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Demonheart

von

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Akt VII - Der Gott aus den Sternen: 11-2

11-2: YURI
 

Yuri schlief bis lange in den Nachmittag. Das Bett war großartig, außerdem hatte er das Gefühl, dass diese Droge, mit der seine Reisegefährten ihn nun schon zum zweiten Mal ins Aus geschickt hatten, ihm nicht besonders bekommen war.

Indes brachte die moderne Zeit mehr Luxus mit sich, als er für möglich gehalten hatte. Es überraschte ihn immer wieder.

»Wir haben Einzelzimmer?«, hatte er Jin ganz benommen gefragt, nachdem Dante sie allein gelassen hatte.

Der wirkte verwirrt. »Natürlich.«

»Wow! Das hatten wir nie. Haben uns zu acht in eins oder zwei gequetscht ...«

»Gab es wenigstens eigene Betten?«, fragte Jin ehrlich konsterniert.

»Nicht immer.« Jins Gesicht war unvergesslich.

Nun jedenfalls war es … spät. Yuri zog die Taschenuhr vom Nachttisch, doch wie immer war sie mit ihren lahm dahin kriechenden Zeigern keine Hilfe. Der Himmel war aufschlussreicher: Die Sonne stand tief, war aber noch nicht untergegangen. Also war noch etwas Zeit.

Sonnenschein war etwas so Seltenes in Wales, dass man es genießen musste.

Yuri streunte durch Aberystwyth und versuchte, sich an Orte zu erinnern; aber abgesehen von der ungefähren Anordnung der Straßen und Wege gab es nichts, das ihm bekannt vorkam. Es waren immerhin fast einhundert Jahre vergangen.

Am kleinen Hafen, wo der Fluss in den Atlantik mündete, traf er Jin, und sie gingen zusammen Essen. Mit Jin und Dante Essen zu gehen wäre schwierig gewesen, denn ihre Vorlieben schlossen einander aus: Dante liebte alles, was mit Käse überbacken war, und Jin hasste es.

Die Suche war kurz, denn der Stadtkern war nicht groß, und die wenigen Asiaten, die hier lebten, wussten genau, wo sie sich am ehesten zu Hause fühlten. Die kulturwissenschaftliche Tagung hatte noch einmal mehr Menschen in die Stadt gezogen, und das kleine, aber angenehm unaufdringlich eingerichtete asiatische Mittagslokal war ein gut besuchter Anlaufpunkt. Während Yuri und Jin erst einmal schweigend aßen (weil es nichts zu sagen gab), horchte Yuri mit einem Ohr auf das Radio in der Zimmerecke, das soeben die Lokalnachrichten verkündete. Wenig überraschend wurde, nachdem von dem Zugunglück berichtet worden war, vor einem wilden Tier gewarnt, das die Schafherden angriff – möglicherweise tollwütig –, und die Besitzer sollten doch unbedingt ihre Tiere gut bewachen oder besser gleich in Ställe sperren, bis die Schafmordserie aufgeklärt war. Kurioserweise war die Rede von einem offenbar schon bekannten Phänomen: dem ›Monster von Clarach‹. »Es ist der erste Hinweis darauf, dass dieses wilde Tier, das bislang als der Phantasie der Anwohner entsprungen galt, tatsächlich existiert. Die Ermittlungen werden zur Stunde intensiviert.« Interessant.

Ob Jin ebenfalls zuhörte oder nicht, war ihm nicht anzumerken. Er sagte kein Wort, bis er fertig war. Yuri, der schneller gegessen hatte, wartete geduldig, bis auch sein Gefährte die Stäbchen hingelegt hatte.

»Ich muss dich was fragen«, begann er dann. »Das macht mich schon lange neugierig. Also: Warum bist du zu Dante gegangen?«

Jin sah ihn ruhig an. »Warum?«

»Er ist Dämonenjäger. Hattest du keine Angst, dass er dich einfach … umbringt?«

Jin dachte nicht gern darüber nach, das war ihm anzusehen. »Vielleicht hat ein Teil von mir das sogar gehofft«, sagte er schlicht.

Yuri sah ihn erstaunt an. Das war nicht die Antwort, die er erwartet hatte, und sie gefiel ihm nicht.

Jin erklärte sich nicht weiter. »Kann ich dich etwas zu deiner Fähigkeit fragen?«, wollte er seinerseits wissen.

»Klar«, erwiderte Yuri achselzuckend. »Nur zu.«

»Fürchtest du dich davor?«

»Oh, hmm …« Yuri tat einen Moment lang so, als hätte er etwas zwischen den Zähnen. Die Antwort war nicht ganz einfach. »… Früher mal. Heute nicht mehr. Ich hab meine Grenzen ausgetestet. Ich bin vorsichtig.«

Jin beobachtete ihn genau. »Aber … machst du es gerne?«

»Gerne? Nein, natürlich nicht!« Der Gedanke entsetzte Yuri fast. »So was macht man nicht gerne. Ich muss ständig um Kontrolle kämpfen. Bei schwächeren Monstern, deren Seelen ich gut kenne, macht mir das nicht so viel aus, aber bei stärkeren muss ich echt vorsichtig sein! Ich hab das einmal erlebt, bei einer Fusion zu verlieren. Macht mir heute noch Alpträume.« Ehrlich, wie er war, fügte er hinzu: »Also, das mit der Angst … Ich hab Angst, wenn ich merke, dass eine Dämonenseele stark ist und ich sie unterwerfen muss. Dann hab ich jedes beschissene Mal Angst, nicht mehr zurückzufinden, wie damals. Es ist das, vor dem ich am meisten Schiss habe.« Er zögerte. »Neben dem Mistelfluch, meine ich.«

»So geht es mir mit Devil«, murmelte Jin. »Ich muss befürchten, dass er mich irgendwann ganz übernimmt … und ich nie wieder an die Oberfläche komme.«

Yuri widerstand dem Drang, ihn zu fragen, wovor jemand mit so viel Kohle wohl sonst Angst haben konnte. Jin brauchte gar nicht so zu tun, als hätte er ihm eben etwas Intimes anvertraut, wenn er das Devil-Problem sowieso schon allen ins Gesicht geschmissen hatte. »Ja, das ist es«, sagte er diplomatisch. »Eigentlich genau wie bei mir.«

Da bekam Jins Blick wieder dieses Bohrende, das beim Zurückblicken fast wehtat. »Wie fühlt sich das an?«

»Was?«

»Fusionieren. Sich willentlich zu vereinigen mit einem … Monster. Tut das weh?«

Yuri schüttelte den Kopf. »Nö, am Körper nicht. Aber dein Hirn explodiert und deine Seele wird in viele kleine Teile zerfetzt und neu zusammengesetzt. Also, rechne dir aus, wie angenehm das ist. Tut Devil denn weh?«

»Ja.«

»Oh.«

»Ziemlich sogar. Am ganzen Körper.« Jin blinzelte nicht. »Ich wünschte nur, ich hätte auch genug mentale Stärke … um es zu beherrschen.«

Jins selbstkasteiender Ton wurde Yuri unangenehm. »Kräfte sind nie im Gleichgewicht«, versuchte er, etwas irgendwie Hilfreiches von sich zu geben, »und Fähigkeiten sind nie fair verteilt. Nie. Guck dir Dante an: Kann alles, aber faul wie ’n Hund.« Er fand das Beispiel exzellent.

