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Katenha

von

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Nebel

Geduckt schlich Raven durch die dämmrigen Gassen Celloras. Kalter Regen prasselte auf seine Heimatstadt und ein feiner Nebel erschwerte die Sicht auf die menschenleere Umgebung.

Raven lief unwillkürlich schneller, dieses Wetter gefiel ihm nicht, überhaupt nicht. Irgendetwas würde geschehen, da war er sich sicher, bei solchem Wetter geschah immer etwas.

Es verschwanden Menschen.

Meistens Erwachsene, aber ab und zu auch einige Teenager und das beunruhigte Raven, schließlich war er mit seinen 16 Jahren kein kleines Kind mehr, das vor diesem Phänomen verschont blieb.

In den Nachrichten wurde behauptet, es gäbe keinen Grund zur Panik, man sollte sich nicht in die Angelegenheit hineinsteigern, doch wer sollte schon ruhig bleiben, wenn an einem Tag bis zu dreißig Personen aus einer einzigen Stadt verschwanden? Vor allem, wenn höchstens die Hälfte nach frühestens zwei Wochen wieder auftauchte, ohne Erinnerungen an das Geschehene.

Ein leises Geräusch ließ Raven noch nervöser werden, als er sowieso schon war, und er sah sich verstohlen nach links und rechts um. Er wusste, dass sich niemand bei diesem Wetter freiwillig aus dem Haus traute und fühlte sich trotzdem beobachtet. Es wäre die perfekte Situation, um ihn ohne Zeugen zu verschleppen.

„Mann, beruhig dich!“, redete er sich selbst ein, um sein unruhig klopfendes Herz zum Schweigen zu bringen. „Niemand wird dich entführen und falls sie doch so blöd sind, geben sie dich nach spätestens drei Stunden wieder zurück, länger halten sie das nicht aus.“

Damit hatte er Erfahrung; er kannte niemanden aus seinem Umfeld, der ihn länger als nötig ertrug, was daran lag, dass Raven 70% des Tages schlecht gelaunt war und die restlichen 30% verschlief.

Kein Wunder, dass er in seiner Schulklasse nicht zu den beliebtesten zählte und regelmäßig nachsitzen musste, weil er seine furchtbaren Launen gern an seinen Lehrern ausließ.

Genau deshalb lief er heute allein durch die Straßen nach hause, obwohl er seinem Lehrer nur wahrheitsgemäß mitgeteilt hatte, wie bescheuert und unnötig er seinen Unterricht fand. Manchmal sollte man lieber die Klappe halten.

Ein weiteres Geräusch, ein leichtes Kratzen, holte ihn in die unangenehme Realität zurück und er verfluchte den Nebel, der mittlerweile immer dichter zwischen den Häusern hing und ihm schwarze Schemen vorgaukelte, wo sich gar keine befanden.

„Verdammt, lasst mich in Ruhe!“, schrie er den weißen Nebel an und rannte einfach los, bog hastig um eine Ecke und wäre beinahe mit dem Kopf gegen eine Wand geknallt, die plötzlich vor ihm auftauchte.

„Seit wann gibt es hier eine Sackgasse?“, wunderte er sich, bis ihn die schockierende Erkenntnis traf.

Er hatte sich verirrt.

„Das darf doch nicht wahr sein. Warum ausgerechnet jetzt?“ Wütend auf sich selbst verließ er schnell die Sackgasse und suchte nach einem Orientierungspunkt, der ihm bekannt vorkam, doch alles um ihn herum sah gleich aus.

Überall unpersönliche, metallisch glänzende Hochhäuser und einzelnen bunte Flecken, die sich als Gardine oder Blumentopf entpuppten. Nichts, was anders als in den anderen Teilen der Stadt wäre, überall Eintönigkeit, wo man hinsah.

„Ich will hier weg, ich will hier weg.“ Ohne weiter nachzudenken lief er erneut los, vielleicht würden ihn die Mysteriösen nicht fangen, die bestimmt irgendwo ihr Unwesen trieben. Es machte auch keinen Sinn mehr, zu überlegen, wohin er sollte, wenn er nicht einmal Ahnung hatte, wo er sich befand, das wäre nur verschwendete Zeit.

„Hilfe, bitte helft mir!“

Irritiert blieb Raven stehen. Da brauchte anscheinend jemand dringend Hilfe. Aber wenn es nur ein Trick dieser Entführer war, um ihn anzulocken? Dann würde er ihnen direkt in die Falle laufen. Andererseits machte er sich sonst wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar.

