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Was wäre wenn...

Eine was wäre wenn, Story, über Micha und Nero. Das nächste kapitel kommt bald ^^
von

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Überlegungen II

Kapitel 12

1. Februar 2006

Überlegungen II
 

Es war der gleiche Tag. Micha saß mittlerweile wieder zu Hause. Hatte schon mit Nero telefoniert und wartete nun, bis es endlich neun Uhr war. Erke müsste eigentlich schon bei sich sein, nur er wollte ihn nicht gleich nach der Arbeit abfangen und mit solchen Dingen konfrontieren. Er war so oder so ziemlich gespannt, was Erke dazu sagen würde. Entweder er würde Scheuklappen zumachen, oder er würde anfangen zu schreien, dass er sich da nicht einmischen sollte. Allerdings glaubte er Zweitiges nicht.

Langsam nahm er wieder sein Telefon in die Hand. Wählte die Nummer seines Freundes und seufzte leise auf. Lehnte sich in der Couch zurück und starrte vor sich hin an die Zimmerdecke. Er saß fast vollends im Dunkeln, doch das störte ihn im Moment nicht sonderlich. Er wollte kein Licht anmachen.

"Micha, was gibt's?", fragte Erke vom anderen Ende der Leitung aus. Sein Telefon hatte eine Rufnummernanzeige, sonst hätte er natürlich nicht gewusst, dass Micha dran war.

"Hi...", kam es leise von Micha. Er fuhr sich leicht über die Augen, während er seine Beine ein wenig weiter an den eigenen Körper zog. "Hast du zeit?"

"Zeit? Inwiefern?" Ein leises Gähnen drang durch die Strippe. Micha wusste, dass Erkes Job nicht ganz einfach war und er würde sehr gut verstehen, wenn er heute niemanden mehr sehen oder sprechen wollte, doch Micha hielt das nicht mehr aus. Diese Gedanken zerfraßen ihn langsam von innen heraus.

"Ich... muss dringend mit dir reden. Geht das? Es ist wirklich wichtig." Für ihn war es jedenfalls sehr wichtig. Was Erke davon hielt, das wusste er nicht.

"Ja. Ja natürlich. Du hörst dich nicht gut an, was ist passiert?" Sein Freund hörte sich ein wenig besorgt an.

"Na ja... eigentlich nicht wirklich etwas Schlimmes... aber dennoch. Ich möchte das nicht am Telefon besprechen... kann ich kurz vorbei kommen?" Micha war jetzt fast schon wieder den Tränen nahe. Dieses Thema ging ihm einfach an die Nieren, da konnte er sonst noch so stark sein wie er wollte.

"Klar kannst du rüber kommen. Ist doch selbstverständlich." Man hörte, wie ein leichtes Lächeln seine Lippen zierten. Irgendwie verriet seine Stimme Erke immer wieder.

"Gut. Bis gleich." Keinen Moment später hatte der Rothaarige auch schon aufgelegt, war aufgestanden und hatte seine Schuhe angezogen. Obwohl es dunkel war. Er kannte sich in seiner Wohnung besser aus als sonst jemand, also war es auch kein Wunder, dass er gegen keines seiner Möbelstücke rannte, während er seine Jacke ebenfalls anzog, seinen Schlüssel einsteckte und dann die Wohnung verließ.
 

Es dauerte etwa Fünfzehnminuten, bis er vor dem kleinen Block stand. Mit einem tonnenschweren Herzen stand er vor der massivhölzernen Türe und klingelte. Wurde einen Moment später eingelassen.

Der junge Mann stieg langsam die hölzernen Stufen in den zweiten Stock empor. Bei jedem weiteren Schritt rutschte ihm sein Herz weiter in die Hose.

Als er oben ankam erwartete ihn schon die hagere Gestalt seines Freundes. Die eingefallenen Wangen, hervortretende, hellblaue Augen. Die unglaublich stark hervorragenden Rippen, welche durch das stark geschnürte Korsett noch viel mehr betont wurden, die Schlüsselbeine und Knochen an den Handgelenken. Allein bei diesem Anblick traten ihm schon wieder Tränen in die Augen. Und dann auch noch der besorgte Gesichtsausdruck...

"Hey." Micha brachte nur ein gequältes Lächeln über sich, ging auf den viel zu dünnen Mann zu und umarmte ihn flüchtig. Nicht zu feste, da er wirklich angst hatte, ihm damit weh zu tun.

"Na?" Erke schloss hinter ihm die Türe und der Rothaarige kam sich vor, als wäre er geradewegs in die Höhle des Löwen getreten, obwohl das eher auf Erke zugetroffen hätte. "Kaffee?" Wie immer die gleiche Frage. Sie waren eben vier Kaffeejunkies. Die Kaffeeindustrie wurde durch sie wahrscheinlich ziemlich angekurbelt, doch im Augenblick war Micha das absolut egal. Es gab Wichtigeres zu besprechen und um das er sich kümmern musste.

"Nein, danke." Er schüttelte leicht den Kopf, zog Schuhe und Jacke aus und folgte Erke in sein Wohnzimmer. Ein Raum, fast gänzlich in Schwarz gehalten. Der wohl einzige Farbfleck bestand aus einem großen Ledersofa in Bordeauxrot. Micha fragte sich immer wieder, wie man in einem derart dunklen Raum wohnen konnte. In einem Club machte es ihm nichts aus, da er dort nicht täglich sein musste, aber zu Hause? Nein, das würde ihn völlig depressiv werden lassen und das konnte er nicht gebrauchen.

Die beiden setzten sich auf die Couch und schwiegen sich die ersten paar Minuten an, bis Erke das Wort erhob.

"Wie geht's dir?", wollte er leise wissen. Ihm war Michas trauriger, besorgter Blick nicht entgangen. Er fragte sich, ob etwas mit Nero und ihm nicht in Ordnung war. Das wäre für ihn im Moment die plausibelste Erklärung.

"Ich bin im Stress...", murmelte Micha nur leise. Sah ihn nicht einmal an. Er überlegte, wie er es am besten anstellen sollte. Er konnte ihm nicht einfach an den Kopf werfen, dass Erke absolut schrecklich aussah, endlich mehr essen und am besten noch einen Psychologen aufsuchen sollte. Die ganze Sache war einfach unglaublich verzwickt. Micha würde Erke, egal auf welche Weise, wehtun. Er wollte es nicht, klar, aber was sollte er machen? Ewigkeiten mit diesen Gedanken herumrennen bis er sich noch freiwillig von einer Brücke stürzte? Darauf konnte er genauso gut verzichten.

