Zum Inhalt der Seite

Soulmate

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Straßenjunge


 

Kapitel 12: Straßenjunge
 

Adrian
 

Am darauffolgenden Tag geschah etwas, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte.
 

Die Mittagspause verbrachten Valerie und ich mal wieder in der von Leuten überlaufenden Mensa an einem der hinteren Tische. Als wir uns gerade setzen wollten, trat Soul mit stampfenden Schrittes heran.
 

"Komm nach der Pause in den Garten mit den Bäumen hinter der Schule", ordnete er an.
 

"Aber ich habe heute Nachmittag noch Unterricht."
 

"Schwänz ihn", erwiderte er bloß und verschwand in die Richtung, aus der er gekommen war.
 

"Ich kann doch nicht ständig den Unterricht schwänzen." Jetzt, wo ich nach so langer Zeit wieder zur Schule ging, wollte ich ungern etwas verpassen. Doch meine Meisterin löffelte nur unberührt ihre Kürbissuppe.
 

"Also, in manchen Fällen dürfen EAT-Schüler NOT-Schüler freistellen, um mit ihnen zu trainieren. Natürlich unter der Beobachtung Shinigamis."
 

Verblüfft sah ich sie an. "Du meinst, er will mit mir trainieren?"
 

"Gut möglich."
 

Und es kam tatsächlich so.
 

Nach dem Essen erwartete Soul mich am hinteren Schulausgang. Lässig nickte er mir zu, als er mich kommen sah. Neben ihm

stand ein hochgewachsenes, unglaublich hübsches Mädchen mit einem langen, schwarzen Pferdeschwanz. Soul sagte etwas zu

ihr, woraufhin sie leichtfüßig auf mich zukam und mir ihre Hand entgegen streckte.
 

"Hi!" Ein leichtes Lächeln zierte ihr helles Gesicht. "Ich bin Tsubaki, eine Freundin von Soul und Maka. Freut mich dich kennenzulernen."
 

Ihre Hand war ganz weich, als ich sie schüttelte. Augenblicklich schoss mir das Blut in die Wangen.
 

"H-hallo", stammelte ich verlegen.
 

Auf dem Weg durch das kleine Wäldchen fragte Soul:" Sollte BlackStar nicht eigentlich auch kommen?"
 

"Ach, na ja", seufzte Tsubaki. "Er war schon den ganzen Tag deprimiert, weil er heute Morgen zwei Liegestütze weniger geschafft hat als gestern. Er meinte, er wolle lieber ein extra Workout machen, anstatt mit einem Anfänger zu üben."
 

Der Weißhaarige brummte nur.
 

Die beiden liefen voraus. Zwischen den Bäumen um uns herum tauchten ab und zu Meister mit ihren Waffen auf, die

gegeneinander kämpften oder Angriffe in die Luft schlugen.
 

Auf einer kleinen ruhigen Lichtung blieben wir schließlich stehen.
 

"Und", fragte ich missmutig, "was machen wir jetzt?"
 

"Wir werden an dieser miesen Verwandlung arbeiten." Soul verschränkte streng die Arme. "Kannst du einzelne Körperteile verwandeln?"
 

"Nur den rechten Fuß und die Finger der rechten Hand."
 

"Du bist Rechtshänder, oder? Auch stumpf oder scharf?"
 

Ich nickte. "Scharf. Meistens", ergänzte ich.
 

"Zeig mal."
 

Erwartungsvoll sahen die beiden mich an. Irgendwie fühlte ich mich von ihren Blicken unter Druck gesetzt, versuchte aber mich nicht allzu sehr davon beeinflussen zu lassen.
 

Ich atmete einmal tief durch die Nase ein und konzentrierte mich auf die Energie meines Körpers. Ich schickte sie von meiner Körpermitte ausgehend durch meinen Arm in die Fingerspitzen. Gespannt traten Soul und Tsubaki näher. Ein weißes Licht umgab meine rechte Hand und schlanke, helle Klingen kamen zum Vorschein.
 

Gemäß dem Vorführeffekt waren sie natürlich: stumpf. Ich spürte die Schamesröte bis in beide Ohren. Tsubaki lächelte ein bisschen hilflos, während Soul mich lauthals auslachte.
 

"Mach dir nichts draus." Verständnisvoll klopfte das Mädchen mir auf die Schulter. "Eigentlich war das schon richtig gut. Die meisten Anfänger können sich gar nicht auf Kommando verwandeln, aber du hast das schon drauf. Das ist super, dann musst du nur noch an der Schärfe arbeiten."
 