„Bitte, helft mir!“, wimmerte die Person weiter und Raven, der sich darauf verließ, dass dies keine exzellente Schauspielerei war, näherte sich vorsichtig der Richtung, aus der die Hilferufe kamen.

Keine hundert Meter entfernt entdeckte er einen Jungen in seinem Alter, der auf dem Boden kauerte und sich gegen zwei Frauen wehrte, die ihn scheinbar gewaltsam mitnehmen wollten. Mit aller Macht versuchten sie, ihn an den Armen in die Höhe zu zerren und hinter sich herzuschleifen.

„He, was soll das hier werden?“, fauchte Raven sie ärgerlich an und stürmte auf die kleine Gruppe zu. Eigentlich ging ihn das ja alles nicht an, aber wenn er in derselben Situation gewesen wäre, hätte er sich auch gewünscht, dass man ihm half.

Die beiden Frauen starrten ihn nur kurz ausdruckslos an, bevor sie wieder versuchten, den Jungen zum Aufstehen zu zwingen.

„Verschwindet, kapiert?“, knurrte Raven aufgebracht und stieß sie grob zur Seite, von ihrem Opfer weg. Seltsamerweise reagierten sie nicht darauf, wehrten sich nicht dagegen, sondern blieben einfach stehen, als wären sie plötzlich bewegungsunfähig.

Raven nutze die Gelegenheit, packte den fremden Jungen am Handgelenk und zerrte ihn davon.

Noevy

Nach über einer Stunde standen sie endlich vor Ravens Apartment, wobei eher Raven stand und den anderen Jungen stützen musste. Durch die Panik und die darauffolgende Flucht hatten ihn alle Kräfte verlassen und ohne Raven läge er wahrscheinlich irgendwo auf dem Boden.

„Leg dich hin, ich mach dir was zu essen“, erklärte Raven, nachdem sie die Wohnung betreten hatten. Sonst sorgte er sich nicht so um fremde Menschen, aber man wurde auch nicht jeden Tag fast von merkwürdigen Menschen entführt.

Der Junge nickte stumm, ließ sich auf das Sofa fallen und schlief dort sofort ein.

Raven schlurfte in die Küche, registrierte, dass es schon nach sechs war, und begann das Abendessen vorzubereiten. Zwar hatte er keine Ahnung, was der andere Junge, dessen Namen er noch nicht wusste, gerne aß, aber da hatte dieser Pech gehabt. Er konnte nicht auf alles im Leben Rücksicht nehmen, daran war er nicht gewöhnt und ehrlich gesagt hatte auch gar kein Interesse, das spontan zu ändern.

Schließlich versuchte er, seinen Gast zu wecken, doch dieser schlief munter weiter und ignorierte Raven einfach.

„Sein Pech, dann esse ich eben ohne ihn.“ Er schnappte sich eine schüsselvoll grünen Salat und ein Glas Orangensaft und überlegte während des Essens, was er nun mit Mr. XY auf seinem Sofa anstellen sollte. Erst mal ein wenig ausfragen und morgen konnte er ihn dann ohne schlechten Gewissens aus der Wohnung werfen. Raven war nun mal nicht der Typ, der es länger ohne großartige Streiterei mit Leuten auf engen Raum aushielt. Besonders nicht mit solchen, die nicht mit seinen Eigenarten vertraut waren.

„He, du“, murmelte eine leise Stimme schüchtern, „kannst du mir was zu trinken geben?“

„Auch schon wach?“, fragte Raven leicht unfreundlich. Er war doch kein Dienstmädchen, das man wahllos durch die Gegend schickte, wie es einem gerade passte. „Wenn du mir erst mal sagst, wer bist, mach ich das vielleicht auch.“

„Tut mir leid.“ Der andere senkte beschämt den Kopf. „Ich heiße Noevy. Und du?“

„Raven. Aber komm bloß nicht auf die Idee, mich Ravy oder so zu nennen. Das kann ich überhaupt nicht leiden.“ Um das schon mal von Anfang an auszuschließen.

„Werd ich schon nicht machen, Ravy.“

„Halt die Klappe!“, fuhr Raven ihn wütend an. Pseudolustige Kinder konnte er auf den Tod nicht ausstehen, besonders wenn sich ihre Aussagen auf ihn bezogen.

