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Demonheart

von

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Akt VII - Der Gott aus den Sternen: 11-3

11-3: JIN
 

Gottesschlächter.

Jin dachte einen Moment lang über das Wort nach. Es klang brutal, martialisch, wie Kriegsvokabular.

»Also müssen wir, wenn wir den früheren Standort des Klosters finden wollen, an einem Monster vorbei, das alle Fremden von diesem … legendären Krieger fernhält«, folgerte er.

Rhys schmunzelte. Er wirkte immer noch etwas beschämt. »Urbane Legenden, meine Freunde. Wie gesagt, es kann unheimlich sein da oben. Aber es gibt keine Überreste, von denen ich wüsste, auch keine unsichtbaren; das Kloster ist gründlich ausradiert worden. Kein Wunder, dass man es nicht erhalten wollte, wenn man seine Geschichte kennt: mörderische Kulte, Folter, grausame Experimente, Nekromantie, Spuk, blutige Rituale … Wer will schon damit was zu tun haben? Die Leute hier haben es schnell vergessen, so schnell, dass ihr heute keinen mehr zu fragen braucht. So funktioniert Verdrängung. Man spricht einfach nicht mehr über die unangenehme Vergangenheit.«

Je mehr Rhys sprach, desto mehr verspürte Jin den Wunsch, dieses Kloster zu finden. Auch wenn sie dort vielleicht weder die Émigré-Schrift noch die vierzehn Seiten finden würden: Irgendeine Spur zu diesen mächtigen Artefakten musste es geben, eine Spur zu – …

Er zuckte zusammen, als ihm klar wurde, was er gedacht hatte. Es war immer noch da, dieses Säuseln in seinem Unterbewusstsein, das er in manchen Momenten nur noch mühsam von seinen eigenen Gedanken unterscheiden konnte.

Macht. Auferstehung. Weck mich auf. Bring mich zurück ins Leben.

Dorthin würde der Weg vom Kloster führen. Falls sie die magischen Schriften fanden, musste Jin ihnen unbedingt fernbleiben. Oder …

»Na los, wir entmystifizieren das Ganze und finden den Gottesschlächter«, kam es gerade in munterem Ton von Dante, ehe er sich den Rest seines Ciders hinter kippte. Rhys war wieder hinter seine Theke getreten und polierte dort emsig ein Bierglas nach dem anderen.

»Äh«, sagte Yuri etwas dümmlich. Er sah irgendwie unglücklich aus, als hätte er soeben eine unbequeme Wahrheit erfahren, die ihn ratlos zurückließ. Jin wurde aufmerksam.

»Was ist?«

»Äh, nichts. Ja, das ist, was wir machen sollten. Dieses Monster suchen …«

Jin sah über den Tisch zu Dante, doch der hatte anscheinend nicht verstanden, was los war, denn er schaute nur mit unbewegter Miene zurück. Also wandte Jin sich mit mehr Nachdruck an Yuri: »Was weißt du über diesen Gottesschlächter? Bist du ihm begegnet?«

»Nö«, erwiderte Yuri versuchsweise, verdrehte dann die Augen und räumte ein: »Ja, doch. Kannte ihn aber nicht besonders gut.«

»Was war er? Ein Held?«

»Nicht wirklich. Er war schon eher ’n ziemlicher Blödarsch. Also, das mit dem Gott und so stimmt wahrscheinlich, aber er hat auch viel Mist gebaut.«

»Was zum Beispiel?«

»Er hat … Shanghai zerstört«, sagte Yuri ernst, und sein Blick war ungewohnt kalt dabei. »Es ist alles abgebrannt, weil er’s verkackt hat. Die ganze Stadt! So was kann man echt nicht Held nennen.«

»Ich bin jedenfalls gespannt darauf, den zu treffen«, ließ Dante gut gelaunt verlauten. Zweifellos glaubte er kein einziges Wort der alten Geschichten, die Rhys berichtet hatte. »Also, wenn ihr euren Apfelsaft austrinken würdet …«

»Mach mal langsam!«, versetzte Yuri und umklammerte seinen Cider. »Ohne mich kommt ihr da überhaupt nicht hin. Also lass mich austrinken!«

Jin hatte das Gefühl, Yuri würde nur versuchen, irgendetwas Unausweichliches hinauszuzögern. Ihm entging nicht das kaum merkliche Zittern der Finger, die ein so gut wie leeres Glas festhielten, als wäre es noch randvoll.
 

Es dauerte weitere fünfzehn Minuten, bis alle Cidergläser leer waren. Danach standen sie wieder zu dritt an diesem sehr, sehr kalten und windigen Abend vor dem Black Raven, während die Dämmerung immer schwärzer über sie sank.

Jin war völlig klar, dass Nina und Trish jede ihrer Bewegungen verfolgten, vermutlich über das Signal seines Handys. Einen anderen Grund konnte es nicht dafür geben, dass die beiden Frauen immer noch zusammen hockten. Nina war weder eine liebenswürdige Person, noch war sie unbegrenzt loyal, und für eine spontane Freundschaft eignete sie sich genauso wenig wie Trish, die – was Jin nur vermuten konnte – schon aufgrund ihrer Herkunft ein gesundes Misstrauen gegenüber Fremden hegen musste. Nein, was die Beiden jetzt bildeten, war keine Clique zum Austauschen von Styling-Tipps oder Keksrezepten, sondern eine Zweckgemeinschaft zur Beobachtung derjenigen, für die sie sich verantwortlich fühlten. Der Gedanke war sowohl etwas unheimlich als auch sonderbar beruhigend.

»Wir müssen runter zur Seepromenade«, gab Yuri sich schließlich geschlagen. »Und von da … nach … Norden.« Er ließ die Schultern hängen, als er sich in Bewegung setzte.

»Du wolltest dahin«, erinnerte ihn Dante und folgte ihm. »Wir sind deinetwegen hier.«

»Jaja. Ich weiß.«

Jin ging den Beiden mit etwas größerem Abstand hinterher. Durch die stillen, schmalen Gassen rauschte eine weitere kräftige Bö vom Meer heran und ließ ihn fröstelnd seinen Mantelkragen hochschlagen. Die vom gelben Licht der Straßenlaternen beschienenen Gestalten seiner beiden Gefährten warfen scharfe Schatten, während sie lebhaft weiter diskutierten. Dante versuchte noch immer, Yuri weitere Details aus der Nase zu ziehen; dieses Gottesschlächter-Märchen interessierte ihn.

»Wie warst du in die Geschichte verwickelt?«

»Ich … hab den Typen verfolgt, der diesen Gott aus dem All beschwören wollte.«

»Hast du den Gott gesehen?«

»Nein.«

»Und hast du den Gottesschlächter gesehen?«

»Nur kurz. Von weit weg.«

»Wie sah der aus?«

»Wie schon? Normal.« Yuri antwortete so unverhohlen widerwillig, dass Dante auflachte.

»Glaubst du, der Kerl ist wirklich später hierher zurückgekommen? In dieses Nest?«

»Ach, Blödsinn. Wir finden keine Spur von ihm, vergiss es. Und ein Monster finden wir auch nicht.«

Vor ihnen eröffnete sich das befestigte Ufer mit seinen hohen Laternen und dem klobigen weißen Geländer. Autos parkten vor der Strandpromenade, hinter der sich schwach glitzernd das schwarze Wasser erhob, unruhig unter den ständig hereingehenden Meeresbrisen. Jin fand, dass das Meer bei Nacht eine noch stärkere Faszination ausübte, wenn nicht nur seine Tiefen, sondern auch seine Oberfläche kaum zu erspähen war, nur sichtbar gemacht durch die Reflexionen der zivilisierten Welt und ansonsten gegenwärtig durch seine Sprache, sein Rauschen und Brausen, das mal fern, mal nah, mal überall zugleich ertönte.

Yuri und Dante waren stehen geblieben und starrten mit windzerzaustem Haar und flatternden Mänteln in die horizontlose Finsternis. Yuri wandte den Kopf nach rechts, wo sich oberhalb des Stadtrands nichts als bewachsener Fels erhob – die Klippen des Cardigan Bay. Jeder vernünftige Mensch hätte sie darauf hingewiesen, dass ein Aufstieg auch bei Tageslicht zu dieser Jahreszeit nicht empfehlenswert war; im Dunkeln würde allzu leicht ein Fehltritt die Kletterpartie beenden. Doch Jin, Dante und Yuri waren weit davon entfernt, vernünftige Menschen zu sein.

