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Demonheart

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
»I hate it … when people let others die just to get what they want …«
– Yuri (Shadow Hearts: Covenant) Komplett anzeigen

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Akt XI - Gottesschlächter: 15-1

15-1: YURI
 

»Er hat den Sturm genutzt«, murmelte Roger. »Der Regen hat seine Spuren auf dem Weg verschwinden lassen. Und unsere Sinne geschwächt.«

Großartig – das war genau das, was Yuri auch dachte. Sie standen versammelt vor dem Teleporter, und er umklammerte den kleinen Notizzettel, den er soeben an genau dem Punkt aufgesammelt hatte, auf den die Emitter ausgerichtet waren. »Ich glaube, ihr braucht einen stärkeren Motor«, las er vor. »Möchtet ihr tauschen? Dann kommt runter. Wir treffen uns am Tor. Bitte lasst uns kooperieren. Aidan.« Er hatte Lust, das Papier in der Faust zu zerknüllen, bis es durch ein Knopfloch passte.

»Das heißt, er hatte während unserer Abwesenheit Gelegenheit, deine ganze Behausung zu durchsuchen«, folgerte Jin.

»Das hat er sicherlich getan«, jammerte Roger. »Nur gut, dass er nichts finden konnte – dank meiner Weitsicht!«

Yuri sah zu Jin, der eine Hand dorthin gelegt hatte, wo sich unter seinem Mantel die Innentasche mit der Émigré-Schrift befand. Dadurch, dass er sie am Körper trug, war sie für Sarris genauso unerreichbar wie die fehlenden Seiten der Dschaizan-Abschrift, die Dante seinerseits irgendwo versteckt hatte.

»Was meint er mit unten?«, fragte Jin und äußerte gleich einen Verdacht: »Die … Ruinen?«

»Wo sonst?«, knurrte Yuri. »Das heißt, er ist noch hier. Er ist am Tor – am Tor zu der Stadt, die das Fundament unter uns mal war.«

»Ich schätze, da ist es nicht gerade gemütlich?«, vermutete Dante.

»Du sagst es.«

»Was könnte er uns anbieten, um den Teleporter zu betreiben? Er kann nicht mal wissen, was das ist.«

»Es sei denn, er ist schon länger hier und hat uns belauscht.«

»Ausgeschlossen!«, krähte Roger. »Ich hätte jeden Eindringling bemerkt, solange ich hier war! Er kann euch höchstens gefolgt sein, irgendwie, und dann gewartet haben, bis wir weggehen …«

»Es spielt auch keine Rolle«, wandte Jin ein. »Er hat gesehen, dass das Laufband als Antrieb nicht genügt. Er sucht immer noch nach einer friedlichen Lösung und glaubt jetzt, er könnte uns etwas anbieten.«

Yuri beschloss, Sarris nicht den nächsten Schritt zu überlassen. »Los, kommt mit. Holen wir ihn uns. Da unten kann er nirgendwohin.«

»Seid vorsichtig«, bat Roger. »Du kennst diesen unheiligen Ort.«

»Eben.«

Er brannte nicht gerade darauf, den Anderen eine Führung durch die Neam-Ruinen zu geben. Auch jetzt noch fühlte er, wie das angestaute Böse in ihnen nach ihm rief. Und er glaubte, dass auch Jin und Dante für diesen Ruf empfänglich waren.

Trotzdem kletterte er als Erster durch die Falltür, die Roger über ihm offen hielt, ins Dunkel.
 

Die Finsternis währte nicht lange. Schon fiel ein dünnes Licht ohne sichtbare Quelle von oben in den Gang hinein. Auf der rechten Seite passierten sie einen kleinen zerkratzten Container; er war eindeutig menschengemacht und musste derjenige sein, den Roger als Versteck für die wertvollen Gegenstände nutzte, die er hier unter Verschluss hielt.

Danach wurde die Umgebung anomal.

Schon nach wenigen Schritten, bei denen Yuri die Anderen zu führen versuchte, erkannte er vage Umrisse vor sich, als die Wände zu leuchten begannen – erst kaum sichtbar, dann immer stärker. Als er das erste Mal hierhergekommen war, damals vor einer Ewigkeit, hatte er weite Bögen und Wölbungen erwartet, so höhlenartig wie Rogers jetzige Behausung unterhalb der Erdspalte. Doch nein – keine einzige Kante oder Linie hier wirkte natürlich. Wände und Böden waren aus leuchtenden Würfeln zusammengesetzt, die so symmetrisch schienen, dass es in den Augen schmerzte. Das kalte Licht, das aus der unbekannten Materie drang, durchwaberte den Tunnel wie Äther. Yuri bemerkte das Zögern der Anderen, als sie entdeckten, dass in der Ferne einige der Würfel beständig auf und ab schwebten, scheinbar sinnlos, doch in einem stetig gleichbleibenden Rhythmus, der keiner Energiequelle bedurfte. Ja, dieser Ort war … unirdisch. Und darin hatte er sich kein bisschen verändert.

Während sie zuerst nur hintereinander gegangen waren, ließ der Korridor ihnen bald genug Raum, um nebeneinander zu laufen. Yuri, der weiterhin führte, als wäre das noch nötig, beobachtete die ernsten, schwach beschienenen Gesichter der Anderen; er war sicher, dass sie mit der negativen Energie, die pulsierend aus jedem Spalt drang, weit mehr zu kämpfen hatten als er.

»Da ist das Tor«, sagte er leise und wies geradeaus. Seine Stimme klang, als müsste sie ein Echo werfen, doch es gab keins; es war, als fehlte ein Teil der Frequenz, wie er es von Funkempfängern kannte.

Sie sahen Sarris am linken der beiden schwarzen Pfeiler stehen. Seine Miene wirkte grotesk durch das An- und Abschwellen des Lichts, und ihr Ausdruck war nicht zu erkennen.

Yuri wurde langsamer, und auch Dante nahm etwas mehr Haltung an, als sie zu dritt gemessenen Schrittes ihrem gemeinsamen Widersacher entgegen traten.

»Wir haben uns eine Weile nicht gesehen«, begrüßte sie Sarris. Seine Stimme war dünn wie ein Faden. Er trug einen dunklen Anorak und an seinem Gürtel die Peitsche, ordentlich zusammengerollt.

Wie hast du uns gefunden?, dachte Yuri, aber eigentlich wollte er es nicht wissen, nicht wirklich. Es würde nur die Schwächen ihrer bisherigen Pläne aufzeigen. »Was willst du?«, fragte er, stellvertretend für alle Drei.

»Verhandeln.« Der blonde Mann sah ihm offen ins Gesicht.

»Okay, und was willst du haben?«

»Das Émigré-Dokument.«

»Warum nicht die fehlenden Seiten?«, fragte Jin.

»Weil ich die bereits habe.« Als Sarris behutsam die zusammengerollten Blätter aus der Tasche zog, war kein Triumph in seinen Augen, nur Müdigkeit.

Ein Aufkeuchen füllte die Stille.

Yuri war verwirrt. Wie konnte Sarris die Seiten haben? Das war unmöglich – eigentlich … Sein Blick wanderte zu Dante, und dorthin schaute auch Jin von der anderen Seite. Niemand konnte sich diese Wendung erklären; auch Dante nicht, wie es schien, denn er betrachtete Sarris angestrengt, und hinter seiner Stirn arbeitete es sichtbar.

