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Codename HolyShit

Ein kleines großes Leben lang
von

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Erinnerung

Erinnerung
 

Es war eine dunkle Nacht, kalt und unheilversprechend, wie so oft. Der sichelförmige Mond hatte den Kampf gegen die Wolken aufgegeben und verbarg sich wie ein ängstliches Tier hinter einem dichten, zähen Schleier aus schwarzem Wolkenwerk.

Man hätte wohl gemeint, in der Wärme eines Zimmers würde die Nacht dort draußen bleiben und keinen Platz finden im Schein des prasselnden Kaminfeuers.

Doch dort, wo der Lichtkegel dieses Ofens endete und die Schatten verzerrt und zuckend tanzten, schlich die Nacht über Boden und Wände, wie ein auf Beute lauerndes Raubtier. Gestaltlos und gefährlich still.

Ein riesiges, schmiedeeisernes Bett streckte seine schlanken Pfosten an der frisch geweißten Wand empor und knarrte gequält, als sich ein weiterer schemenhafter Schatten darauf bewegte.

Inmitten zerwühlter Laken und unzähliger Kissen, die geknautscht und ungeordnet auf der Daunenfläche verstreut lagen, lang ausgestreckt und ein Kissen vor den Bauch gepresst haltend.

Die Züge dieses bleichen Gesichts, das faltenlos und ungenutzt zu dem zerbrechlichen Körper zu passen schien, wirkten starr und voller Gelassenheit, die seelenlosen, strahlendgrünen Augen waren zur Zimmerdecke gerichtet.

Weltfremd und weit fort. Irgendwohin...nur weg.

Der melancholische Blick schien die Vergangenheit wiederzuspiegeln; in einzelne Bilder gerissen und hinter dichtem Nebel spielten sich immer wieder die gleichen Szenen ab.

Die Kopfschmerztablette, die Mutter ihm mit einem Glas Wasser gebracht hatte.

Der sanfte Kuss auf die Stirn, den sie ihm zu geben pflegte, bevor sie wie jeden Abend zur Arbeit ging...wie sie es nannte.

Vater, der lächelnd in sein Zimmer kam und sich auf die Bettkante setzte um ihm einen alten Bekannten vorzustellen, welcher vorsichtig und seicht lächelnd den Arm um seine Schulter legte, als er benommen wankte.

Die schwindelerregende Übelkeit, die ihn auf den Rücken sinken ließ, als die mit feinen grauen Härchen bedeckten Hände des Fremden ihn an den Schultern nach hinten schoben.

Sein Schlafanzug, der nach und nach zu Boden fiel. Warum verstand der Mann nicht, dass er nicht dorthin gehörte? Warum hörte er nicht auf, ihn 'Kleine' zu nennen?

Die Kälte, die sich trotz des frisch aufgelegten Feuers im Kamin auf seine Haut legte, während der doch so gebrechlich wirkende fremde Mann es mit sanfter aber bestimmender Gewalt ebenfalls tat.

Der körperliche Schmerz, der die Erkenntnis tief in seinen Bauch schießen ließ, dass Vaters Bekannter gelogen hatte. Es gefiel ihm nicht, was passierte; warum störte das den Mann nicht?

Warum ließ Vater zu, dass ihm wehgetan wurde?

Ein kräftiger Ruck riss ihn aus seinen Fragen und drückte ihn in die Kissen, die sein leises Wimmern erstickten, das er jetzt erst an sich bemerkte. Der Körper niedergezwungen von einem anderen, die Handgelenke neben sich verdreht auf die bunte Bettdecke gepresst, wagte das junge Menschlein nicht, sich zu bewegen. Hätte es auch nicht gekonnt; kraftlos von den benebelnden Drogen und den nahezu luftdichten Daunen, in die sein Gesicht wie in einen Schraubstock geklemmt war. Dann die befreiende Schwärze, die sein Bewusstsein umfing...

Tränen rannen aus den zusammengekniffenen Lidern, huschten über seine Schläfen und versanken im Haaransatz. Er konnte den warmen Atem fast noch spüren, der immer wieder seinen Nacken gestreift hatte, sah auch mit geschlossenen Augen noch das Lächeln im Gesicht des Mannes, als er ihm über die Wange gestreichelt hatte und mit einem Kuss auf seine Stirn verabschiedete.

Das Blut, das so oft über seine Arme lief, wie auch in dieser schlaflosen Nacht, färbte das Laken unter ihm dunkel ein. Vater würde ihn das Bettzeug morgen wieder wechseln lassen, würde ihn wütend anbrüllen und bestrafen, das wusste er schon. Es war bisher jedes Mal geschehen.

Doch in diesem Moment war ihm das egal. Alles war egal mittlerweile; er brauchte den Schmerz nun schon seit Jahren, seit das alles angefangen hatte, seit er aufgehört hatte zu Schule zu gehen.

Seit Vater ihn verkaufte.

Er wusste genau, warum er sich immer wieder selbst verletzte; warum die blanken Rasierklingen seine besten; und einzigen; Freunde waren. Sie waren die einzigen, die nur taten, was er wollte; die einzigen die aufhörten, ihn losließen wenn ER es wollte. Sie blieben immer bei ihm. Sie waren da, wann immer sie gebraucht wurden; sie taten, was ihnen befohlen wurde; sie lächelten niemals.

So wie er.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2005-11-11T23:22:30+00:00 12.11.2005 00:22
Mmh... ja, ich hoffe du erwartest keine literarisch perfekt ausgefeilten Kommentare, wie der von hawki, liegt mir nämlich nicht so (fällt mir gerade schon schwer keine Worte wie "süß" und "knuffig" zu verwenden - Argh!! Animexx hat mich bescheuert gemacht!!).
Aber ich glaube es reicht auch schon aus wenn ich sage, dass ich dich echt bewundere und du mit mir einen Fan mehr hast. =D
Von:  Alexej_Axis
2005-06-24T00:50:33+00:00 24.06.2005 02:50
Erschütternd und fesselnd. Man will die Augen zukneifen und wegsehen, doch man weiß, das muss man sehen, um den Schmerz und den Schrecken zu begreifen.
Dein spiel mit den Worten ist epiphanie! Erstaunlich, dass es solche Menschen noch gibt und sie so...*auf leere kommentarliste starrt*augenbraue verständnislos hochzieht* unbeachtet bleiben. Die dunklen Schatten, die sich strecken, wenn man diese Geschichte liest sind bedrohlich. Dein Wortwahl nahezu perfekt.
Hut ab! Du bist besser, als ich es je sein werde... und das obwohl ich dachte, es gibt wenigstens eine Sache auf der Welt, in der ich verdammt gut bin. Im Vergleich zu dir, ist das keine treffende Einschätung mehr.
Respekt!


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