Kurz überlegte ich, ob ich ihr sagen sollte, dass ich mich in New York bereits Dutzende Male mit scharfen Klingen gewehrt hatte, entschied mich aber dagegen.

Derweilen war Souls Gekicher verstummt.
 

"Dass du das schon kontrollieren kannst, ist praktisch", meinte er. "Jetzt musst du das nur noch üben. Verwandel Finger, Zehen, Hände und Füße so oft wie möglich. Auch auf der linken Seite."
 

"Wozu?", fragte ich. "Ich muss nicht selber kämpfen, das macht doch der Meister."
 

"Und was machst du, wenn dein Meister verletzt oder bewusstlos ist?" Sein Ton wurde eine Nuance dunkler, die Hände waren tief in seinen Hosentaschen vergraben. "Was, wenn dein Meister bewusstlos und dein rechter Arm verletzt ist? Dann sterbt ihr

beide, weil du nichts drauf hast."
 

Ein unangenehmer Schauer jagte durch meine Wirbelsäule.
 

"Aber", versuchte ich einzuwenden, "Shinigami würde es doch nie so weit kommen lassen. Ich meine, er würde es doch nie riskieren, dass seine Schüler sterben. Oder?"
 

"Tja." Soul grinste diabolisch und präsentierte dabei seine scharfen Haifischzähne. "Was glaubst du, warum es so schwer ist, in die EAT zu kommen?"
 

Kurz brach mir der kalte Schweiß aus und eine blutiges Bild blitzte vor meinem inneren Auge auf. Nur, dass diesmal nicht ihr toter Körper im Dreck von New York lag, sondern Valeries.
 

"Also ehrlich", durchbrach Tsubaki die düster aufkommende Atmosphäre. Rügend stupste sie Soul mit dem Ellenbogen in die Seite – mir fiel auf, dass sie ganz anders mit ihm umging als Maka – und wandte sich dann an mich: "Es ist wirklich ganz, ganz selten, dass Schüler bei einem Auftrag ernsthaft verletzt werden oder sogar sterben. Dafür gibt es viel zu viele Sicherheitsvorkehrungen. Aber darum brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen. Konzentrier' dich lieber erst mal auf deine Verwandlung.“
 

Die Sense nickte zustimmend. "Es ist so: Je mehr Körperteile du gleichzeitig verwandeln kannst, desto einfach fällt dir die vollständige Verwandlung. Das geht am besten, wenn du dich von außen nach innen arbeitest. Du fängst also mit fünf Fingern an, dann mit zehn, dann die Zehen, dann Finger und Zehen gleichzeitig. Dann eine Hand, dann beide und immer so weiter. Und irgendwann kannst du's. Ist reine Übung. So", er stemmte entschlossen die Hände in die Hüften. "Anderes Thema: Wie gut kannst du alleine kämpfen?"
 


 

~*~
 

Am späten Nachmittag erst kam ich mit diversen Blessuren nach Hause. Schwerfällig zog ich Jacke und Schuhe aus und

schleppte mich durch den Flur.
 

Valerie stand mit einer Tasse Tee an der Kücheninsel und blätterte durch ein Magazin.
 

"Was ist denn mit dir passiert?", fragte sie, als sie von den Seiten aufschaute und wahrscheinlich mein blaues Auge erblickte.
 

"Ich wurde verprügelt." Mit dem Gesicht voran ließ ich mich der Länge nach auf das Polster der Couch fallen.
 

"Schon wieder?"
 

"Mmh-hhm", brummte ich ins Kissen. "Von einem Mädchen. Einem sehr, sehr gutaussehenden noch dazu."
 

Valerie lachte kurz amüsiert. Bei diesem Klang war ich für einen kleinen Augenblick ein wenig froh, so fertig gemacht worden zu sein.
 

"Glaub mir, es gibt an dieser Schule eine ganze Menge hübscher Mädchen, die dich ohne große Mühen verprügeln können. Mich

eingeschlossen"
 

Mit einer Packung Tiefkühlerbsen trat sie an mich heran. Dankend nahm ich sie an.
 

"Wer war es denn?", fragte sie. "Ich dachte Soul wollte mit dir trainieren."
 

"Hat er auch. "Ich drehte mich auf den Rücken und drückte mir die kalte Verpackung auf das geschwollene Auge. "Das heißt, er stand daneben und hat dabei zugeguckt, wie Tsubaki mir haushoch überlegen war, und mich regelmäßig ausgelacht. Kennst

du sie?"
 

