Zum Inhalt der Seite

Mister Liar

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

~ On this special day, I came to see you ~

„Und? Worauf wartest du noch?“

 

„Bitte?“ Yukke runzelte die Stirn und schaute sein Gegenüber überrumpelt an. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“

 

Wohl nicht, denn Sato war schon aufgesprungen und im Flur verschwunden. Seufzend vergrub er sein Gesicht in beiden Händen und ließ den Kopf hängen. Ein wenig mehr Mitgefühl hätte er sich schon erhofft und wenn nicht das, dann doch wenigstens ein bisschen Empörung über Tatsues Verhalten. Immerhin hatte er Satochi gerade sein Herz ausgeschüttet und ihm sogar von dem seltsamen, aber eindeutigen Telefonat mit Yumiko erzählt. Da war es doch nur nachvollziehbar, dass er sich nun ein klein wenig Zuspruch erhofft hatte, oder etwa nicht?

 

Vom Flur her drangen gelegentliches Scheppern und leises Fluchen an seine Ohren und normalerweise wäre er schon längst aufgestanden und hätte nach dem Rechten gesehen, denn Satochi konnte ein ebenso großer Schussel sein wie Tatsuro. Aber gerade hatte er größere Sorgen als die körperliche Unversehrtheit seines Bandkollegen oder der Wohnungseinrichtung. Am liebsten würde er sich nun im Bett verkriechen, sich unter der Decke verstecken und nie wieder darunter hervor kommen. Allein der Gedanke daran, Tatsuro irgendwann konfrontieren zu müssen, ließ erneute Übelkeit in ihm hochsteigen. Unwirsch wischte er sich über die Augen, die verdächtig zu brennen begonnen hatten. Was sollte er denn jetzt nur tun? Vielleicht hatte er die Situation lediglich falsch eingeschätzt? Sicherlich würde Tatsuro später nach Hause kommen und alles wäre wie immer. Ganz bestimmt … oder nicht?

 

„Hier.“ Yukke schreckte aus seinen verzweifelten Gedanken auf, als ihm plötzlich etwas Weiches über die Haare gezogen wurde.

 

„Was?“ Skeptisch tastete er mit einer Hand nach der Wollmütze, als die sich der Stoff auf seinem Kopf entpuppte und nahm die Sonnenbrille entgegen, die ihm Sato, von einem Ohr zum anderen strahlend, entgegenstreckte. „Du weißt aber schon, dass wir es gerade mal Spätsommer haben und … wie siehst du überhaupt aus?“ Satochis Haare waren unter einem Kopftuch versteckt, wie man es vor allem von Arbeitern auf dem Fischmarkt kannte, und auch auf seiner Nase thronte eine große Sonnenbrille.

 

„Das ist Tarnung.“

 

„Tarnung?“ Yukke entkam ein kurzes, ungläubiges Lachen, während er unbewusst mit den Bügeln der Sonnenbrille spielte. „Wozu müssen wir uns denn bitte tarnen?“

 

„Weil wir beide jetzt zum Tokyo Tower fahren und gucken, ob an dieser Sache mit Yumiko und Tatsuro wirklich etwas dran ist.“

 

„Wie kommst du auf den Tokyo Tower?“

 

„Na du sagtest doch, Yumiko hätte den Tower und ein Restaurant erwähnt. Ich bin mir sicher, sie treffen sich im …“

 

Sanji’s Oresama Restaurant!” Yukke schluckte schwer und rieb sich erneut über die Augen. „Da wollten Tatsue und ich schon ewig mal hin, haben aber nie die Zeit gefunden.“

 

„Hey.“ Satochis warme Hand legte sich auf seine Schulter und drückte leicht zu. „Kopf hoch, noch weißt du gar nicht, ob das alles nicht doch nur ein riesengroßes Missverständnis ist.“

 