»Okay«, sagte der Jäger schließlich, »sag’s mir: Was für ein Zaubertrick war das? Die Seiten waren in meinem Zimmer, und den Schlüssel hab ich in der Tasche.«

»Ach, Dante«, seufzte Sarris. »Ein Zauber war nicht nötig. Ich habe einen mächtigen Freund in dieser Stadt.«

Ach? Das erklärte vieles, wie Yuri einsehen musste: Die seltsamen Umstände ihrer Ankunft waren ihm noch bestens im Gedächtnis. Im Seaside den Schlüssel zu einem fremden Zimmer zu bekommen, war für den Kerl also kein Problem gewesen. Selbstredend war es auch Dantes Schuld: Hätte er die Seiten immer bei sich getragen, so wie Jin es mit der Émigré-Schrift hielt, wäre Sarris’ heimliche Suche erfolglos geblieben. »War ja klar«, murrte er.

Dante indes wirkte weder trotzig noch beschämt, nur … verblüfft. Zweifellos besaßen nicht viele Leute die Unverfrorenheit, ihn zu bestehlen. Mit so viel Frechheit von Anderen konnte er nicht umgehen.

»Ich gebe zu, leicht war es nicht, euch und diesen Ort zu finden«, fuhr Sarris versöhnlich fort. »Glücklicherweise verwies mich dieselbe Quelle, durch die ich auch von der Émigré-Schrift weiß, an das Kloster Nemeton. Für mich begann eine ziemlich mühsame Recherche, die sich aber gelohnt hat.« Er nickte in die Runde. »Ich brauche nur noch das Buch. Wahrscheinlich kann ich euch immer noch nicht dazu bewegen, es mir freiwillig zu geben?«

»Richtig«, bestätigte ihm Yuri.

»Sehr schade. Ihr wisst, dass ich nichts Böses will, und trotzdem bekämpft ihr mich wie einen Kriminellen.« Er schüttelte betrübt den Kopf. »Aber gut, ich habe mich damit abgefunden. Deshalb biete ich euch eine Energiequelle für eure Maschine an.«

»Hast du auch nur die leiseste Ahnung, was man mit der Maschine macht?«

Eine gewagte Frage. Wenn Sarris sie nicht ehrlich beantwortete, hatte er mehr über seine Gegenspieler erfahren als umgekehrt.

»Nun, ich … habe mich, wie ihr wisst, mit schwarzer Magie und ihrer Verbindung zu den Naturwissenschaften beschäftigt«, erklärte Sarris. Es wirkte authentisch, wie alles an ihm. »Euer Freund, der kleine alte Mann, kennt eine Methode, um immer weiter zu leben; er sieht aus, als müsste er längst tot sein, aber er hat den Tod überlistet, davon bin ich überzeugt. Er ist Gelehrter, nicht wahr, er kennt das Geheimnis des ewigen Lebens – und es ist weder Jungfrauenblut noch Phönixfedern. Habe ich Recht?« Er lächelte.

Yuri entspannte sich ein wenig. So war das also: Sarris hielt den Teleporter für eine Vorrichtung, die das Leben verlängerte. Gut, das durfte er gerne weiter glauben. »Was bietest du uns an?«

»Eine Teslaspule. Das Einzige, das archaisch genug ist, euer Laufband als Energiequelle zu unterstützen.«

… Hä …?

Eine Sekunde der Stille verging. Dann raunte Yuri, nicht sehr geschickt verhohlen, in Jins Richtung: »Teslaspule? … Was is’n das?«

Es dauerte einen weiteren Moment, bis Jin leise antwortete: »Das ist ein primitiver Transformator.«

Yuri traute sich nicht zu fragen, was genau ein Transformator machte. »Und wer sagt, dass wir das Ding nicht einfach nehmen und ihn hier unten verhungern lassen?«, schlug er stattdessen vor.

»Ist das eure Antwort auf das Angebot?« Sarris’ Stimme war ruhig und sachlich.

Das unausgesetzte Starren ihrer vier Augenpaare durchbohrte geradezu die Luft zwischen ihnen. Ihr Atem hing als weißer Nebel leuchtend vor ihren Gesichtern.

Plötzlich wandte Sarris sich ab. Er spannte beide Fäuste an und presste einen zischenden Laut durch Zähne und Lippen.

Yuri zuckte zusammen, als neben ihm Jin und Dante mit einem überraschten Aufstöhnen in die Knie gingen. Offenbar hatten sie Schmerzen, völlig unerwartete und heftige Schmerzen. Yuri spannte sich, erwartete, dass auch ihn gleich irgendein unsichtbarer Blitz treffen würde – aber nichts geschah.

Dafür ratschte es plötzlich neben ihm.

Jin presste jäh beide Hände auf die Seite seines Mantels, blitzschnell und doch zu spät; aus der aufgerissenen Innentasche, die nun als Fetzen herabhing, purzelte das Émigré-Dokument in die jahrhundertealte Asche auf dem Boden. Jin langte danach, doch das Buch sprang davon: Etwas Unsichtbares hatte es ergriffen und trug es in hohem Bogen aus seiner Reichweite. Auch Yuri grapschte einmal beherzt danach, doch das Buch war flink und sofort auf und davon. Jin starrte auf seinen eigenen sinnlos vorgestreckten Arm; Blut tröpfelte aus dem Ärmel. Was auch immer es war, es hatte ihn verletzt, auf eine Weise, die es ihm unmöglich machte, den Schmerz zu lokalisieren. Wie gelähmt blieb er kauern. Yuri griff nach seiner Schulter, doch Jin wehrte ihn mit dem unverletzten Arm ab.

Dante stand schon wieder von alleine und gab gerade ein leises Keuchen von sich, das eher Unwillen als Schmerz ausdrückte. Auch er war nicht aufmerksam genug gewesen. So viel zu den überlegenen Sinnen eines Halbdämons.

Indes streckte Sarris ruhig die Hand aus, und der schädelförmige Foliant, der bis eben um ihn herumgetanzt war, wurde von dem unsichtbaren Dieb hineingelegt. Yuri verstand die Welt nicht mehr.

Anders als Jin hatte Dante sich bereits auf die Suche nach der Wunde gemacht und zog den Mantel über der Schulter zurück, wo ein kurzer, aber tiefer Schnitt in der Unterseite des Oberarms das Fleisch aufklaffen ließ. Yuri erschauderte und sah, dass Jins Arm genauso zugerichtet war; das Blut begann bereits, den schwarzen Stoff in alle Richtungen zu durchziehen. Nun, Jins Mantel war ohnehin im Arsch.

Yuri blieb alarmiert. Er war von dem Angriff nicht betroffen, was er nicht verstehen konnte. Er hatte die Fäuste erhoben, doch für ihn gab es nichts abzuwehren.

»Ich glaube, mein Punktevorsprung vergrößert sich weiter«, stellte Sarris fest und winkte mild lächelnd mit dem verbotenen magischen Schriftstück. Etwas flirrte in der Luft neben ihm, links und rechts zugleich, und dann wurden auf seinen Schultern zwei kleine, äußerst hässliche Gestalten sichtbar. Es waren unterarmgroße Wesen mit dunkelroter, ledriger Haut, die rissig wirkte wie gesprungener Ton; je vier lange Gliedmaßen endeten in einzelnen, hakenförmigen Klauen, an denen Blut klebte. Ihre Münder waren klein, ringförmig und vorgestülpt, doch das Widerlichste an ihnen waren ihre Bäuche: Rund und annähernd durchsichtig ließen sie einen Teil der Organe inklusive der wild pochenden Herzen durchscheinen, wobei sie im unteren Teil mit leuchtend rotem Blut gefüllt waren wie Stechmücken nach einer guten Mahlzeit. Yuri hatte eine gute Vorstellung davon, wo dieses Blut herkam.

