht für deine Dummdöseligkeit verantwortlich.“

„‘tschuldige. Ich habe dich nicht gehört.“

„Das habe ich mitbekommen, Trantüte.“

Ich schnaube verächtlich. Na toll, nun habe ich ausgerechnet Shin an der Backe. Das hat mir gerade noch gefehlt. Und sonderlich nett ist er auch nicht. Was habe ich anderes erwartet?

„Darf man fragen, was du hier machst?“

„Wonach sieht es denn aus?“, patzt er zurück. Er geht an mir vorbei, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen. „Ich bin dein Begleitschutz, oder auch Babysitter für Leichtsinnige. Bedank dich bei Toma dafür. Machst du dir eigentlich gar keine Gedanken darüber, krank durch die Weltgeschichte zu spazieren? Leute wie du gehören ins Bett, schon mal davon gehört?“

„Entschuldige mal“, grolle ich und setze ihm langsam nach. „Ich weiß ja wohl noch am besten, wie viel ich mir zumuten kann. Ich würde nicht hier draußen herumstiefeln, wenn ich der Meinung wäre, es geht nicht.“

„Denkst du.“

„Weiß ich.“

„Ist mir egal.“

„Ganz toll, Shin“, werde ich ungehalten. Den Ärger habe ich gerade noch gebraucht. „Ehrlich. Habe ich dir irgendwas getan? Wieso machst du mir schon wieder Vorwürfe? Ich habe dich nicht herbeordert.“

„Tu dir einen Gefallen und spar dir den Atem.“

Ich beiße fest die Zähne aufeinander. Manchmal könnte ich ihn einfach …!

„Könntest du bitte auch mal vernünftig mit mir reden?“

Shin kommt zu einem Stopp und dreht sich nach mir herum. Stumm mustert er mich einen Moment, bis seine Miene an Strenge gewinnt. „Statt zu reden, beeile dich ein bisschen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

Boah, dieser kleine …!

„Seit wann renne ich dir hinterher?“, schnippe ich.

„Rennen kann man das nicht nennen“, kommentiert er unbeeindruckt. „Schleichen trifft es eher. Selbst ein Rentner auf Krücken würde dich überholen.“

Ich verkneife mir, ihn daran zu erinnern, dass ich immer noch krank bin. Nein, dieses Eingeständnis will ich ihm nicht machen. Bei allem was recht ist, aber das ginge zu weit.

„Wie wär’s, wenn du dich einfach umdrehst und vorgehst?“, brumme ich und wende den Blick zur Seite ab. Ich bin diese Diskussion einfach nur leid. „Oder wohin auch immer du wolltest. Ich komme schon allein zurecht, ob du es glaubst oder nicht.“

Ich sehe es nicht, spüre aber Shins eingehende Musterung auf mir ruhen. Schließlich dreht er sich ab und ich höre, wie er sich langsamen Schrittes entfernt.

Die Reue meldet sich im selben Moment. War das jetzt wirklich nötig? Ich sollte in der Lage sein, Shins Sticheleien auszublenden und darüber zu stehen. Wieso also gelingt es mir nicht? Das Ganze ist so albern. Dabei hätte ich es schön gefunden, wenn wir zur Abwechslung friedlich miteinander ausgekommen wären. Ich will nicht immerzu streiten.

Ich will ihm nachrufen, mich entschuldigen, tue es aber nicht. Ich bezweifle, dass es irgendetwas ändern würde. Mir fehlt die Kraft, um mich weiter vor ihm zu rechtfertigen und zu argumentieren. Ohne würde es nur leider nicht gehen, das weiß ich mit trauriger Gewissheit.

Entmutigt trotte ich ihm nach. Meine Laune ist unter Kellerniveau gesunken und bedient sich an meinem Frust. Bitte, ist mir egal. Ich will nur so schnell es geht ankommen, meine Tasche schnappen und dann nichts wie nach Hause. Blöd, dass Shin und ich dieselbe Strecke haben. Ich will nicht auf seinen Rücken starren müssen, weswegen ich meinen Blick starr gen Pflaster gesenkt halte.