„Viel eindeutiger geht es doch kaum noch.“ Yukke ließ die Schultern hängen. Obwohl Sato gerade genau das ausgesprochen hatte, was ihm eben noch durch den Kopf gegangen war, glaubte er im tiefsten Inneren seines Herzens nicht daran. Schon seit den turbulenten Anfängen ihrer Beziehung war seine größte Angst gewesen, dass er Tatsuro nicht genügen würde. Dass er irgendwann das Interesse an ihm verlor und ihn verlassen würde. Und egal, was er sich einzureden versuchte, wenn er ehrlich mit sich selbst war, sprach gerade alles dafür, dass sich seine schlimmsten Befürchtungen nun bewahrheitet hatten.

 

„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass da was dran sein soll. Tatsuro hätte sich bestimmt längst verplappert, wenn dem so wäre. Also fahren wir jetzt zum Tower und schauen uns die ganze Sache mit eigenen Augen an.“

 

„Du hast recht. So eine Heimlichtuerei ist gar nicht seine Art.“ Den hoffnungsvollen Unterton in seiner Stimme konnte Yukke selbst hören, aber das was Sato sagte, machte Sinn, oder? Oder? So schnell die Hoffnung gekommen war, verpuffte sie auch wieder. Ihm war doch bereits aufgefallen, wie verschwiegen und geheimnistuerisch Tatsuro in den letzten Wochen geworden war.  „Ich halte das trotzdem für keine gute Idee, Sato. Wir können ihm doch nicht nachspionieren.“

 

„Und ob wir das können!“

 

~*~

 

Man mochte es ihrem Drummer, der manchmal etwas einfachgestrickt wirkte, vielleicht nicht zutrauen, aber wenn sich Sato etwas in den Kopf setzte, konnte er mindestens so stur sein wie Miya und Tatsuro zusammen. Beinahe vorfreudig erregt hibbelte er neben Yukke in der völlig überfüllten U-Bahn stehend herum oder tippte zwischendurch munter auf sein Handy ein. Alles in allem erweckte er den Eindruck, als könne er sich nichts Schöneres vorstellen, als Tatsue in flagranti zu erwischen. Wenigstens einer hatte seinen Spaß. Yukke indes wünschte sich weit, weit weg. Weg von den Menschenmassen, die an einem Freitagabend unterwegs waren, um die Bars und Klubs der Stadt unsicher zu machen, aber vor allem weg von seinen Gedanken und seinen Ängsten. Sein Magen fühlte sich an, als hätte er Säure getrunken, und ein unangenehmes Zittern rann beständig durch seinen Körper. Erneut stieg Übelkeit in ihm hoch. Yukke verzog das Gesicht und krampfte die Finger noch stärker um die Haltestange.

 

„Das ist eine wirklich dämliche Idee, Satochi.“ Er konnte enge Räume und Menschenmassen auf den Tod nicht ausstehen, aber noch viel weniger wollte er nun wissen, ob Tatsuro mit dieser Yumiko wirklich etwas am Laufen hatte. Wäre er doch nur zu Hause geblieben, dann hätte er sich wenigstens weiterhin einreden können, dass das alles nur ein großes Missverständnis war. Was sollte er denn nun tun, wenn sich wirklich herausstellte, dass sein Freund fremdging? Wie sollte er damit umgehen?

 

„Zu Hause im Unsicheren sitzen und warten, hätte dir nun auch nicht geholfen.“

 

„Oh, doch. Dann müsste ich wenigstens nicht in einer vollkommen überfüllten U-Bahn quer durch Tokyo fahren, nur um einer Wahrheit hinterherzujagen, die ich gar nicht wissen will!“ Yukke zog die Nase hoch, als ihn seine Emotionen erneut übermannen wollten.

 

„Hast es doch eh schon geschafft. Hier müssen wir raus.“ Satochi packte sein Handgelenk und schlängelte sich erstaunlich flink durch die vielen Menschen, während er selbst den Atem anhielt und sich mit fest zusammengekniffenen Augen einfach mitziehen ließ, bis sie endlich aus der gröbsten Enge heraus waren.