»Muss ich das verstehen?«, fragte Dante und betrachtete Sarris’ widerliche Diener mit einer gewissen Faszination.

Yuri stimmte ihm zu: Auch er begriff rein gar nichts.

Sarris stieß ein ungeduldiges Seufzen aus, erklärte dann aber ruhig: »Ihr habt auch eine Kopie des Henochbuchs mit hergebracht.« Oh, klar, sicher war es ihm beim Durchstöbern von Dantes Zimmer in die Hände gefallen. »Ihr wisst, dass ich Azazel nicht hier und jetzt beschwören kann.« Diese Information war neu, doch Yuri hielt in weiser Voraussicht den Mund und ließ Sarris weitersprechen. »Sehr schade, denn es würde sich so gut anbieten: Sollte irgendetwas schiefgehen – ganz gleich, was das sein mag –, dann könntet ihr einfach die Ruinen verschließen, so wie sie vorher auch verschlossen waren. Nichts von dem Bösen könnte diesen Ort verlassen. Eine Versicherung für euch.« Irgendwie ergab das schon Sinn, aber … »Aber es soll nicht sein. Das Henochbuch in deinem Zimmer, Dante, hat mir mitgeteilt, warum Azazel nicht erscheinen kann – noch nicht. Nun ist die Frage: Wer hat ihn in seinem Gefängnis in der Wüste eingesperrt?« Sarris’ Blick wanderte zwischen Jin und Dante hin und her. »Wer hat das Siegel geschaffen, das Azazel nicht überwinden kann? War es …« Seine Augen heften sich auf Dante. »… Sparda? Brauche ich Spardas Blut, um Azazel von seinen Ketten zu befreien? Oder war es womöglich Devil – seine eigene Saat, aus einer Rivalität und Missgunst heraus?« Jin hielt dem forschenden Blick Stand, während sich in Yuris Hirn das Puzzle gewohnt langsam zusammensetzte. »Tja«, fuhr Sarris fort, »das erfahren wir schon noch. Ich bin sicher, ihr möchtet das auch wissen; ich informiere euch dann. Danke für eure Zuarbeit.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ die Drei stehen. Gemächlich setzte er sich in Bewegung, jedoch nicht Richtung Ausgang, sondern geradewegs dem tieferen Schlund der Neam-Ruinen entgegen. Yuri, ungläubig, wollte sich gerade anschicken, ihm zu folgen, als die beiden blutsaugenden Teufel sich plötzlich von Sarris’ Schultern fallen ließen und noch vor dem Aufsetzen wieder unsichtbar wurden. Als zwei wabernde Nichtse stoben sie auseinander und zu den beiden dunklen Torpfeilern, die hoheitlich in der Düsternis aufragten. Im selben Moment, als Sarris das Tor durchschritt, spie die leere Luft an beiden Pfeilern einen dünnen Strahl Blut gegen das jahrhundertealte Material, um dann blitzschnell die Seiten zu wechseln und dort die Prozedur zu wiederholen. Sarris lachte leise, auf seine entspannte, angenehme Weise.

Im selben Augenblick schien bei Jin und Dante der Schmerz nachzulassen. Jin, der sich für einen winzigen Moment widerstrebend auf Yuri stützte, richtete sich wieder ganz auf. Der Arme hatte in letzter Zeit wirklich genug geblutet, fand Yuri.

Klare Sache: Sarris hatte die Torpfeiler mit Dantes und Jins Blut benetzt, und Yuri war völlig klar, was das bedeutete. Kommentarlos setzte er sich in Bewegung und folgte dem Mann durch die neu erschaffene Barriere. Ihn hielt sie nicht ab, sein Blut klebte nicht an den Pfeilern; an ihm war Sarris nicht interessiert gewesen, und deshalb konnte er sich noch frei bewegen.

»Hast du nicht was vergessen?«, rief er Sarris herausfordernd hinterher.

Ihr Gegner drehte sich halbherzig nach ihm um. »Wie dich?«, fragte er stirnrunzelnd. »Ich erinnere mich schon noch, dass du der Dritte im Bunde bist, Harmonixer. Du bist der Informant. Du hast dafür gesorgt, dass wir alle heute hier sind. Damit hast du viel für mich getan. Vielleicht sollte ich mich bei dir bedanken.« Er nickte ihm ernst zu. »Außerdem bist du ein guter Schläger. Das kann ganz nützlich sein, vermute ich.« Und er wandte sich wieder ab.

Ein guter Schläger? Yuri musste beinahe lachen. Für Sarris war er also uninteressant. »Dann stört’s dich ja nicht, wenn ich zurückhaben will, was uns gehört.« Und er lief los, zog an Sarris vorbei und stellte sich ihm in den Weg. Das bläuliche Licht wurde tiefer in den Katakomben schwächer. »Sei brav und gib’s zurück«, verlangte Yuri und streckte die Hand aus.

Sarris betrachtete ihn verständnislos. »Mach dich nicht lächerlich.«

»Ich kann mir das Buch auch mit Gewalt holen.«

Sarris schüttelte den Kopf und tätschelte die zusammengerollte Peitsche an seiner Seite. »Du weißt, wenn du deine Fähigkeit einsetzt und dir den Körper eines Monsters leihst, werden die Runen deine Kräfte absorbieren. Das hast du bei Dante gesehen, aber vielleicht nicht verstanden, deshalb wiederhole ich es. Sei nicht dumm, Harmonixer, und lass mich vorbei. Ich möchte niemandem wehtun.« Damit machte er wieder einen Schritt, im Versuch, sich an Yuri vorbeizuschieben.

»Und du weißt, ich kann dicht nicht abhauen lassen. Meine Bedingung ist, dass du die Émigré-Schrift zurückgibst.«

»Tut mir Leid.«

»Dann lässt du mir keine andere Wahl als –« Yuri wollte weitersprechen, noch während er mit beiden Händen nach Sarris’ Arm griff, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, doch noch ehe er zupacken konnte, fuhr er plötzlich mit einem verbissenen Aufschrei zusammen. Scheiße, tat das weh! Er hatte diese beiden Mistkröten ganz vergessen! Grimmig griff er mit der Linken über seine rechte Schulter und bekam etwas zu fassen. Das Vieh zappelte in seiner Faust, quietschte wie eine Ratte, ehe es plötzlich sichtbar wurde. Yuri ließ es nicht warten: Brutal drückte er den kleinen Schädel mit der ganzen Hand zusammen, bis er wie eine reife Frucht zerplatzte. Blut besprenkelte seine Brust und sein Gesicht – ebenso wie das von Sarris.

Kurzzeitig wirkte ihr Widersacher konsterniert, sein Gesicht unter den dunklen Spritzern fahl und verkniffen, die Lippen eine schmale Linie.

»Einen hab ich«, knurrte Yuri, »fehlt noch einer.«

Mit zitternder Hand entrollte Sarris die Peitsche an seinem Gürtel.