"Ich kenne vor allem ihren Meister. War er auch da?"
 

"Nein." Ich richtete mich auf, damit Valerie sich mit ihrem Getränk neben mich setzen konnte.
 

"Solltest du Tsubaki mal mit ihm zusammen begegnen, dann lass dir bloß nicht anmerken, dass du auf sie stehst. Sonst hat er dich ein Leben lang auf dem Kiecker. Und mich gleich mit."
 

"Ich steh nicht auf sie", stellte ich deutlich klar, konnte aber nicht verhindern, dass mir das Blut in die Wangen schoss. "Ich finde sie lediglich hübsch."
 

"Niemand würde es dir übel nehmen." Sie schlürfte an ihrem Tee. Ein fruchtiger Geruch stieg mir in die Nase. "Sie ist hinreißend. Jeder steht auf Tsubaki."
 

Fragend hob ich die unverletzte Augenbraue. "Jeder?"
 

"Jeder." Bestimmend nickte sie. "Allerdings traut sich kein Verehrer an Black*Star vorbei. Und sie hat in all der Zeit nie etwas dagegen unternommen."
 

"Ob sie ein Paar sind?"
 

"Tja, man munkelt, man munkelt." In einem Zug trank Valerie ihre Tasse leer und blitze mich über den Rand hinweg amüsiert an. "Sie ist wohl der Typ Frau, auf den du stehst, hm?"
 

Ich stutzte einen Moment. "Ich weiß gar nicht, auf welchen Typ Frau ich stehe."
 

"Hattest du nie eine Beziehung?"
 

"Nein." Ich war die letzten Jahre mehr damit beschäftigt gewesen, Ina und mich in New York durchzubekommen.
 

Ein Stich jagte durch mich hindurch bei dem Gedanken an sie. Kurz hatte ich das Gefühl, wieder in ein tiefes Loch zu stürzen, doch da fing Valeries Stimme mich auf: "Stehst du überhaupt auf Frauen?"
 

"Wer weiß." Ich zuckte nur mit den Schultern. "Ich hatte nie die Möglichkeit, es herauszufinden." Und um ehrlich zu sein, war es mir momentan auch egal.
 

"Also wärst du für einen Dreier mit mir und meinem imaginären Freund offen?" Verschmitzt grinste sie mich an.
 

"Für dich doch immer, Bro." Ich grinste zurück und boxte ihr freundschaftlich in den Oberarm.
 

In friedlicher Stimmung klang der Tag aus, mit Sandwiches zu Abendessen, albernen Späßen und Gesprächen über alles und jeden, nur nicht über die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Und zu ersten Mal seit langem schien etwas in mir zur Ruhe zu kommen, was zuvor stets in Alarmbereitschaft war.
 


 

~*~
 

Je näher der Campingausflug kam, desto nervöser wurde Valerie. Als wir am Freitag Ausrüstung kauften, zitterten die Schlafsäcke in ihren Händen an der Kasse.
 

In der Nacht auf Samstag schlafwandelte sie. Ich hörte die Glöckchen und brachte sie wieder ins Bett. Das minderte ihre Nervosität natürlich nicht im Geringsten und ehrlich gesagt wurde auch mir am darauffolgenden Morgen etwas bange.
 

"Na", war das Erste, was sie zu mir sagte. "Siehst du jetzt auch ein, dass es eine blöde Idee war?"
 

"Ich bin ein unbelehrbarer Straßenjunge", erwiderte ich frech in der Hoffnung, die drückende Stimmung auflockern zu können. "Ich sehe nie etwas ein."
 

"Pff", machte Valerie nur und kicherte. "Hier, den kannst du haben. Die Busfahrt wird bestimmt ein paar Stunden dauern."

Sie reichte mir ein kleines, silbernes Ding. Es war flach und rechteckig mit diversen runden Knöpfen und einem Bildschirm.
 

„Was ist das?“, fragte ich.
 

Verblüfft sah meine Meisterin mich an. „Jetzt erzähl mir nicht, dass du noch nie einen MP3-Player gesehen hast.“
 

„Gut, dann erzähl ich's dir eben nicht.“ Ich stutzte kurz und betrachtete die glatte Oberfläche des Geräts. „Aber ich glaube, du musst mir mal erklären, wie das funktioniert. Ist das nicht zum Musikhören?“ Ich hatte schon vorher Leute mit Kopfhörern auf der Straße rumlaufen gesehen, konnte mir selbst aber nie so etwas leisten. Mal ganz abgesehen davon, dass ich mich mit meinen dreckigen, ungewaschenen Klamotten in keinen Laden getraut hatte.
 

„Genau. Hier machst du ihn an.“ Sie drückte auf einen Knopf an der Seite, wodurch der Bildschirm aufleuchtete. „Und dort wählst du ein Lied aus der Playlist. Bestimmt hab ich irgendwo noch ein zweites paar Kopfhörer für dich, wenn nicht, dann können wir ja zusammen was hören.“
 

Ich drückte auf den größten runden Knopf in der Mitte und der Bildschirm veränderte sich. Es kam keine Musik raus – ich vermutete, dass das nur mit Kopfhörern funktionierte – doch über der Anzeige liefen die Worte Titanium – David Guetta.
 

„Wer ist David Guetta?“, fragte ich.
 

„Ein berühmter DJ.“ Valeries Blick stutzte amüsiert. „Sag mal, hast du dich die letzten Jahre im Untergrund verkrochen?“
 

„Na ja, im Grunde genommen schon.“ Ich zog nur lässig die Schultern hoch, als wäre es keine große Sache. „Es gibt in New York mindestens zwei kriminelle Gangs, die mich gerne sechs Fuß unter der Erde sehen wollen. Und ich hatte keine Lust, in einer dreckigen Gasse erschossen zu werden.“
 

„Oh.“ Ihre Augen wurden groß wie Unterteller. „Hast du was Schlimmes gemacht.“
 

„Ja“, antwortete ich ohne zu zögern. Ich war selbst überrascht, wie leicht mir diese Tatsache über die Lippen glitt.
 

Valeries Mund ging ein paar Mal auf und zu wie bei einem Fisch, dann schüttelte sie entschieden den Kopf.
 

„Nein, vergiss es“, sprach sie entschlossen. „Ich will es gar nicht wissen. Nicht die Spur. Es geht mich auch überhaupt nichts an.“
 

Kurz überlegte ich, dass es sie vielleicht doch etwas anging, da wir als Partner eigentlich keine Geheimnisse voreinander haben sollten. Doch da lief sie schon durch den Flur in ihr Zimmer. Und weil ich auch nicht großartig das Bedürfnis hatte, das Thema weiter auszubreiten, sprach ich sie auch nicht noch einmal darauf an.
 

Eine halbe Stunde später marschierten wir mit zwei Rucksäcken gefüllt mit Campingausrüstung, Klamotten und Proviant los zum Busbahnhof. Dort standen bereits Schüler, die dich zu mehreren kleinen Gruppen zusammen gefunden hatten.
 

Etwas abseits erkannte ich Tsubaki und Death the Kid, die zusammen mit einigen anderen in einer Runde standen. Letzterer kam sogleich auf uns zu.
 

„Hier.“ Er drückte jedem von uns ein Blatt Papier in die Hand. „Der Sitzplan. Bitte haltet euch dran. Ich werde euch zwar nicht begleiten, aber es ist dennoch besser für euch, in akkurater und symmetrischer Relation zu euren Körpermaßen zu sitzen.“ Damit zog er sich wieder zurück.
 

Beim Betrachten der detailliert gezeichneten Tabelle, die wohl die Anordnung der Sitze darstellte, und der geschwungenen Namen fiel mir auf, dass Mädchen und Jungen getrennt wurden.
 

Fragen sah ich zu Valerie herab.
 

„Ignorier den Plan“, meinte sie nur. „Keiner wird das kümmern. Er ist im Übrigen der Sohn des Shinigami“, fügte sie hinzu.
 

„Der Shinigami kann Kinder kriegen?“, rief ich deutlich zu laut vor Überraschung und zog so einige Blicke auf uns.
 

Rot vor Scham angesichts des Gekichers, das uns erreicht, zischte meine Meister einen ganzen Deut leiser: „Geht's noch? Natürlich kann er Kinder kriegen. Wenn du mich fragst, ist bei ihm allerdings etwas schiefgelaufen. Kid ist zwar sehr nett, hat aber auch einen kleinen Knall.“
 

„Inwiefern?“
 

„Hat dir dieser Sitzplan etwa nicht gereicht?“ Der Zettel verschwand unsauber gefaltet in einer ihrer hinteren Hosentaschen.
 

„Der Typ mit den blauen Haaren neben Tsubaki ist ihr Meister BlackStar. Der ist auch ein bisschen“, sie suchte einem Moment nach dem richtigen Wort., „schwierig.“
 

„Ich nehme an, dass ich das auch noch spüren werde?“
 

„Ja, spätestens, wenn sie – oh, sie kommen her! Versuch möglichst stolz und stark auszusehen und lass dich nicht von ihm klein reden.“
 

Sie dreht sich mit einem anmaßend zuckersüßen Lächeln um. Tsubaki begrüßte uns freundlich, während ihre Begleitung breitschultrig direkt auf mich zu stolzierte.
 

Argwöhnisch betrachtete er mich von Kopf bis Fuß und meinte schließlich: „Du bist ja 'ne halbe Portion!“
 

Irritiert hob ich die Augenbrauen. Er war deutlich kleiner und ich vermutete auch jünger als ich, trotzdem plusterte er sich vor

mir auf, als gehörte ihm die ganze Welt.
 

„Sind an dir überhaupt Muskeln dran?“, fuhr er fort. „Kein Wunder, dass Tsubaki es mit dir so einfach hatte.“
 

Er lachte laut und kräftig, als hätte er einen unglaublich lustigen Witz gerissen. Hinter ihm warf seine Partnerin mir entschuldigende Blicke zu.
 

„Vielleicht“, erwiderte ich ruhig, „liegt's auch einfach daran, dass deine Waffe so gut ist.“
 

Sein Lachen wurde noch eine Spur lauter. „Ja, da magst du recht haben.“
 

Einen Moment überlegte ich, ihm von meinen guten Sportwerten zu erzählen, ließ es dann aber doch bleiben. Auf einen Schwanzvergleich mit dem Drei-Käse-Hoch hatte ich schlichtweg keine Lust.
 

„Hey Black*Star“, sprach Valerie ihn an. „Warum seid ihr eigentlich hier?“ Mit einem frechen Blitzen in den grünen Augen betrachtete sie ihn. „Doch nicht etwa weil du wieder irgendwas verbockt hast und jetzt über's Wochenende Strafarbeit leisten musst. Oder?“
 

Black*Stars breites Grinsen bekam reinen Knick. Bedrohlich langsam ging er auf sie zu und baute sich vor ihr auf. Er war zwar kaum größer als sie – vielleicht waren das auch nur die hoch gegelten Haare – doch dafür war er um Einiges breiter.
 

Ein bedrohliches Kribbeln durchzog meinen linken Arm. Valeries Blick huschte kurz darüber. Ich ignoriert es und versteckte meine Hand hinter meinem Rücken.
 

„Ruf mich an, wenn du dich mit mir messen kannst“, brummte der andere Meister tief und zog mit einem „Komm Tsubaki“ ab. Die Waffe trottete leichtfüßig hinter ihm her.
 

„Sie spurt ihm ja ganz schön, findest du nicht?“, bemerkte ich.
 

„Fass dir erst mal an die eigene Nase.“ Valerie nickte in Richtung meines versteckten Armes. „Komm schon, zeig mal.“

Zögernd zog ich die linke Hand hervor – und staunte selber einen Augenblick. Fünf saubere, scharfe Klingen blitzten im Licht der Morgensonne.
 

Vorsichtig nahm meine Meisterin sie in ihre Hände und betrachtete sie andächtig.
 

„Nicht schlecht“, nickte sie zufrieden lächelnd. „Kannst du das mit der anderen auch?“
 

Ich reichte ihr die rechte Hand und in einem weißen Schein erschienen auch dort fünf schlanke Messer.
 

Sie nickte erneut. „Schön. Sehr schön.“
 

Aus der Gruppe ein paar Schritte weiter kamen anzügliche Pfiffe in unsere Richtung. Augenblicklich ließ Valerie mich rot anlaufend los.
 

„Sag's mir ins Gesicht, wenn du mir was zu sagen hast, Raphael!“, schrie sie wütend zu der Gruppen, in dessen Mitte Raphael stand, den sie wohl für die Pfiffe verantwortlich machte. Neben ihm kicherte seine Partnerin hinter vorgehaltener Hand. In ihrer üblichen Manier trug sie pinke, hohe Schuhe und irgendein Pelz-Feder-Ding als Jacke im gleichen schreienden Farbton.
 

„Warum“, fragte ich Valerie, „lässt Raphael seine Waffe so in den Wald fahren?“
 

„Tja.“ Sie zuckte ratlos mit den Schultern. „Bestimmt hat er ihr gesagt, dass sie sich umziehen soll und sie meinte daraufhin ,Fick dich, du bist nicht meine Mutter.'“
 

Ich kicherte kurz. „Du hast wohl ihre Wohnung verwanzt, hm?“
 

„Nein. Das hat sie mal zu mir gesagt, als ich sie auf ihren Kleidungsstil angesprochen habe.“
 

Auf das Winken eines runden Mannes im weißen Hemd – wahrscheinlich unser Fahrer – nahmen alle ihre Taschen und liefen zum Bus. Nachdem wir es dem Busfahrer überlassen hatten, das Gepäck tetrismäßig zu verstauen, suchten meine Meisterin und ich uns einen Platz in der Mitte des Fahrzeugs, während die Gruppe um Cordelia die Sitze der hinteren Reihe für sich beanspruchte. Kurz vor Fahrtantritt kam Raphael zu uns.
 

„Du musst mit mir Plätze tauschen“, sprach er Valerie an. „Die Madame muss sich mal bei dir über mich auskotzen.“
 

Valerie rollte nur mit den Augen. „Ich will nicht da hinter zu den Affen.“
 

„Glaubst du etwa, ich will bei denen Sitzen und mir ihr Gelaber anhören? Ich wurde gerade abkommandiert, also geh schon.“

Das Mädchen stöhnte genervt, stand dann aber doch auf und ging nach hinten. Raphael nahm ihren Platz neben mir ein.

„Sie muss sich bei ihr über dich auskotzen?“, wiederholte ich seine Worte und sah ihn dabei fragend an.
 

„Hmm“, nickte er. „Anscheinend funktioniert das bei Valerie und Cordelia so: Wenn die eine ein Problem oder irgendwas mit dem Partner hat, heult sie sich bei der anderen aus.“ Er kramte in seinem Rucksack nach etwas und zog schließlich eine Packung Chips heraus. „Cordelia meinte mal, dass sie sich schon sehr lange kennen, wahrscheinlich sind sie Sandkastenfreunde oder so. Und ich vermute auch, dass die beiden mal Partner waren, aber wenn man das Thema anspricht, stößt man bei ihnen aus Eis. Willst du?“
 

Er reichte mir die aufgerissene Tüte. Doch mir ging gerade etwas sehr viel Bedeutsameres durch den Kopf als Chips.
 

„Oder Schwestern.“ Valeries erster Partner war ihr Zwilling, eine sehr starke Waffe. Zweieiig heißt, sie mussten sich nicht zwangsläufig ähnlich sehen. Sie und Cordelia hatten zur gleichen Zeit an der Shibusen angefangen und stehen in ständiger Konkurrenz zueinander, scheinen sich regelrecht zu hassen, gehen aber trotzdem aufeinander zu, wenn sie Probleme haben. Als wären diese Streitigkeiten schon ewig Teil ihrer Beziehung.
 

„Wie alt ist Cordelia?“, fragte ich aufgeregt angesichts meiner Theorie. „Wann hat sie Geburtstag?“
 

Raphael stutzte kurz. „Sie wird Ende dieses Monats 17. Wieso?“
 

„Weißt du auch, wann Valerie Geburtstag hat und wie alt sie wird?“, hackte ich nach, seine Frage ignorierend.
 

„Keine Ahnung, hat sie nie gesagt. So gut kenn' ich sie auch wieder nicht, sie lässt ja kaum jemanden an sich heran. Was ist denn los?“
 

„Valerie hat eine Zwillingsschwester. Die beiden waren Partner, als sie an der Schule angefangen haben“, berichtete ich atemlos in der Hoffnung, dass es bei ihm auch klickte.
 

Raphael überlegte kurz, dann drehte er sich mit großen Augen zu mir um. Doch er schüttelte lediglich den Kopf.
 

„Ich glaube, da muss ich dir den Wind aus den Segel nehmen“, meinte er. „Cordelia ist Einzelkind. Das weiß ich ganz genau.“
 

Oh.
 

„Sicher?“, fragte ich nochmal vorsichtig und bekam ein Nicken als Antwort. „Oh.“ Enttäuscht ließ ich mich in de Rückenlehne des Sitzes fallen, als der Bus langsam Fahrt aufnahm.
 

„Du weißt nicht, wer ihre Schwester ist?“
 

Ich verneinte.
 

„Hmm. Ein Zwilling sogar.“ Er warf ein Chip in die Luft und fing es spielerisch mit dem Mund auf. „Solche Geheimnisse voreinander sollte ihr unbedingt klären. Sonst kommt ihr nie voran.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück