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Katenha

von

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Trennung

Es kam einfach niemand.

Seit mindestens einer Stunde warteten Raven und Diu darauf, dass sich die Tür wieder öffnete, das silberne Gesicht des Katenhas vor ihnen erschien und es sie in eines seiner unheimlichen Labore brachte, um nette Versuche mit unangenehmen Nebenwirkungen an ihnen zu testen.

Am besten gar nicht weiter darüber nachdenken.

Das dauerhafte angespannt sein hatte ihn sogar etwas müde gemacht, doch Raven zwang sich, nicht einzuschlafen, um auf keinen Fall die Ankunft ihres 'Gastgebers', der sie von Anfang an nicht besonders nett behandelt hatte, zu verpassen. Vielleicht konnte er in einem unbeobachteten Moment sich gegen diesen zur Wehr setzen und mit Diu im Schlepptau von hier abhauen.

Dafür müsste er den Kleinen allerdings erst einmal wecken, da der an ihn gelehnt eingenickt war und sich von den ganzen Strapazen erholte. Auch ein Halbkatenha ließ dieses ganze Hin und Her nicht kalt, vor allem weil Diu sowieso nicht wirklich widerstandsfähig wirkte, dafür war er viel zu klein und zu dünn.

Und nun fing er leise etwas zu murmeln an, hoffentlich nicht wieder von seiner Mutter. Selbst als Katenha musste man mit ungefähr 14 – auf viel älter schätze man ihn einfach nicht – doch langsam selbstständig werden und für einige Zeit ohne Mutter auskommen.

Andererseits schien Dius Mutter die einzige Person gewesen zu sein, die für ihren Sohn jahrelang da gewesen war. Außerdem sollte jemand wie Raven, der permanent mit seinen Eltern auf Kriegsfuß stand, anderen nicht vorschreiben, ob sie ihre Familie vermissten oder nicht.

Vermisste er Jevo nicht auch?

Seufzend brach Raven diesen unsinnigen Gedankengang ab und konzentrierte sich eher darauf, wie er den silbernen Katenha bei seinem Eintreffen gezielt und schnell aus dem Weg räumte, falls das überhaupt ging. Er könnte sich theoretisch so an der Tür positionieren, dass man ihn nicht gleich bemerkte, damit rechnete der Katenha sicher nicht. Wenn es dann auftauchte, gäbe er ihm einen gezielten Schlag ins Gesicht mithilfe seines Rucksacks, den er immer noch bei sich trug, und würde mit Diu zusammen aus diesem untypischen Gefängnis – ein runder Raum mit roten Wänden, wer kam denn bitte auf solche Ideen? – abhauen. Danach würden sie Noevy und Jevo suchen, finden, hier herausholen und auf irgendeine Weise nach Hause...

Bevor er seinen genialen Plan in allen Einzelheiten zu Ende entwerfen konnte, fielen ihm die Augen zu; er bemerkte es nicht einmal, sonst hätte er dagegen angekämpft.

Schlafend brachten Raven seine Überlegungen nämlich nichts.
 

Durch das Aufschließen der Tür wurden Raven und Diu irgendwann aufgeweckt, einige Zeit musste vergangen sein. Erschrocken schraken sie auf, Raven funkelte das Wesen vor ihnen versucht bedrohlich an, Diu klammerte sich hilfesuchend an seinen Begleiter, womit er unabsichtlich dessen hinterhältigen Überfall vollkommen verhinderte. Aber Raven machte ihm dafür keine Vorwürfe, wäre er wach gewesen, hätte er den Katenha locker eins überbraten können, zumindest in der Theorie. So jedoch hätte er erst Diu abschütteln, blitzschnell aufspringen und die silberne Blockade zwischen ihnen und der Freiheit – so empfand er das Etwas jedenfalls – entfernen müssen. Und das alles innerhalb weniger Augenblicke, um den Überraschungseffekt auszunutzen.

Im Moment funktionierte das einfach nicht mehr, dafür fühlte er sich noch viel zu schläfrig.

„Du kommst mit“, befahl die fremde Stimme in Ravens Kopf, „der Verräter bleibt hier drin und wartet, bis ich wiederkomme.“

„Vergiss es, ich lass ihn nicht einfach mit euch Bekloppten allein“, knurrte Raven und machte keinen Anstalten, das zu tun, was der Katenha ihm aufgetragen hatte. Diesen Viechern überließ er nicht noch jemanden, auf den er aufgepasst hatte, das ließ sein Beschützerinstinkt – oder besser gesagt sein Ego – nicht zu. Als wäre er gekommen, um Diu seinen größenwahnsinnigen Fastartgenossen auszuliefern, für wie dumm hielten sie ihn?