Dante zückte seine Taschenlampe und schlug sie auf die Faust, um sie zum Strahlen zu bringen. Jin aktivierte die flashlight-Funktion seines Telefons. Zuckend huschten die blassen Lichtkegel über flechtenbewachsenen Stein und braunes Stechginstergestrüpp, als die drei dem mehr als unsicheren Pfad hinauf auf den Fels folgten. Ein verwittertes Warnschild auf Englisch und Walisisch (›PERYGL! Creiau’n syrthio!‹) versuchte vergeblich, sie aufzuhalten.

Während des Hinaufkletterns auf die Felsformationen froren sie erbärmlich. Die scharfen Winde, die von allen Seiten um sie tosten, rissen jede Wärme sofort von ihren Körpern fort, sodass sie trotz Anstrengung auskühlten.

»Hier sieht alles gleich aus«, stellte Dante nach einer Weile schweigenden und mühsamen Erklimmens fest.

Jin kämpfte mit dem heftigen Wind, der ihn immer wieder auf die Klippe zudrückte und ihm das Haar ins Gesicht peitschte. Selbst unter dem Mantel fror er so sehr, dass seine Glieder zitterten. Wie gut, dass er voll im Training stand; die Anstrengung des mühseligen Vorantastens im Dunkeln konnte ihn nicht so sehr ermüden, dass seine Bewegungen unachtsam wurden. Er hielt an, atmete tief durch und suchte mit dem Licht seines Handys die Felskuppe ab. Blassgelbe Gräser bogen sich dort unter der Gewalt der Böen, die immer wieder aus dem schwarzen Himmel niederfuhren.

»Wir sind gleich oben«, sagte Yuri. Er war dicht neben ihm.

Jin schüttelte sich, wie immer vergeblich. »Der Wind dreht ständig.«

»Oh ja. Als ich zum ersten Mal hier war, dachte ich noch, es wäre cool, von der Klippe zu pinkeln. Hab ich bereut.«

Jins nächster Schritt bot ihm auf dem nachtfeuchten Stein keinen Halt, und er zögerte. Über ihm und Yuri machte Dante soeben gewohnt lässig den letzten großen Schritt auf den Felskamm hinauf und blieb dort breitbeinig stehen. Viel zu sehen gab es sicher nicht für ihn; inzwischen war auch der letzte helle Streifen am Himmel undurchdringlicher Finsternis gewichen.

»Was siehst du?«, fragte Jin ohne große Hoffnung.

»Nichts. Kein Monster, keinen Gottesschlächter.«

»Da müssen tiefe Gräben im Boden sein, quer durch das Land«, sagte Yuri bestimmt und mühte sich, die letzten Meter hinauf zu krabbeln. »Der Schwimmer hing an einer Art Nabelschnur, als er aus dem Meer gestiegen ist …«

Dante leuchtete ihm mitten ins Gesicht, was ihn straucheln ließ. »Hyuga, du fängst jetzt aber nicht wieder mit diesem Gott-von-jenseits-der-Sterne-Zeug an?«

»Hey, hör auf damit! Guck mich nicht an, als wär ich ein armer Spinner. Ich wollte es auch nicht glauben, aber ich hab’s gesehen!«

»Also doch?«

»Ich hatte den Invokationstext in der Hand, das Buch von R’lyeh. Der Schwimmer war sein Thron …«

»Du weißt viel mehr über diese Nummer, als du zugeben willst. Warum?«

»Ich hab den Bösen gejagt! Sagte ich doch!« Yuri kam nicht weiter nach oben, da er nicht hochschauen konnte, ohne geblendet zu werden.

»Dabei warst du aber nicht sehr erfolgreich, wie’s aussieht, denn die Invokation hat ja funktioniert. Der Gottesschlächter musste kommen und dir hinterräumen, stimmt’s? Deshalb spielst du ihn runter. Von wegen Weltrettung! Er hat die Welt gerettet, nicht du, hm?«

Yuri stieß ein zorniges Keuchen aus, duckte sich und überbrückte den verbliebenen Abstand zwischen sich und Dante mit einem gewaltigen Hechtsprung. Das Manöver hätte schief gehen können angesichts der vielen unregelmäßigen Felskanten, doch die Katastrophe blieb aus. Yuri krachte mit vollem Schwung gegen Dante, und sie gingen auf der anderen Seite des Felsmassivs als Knäuel zu Boden.