Yuri blieb stehen, doch sein Mund wurde trocken. In einem Tunnel nur mit den Fäusten gegen einen Bewaffneten kämpfen zu wollen, noch dazu mit einer solchen Reichweite, war schlicht lebensmüde. Die sieben Lederriemen – heiliger Mist! – würden unberechenbar an den engen Wänden abprallen, würden überall zugleich sein, einen vernichtenden Vorhang bilden; Yuri hätte keine Chance, Sarris überhaupt nahe zu kommen. Er würde sich hundertprozentig schwer verletzen oder Schlimmeres. Und doch konnte er Sarris nicht gehen lassen, nicht mit der Émigré-Schrift. Yuri befand sich im Zwiespalt zwischen zwei ziemlich aussichtslosen Situationen.

Wenn sie wenigstens zu zweit wären …

Aus dem Augenwinkel sah er, wie hinter den Torpfeilern Jin wie aus Reflex losrannte. Garantiert wusste er, dass er nicht weit kommen würde, und versuchte es trotzdem, unfähig, sich zurückzuhalten. Doch in Jins kurzem Sprint zu den beiden steinernen Säulen erkannte Yuri bereits über die Distanz hinweg, wie zwischen den Pfeilern ein widerwärtiges rötliches Licht waberte, ein träger Film, dessen Oberfläche hin und her suppte wie ein vergifteter Teich. Gerade noch rechtzeitig stoppte Jin davor; seine Schuhspitzen gruben sich in den Boden, ehe der bedrohliche Schein sich vor ihm aufbäumte und sich zu fünf Fingern formte, die sich um ihn zu schließen versuchten. Sofort war Dante hinter ihm, packte ihn am Kragen und riss ihn zurück. Der Angriff des handförmigen Gebildes ging ins Leere und löste sich wieder auf, doch das rote Schimmern im Toreingang blieb, jederzeit bereit, erneut sein Werk zu tun und jeden aufzuhalten, der durch den Zauber ausgesperrt war. Oh ja, Yuri kannte magische Barrieren. Und Dante offenbar auch.

Sarris wirkte voll zufrieden. Ermutigt stieß er vor, schwang mit einer geübten Drehung des Arms seine Geißel, die sich mit allen sieben Enden entfaltete wie ein Nesseltier seine Gifttentakeln. Bereits jetzt musste Yuri weit zurückweichen, um ihren Stichen zu entgehen.

»Deine letzte Gelegenheit zu gehen, Harmonixer.«

»Noch mal:

Dann hörten sie endlich mit dem Imponiergehabe auf. Yuri wusste, dass es jetzt hässlich wurde. Sarris kniff beinahe schmerzerfüllt die Augen zusammen und schwang die Peitsche in flachem Bogen, sich selbst vor ihr zurück duckend. Siebenmal krachte es, als die Haken auf das glühende Gestein schlugen. Yuri wurde nicht getroffen, weil er erneut auswich und Raum gab. Zu viel Raum. Verärgert über sich selbst gewann er diesen mit einem Satz zurück, während Sarris die Geißel wieder einholte, und hechtete unter dem nächsten Schlag hindurch, in der Absicht, Sarris mit vollem Gewicht in die Knie zu rammen. Drei der vier Schwänze trafen dabei seinen Rücken und brachten dem abgewetzten Leder des Mantels harte Schmisse bei, die ganz aufklafften, als die beiden Kämpfer aufeinander prallten. Sarris fiel ohne Halt in den Beinen nach hinten, Yuri rollte sich weg und rappelte sich auf, doch selbst in halber Rückenlage wuchtete Sarris die Peitsche noch ein drittes Mal hoch, und sogar dieser geringe Schwung verlieh den Dornen an den Enden vernichtende Kräfte. Ihr Aufschlag zerteilte Yuris Mantel ganz und das geliehene Shirt darunter gleich mit. Der Treffer ging bis auf die Haut, und das Geräusch war nicht angenehmer als der Schmerz, der ihn begleitete. Sich erneut mit einem Ächzen auf die Füße ziehend, wand Yuri sich frei von den Fetzen aus Stoff und fasernder Tierhaut und stolperte fast, ehe er wieder Stand fand. Scheiß drauf, er musste das jetzt aushalten, egal wie. Sarris war längst wieder unangreifbar.

Hektisch fixierte Yuri die nahen Wände, heftig atmend. Hoffentlich begriffen Jin und Dante, was er gerade wirklich zu tun versuchte. Er hatte keine Chance gegen Sarris in einem derart unfairen Kampf, nein. Er wollte nicht gewinnen, sondern suchte fieberhaft nach dem zweiten Teufel, dem kleinen blutsaugenden Monster, das irgendwo unsichtbar im Raum unherflitzte. Wenn es jemand tötete, egal wer, würde der Blutzauber, der Jin und Dante hinter der Barriere hielt, erlöschen.

»Du willst sie befreien«, erkannte Sarris. »Ich verstehe. Aber das wird nichts.«

Pah, dachte Yuri. Sarris wäre sicher überrascht zu hören, dass sie seine bisherigen schwarzmagischen Siegel mit so profanen Mitteln wie Kerosin und kaltem Kaffee außer Gefecht gesetzt hatten.

Sarris, der ein paar Meter rückwärts gekrochen war, richtete sich wieder auf. Noch wirkte er kräftig genug, um dieses Spiel weiterzuspielen – doch offenbar wollte er es gar nicht. »Der nächste Schlag«, sagte er beinahe verzweifelt, »könnte dein Fleisch bis auf die Knochen aufreißen.« Seine Stimme klang nass, als wäre seine Kehle blutig. »Ich bitte dich.«

»Dann tauschst du jetzt?«, fragte Yuri und rieb sich über die Schulter, wo einer der schwach blutenden Striemen verlief.

»Ich kann nicht aufgeben.«

»Tja, ich auch nicht.« Entschlossen ballte Yuri die Fäuste. Gott, was machte er hier? Selbst mit der Aussicht, die Anderen zu befreien, war es immer noch Wahnsinn. Fieberhaft suchte er weiter die Umgebung nach dem kaum merklichen Flirren ab, das den kleinen Teufel verraten würde; doch das Licht war zu diffus, das Flackern zu unstet.

Dante, hinten neben Jin stehend, blieb gleichfalls untätig. Er hatte eine Hand am Holster, griff aber nicht zu. Allerdings – und dies machte Yuri ein klein wenig Hoffnung – zuckte sein Blick nicht so ratlos hin und her wie der von Jin. Stattdessen schien er zu warten. Zu lauern.

Wieder maßen Yuri und Sarris einander unglücklich, doch kämpferisch mit den Blicken. Gleich würde Sarris Yuri mit der Peitsche deftig eins überziehen und dann in die Tiefen der Ruinen entkommen. Mit der Émigré-Schrift.

Yuri hoffte, dass Dante irgendetwas sah. Er hoffte, dass er selbst irgendetwas sah. Eine einzige verschwommene Bewegung irgendwo am Rande seines Blickfeldes, und er konnte darauf zeigen und »Dort!« schreien, und mehr brauchte Dante vermutlich nicht.

Doch nichts bewegte sich.

Sarris biss die Zähne zusammen und stürzte los. Yuri sprang ihm entgegen. Die Striemen schienen auf seiner Haut in Flammen aufzugehen, als er jeden Muskel seines Oberkörpers spannte, um die erwarteten Schläge irgendwie aushalten zu können.

Jetzt macht er mich kalt, dachte er. Jetzt erwischt er mich mit der ganzen Breitseite. Dann stehe ich nicht mehr.

Es würde ein vernichtender Schlag sein.
 

Das Echo des widerwärtigen Gesanges, als die sieben Dornen durch die Luft fuhren, verebbte. Es endete nicht abrupt, sondern ging einfach vorüber, als wären die Wände so weit entfernt wie in einem riesigen Tanzsaal, als gäbe es nichts, auf das die Enden treffen konnten, außer der leeren Luft.

Yuri stand still, die Augen krampfhaft geschlossen. Sein Körper brannte. Doch nichts tat weh.

Aus ihm strömte etwas nach draußen und drängte wieder hinein, alles gleichzeitig. Es war nicht an der Zeit für ihn, von Sarris’ Peitsche zerrissen zu werden. Nicht in dieser Zeit.

Langsam öffnete er die Augen.

Er hörte, wie Sarris vor ihm aufkeuchte, ungläubig. Dann sah er es: Die Geißelschwänze hingen in der Luft, und Sarris riss seltsam kraftlos wieder und wieder am Stiel seiner Waffe. Yuri sah das grelle Licht, das sein eigener Körper an die Wände warf, und den Schatten, der dazugehörte; ein Schatten mit zwei Paar Vogelschwingen, ein dunkler Seraphim, der drohend über Sarris und all seiner Bedeutungslosigkeit aufragte. Diese eine Seele, mit der Yuri so lange und hart gekämpft hatte – die ihn beinahe das Leben, die ihn Alice gekostet hatte – beschützte ihn. Es war, als wäre alles um ihn herum erstarrt. Die anderen Menschen in seiner Nähe waren nur kalte Körper; er war die Sonne, um die sich alles drehte, das heiße, fürchterliche Zentrum des Universums.

Der Moment schien endlos. Wahrscheinlich waren es nur Sekundenbruchteile, doch die Zeit stand unbeweglich im Raum wie ein zu Eis gefrorener Fluss.

Dann, endlich, konnte Yuri sich wieder bewegen. Er war maßlos müde. Leise seufzte er, und der Schatten verschwand; unirdische Flügel und schwarzes Licht zogen sich in seine harmlose menschliche Gestalt zurück und hinterließen einen halb entblößten Mann zwischen den Fetzen seiner Kleidung. Oh ja, er musste großartig aussehen. Yuri machte zwei taumelnde Schritte auf Sarris zu, der wie betäubt auf dem Boden saß und ihn anstarrte, bückte sich und nahm das schädelförmige Buch aus dessen Jackentasche. Sarris unternahm nichts dagegen. Er sah nur resigniert zu ihm auf.

»Na bitte, war doch nicht so schwer«, murmelte Yuri, während er mit der Émigré-Schrift im Arm langsam in Richtung seiner eingesperrten Gefährten trottete.

»Warte«, sagte Sarris schwach. »Du bist nicht nur ein Harmonixer. Was … bist du?«

Yuri blieb stehen, drehte sich zu ihm um und hob die Schultern. Er war so müde, er könnte auf der Stelle umfallen und einen halben Tag schlafen. »Such dir was aus«, murmelte er. »Ich hab schon viele Namen. Der Dämon von Domremy … das Monster vom Blauen Schloss … der Zerstörer von Shanghai …«

»… und der Gottesschlächter … nicht wahr?« Das sich verbreiternde Grinsen des geschlagenen Mannes war unheimlich. Sarris hatte keine Angst vor ihm; er war geradezu entzückt. »Das ist … Ich kann es nicht glauben! Du solltest nicht hier sein, aber du bist es doch! Du bist zurückgekehrt, und …« Seine Augen flackerten an Yuri vorbei dorthin, wo Jin und Dante standen. »Oh, ihr… ihr drei seid großartig. Ihr seid … ein Triumvirat. Ihr begeistert mich.« Sein Atem ging schwer. Mühsam versuchte er, sich wieder auf die Beine zu hieven, doch seine Glieder zitterten sichtbar. Er lachte: »Wie wahrscheinlich ist es, dass drei Männer wie ihr einander begegnen, in einer Zeit wie dieser?« Er gab auf und ließ sich wieder auf den Hintern fallen. »Es ist ein Wunder, ein –«

In diesem Moment hallte ein Schuss. Scharf pflügte das Geräusch quer durch die Grotte und ließ Yuri zusammenfahren. Auch Sarris zuckte, rotes Blut spritzte, und einen Wimpernschlag lang glaubte Yuri, Dante hätte ihn einfach erschossen – dann sah er, wie Sarris sich herumwarf und rückwärts kroch, während über dem altehrwürdigen Tor, das Jin und Dante aussperrte, das abstoßende Wabern wieder Gestalt annahm: Es bäumte sich auf, von einem ungehörten Schrei begleitet, und barst in rote, dampfende Fetzen. Der Zauber fiel in sich zusammen.

Yuri sah hinter sich. Dante drehte den Abzug der Pistole einmal um den Zeigefinger wie ein Westernheld, dann ließ er die Waffe verschwinden und wandte sich an Jin, der neben ihm stand und ihn anstarrte: »Kazama? Zeit zu gehen, oder?«
 

»Warum ist mir das alles nicht früher klar geworden?«, murmelte Sarris, als Dante und Jin ihn aufsammelten. Yuri war zu müde, um mitzuhelfen, und lehnte schwer an der fluoreszierenden Höhlenwand.

Sarris wirkte abgelenkt, unaufmerksam ob der jüngsten Enthüllung; zwar schien ihm klar zu sein, dass seine Widersacher drauf und dran waren, ihn hier in den Ruinen einzusperren, doch es schien ihn nicht zu interessieren – nicht im Moment.

»Wir lassen dich hier«, erklärte Jin ihm noch einmal in aller Deutlichkeit. »Wir schließen die Falltür hinter uns.«

A. nickte vage. »Ja, tut das nur. Ich habe diese Runde verloren, ich weiß.« Er furchte die Stirn. »Ihr müsst aber zugeben, dass der Plan … nicht so schlecht war.«

Niemand wollte zugeben, dass dieser Plan vermutlich aufgegangen wäre. Missmutig schob Jin das Émigré-Manuskript wieder in seine blutfleckige Innentasche, bemerkte dann wohl aufs Neue, dass sie zerrissen war, und klemmte das Buch stattdessen unter den Arm.

»Die ganze Zeit hast du so gut auf deinen Mantel aufgepasst und jetzt hat’s ihn doch erwischt«, bemerkte Dante, unangemessen amüsiert. Doch seine Miene wurde sofort wieder ernst, als er sich bückte und vom staubigen Boden einen anderen Mantel aufhob, nämlich Yuris, und ihn einigermaßen liebevoll zu einem Knäuel faltete, soweit es noch möglich war.

Yuri ließ die Wand los, nahm Dante das Bündel ab und bewegte sich schleppend auf das unheilige Tor zu. Langsam machten die Wunden sich auch bemerkbar. Ihm tat alles weh.

Sarris blieb hinter dem Tor zurück. Noch einmal maßen sie einander mit den Blicken, mit neuem Respekt auf beiden Seiten.

»Ich tue das für sie, das wisst ihr«, sagte Sarris leise. »Ich würde nichts hiervon tun, wenn es nicht nötig wäre … Hätte ich die Wahl, würde ich nur Gutes tun, wie früher. Jungen Menschen ein Vorbild sein …« Es klang matt, aber nicht besiegt. Er hatte noch nicht aufgegeben.

Dante kommentierte das Statement mit einer despektierlichen Geste. »Ich würde in meiner Freizeit auch lieber Vogelhäuschen bauen, aber die Brut gibt nun mal keine Ruhe.«

»Jin kann Azazel töten«, sagte Sarris schwach.

»Nein, kann er nicht.«

Yuri sah, dass Jin widersprechen wollte. Auch ihm gefiel nicht, dass Dante sich anmaßte zu wissen, was er tun konnte und was nicht. Aber Yuri sah ein, dass er es selbst nicht besser wusste: Er hatte Azazel noch nie gesehen, wusste kaum etwas über ihn, der Dämon war bisher nur ein formloses, kaum fassbares Konstrukt in seinem Kopf. Auch Jin sagte nichts.

»Was würdet ihr tun?«, versuchte es Sarris noch einmal, neue Leidenschaft in der heiseren Stimme. »Würdet ihr nicht genauso versuchen, einen Menschen, den ihr mehr geliebt habt als euch selbst, zurückzuholen? Und dabei etwas zu tun, das noch niemand getan hat? Zu zeigen, dass es möglich ist, Leben aus dem Tod zu erschaffen?«

Plötzlich hatte Yuri genug. Trotz seiner Schwäche fuhr er herum und schnappte: »Habe ich gemacht, du Idiot! Habe ich! Es funktioniert nicht! Du musst den Schmerz hinnehmen, verstehst du? Auch wenn du ihn nicht ertragen kannst, auch wenn er dich innerlich aushöhlt, egal wie viel Zeit du dir gibst, um zu vergessen – du musst damit leben

Sie starrten einander flammend an. Es war Yuri egal, was er preisgegeben hatte; Jin und Dante wussten bereits, dass er mithilfe von Roger und der Émigré-Schrift versucht hatte, Alice wieder zum Leben zu erwecken. Sie hatten das Ritual nach bestem Vermögen perfektioniert, und es hatte trotzdem nicht funktioniert. Es lag an Alice’ Seele, daran, dass sie diese Art von widernatürlichem Zauber verabscheute. Schlimmer noch: Das gescheiterte Ritual hatte es Kato erst erlaubt, die Tore der Zeit zu öffnen und das Schlimmste aus der Émigré-Schrift herauszuholen, das nach Rogers Revision noch darin zu finden war. Indirekt hatte Yuri sich selbst in diese Situation gebracht, in der er jetzt war. Seine Verbitterung erlaubte es ihm nicht, den Erfolg, einen verlorenen Menschen zurückzubekommen, jemand Anderem zu gönnen – nicht jetzt, noch nicht, egal wie die Bedingungen waren.

Er war der Erste, der sich von Sarris abwandte und weiter ging. Richtung Ausgang. Jin folgte ihm sofort, dann Dante. Zu dritt entfernten sie sich Seite an Seite von diesem Ort, den Yuri am liebsten nie wiedersehen wollte.

Immer noch rief Sarris ihnen nach. »Ihr drei seid keine Menschen! Ist euch das klar?« Seine Stimme klang jetzt noch heiserer, wie die eines Ertrinkenden. »Ja, ihr wisst es – das ist der Grund, warum das Karma euch zusammengebracht hat! Ihr glaubt, dass ihr Menschen seid, ihr gebt es vor, seht so aus, tut alles, um menschlich zu bleiben – doch ihr könnt es nicht vor euch selbst verleugnen! Was in eurer Brust schlägt, in euch allen, ist das Herz eines Dämons!«

Keiner von ihnen wurde langsamer. In Yuris Ohren wurde das Rufen allmählich leiser, der Schall, von zahllosen Oberflächen zurückgeworfen, floss immer mehr zu einem Brei zusammen. Herz eines Dämons war das Letzte, das er klar gehört hatte. Kann sein, dachte er lahm. Mir egal.

Dann hörte er doch noch etwas. Sarris brüllte ihnen aus vollem Halse nach: »JIN! Du kannst es nicht aufhalten. Du bist von Azazel berührt! Ihr werdet einander rufen!« Eine kurze Atempause, dann: »Habt ihr wirklich gedacht, ihr könntet das Monster einfach in Ketten legen? Ihr seid ja noch naiver, als ich dachte! Der Einzige, der dich erlösen kann, Jin, ist Azazel. Merk dir das! Azazel ist deine einzige Hoffnung!«

Die Laute waren kaum noch einzeln erkennbar, doch anscheinend hatte Jins auditives Zentrum sie bestens auseinander sortiert, denn über sein Gesicht huschte ein Ausdruck von Schmerz, ehe er seinen Schritt beschleunigte. Gleichzeitig erreichten sie die Falltür, und Dante, der der Größte von ihnen, stieß sie auf.

»Er kommt nicht um da unten«, sagte Yuri, fast entschuldigend. »Es gibt Zugänge zum Grundwasser, und wenn er weiter oben bleibt, frisst ihn auch nichts. Er wird nur vielleicht ein bisschen schlecht drauf sein, wenn wir ihn wieder rauslassen.«

»Was meinte er damit, er wüsste, dass er Azazel nicht hier und jetzt beschwören kann?«, fragte Dante mit gefurchter Stirn. »Er hat das Henochbuch bei mir gefunden – okay –, aber was sollte das Gerede über unsere Väter?«

»Das Henochbuch …« Jin rieb sich abwesend die Schulter, mit der er die Émigré-Schrift an den Körper drückte. »Sollten wir es Roger jetzt zeigen?«

Yuri ließ ein dünnes Lächeln sein abgekämpftes Gesicht erhellen. »Na klar. Wir zeigen ihm die Azazel-Passage, damit er sie für uns übersetzt.«

»Sarris geht davon aus, dass wir sie längst gelesen haben«, bemerkte Dante mit einem freudlosen Lachen, »dabei hatten wir keine Ahnung, wovon er redet.«

»Weil Übersetzen offenbar nicht deine Stärke ist.«

»Oh, mit dir müssen wir sowieso noch ein Wörtchen reden. Gottesschlächter

Yuri hatte befürchtet, dass ihn das noch verfolgen würde.
 

Jin drehte angespannt den Kopf beiseite, während Rogers ledrige Finger wie zwei Spinnen über seine bloße Schulter krabbelten.

»Ach, das sieht harmlos aus. Offenbar hat der Stich nur eine kleine lokale Unverträglichkeitsreaktion verursacht, wegen der Proteine im Speichel. Hat ganz schön wehgetan, eh?«

»Ja. Ich konnte Devil kaum zurückhalten.«

»Wie ist es jetzt?«

»Besser«, antwortete Jin ungeduldig. Yuri fragte sich, warum er Berührungen so unerträglich fand.

Er selbst saß schweigend und seinen Mantel umklammernd auf dem weinrot bespannten Sofa und hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Die roten Striemen, die Sarris’ Peitsche verursacht hatte, zeichneten sich hart auf seiner weißen Haut ab. Noch immer brannten sie dumpf.

Roger tätschelte Jins muskulösen Oberarm und lächelte nur flüchtig. »Tu etwas Spucke drauf und halt die Wunde sauber.« Er sah zu Dante, der mit verschränkten Armen vor der Zeitmaschine stand und sie anstarrte wie etwas, das alle Probleme der Welt lösen konnte. »He, Dante – dir geht’s gut, richtig?«

»Ganz wunderbar«, antwortete der Teufelsjäger. »Ich bin morgen wieder makellos wie ein Gott.«

Roger kicherte, und Jin begann, sein Hemd wieder zuzuknöpfen. Jetzt, da das Blut abgewaschen war, sah die kleine Bisswunde wirklich nicht schlimm aus, und auch seine älteren Wunden waren kaum noch sichtbar. Jin erhob sich aus dem Sessel, um Yuri Platz zu machen, doch Yuri fand keine Kraft, sich hochzuhieven, und blieb sitzen, wo er war. Roger schlurfte selbst zu ihm hinüber.

»Aaaach, was hast du nur wieder gemacht, Junge«, brummte der Mönch und schob den feuchten Lappen unsanft über die wunde Haut, sodass Yuri zusammenzuckte.

»Was ich immer mache«, biss er. »Solltest du wissen.«

»Du kannst dich nicht immer auf den Seraphim verlassen.«

»Sag du mir nicht, was ich kann und was nicht.« Yuri versuchte, den Mantel über die nackte Schulter zu ziehen, doch der Fetzen löste sich lautlos aus dem Knäuel auf seinem Schoß. Resigniert ließ er ihn fallen. »Ach, Kacke.«

Roger griff wieder nach seinem Arm. »Was macht dich so wütend?«

»Ich brauche diesen Mantel noch!«

»Um Alice darin zu bestatten?«

»Roger …«

»Glaubst du denn, du müsstest das noch einmal tun?«

»Sonst hätte ich ihn wohl nicht mehr.«

Yuri merkte, dass die Anderen an ihm vorbei sahen, als lauschten sie aufmerksam auf das Tropfen des Wassers in den Wänden.

»Ich näh ihn dir«, versprach Roger, »mit meiner selbstgebauten Nähmaschine.« Und dann ließ er Yuri los, zupfte ihm das Kleidungsknäuel aus den verkrampften Armen und watschelte damit ins Zimmer nebenan.
 

Endlich wandten Jin und Dante sich ihm wieder zu, und Yuri spürte ihre Blicke wie eine Last auf sich ruhen. Es fühlte sich an, als wäre er ganz nackt, nicht nur halb.

»Warum hast du uns nicht einfach gesagt, dass du der Gottesschlächter bist?«, wollte Dante berechtigterweise von ihm wissen. Während der Jäger einfach nur argwöhnisch aussah, wirkte Jin, der nichts ergänzte, hinter seiner starren Miene irgendwie verletzt. Beinahe tat es Yuri leid, nicht einmal ihn in sein kleines Geheimnis eingeweiht zu haben. Doch er wischte den Vorwurf beiseite und antwortete nur auf Dantes simple Frage: »Ich fand’s so ulkig, wie du mich die ganze Zeit unterschätzt hast. Dachte, ich spiel das noch ’ne Weile mit.«

»Du bist wirklich ein Idiot.«

»Na, du schaltest deinen Grips aber auch nur zum Pizza Bestellen an.« Er wollte sich nicht rechtfertigen, schon gar nicht vor Dante. Vor Jin vielleicht … aber nicht jetzt.

»Also bist du diese Legende, die hier noch spukt. Das warst du, den das Monster von Clarach jahrzehntelang beschützt hat – du, ohne Seele, ohne Erinnerungen und völlig wehrlos. Die Leute sollten bloß nicht rausfinden, dass ihr Held, der Gottesschlächter, zurückgekommen war und nicht mal mehr seinen Namen wusste.«

Yuri wich Dantes hartem Blick aus. So war es, das war ihm sofort bei ihrer Ankunft bei Roger klar geworden. Nach dem Sieg über Kato hatte sich Rogers ganzes Leben nur noch um Yuri gedreht.

Was habe ich ihm nur angetan …

»Yuri?«

Jins ruhige, dunkle Stimme ließ ihn den Kopf heben. »Was?«

»Wie sah er aus?«

»Wer?«

»Der Gott.« Jin musste nicht weiter ausführen, was er meinte.

Yuri blinzelte, als er versuchte, die Erinnerungen an diesen verworrenen, wahnsinnigen Kampf, der ihm jetzt wie ein ferner Alptraum erschien, wieder heraufzubeschwören. Was sollte er sagen? Tentakeln, Schlünde, Augen, und von allem zu viel? »Ich … kann’s nicht beschreiben«, antwortete er ausweichend. »Es war das seltsamste Geschöpf, das ich je gesehen hab.« Nein, er war nicht redegewandt genug, um in Worte zu kleiden, wie dieses Wesen nach der Beschwörung des R’lyeh-Textes von den Sternen heruntergestiegen war, grotesk und schauerlich wie nichts, das er je gesehen hatte, ersonnen in der fiebrigen Traumwelt eines Geistesgestörten. Seine Laute – sein fremdartiges Geheule, das aus verschiedenen Sphären zugleich hervorzuquellen schien – hätten ausgereicht, jedem normalen Menschen den Verstand zu rauben; und hätte Yuri nicht bereits ein Großteil ebendieses Verstandes eingebüßt, wer konnte sagen, ob er die Begegnung mit dieser astralen Perversität in geistiger Ganzheit überstanden hätte …?

»Yuri?«

»Äh … Stellt euch einfach vor, ihr seht in einen ganz tiefen, dunklen Brunnen, und da unten schwimmt irgendwas, was ihr nicht genau sehen könnt, und eure Phantasie erfindet alles Mögliche, was an diesem Ding dran sein könnte, und jeder kleine Wirbel im Wasser ist irgendein Teil davon.«

Nach dieser sehr inadäquaten Beschreibung fragte Jin dankenswerterweise etwas Anderes. »Und was war das, was wir gesehen haben?«, fragte er stattdessen.

»Oh, das war der Seraphische Glanz. Dehuai hat ihn erweckt mit der Umgekehrten Dämonentor-Anrufung. Er hat Shanghai bis auf die Grundmauern niedergebrannt.« Yuri merkte, dass ihm kalt wurde. Die Schrammen auf seiner nackten Haut juckten jetzt unter dem trocknenden Schweiß. »Lange vor mir hat mein Vater gegen ihn gekämpft und das gleiche versucht wie ich, nämlich ihn zur Fusion zu zwingen, um ihn zu kontrollieren. Hat genauso wenig funktioniert.«

»Und darum musste dein Vater von seinem besten Freund getötet werden«, schloss Jin, und Yuri hörte in seiner Stimme jene Bitterkeit, die er auch in sich selbst fand. Also hatte Roger den Beiden schon gesteckt, was aus Oberst Hyuga geworden war.

»Ja, richtig«, bestätigte Yuri und sah Jin direkt in die schwarzen Augen. »Denn Harmonixer verlieren mit jeder Fusion ein Stück geistige Gesundheit.«

»Und fallen irgendwann unweigerlich dem Wahnsinn anheim.«

»Ja.« Der Geist eines Menschen konnte eben nur eine begrenzte Menge an Grauen aushalten. »Und mit dem Seraphim ist mir haargenau das gleiche passiert wie meinem Vater. Nur hatte ich Alice, die mich von da unten zurückgeholt hat. Wäre sie nicht gewesen …« Es war nicht nötig, den Satz zu beenden. Sie wussten es doch längst.

Jin stand auf und durchquerte das Zimmer rastlos, ohne klares Ziel. Dante, der sich, an die Wand gelehnt, in Schweigen hüllte, folgte ihm mit dem Blick.

»Uns blüht doch dasselbe«, knurrte Jin, blieb stehen und starrte zu Boden. »Uns allen. Seht uns an! Wir sind Monster! Was haben wir je für die Welt getan?«

»Ich hab sie gerettet.« Yuri fand das Selbstmitleid unerträglich. Langsam reichte es mal. »Zweimal. Und der Typ auch.« Er nickte zu Dante. »Was hast du für die Welt getan?«

Jin schwieg grimmig und sah ihn nicht an.