 

„Hilfe. Ich weiß schon, warum ich meist zu Fuß gehe“, schnaufte er, blieb stehen und stützte sich mit beiden Händen auf seinen Knien ab, bis das Schwindelgefühl endlich nachließ.

 

„Gehts?“

 

Yukke nickte seufzend und richtete sich langsam wieder auf. Verdammt, jetzt war ihm dank des Adrenalins auch noch fürchterlich heiß und die Wollmütze, die es darauf anlegte, sein Hirn einmal gut durchzukochen, machte die ganze Sache auch nicht angenehmer. Angewidert zog er den Saum seines gefühlt fünf Mal durchgeschwitzten T-Shirts ein Stückchen von seinem Bauch weg, damit er sich so wenigstens etwas kühle Luft zufächeln konnte, und blickte sich auf dem Bahnsteig um. Der erste Schwung feierlustiger Pendler war bereits an ihnen vorbeigegangen und bis der nächste Zug eintreffen würde, sollte sich das allgemeine Gedränge in Grenzen halten.

 

„Lass uns weitergehen, bevor die nächste Bahn einfährt.

 

~*~

 

Der kurze Fußmarsch zum Tokyo Tower gestaltete sich gänzlich unspektakulär. Keine Fans, die sie erkannten. Keine Menschenmengen, die Yukkes Leben erneut schwerer machen wollten, als es ohnehin schon war. An der Schlange vor den Aufzügen mogelten sie sich vorbei und stiegen lieber die Treppen nach oben, bis sie schließlich vor Sanji‘s Oresama Restaurant standen. Der Andrang war beachtlich, aber nicht verwunderlich an einem Freitagabend.

 

„Wow, Sato. Oh Mann, das sieht so toll aus.“

 

Für einen Moment vergaß Yukke seine Sorgen und ließ den One-Pice-Fan, der er nun mal war, durchscheinen, während er sich den Eingangsbereich und das, was er von seiner Position aus sehen konnte, in Ruhe betrachtete. Ein Sanji-Aufsteller reckte den Gästen stolz sein Tablett entgegen und ein übers ganze Gesicht strahlender Ruffy, natürlich ebenfalls aus Pappe, präsentierte die Speisekarte. Im Inneren tummelten sich Kellner in voller Cosplay Montur, aber auch einige der Gäste hatten sich in Hommage an ihre Lieblingscharaktere aus dem Manga als solche verkleidet.

 

„Ich kann sie nirgends sehen.“

 

„Hm?“ Yukke schaute fragend zu Sato, der sich den Hals reckend einige Schritte von ihm entfernt hatte und nach einem weiteren Rundumblick erneut sein Handy zückte. „Wen denn?“ Kaum hatte er seine Frage ausgesprochen, schwand das kleine Lächeln, welches bis eben noch seine Lippen geziert hatte und der verbitterte Ausdruck kehrte zurück. „Vergiss es“, winkte er ab, als nun Satochi seinerseits mit fragendem Gesichtsausdruck zu ihm herübersah, und schickte sich an, ebenfalls näher an den Eingang heranzutreten.

 

„So voll, wie es hier ist, würde es mich nicht wundern, wenn sie ihre Pläne … verdammt.“

 

„Was denn?“

 

„Da hinten sitzen sie.“

 