"Prüfungen?" Erke war nicht mehr auf dem neuesten Stand. Er war ebenfalls ziemlich im Stress gewesen. Seine Arbeit lenkte ihn wenigstens von seinen anderen Problemen ab, aber dennoch kam er zu Hause nicht drum herum an sie zu denken oder erinnert zu werden.

"Hmh, hab die erste heute hinter mich gebracht." Ein leises Seufzen drang aus der Kehle des jungen Mannes. "Die Woche wird nicht gerade einfach." Er stützte seine Unterarme auf seinen Oberschenkeln ab.

"Kann ich mir vorstellen.", meinte Erke etwas lächelnd. Legte ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihn weiterhin besorgt an. "Was ist los mit dir? Ich hab dich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr so gesehen?" Seine Stimme klang einfühlsam. Wie die eines großen Bruders, der sich um seinen kleineren sorgte. "Ist etwas mit dir und Nero?" Er musste diesen Verdacht einfach äußern um sicher zu gehen, ob es nun deswegen war oder es an etwas anderem lag. "Wie geht es ihm?" Fragen über Fragen.

Micha seufzte nur leise auf. Fuhr sich über das Gesicht und lehnte sich dann in der Couch zurück.

"Wir hatten gestern einen kleinen Streit... aber sonst ist alles okay.", meinte er wahrheitsgemäß. Sein Gesichtsausdruck wurde noch ein wenig trüber. "Kannst du dir vorstellen, dass er mich zwei Wochen belogen hat?" Er wandte sich zu seinem Freund um und sah die Ungläubigkeit in dessen Blick.

"Nein, wenn ich ehrlich bin nicht. Er ist sonst auch immer so eine ehrliche Haut.", entgegnete Erke daraufhin.

"Ich konnte es mir bis dahin auch nicht vorstellen... aber so war es leider." Ein trauriges Lächeln umspielte Michas Lippen. Irgendwie machte ihn diese Einsicht noch ein wenig betrübter. In dem Moment ging ihm ein kleines Lichtlein auf, wie er es Erke sagen konnte.

"Eigentlich ein komischer Zug von ihm, aber wie ich euch kenne, hab ihr das auch wieder auf die Reihe bekommen, oder?"

"Hmh... mit einem Haufen Tränen, aber es ist wieder okay." Micha schmunzelte leicht. Fuhr sich wieder leicht über das Gesicht.

"Aber wenn es nicht mit Nero zu tun hat, was ist dann los? Du siehst auch aus, als würdest du jeden Moment haltlos in Tränen auszubrechen." Wieder dieser besorgte Unterton in Erkes Stimme. Micha konnte es nicht noch länger für sich behalten.

"Es hat etwas mit dir zu tun." Micha hatte ihn nicht angesehen. Starrte leicht vor sich hin und schüttelte leicht den Kopf. "Nero und ich, wir waren gestern im Kessel.", fing der junge Mann dann leise zu erzählen an. "Nero hatte so eine dumme Idee." Ein leises Lachen drang aus seiner Kehle, als er an diese Szene dachte.

"Welche wäre?" Erke war ein wenig perplex und fragte sich, was der Kesselbesuch mit ihm zu tun haben sollte, aber vielleicht war das nur die Vorgeschichte.

"Er wollte wissen, ob er jetzt tatsächlich auf Männer steht." Der Rothaarige schüttelte leicht den Kopf. Schloss die Augen und öffnete sie kurz darauf wieder. "Axel, der Arme, musste herhalten. Ich glaube, wäre es nicht Nero gewesen, der ihn geküsst hätte, er hätte sich glatt übergeben."

"Das hat er getan? Oh je, ich weis nicht wer mir mehr leid tun sollte. Nero oder Axel." Erkes Grinsen verblasste allerdings genauso schnell es gekommen war.

"Wie auch immer... Nero ist grün angelaufen und ist zu den Toiletten. Er hat sich zwar nicht übergeben, aber wir sind danach wieder gegangen. Der wäre mir umgekippt, wären wir länger geblieben." Er seufzte leise. Jetzt kam der entsprechende Teil und er hatte wirklich Angst vor Erkes Reaktion. "Wir haben uns entschlossen gehabt, noch kurz durch den Park zu gehen."

"Um die Uhrzeit? Da läuft doch nur Gesindel herum." Der Schwarzhaarige schüttelte leicht den Kopf. Sah seinen Freund weiterhin besorgt an.

"Gesindel... wie recht du hast. Uns ist...." Er stockte kurz. "Uns ist ein Dealer entgegen gekommen.", meinte der Rothaarige leise. "Dieser Drecksack wollte uns echt was andrehen..." Ein ungläubiges und empörtes Kopfschütteln seinerseits.

"Oh Mann." Erke sah, wie sich sein Freund quälte weiter zu erzählen. Auch wenn er den Grund nicht wirklich verstand. Oder aber er wollte ihn nicht verstehen, das konnte natürlich auch sein.

"Ich... ich hätte ihn am liebsten in Stücke zerrissen.", knurrte Micha mit dunkler Stimme auf.

Erke glaubte sich gerade verhört zu haben. So hatte er Micha bisher noch nicht reden hören. Dass er Leute nicht mochte, das verstand er, aber dass er so einen Hass auf sie hatte, dass er sie umbringen wollten würde, das war ihm völlig neu.

"Wieso? Was hat er dir getan? Ich mein, du hast ihm ja wohl kaum etwas abgekauft." Das konnte er sich nun überhaupt nicht vorstellen, allein deshalb, weil er ihn damals, als er ihn dabei erwischt hatte, wie er sich damals einen Schuss gesetzt hatte... und da fiel es ihm fast wie Schuppen von den Augen.

"Ich glaub das Heroin hat dir das letzte bisschen Hirn auch noch raus geschossen.", meinte Micha hart. "Stell dich nicht dümmer als du bist." Ein leises Seufzen entkam ihm. "Diese... diese verdammten Leute haben dich doch erst in diese ganze Scheiße reingeritten."

"Micha, jetzt mach mal halblang. Das waren nicht die Dealer dich mich da hingebracht haben. Sondern die Leute, die sich damals als meine ´Freunde´ ausgegeben hatten." Er hatte es bewusst in Anführungszeichen gesetzt. "Und ich selbst hab auch meinen Teil dazu getan. Also gib ihnen nicht die Schuld, sie haben mich lediglich mit dem Heroin versorgt, nichts weiter.", meinte Erke. Sah ihm ungläubig in die Augen und seufzte leise. "Darum geht es." Er hatte verstanden.

Micha nickte nur leicht. Fuhr sich leicht durch die Haare. Blickte wieder starr vor sich auf einen Punkt.