„Musst du aber, das haben wir beschlossen“, erklärte ihm der Katenha sachlich, trat auf ihn zu und riss ihn schmerzhaft auf die Beine. So viel Kraft hatte Raven ihm gar nicht zugetraut, weshalb er vor Überraschung kaum bemerkte, dass sie schon beinahe den Raum verlassen hatten, allerdings wollte Diu unter keinen Umständen von Raven getrennt werden und versuchte deshalb, ihn aus den Fängen des Katenhas zu befreien. Mit dem Ergebnis, dass der kleine Außerirdische dieses Mal mit dem Rücken gegen die Wand krachte, Raven, der sich mit leichter Verspätung von dem silbernen Wesen losmachen wollte, einen harten Schlag ins Gesicht erhielt und sich die Hände des anderen noch fester um seine Handgelenke schlossen. Widerstand war zwecklos, er verursachte höchstens Schmerzen.

Während Raven auf den Flur und durch das unübersichtliche Gewirr an Gängen gezerrt wurde – trotz des schmerzhaften Drucks auf seine Handgelenke weigerte er sich, dem Katenha aus freien Stücken zu folgen – hörte er Dius leises Schluchzen, das immer undeutlicher wurde, bis es vollständig abbrach.

„Wo bringst du mich hin und was hast du mit Diu vor?“, zischte Raven wütend und probierte seine Arme frei zu bekommen, doch dafür bohrten sich nur die spitzen Fingernägel seines Gegenübers in seine Haut.

„Wie gesagt, unsere Abteilung für jüngere Menschen hat sich extra wegen euch beraten und die Mehrheit war dafür, euch zu trennen. Der kleine Verräter bleibt noch eine Weile in dem abgesicherten Raum, damit er nicht wieder verschwindet, wenn ich nicht da bin, und du sollst eigentlich zu den anderen von deiner Sorte.“ Ohne Vorwarnung hielt es an und musterte Raven eingehend. „Davor habe ich noch etwas mit dir vor.“ Es drückte Raven in eine runde Ecke des Gangs, von wo er nicht ohne weiteres weglaufen konnte, und zog ihn trotz der vehementen Gegenwehr aus. Die anderen, bei denen es diese Prozedur sonst ausführten, hatten zum Glück nie die Kraft, etwas zu unternehmen, außer sie hatten den Vorteil wie dieser eine Junge und strahlten durch das Experiment noch eine große Menge unschöner Gefühle ab, die der Katenha nicht lange ertrug, weil er nicht daran gewöhnt war.

„Lass dass, nimm deine Pfoten weg.“ Angewidert schubste Raven den Katenha von sich und hielt schützend die Arme vor seinen Körper. „Wenn du jemanden befummeln willst, mach das bei deinen Freunden, wenn du überhaupt welche hast. Ich will bestimmt nicht mit einem Alien, der weder männlich noch weiblich ist, schlafen.“

„Was stellt ihr Menschen euch bei uns immer so an? Unter euch tut ihr das doch auch.“ Seine violetten Augen blickten Raven intensiv an. „Ich will doch auch wissen, wie es sich anfühlt.“ Ein winziger Hauch Neugier schwang in seiner Stimme mit.

„Ich werde es dir ganz sicher nicht zeigen.“ Misstrauisch beobachtete Raven den Außerirdischen vor ihm, der nun keine weiteren Versuche unternahm, ihn zu bedrängen. „Menschen machen das nämlich meistens mit demjenigen, den sie mögen, und nicht mit völlig fremden Leuten, aber das versteht ihr nicht, ihr habt ja keine Gefühle und auch keine Ahnung von uns.“

„Dann mach eine Ausnahme für mich“, schlug es hartnäckig vor, „das tut dir nicht weh.“

„Nein, such dir jemand anderes, der das mit sich machen lässt, ich hab wirklich keinen Bock drauf. Kann ich endlich meine Sachen wieder haben?“ Fast völlig nackt in dieser Station herum zu stehen gefiel ihm nicht, besonders wenn er dabei von einem notgeilen Alien betrachtet wurde.