Yukke reckte das Kinn und folgte Satochis Fingerzeig. Die Nische, auf die sein Kumpel deutete, war halb von den Blättern einer großen Zimmerpalme verdeckt, die somit für ein wenig Privatsphäre sorgten. Und tatsächlich, dort drüben saßen sie in trauter Zweisamkeit an einem kleinen, runden Tisch. So wie es aussah, redete Yumiko gerade munter auf Tatsue ein, der sich hin und wieder ein Stückchen seines Kuchens in den Mund schob, während er allem Anschein nach aufmerksam ihren Worten lauschte. Die Szene war unverfänglich genug, sodass Yukke schon fast aufatmen und alles als einen dummen Irrtum seinerseits abtun wollte. Vielleicht hatte Tatsue vorhin wirklich von einer Bekannten gesprochen und er hatte ihn nur falsch verstanden? Und in das Telefonat mit Yumiko hatte er bestimmt lediglich zu viel hineininterpretiert. Womöglich beruhten ihre irrwitzigen Behauptungen nur auf einem von Tatsuros sehr eigenwilligen Scherzen und er hatte sich wieder einmal auf den Arm nehmen lassen. Doch gerade als er sich zu Satochi umdrehen wollte, um ihm zu sagen, dass sie nun wieder gehen konnten, legte Tatsue auf eindeutig liebevolle Weise seine Hand auf die der jungen Frau und verschränkte ihre Finger miteinander.

 

Plötzlich war ihm schrecklich kalt. Sein Magen fühlte sich an, als hätte sich die Säure binnen Sekunden in einen zentnerschweren Bleiklumpen verwandelt, der ihm nun das Atmen schwer machte. Das konnte nicht wahr sein, er konnte nicht glauben, was er da sah. Langsam setzte er sich in Bewegung, obwohl sich seine Beine anfühlten, als wären sie am Boden festgefroren.

 

„Yukke?“

Satos Stimme hörte er nur wie aus weiter Ferne, sein Blick ruhte noch immer auf dem Paar am anderen Ende des Raums.

„Yukke! He, wohin -?“

In diesem Moment erhob sich Tatsuro, nachdem er einen großzügigen Geldbetrag auf den Tisch gelegt hatte, und hielt Yumiko seinen Arm entgegen, damit diese sich unterhaken konnte.

„Was hast du vor? ‘“ Yukke spürte Satochis Hand an seinem Oberarm, den festen Griff, mit dem er ihn zurückhielt und zu einem der wenigen freien Tische zog.

„Du kannst die beiden nicht konfrontieren. Nicht hier vor all den Leuten.“

 

„Ich hab nicht vor, sie zu konfrontieren‘“, nuschelte Yukke wie in Trance, war viel zu geschockt, um sich in welcher Form auch immer dagegen wehren zu können, von Sato durch die Gegend geschoben zu werden. „Ich hab überhaupt nichts vor.“ Verzweifelt schaute er zu Tatsuro und Yumiko hinüber, die gerade nur wenige Meter entfernt an ihnen vorbeigingen, ohne sie auch nur im Ansatz zu bemerken.

„Hast du gesehen, wie glücklich er aussieht?“ Niedergeschlagen ließ er sich auf einen der Stühle sinken und starrte auf Tatsues Rücken, bis er diesen zwischen all den Menschen, die sich in und vor dem Restaurant tummelten, nicht mehr sehen konnte.

 

„Ja, das hab ich gesehen … und ich kann das echt nicht glauben.“ Sato ließ sich neben ihn auf einen weiteren Stuhl fallen und schaute ebenso perplex drein, wie Yukke sich fühlte.

„Nein, DAS glaub ich einfach nicht!“ Plötzlich schlug Sato auf den Tisch und sprang wieder auf, sodass sich einige der anwesenden Restaurantgäste verstört oder neugierig nach ihnen umdrehten.

„Wie kannst du nur so ruhig bleiben?“

 

Yukke zuckte nur mit den Schultern und starrte trübsinnig vor sich auf den sandbraunen Linoleumboden. Eine wirklich gute Frage und eine, die er sich auch schon die ganzen Minuten über stellte. Wo zum Teufel blieb die Wut? Und wenn nicht diese, dann doch wenigstens rasende Eifersucht oder zumindest Trauer? Aber alles, was er im Moment fühlte, war überwältigende Resignation.