"Mensch Micha, was machst du dir darüber jetzt noch solche Gedanken? Ich bin aus der ganzen Szene draußen. Ich hab eine jahrelange Therapie gemacht, die zu meinem Glück angeschlagen hat. Diese Jahre sind vorbei." Erke hatte leise gesprochen. Sah ihn immer noch mit diesem besorgten Blick an.

"Warum ich mir solche Gedanken mache?!" Er glaubte wirklich langsam, dass ihn die Drogen völlig verblödet hatten. "Weist du wie ich gestern nach dieser Begegnung drauf war? Nein, wie auch. Ich hab Nero die Ohren voll geheult." Seine Stimme war schon wieder so brüchig wie gestern. "Weist du... ich gebe mir seit ich es weis die Schuld an dem ganzen Schlamassel. Im Grunde genommen ist es auch meine Schuld..." Auch wenn er sich nicht die ganze Schuld daran gab, ein wenig hatte er immer noch auf den Schultern zu tragen.

"Oh man." Jetzt war er Erke, welcher sich leicht über das eingefallene Gesicht und etwas durch die Haare fuhr. "Wie lange ist das jetzt her? Sechs Jahre? Mensch Micha, du brauchst dir doch die Schuld an der Scheiße nicht geben."

"Ja, sechs verdammte Jahre.", fauchte Micha auf. "Weist du was das für ein Gefühl ist, denjenigen zu Grunde gehen zu sehen... den man..." Micha schluckte hart. Versuchte irgendwie seine aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht. Salzige Perlen rannen ihm keinen Moment in rauen Mengen die Wangen hinunter. Ein leises, gefluchtes ´Scheiße´, entkam ihm, ehe er fort fuhr. "Den man liebt.", murmelte er den Satz zu Ende. Damals hätte die Form des Tempus gepasst, nur heute nicht mehr in diesem Sinne. Klar, er liebte Erke, aber diese Liebe würde man eher als freundschaftlich betrachten, oder aber wie bei Geschwistern. "Und das nur wegen eines beschissenen Geständnisses. Eines bescheuerten Kusses..." Würde er sich weiterhin so die Haare raufen, würde er spätestens nach einer halben Stunde keine mehr auf dem Kopf haben. Seine Wangen waren unglaublich heiß und feuchte Spuren zierten diese. Ein Kloß hatte sich in seiner Kehle gebildet. Sein Hals schmerzte. "Weist du, ich mein, hätte ich dir das nicht gesagt, wäre es erst gar nicht so weit gekommen. Du würdest heute einigermaßen normal aussehen.... Und..." Er konnte nicht weiter sprechen. Sein Rachen schmerzte bei jedem einzelnen Wort. Seine Stimme war heiser.

"In der Hinsicht, dass ich dünner geworden bin, bin ich froh, dass es passiert ist, aber wenn ich bedenke, was die Auswirkung des Ganzen war." Erke seufzte leise. Sah seinen Freund mehr als nur betrübt an. Nahm ihn dann langsam in den Arm und drückte dessen Kopf leicht an seine Schulter. Es kostete ihn einiges an Überwindung das zu tun. Micha und Nero waren die einzigen männlichen Wesen, die er noch so nah an sich heran lies. Die Zeit auf dem Strich hatte ihm einfach zu sehr zugesetzt, als das er Männer je wieder an sich heranlassen würde. "Und schau, hättest du es mir nicht gesagt, vielleicht wäre jetzt nichts wie es ist. Vielleicht hätten wir Nero und Tenna nie getroffen. Micha, wir können die Vergangenheit nicht rückgängig machen, obwohl ich es mir gerne wünschen würde, was manche Dinge betrifft. Wir müssen damit leben, für die einen ist es einfacher, für die anderen wiederum nicht.", flüsterte er leise weiter. Er selbst war nun auch schon den Tränen nahe. Er hatte Micha bisher sehr selten weinen sehen. Es brauchte wirklich einen sehr triftigen Grund dafür. "Und du wolltest noch irgendetwas sagen."

Micha hatte ihm deutlich zugehört. Wahrscheinlich hatte Erke recht und es wäre nichts so gekommen, wie es jetzt ist. Natürlich, es wäre mehr als schade gewesen, doch unter diesen Umständen hatte er es nicht gerade gewollt.

"Leicht mit der Vergangenheit zu leben... ich denke für mich ist es genauso schwer wie für dich, Nero und Tenna.", meinte der Rothaarige grummelnd. Immer noch rannen ihm Tränen die Wange hinunter. Seine Lippen bebten ein wenig. "Und..." Etwas gequält blickten seine geröteten Augen in die hellblauen seines Freundes. "Ich kann dieses Ding nicht mehr sehen.", meinte er leise. Tippte an das aus Lack gefertigte Korsett. Legte dann seine Arme um seine Taille und nestelte an den Schnüren herum. "Ich frage mich echt die ganzen Jahre schon... wie du das immer noch tragen kannst." Micha musste sich stark zurückhalten um nicht einfach loszuwimmern. "Ich... ich mein..." Ihn überfiel ein leichtes Schütteln. "Du hast damit diese ganzen... widerlichen... K..." Erke hatte ihn unterbrochen. Mit schwimmenden Augen, drückte er den leicht zitternden Körper seines Freundes noch weiter an sich.

"Es reicht.", meinte er leise. "Ich habe dich... verstanden."

"Es.. tut mir leid." Micha sah den Schwarzhaarigen mit einem schmerzverzerrten Gesicht an. Strich ihm mit den Fingern ein paar Tränen von der Wange. "Ich habe das einfach nicht mehr ausgehalten. Wenn man das... die ganze Zeit mit sich herumträgt... irgendwann... irgendwann zerfrisst es einen."

"Ich weis." Erke nickte leicht, ehe er seine Augen schloss. "Ich konnte damals auch mit niemandem reden. Du wärst der einzige gewesen... aber du kennst die Geschichte ja selbst." Ein großer Schwall Tränen brach aus ihm heraus. All die Erinnerungen überkamen ihn in diesem Moment wieder. Die Zeit war die wohl schlimmste in seinem bisherigen Leben gewesen, welches noch nicht einmal sonderlich lange andauerte.

"Hmh... mehr als genug." Micha hatte sich so langsam wieder etwas beruhigt. Er fühlte sich unglaublich ausgelaugt. Diese Last, die ihm von den Schultern gefallen war. Erst jetzt hatte er bemerkt, wie erdrückend schwer sie gewesen war. "Erke..." Der Rothaarige hatte gemerkt, wie ihn der Größere immer weiter an sich gedrückt hatte. Entweder wollte er nicht in den Strom aus Erinnerungen gesogen werden, die ihn im Augenblick überrollte, oder er wollte nicht, dass Micha ging, doch das hatte er nicht vorgehabt. Er würde noch lange hier bleiben. Jedenfalls so lange, bis sie sich beide wieder etwas beruhigt hatten. Aber vor allem bis Erke wieder einigermaßen auf dem Damm war.

