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Demonheart

von

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Abgesang: 20-3

20-3: JIN
 

Nina hatte Recht behalten: Mit dem Charterflugzeug verlief die Rückreise schneller, unkomplizierter und vor allem komfortabler. Er bat Nina, ihn in dem kleinen Aufenthaltsraum allein zu lassen, sodass er mit niemandem außer sich selbst auf dem hellen Ledersofa vor dem runden Tisch sitzen und durch das Fenster den Sonnenaufgang beobachten konnte, der eben über den Ozean heraufkroch.

Doch die Farben, die langsam von Osten her den Himmel überzogen, machten keinen Unterschied. Ihr Anblick bewegte nichts in Jin. Sein Herz fühlte sich an wie versteinert.

Er hätte es wissen müssen. Schließlich war er daran gewöhnt, dass Menschen, die er mochte und denen er zu vertrauen begann, ihn rasch verließen. Nun wusste er außerdem, dass es gleichgültig war, wie stark, wild und tapfer diese Menschen waren. Sie verließen ihn ebenso. Es war ein dunkles Karma, das Jin begleitete, seit Devil in ihm erwacht war; eine Aura der immerwährenden Isolation.

Es würde nicht noch einmal passieren. Immer wieder war er darauf hereingefallen, und diesmal ganz besonders, da er geglaubt hatte, dass Menschen, denen Devil nichts anhaben konnte, genau das waren, was er gebraucht hatte. Was er gesucht hatte. Es war das letzte Mal, dass er Hoffnung geschöpft hatte. Hoffnung darauf, mit seiner Bürde nicht allein zu sein. Nie wieder würde er jemanden so dicht an sich heranlassen. Es war ohnehin umsonst. Und tat unnötig weh.

Er verstand es noch immer nicht. Warum hatte Yuri sich für ihn geopfert? Warum interessierte es ihn überhaupt, ob Jin Devil unterwerfen konnte oder nicht? Wenn Yuri die ganze Zeit gewusst hatte, dass er nicht im Jahr 2008 bleiben würde – dass die tickende Taschenuhr seinen direkten Weg in den Tod markierte –, warum hatte er so viel Mühe aufgewendet, um jemandem zu helfen, dessen Schicksal ihm völlig egal sein konnte? Mit diesem Verhalten war Jin überfordert. Zwar hatte er verstanden, dass Yuri seit Alice’ Verlust keine Angst mehr vor dem Tod hatte und dass er Jins Ängste aufgrund seiner eigenen ehrlich nachzuempfinden vermochte, aber dennoch … Hatte Yuri sich wirklich so sehr nach dem Tod gesehnt, dass er dem Schicksal derart anmaßend ins Gesicht spuckte?

Jin wandte sich vom Fenster ab. Allmählich füllte sich das Zimmer mit rotem Sonnenlicht, das fast liebkosend über die cremefarbenen Wände wanderte. Nein, es hatte keinen Sinn, sich über Yuri den Kopf zu zerbrechen. Er war fort, und Jin war zurückgeblieben mit dem, was übrig war.

Im Moment schwieg Devil. Er hatte sich nicht gerührt, seit Jin ihm auf dem Friedhof diesen empfindlichen Treffer zugefügt hatte. Und doch war ihr Kampf noch lange nicht ausgefochten. Jin wusste, dass das Monster schon bald wieder erstarken und auch Azazels dunkle Stimme in sein Unterbewusstsein zurückkehren würde. Bis dahin musste Jin getan haben, was getan werden musste. Als Einheit waren Azazel und Devil unbesiegbar. Er musste zuschlagen, solange Devil seine Wunden leckte. Denn nur dann – nur dann – konnte er dessen Kräfte gegen Azazel einsetzen. Nur dann hatte er eine Chance.

Geistesabwesend strich Jin über die rechte Seite seines stark mitgenommenen Mantels und hörte unter dem Futter die vierzehn Seiten der Dschaizan-Abschrift rascheln. Sie waren nicht im Feuer auf dem Dach des Cafés in Aberystwyth geendet, wie er versprochen hatte. Dieses Versprechen hatte er nicht halten können.

Er würde Chaos schüren.

Er würde die Ruinen und das Grab finden.

Und dann würde er Azazel herausfordern. Und wenn es nötig war, dann würde er dabei sterben.

Es war überaus beruhigend für Jin, zu wissen, dass – sollte er wider Erwarten nicht stark genug sein und stattdessen als Azazels williges Werkzeug enden, das die Welt in Asche zu verwandeln suchte – jemand da war, der ihn aufhalten und sein Dasein beenden würde. Jemand, den er kannte und schätzte. Dante würde keine Einladung zu einem Tekken-Turnier brauchen. Er würde noch nicht mal einen Auftrag brauchen. Er würde es wissen, wenn das schwarze Blut Spardas in seinen Adern ihn warnte, und dann würde er kommen und dieses riesige, hässliche Schwert in das stoßen, was dann von Jin noch übrig war.