 

„Komm jetzt.“ Sato rüttelte an seiner Schulter und schaute immer wieder hektisch in Richtung Ausgang. „Wir müssen ihnen nach, bevor wir sie verlieren!“

 

„Du willst ihnen hinterhergehen?“ 

 

„Genau. Und nun komm schon.“

 

„Du spinnst.“

 

„Vielleicht, aber lieber einen an der Waffel haben als den Kopf in den Sand stecken.“ Sato grinste ihn an und obwohl ihm gerade absolut nicht zum Lachen zumute war, zuckten seine Mundwinkel verräterisch bei diesem Anblick.

 

„Du hast recht.“ Yukke erhob sich und straffte die Schultern. „Wir gehen ihnen jetzt nach und dann stelle ich ihn zur Rede.“ Und dann würde sich hoffentlich alles als riesengroßes Missverständnis herausstellen. Oh bitte, es musste einfach so sein.

 

~*~

 

Anfangs dachte er noch, sie hätten Tatsue und Yumiko aus den Augen verloren, aber nach einigen aufgeregten Blicken zu allen Seiten war es schließlich Satochi, der die beiden einige Meter vor ihnen entdeckte. Bemüht unauffällig hefteten sie sich an ihre Fersen, wobei sie sich die Vorsicht auch hätten sparen können, da die beiden ohnehin nichts um sich herum mitzubekommen schienen. Kein einziges Mal blieben sie stehen, kein einziges Mal blickten sie sich um. Und je länger Sato und er hinter ihnen herliefen, desto öfter fragte Yukke sich, ob er sich Tatsues liebevolle Geste Yumiko gegenüber nicht doch nur eingebildet hatte. Die junge Frau war zwar immer noch bei Tatsue untergehakt und noch immer schienen sie sich prächtig zu unterhalten, aber ansonsten wies absolut nichts darauf hin, dass die beiden mehr waren als gute Freunde. Vorhin im Restaurant war er zu geschockt gewesen, um es sofort zu bemerken, aber genau wie ihm Yumikos Name, als er ihn zum ersten Mal auf Tatsues Handydisplay gelesen hatte, eigenartig vertraut gewesen war, kam ihm auch die junge Frau selbst vage bekannt vor. Nun sah er sie zwar nur von hinten und aus größerer Entfernung, aber je länger Satochi und er den beiden nachgingen, desto sicherer wurde er sich. Er kannte diese Yumiko von irgendwoher.

 

„Sato?“

 

„Hm?“

 

„Kommt dir Yumiko nicht auch irgendwie … bekannt vor?“

 

„Was? Mir? Ehm … nö. Hab sie noch nie gesehen.“

Verwundert schielte Yukke zu Satochi hinüber, der ihm plötzlich seltsam nervös erschien, aber noch bevor er ihn auf sein komisches Verhalten ansprechen konnte, blieb er wie angewurzelt stehen.

„Die gehen in ‘n Love Hotel.“ 

 

„Bitte?“

 

„Ja, da! Schau doch hin.“

 

Tatsächlich.

Das Gebäude war zwar schlichter Natur, ganz im Gegenteil zu den vielen anderen seiner Art, die mit grellen Farben und blinkenden Neonleuchten für sich warben, dennoch erkannte auch Yukke es eindeutig als ein Stundenhotel der speziellen Art. Und endlich, endlich stieg die Wut in ihm hoch und vertrieb die Lethargie, die schon seit gefühlten Stunden von ihm Besitz ergriffen hatte. Er glaubte das einfach nicht. Diese Dreistigkeit, diese bodenlose Frechheit würde ihm Tatsue büßen. Jetzt, hier vor den Augen seiner kleinen Freundin und nichts würde ihn daran hindern können! Entschlossen setzte sich Yukke in Bewegung, ließ Satochi stehen, der ihm nach einem Augenblick der Verwunderung schließlich mit eiligen Schritten folgte.