Natürlich reagierte Jin nicht auf die Lästerei. »Darf ich noch was fragen?«

»Frag doch nicht immer, ob du fragen darfst, sondern frag

»Was glaubst du, was Azazel am ehesten anlocken würde? Ich meine … um ihn zu beschwören. Wie Sarris es vorhat.« Jin hielt kurz inne und präzisierte: »Er hat gesagt, Chaos wäre der Schlüssel. Trotzdem hat er es nicht geschafft, Azazel auf sich aufmerksam zu machen und ihm Form zu geben. Was, glaubst du, bringt so viel Chaos und Böses in die Welt, dass alles aus den Fugen gerät … und Azazel erscheinen muss?«

Yuri war froh, bereits mit der Mahlzeit fertig zu sein, denn dieses Thema schmeckte ihm nicht. So etwas fragte nur jemand, der wirklich keinen blassen Schimmer hatte. Düster antwortete er: »Weißt du das echt nicht?«

»Nein.«

»Krieg.« Yuri sah Jin in die Augen, doch dort war, wie immer, nichts zu lesen. »Ich weiß, wovon ich rede. Ich hab den Weltkrieg miterlebt.«

»Den Weltkrieg? Du meinst den ersten.«

»Kommen da etwa noch mehr?« Hoffentlich nicht, solange ich noch lebe!, dachte er bestürzt. »Aber hier in eurer Zeit gibt’s doch sicher keine Kriege mehr, oder? … Oder?«

Jin sah beiseite und wich aus: »Konflikte sind nicht auszurotten. So viel weiß ich.«

Yuri war bereit, das zu glauben. In Jins Familiengeschichte reichten die Wurzeln des Hasses tief. »Aber nichts rechtfertigt Krieg«, sagte er bestimmt. »Krieg stellt alles, was du bisher an Scheiße gesehen hast, in den Schatten. Glaub mir.« Noch heute konnte er das brennende Domremy vor sich sehen, ein Dorf voller Unschuldiger, hörte die Schüsse und das gefräßige Geräusch des Feuers, als es ganze Existenzen verschlang, roch brennendes Fleisch in der heißen, erstickenden Luft … Und das war nur ein so verdammt winziger Teil des großen Ganzen, das sich hinter dem kleinen Wort Krieg verbarg.

»Meine Mutter hat immer versucht, mich von allen schlechten Eindrücken fernzuhalten.« Jin drehte gedankenverloren eine Ein-Pfund-Münze in der Hand, die den walisischen Drachen zeigte. »Ich hatte auf Yakushima die friedlichste Kindheit, die man sich vorstellen kann.«

»Da ist also immer noch nichts außer Natur?«

»Kaum. Ich bin behütet vor allem Schlechten dort aufgewachsen.«

»Sodass die wirkliche Welt mit ihren ganzen Abartigkeiten wie ein Tsunami über dich reinbrechen konnte«, fügte Yuri an und konnte nicht verhindern, dass sein Ton leicht ätzend wurde. »Gute Arbeit, Mami Kazama. Damit hat sie dir keinen Gefallen getan.«

Jin funkelte ihn an. »Sie wollte mich davor beschützen, zu dem zu werden, was ich jetzt bin! Sie hat gegen Devil gekämpft, als er das erste Mal kam – «

»Ja, klar hat sie das! Mamis wollen immer nur das Beste. Aber mir hat auch keiner gesagt, was da in mir schlummert, bis es eben irgendwann rauskam! Und jetzt beherrscht es mein Leben. Und bei dir ist das genauso. Es beherrscht dein Leben.« Endlich hatte er es mal ausgesprochen. Das war fällig gewesen.

Jin sah ihn zweifelnd an. »Du kannst dich und mich nicht vergleichen.«

»Kann ich sehr wohl.«

»Und was soll ich deiner Meinung nach tun?«

»Das, was ich auch tun musste. Akzeptiere es.«

Jin schüttelte den Kopf und schob ruckartig seinen Stuhl zurück. »Niemals«, sagte er brüsk. »Nur weil du aufgegeben hast, muss ich das nicht auch tun.«

»Ich habe nicht aufgegeben«, protestierte Yuri, aber Jin war schon um den Tisch herum und unterwegs zum Tresen, um das Geschirr zurückzugeben. »Ich habe mich überzeugen lassen …« Aber Jin hörte nicht zu, und Yuri war klar, dass er genauso gut mit dem Tisch hätte reden können.

