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Demonheart

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, erfahren wir noch, wie das alles endet ... Komplett anzeigen

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Akt XV - Die Uhr des Toten: 19-3

19-3: JIN
 

Vielleicht hätte er ihn anfassen sollen. Nur ein bisschen, ihm die Hand auf den Arm legen, etwas in der Art, nur als ein Zeichen für ihn, dass er nicht allein war in seinem Dämmerzustand irgendwo zwischen Leben und Tod, bis der Zeitzauber ihn einhüllte und mit sich davon riss. Aber Jin hatte nur zitternd dagestanden, aufgewühlt und selbst allein mit seinen sich hin und her windenden Gefühlen, und zugesehen, was passierte.

Und jetzt, da es vorbei war, ging es ihm nicht besser. Obwohl sie Yuri zurückgeschickt hatten, bevor er im Jahr 2008 seinen Wunden erlag, und mit ihm nun wieder alles in Ordnung sein sollte, fühlte Jin sich leer und ausgelaugt. Sowohl geistig als körperlich hatte er sich bis ins Letzte verbraucht. Er war unendlich müde. Er wollte nur schlafen. Und am besten alles vergessen, was seit seinem Aufbruch in die USA geschehen war.

Azazel vergessen. Dante vergessen, Yuri vergessen. Es konnte doch nicht so schwer sein, diese Episode seines Lebens abzuhaken wie so viele davor, die seinen endlosen Kampf gegen das Böse in ihm nur noch verschlimmert hatten.
 

Sie verabschiedeten sich undramatisch von Roger, ohne viele Worte, fast feierlich. Der kleine Mönch wirkte mitgenommen und bekümmert, doch bei ihm war der Optimismus unter der Schicht aus Trauer spürbar. Er war viele Jahrhunderte älter und hatte die Erfahrung, dass auf Regen stets Sonne folgt, so sehr verinnerlicht, wie es in einer gewöhnlichen menschlichen Zeitspanne nicht möglich war.

»Ich bestehe darauf, dass du sie mitnimmst«, beharrte er und drückte Jin das Bündel mit der Heiligen Mistel gegen den Bauch; höher reichten seine Arme nicht.

»Ich will sie nicht haben.« Jin schob das unwillkommene Geschenk mit sanfter Gewalt von sich.

»Es ist mir egal, was du willst! Du bist jetzt derjenige, der darauf aufpassen muss!«

»Wenn du glaubst, ich wüsste nicht, dass du mich deshalb losgeschickt hast, um die Émigré-Schrift von Sarris zu holen, dann irrst du dich. Du wolltest, dass ich sehe, was dieses Ding tut.«

»Wundert dich das, he? Nachdem Yuris Beispiel dir nicht gereicht hat? Mach mit ihr, was du willst, aber nimm sie mit. Lass dein Labor sie von mir aus zerlegen und studieren, falls euch das gelingt! Aber du bist der Einzige, der genug Respekt vor ihrer Macht hat, um sie zu hüten!«

Jin wollte das Artefakt, das Yuris Leben zerstört hatte, auf keinen Fall an sich nehmen. »Dante dürfte inzwischen auch genug Respekt vor ihr haben.« Dante hatte Sarris gesehen, das hatte ihm im Gesicht gestanden, als er mit der Mistel vom Hügel heruntergekommen war.

»Dante wird sie verbummeln!«, insistierte Roger. Wahrscheinlich hatte er damit Recht.

Dante sagte nichts dazu. Auch er schien kein Interesse zu haben, das Exorzismuswerkzeug zu behalten. Am Ende musste Jin sich dem Starrsinn des kleinen Mannes beugen und die Mistel nehmen, ob er wollte oder nicht. Aber er hasste sie, und er wusste, er würde sie irgendwo in einen Safe einschließen lassen und nie wieder einen Blick darauf werfen.

Dante blieb weiterhin sehr ruhig. Er schob keinen einzigen markigen Spruch nach, auch dann nicht, als Nina pragmatisch vorschlug, vor der strapazierenden Rückreise noch einmal im Seaside zu übernachten – Gangster hin oder her. Yuris Zimmer stand nun leer, und sie gingen daran vorüber, ohne einen Blick auf die dunkle Tür zu werfen.
 

Als Jin am späten Vormittag aus einem erschöpften, traumlosen Schlaf wieder zu sich kam, war der Tag kalt und nass. Er sah aus dem Fenster seines Zimmers und entdeckte, dass ein schwerer, dunkler Nebel am Himmel über der Ebene vor Clarach hing. Der ganze Cardigan Bay wirkte grau und trist, die Wellen rollten träge und fast geräuschlos den Kies hinauf und hinab.