 

Yukke eilte über die Straße und hörte gerade so noch Yumikos Stimme, bevor sich die Schiebetüren des Hotels vor seiner Nase schlossen. Durch die Stellen der Glastür, die nicht mit einer blauen Werbefolie beklebt waren, sah er, wie Tatsue und seine Begleiterin in den Aufzug stiegen, dann schlossen sich die silbernen Türen hinter ihnen und weg waren sie.

 

„Und jetzt?“ Das war Satochi, der gerade neben ihn getreten war und ihn nun fragend anschaute.

 

„Wir nehmen uns ein Zimmer“, nuschelte er abgelenkt, während er schon auf dem Automaten vor der Schiebetür herumtippte, um das billigste Zimmer für eine Stunde zu buchen.

 

„Was?“ Satochis empörter Unterton zauberte ihm sogar ein kleines, wenn auch grimmig anmutendes Lächeln auf die Lippen.

 

„Was denn? Wir haben uns doch schon öfter ein Zimmer geteilt.“

 

„Wie? Aber … aber -“

 

„Ach Sato, ab und an bist du echt dämlicher, als du aussiehst.“

 

„He!“

 

„Wir brauchen die Chipkarte …“ Yukke hielt besagte Karte hoch, die der Automat soeben ausgespuckt hatte, „… um überhaupt ins Hotel rein zu kommen.“

 

„Ach so.“ Satochi lachte leise, deutlich erleichtert klingend auf und boxte ihm gegen den Oberarm. „Sag das doch gleich.“

 

Er ersparte es sich großzügig, auf irgendeine Weise zu reagieren, und steckte lieber die Chipkarte in das dafür vorgesehene Lesegerät neben der Tür. Begleitet von einem leisen Pfeifton glitt sie zur Seite und ohne noch länger zu zögern, ging Yukke auf die Aufzüge zu und drückte auf den silbernen Knopf neben einer der Kabinen.

 

„Und wie kriegen wir nun raus, wo die beiden hin sind?“

 

„Indem ich gehört habe, wie Yumiko meinte, dass vierundzwanzig ihre Glückszahl ist.“ Yukke hätte triumphierend gegrinst, wäre er nicht mit den Gedanken noch immer bei Tatsuro und der Frage, was er denn nur tun sollte, wenn er ihm in wenigen Minuten gegenüberstehen würde. Praktischerweise waren die Knöpfe des Aufzugs beschriftet, sodass es nur einen kurzen Blick bedurfte, um herauszufinden, dass sich die Zimmer sechzehn bis dreißig im zweiten Stockwerk befanden.

„Mit wem schreibst du eigentlich ständig?“ Yukke runzelte die Stirn und schaute Satochi dabei zu, wie dieser sein Handy in die Hosentasche zurücksteckte. Das war ihm schon den ganzen Abend über aufgefallen, weil Sato sein Mobiltelefon normalerweise so gut wie nie nutzte.

 

„Ach, nur mit ‘nem Kumpel. Wir wollten heute eigentlich ‘nen Film anschauen.“

 

Und da war es wieder. Yukkes schlechtes Gewissen, auf das man sich besser verlassen konnte, als auf Tokyos notorisch pünktliche U-Bahnen. Entschuldigend verzog er das Gesicht und stieg aus dem Aufzug aus, als dieser im zweiten Stockwerk anhielt.

 

„Tut mir echt leid. Statt dir nun ‘nen gemütlichen Abend zu machen, jagst du mit mir Tatsue hinterher.“

 

„Ach, Blödsinn. Das Ganze hier ist spannender als jeder Film … ehm, ich meine -“

 

„Schon gut“, seufzte Yukke und winkte ab. Vermutlich würde er ihre Verfolgungsjagd auch als spannend bezeichnen, wenn er nicht direkt involviert wäre. Kurz blickte er sich um und wandte sich nach rechts, wo sich der Beschilderung zufolge ihr gesuchtes Zimmer befinden musste. Langsam ging er über den dunkelblaumelierten Teppich, an vier oder fünf gleich aussehenden, schwarzen Türen vorbei, bis er vor der aller letzten im Gang stehen blieb. Silberne Zahlen bildeten die Nummer vierundzwanzig und Yukke musste zugeben, dass er in seinem Leben noch keine Zahl gesehen hatte, die bedrohlicher auf ihn wirkte.