"Was... was ist?", fragte dieser ihn leise. Ein leises Schluchzen war ihm entflohen.

"Ich werde nicht gehen, okay?" Es war ein fast lautloses Flüstern Michas gewesen. Und wieder war dies eine Situation, wo sie sich brauchten wie nichts anderes auf der Welt. Weder Nero noch Tenna würden sie beruhigen können. Nicht bei diesem Thema. Nicht bei dieser Geschichte und den Erinnerungen, die sie zweifellos gemeinsam teilten.

"Ist... ist gut." Erke nickte nur flüchtig, ehe er sich an den doch um einiges stärkeren, Körper seines Freundes lehnte. Dieses Vertrauen, sich ohne Bedenken und Zweifel an Micha lehnen zu können, würde er sonst niemandem zu teil werden lassen. Er war für ihn eben doch mehr als nur ein langjähriger, sehr guter Freund.
 

"Ganz ehrlich? Ich bin unglaublich froh, dass wir darüber reden konnten.", meinte der Rotschopf nach ein paar endloslangen Minuten des Schweigens. Fuhr seinem Kumpel etwas durch die leicht gelockten Haare. Hatte seine Augen geschlossen und versuchte Erke irgendwie zu beruhigen, dessen Tränen und zittern partout nicht abflauen wollten. "Ich hatte irgendwie Angst... du würdest das nicht zulassen."

"Wieso hätte ich das nicht zulassen sollen? Ich bin froh... wenn ich einmal mit jemandem darüber reden kann.", meinte der Schwarzhaarige ein wenig heiser. Sah mit stark geröteten und verquollenen Augen empor. Brachte ein leichtes Lächeln über seine Lippen und sackte erschöpft in Michas Arme zurück. Weinen und diese Aufregung war eben anstrengend.

"Ich hatte ein wenig Angst, dass du irgendwie total ausflippen würdest. Oder gar nicht hättest darüber reden wollen. In der Situation konnte ich dich einfach schwer einschätzen.", gab der junge Mann ein wenig verschämt zu. Fuhr Erke wieder leicht durch die Haare und lehnte sich in der Couch zurück.

Erke nickte nur leicht. Sah auf und blickte Micha in die Augen.

"Hättest du es mir an den Kopf geknallt, von wegen ich würde scheiße aussehen oder ähnlich, ich glaube, da wäre für mich das Gespräch vorbei gewesen. Es kommt eben immer auf die Art und Weise an... wie man jemandem etwas sagt.", meinte der Schwarzhaarige leise. Lehnte seine Stirn leicht gegen Michas und schloss wieder die Augen.

"Hmh... ich hab mir die ganze Zeit Gedanken gemacht, wie ich es dir sagen könnte. Nur... na ja, dann ist mir eben die Geschichte mit Nero gestern eben eingefallen.", entgegnete Micha daraufhin leise. "Ist nicht sonderlich einfach, aber ich bin froh... dass wir darüber reden konnten."

Wieder nur ein Nicken seines Gegenübers. Ein leises Seufzen Erkes, welcher sich dann langsam wieder normal hinsetzte.

"Ich bin ehrlich gesagt auch froh." Der schlanke Mann fuhr sich wieder leicht über das magere Gesicht. "Tut irgendwie gut... ein verbaler Arschtritt... wann hast du mir den zum letzten Mal verpasst?" Ein leichtes Schmunzeln lag auf seinen Lippen.

"Vor sechs Jahren glaube ich... irgendwann in dem Zeitraum. Aber es waren wohl eher meine Eltern, die dir den entscheidenden Tritt gegeben haben." Micha musste leise lachen. Küsste Erke leicht auf die Stirn und nahm seine Hände in die seinigen. "Geht's dir wieder etwas besser?"

"Ja, deine Eltern." Ein leises Seufzen drang aus seiner Kehle. Er musste sich irgendwie erkenntlich zeigen. Nur er hatte einfach keine Ahnung, wie er das machen sollte. Er würde sich etwas einfallen lassen. Nur Micha wollte er davon nichts sagen. "Ja, es geht schon wieder."

"Gut." Der junge Mann lies seine Schultern ein wenig kreisen. Er war etwas müde und er würde, wenn es Erke recht war, auch bald gehen. Er brauchte Schlaf um fit für die morgige Prüfung zu sein.

"Micha, ich... will wirklich nicht unhöflich oder... oder undankbar sein, aber ich brauch jetzt ein wenig Ruhe. Mein Schädel dröhnt und ich hatte einen anstrengenden Tag..." Erke wurde fast augenblicklich unterbrochen. Micha lächelte ihn nur an und drückte ihn kurz an sich.

"Das ist keinesfalls unhöflich. Es ist nur verständlich, vielleicht hätte ich auch bis morgen warten sollen, aber wie gesagt, ich wollte es los haben. Lass dir das Ganze einfach durch den Kopf gehen. Lass es sacken und wenn etwas ist, ruf mich an, ja? Ich bin immer erreichbar." Ein liebevolles Lächeln lag auf seinen Zügen. "Und noch etwas... wenn du jemanden brauchst, der für dich Nudeln kocht... Nero ist da echt die beste Nummer." Er grinste ihn breit an. Hörte ein leises Kichern Erkes und erhob sich dann langsam.

"Ist gut, ich werde es mir merken." Ein paar Minuten später standen sie auch schon an der Türe. "Und danke für alles." Wieder lagen sich die beiden Erwachsenen in den Armen.

"Nichts zu danken." Der Rothaarige platzierte einen kleinen Kuss auf seiner Stirn, ehe er die Türe aufmachte und langsam die Treppen nach unten ging.
 

Es war natürlich schon stockdunkel draußen. Er blieb vor der Türe noch kurz stehen. Micha hielt sein erhitztes Gesicht in den wolkenverhangenen Himmel und lies die kleine Regentropfen auf dieses tröpfeln. Er streckte sich wieder leicht, eher er sich dann langsam wieder auf den Weg zu sich nach Hause machte.

Dieses Gespräch hatte wirklich gut getan. Es tat ihm leid, dass Erke wegen ihm geweint hatte, nur er fand, dass es auch ihm gut getan hatte. Er hoffte nur, dass sich wirklich etwas ändern würde. Wenn nicht, dann wüsste er im Moment auch nicht so recht was er noch machen konnte. Seine Eltern wollte er damit nicht wieder belasten.
 