Ich ignoriere alles um mich herum: die Passanten, die städtische Umgebung. Irgendwann holt mich ein kräftiger Ruck aus meinem tranceartigen Zustand, was mich aufschrecken lässt. Ich taumle zwei Schritte zur Seite, drehe mich ungelenk auf meinen Absätzen herum und fürchte für einen Schreckmoment, das Gleichgewicht zu verlieren. Zum Glück ist da dieser feste Halt an meinem Arm, der zwar dezent schmerzt, mich aber vor Schlimmerem bewahrt.

„Bist du blind? Sieh nach vorn, Dummkopf!“, höre ich Shin mich schelten. Irritiert sehe ich mich um, bis ich die rote Ampel erkenne, vor der wir inmitten weiterer Passanten stehen.

„Unglaublich“, rümpft er sich, wobei seine Hand von mir ablässt. „Du bist wirklich unglaublich. Willst du dich überfahren lassen? Wenn du nur vor dich hin träumst, hättest du zu Hause im Bett bleiben sollen.“

„Danke“, flüstere ich leise und wende den Blick ab. Ich bin beschämt, dass mir diese Unachtsamkeit unterlaufen ist. Das hätte mir nicht passieren dürfen. „Du hast recht, ich habe nicht aufgepasst. Tut mir leid.“

Stille kehrt zwischen uns ein, die mich im Unklaren lässt, was in Shin vorgeht. Ich wage nicht, zu ihm aufzusehen. Zu groß ist die Scham, die an mir nagt.

„Sag mal“, spricht er nach einiger Zeit. „Was ich nicht verstehe: Wieso bist du vor die Tür gegangen? Du wirst wohl kaum in deinem Zustand arbeiten wollen.“

„Ich habe meine Tasche vergessen“, erwidere ich kleinlaut, nahezu flüsternd.

„Und? Die wird auch noch da sein, wenn du wieder auf Arbeit kommst.“

„Ich weiß, aber es befinden sich wichtige Dinge darin. Ich kann nicht solange warten.“

Er schweigt einen Moment, wohl um über mein Gesagtes nachzudenken.

„Hättest du sie dir nicht von jemandem bringen lassen können? Toma zum Beispiel. Der Kerl reißt sich darum, andere zu verhätscheln.“

„Ich weiß. Er hat es mir auch angeboten, aber ich wollte es niemandem aufhalsen. Ich dachte, das schaffe ich auch allein.“

Wieder wird es still zwischen uns. Als sich alle anderen um uns herum in Bewegung setzen, verharrt Shin weiterhin an meiner Seite. Fragend richte ich den Blick an ihn.

„Brauchst du eine Einladung?“, höre ich ihn fragen.

Ich bemerke mit Verwunderung, dass er mir seinen Arm entgegenhält. „Was genau wird das?“

„Wonach sieht es aus?“, gibt er ruhig zurück. Ich bin verwirrt, als ich in seinem Gesicht kein Anzeichen von Vorwurf erkenne. Im Gegenteil, fast wirkt sanft, wie er mich aus seinen stechend roten Augen besieht. „Los jetzt, es bleibt nicht ewig Grün. Zum Meido ist es kürzer als zu dir, oder nicht?“

„Schon, aber ich kann allein gehen.“

„Das haben wir gesehen.“

Ich seufze ergebend. Es nützt nichts. Eine weitere Diskussion ist zu ermüdend.

Ich lasse jeden Widerstand fallen und hake mich bei ihm unter. Wir sprechen kein Wort, als wir gemeinsam im Strom die Straße überqueren.

Ich will es mir nicht eingestehen, aber ich bin erleichtert. Ich freue mich sehr über diese kleine Geste des Waffenstillstands. Auch wenn es nur Shin ist – oder vielleicht gerade weil er es ist – empfinde ich im Augenblick ein Glücksgefühl, wie es mit Worten kaum zu beschreiben ist.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Erenya
2017-02-26T22:37:04+00:00 26.02.2017 23:37
Er macht sich auch sorgen um dich sonst würde er nicht tun was Tomaten sagt. Wahrscheinlich hat Tomaten ihm die escorte nicht einmal aufgedrückt sondern er sich selbst.
Würde zu ihm passen. Und mal ehrlich recht hat er. Du bist ein Idiot und hättest im Bett bleiben sollen.


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