Verflucht, jetzt war er hier und was nun? Sollte er lauschen? Einfach anklopfen? Himmel, er konnte doch nicht einfach klopfen. Wieder war es Satochis warme Hand, die ihn aus seinen chaotischen Gedanken riss.

„Ich kann das nicht“, murmelte er und schaute über seine Schulter in das mitfühlende Gesicht seines Kumpels.

 

„Soll ich klopfen?“

 

Yukke nickte zögernd und kniff die Augen zusammen, als Satos darauf folgendes Pochen viel zu laut durch den Flur schallte. Seine Hände hatte er zu festen Fäusten geballt und sein Herz hämmerte so stark gegen seinen Brustkorb, dass es beinahe schmerzte. Von drinnen waren gedämpfte Schritte zu hören, die Türklinke wurde heruntergedrückt und dann stand er vor ihm.

 

Tatsues Haare waren ein wenig zerzaust, die ersten drei Knöpfe seines Hemds geöffnet und an seinem Hals konnte er pinkfarbene Schlieren ausmachen, die verdächtig nach Lippenstift aussahen. Aber das Schlimmste war der geschockte Ausdruck in seinen Augen, als er erkannte, wer da vor der Tür seines geheimen Liebesnests stand.

 

„Yukke.“

 

„Hallo, Tatsuro.“ Seine Stimme klang erstaunlich ruhig, obwohl er innerlich schrie und tobte. Das konnte … durfte nicht wahr sein. Warum nur tat Tatsuro ihm das an? Seine Augen brannten, aber er würde den Teufel tun, und nun zu heulen beginnen.

 

„Was … machst du denn hier?“

 

„Ich glaube, du hast mir etwas zu erklären.“

 

„Yukke ich … Das ist nicht so, wie es –„

 

„Sag nun bloß nicht, dass es nicht so ist, wie es aussieht!“ Aufgebracht unterbrach er Tatsuros so untypisches Gestammel und verschränkte abweisend die Arme vor der Brust. „Du willst mir jetzt ja wohl nicht erklären, dass du mit deiner kleinen Freundin in ein Love Hotel gehst, um ungestört reden zu können?!“ Er war im Normalfall niemand, der schnell laut wurde und so hatte er sich nach seinem ersten Ausbruch auch wieder einigermaßen unter Kontrolle, obwohl die Wut unvermindert an ihm zog und zerrte und nach einem Ventil verlangte.

 

„Ich … es tut mir leid“, murmelte Tatsuro, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch, so als wäre er es, dem gerade das Herz gebrochen wurde. „Ich hab nicht gewollt, dass du es auf diese Weise erfährst.“

 

Himmel nein, nein, oh bitte, nein. Das durfte nicht wahr sein. Das Brennen seiner Augen wurde in gleichem Maße unerträglicher, wie der Kloß in seinem Hals anwuchs, ihm die Luft zum Atmen raubte. Wie ein böser Geist, ein Dämon, der sich an seinem Leiden laben wollte, tauchte Yumiko plötzlich hinter Tatsuro auf, schmiegte sich an seine Seite und blickte fragend erst ihn, dann Yukke selbst an. Yukke stolperte zwei kleine Schritte zurück, bis er Satochis Präsenz hinter sich spürte, der sich beinahe wie der rettende Fels in der Brandung hinter ihm aufgebaut hatte und ihm nun – wie schon so oft am heutigen Abend – tröstend die Hand auf die Schulter legte.