Jin griff mit beiden Händen in das nasse Gras und kämpfte sich hangaufwärts. Mussten die Beiden sich gerade jetzt wie die größten Idioten benehmen? Musste ihrer beider Großspurigkeit sich immer wieder als passive Aggressivität manifestieren, bis es für einen von beiden unerträglich wurde? Jin zog sich am stacheligen Gewirr eines Ginsterbusches auf die Felskuppe hinauf, packte sein Handy und ließ dessen Lichtstrahl suchend über die andere Seite des Hangs kreisen. Der eisige Wind machte ihn beinahe taub. Schnell hatte er Dante und Yuri entdeckt: Sie lagen in einer Grasmulde knapp unterhalb, und nein, sie rauften nicht. Yuri hockte über Dante, der gerade einen Satz mit »… einfach nur ein kleiner Angeber« beendete.

»Hör auf mit dem Scheiß!«, fauchte Yuri ihm ins Gesicht. »Warum willst du unbedingt wissen, was mit dem Gottesschlächter ist? Er ist tot! Und ohne mich hätte er diesen Gott nie besiegt!« Er atmete ein paar Mal heftig ein und aus, dann stieg er von Dantes Brust. »Ich versteh schon«, setzte er nach, sich aufrappelnd. »Aber vergiss das. Er war nicht dein Vater, Dante. Der Gottesschlächter war nicht Sparda.«

Dante sagte nichts. Er sah aus, als wollte er es sich in der Mulde gemütlich machen.

»Er ist ein Mysterium für dich, oder? Ich meine deinen Vater. Meiner war auch eins für mich.« Yuri wandte sich ab.

Das war der Moment, in dem Dante hochschnellte und nun seinerseits Yuri unter sich begrub. Wieder rollten sie ein Stück den Hügel hinunter. Jin verdrehte die Augen und wusste gleichzeitig, dass es keinen Sinn hatte, die Kabbelei schlichten zu wollen.

Dante legte seinen Arm quer über Yuris Brust, ihn mühelos am Boden haltend. »Was weißt du kleiner Klugscheißer eigentlich über meinen Vater? Gar nichts. Ist mir egal, wann du welchem Gott oder Dämon in den Arsch getreten hast und was deine große Klappe sonst noch so ausspuckt. Interessiert mich nicht, wird mich nie interessieren. Du nervst. Ich fand mich immer anstrengend, aber du stellst mich glatt in den Schatten. Unsere Väter waren in keinem Bündnis! Sparda und ein Oberst der japanischen Armee? Vergiss es! Sparda hat die Menschen vor der vollständigen Versklavung durch die Unterwelt bewahrt und dafür Opfer gebracht, die du dir nicht vorstellen kannst. Was für Weltrettungen auch immer du dir oder deinem Vater zuschreibst, es ist Kinderkram.« Dante hatte in ruhigem, herablassendem Ton gesprochen, und jetzt nahm er den Arm gnädig beiseite und stemmte sich hoch.

Bitte, dachte Jin, lass Yuri jetzt nicht –

Doch natürlich stürzte Yuri sich sofort wieder von hinten auf Dante. »Wo war denn Sparda, als Dehuai das Dämonentor beschworen hat?«, rief er so zornig, dass seine Stimme sich fast überschlug. »Wo war er, als mein Vater seinen Verstand geopfert hat, um es aufzuhalten? Wo war er, als Albert Simon den Schwimmer aus dem Meer gerufen hat, als Thron für den irren Gott? Wo war er, als Rasputin und Kato mit ihren Seelenpakten die Welt in eine Hölle verwandeln wollten? Wo war er, als ich meinen Verstand geopfert habe, um den Seraphischen Glanz aufzuhalten? Mein Wahnsinn hat Alice das Leben gekostet, du – ! Du – !« Er bebte in ohnmächtigem Zorn wie ein Fieberkranker. »Dein Vater konnte die Menschheit vielleicht vor zweitausend Jahren beschützen! Aber kurz vor seinem Ende war er schwach. Er hat seine Kräfte aufgegeben, weil er keine Lust mehr hatte zu kämpfen. Hat sich hingesetzt, geheiratet und dich gekriegt, Ende vom Lied! Das ist die Wahrheit. Du weißt es!«

Dante hatte sich in keiner Weise gewehrt, während Yuri über ihm kauerte und ihn anschrie. Jetzt aber stieß er mit einem Mal beide Fäuste vor und Yuri mitten in die Leber. Der Jüngere kippte zur Seite, schwer getroffen.

»Ich hab verstanden. Halt die Klappe«, sagte Dante.

Er stand auf und machte einen großen Schritt über den im Gras liegenden Yuri. Dieser brauchte einen Moment, um sich von dem empfindlichen Treffer zu erholen.