»Schon klar, wenn du Devil beherrschen könntest, wärst du ein Superheld, richtig?« Wieder keine Antwort, aber Yuri erwartete auch keine. Milder fügte er hinzu: »Mit einem Teufel, der dauernd Amok läuft, kann man eben nicht arbeiten. Keine Sorge, wir schließen dich nicht aus unserem Kreis aus, nur weil du noch kein Weltretter bist.«

Von Dante kam ein leises Lachen.

»Ich mein’s ernst, Jin, ich hab dir das schon mal gesagt. Du wirst ihn irgendwann wieder kontrollieren … oder loswerden, oder was auch immer dir lieber ist. Du bist einer von den Guten. Es wird nicht damit enden, dass irgendein Dämonenjäger kommt und dich vom Himmel pustet.« Zumindest glaubte Yuri, dass Dante dies noch nicht auf seiner To-Do-Liste vermerkt hatte.

»Aber vielleicht soll genau das passieren«, erwiderte Jin, emotionslos wie immer. »Sarris hatte Recht. Dass wir Drei uns begegnet sind, ist kein Zufall. Es ist Karma.«

Yuri lachte spöttisch. »Stimmt, hatte ich ganz vergessen. Wir Dämoooonenherzen.«

»Ich hab ihn noch nie so viel Pathos kotzen hören. Der Typ legt nach«, war Dantes Beitrag dazu.

Yuri zuckte die Achseln. »Er ist besessen von seinem Plan, so was hab ich schon oft gesehen. Wir sind nun mal diejenigen, die ihn stoppen müssen. Erst mal haben wir ihn jetzt festgesetzt, das ist ein Anfang.«

»Mir gefällt trotzdem nicht, was er gesagt hat«, murmelte Jin.

»Und wieso hörst du dir das überhaupt an? Gerade dich hat er doch oft genug gepiesackt!«

Sie verstummten, als Roger aus dem Zimmer nebenan wieder bei Ihnen auftauchte. Er trug Yuris Shirt auf dem Arm. »Dein Mantel ist in Arbeit«, informierte er den Besitzer.

»Ach … Und womit nähst du den?«

»Mit Zwirn natürlich, eh, was Anderes hält nicht.«

»Und womit hast du das genäht?« Yuri nahm das noch etwas schweißfeuchte Kleidungsstück entgegen und betrachtete es verwundert; die Nähte waren fast nicht zu sehen.

»Mit einem Haar«, erklärte Roger.

»Was? Haar? Woher?«

»Sage ich dir besser nicht.« Roger kratzte sich den Nacken. »Nun, ich habe mir auch diese Peitsche angesehen … Eine schreckliche Waffe! Damit hätte man die Ketzer geißeln sollen, als … Nun, was soll’s. Die Runen darauf sind mächtig, sie gehören zu den ältesten, die noch bekannt sind. Und es sind auch Zeichen darauf, die sich auf der Tafel von Dschaizan finden.« Bedeutsam wedelte er mit seiner kleinen, altersschwachen Hand. »Das war kein Dummkopf, der die Waffe so präpariert hat.«

Dante nickte zustimmend, doch er sah dabei ganz woanders hin.

»Ich kann sie zerstören, wenn ihr das wollt. Ihre Macht brechen.«

Yuri sah weiter Dante an. Dies war seine Entscheidung, er war Sarris’ alter Bekannter.

Dante überlegte nicht lange. »Du meinst also, du kriegst sie so kaputt, dass sie keinen von uns mehr in den Finger beißt und Sarris sie auch nicht wieder reparieren kann.«

»Ich kriege sie kaputter, als du sie kriegen würdest«, bestätigte Roger.

»Dann mach es.«

Roger neigte den Kopf. »Ich werde mich gleich nachher darum kümmern.« Er räusperte sich gründlich, und Yuri wusste, dass er noch mehr zu sagen hatte. Sein alter Freund faltete die Hände auf dem Rücken und sah die Versammelten der Reihe nach an. »Hört mal zu, ihr Drei. Etwas solltet ihr euch bewusst machen. Ihr glaubt – und auch Aidan Sarris glaubt –, eure größte Gemeinsamkeit sei, dass ihre alle Drei Ungeheuer bekämpft und dabei dämonische Kräfte nutzt, die ihr von euren Vätern geerbt habt. Das ist, was ihr seht.« Seine spärlichen Augenbrauen hoben sich bedeutungsvoll. »Aber was ich sehe … sind drei depressive, tief traumatisierte Männer, die noch viel mehr als das Böse auf der Welt das Böse in sich selbst bekämpfen, weil sie wissen, dass es alles zerstören kann, was sie lieben. Das ist, was ihr teilt, verstanden? Nicht eure Kräfte, sondern euer Los. Das Schicksal, diese Welt zu beschützen und dafür zu bluten.«

Yuri fühlte sich merkwürdig leer. Das Rauschen des Flusses hinter der Wand schwoll in seinen Ohren auf und ab, übertönte das Atmen der Anderen, die ratlos und unzufrieden auf die feuchten Höhlenwände starrten. Was sollten sie jetzt tun? Sie hatten ihren Gegenspieler gefangen und eingesperrt. Yuri kannte die Ruinen gut und wusste, dass nur das Tor wieder nach oben führte – andernfalls hätte Sarris mit dem Eindringen nicht warten müssen, bis Roger sozusagen außer Haus gewesen war. Nein, er kam hier nicht weg. Aber was sollten sie nun mit ihm anfangen? Sarris hatte bereits gezeigt, dass er Wege kannte, um alles an sich zu bringen, was er für die Rituale brauchte, ganz egal wie oft sie ihm die Schriften wieder wegnehmen würden.

Nach einer Weile stellte Yuri schließlich fest: »Mann, ich brauch was zu trinken.«

»Tee?«, fragte Roger ohne große Hoffnung.

»Nein, was Richtiges.« Yuri zog das Shirt über den Kopf. Die seltsamen Nähte hielten. »Los, lasst uns zu Rhys gehen und uns einen auf die Lampe gießen.« Aus dem Augenwinkel sah er Dante zustimmend nicken, aber Jin schaute ihn düster an, also präzisierte er: »Betrinken, Jin. Saufen

Jin sah zurück, unbewegt wie immer. »Wird das irgendwelche Probleme lösen?«

»Nö. Das wird mich aber nicht aufhalten.«

»Von mir aus.«

Yuri hob die Brauen und suchte nach einer Spur von Sarkasmus in Jins Ton. »Echt?«

»Wenn ihr meint, dass Ablenkung uns gut tut, dann tun wir das. Aber vorher …« Sein Blick wanderte zu Dante, dann zu Roger. »… nehmen wir uns das Henochbuch vor.«

»Oh, gut«, stimmte Dante überraschend schnell zu. »Macht ihr das. Hier, mein Zimmerschlüssel.« Schon warf er das klirrende Ensemble aus Schlüsselring und Anhänger nach Yuri, der alle Reflexe aktivieren musste, um es im Flug zu fangen. »Ich erledige inzwischen noch was Anderes. Wir reden nachher drüber.«

»Äh, wie? Und was? Pizza?«

»So ähnlich. Bis dann.«

Yuri schaute einigermaßen verblüfft zu, wie Dante einen seiner typischen Abgänge machte und zum Ausgang der Höhle spazierte.

Jin sagte nichts, nur Roger zuckte schließlich die knochigen Schultern und sagte: »Auch gut, dann wollen wir uns das Buch mal anschauen. Wer von euch holt es mir?«


Nachwort zu diesem Kapitel:
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