 

„Sprich es aus, Tatsuro. Red Klartext mit mir, das bist du mir schuldig.“ Nur das kaum hörbare Zittern seiner Stimme zeugte von dem Aufruhr, in dem sich sein Inneres befand. Es durfte nicht sein, es durfte einfach nicht Tatsuros Ernst sein; und deswegen musste er die schmerzliche Wahrheit mit eigenen Ohren hören, sonst würde er sich in seinem Unglauben verlieren.

 

„Yukke …“ Eine beinahe unerträgliche Pause folgte, in der er sich einbildete, hören zu können, wie sein Herz brach. „Es tut mir leid, aber … es ist aus.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  QueenLuna
2019-11-13T10:41:36+00:00 13.11.2019 11:41
Musste sehr lachen, als ich mir Sato und Yukke in Verkleidung vorgestellt habe xD sehr unauffällig die beiden so im Sommer xD
Ich mag die Darstellung Satos... Er ist mir echt sympathisch und wirkt wie ein toller Kumpel ^^
Für Yukke konnte ich nur Mitleid empfinden. Er muss schon arg leiden... Hab glatt mitgelitten :( wie er immer wieder Begründungen für Tatsues Verhalten sucht...
Oh man der Arme...

An Ende hab ich nur gedacht 'F*ck you, Tatsurou!' >.<

Liebe Grüße
Luna <3

PS: Bin ja mal gespannt, was du mit den ganzen subtilen Hinweisen anstellt, die du zwischendurch immer mal wieder unauffällig einstreust... ^^
Antwort von:  yamimaru
18.11.2019 18:12
Schon oder? Die beiden könnten glatt als Geheimagenten durchgehen, so unauffällig sind sie. XDDD
Und jaaa, ich muss ja auch ganz ehrlich zugeben, dass ich es absolut liebe Sato zu schreiben.
Der eignet sich einfach so super gut als Kumpel und ich glaub, ich hab mich so ein bisschen in seine Charakterisierung verliebt. XDDD Klingt das Überheblich? Ich hoffe mal nicht. ^^
Es freut mich echt für Yukke, dass du so mit ihm mitleiden kannst. Der arme Tropf braucht wirklich jede Unterstützung, die er kriegen kann. ^^ und ich glaube, wenn man in jemanden verliebt ist, so wie Yukke in Tatsuro, dann sucht man wirklich immer nach Gründen, warum sich der geliebte Mensch jetzt so seltsam verhalten könnte. Das Offensichtliche kann und will man irgendwie sehr lang nicht wahrhaben. U_U

Ha! Dir sind die Hinweise aufgefallen, wie toll! Das freut mich jetzt aber sehr und ich hoffe, dass ich alle am Ende auch aufgelöst habe - kann mich gar nicht mehr wirklich dran erinnern. XD Und deine Reaktion, was Tatsuro angeht, ist halt echt mal verständlich. Ich bin gespannt, ob er doch noch Sympathiepunkte bei dir bekommen wird. ^^

Vielen lieben Dank für dein Feedback!
<3
yamimaru
Von: abgemeldet
2017-11-02T21:20:51+00:00 02.11.2017 22:20
Yukke tut mir leid, verdammt leid!
Oh Tatsuro....*Mana's Plateauschuhe in der Hand halten und überlegen ob man sie nich Tatsuro an den Kopf werfen sollte*

Sanji’s Oresama Restaurant... eine pilgerstäte für alle One Piece fans. Unter anderen umständen wäre Yukke da bestimmt gern gewesen...
Antwort von:  yamimaru
03.11.2017 16:05
Mir hat Yukke während dem Schreiben auch leid getan. Aber ich bin mir sicher, dass er ins Sanji's auch noch öfter gehen wird. ^^ Vielleicht dann ja auch mit besseren Erfahrungen. *lacht* und pass mit Manas Plateauschuhen auf. Die sind so hoch und schwer, da ist mehr kaputt wenn du Tatsue damit haust. XD


Zurück