Seufzend über seine wiederholte Niederlage reichte der Katenha es ihm und setzte seinen eigentlichen Auftrag fort, Raven zu den restlichen unter 18 Jahre alten Menschen zu bringen.

Natürlich hätte es ihn gewaltsam zwingen können, es ihm zu zeigen, aber vielleicht kam das sonst heraus und dann bekam es wieder Ärger von den anderen seiner Abteilung, weil es die Gefangenen für seine ganz eigenen Zwecke benutzte. Auf keinen Fall wollte es aus dem Projekt ausgeschlossen werden, dann erfuhr es nämlich im schlimmsten Fall nie, wie es sich anfühlte.

Und das war der einzige Grund, weshalb es sich bereit erklärt hatte, hier mitzuarbeiten.
 

„Bald ist es wieder soweit, einer von uns darf das Versuchskaninchen spielen.“ Beunruhigt, wen es als nächstes traf, hatte es sich Jevo mit Noevy auf einer der Matratze gemütlich gemachte und über das geredet, was ihnen gerade einfiel. Eigentlich hatten sie bis eben ein Gespräch über die schlechte Verbindung der öffentlichen Verkehrsmittel in Cellora und Umgebung geführt, weil sie beide durch einen langen Schulweg davon betroffen waren, aber anscheinend machte Jevo sich über etwas ganz anderes Gedanken, das hatte Noevy gemerkt und ihn darauf angesprochen.

„Hast du Ahnung, wer dieses Mal dran ist?“ Noevy wusste nur, dass er selbst sicher nicht als das Opfer der bald anstehenden Gefühlsabsaugung endete, weil er erst vor wenigen Tagen dazu gezwungen worden war. „Aber hoffentlich nicht du, oder?“ Jevo noch einmal in so schlechten Zustand zu erleben hielt er nicht lange aus, obwohl es ich bei den anderen auch nicht gefiel.

„Es könnte passieren, ich war zwar schon da – das hast du ja mitbekommen –, aber manchmal halten die Katenha eine genaue Reihenfolge nicht ein. Turil haben sie, als ich noch nicht lange hier war, dreimal in ganz kurzen Abständen hintereinander abgeholt. Danach war er so fertig, dass er drei Tage lang nicht mit Muri streiten wollte und auch kein dummes Zeug geschwätzt hat.“ Dieser Vorfall schien Jevo immer noch etwas beschäftigen, was Noevy gut nachvollziehen konnte. So wie er Turil erlebt hatte, musste etwas Ernstes geschehen, damit er seine selbstsichere und unqualifizierte Art ablegt und vor allem den Mund hielt.

„Theoretisch wäre bald eins der Mädchen dran, die haben sie schon länger zum Glück in Ruhe gelassen. Hoffentlich kommt dann nicht wieder das Silbervieh, das muss wirklich nicht noch sein.“ Als Junge empfand er das schon als Belastung, er wollte gar nicht wissen, welche Auswirkungen das auf Sejena oder Virila hatte. Der silberne Katenha schreckte sicher vor keinem von ihnen zurück.

Wie aufs Stichwort stand genau dieser Katenha plötzlich in ihrem Raum – reflexartig wichen alle ein gutes Stück von ihm zurück –, doch ausnahmsweise hatte es noch jemanden dabei, den es unsanft hinter sich hereinzog und in die Richtung von Sejena, Muri und Virila schubste, bevor es genauso schnell verschwand wie es erschienen war.

„Das kann nicht sein“, murmelte Jevo erschrocken, während er die Person beobachtete, die fast auf Sejena gestürzt wäre, wenn sie nicht weggerückt wäre. „Was macht er hier?“

„Sie haben ihn auch gefangen“, jammerte Noevy und lief auf Raven zu, der deprimiert über die ganze Situation auf dem Boden hockte und ärgerlich an einem losen Faden seiner Hose herumriss. Jevo folgte seinem dauerhaften Begleiter, um sich zu erkundigen, wie sein Bruder hierher gelangt war und wie es ihm ging.

Raven wollte sich nach diesem Fehlschlag auf der ganzen Linie am liebsten in einem kleinen Loch verstecken und nie wieder herauskommen, aber spätestens, als Noevy wie eine Klette an ihm hing, über die Ungerechtigkeit der Welt klagte und Jevo sich nicht entscheiden konnte, ob er traurig oder froh sein sollte, dass sein großer Bruder bei ihm war, verwarf er diesen Wunsch wieder. Die beiden würden ihn sicher erst einmal mit Fragen löchern, die er ihnen auch alle beantworten würde und von der missglückten Rettungsaktion durften sie auch noch etwas erfahren.

Neugierig wegen des Neuankömmlings versammelten sich auch der Rest um Raven – drei Jungs und vier Mädchen – und hörte zu, um wen es sich hier genau handelte und dass er eigentlich unter ganz anderen Umständen hier auftauchen wollte.

Leider hatte sich ihr ganzes schönes Vorhaben in Luft aufgelöst, was Raven immer noch ziemlich auf den Geist ging und weswegen er schon nach zehn Minuten Befragung seine Ruhe haben wollte.

Zum Glück respektierten das alle, sogar sein Bruder und Noevy, der endlich von ihm abließ. Wurde man denn überall hier belästigt?
 

„Und das ist dein Bruder? Der ist ja ganz anders als du“, flüsterte Ninia Jevo zu, als er sich vergewissert hatte, dass Raven sie nicht belauschte. „Aber immerhin seht ihr euch ähnlich.“ Das stellten viele Leute fest.

„Das ist mir auch aufgefallen, nachdem ich sie beide gesehen habe“, fügte Noevy hinzu, der auch einmal irgendwo mitreden wollte. „Jevo ist so gut wie immer freundlich und Raven... naja, dem geht so gut wie alles auf den Keks.“ Vor allem kleine naive Jungs, die nicht auf sich selbst aufpassen konnten, das hatte er ja einen Tag lang hautnah miterlebt.

„Das kommt vor, meine Schwester ist auch ganz anders als ich.“ Muri wollte auch etwas zu dem Gespräch beisteuern. „Und wir sehen uns nicht einmal ähnlich.“

„Vielleicht seid ihr gar nicht verwandt“, stichelte Turil sofort und grinste fies, während Muri ihm die Zunge rausstreckte und sich weigerte, ihn weiter zu beachten. Ihrer Meinung nach wollte er sich sowieso nur wichtig machen, weil er im Moment nicht im Mittelpunkt stand.

„Er ist halt ein etwas komplizierter Mensch, aber eigentlich gar nicht so böse, wie er immer tut.“ Zumindest empfand Jevo es so, sonst wäre Raven kaum hierher gekommen, um sie zu holen. Und Diu säße immer noch auf der Straße und würde frieren.

„Hoffe ich doch, noch mehr Streitereien zwischen gewissen Personen brauchen wir eindeutig nicht.“ Virila warf einen schrägen Blick zu ihren zwei Problemkindern und schließlich noch zu Raven, der sich anscheinend ausruhte. Hatte er immerhin verdient.

„Solange man ihn nicht rund um die Uhr absichtlich nach Dingen fragt, die er nicht weiß, und trotzdem nicht damit aufhört, kann man es mit ihm aushalten.“

„Du hast aber auch den Verwandtenbonus, zu dir wird er also nicht so schrecklich sein“, nahm Nina an und zupfte sich eine blaue Haarsträhne zurecht, die ihm störend ins Gesicht hing. Bei Gelegenheit forderte er eine Schere von den Katenha, damit er sich die Haare schneiden konnte. Oder von Virila schneiden ließ, sie kannte sich damit angeblich aus.

„Den Bonus gibt es bei ihm nicht, sonst hätten meine Eltern ihn nicht rausgeworfen, weil sie sich wegen jedem Staubkörnchen gezankt haben. Unsere Verwandten rauchte er in der Pfeife, die hat er seit Jahren nicht mehr freiwillig besucht.“

„Hey, ich weiß, dass ihr über mich redet, könnt ihr gern machen, wenn ihr keine wichtigeren Themen habt. Aber Jevo, hör auf, über mein Privatleben zu erzählen, das geht hier gar niemanden etwas an.“ Also schlief er doch nicht wirklich, wie es die kleine Ansammlung vermeintlich gedacht hatte; peinlich für alle Beteiligten.

Hastig änderten sie das Thema von Raven auf die unverschämten Preiserhöhungen bei Pflaumeneis in den unterschiedlichen Supermärkten der Vororte und Raven wartete angespannt, ob er ein telepathisches Lebenszeichen von Diu bekam.



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