Es war ein bedeutender Trost.
 

Bei ihrer Ankunft gewitterte es. Kalter Regen fiel, und die schwarzen Wolken flimmerten unter Flächenblitzen.

Jin trug einen neuen, makellosen schwarzen Mantel, an dem die Tropfen harmlos abperlten. Zum zweiten Mal begleitete Nina ihn bis zur schwer gesicherten Tür des Zaibatsu-Hauptgebäudes. Dieses Mal hielt Jin nicht davor an, hatte keinen Blick übrig für die Eisblumen an den Rändern der Scheiben. Stattdessen ging er sofort durch den Eingang und wurde ohne jede Nachfrage eingelassen. Scheue, untertänige Blicke folgten ihm vonseiten der Angestellten, die ihm stumm den Weg wiesen.

Jin folgte ihren Handzeichen geradewegs zum Thronsaal. Es gab keinen Grund mehr zu warten.

Der Saal war gewaltig, die Decke ein hohes Atrium wie das eines Doms. Reihen von Marmorsäulen stützten die steinernen Bögen, die sich über dem langen, mit rotem Teppich ausgelegten Mittelgang wölbten.

Unzählige Menschen füllten den Raum. Stumm standen die Männer der Tekken Force, aufgereiht wie Soldaten, dicht an dicht entlang des Wegs zum Thron, flankierten ihn völlig reglos, Sinnbilder eisenharter Disziplin. Das spärliche Licht spiegelte sich auf ihren Sonnenbrillen, ließ die makellosen Anzüge schiefergrau erscheinen. Jin ging mit ausgreifenden Schritten zwischen ihnen hindurch, ohne einen von ihnen auch nur eines Blickes zu würdigen. Als er das Ende des Weges erreichte und vor den Stufen, die zum Thron hinaufführten, stehen blieb, hoben alle Versammelten synchron die Hand und salutierten ihm.

Ohne zu zögern bestieg Jin den Thron – einen verschwenderisch mit Schnörkeln verzierten Holzstuhl mit rotem Polster und hoher Lehne – und fand ihn unerwartet bequem. Er schlug die Beine übereinander und stützte die Wange auf seine Faust, während er den Blick über die Männer schweifen ließ. Das war sie also, seine Privatarmee – oder eher ein kleiner Teil davon. Es waren kräftige, athletische Männer, sichtlich hart trainiert, bestens ausgebildet und bedingungslos gehorsam. Sie waren Heihachis Elite. Jin würde sie brauchen. Jeden Einzelnen von ihnen.

Jin wusste, was er tun musste. Yuri hatte es ihm gesagt, als Jin ihn gefragt hatte, was er für das Schlimmste hielt, das Menschen einander antun konnten. Nichts brachte mehr Chaos und Zerstörung über die Welt, nichts würde die Menschheit mehr in Leid und Verzweiflung sürzen.

Jin war ein wenig erstaunt über sich selbst, dass er nicht zitterte, nicht einmal ein wenig. Seine Finger waren auch nicht kalt. Nein, alles an ihm war warm, sein Herz schlug ruhig und sein Blick war fest. Niemand würde auch nur die leiseste Unsicherheit an ihm entdecken, wenn er befahl, einen Krieg zu beginnen.

Vielleicht mit Bomben auf Kirchen. Ja, die Vernichtung sakraler Bauten machte den Menschen am meisten Angst. Es war ein Angriff auf ihre seelische Unversehrtheit. Das würde ihnen schnell zeigen, wer und vor allem was Jin war. Sie sollten begreifen, dass er, Jin Kazama, genau das geworden war, was sie immer in ihm hatten sehen wollen: ein Monster.

Denn nur ein Monster konnte Azazel aus seinem Schlaf reißen.

Sie sollten ihn hassen, jagen und bekämpfen. Die Welt musste bluten. Und wenn sie genug geblutet hatte, würde Jin sie retten, ohne dass irgendjemand jemals davon erfuhr. Er musste Azazel töten – und wenn ihn dies sein eigenes Leben kostete, dann würde er den Tod begrüßen.

Denn jetzt hatte er nichts mehr zu verlieren.

Das macht dich dann wohl auch zu einem Teufelsjäger, sagte Dantes amüsierte Stimme in seiner Erinnerung. Du hast einen Dämon gejagt und ihn eigenhändig umgebracht, und jetzt machst du Jagd auf den nächsten.

Diese Ironie.

Jin fragte sich, ob er nicht immer nur vergeblich versucht hatte, ein Mensch zu sein. Ob sein Herz nicht schon von Anfang an das eines Dämons gewesen war.

Du, der Azazels Blut trägt. Du bist das Dämonenherz, von dem die Rede war. Der dunkle Stern.

Jin lächelte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das zuletzt getan hatte. Es fühlte sich richtig an.
 

ENDE


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr habt es geschafft!
Ich danke allen sehr herzlich fürs Lesen und dabei Sein! Komplett anzeigen

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