Bei sich in der Wohnung angekommen, konnte er nicht anders, als sich noch einmal ein paar seiner Unterlagen an zu sehen. Blätterte in seinen großen Ordnern herum, schlug im Wörterbuch nach ihm entfallenen Worten nach und merkte nicht, wie die Zeit verrann. Irgendwann, es war schon etwas nach Mitternacht, war sein Kopf auf eines seiner Bücher gesunken und er war eingeschlafen.
 

//Eine Woche später//
 

Micha und Gioì standen vor einer großen, eichenen Flügeltüre. Der junge Mann konnte nicht ruhig stehen bleiben. Er ging auf und ab, biss auf seiner Unterlippe herum und hätte am liebsten geschrieen so aufgeregt und angespannt war er wegen seines Ergebnisses.

"Micha...", zischte sein Freund hinter ihm. Hielt ihn an den Schultern fest und drehte ihn zu sich um. "Jetzt bleib endlich ruhig stehen. Du machst mich noch ganz verrückt."

"Tut... mir leid. Ich kann nicht anders." Er sah ihn entschuldigend an. Sah dabei aus, wie ein kleiner Junge der auf die Toilette musste und sah zur Türe, welche genau in diesem Augenblick nach außen aufgestoßen wurde.

"Herr Sciannameo, bitte.", rief eine Stimme aus dem Zimmer Giuseppes Namen auf.

"Ah... oh Gott." Jetzt blickte auch er ziemlich unsicher und nervös drein, während er Micha langsam los lies und mit wackeligen Knien zur Türe watschelte.

"Viel Glück.", hatte Micha ihm noch kurz zugeflüstert. Setzte sich dann auf eine der Holzbänke und hibbelte mit seinen Füßen weiter. Die kleine Schellen an seinen Schuhen klimperten dabei munter du fröhlich vor sich hin.
 

Keine zehn Minuten später kam Gioì wieder aus dem Zimmer. Hielt eine dunkelblaue, undurchsichtige Mappe in Händen und grinste bis über beide Ohren. Fiel dem Rothaarigen, welcher aufgestanden war, um den Hals und kicherte leise.

"Oh Gott... Mama Mia..." Er grinste nur noch weiter. Seine Augen glänzten und seine Wangen waren ganz rot. "Ich... ich hab bestanden!" Die letzten Worte hatte er fast gequietscht. Kicherte und lies ihn dann wieder los. "Los, auf geht's, sie haben dich schon aufgerufen." Gioì lächelte immer weiter und breiter. Gab Micha dann einen kleinen Schubs, welcher auch schon zur Türe stolperte.
 

Der Raum war riesengroß. In mitten des Raumes stand ein aus Kirschholz gefertigter, großer Schriebtisch. Und es lag noch genau eine Mappe auf diesem. Sein Klasslehrer, einer der Prüfer und ein ihm Fremder saßen an dem Tisch, vor dem genau ein einziger Stuhl stand. Er wurde höflich aufgefordert sich doch zu setzen.

Micha musste wirklich aufpassen, dass er nicht wieder mit seinen Füßen zu zappeln anfing. Also verhakte er diese irgendwie mit einander und spielte unterdessen mit einem seiner Ringe herum. Sah die drei Erwachsenen noch nervöser an. Sie lächelten freundlich, als wollten sie ihm sagen, dass alles gut werden würde, doch Micha hatte im Moment ein völlig anderes Gefühl in sich.

"Guten Morgen.", meinten die drei, fast gleichzeitig.

"Guten... morgen." Der Rothaarige hatte eine ziemlich heisere Stimme, die ihm wohl bei jedem nächsten Wort versagen könnte. Seine Kehle war völlig trocken.

"Nun gut." Sein Klasslehrer sah ihn lächelnd an. Redete gut zwei Minuten um den heißen Brei herum, wie gut er doch sei und er noch eine sehr große Zukunft vor sich hätte.

Micha zweifelte nicht an seinen Worten, nur je länger er redete, desto weiter rutschte ihm sein Herz in die Hose. Er wurde immer nervöser und irgendwann platze es aus ihm heraus.

"Habe ich bestanden, oder nicht?" Der junge Mann sah die drei nacheinander an. Wartete sehnsüchtig darauf, endlich entlassen zu werden und er hoffte mit einem guten Ergebnis.

"Nicht so ungeduldig. Sie werden es ja gleich erfahren." Sein Prüfer lächelte ihn aufmunternd an. Es war fast schon ein Schmunzeln.

"Ungeduldig? Ich sitze hier wie auf heißer Kohle.", meinte er leise. Hibbelte nun wirklich leicht mit seinen Beinen und musste sich in Gedanken ermahnen, diese endlich wieder still zu halten.

"Ja, das sieht man. Nun gut." Sein Lehrer kam um den Schreibtisch herum. Hielt die schwarze Mappe in Händen und stellte sich neben ihn.

Wie auf Kommando erhob sich Micha. Sah ihm in die Augen um zu versuchen irgendetwas in ihnen zu erkennen. Doch nichts.

"Herzlichen Glückwunsch.", meinte der blondhaarige Mann. Reichte ihm die Mappe und lächelte weiterhin.

"Ähm..." Der Rothaarige sah flüchtig auf die Unterlagen. Nahm sie mit zittrigen Händen entgegen. In goldenen Lettern standen seine Klasse, der Beruf und alle anderen möglichen Daten darauf, die wichtig waren. Bedankte sich sehr herzlich bei ihnen und wollte sich schon umdrehen um zu gehen, doch er wurde im letzten Moment aufgehalten. Mit wackeligen Knien drehte er sich um. Sah nun noch eine dünnere Mappe in den Händen seines Paukers. Er wollte gar nicht erst wissen, was darin stand.

"Sie haben noch etwas vergessen." Nun stand auch noch sein Prüfer auf. Der große, sehr schlanke Mann, erinnerte ihn irgendwie leicht an Erke.

"Was habe ich vergessen?" Seine Stimme war nun ebenfalls ziemlich zittrig. Er biss sich kurz auf die Lippe.

"Nun, wie ich vorher gesagt hatte. Sie haben wirklich noch eine sehr große Zukunft vor sich. Sie haben einen hervorragenden Notendurchschnitt und wie Sie vielleicht wissen, vergeben wir pro Jahrgang einen Preis, für eben diese guten Noten.", meinte Herr Pablovic´, sein Klasslehrer.

"Ähm, ja, davon habe ich irgendwann einmal gehört.", entgegnete er daraufhin sehr langsam. Blickte die drei Männer wieder abwechselnd an. Spielte wieder mit seinem Ring und wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser.

"Nun, dann wollen wir Sie nicht noch länger auf die Folter spannen und Ihnen zu einem Stipendium in der University of Oxford, gratulieren." Ein breites Grinsen lag auf Herrn Pablovic´s Lippen.

Schweigen.

Der große Raum war von einem ohrenbetäubenden Schweigen erfüllt. Micha hatte große Augen, blickte völlig ungläubig drein und schüttelte nur den Kopf.

"Das ist nicht Ihr Ernst, oder?", fragte der junge Mann leise. Fuhr sich leicht durch die Haare und schloss für einen Moment die Augen. Lies sich diese Worte noch einmal durch den Kopf gehen.

"Unser völliger Ernst. Sie haben sich das wirklich redlich verdient."

"Ja aber..." Ein Stipendium bedeutete finanzielle Unterstützung, doch eigentlich brauchte er sie nicht. Seine Eltern könnten ihm das ermöglichen, würde er es wollen. Doch er hatte von vornherein gesagt, dass er unabhängig von ihnen sein wollte. "Ich meine..." Er stöpselte nur so vor sich hin. Sah sich weiterhin unsicher um und wusste einfach nicht, was er tun sollte. Oxford, das wäre für ihn wirklich die Chance, doch da fiel ihm Nero ein. Wie würde er darauf reagieren?

"Nehmen Sie es an?" Es war fast schon ein flehender Blick in Herrn Pablovic´s Augen.

"Ich... ja.", murmelte Micha dann. Doch es war nicht wirklich er gewesen, der zugestimmt hatte. Es war eher jemand anderes in ihm gewesen. Sein Gewissen, sein zweites Ich? Das konnte er nicht sagen, nur es war nicht seine Stimme gewesen.

"Dann, herzlichen Glückwunsch." Die drei Männer gaben ihm der Reihe nach die Hand.

Micha drehte sich mit einem letzten Blick um und verschwand dann aus dem Raum. Starrte leicht vor sich hin. In Gedanken vertieft, hatte er Gioì nicht einmal mehr wahrgenommen.
 

"Und?! Was haben sie gesagt?!" Gioì überfiel ihn mit allen möglichen Fragen dazu. Sah ihn dann ein wenig besorgt an und rüttelte ihn an den Schultern. "Erde an Micha, jemand da?"

"Ähm... ja." Der Rothaarige sah ein wenig verpeilt drein. Lächelte ein wenig und schüttelte den Kopf. Er konnte es immer noch nicht fassen.

"Ja und?! Was haben sie denn jetzt gesagt?!" Sein Freund rüttelte ihn wieder nur an den Schultern.

"Ich... ich habe bestanden.", murmelte Micha leise. Seufzte auf und ging zu der hölzernen Treppe.

"Sag ich doch! Hast du etwas anderes erwartet?!" Gioì rannte ihm schnell hinterher. Ging langsam mit ihm die Stufen hinunter. "Aber was schaust du dann so traurig drein?"

Micha wollte ihm das irgendwie nicht sagen. Er, ein Kind aus ziemlich gutem Hause, hatte ein Stipendium bekommen. Gioì der es sich auch verdient hatte, hatte keines bekommen. Er fand es irgendwie ungerecht! Sein Kumpel war genauso gut wie er gewesen!

"Na jetzt sag schon! Oder muss ich es aus dir herausprügeln?!" Der Schwarzhaarige piekte ihn leicht in die Schulter. Schnappte ihm dann einfach die dünnere Mappe aus der Hand. Schlug sie auf. Schwieg und bekam große Augen. "Wow...", meinte er nur leise. Sah Micha dann an, gab sie ihm zurück und grinste. Kicherte und schüttelte den Kopf. "Und was schaust du deshalb jetzt so traurig drein? Mensch freu dich, dass du so eine Chance bekommen hast!"

"Toll, du hättest es eher verdient als ich." Micha seufzte leise. Lies sich dann auf der untersten Stufe nieder. Starrte aus dem Fenster.

"Wie bitte? So ein Schmarrn." Gioi schüttelte den Kopf. Setzte sich neben ihn und sah ihn an.

"Aber sicherlich. Ich mein, meine Eltern könnten das Studium locker bezahlen, auch wenn ich es nicht wollen würde, aber bei dir... ich mein, das ist nicht gerade billig, verstehst du was ich mein?"

"Ich verstehe was du meinst, aber schau, vielleicht will ich gar nicht studieren." Ein aufbauendes Lächeln lag auf den Lippen des Italieners. "Nütze die Chance. Mensch Micha, dir wird so etwas wahrscheinlich nie wieder angeboten." Er knuffte ihn kurz in die Schulter. "Und jetzt mach dir keinen Kopf."

"Meinst du echt?" Micha wusste nicht, ob er ihm das nun glauben sollte oder nicht. Sah ihn weiterhin ungläubig an. Ein Lächeln schaffte es dann doch noch auf seine Lippen. "Ich weis nicht, ob ich das kann. Weist du... das ist eine so lange Zeit... ohne Nero." Wieder sah er betrübt vor sich hin. Fuhr sich über das Gesicht. Er wusste wirklich nicht, was er jetzt machen sollte. Es war eine Zwickmühle. Entweder, er blieb hier und würde ewig mit Nero zusammen sein können oder aber, er nahm die Gelegenheit war, ging nach Oxford und sah Nero dann nur an Feiertagen oder in den Ferien, wenn Nero denn dort Urlaub bekommen würde. "Ich muss das erst mit ihm bereden... das über seinen Kopf hinweg zu entscheiden, wäre nicht fair.", murmelte Micha leise vor sich hin.

"Na dann mach dich mal auf den Weg zu ihm." Der Schwarzhaarige erhob sich wieder. Hielt seinem Freund eine Hand hin, die Micha annahm und somit auf die Beine gezogen wurde.
 

Der junge Mann war wirklich gespannt, wie Nero drauf reagieren würde. Die ganze Zeit über, die er jetzt zu Hause saß, dachte er darüber nach, wie er es Nero denn sagen sollte. Und vor allem war er sich wieder einmal nicht sicher, wie er reagieren würde. Wie schon bei Erke einen Abend zuvor.

Irgendwie hatte er heute einen Tag, an dem er nur seufzen könnte, denn schon wieder war ihm ein solche entflohen. Langsam nervte ihn das ein wenig, aber was sollte er machen? Diese Situation war einfach zu verzwickt. Und er wusste absolut nicht was er machen sollte.

Zu seinem Glück allerdings, klingelte kurz darauf sein Telefon. Die völlig hibbelige Stimme seins Freundes drang aus dem Hörer.

"Und?! Was ist? Hast du bestanden?"

Micha konnte sich Nero im Augenblick nur zu gut vorstellen. Mit großen, erwartungsvollen Augen, hochgezogene Augenbrauen und einem Stück Breze im Mund. Wahrscheinlich saß er gerade in irgendeinem Café oder auf einer der Bänke in der Innenstadt. Mit einer Zeitung auf den Knien und dem Handy zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt.

"Halloo?"

"Oh... tut mir leid. Ähm, ja, ich hab bestanden." Micha grinste leicht errötend. "Und ich muss mit dir reden. Wann bist du zu Hause?", fragte der junge Mann dann noch etwas leiser.

"Super! Gratulation. Reden?" Er schwieg für einen Moment. "Ist gut. Ich bin um halb sieben zu Hause. Um was geht es?"

"Um uns, in gewissen Dingen. Es ist nicht schlimm, hoffe ich zumindest." Micha hatte ziemlich leise gesprochen. "Ich komme dann zu dir, okay?"

"Um... uns." Wieder eine kurze Pause. "Ist gut, bis dann."

Stille.

Micha plumpste auf die Couch. Fuhr sich wieder über das Gesicht und grummelte leise vor sich hin. Er hoffte, dass Nero sich noch einigermaßen konzentrieren konnte. Micha wollte nicht, dass sein Freund daran dachte, dass wieder etwas zwischen ihnen los war.
 

Es war viertel nach sechs, als sich der junge Mann langsam aus seiner Couch hoch hievte und sich auf den Weg zu seinem Schatz machte. Immer wieder mit dem Gedanken, was ihm sagen sollte. Wie er es ihm sagen sollte. Aber anscheinend würde er ihm nur die Mappe vorlegen. Nero würde dann schon wissen, was das zu bedeuten hatte und entweder war er dafür oder dagegen. Er hoffte... was hoffte er eigentlich? Irgendwie mochte er beide Entscheidungsmöglichkeiten nicht.
 

Mit einem leisen Seufzen stand er keine halbe Stunde später vor dem Haus, in dem Nero wohnte. Etwas zögernd klingelte er, wartete bis ihm geöffnet wurde und stieg langsam, sehr viel langsamer als sonst, die Treppen nach oben.

In der Türe erwartete ihn schon ein leicht nervös dreinblickender Nero, welcher ihm den Eingang aufhielt und ihn dann leicht in die Arme schloss, als sie ins Schloss gefallen war.

"Hey... herzlichen Glückwunsch noch mal.", flüsterte er leise gegen seine Lippen. Sah ihn lächelnd an.

"Danke." Micha legte seine Arme leicht um die Hüfte seines Schatzes. Lehnte seine Stirn leicht gegen seine Brust. Hielt immer noch die Mappe in seinen Händen und seufzte leise. Schloss seine grauen Augen und versuchte sich erst einmal ein wenig zu beruhigen, denn sein Herz schlug ihm schon wieder so weit im Hals, dass er kaum noch ein Wort herausbrachte.

"Wollen wir uns ins Wohnzimmer setzen?", fragte Nero ihn dann leise. Drückte ihn sanft an sich. Ihm war Michas Aufregung nicht entgangen.

Micha nickte nur leicht. Lies seinen Liebsten dann sehr langsam los, zog Schuhe und Jacke aus und ging voraus in das so unglaublich warme Zimmer, was man von Erkes nun einmal nicht sagen konnte.

Der junge Mann plumpste wieder mit einem tiefen Seufzen auf das Sofa. Fuhr sich leicht über das Gesicht. Hielt die schwarze Mappe immer noch in seinen Händen. Irgendwie wusste er immer noch nicht, wie er es anstellen sollte. Er merkte, wie sich Nero neben ihn setzte, ihn leicht in seine Arme zog und seinen Kopf gegen den seinigen lehnte.

"Du wolltest mit mir reden.", murmelte der Schwarzhaarige dann leise.

"Ja... nur ich weis nicht wie... ich weis nicht, wo ich anfangen soll." Micha sah ihn für einen Moment an. "Oder... du siehst es dir selbst an." Der junge Mann küsste ihn flüchtig auf den Mund und hielt ihm seine Unterlagen hin. Vielleicht war das, das einfachste.

"In Ordnung." Sein Freund nahm ihm die Mappe ab. Schlug sie vorsichtig auf, damit er nichts verknittelte und las es sich ein paar Mal gründlich durch. "Ein Stipendium in Oxford... meine Güte." Er klang weder traurig, noch sauer. Im Gegenteil, er war völlig erstaunt. Ein wenig über den Haufen gerannt, wie es schien, doch seine Augen glitzerten. "Geil!", rief er dann urplötzlich auf, fiel Micha um den Hals, nur um kurz darauf völlig auf der Couch zu liegen.

Micha war von dieser Attacke völlig überrumpelt. Sah ihn mit großen Augen an. Fing sich dann jedoch nach kurzer Zeit und legte seine Arme leicht um Neros Rücken. Doch so ´geil´ es Nero auch fand, Micha war da geteilter Meinung. Schmiegte sich deshalb leicht an seinen Schatz und schloss die Augen. Spürte derzeit ein Paar warmer Lippen an seiner Wange und wusste, dass Nero ihn ansah.

"Du nimmst es doch an, oder?", kam dann die vorsichtige Frage von diesem. Der Schwarzhaarige drehte leicht Michas Gesicht zu sich, welcher zugleich die Augen aufmachte. Ihn betrübt anblickte und seufzte.

"Ich... weis es nicht.", meinte er wahrheitsgemäß. Seine Augen trafen den Blick seines Freundes, welcher den Mund zu einem Gegenprotest aufgemacht hatte.

"Aber... Micha, dass ist deine Chance." Es war nur ein leises, ein wenig irritiertes Flüstern gewesen, welches aus der Kehle des Schwarzhaarigen gedrungen war.

"Ich weis... ich weis, dass mir das nie wieder angeboten wird... aber es ist so weit... so lange." Micha schüttelte wieder nur ein wenig den Kopf. Küsste Nero flüchtig auf den Mund und fuhr fort. "Ich werde dich Ewigkeiten nicht sehen können. Und wenn, dann nur wenn ich Semesterferien habe. An Weihnachten, eventuell noch an Feiertagen. Ich weis nicht, ob ich das aushalte." Der junge Mann hatte ohne Umschweife seine Sichtweise erläutert. Nero dabei betrübt in die Augen gesehen. Er wollte und konnte nicht ohne ihn sein. Aber er konnte das Stipendium auch nicht einfach so ablehnen. Allein, weil ihm seine Eltern deshalb sehr wahrscheinlich den Kopf abhacken würden. Würde es gehen, würde er Nero mitnehmen, doch das würde wegen einer Unterkunft nicht hinhauen, da der Campus nur für Studenten war.

"Und ob du das aushalten wirst. Micha, es soll nicht an mir scheitern. Ich mein, es gibt Telefone, ich weis wie man einen Computer benutzt und ich kann, wenn ich mir Urlaub von meinen Überstunden nehme, zu dir fliegen. Daran soll es wirklich nicht liegen." Nero hatte ein warmes, verständnisvolles Lächeln auf den Lippen. Streichelte ihm leicht über die Wange und lehnte seine Stirn gegen Michas. "Geh, Micha. Dir wird so etwas in deinem Leben nicht mehr angeboten werden und dann wirst du dir selbst nur in den Hintern beißen.", meinte er dann flüsternd.

"Meinst du? Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. So weit weg... Und ohne Dich." Micha zog eine kleine Schnute. Kuschelte sich leicht an seinen Liebling. "Ich will nicht ohne dich sein.", flüsterte er dem Schwarzhaarigen ins Ohr. Pustete kurz hinein und erntete daraufhin nur ein leises Kichern und Schnurren.

"Ich auch nicht, aber ich kann nicht mit, das weist du. Und schau, wenn du dann kommst, ist die Freude umso größer. Ist zwar ein teurer Preis dafür, aber du kannst studieren. In Ruhe. Kannst dich voll und ganz darauf konzentrieren. Ich würde dich wahrscheinlich so oder so nur ablenken." Nero grinste ihn ein wenig an. Spielte mit einer dünnen Haarsträhne Michas, während er ihm lieb lächelnd in die Augen sah.

"Du... du würdest mich doch nicht ablenken. Und ich muss nicht weit weg fahren, dass ich mich freuen kann wenn ich dich sehe." Wieder nur ein leises Seufzen. Dann ein leises Quengeln und er vergrub sein Gesicht an Neros Schultern. "Das ist so eine scheiß Lage.", fluchte Micha leise auf. Drückte ihn fest an sich. Schloss seine grauen Edelsteine.

"Nein, sie ist ganz einfach. Du fliegst nach Oxford und kommst, wenn du Ferien hast, das kann ich ja so einigermaßen einschätzen oder du sagst mir bescheid, dann kann ich mir Urlaub nehmen. Und wir kommunizieren über Telefon und Emails. Und wenn es ist, dann richten wir uns halt noch eine Webcam ein. Ist auch nicht das Problem. Micha, nimm diese Chance wahr!" Fast hätte er ihn an den Schultern gerüttelt. Auch wenn es ein wenig so herüberkam, als dass Nero Micha loswerden wollen würde, war es so keineswegs. Er wollte einfach nur, dass sich Micha danach keine Vorwürfe machte, weil er doch nicht gegangen war.

"Ich..." Micha ging das alles noch einmal in Gedanken durch. Hielt dabei seine Augen geschlossen und öffnete sie nach ein paar Minuten langsam. Ganz langsam. Lächelte Nero verliebt an und drückte ihm einen kurzen Kuss auf den Mund. "Du versprichst, dass wir telefonieren und schreiben und alles nur Mögliche, ja?" Er zog beide Augenbrauen fragend in die Höhe. Erntete ein breites Grinsen und erkannte ein Nicken Neros.

"Alles was du willst.", flüsterte der Schwarzhaarige leise. "Ich rufe dich an, bombardiere dich alle halbe Stunde mit einer Email und klingle dich in der Nacht aus dem Schlaf." Ein Lachen hallte in dem Raum wieder.

"Gut, dann... werde ich wohl fliegen." Es war nur ein leises Murmeln aus Michas Kehle gedrungen. Seine Augen hatte er wieder leicht geschlossen. Sein Gesicht abermals an Neros Schulter vergraben und krallte seine Finger ein klein wenig in dessen Rücken.

"Gute Entscheidung.", war alles, was Nero dazu noch zu sagen hatte. "Wann willst du es den anderen sagen?", fragte der junge Mann dann noch leise. Lies sich langsam auf seinen Freund sinken. Fuhr mit einem Finger immer wieder leicht über Michas linke Wange. Schloss ebenfalls seine Smaragde und genoss das sanfte Streicheln über seinen Rücken.

"Wann? Mal sehen... vielleicht in den nächsten zwei Tagen, oder so." Micha zuckte nur leicht die Schultern. Kraulte seinen Liebsten sanft im Nacken und sah dann kurz auf. "Aber... wir haben noch Zeit. Vor allem viel Zeit nur für uns.", schnurrte er dann kichernd auf und zog mit seinen Zähnen spielerisch an Neros Ohrläppchen.

"Hmm... stimmt. Wir müssen vorsorgen, was?" Nero schmunzelte kichernd. "Nur, können wir das auf morgen verschieben? Bin ein wenig groggy." In der Arbeit war mal wieder ein wenig Stress gewesen. Und immer mit denselben Personen. Mit Thomas und diesmal leider sogar mit seiner Chefin.

"Klar..." Micha nickte nur leicht. Es war okay für ihn, wenn Nero keine Lust hatte. Er hatte das zu akzeptieren und das tat er auch. Blieb ihm so oder so nichts anderes übrig. Aber sie hatten ja noch eine ganze Zeit lang.

Seine Gedanken drifteten irgendwann wieder zu seinem Stipendium ab. Irgendwie konnte er es nicht ganz glauben, dass er tatsächlich wegfliegen würde. Er war glück darüber, vor allem auch, dass Nero ihn so unterstützte und auch wollte, dass er ging, doch der junge Mann war auch traurig. Er würde seinen Schatz so lange nicht mehr sehen. Wahrscheinlich würde das erst Weihnachten sein und wenn er im September fliegen würde, wären das fast vier Monate, die sie sich nicht sahen! Das war eine so unglaublich lange Zeit. Er hoffte nur, dass er diese auch einigermaßen gut überstehen würde.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2006-02-15T06:30:40+00:00 15.02.2006 07:30
Hihihi, ich bin die Erste!!! ^.^
Subbi, fand ich echt gut, hatte mir nach dem letzten Kapi schon leichte Sorgen um die beiden gemacht, aber es scheint ja alles gut zu sein. Allerdings... Wer weiß, was du dir noch alles einfallen lässt... ^.~
*knuddl*
Bin stolz auf dich!
Lied dich!!
Ach ja, nur noch 9 TAGE!!! *freu*


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