»Habt ihr das geklärt?«, wandte sich Jin an den Teufelsjäger und konnte nicht verhindern, dass eine gewisse Abscheu dabei mitschwang. Das Verhalten der Beiden widerte ihn an.

»Von meiner Seite ja«, erwiderte Dante großzügig und zupfte einzelne Grashalme von seinem Mantel. »Hast du das Schild gesehen?«

»Welches Schild?«

»Na, das da.«

Jin drehte sich um und leuchtete geradewegs ins Dunkel, Richtung Binnenland. Das Licht wurde reflektiert von einem mintgrünen Ortsschild mit der Aufschrift Clarach. »Das ist das Nachbardorf«, entsann er sich.

»Wir sind richtig«, stöhnte Yuri von unterhalb. Er lag noch immer an Ort und Stelle.

»Kommst du?«, rief Dante ihm zu. »Ich hab dich nicht schlimm getroffen.«

»Ach, geh doch sterben.«

»Weißt du, um mich zu besiegen, bräuchte man schon den Gottesschlächter. Aber wir haben ja nur dich.«

»Archhh … Sagt das ernsthaft jemand, der ein Bild von Mutti auf dem Schreibtisch hat?«

Jin, der es nicht mehr aushielt, ließ Dante und Yuri zurück und brach im Licht seines Handys allein Richtung Clarach auf. Der dünne, sich windende Pfad war schnell gefunden, doch er machte den Abstieg nur mäßig leichter. Jin interessierte gerade nicht, ob die Anderen ihm folgten; sie würden einander spätestens bei dem Dorf wieder treffen.

Wenige Schritte später jedoch blieb Jin abrupt stehen. Sein Lichtstrahl war über das karge Gestrüpp am Wegrand gewandert und hatte dabei eine horizontale Steinkante gestreift, die nicht in diese desolate Landschaft passte. Er folgte ihr mit dem Licht aufwärts, bis der Schein auf die zum Sockel gehörende Steintafel traf, die halb verwittert und von Flechten bewachsen neben dem Pfad aufragte. Sie war zweigeteilt: Die rechte Seite trug einen kurzen eingravierten Text, die linke ein Flachrelief. Jin wandte sich zuerst dem Text zu, beleuchtete ihn und las: Im September 1913 errettete ein Held die Menschheit vor der Vernichtung. Wales wird den Gottesschlächter niemals vergessen. Dann glitt sein Licht nach links auf das Bildnis. Beim Betrachten des Reliefs weiteten sich seine Augen; es war eine einfache Darstellung, doch er hatte nie etwas Vergleichbares gesehen: Oben war eine unfassbar widernatürlich aussehende Kreatur platziert, deren elongierte Gliedmaßen Jin nicht klar zuordnen konnte; eine Art Reif oder Korona umgab den verzerrten Körper, der in zahlreiche unsägliche Ausläufer endete. Unterhalb war eine menschliche Gestalt zu erkennen, die triumphal eine Faust in die Luft reckte, als hielte sie einen unsichtbaren Schild in der Hand, um das fremde Wesen abzuwehren, welches dräuend und widerwärtig über ihr schwebte.

Jin wurde bei dem Anblick beinahe übel. Er konnte seine Reaktion nicht erklären.

»So«, sagte jemand neben ihm, und Jin zuckte zusammen, sah aber sofort, dass es nur Dante war. »Ich hab kein Denkmal. Schade.«

Yuri schloss von der Seite auf und betrachtete die Tafel, nur um sich sofort schaudernd und mit sichtlichem Ekel wieder abzuwenden. Jin erwartete einen Kommentar von ihm, doch Yuri blieb stumm.

Auch Dante trat zurück. »Na gut. Da lang geht’s weiter. Wir müssten gleich da sein.«

Als Jin sich von dem nun wieder im Dunkeln liegenden Relief abwandte, kam ihm plötzlich eine Erkenntnis. Er wusste, was es mit dem Gottesschlächter auf sich hatte. Und genauso wusste er, dass Dante diese Wahrheit nicht schmecken würde.

Ohne etwas zu sagen, setzte er sich wieder in Bewegung, um den beiden Anderen durch Gras, Ginster und Schwärze nach Clarach zu folgen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dürfte ja nicht schwer sein zu erraten, was Jin da vermutet ...
Danke fürs Lesen! Komplett anzeigen

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