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So funktioniert schreiben - für mich Archetypen, Mo at Work, Schreiben

Autor:  Memphis
Die Frage ist doch immer, wie würden echte Menschen WIRKLICH mit so einer Situation umgehen, oder? Wie würdest DU damit umgehen?!
Wir sind mittlerweile an einem Punkt des Erzählens, so frei, dass wir schreiben können, was wir wollen. Es muss keine Helden mehr geben, es darf, es kann, aber es muss nicht. Wir brauchen nicht mehr die Prinzessin, die gerettet wird. Der Mentor, der unserem Held mit Rat hilft, den Trickster, den Antiheld, den Schatten, der folgt. Nun, den vielleicht schon, weil so einen Schatten hat wohl jeder echte Mensch.
Vielleicht ist der Schatten alles, was eine Geschichte jemals erzählenswert machen wird. Seht den Schatten, nicht als etwas schlechtes, sondern als einen Begleiter. Treu. Immer da. Nicht los zu kriegen, wie die eigene Vergangenheit, die eigenen Gefühle, alles was dich geformt hat.
Aber es ist nicht mehr nötig, all diese klassischen Rollenbilder zu verwenden. Ob man will, oder nicht, sie werden auftauchen, weil sie ein fester Bestandteil unseres Lebens sind, aber man muss sie nicht erzwingen oder überdramatisieren. Nicht ein Blinder muss sie schon erkennen können, das Erzählen ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass es subtil sein darf. Und echt.

Ich sehe gerne Filme und Serien, wenn ich ehrlich bin, genieße ich das oft mehr, als lesen. Aber das Film-Medium sind noch wesentlich klassischer aufgebaut, ist ja auch noch viel jünger, als die Literatur. In Filmen und Serien wird gerne mit Archetypen gearbeitet und das halte ich für sinnvoll, weil man damit Leute begeistern kann. Und das muss man. Filme zu drehen kostet Geld. Unglaublich viel Geld. Bücher zu drucken auch, deshalb wird man auch in den meisten Büchern, klassische Archetypen finden – aber in einem freien Umfeld, bei dem man nicht bedenken muss, wie hoch das Budget wird, diese Special-Effekte zu verwenden. Gore, High-Tech, Magie sind dort billig herzustellen und oft auch beliebt in der Verwendung.
Und dann gibt es natürlich noch das Internet. Das billige Internet. Glaubt mir, hier findet man neben viel Schund, sehr sehr viel Pornographie und kränklichen Schreibergüssen, wahre Schätze des Erzählens: Echt. Frei vom Marktgedanken – und wenn es gut läuft: Literatrische Pornographie at its finest.

Jetzt muss ich aufpassen, dass ich den Bogen kriege: Vorneweg ich bin eine Internetautorin, stolz darauf, und eine Internetleserin, und auch darauf stolz. Außerdem, wie schon erwähnt wurde, sehe ich gerne Filme und Serien, die ihre Archetypen haben.
Jetzt kriege ich die Kurve: Wenn ich mir, als Internetautorin, also etwas gerne ansehe, läuft in meinem Kopf die Frage mit: Wie würde ICH diese Geschichte erzählen? Wie würden MEINE Menschen auf diese Situationen reagieren? Und wenn ich mich das oft genug frage, entschließe ich irgendwann darüber zu schreiben.
Ich tue das nicht, weil ich den Film oder die Serie schlecht fand oder unzureichend. Nein, wenn mir etwas nicht gefallen hat, beschäftige ich mich auch nicht sehr lange damit. Ich mache das, weil ich mir gerne Geschichten in einer Welt vorstelle, die sich für mich echt anfühlt und in denen man die Freiheit hat, seine Protagonisten so zu wählen, dass sie nicht massentauglich sind – mit diesen Konsequenzen muss man dann übrigens leben.

Ich habe beim Schreiben meine ganz eigenen Archetypen. Jeder, der mehr als eine Geschichte von mir gelesen hat, wird das schnell feststellen können. Ich habe ein Ding für charakterschwache Feigling, die sich lieber vor ihrer Verantwortung zurück ziehen, als sich ein Problem anzunehmen. Das ist mein Held, der nicht einmal zum Anti-Held taugt. Das ist eine Person, über die ich schreiben und lesen will.
Nicht, weil ich Feiglinge toll finde, sondern weil sich selten Geschichten um sie drehen.
Ich bin ehrlich, ich suche den Kick des Ungelesenen.
Das heißt nicht, dass ich auf Teufel komm raus alles anders machen muss, wie man es aus der klassischen Erzählungen kennt. Nein, nein, sondern dass ich nach Elementen in den klassischen Erzählungen suche, die ich für mich gerne verändert und anders haben will. Übrigens einer der Gründe, warum man mich homosexuelle Beziehungen in Geschichten besonders interessieren.
Wie ändert sich ein klassischer Storyverlauf, wenn der Held nicht in die Prinzessin verliebt ist, sondern in seinen Mentor?! Muss der Mentor dann gerettet werden? Was passiert mit der Prinzessin? Wird die Prinzessin zum Mentor und der Mentor zur Prinzessein? Fragen über Fragen, deren Antworten ich gerne lesen würde.
Es stellt sich mir auch die Frage, was das für Charaktere sind, die über die Konventionen hinaus, einfach lieben. Das sind andere Charaktere, als die, die sich durch ihre sexuelle Orientierung sicher in ihrer Umwelt fühlen. Sie machen sich andere Gedanken und haben andere Sorge, oder? Oder ist das auch nur wieder ein Klischee? Muss man das so schreiben, muss man das so sehen? Muss ich mir diese Fragen stellen?

Wenn ich mit dem Schreiben an einem längeren Projekt beginne, habe ich zunächst nur einen einzigen Charakter. Er bekommt von mir einen Namen, den ich mag, und dann verbringe ich meine Zeit mit ihm. Ich gehe mit ihm einkaufen, setze mich in der Schule oder auf der Arbeit ganz nahe neben ihn und beobachte ihn. Ich treffe ihn auf Parties mit seinen Kumpels oder im Bus. Ich sitze mit ihm in seinem Zimmer, frage was er gerade denkt. Ich frühstücke mit ihm. Ich sage “Hallo, mein Kind.”
Dann warte ich, warte darauf, was ihm passiert und wie er damit umgeht.

So funktioniert schreiben für mich.

(Für alle, die sich dafür interessiert haben, warum ich schreibe, wie ich an meine Geschichten rangehe, und warum meine Protagonisten eigentlich immer solche Vollpfosten sind.)