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Mit Liebe Gekocht

One-Shot-Sammlung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hintergrundmusik:
https://www.youtube.com/watch?v=5dIAqlqaCzs
My Last Breath by Evanescence (2003)
("But still you wake and know the truth: No one's there.") Komplett anzeigen

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Warum ich?

Es war ein schöner, milder Sommertag. Die Sonne schien zum leicht geöffneten Fenster herein, durch das eine angenehme Brise in die Küche wehte. Sephiroth hatte eine ungefähre Ahnung, dass er hungrig war, aber das war nebensächlich; er war glücklich. Unheimlich glücklich. Er lehnte mit einem Glas in der Hand an der Spüle und schaute ihr beim Kochen zu, während sie ihm erklärte, was sie da so machte.

„Siehst du, und jetzt kommen die Tomaten in die Pfanne, die guten italienischen Tomaten“, sagte sie gerade, als sie genau dies tat: Tomaten in die Pfanne geben. „Das zischt ein bisschen, ist ja viel Wasser dabei.“ Trotz des Dampfes, der nun emporstieg, blieb sie ganz ruhig. Sie lächelte fröhlich und strich sich die braunen Haare aus der Stirn, die sie mit ihrem Haarband nicht hatte bändigen können. Hübsch war sie, hoch gewachsen, wie so oft in einer lila Bluse. Neben dem Herd stand ein Glas Wein. „Beim Kochen mit Wein muss man immer aufpassen, dass auch was davon im Essen landet“, hatte sie lachend gesagt.

„Salz nicht vergessen“, ermahnte sie ihn nun, indem sie zu ihm herübersah und nebenbei Salz zu den Tomaten gab. Dann wandte sie den Blick wieder dem Herd zu, als sie einen Holzlöffel in die Sauce tauchte und vorsichtig probierte. Sie nickte anerkennend. „Dann die Pasta direkt aus dem Topf mit einer Zange zu den Tomaten in die Pfanne geben – so, siehst du – gut schwenken, Basilikum drunter heben. Ist gleich fertig.“

„Wenn ich dich nicht hätte“, sagte Sephiroth neckend, „wüsste ich nicht, wie man Spaghetti mit Tomaten kocht.“

„Du“, sagte sie mit einem Tonfall wie ein erhobener Zeigefinger. Dann streckte sie einen Arm nach ihm aus. „Komm her, Baby.“

Er stellte sein Glas in der Spüle ab und ging auf sie zu, woraufhin sie einen Arm um seine Taille schlang und ihren Kopf unter seinen drückte. Dann schaute sie ihn liebevoll von unten an. Und da waren sie. Diese grünen Augen. Die exakt so aussahen wie seine.

„Mama hat dich lieb, Schatz.“
 

Sephiroth schlug die Augen auf. Oft hatte er gelesen, Leute würden schreiend aus Albträumen auffahren und augenblicklich kerzengerade im Bett sitzen, schwer atmend und mit schnell pochendem Herzen. Doch auch wenn er oft schlecht träumte, hatte er diese Erfahrung noch nie gemacht. Wie jetzt auch wachte er für gewöhnlich mit dem Bewusstsein auf, eben noch geträumt zu haben, war aber trotzdem noch verschlafen und musste sich erst orientieren und an den Traum erinnern, der ihn geweckt hatte. Manchmal wusste er schon Sekunden nach dem Aufwachen aus dem Albtraum nicht mehr, worin genau er bestanden hatte.

Was er dafür gegeben hätte, dass dies nun auch der Fall wäre.

Er konnte sich furchtbar genau daran erinnern, was er geträumt hatte.

Schwer schluckend schaute er zu seiner Linken, wo Genesis neben ihm im Bett lag und seelenruhig weiterschlief. Die schlimmsten Albträume waren nicht die, in denen Hojo, Mako und Behandlungen mit Injektionen vorkamen, deren Effekt er schon vorher genau kannte. Es waren auch nicht die, die in Wutai spielten, in denen er Schreie, Röcheln, Blut und Knochenknacken wieder durchlebte. Dies waren die Träume, bei denen er sich umherwälzte und die Genesis weckten, sodass sie zusammen wieder einschlafen konnten.

Sephiroth richtete sich langsam auf. Er spürte es sich anbahnen, dass sein Körper wach wurde und dass er lange nicht mehr würde einschlafen können. Er warf noch einen Blick auf Genesis. Konnte er es über sich bringen, ihn zu wecken? Und wenn er ihn geweckt hätte, was dann? Wie sollte er ihm erklären, was ihn wach hielt? Dass Sephiroth häufig von Albträumen geplagt wurde, war für seinen Mann nichts Neues, aber was hatte er soeben geträumt? Und würde es nicht albern klingen, wenn er erzählte, was ihn gerade beschäftigte?

Leise, um Genesis wirklich nicht zu wecken, stahl sich Sephiroth aus den Laken und durchquerte das Schlafzimmer; öffnete die Tür zum Flur. Dort zögerte er. Wollte er wirklich sehen, was er sehen wollte? Wenn er jetzt weiterginge – wie tief war dann der Abgrund, der sich vor ihm auftun würde, wenn er nur einen falschen Schritt machte? Er hatte von Narben gelesen, die die Brust wie eine Schlucht aufklaffen ließen, sobald sich der geringste Anlass bot. Und war seine Brust nicht seit der Geburt schrecklich vernarbt? Oder war genauer gesagt nicht sein ganzer Körper von Narben gezeichnet? So vieles, das immer neue Verletzungen geschlagen hatte.

Angefangen hatte es bei ihr. Er musste es wissen. Nein, er wollte nicht sehen, was er sehen wollte. Aber er musste. Er musste jetzt einen Fuß vor den andern setzen und sich dem stellen, was dort nicht wartete.

Ohne Licht einzuschalten – er konnte ja im Dunkeln gut genug sehen –, warf er noch einen letzten Blick auf Genesis zurück und schloss dann die Tür zum Schlafzimmer. Nun war es wirklich stockfinster. Sephiroth bemühte angestrengt all seine Sinne: Er spitzte die Ohren, aber kein Geräusch drang daran; er versuchte, den Weg vor sich zu erkennen, aber selbst seine Augen machten in dieser Dunkelheit kaum ungefähre Schemen aus. Aus dem Gedächtnis lief er den kurzen Flur entlang, bis er, wie er wusste, zu der Tür gekommen war, durch die er jetzt gehen musste. Sie war geschlossen. Natürlich. Abends, bevor er zu Bett ging, schloss er alle Türen. Immer. Ein neues Hindernis. Er verharrte kurz. Wappnete sich. Atmete tief ein. Aus. Atmete noch einmal ein. Hielt die Luft an, ohne es zu merken. Er legte eine Hand auf die Klinke und drückte die Tür auf.

Was hatte er zu sehen erwartet? In der kurzen Zeit war er nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken. Wäre ihm auch nur ein vernünftiger Gedanken gekommen, wäre er wohl im Bett geblieben.

Im hereinfallenden Mondlicht lag die Küche da, wie er sie zurückgelassen hatte: Der Herd war sauber, die Oberflächen gewischt, das Geschirr gespült, abgetrocknet und weggeräumt, der Boden war gefegt. Alles war ordentlich. Kein Zeichen davon, dass hier jemand zugange gewesen wäre.

Die Leere der Küche wirkte zerstörerischer auf ihn, als er angenommen hatte; als er jemals angenommen hätte. Sie übertrug sich auf ihn.

Er stand im Türrahmen und starrte in den Raum. Da war niemand. Da konnte ja auch niemand sein. Zumindest sollte dort niemand sein. Es war noch nie jemand dort gewesen außer ihm selbst. Sein Leben lang. Schon früher. Immer.

Sephiroth sackte gegen den Türrahmen. Atmete er eigentlich noch? Sollte er noch atmen? In ihm sollte nichts sein. Nirgendwo. Vielleicht konnte er eins mit dem Nichts werden und verschwinden. Vielleicht konnte ihn das Nichts mitnehmen.

Langsam glitt er am Türrahmen herunter, bis er am Boden angekommen war. Er versenkte die Hände in den eigenen Haaren, krümmte sich, versuchte irgendwie, die Leere in sich zu fassen, das Nichts, das immer mehr wurde. Es fraß schmerzhaft mit eiskalten Zähnen an ihm, die wie heiße Klingen in ihn schlugen. Er öffnete den Mund, aber es kam kein Schrei heraus; gar kein Laut. Sein Körper schmerzte, krampfte, schmolz. Es tat so weh.

Sein Atem ging so schnell.

Er atmete.

Atmete.

Atmete ein. Aus. Ein.

Er schloss die Augen und atmete lange aus.

Langsam kam er wieder zu sich. Er spürte etwas an seiner Schulter; etwas Warmes. Als er hinschaute, sah er etwas in dem spärlichen Licht blitzen, das zum Fenster hereinkam. Er blinzelte. Es war ein Ring. Er sah noch einmal genauer hin. Genesis hockte neben ihm und sah ihn bestürzt und fassungslos an.

Sephiroth merkte, wie sein Verstand langsam wieder einsetzte. Jetzt, mit einem Blick in Genesis' weit aufgerissene Augen, in denen sich das Mondlicht fing, fiel ihm auch wieder ein, dass die Welt ja überhaupt nicht leer war.

Und doch.

Sephiroth sah, dass Genesis ihn ansprach, er folgte den Bewegungen seiner Lippen, aber er hörte ihn nicht. Er konnte ihn einfach nicht verstehen. Mit Genesis‘ Hilfe erhob sich Sephiroth, ein lautes Rauschen im Ohr, langsam vom Boden; sein Rücken schrie vor Schmerz; seine Glieder waren kalt und starr. Er ahnte nur, wie lange er dort in sich selbst versunken gehockt haben musste. Gegen den Schmerz in seinen Muskeln ankämpfend, ließ er sich langsam von Genesis zurück ins Schlafzimmer leiten. Während das Dröhnen in seinen Ohren abnahm, spürte er, wie ihm dafür beim tiefen Durchatmen leicht schwindelig wurde.

Genesis zog ihn stützend durch die Schlafzimmertür und half ihm vorsichtig aufs Bett; Sephiroth fühlte, wie sich sein wilder Herzschlag allmählich beruhigte. Nun verstand er auch Genesis‘ beruhigendes Einreden, der sich über ihn beugte, ihm einen Kuss unter das Ohr gab und sich sanft an ihn schmiegte. Erst jetzt merkte Sephiroth, wie erschöpft er war. Er zog Genesis in seine Arme und zusammen sanken sie wieder aufs Bett.

Genesis, so sah Sephiroth, fiel schnell wieder in einen wenn auch unruhigen Schlaf; immer wieder blitzte das Leuchten seiner Augen in der Dunkelheit auf, suchte und fand Sephiroth neben sich und erlosch wieder für eine Weile. Sephiroth aber blieb noch lange wach, seine Gedanken kreisten. Es mochten seltene Momente sein, aber manchmal fragte er sich doch, warum er schon kurz nach der Geburt so allein gelassen worden war. Er wusste, er würde nie eine Antwort erhalten. Aber manchmal brach es einfach aus ihm heraus.

Warum ich?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nachwort zu diesem Kapitel auf meinem Weblog: https://www.animexx.de/weblog/534019/813942/

Wer an mehr psychischen Themen interessiert ist, sei auf You Come When I Call You verwiesen:
https://www.animexx.de/fanfiction/389349/
Sephiroth treibt Cloud langsam in den Wahnsinn, um ihn zu brechen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Lexischlumpf183
2019-01-23T19:59:48+00:00 23.01.2019 20:59
Ohhh nich aufhören 😱, jetzt heißt es schnell das nächste Kapi rüberwachsen zu lassen 😅😁😁 bis bald 👍
Antwort von:  tobiiieee
23.01.2019 22:00
Morgen. :D


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