Zum Inhalt der Seite

Soulmate

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das Wollknäuel einer Katze


 

Kapitel 5: Das Wollknäuel einer Katze
 

Valerie
 

Ich wollte nicht nach Hause.
 

Doch in meiner Wohnung waren ein Bett und eine Dusche und Essen. Ich war am Verhungern.

Adrian war auch dort. Also wollte ich nicht nach Hause.
 

Das Geräusch des Schlüssels im Schloss glich einem Donnerschlag; das Klicken hätte die ganze Stadt wecken können. Als die Tür schließlich ohrenbetäubend aufschwang, schien ich wie durch ein Portal in eine andere Welt zu gehen: Alle Jacken hingen ordentlich an der Garderobe – ich hatte eine Garderobe? – und die Schuhe standen säuberlich aufgereiht an ihrem Platz, wo auch immer dieser herkam. Ich schmiss meine Sachen achtlos dazu und ging aus dem Flur in den offenen Ess- und Wohnbereich. Nirgendswo lagen Teller, Tassen, Klamotten oder sonst was herum. Der Couchtisch war frei, die Arbeitsfläche auch und mit der Obstschale auf der Kücheninsel gab es sogar so etwas wie Dekoration.
 

Adrian räumte gerade die Spülmaschine aus. Als er mich sah, lächelte er zunächst entspannt, doch das hielt nicht lange an. Ich musste wohl ziemlich entsetzt aussehen.
 

„Du hast aufgeräumt“, stellte ich atemlos fest. Natürlich hatte er aufgeräumt. Wer sollte es sonst gewesen sein? Es war ja nicht so, als kämen kleine Wichtel einfach so in meine Wohnung, um Ordnung zu schaffen.
 

„Ja. Ich-“, er erklärte irgendwas mit Geschirr und meinen Klamotten, doch weder verstand ich seine Worte, noch konnte ich sie in einen Zusammenhang bringen. Mein Herz raste wie auf dem Highway, ein Feuer in meinem Kopf ließ meine Augen tränen und hinter meiner Stirn explodierte das Weihnachtsfeuerwerk von New York.
 

Ich schloss die Lider und versuchte, ruhig zu atmen.
 

Es gelang mir nicht. Bis Adrian zu mir gelaufen kam. Als er mich an den Armen festhielt und mich so vor dem Umkippen bewahrte, breitete sich ein heilendes Kribbeln unter meiner Haut aus.
 

Schon wieder.
 

Augenblicklich verlangsamte sich mein Puls, als hätte er mir eine Beruhigungsspritze gegeben. Als wäre er meine Beruhigungsspritze.
 

„Hey, was ist denn los?“ Seine Stimme war laut und deutlich und so glasklar wie meine eigenen Gedanken; als beherrsche sie meinen Geist.
 

Langsam schob er mich zum Sofa.
 

„Komm, setz dich.“ Und wieder waren seine Worte zu stark und so unnatürlich nahe. Ein schallendes Echo blieb in meinem Kopf zurück; es verdrängte meine innere Stimme und öffnete der erneut aufsteigenden Panik alle Türen zu meinem Innersten.
 

Omega.
 

Psi.
 

Chi.
 

Phi.
 

Doktor Stein meinte, ich solle mir eine Übung suchen, die meine volle Konzentration beansprucht und sämtliche Störfaktoren verdrängt. Ich hatte mal versucht, Primzahlen rückwärts aufzulisten, angefangen mit der größten, die ich kannte, aber ich war noch nie ein Freund von Zahlen gewesen.
 

Ypsilon.
 

Tau.
 

Sigma.
 

Rho.
 

Pi.
 

Adrian war so ein Störfaktor.
 

Omik
 

Der Moment, in dem mir das bewusst wurde, kam, noch bevor ich Alpha erreicht hatte. Ich fand mich auf der Couch wieder. Meine Beine lagen in die Luft gestreckt auf einem Stapel aus Kissen und Decken. Die Waffe kniete neben mir auf dem Boden. Mir fiel auf, dass Adrian eigentlich ein ziemlich hübscher Störfaktor war: Schulterlange, dunkle Haare, die zum Verwuscheln

einluden, hohe Wangenknochen, braune Augen, die eigentlich grün sein wollten.
 

Sein besorgter Gesichtsausdruck und das zitternde Wasserglas in seiner Hand passten nicht zu der Reaktion auf diese Szene,

wie ich sie in meinem Kopf hatte.
 

„Geht’s dir gut?“, fragte er wieder in einem normalen Ton. „Du bist plötzlich umgekippt.“
 

„Ja.“ Ich wollte mich hinsetzen, doch Adrian – wie ein Retter in der Not – stützte mir gleich den Rücken und hielt mir das Glas unter die Nase. „Schon okay“, beschwichtigte ich ihn. „So was kommt öfter vor.“ Ich wimmelte ihn ab und trat mit den Füßen

so kräftig gegen die Decken und Kissen, dass das Polster sich chaotisch im Wohnzimmer verteilte.
 

„Also fällst immer du einfach so um?“ Seine Stimme klang übertrieben besorgt. „Hast du das mal mit einem Arzt abgeklärt?“ Er war ein viel zu guter Mensch. Viel zu gut für mich. Keine Ahnung, was sich der Shinigami dabei gedacht hatte.
 

„Ja. Na ja, ich“, versuchte ich zu erklären, während ich mich mental darauf vorbereitete, bereits nach 24 Stunden Bekanntschaft von meinem neuen Partner für verrückt gehalten zu werden. Er war schließlich nicht der Erste. „Hat der Shinigami … oder Doktor Stein … irgendwas von meiner … verkorksten … Seele gesagt?“
 

Adrian musterte mein Gesicht genau und ich war mir sicher, dass er nach Defiziten suchte. „Mehr oder weniger.“ Die würde er in Massen finden. „Was bedeutet das? Verkorkste Seele?“
 

Mein Kopf pochte schmerzhaft, als ich mich aufsetzte. „Also … Stell dir vor, jemand hat eine total musikalische Seele, er möchte immer von Musik umgeben sein. Und ein Anderer hat eine total faule Seele. Derjenige liegt am liebsten den ganzen Tag im Bett. Verstehst du, was ich dir sagen will?“
 

Adrian starrte mich an wie ein Auto. Eine seiner Augenbrauen ging nach oben und es sah urkomisch aus, aber jetzt zu lachen wäre unangebracht gewesen.
 

„Kein einziges Wort.“ Er schüttelte sachte den Kopf.
 

„Gut“, gab ich zurück. „Ich nämlich auch nicht.“ Ich setzte meine Füße auf dem Laminatboden ab und stand langsam auf. Kein Schwindel, keine Übelkeit, nur ein bisschen Kopfschmerzen. Alles im grünen Bereich. „Ich weiß nur, dass ich in manchen Situationen umkippe und dass das irgendwas mit meiner Seele zu tun hat. Aber das ist hoch komplizierte Wissenschaft, von der ich keine Ahnung habe. Wenn du irgendwas wissen willst, solltest du zu Doktor Stein oder dem Shinigami gehen.“ Ich trat an ihm vorbei und lief zügig in Richtung meines Zimmers.
 

„Warte.“ Adrian war ebenfalls aufgestanden und sah mich skeptisch an. „Hat das etwas mit mir zu tun? Oder damit, dass ich aufgeräumt habe?“
 

Ich zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vermutlich.“
 

„Soll das heißen, dass du selbst nicht weißt, was mit dir los ist?“ Er stellte das Glas in seiner Hand ein bisschen zu heftig auf den Couchtisch, sodass das Wasser überschwappte. Er war wütend.
 

„Ja, ich versteh es selber nicht. Deshalb erwarte ich auch gar nicht, dass du das tust. Also nerv mich bitte nicht damit.“ Ich drehte mich um und verließ das Wohnzimmer mit trampelnden Schritten.
 

„Aber ich könnte dir doch helfen“, rief die Waffe und kam mir hinterher.
 

„Glaubst du nicht, dass ich es nicht schon längst versucht hätte, wenn es irgendetwas gäbe, was mir helfen könnte?“ Meine Wut schien sich auf ihn zu übertragen. Als ich mich erneut abwenden wollte, griff er nach meinen bandagierten Armen.

Schmerz und noch irgendetwas anderes durchfuhren mich.
 

„Was war das heute in der Schule? Wer war dieses Mädchen? War sie diejenige, die dich verletzt hat?“

„Das geht dich einen Scheiß an! Lass mich los!“ Er ließ nicht los, sogar als ich anfing, seine Unterarme mit meinen Fingernägeln zu zerkratzen.
 

„Aber ich habe dich gesehen. Ich meine, nicht dich direkt, aber das Bad und diese Person in einer Art Vision. Ganz deutlich, als wäre ich selbst dort. Was zur Hölle hat das zu bedeuten?!“
 

„Woher soll ich das wissen? Vielleicht kannst du ja hellsehen!“
 

Adrian ließ immer noch nicht locker. Also rammte ich meine Fersen in das abgelaufene Laminat und warf mich mit einem gesamten Körpergewicht in seine Magengrube. Er stöhnte und beugte sich nach vorn, als er mich freigab. Ohne zurückzublicken, lief ich in mein Zimmer, schlug die Tür unmissverständlich laut zu und drehte den Schlüssel herum.

Theatralisch warf ich mich auf den Kleiderhaufen, unter welchem sich mein Bett befand. Immerhin war dieser Raum von Adrians Aufräumattacke verschont geblieben.
 

Als es irgendwann später leise an der Tür klopfte, blieb ich liegen.
 

„Hey. Ich … ich habe dir Abendessen gemacht.“
 

In meinem Nachtschrank war noch ein kleiner Crackervorrat. Ich brauchte kein gottverdammtes Abendessen. Schon gar nicht von ihm.
 

„Valerie?“
 

Als er meinen Namen sprach, veränderte sich irgendwas.
 

„Hau ab!“, rief ich der Veränderung entgegenwirkend, doch es war zu spät: Die Wut, von der ich mich nährte, um nicht hungrig zu werden, löste sich in Luft aus. Mein Magenknurren klang wie das Brüllen einer Furie.
 

„Ich lass dir den Teller hier stehen.“
 

Ein klapperndes Geräusch. Schritte. Stille. Geistesabwesend öffnete ich die Schublade meines Nachtschrankes und zog eine leere Plastiktüte heraus. Keine Cracker.
 

Na toll. Ich hatte nicht gefrühstückt. Mein Mittagessen bestand aus einem Sandwich vom Dienstag, das Adrian mir mitgebracht hatte – wahrscheinlich, weil es das einzig Essbare in meinem Kühlschrank gewesen war – und einem Proteinshake. Als ich das laufende Wasser der Dusche im Bad hörte, schlich ich mich nach draußen. Adrian hatte einen Teller über den anderen gelegt, damit das Essen nicht kalt wurde, und Besteck daneben in eine Serviette gerollt. Geräuschlos nahm ich alles und schloss mich

wieder ein.
 

Vorsichtig hob ich den oberen Teller an und spähte darunter. Dampfende Nudeln kamen zum Vorschein. Natürlich waren sie noch warm. Natürlich dufteten sie fantastisch. Natürlich schmeckten sie fantastisch. Wahrscheinlich lag es am Käse und nicht etwa an seinen tollen Kochkünsten, die für ein paar Nudeln nun wirklich nicht erforderlich waren. Geschmolzener Käse machte schlichtweg alles besser.
 

Adrian kochte also. Er räumte auf. Er kümmerte sich um andere. Er hatte die besten Ergebnisse bei den Sporttests. Wahrscheinlich sprach er Französisch oder Mandarin oder irgendeinen anderen exotischen Kram und sendete jeden Monat fünf Dollar nach Namibia, damit sich eine arme Familie eine Ziege leisten konnte. Wahrscheinlich war sein Vater Arzt und seine Mutter Sängerin oder Tänzerin am Broadway und seine Geschwister gingen allesamt auf Eliteunis und private Highschools, während er in die Wüste von Nevada verbannt wurde, um für mich zu kochen und meine Wohnung aufzuräumen.

Aber weil er so ein guter Mensch war, beschwerte er sich nicht.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück