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Demonheart

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
In der Woche schafft man nix, Leute, einfach nix ... Komplett anzeigen

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Akt V - Aufbruch ins Gelobte Land: 9-2

9-2: JIN
 

Er hatte versucht, Nina wieder wegzuschicken. Sie brauchte nicht hier zu sein, während sie ihnen half. Aber irgendwie ging sie nicht; sie tat so, als missdeutete sie seine wie üblich sehr höflich formulierten Anweisungen, die ihr nahelegten, sich um Wichtigeres zu kümmern. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie kommen würde, sie hatte ihn überrascht, und das machte ihn verdrossen. Es gab ihm ein Gefühl von Kontrollverlust, nicht einmal seine Handlanger im Griff zu haben. Aber Nina war bei allem Gehorsam eine eigenwillige Person, und sie hatte einen starken Beschützerinstinkt – was zweifellos in der Art und Weise gründete, wie mit ihrem einzigen Sohn verfahren worden war, um sie am Aufbau jedweder mütterlicher Gefühle zu hindern. Nun, dies war eine andere Geschichte, aber ihre Wurzeln reichten tief.

In Dantes Behausung gebarte die Irin sich weiterhin kalt und unnahbar. Sie beobachtete die Anderen mit zusammengezogenen Brauen wie eine Mutter, die mit Sorge sieht, mit was für Freunden ihr Kind sich umgibt, mit welch schlechtem, verderblichem Umgang.

Gut – vielleicht war sie sein Kindermädchen. Vielleicht hatte er sie unbewusst genau deswegen eingestellt. Um emotional eine Art Mutterersatz zu haben. Nicht, dass sie in irgendeiner Form miteinander umgingen wie Mutter und Sohn, das war keineswegs der Fall, aber sie war momentan der einzige Mensch, der Jins uneingeschränktes Vertrauen genoss; und er hatte einen Menschen um sich gebraucht, dem er genau dieses Vertrauen schenken konnte. Er brauchte sich nicht zu fragen, ob sie loyal war oder nicht. Er hatte sie damals vor Toshin gerettet. Sie schuldeten einander etwas, sie hatten eine Abmachung. Jede Art von Treuebruch würde sie beide in Schwierigkeiten bringen.

Mit unbewegter Miene schaute Nina sich in Dantes Büro um, nahm kommentarlos Yuri zur Kenntnis, der lang auf dem Sofa lag und sich hinter einem Magazin versteckte, das er viel zu dicht vors Gesicht hielt, um es tatsächlich lesen zu können. Trish war nicht zu sehen. Es erstaunte Jin, wie schnell sie und Yuri den Auftrag erledigt hatten, um bereits vor ihm und Dante wieder im Devil May Cry zu sein.

Mühsam ließ er sich auf sein Sofa sinken. Seine Seite schmerzte, noch mehr als die, in der der Messerstich heilte. Wieder war er verletzt. Er fragte sich, womit er so viel schlechtes Karma verdient hatte. Doch andererseits, überlegte er … Er hatte dieses eine Mal Devil betäubt, trug nur deshalb dieses eine Mal, wo Devil ihn nicht heilen konnte, Dantes Schutzweste, und genau jetzt wurde er Opfer eines Mordanschlags. Das war absurd. So absurd, dass er, wäre er nicht Jin Kazama, laut aufgelacht hätte.

Nina trat sofort ungefragt an die Schränke heran und öffnete jeden einzelnen, um hineinzuschauen; ein Dominanzverhalten, das an offene Provokation grenzte. Dante sah jedoch nicht wütend aus. Seine Miene war sogar belustigt, während er sie beobachtete, und er schien es ihr überlassen zu wollen, auch den Whisky selbst zu finden, den er ihr angeboten hatte. Jin fragte sich unwillkürlich, wie und auf welche Art man Dante wirklich richtig wütend machen konnte. Es musste schrecklich sein, wenn er dann wütend wurde.

Nina war fündig geworden und legte eine Schachtel Pistolenmunition auf den Tisch. Es war die gewöhnliche Art, die man in Amerika überall bekommen konnte. »Die Gerüchte über Sie sagen, Sie müssten diese beiden niemals nachladen«, sagte sie und deutete auf Ebony und Ivory, die in ihrem Holster über Dantes Stuhllehne hingen. »Wenn das so wäre, hätten Sie nicht schubladenweise Munition auf Lager.«

Dante zuckte die Achseln. »Da unten ist noch mehr davon, eins tiefer.«

»Sie töten also Dämonen – nur damit? Denken Sie, ich glaube das?«

Nun setzte Dante ein charmantes Lächeln auf. »Dann schau mal noch eine Schublade weiter unten, Schätzchen.«

Mit typisch ungerührtem Ausdruck öffnete Nina auch diese und fischte mit ihren langen Fingern ein paar einzelne, große Patronen mit roten Spitzen heraus. Ihre Stirn furchte sich. »Ah. Wolframkarbidkern. Panzerbrechend.«

»Na siehst du.«

»Hartkerngeschosse sind sogar hier illegal.«

»Das sind die, die in Actionfilmen immer Cop Killer genannt werden.«

»Nur fürs Militär zugelassen.«

»Natürlich. Die Dinger machen Löcher so groß wie meine Hand.« Demonstrativ legte Dante diese mit gespreizten Fingern vor Nina auf die Tischplatte. Als großer Mann hatte er auch große Hände.

Nina betrachtete ihn angewidert. »Sie haben hoffentlich nicht vor, so ein Loch in meinen Boss zu machen.«

»Das hängt ganz davon ab, wie Ihr Boss sich benimmt.«

In diesem Moment war Ninas protektives Verhalten für Jin so unerträglich beschämend geworden, dass er eine Höflichkeitsregel brach und tonlos sagte: »Du solltest den Scotch versuchen, Nina. Du solltest wirklich.«

Dantes Miene hellte sich auf. »Hyuga, hol mal den Talisker!«

»Ich bin hier nicht das Mädchen für alles«, nuschelte die Zeitung auf dem Sofa.

»Egal. Ich hol ihn selber.«

Jin bedeutete Nina mit einer klaren Geste, sich hinzusetzen, und sie gehorchte. Er brauchte sie, doch ihr Arbeitseifer würde erst zurückkehren, wenn sie sich wieder entspannt hatte; momentan war sie in Hab-Acht-Stellung wie ein scharfer Dobermann, und wahrscheinlich vermochte nur ein guter Scotch etwas dagegen zu tun. Denn so gut kannte Jin sie: Nina schätzte guten Scotch sehr.

»Für uns alle reicht der nicht mehr«, stellte Dante etwas verstimmt fest, als er die Flasche in der Hand hielt. Dafür war Jin dankbar. Er fand, dass der Skye-Whisky wie Dieselöl roch. »Aber mit dem Rest und einem Schlückchen Honiglikör kann ich jedem von uns einen Rusty Nail mixen.«

»Ein Cocktail?« Yuri ließ die Zeitung fallen. »Ich nehm einen.«

»Das ist der echte Spirit! Kazama, du auch einen?«

Lass es das wert sein, betete Jin.

»Jin?«

»Nur einen.«
 

Der Cocktail schmeckte noch mehr nach Desinfektionsmittel als befürchtet, trotz der fast beißenden Süße des Honiglikörs. Jin hob das Glas so selten wie möglich an die Lippen und benetzte kaum seine Zungenspitze mit dem brennenden Schnaps. Ein notwendiges Übel: Etwas Angenommenes stehen zu lassen war unhöflich, und ohnehin würde er im Augenblick alles tun, um das Eis zwischen seinen neuen Verbündeten und seiner Leibwächterin zu brechen.

Bisher schwieg Nina beharrlich, nippte jedoch wohlwollend an dem Drink, wenn sie auch die Flecken auf der Tischplatte despektierlich beäugte.

Unerwartet kehrte Trish zurück. Von draußen, mit einer Einkaufstasche.

»Da komme ich wohl im rechten Moment«, kommentierte sie kühl und nickte der Runde zu, gänzlich unüberrascht. Ihren Mantel ließ sie über Dantes Stuhllehne fallen. »Ich hab Bier mitgebracht, aber das braucht ihr wohl jetzt nicht mehr.« Trish hielt ein Sixpack hoch; es war Asahi, japanisches Bier. Jins Annahme, dass man in Amerika einfach alles bekommen konnte, bestätigte sich damit.

»Wir haben gleich mit dem echten Stoff angefangen. Aber der Talisker ist alle.«

»Du hast noch einen Glenfiddich.«

»Ah, Glenfiddich«, sagte Nina anerkennend. Sie kroch aus der Deckung.

Dante fing ihren Blick. »Ach ja, genau. Das ist auch ein Single Malt, Ladies, aber milder.«

»Tatsächlich ist es der beste«, sagte Nina überzeugt.

»Jünger als fünfzehn Jahre geht der gar nicht raus.«

»Ungeschlagen in seiner geschmacklichen Vielschichtigkeit.«

»Den trinken wir pur, oder?«

»Es gibt keine andere Art, Glenfiddich zu trinken.« Ninas Augen waren noch immer eng, doch sie glänzten verräterisch, und in ihre Stimme hatte sich eine Spur von Leidenschaft geschlichen.

Trish brachte die Flasche und fünf der seltsamen gestielten Gläser an den Tisch, zog sich Dantes Bürosessel heran und setzte sich zu den Trinkenden.

»Ein komisches Glas für Whisky«, befand Nina stirnrunzelnd. »Was ist aus den guten alten Tumblern geworden?«

»Oh bitte, da tut man Bourbon rein.« Dante schnalzte abfällig mit der Zunge.

»Auf den Inseln bekommt man Malts immer noch old fashioned in dram-Gläsern«, belehrte sie ihn.

»Wir sind in Amerika, also sei froh, dass ich dir keine Eiswürfel reinschütte.«

Jin war nicht begeistert, als man ihm ohne seine Zustimmung ein Glas Glenfiddich hinstellte. Allein von dessen Geruch begann seine Nase zu laufen. Aber er beklagte sich nicht – dies hier war eine soziale Verpflichtung.

Dante und Nina stießen an.

»Sláinte mhath«, sagte sie in der nativen Sprache des Getränks. Jin wusste, dass Nina neben wenig schottischem Gälisch naturgemäß auch Irisch verstand; sie hatte beide Sprachen in der Schule des Dorfes gelernt, aus dem sie stammte.

»Wieso um Himmels Willen trinkst du Scotch, wenn du Irin bist?«, fragte Dante mit charmantem Lächeln. »Nicht sehr patriotisch.«

»Ich bin kein Fan von Torf«, erwiderte Nina. Allmählich wurde sie weich wie irisches Soda Bread.

Jin merkte bereits, wie ihm der Alkohol in die Glieder sickerte. Er sah zu Yuri, der ihm halb gegenüber saß, und einen so zufriedenen Ausdruck hatte er auf dessen Gesicht noch nie gesehen.
 

Innerhalb der nächsten Viertelstunde wurde klar, dass Dante und Nina keinen Alkohol brauchten, um sich miteinander zu amüsieren. Der Glenfiddich war lediglich die Brücke gewesen, die sie benutzt hatten, um den jeweils Anderen möglichst unter Kontrolle zu bringen – so glaubten sie beide. Beim ersten Glas noch hatten sie sich überaus nett unterhalten, und schon beim zweiten sangen sie ein irisches Volkslied, mehr oder weniger textsicher.

Jin und auch Yuri, aus Solidarität, hatten nach dem ersten Glas aufgegeben; Trish allerdings war noch im Rennen. Man sah ihr an, dass es sie in keiner Weise beeindruckte, wie Dante mit Nina schäkerte. Nein, Jins Leibwächterin und der Teufelsjäger waren zwar fasziniert voneinander, doch gleichzeitig belauerten sie einander wie scharfe Hunde.

»Jin?« Trish zog eine Strähne ihres langen, sonnenfarbenen Haars durch die schlanken Finger mit den schwarzlackierten Nägeln und beugte sich wie beiläufig zu ihm hinüber. »Wollen wir einen Flug nach Wales suchen?«

Jin hatte sich, den Gesprächen lauschend, in eine angenehme, fast schläfrige Passivität zurückgezogen. Der Alkohol hatte ihn so tief entspannt wie nichts seit Langem, und er verspürte keine Lust, seine Muskeln zu bemühen, um von seinem Platz aufzustehen; doch natürlich hatte Trish Recht. »Nina«, sagte er und war verblüfft, wie schleppend seine Stimme klang. »Ich unterbreche dich nur ungern, aber wir müssen uns an die Arbeit machen.«

Dante musterte ihn erheitert. »Du verträgst nicht viel, Kazama, oder? Denn jetzt versteh ich dich gar nicht mehr.«

»Wales also«, sagte Nina kühl. »Plant ihr eine kleine … Expedition?«

»Du wirst protestieren, aber ich werde nicht erlauben, dass du uns begleitest.«

»Oh, du bist der Boss«, gab sie gekränkt zurück. Auch bei ihr wirkten die drei Gläser Schnaps plus Cocktail. »Also bitte. Wann wollt ihr fliegen? Ich suche euch die kürzeste Verbindung.«

»Wir chartern also kein Luftschiff nur für uns?«, fragte Yuri hörbar enttäuscht.

»Zu kurzfristig«, sagte Jin, »und zu … auffällig.«

Nina klappte das Lederetui ihres Smartphones auf. »Dann sehen wir doch mal, wann die nächste Maschine geht.«
 

Der nächste Flughafen war Eastport City, der als eher kleinerer seiner Art wenig interkontinentale Flüge tätigte. Ein deutlich größerer befand sich im über hundertsechzig Meilen entfernten Boston und bot bessere Aussichten.

»Ich fahre euch hin«, erklärte Nina. »Wo wollt ihr landen? Der einzige walisische Flughafen ist in Cardiff. Direktflüge gibt es keine, wie es aussieht … Und da zwischen uns und Europa nur der Atlantik ist, bieten sich auch Zwischenstopps nicht an …« Ihre Finger huschten über das Display, ihr Blick glitt suchend über die Fluglisten. »Ihr könntet in England landen.«

»Ich weiß, dass Eastport auch Großbritannien anfliegt«, warf Trish ein. »Und dahin sind es nur dreiundzwanzig Meilen.«

»Gefällt mir besser«, murmelte Nina und wählte sich in den kleineren Flughafen. Ein paar Display-Tipper später bestätigte sie: »Das wird gehen. Cardiff wird zwar nicht angeflogen, aber Birmingham. Von da aus geht ein Zug nach Aberystwyth. Wales hat keine sehr gute Infrastruktur.«

»Da tobt auch nicht gerade das pralle Leben«, murmelte Yuri.

»Ihr könntet um fünf Uhr morgens in Birmingham sein und gegen zehn in Aberystwyth.«

»Dann machen wir es so«, erklärte Jin leidenschaftslos.
 

»Oh Mann, der Glenfickdich hat voll geknallt«, stöhnte Yuri und rollte sich über die Schulter wie ein gestrandeter Seehund, um den Oberkörper aufzurichten. »Müssen wir wirklich schon packen?«

»Ich kann deine Sachen unterbringen«, bot Jin an.

»Und wenn wir die nich’ mitnehmen dürfen … unsere Waffen und so?«

»Das Gepäck wird woanders verstaut als die Passagiere.« Jin überlegte, ob er alles beisammen hatte. Auf die Reise zu Dante nach Amerika hatte er nicht besonders viel mitgenommen, eigentlich fast nur Kleidung.

Nina schien seine Gedanken zu lesen: »Ihr hättet niemals an das hier gedacht.«

Etwas Faustgroßes aus hellem Plastik plumpste neben ihm aufs Sofa. Jin hob es auf; es war ein Steckdosen-Adapter. Er starrte das Ding an.

»Japan und Amerika haben die gleichen Steckdosen, Großbritannien hat andere«, erklärte Nina. »Ich komme zufällig von da. Du kannst mir später danken.«

Jin packte den Steckdosen-Adapter kommentarlos ein.
 

Ninas Angebot, sie zum Flughafen zu fahren, blieb bestehen, und nachdem sie dem Packen und den Diskussionen noch eine Zeitlang mit gelangweilter Miene zugesehen hatte, verabschiedete sie sich knapp und kehrte zu ihrem Fahrzeug zurück, das unweit der Stelle geparkt stand, an der sie Jin und Dante vor den Attentätern gerettet hatte. Sie logierte in einer Pension ganz in der Nähe und würde zweifellos überpünktlich und startklar zur Abfahrt erscheinen. Indes blieb ihr Steckdosen-Adapter nicht die einzige unerwartete Leihgabe, die Jin vor dem Aufbruch anvertraut wurde.

»Hm«, machte Dante, die Arme vor der Brust gekreuzt, und musterte Jin kritisch.

»Was ist?«

»Falls wir dieses Kloster wirklich finden und da tatsächlich Monster sind, wie Yuri behauptet, dann … sollten wir dich vielleicht bewaffnen.«

»Nein. Ausgeschlossen. Ich kämpfe nur mit meinen –«

»– Fäusten, schon klar. Geht natürlich, aber es könnte auch nicht schaden, deine Fäuste ein bisschen … aufzurüsten.«

Jin sah misstrauisch zu ihm auf. »Und was soll das bedeuten?«

»Dass ich drüber nachdenke, dir eine Teufelswaffe zu geben.«

Das kam unerwartet. Jin starrte ihn an. Sollte das mit dem Vertrauen doch kein leeres Versprechen gewesen sein? Er wusste, wie viel Dante von diesen beseelten Waffen hielt – und was sie tun konnten. »Ich bin nur ein Mensch«, stellte er fest.

»Aber dein Körper ist von einem Teufel besetzt.«

»Und das genügt?«

»Werden wir sehen.« Dante wandte sich der Schrankwand zu. »Mal sehen. Was wär dein Ding? Ich hab manches für die Fäuste. Cerberus, Beowulf … ewig nicht angefasst, aber sollte sicher sein …«

»Dante, vertrau mir oder lass es sein«, murrte Jin. Auf so etwas hatte er keine Lust.

»Hm, guter Punkt. Dann nehmen wir einfach gleich das Schlimmste. Du liebst doch Flammen? Ja. Die werden dir stehen.« Dante griff über den oberen Rand des Bücherschrankes – er war der Einzige von ihnen, der dort herankam – und nahm ein unförmiges Bündel von dessen Oberseite, das unentdeckt darauf gelegen hatte und völlig verstaubt war. Es war ein Tuch, und in ihm war wieder ein Tuch – ein dunkles, schwer aussehendes Tuch, das Jin an die Aramid-Westen von Feuerwehrmännern erinnerte, und darin eingeschlagen war …

Jin verengte die Augen, als er sah, was Dante da auf der Tischfläche auswickelte. »Kampfhandschuhe.« Es waren nicht irgendwelche Kampfhandschuhe. Schon beim Öffnen des Bündels war daraus Wärme hervorgeschlagen, Dampf quoll zu den Ritzen heraus, und als das Tuch die schwarze, zerklüftete Oberfläche freigab, die an glimmende Kohlen erinnerte, fingen die Handschuhe sofort Feuer. Orangerote Flammen züngelten auf, wo Luft das Material berührte. Die Handschuhe hatten die Form schuppiger Drachenköpfe, ihre Haut glühte von innen und die Hitze flimmerte über ihnen wie über Wüstensand. Ein feines Knistern, begleitet von gelegentlichem Funkenstieben, umgab das Waffenpaar. »Was … ist das?«

»Ifrit«, warf Yuri wie beiläufig ein. »Ich erkenne die Seele.«

Dante schaute zu ihm hinüber. »Du hast Ifrits Seele genommen? Nicht schlecht. Wie hast du sie verloren?«

»Durch den Fluch. Wie fast alle Seelen von damals.« Er sah nicht aus, als würde er gerne darüber reden wollen.

Dante wandte sich wieder Jin zu. »Ein normaler Mensch sollte Teufelswaffen lieber nicht anfassen. Aber ich halte dich nicht für einen normalen Menschen.«

»Was wird passieren, wenn ich es versuche?« Jin konnte sich mühsam daran hindern, die Hand auszustrecken; die Panzerhandschuhe, die da flackernd vor ihm auf dem Tisch lagen, schienen ihn anzusingen, zu locken. Er hörte es, doch er widerstand.

»Es ist Höllenfeuer«, erklärte Dante. »Muss ich mehr sagen? Entweder ist es angenehm warm oder du verbrennst dir die Finger.«

»Das klingt gefährlich.«

»Ich bin bereit, das Risiko einzugehen.«

Yuri im Hintergrund kicherte.

Jin gab dem Drängen nach und schob die Hand vor. Er dachte keinen Moment länger darüber nach, ob das klug war. Ganz sacht berührte seine Fingerspitze die flackernde Substanz, und eine Flammenzunge streifte die Handkante wie ein Streicheln, tanzte kurz um den Daumen. Es wurde warm – aber es brannte nicht.

»Es geht«, sagte Jin heiser. Er fühlte eine unbekannte Erregung in sich, ein zartes, freudiges Flattern in der Brust. Er wollte die Finger um den Drachenkopf schließen, aber Dante umfasste sein Handgelenk und zog es zurück.

»Nicht hier, nicht jetzt.«

Hastig zog Jin seine Hand aus Dantes Griff. »Warum nicht?«

»Wir testen das bei einer besseren Gelegenheit. Die erste Begegnung mit einer Teufelswaffe ist immer etwas … heftig. Pack sie einfach ein, ganz nach unten.«

Schweigend schlug Jin das feuerfeste Tuch wieder über Ifrit. Er hätte es wissen müssen. »Du vertraust mir immer noch nicht.«

Dante lachte auf. »Mehr als du denkst, Kazama. Viel mehr.«
 

Inzwischen ahnte Jin, dass Dante ein ganzes Arsenal dieser sogenannten Teufelswaffen in seiner Behausung versteckte. Nicht erwartet hatte er jedoch, dass er sogar den größten Schatz der Sammlung – sozusagen das Kronjuwel – zu sehen bekommen würde.

»Ich hab mich schon gefragt, warum es nicht mehr an der Wand hängt«, bemerkte Trish.

»Zu früh«, gab Dante lapidar zurück. »Ich wollte es nicht hinhängen, während du dich bei Sarris vergnügt hast.«

Yuri kam sofort dazu wie ein neugieriges Hündchen, als der Teufelsjäger ein wirklich riesiges Bündel auf den Tisch warf, ohne dass Jin gesehen hätte, wo es herkam. Es war fast so lang, wie Dante hoch war, und hatte sicher zwei Drittel seiner Breite. Allerdings war es flach. Jin betrachtete das Ungetüm misstrauisch.

»Dieses Schwert«, erklärte Dante beinahe feierlich, »ist ein Heiligtum. Aber keine Angst, ich nehme es nicht mit nach Wales.« Er schlug den weißen Stoff beiseite.

Jin hatte Rebellion für das furchterregendste aller Schwerter gehalten, mit seinem fast schwarzen Blatt, dem massiven Griff und der grausamen, rotäugigen Fratze darauf; doch was er jetzt sah, ließ Rebellion wie einen Zahnstocher aussehen. Es war ein schier unvorstellbares Schwert – es sah kaum aus wie eines. Die Klinge, falls man es überhaupt so nennen konnte, war massiv wie ein Fels, dick, schwer, lang, geschwungen wie ein gigantisches Sensenblatt – und bestand aus rotem Fleisch und bleichem Knochen.

»Oh wow«, ächzte Yuri. »Das ist ja widerwärtig.« Seine Augen leuchteten vor Begeisterung. »Ich meine, großartig.«

Jin fand die Waffe abstoßend. Er hatte noch nie eine so brutale Mischung aus pervers anmutender Hässlichkeit und tödlichster Ästhetik gesehen. Ein Schlachtwerkzeug wie dieses hatte seine eigene, bizarre Schönheit, es war in Form gegossene Vernichtung. Ein Stich von Übelkeit durchfuhr ihn bei dem Anblick, und er wandte die Augen ab.

»Das ist das Schwert von Big Daddy«, eröffnete Dante. »Es trägt seinen Namen. Sparda. Wir nennen es auch liebevoll ›das kalte Kotelett‹.«

Die Übelkeit wurde schlimmer. Jin war froh, dass das Schwert sie nicht über das Meer begleiten würde.

»Steckt da auch ein Dämon drinnen?«, fragte Yuri eifrig und streckte die Finger aus.

»Probier’s aus.«

»Hmm.« Er rieb einen Finger über die Klinge. Jin erwartete ein feuchtes Geräusch, doch es blieb aus; das Metall war tatsächlich fest. »Nö«, stellte Yuri fest. »Brauchst du deine Superkräfte nicht?«

»Das lass mal meine Sorge sein.« Dante wickelte das Bündel wieder zusammen, und erst jetzt konnte Jin wieder hinsehen. »Aber das Schätzchen Rebellion muss mit.«

»Willst du wirklich ein Schwert mit ins Flugzeug nehmen?«, fragte Jin verdrießlich. »Wie? Etwa im Handgepäck?«

Dante sah ihn entzückt an. »Höre ich da Sarkasmus in deiner Stimme? Gefällt mir. Nur weiter so.«

»Deine Gleichgültigkeit macht mich krank.«

»Ich bin nicht gleichgültig. Ich bin gelassen. Sieht gleich aus, ist aber ein großer Unterschied.«

Sein herablassender Blick ärgerte Jin, und er schaute nicht länger hin, sondern nahm wieder sein Telefon zur Hand und brachte mit ein paar Tastendrücken zu Ende, was er bereits begonnen hatte. Beiläufig sagte er: »Ich hab uns eingecheckt.«

Wie erwartet starrten beide Männer ihn an. »Wie?«, fragte Dante.

»Hiermit.« Jin zeigte ihm das Handy. Er war keineswegs überrascht: Nicht nur Yuri befand sich in der falschen Zeit, auch Dante war so rückständig, als wäre er in den Vierzigern hängen geblieben.
 

»Wenn ihr morgen fliegen wollt, Dante, dann habt ihr noch einen unangenehmen Besuch vor euch.« Trish bedachte sie alle mit einem vielsagenden Blick, der zuletzt an ihrem Partner hängen blieb. »Du weißt, was ich meine?«

»Ich fürchte ja.«

Auch Jin war es klar. Sie hatten zwei ernste Probleme zu lösen: das genehmigungspflichtige Ausführen schwerer Waffen (zu denen quasi Dantes gesamtes Arsenal gehörte) und einen chinesischen Reisepass von 1913. Beides würde ihnen das Verlassen des Landes unmöglich machen. Es sei denn … »Wir können nicht zu deinem Chief, solange wir halb betrunken sind.« Ich hätte einen späteren Flug buchen sollen, dachte er. Wir schaffen es nie so schnell, alles vorzubereiten.

»Überlass Fordham mir. Ich geh da immer halb betrunken hin.« Jin betrachtete Dante zweifelnd, doch der schien das ernst zu meinen. »Er musste mir schon öfters so eine Genehmigung aufsetzen, für Auslandsaufträge. Normalerweise macht er da keine Zicken.«

»Gut. Dann haben wir nur noch ein Problem.«

»Mich, oder?«, fragte Yuri.

Jin griff erneut nach seinem Handy. »Stell dich an die Wand. An die da drüben.« Die dort neben dem Treppenaufgang sah nicht ganz so schrecklich aus wie die anderen, und es war so ziemlich die einzige leere Stelle.

»Was willst du machen?«, fragte Yuri und gehorchte.

»Ein Foto von dir. Wir machen dir einen neuen Pass.« Das zu sagen war ein höchst seltsames Gefühl. Jin wusste, dass er im Begriff war, seine neu gewonnene und noch nie genutzte Macht zu missbrauchen. Er war nicht sicher, ob sich das richtig gut anfühlte oder richtig schlecht.

»Können deine Leute das?«, fragte Dante misstrauisch.

»Die Mishima Zaibatsu kann alles, wenn es nötig ist.« Das stimmte zu zweihundert Prozent. »Ich schicke es Nina, sie wird das Dokument für uns am Flughafen hinterlegen lassen.«

Yuri hatte sich vor die Wand aufgestellt und nahm Haltung an. »Wie muss ich gucken?«

»Möglichst gelangweilt und gleichgültig«, sagte Dante.

»Ah, so wie du? Krieg ich hin.«
 

Als Dante seinen Mantel anzog, um sich auf den Weg zum Chief zu machen, wandte Jin sich wie beiläufig an ihn, bevor er gehen konnte.

»Weiß der Chief, was ich bin?«

»Klar«, winkte Dante ab. »Er hat dich in der Kapelle gesehen, dann als blutendes Opfer. Und ohne dir auf den Schlips zu treten: Deine Frisur vergisst man nicht so schnell.«

»Wenn er zu freundlichem Entgegenkommen nicht bereit ist – obwohl er weiß, was ich bin, und du mich seiner Stadt vom Hals hältst –, dann haben wir zwei Möglichkeiten.«

»Du willst ihn mit Devil einschüchtern«, sagte Dante lustlos. »Vergiss es. Geht nach hinten los.«

Jin erkannte an Dantes Unterton, wie sehr es ihn frustrierte, sich Personen unterzuordnen, die seinen Respekt nicht verdienten. Es widersprach seiner Natur. »Dann Möglichkeit zwei«, lenkte Jin ein. »Etwas, das … bei den meisten wichtigen Leuten funktioniert.«

»Was du nicht sagst!«, lachte Dante auf. »Etwa das, was ich denke? Du hast doch gar keine Erfahrung damit, du braver Junge.«

»Überlass es mir«, gab Jin kühl zurück. »Ich begleite dich.«

Dante erwiderte seinen festen Blick amüsiert. »Was kann schon schiefgehen? Beeil dich, es ist kurz vor zehn, der geht gleich nach Hause.«

»Ich hab’s nicht kapiert«, meldete sich Yuri von der Couch. »Was macht ihr mit dem Chief? Ihn beklauen? Ihn bescheißen? In Ohnmacht würgen?«

»Wart’s einfach ab, du Leuchte.«

Auch Trish griff mit vieldeutigem Seufzen nach ihrem Mantel. »Falls so was wie Diplomatie im Spiel ist, seid ihr hoffnungslose Fälle.«

Zu dritt traten sie zur Tür, und vom Sofa aus setzte Yuri, im Kampf mit einem Ärmel, forschend an: »Also, Jin sagt seiner Killerlady, sie soll ihm einen Betäubungspfeil in den Arsch schießen … Richtig?«

»Kalt, Hyuga«, feixte Dante über die Schulter, »eiskalt.«
 

Chief Fordham hatte Spätschicht gehabt und packte gerade seine Sachen zusammen, als sie eintrafen. Jin sah ihn zum ersten Mal, aber umgekehrt war das nicht der Fall.

»Oh, du«, sagte Fordham, als sein Blick auf Jin fiel, und seine Miene unter dem breitkrempigen Hut nahm einen säuerlich-überraschten Ausdruck an, als hätte er auf ein Pfefferkorn gebissen. »Der Dämon von Hallow Hills. Siehst besser aus als neulich.« Offenbar wusste er, dass er sich nicht zu fürchten brauchte, weil Dante dabei war.

»Ich muss nach Britannien«, erklärte Dante ohne Umschweife. »Morgen früh.«

»Nicht zum Skiurlaub, wie?« Der Chief sah aus, als hätte er wenig Lust, seinen Computer wieder hochzufahren und das nötige Formular auszustellen.

»Das Übliche«, erwiderte Dante stoisch.

Fordham schnaubte. Sein Blick wanderte zu Jin. »Und warum ist der hier? Du weißt, ich lasse mir keine Angst einjagen. Das ist nicht die Art, wie man hier Chief wird.«

»Zum Glück, denn sonst würde ich mir rein gar nichts von dir anhören.«

Das Gesicht des Mannes glättete sich ein wenig. »Gott. Na schön. Du kriegst dasselbe wie immer: zwei halbautomatische Pistolen und ein Schwert. Dein anderer Scheiß bleibt hier.«

»Ich brauch noch was. Panzerhandschuhe.«

»Kann man damit jemanden umbringen?«

»Mit allem, was ich habe, kann man jemanden umbringen.«

Fordham stöhnte leise, hob mit einer Hand den Hut an und fuhr sich mit der anderen durch das schüttere Haar.

»Komm schon, Steingesicht. Lass uns kein Machtspiel daraus machen.«

»Dante, du nimmst dir zu viel raus! Du bist kein verdammter Cop!«

Jin beschloss, dass es Zeit war, die Aufmerksamkeit des Chiefs auf sich zu lenken. »Es ist nicht Dantes Entscheidung, was er mitnimmt, sondern meine. Es ist meine Mission, und ich bestimme, wie er sie erledigt.«

Mit ungläubiger Miene wandte Fordham sich ihm zu. »Du glaubst also, du kommst damit davon, eine Kirche zu zerstören und dann auch noch der Polizei zu sagen, was sie zu tun hat? Wer bist du überhaupt, du kleiner chinesischer Schnösel?«

»Ich bin Japaner.«

»Das ist dasselbe.«

»Ist es nicht.«

»Doch.«

»Nein.« Jin ließ seine Faust auf Fordhams Tischplatte fallen, ohne eine Miene zu verziehen. In diesem Spiel war er Meister. »Ich bin Jin Kazama, der neue Leiter der Mishima Zaibatsu. Verstehst du, was das heißt, Kleinstadt-Sheriff?«

Fordhams Gesicht nahm einen verblüfften Ausdruck an; dann verdüsterte es sich. Argwöhnisch spähte er zu Jin auf. »Verstehe«, murrte er. »Verstehe. Ich hasse es, wenn Typen wie du in meine Stadt kommen.«

»Und ich hasse Typen, die sich nicht an Vereinbarungen halten«, entgegnete Jin emotionslos. »Ich mag deine Stadt – aber vielleicht nicht mehr lange. Mishima Industries hat schon einmal in euch investiert, um eure Wirtschaftlichkeit zu verbessern, aber ihr und Shardworks habt es versaut. Ich habe mir die Ruine von GRITT-D674 selbst angesehen. Wie ihr sie im Schlamm verscharrt habt, vierzig Tonnen feinster Stahl und beste Technik unter vier Metern Dreck.« Er spuckte das letzte Wort so aggressiv aus, wie seine Natur es zuließ.

Fordham sagte nichts, aber seine Mundwinkel begannen in U-Form festzufrieren. Langsam, ganz langsam sank die Nachricht ein.

Perfekt wurde es, als Trish hinter ihm leise schniefte und dann eine Hand an den Mund hob. Er blickte kurz über die Schulter und sah es, sah ihre leicht zitternden Finger, als sie so tat, als ringe sie um Fassung. Zu Dante musste er nicht schauen; dessen Miene war kalt und undurchlässig wie ein zugefrorener See, das wusste er.

Fordhams Blick wurde immer unsicherer, glitt zwischen den drei Personen vor seinem Schreibtisch hin und her.

»Wenn ich also entscheide«, sagte Jin sehr ruhig, »die beiden einzigen Leute, die in deinem Dorf etwas taugen, mitzunehmen und ihre Waffen auch, dann können sie das genauso wenig ändern wie du, Chief.«

Trish schluchzte erstickt auf und klemmte die Unterlippe fest zwischen die Zähne; dann wich sie einen Schritt zurück. Dante blieb stumm wie eine Säule.

Fordham war blass. Ihn traf zum ersten Mal die Erkenntnis, dass Dante und Trish, das furchtloseste Duo diesseits des Äquators, im Begriff waren, entführt zu werden. Das allein hätte lächerlich sein müssen, doch zusammen mit Jins Andeutung einer Drohung wirkte es.

Fordham bewegte seine Hand langsam zu der schmierigen Computermaus neben der Kaffeetasse. Seine Finger vibrierten kaum sichtbar, als er sie auf die Tasten legte. »Ist das alles, was ihr wollt? Panzerhandschuhe?«

»Ja«, erklärte Dante, sah ihn aber nicht an. »Mehr werde ich nicht brauchen.« Jetzt blickte er doch zu Fordham, und wieder ging eine Nachricht über diese unsichtbare Brücke. Dieser Blick versprach dem Chief zusammen mit dem »Mehr werde ich nicht brauchen«, dass Dante eine Gelegenheit finden würde, den Teufel, der Jin war, zu erledigen und triumphierend nach Hause zurückzukehren. Sie mussten jetzt kooperieren, für den Moment. Aber dann würde alles ein Kinderspiel sein.

Fordham verstand, und das Beben in seinen Händen verschwand, als er das Formular ergänzte, nun mit beinahe verwegener Zuversicht. »Ich hoffe«, knurrte er in Jins Richtung, als der Drucker am Ende des Tisches hustend zu arbeiten begann, »dass ich dich danach in meiner Stadt nie wiedersehen werde.« Fast keck reckte er das Kinn vor. Er verließ sich auf Dante. Jetzt gerade war Dante sein bester Freund. Genau wie geplant.

»Das sehen wir dann«, antwortete Jin nüchtern.

Als die Genehmigung fertig war, nahm Fordham den Ausdruck und hielt ihn Dante hin, nicht Jin, und Dante nahm ihn mit der Andeutung eines Lächelns. »Geht doch. Danke.«

»Macht, dass ihr rauskommt«, knurrte der Chief.

Und sie taten ihm den Gefallen.
 

»Hat sich das gut angefühlt?«, fragte Dante, als sie das Gebäude verlassen hatten.

»Was?«

»Den Boss rauszukehren.«

Jin verzog das Gesicht. »Nein. Aber ich fürchte, ich werde mich daran gewöhnen müssen.«

»Keine Sorge, du machst das gut.«

Trish an Dantes Seite lachte leise.
 

Um pünktlich beim Boarding zu sein, würden sie am nächsten Morgen um sechs Uhr früh nach Eastport City aufbrechen. Vierundzwanzig Stunden später würden sie im Zug nach Wales sitzen.

»Sollten wir nicht noch ein paar Vorkehrungen treffen, wenn auf unbestimmte Zeit niemand hier sein wird?«, hakte Trish nach – sie war sichtlich jener Teil des Paares, der plante und vorausdachte.

Dante sah sie einen Moment lang ertappt an. Dann wandte er den Blick ab und sagte umständlich: »Also … Ich denke, es sollte schon jemand hier sein.«

Trish verschränkte die Arme vor der Brust. »Verstehe.«

»Du kannst den Job wunderbar alleine machen. Sarris ist mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr in den USA. Siehst du, er würde dich nur wieder als Schutzschild gegen mich benutzen, als Geisel, Druckmittel oder sonst was. Ich hab eben –«

»Angst«, endete sie und blickte ihn direkt an.

Er ließ die Schultern fallen.

»Es ist nicht so, dass ich mich nicht verteidigen kann«, setzte sie zu mildem Protest an. »Noch mal würde ich ihm nicht ins Netz gehen. Aber ich verstehe schon … Das ist eine Angelegenheit unter Männern, in die ich mich nicht einmischen werde.« Widerwillig nickte sie. »Na schön, Dante. Ich bleibe hier und hüte das Haus.«

Yuri warf das Magazin weg. »Glückwunsch zu diesem Prachtstück von Frau, Dante. Die meisten anderen wäre zickig geworden.«

Dantes Miene verriet, dass er es nicht gewohnt war, Trish etwas vorzuschreiben – und dass sie ihn mit ihrem unerwarteten Einlenken ziemlich überrascht hatte. Doch wie auch immer es war, sie hatte damit das letzte Problem aus dem Weg geräumt, das ihrem Aufbruch nach Wales noch entgegen gestanden hatte.
 

Der Mut verließ Jin am späten Abend.

Die Reisevorbereitungen waren getroffen, es blieb ihnen nichts mehr übrig als zu warten und etwas zu schlafen.

Aber der Fremde in seinem Kopf war wieder da.

Als die Wirkung des Traumkrauts abebbte und die Stimme des Dämons wieder mehr und mehr in Jins Bewusstsein drang, stetig, wie bei Flut das Meer langsam den Strand vereinnahmt, da kehrte auch die innere Kälte, das nach außen unsichtbare Zittern seiner Seele zurück.

Ich kann nicht schlafen. Nie mehr.

Yuri hatte sich grummelnd auf seiner Couch zusammengerollt, und auch Dante und Trish hatten sich in ihre Schlafzimmer verzogen. Wie mechanisch durchquerte Jin die geräumige Wohnstätte, bis er die Treppe erreichte, die er an seinem ersten Tag in diesem gitterlosen Gefängnis bereits einmal erklommen hatte.

Komm mich holen, sagte Azazel zärtlich. Ich bin ein Teil von dir, und du von mir.

Er sollte wieder schweigen! Warum träumte er nicht mehr, dieser dunkle Kern, wie er es die Stunden zuvor auch getan hatte?

Dunkler Stern. Wir könnten die Welt regieren.

Was …?

Du brauchst mich, um endlich Frieden zu finden. Nur ich kann dir geben, was du verloren hast.

»Sei still.« Er murmelte es nur zwischen den Zähnen, auf Japanisch. Mehr ein Zischen als ein Wort.

Komm zu mir. Komm mich befreien. KOMM.

Jin erreichte die Dachluke und trat in die Kälte hinaus. Seine Knie waren schwach, seine vielen Verletzungen schmerzten, aber er ging vorwärts. Bis zum Rand.

Die Dachkante warf einen scharfen Schatten in den Schein der Straßenlaterne. Es war ein gelbes Licht; der Mond war nicht zu sehen.

Jin schob die Schuhspitze über den Dachrand. Es knirschte kaum hörbar. Er stellte sich vor, wie es sich anfühlte, auf den Asphalt zu schlagen. Sicher wäre er kalt, kälter als die Nacht. Und er wäre das Ende von allem – von Devil Jin, vom bösen Stern, von dieser aussichtslosen Unternehmung …

Ein leises Geräusch dicht hinter ihm. Er drehte sich nicht um.

»Das ist nicht hoch genug.«

Jin atmete langsam aus. Dantes Präsenz war inzwischen vertraut, und er hatte ihn gespürt, bevor er seine Stimme gehört hatte. Aus irgendeinem Grund erwartete er, dass der Andere ihm die Hand auf die Schulter legen würde, eine Geste, die die höfliche Distanz zwischen ihnen überbrücken und Jin eine Art des Kontakts aufzwingen würde, die seiner Kultur fremd und ihm unangenehm war.

Doch Dante hielt den Abstand. Als Jin sich endlich umdrehte, stand er da, die Arme vor der Brust gekreuzt, ganz der überlegene, unerschütterliche Anführer.

»Du würdest dir nur die Sprunggelenke brechen, mehr nicht«, fuhr er in sachlichem Ton fort.

»Dann erschieß mich.« Jins Kehle fühlte sich an wie ein nasser Stein.

»Ich denk nicht dran. Frag Yuri, ob er dich erwürgt, da hast du bessere Chancen.«

Jin schüttelte den Kopf. »Es würde sowieso nichts nützen. Ich kann mein Problem nicht auf die harte Tour lösen. Devil gestattet mir nicht zu sterben.«

»Natürlich nicht. Er kann deinen Körper nicht besetzen, wenn du tot bist. Stirbst du, stirbt er auch. Deshalb wird er das nicht zulassen.« Dante entfaltete die Arme und rieb sich den Nacken. »Aber was Yuri betrifft …«

»Er wird es nie verstehen.«

»Nein, weil er nicht rafft, dass nicht jeder so ein Ego aus Fels haben kann wie er. Das ist alles. Keiner von uns wird dich Sarris oder Azazel überlassen, ich nicht und er auch nicht.«

»Ich weiß.«

Dante zögerte, ohne den Blick zu lösen, und sagte dann: »Wir sind noch nicht am Ende, Jin. Wir werden ihm folgen.«

Jin öffnete den Mund, um zu antworten – zu sagen, wie sinnlos und aberwitzig das alles war –, doch er ließ es bleiben. Er wünschte, er könnte es. Irgendjemandem erzählen, was in ihm vorging, was sich da wand wie eine schwarze Schlange, schleichend versuchte, seinen Geist zu vergiften. Aber er konnte nicht. Schon als Teenager hatte er gelernt, mit seinen Gefühlen allein zurecht zu kommen; sie zu teilen hatte ihn stets in eine Opferrolle gebracht, in der sein Schmerz gegen ihn ausgenutzt wurde. Er wollte nicht mehr angreifbar sein. Die Zeit, in der er sich freiwillig auf den Rücken gerollt hatte, war vorbei.

Gleichzeitig wollte er Dante und Yuri vertrauen. Er wusste, dass es den Beiden nie in den Sinn käme, jemanden zu hintergehen – sie waren klare Frontalangreifer, machten keine halben Sachen, schmiedeten keine Intrigen. Wahrscheinlich wussten sie gar nicht, wie man log. Es entsprach nicht ihrer Natur: Sie sagten beide immer das, was sie dachten.

Trotzdem. Jin konnte seinen Widerstand nicht aufgeben. Diese Mauer war ein Teil von ihm geworden.

»Geh schlafen, Kazama«, sagte Dante versöhnlich, indem er sich abwandte, und das war das Letzte, was Jin an diesem Abend von ihm hörte. Keine Anweisung, gefälligst vom Dach zu verschwinden, kein »Ich bleibe hier stehen, bist du im Bett bist, Kleiner«. Keine Bevormundung. Er hielt Wort.

Jin atmete erneut tief durch und wich dann langsam vom Dachrand zurück. In ihm grollte der Dämon wie ein angekettetes Tier, und er wusste, dass er nicht schlafen würde.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich finde ja, Ifrit wurde an Jin ziemlich gut aussehen ...
Danke fürs Lesen und ein schönes Wochenende. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Shenduan
2021-04-23T23:16:30+00:00 24.04.2021 01:16
Hab mal gegoogelt wie die aussehen. Japp die machen sich gut ans Jins "zarten Händchen" 😁
Antwort von:  CaroZ
24.04.2021 09:57
Jaa, und beim Schlagen kommt Feuer raus ... Feuerrrr! xD
Danke für den Kommentar <3


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