Jin nahm eine lange, warme Dusche und fühlte seine Lebensgeister nur wenig zurückkehren. Minutenlang ließ er das Wasser tatenlos auf sich niederströmen, etwas, das er sonst nie tat, doch die Kälte, die sich in ihm festgesetzt hatte, schien ihn in diesem Moment handlungsunfähig zu machen. Er dachte daran, wie diese seltsamste aller Reisen, die er je unternommen hatte, verlaufen war: erst sein fruchtloser Besuch bei Dante, dann die erste Begegnung mit Sarris in der Kirche; der Arrest im Devil May Cry, den er sich schon bald mit Yuri teilte, wenig bequem auf dem Sofa … Damals hatte er Dantes Arroganz und Yuris dunkles chi verabscheut. Verzweifelt war er ausgebrochen und zu Sarris geflohen, in der Hoffnung, dieser könnte ihm wirklich helfen – und dann … hatten Yuri und Dante ihn dort, aus der Not, in die er sich selbst gebracht hatte, herausgeholt. Sarris als gemeinsamer Widersacher hatte sie plötzlich zu einer Einheit werden lassen. Zusammen hatten sie beschlossen, das Émigré-Manuskript in Wales zu suchen, mit Yuris vager Erinnerung als einzigem Anhaltspunkt. Jin dachte zurück an den Flug und an die Zugfahrt; die Welt war auf seltsame Weise in Ordnung gewesen, als Dante Yuri mit dem Hunde-Tranquilizer betäubt und munter hinter sich her geschleppt hatte, und der englische Kaffee war nur dazu gut gewesen, das Bannsiegel auf den Bahnschienen zu zerstören. Rogers höhlenartiger Unterschlupf, in dem sie über Sarris und seine Pläne sinniert hatten, stand in krassem Gegensatz zur Behaglichkeit dieses Hotels direkt am Meer, in das man sie unter falschen Annahmen geschickt hatte … Auf krude Weise erschien ihm vor dieser kurzen Zeit noch alles offen gewesen zu sein, ihr Ziel unerreicht und noch nicht einmal klar definiert. Diese fremde Welt, und um ihn herum diese beiden seltsamen Männer, die – genau wie Jin – mit Teufeln ihre Körper teilen konnten …

Nun hatte das alles ein Ende. Er würde wieder allein sein. Und das war gut so, denn er hatte etwas getan, das ihm weder Yuri noch Dante jemals verzeihen würden.
 

Bevor sie auscheckten, sah Jin noch einmal Yuris Zimmer durch, ob er etwas dort zurückgelassen hatte oder es irgendwie … nun, auffällig unsauber war. Er fand nichts, nur zerwühlte Laken und sämtliche Kissen am Fußende.

Dem schmierigen Hotelier dankte er für die Freundlichkeit und gab ihm ein großzügiges Trinkgeld. Der Mann bedankte sich überschwänglich und lud die Aufbrechenden ein, jederzeit wiederzukommen – Bloß nie, dachte Jin –, doch dabei wirkte er nervös und auf der Hut. Die Durchsuchung der Räume durch Sapientes Gladio war etwas, für das er sich offensichtlich und zu Recht schämte.

Jin hatte den Anderen gegenüber nicht erwähnt, dass er Sapientes Gladio in der vergangenen Nacht gesehen hatte. Er wusste, dass, selbst wenn er vorgehabt hätte, noch einmal zu Rhys zu gehen und auch ihm für seine Hilfe zu danken, der Wirt nicht zu finden sein würde.
 

Die Zugfahrt von Aberystwyth nach Birmingham wurde begleitet von dem Prasseln der Regenschauer, die über das Land zogen, und den ausdauernden, jedoch belanglosen Unterhaltungen zwischen Nina und Trish. Wann immer Jin Dante ansah, schaute der Andere aus dem Fenster und schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Er döste nicht einmal; er schaute nur, sein Blick wach, aber unfokussiert. Jin hätte nie gedacht, dass der Teufelsjäger so schweigsam sein konnte. Doch anscheinend hatten sie einander einfach nichts mehr zu sagen.
 

Am Flughafen herrschte der übliche, rege Betrieb. Der Abend dämmerte schon, als sie das Gebäude betraten, das sie bei ihrer ersten Ankunft in einer völlig anderen Stimmung kennen gelernt hatten.

Vor der Departure-Tafel, auf welcher punktgenau alle dreißig Sekunden die Anzeigen umflackerten, kamen sie etwas unschlüssig zum Stehen. Ihr gemeinsamer Weg war zu Ende.

Trish schien entweder keine Lust auf Abschiede zu haben oder sie hatte zu viel Respekt vor den bevorstehenden letzten Worten der Kampfgefährten wider Willen; Jin vermutete letzteres. Jedenfalls hob sie nur die Hand und bemerkte, dass sie die Bordkarten holen und am Gate auf Dante warten würde. Dann ging sie mit einem schwer zu deutenden Blick über die Schulter davon. Jin sah, dass Nina ihr zunickte und ein Lächeln andeutete. Nina war im Lächeln genauso schlecht wie er.

»So«, sagte Dante und kreuzte die Arme vor der Brust.

Sofort brach Nina ebenfalls aus der Runde aus. »Ohne mich«, stellte sie fest. »Jin, ich bin beim Hubschrauber. Kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass wir nicht mehr den öffentlichen Fernverkehr nutzen.«

»Ich komme gleich«, erwiderte Jin.

Nina schnaubte und sah Dante an.

Er grinste nonchalant. »Wird nichts mit uns, oder?«

»Ich bin zehn Jahre älter als du.«

»Sieht man gar nicht.«

»Kryoschlaf sei Dank.« Wieder lächelte sie, aber es war nur ein trockenes, hartes Verziehen der Lippen. »Geh nach Hause und kümmere dich um dein Mädchen.« Damit schlenderte sie davon.

Und nun wurde die Stimmung unangenehm. Zum Glück sprach Dante sehr schnell wieder, wofür Jin ihm dankbar war.

»Tja, ich schätze, hier trennen sich unsere Wege.«

»Ich kümmere mich um eure Flüge«, sagte Jin automatisch. »Falls das nicht klar war.«

Dante kratzte sich im Nacken. »Danke. Ungeplante Reisen bringen mich meistens in gewisse Schwierigkeiten«, räumte er ein.

»Solange ich die Mishima Zaibatsu führe, wirst du keine solchen Schwierigkeiten mehr haben.«

Dante hob argwöhnisch den Blick. »Wieso das? Ich hab den Auftrag, dich von Devil zu befreien, nicht erfüllt. Du schuldest mir nichts.«

»Doch. Das tue ich.« Jin verschränkte die Arme vor der Brust, sein üblicher unbewusster Versuch, Distanz zu halten. »Du hast im Rahmen deiner Möglichkeiten alles versucht.«

»Oh je, das klingt wie aus einem schlechten Schulzeugnis.«

»Du hättest mich einfach töten können. Aber du hast mich gepflegt, bei dir untergebracht, mich nach dem Ritual gerettet und mich zuletzt auf eine Reise ans Ende der Welt begleitet. Du hast mir Rat gegeben und mich sogar mit dem Leben beschützt, als wärst du mein –« Jin stürzte ab. Er bekam das Wort nicht heraus.

»Dein Kindermädchen, ja«, ergänzte Dante. Es war nicht das Wort, das Jin im Sinn gehabt hatte, und Dante wusste das sehr gut.

»Richtig«, stimmte Jin mühsam zu. »Und nicht zuletzt … hat dein Zweifeln an mir dafür gesorgt, dass ich Dinge tue, die ich sonst vielleicht nie hätte tun können.«

Dante betrachtete ihn skeptisch, sagte aber nichts.

»Für all das bin ich dir etwas schuldig.«

»Du meinst das ernst, oder?«

»Ich habe das Tekken-Turnier gewonnen«, erinnerte Jin ihn ungeduldig. »Ich habe so viel Geld, dass ich nicht weiß, was ich damit tun soll. Ich bin niemand, der Geld für Belanglosigkeiten ausgibt, aber meine Schulden bezahle ich immer. Also heb dir deine Gutmütigkeit für deine mittellosen Kunden auf.« Er sah Dante forschend an. »Das tust du sowieso, oder?«

Dante schwieg und schaute schräg an ihm vorbei, doch dabei sah er nicht beschämt aus, sondern so stolz wie immer.

»Ich weiß, ich habe mich zeitweise … wie ein …«

»Blödsinn, Kazama. Du bist äußerst tapfer, das muss ich dir lassen.«

»Bin ich nicht. Ich hatte Angst.«

»Wenn du keine gehabt hättest, wäre es ja keine Tapferkeit.« Dante war ein Besserwisser bis zuletzt.

Für Jin bedeuteten die Worte nichts. Alles, was Dante und Yuri je zu ihm gesagt hatten, bedeutete überhaupt nichts mehr.

»Du kannst jederzeit zu Besuch kommen«, bot Dante an; doch ihnen Beiden war klar, dass das nur eine Floskel war, etwas, das zu sagen erwartet wurde, und entsprechend halbherzig hörte es sich an.

Jin schüttelte den Kopf. Er hielt nichts von leeren Nettigkeiten. »Du weißt, dass es nur einen Grund dafür geben kann, dass du und ich uns jemals wieder begegnen.«

Dante verstand und erwiderte den Blick aufrichtig. »Sicher. Wenn ich dich … erlösen muss.« Jetzt waren sie endlich ehrlich zueinander. Endlich. »In diesem Fall hoffe ich, dass wir uns niemals wiedersehen.« Dante ließ die Arme fallen, und seine letzte Geste, ehe er sich umdrehte, war ein lässiger Salut. »Leb wohl, Jin Kazama.«

»Leb wohl, Dante.«

Und dann machten sie beide kehrt und trotteten in entgegen gesetzte Richtungen davon. Sie gingen auseinander, ohne dass sich einer noch einmal nach dem Anderen umdrehte. Jin wusste, dass sie beide wussten, dass sie sich nie mehr begegnen würden – und das auch nicht wollten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank fürs Lesen und einen guten Start in die Woche. Komplett anzeigen

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