Schweigend gingen sie durch den Ort zurück zur Seepromenade. Die Sonne sank langsam, und die ganze Bucht schien in einem grauen Dunst zu liegen, dem auch der strenge Wind, der an ihren Mänteln zerrte, nichts anhaben konnte.

Dante wartete auf sie an der Seebrücke. Obwohl er auf das Meer starrte und sich nicht umdrehte, bemerkte er das Kommen der Beiden und fragte: »Was ist, seid ihr bereit für die Kneipentour?«

»Wollten wir nicht das Kloster suchen?«, fragte Yuri und bemühte sein Gedächtnis, was genau sie besprochen hatten.

»Ja, eben. Hast du dem Schätzchen nicht zugehört? Wenn einer das Kloster kennt, dann der Wirt vom Black Raven

»Und wo ist das?«

»Ich habe es unterwegs gesehen«, meldete Jin. »Gleich neben der Brauerei.«

Welch günstiger Ort für eine Kneipe, fand Yuri. »Fein, dann gehen wir den guten Rhys jetzt mal besuchen. Und löchern ihn ein wenig.«
 

Neben der Brauerei schmiegte sich tatsächlich das urtümlich aussehende The Black Raven in eine Nische. Es war ein etwas heruntergekommen aussehendes, doppelstöckiges Haus, schmal und mit schlichter Fassade. Anscheinend hatte dieser Rhys sich hier eine Art Traum erfüllt und das untere Stockwerk zu einer Kneipe ausgebaut, über der er wohnen konnte. Das schwarze Schild am Eingang zierte ein goldener Löwe mit einer Axt in der Pfote. Ein hellblauer Pickup stand halb auf dem Gehweg.

Drinnen war es recht dunkel, aber die Luft war in Ordnung – wahrscheinlich, weil noch nicht viele Gäste da waren. Yuri zählte insgesamt fünf. Hinter einem Tresen aus längs geschnittenen, polierten Baumstämmen stand ein älterer Mann mit schon schneeweißem Haar, das er zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, und einem wallenden Vollbart, in dessen Spitze er eine grüne Perle gefädelt hatte. Auf seiner Nase saß eine Brille mit schmucklosem Metallgestell, und über dem weißen Hemd mit den hochgeschlagenen Ärmeln trug er eine hellbraune Wildlederweste. Während er ein Bierglas polierte, summte er eine Melodie vor sich hin und hörte auch dann nicht damit auf, als die Drei eintraten.

Yuri beschloss, das Reden zu übernehmen und sich mit ein bisschen Walisisch einzuschleimen. »Noswaith dda, guter Mann. Bist du Rhys?« Jin und Dante guckten ihn dumm an.

Der Wirt sah auf. »Ja, wer soll ich sonst sein?«

»Können wir dich um eine Information bitten?«

»Tja, da ihr Drei nur aus Muskeln zu bestehen scheint, wäre es wohl nicht klug, Nein zu sagen«, erwiderte Rhys ruhig. Seine Stimme war weich wie die eines Märchenopas. »Was wollt ihr wissen?«

»Äh – also, wir wollten dich nicht einschüchtern oder so …«

»Nicht? Warum steht ihr dann in der Tür, statt reinzukommen und euch hinzusetzen?« Er nickte zu einem freien Tisch an der holzgetäfelten Wand. »Ihr seht, es ist noch früh für mich. Kann ich euch was bringen? Ale, Stout, Cider?«

Yuri wollte gerade den Anderen mitteilen, dass walisischer Cider echt gut war, doch prompt musste Dante dazwischen holzen: »Gibt’s in Wales guten Whisky?«

»Nein, nicht wirklich.« Rhys kaute auf seiner fleischigen Unterlippe. »In Wales wurde die Whiskybrennerei Ende des neunzehnten Jahrhunderts aufgegeben. Es gibt ein paar sehr junge Single Malts, aber ich würde jederzeit sagen, die da oben können das besser.« Er nickte zur Decke, wahrscheinlich Richtung Schottland. »Aber unser Cider hat es drauf.«

»Wir trinken Cider«, entschied Yuri über die Köpfe der Anderen hinweg. Er wollte keine Zeit verlieren.

Rhys ging hinter die Theke, nahm große Gläser aus dem Regal und befüllte sie mit einer fast provokanten Seelenruhe. »Also …«, begann er nachdenklich, »… was verschlägt euch Drei nach Aberystwyth? Einen Asiaten, einen Amerikaner und einen …« Er linste zu Yuri. »Was bist du, mein Freund?«

»Nur ’ne Promenadenmischung.« Yuri musste Rhys zugestehen, dass er offenbar ein guter Beobachter war, denn weder Dante noch Jin hatten bislang den Mund aufgemacht, um ihre Herkunft zu verraten. Nun gut, Jin war ganz offensichtlich Asiat, und wahrscheinlich zogen sich nur Amerikaner so schräg an wie Dante.

»Jedenfalls seid ihr ein auffälliges Trio. Um diese Zeit könntet ihr schön an der Uferpromenade sitzen, Sandwiches essen und Espresso schlürfen. Schließlich regnet es gerade mal nicht. Aber stattdessen kommt ihr zu mir und bestellt Cider. Muss wichtig sein, was ihr da wissen wollt.« Schmunzelnd stellte er die Gläser hin. »Zum Wohl. Ihr wisst, was man in Wales sagt? Iechyd da

Yuri sah gleich, dass das außer ihm niemand wiederholen konnte, also tranken sie alle kommentarlos den ersten Schluck. Na so was, der Cider war noch besser geworden in den letzten hundert Jahren!

»Das ist nicht übel«, befand Jin.

»Schmeckt wie Apfelsaft«, fügte Dante gönnerhaft hinzu.

Kurz darauf ließ Rhys seinen Blick einmal durch den Raum gleiten, seine Kunden auf neue Bestellungen abprüfend; dann, als niemand einen Wunsch signalisierte, zog er seine Schürze aus, der das Abwaschwasser einige feuchte Flecken beigebracht hatte, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu den Dreien. »So. Und jetzt, da ihr meine Gäste seid, lasst mich mal wissen, was ich für euch tun kann.«

Yuri hatte nur zu gut im Hinterkopf, wie seltsam sie bisher in Aberystwyth behandelt worden waren und wie schief man sie hier ansah. Also versuchte er vorsichtig zu sein. »Wir … interessieren uns für gruselige Geschichten«, erklärte er. »Nenn uns ein paar Freaks. Wir haben gehört, dass es hier ein Kloster gegeben hat, mit ’ner echt kranken, dreckigen Geschichte. Wir wollen uns die Ruinen ansehen.«

Rhys nickte wissend. »Das Kloster Nemeton.«

»Du kennst es! Na Gott sei Dank.« Yuri spürte ein aufgeregtes Kribbeln.Tatsächlich: Rhys wusste, worum es ging.

»Das Problem ist, dass es keine Ruinen mehr gibt. Das Kloster ist mehrmals bis auf die Grundmauern abgebrannt, die Ruine fiel immer wieder Brandschatzungen und Vandalismus zum Opfer. Am Ende war so wenig davon übrig, dass es nicht erhaltenswert war. Es gab nichts mehr, das man unter Denkmalschutz stellen konnte oder so. Ich kenne die ganzen Geschichten auch nur von meiner Großmutter, aber wie ihr euch denken könnt, lebt die auch nicht mehr.« Der Wirt zuckte entschuldigend die Schultern.

Yuri war maßlos enttäuscht. »Es gibt also nichts mehr … gar nichts mehr?«

»Kein einziges Steinchen.« Rhys schüttelte den Kopf.

»Kann man wenigstens noch die Stelle bestimmen, wo es gestanden hat?«

»Nein, nicht wirklich.«

»Aber … ganz in der Nähe muss eine riesige Felsspalte im Boden gewesen sein! Wie eine Schlucht, quer durch die Ebene bis ins Meer!«

»Hmm, ja«, murmelte der Wirt und kratzte sich grübelnd das Kinn, »von diesem Spalt habe ich allerdings gehört. Es soll ihn bis etwas 1936 gegeben haben, aber es gibt keine Aufzeichnungen, die das irgendwie belegen. Meine Großmutter hat ihn manchmal erwähnt … sie nannte ihn ›Grube der Alpträume‹ und machte uns Kindern Angst damit, man würde uns reinwerfen, wenn wir nicht artig wären. Anscheinend wusste niemand, was dort unten war, aber man fürchtete sich davor. Also, tja, das wird wohl auch nur eine lokale Legende sein, mehr nicht.«

Yuri sah ihn etwas ratlos an. Dann fragte er hoffnungsvoll: »Gibt es jemanden, der uns zeigen könnte, wo dieser Spalt mal gewesen sein soll? Irgendjemand von damals wird doch noch lebendig sein?«

»Hmmmm …« Rhys schürzte die Lippen, zögerte.

»Was?«

»Ich fürchte, da wird sich niemand finden … Sicher gibt es noch Alte, die sich erinnern, aber man will da gar nicht hin, verstehst du. Die Leute aus Clarach meinen … also, die Dörfler von nebenan … Ich geb das nur so wieder, aber ich glaube nicht dran, ja? Die sagen, dort auf der Ebene lebt ein Monster. So, da habt ihr’s.« Er schien sich für den Aberglauben seiner Landsleute zu schämen. »Deshalb wird euch auch niemand den Ort zeigen wollen. Jedenfalls niemand, der schon mal da war.« Mit einem weiteren vehementen Kopfschütteln schob er seinen Stuhl zurück. »Tut mir leid.«

»Warte«, sagte Jin.

Rhys drehte sich zu ihm um.

»Seit wann gibt es die Berichte über dieses Monster?«

»Oh je. Lass mich überlegen … Ich erinnere mich, dass auch schon meine Großmutter es erwähnt hat. Sie behauptet, es wäre dann aufgetaucht, als … Ach, noch so eine dumme alte Geschichte. Es gibt eine urbane Legende über jemanden, der hier in Aberystwyth war, ein Mann, der einen Gott von jenseits der Sterne erschlagen haben soll. Tja, die Felsen sind ein unheimlicher Ort, vor allem bei schlechtem Wetter … Jedenfalls heißt es, dass dieser Mann hierher zurückkehrte, damals, und dass das Monster zu ihm gehört. Es soll verhindern, dass jemals ein Sterblicher ihn zu Gesicht bekommt. Der Held ist hierher zurückgekommen, um den Rest seiner Tage in der Einsamkeit des Cardigan Bay zu verbringen … Tja, und wenn er nicht gestorben ist, dann …« Rhys machte eine ratlose Geste.

»Schöne Geschichte«, bekundete Dante. »Das Monster beschützt also das Versteck dieses … wie hieß der Kerl?«

Rhys zuckte die Schultern. »Das weiß keiner. Man nennt ihn hier nur den Gottesschlächter.«

Yuris Kehle war wie zugeschnürt. Welch Glück, dass er deshalb nicht irgendein dummes erschrecktes Geräusch von sich geben konnte. Er hatte schon befürchtet, diesen einen Namen wieder zu hören – aber ganz bestimmt nicht hier, nicht jetzt.

Der Gottesschlächter, dachte er, schwindelig. Lange nichts von dem alten Knaben gehört …


Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke fürs Lesen. Komplett anzeigen

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