„Ist ja gut, tut mir Leid“, entschuldigte sich Noevy schnell, er merkte wohl, dass er sich in Acht nehmen musste. „Bringst du mir trotzdem was zum Trinken?“

„Wenn du dann endlich still bist, schon.“ Genervt holte der Wohnungsbesitzer ein Glas Wasser aus der Küche und hielt es Noevy vor die Nase. „Hier.“

„Danke.“ Er lächelte und trank das Glas aus. „Wo sind eigentlich deine Eltern?“

Raven, der gerade das Abendessen vom Tisch räumte, erstarrte mitten in der Bewegung. „Warum willst du das wissen?“

„Man wird ja noch fragen dürfen“, verteidigte sich Noevy, der nicht mit einer solchen Reaktion gerechnet hatte.

„Wenn du es genau wissen willst, ich wohne hier eigentlich alleine.“

„Wieso das denn? Sind deine Eltern etwa...“

„Nein, sie leben noch“, unterbrach Raven ihn. „Am Stadtrand, ganz alleine ohne ihren dummen, ignoranten und unharmonischen Sohn. Sie haben mich abgeschoben, verstanden?“ Mehr gab es dazu nicht zu sagen.

„Oh.“ Unruhig rutschte Noevy auf dem Sofa herum. „Und hast du noch Geschwister?“

Wieder schien er eine falsche Frage gestellt zu haben, denn Raven fiel die Hälfte des Geschirrs, das er in die Spüle stellen wollte, auf den Boden.

„Hör einfach auf zu fragen, okay? Es braucht dich nicht zu interessieren. Du bleibst heute Nacht hier, morgen gehst du wieder schön nach Hause und in spätestens drei Tagen hast du es sowieso wieder vergessen.“

„Du willst mich also loswerden“, stellte Noevy traurig fest. „Dann geh ich lieber jetzt schon, wenn ich dich störe.“

„Vom Sofortgehen hab ich aber nichts gesagt.“ Langsam erstaunte Raven sich selbst. Heute hatte er eindeutig einen zu guten Tag, wenn er glaubte, es nicht verantworten zu können, einen neugierigen, unbekannten Jungen auf die Straße zu setzen. Das tat er immerhin oft genug auch mit seinen „Freunden“, in Wirklichkeit nur dauergelangweilte Klassenkameraden, die ihm gern auf die Nerven gingen und ihn in seiner Wohnung belagerten, um sich zu beschäftigen.

„Aber du willst es doch, dann sag es auch. Ich versteh das ja.“

Ohne Vorwarnung packte Raven Noevy am T-Shirt und schüttelte ihn kräftig durch. „Wenn du nicht sofort still bist, schlag ich dir eine rein! Es ist dunkel, diese Irren rennen noch draußen rum und du schläfst noch halb. Ich will nicht schuld sein, wenn dir etwas passiert, also hör auf zu nerven und bleib da.“

Er ließ von Noevy ab und fing an, den Tisch weiter abzuräumen, bis ihm etwas auffiel. „Hast du noch Hunger?“

Noevy schüttelte aber nur den Kopf und stand etwas verloren vor dem Sofa herum. Die unerwarteten Stimmungsschwankungen von Raven verwirrten ihn, dazu kam die zunehmende Müdigkeit, die ihn wieder ergriff.

„Ich geh schlafen, gute Nacht.“ Er legte sich wieder auf das Sofa, rollte sich zusammen und schlief ein.

Scherben

Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter noch kein Stück gebessert, was sehr ungewöhnlich war. Normalerweise hielt es nur sechs Stunden an, aber diese neblige Phase dauerte schon über einen halben Tag an.

Raven hatte aus ihm nicht bekannten Gründen die halbe Nacht wach gelegen und sich von einer auf die andere Seite des Bettes geworfen; wahrscheinlich störte ihn inzwischen allein die Anwesenheit von anderen Menschen, ohne dass er sie sah – zumindest nahm er das an.

Im Bad angekommen stellte er fest, dass er heute auch ohne bösen Blick katastrophal aussah. Zerzauste blonde Haare, dunkle Ringe unter den braunen Augen und eine ungesund bleiche Gesichtsfarbe; bei diesem Anblick würde Noevy sicher schnell freiwillig die Wohnung verlassen.

„Freu dich doch, jetzt verhältst du dich nicht nur scheiße, sondern siehst auch noch so aus“, begrüßte er sein Spiegelbild. „Passt doch richtig gut.“

Er konnte einfach keine halbwegs gute Laune haben, wenn er genau wusste, dass er noch einige Stunden die Anwesenheit eines kleinen, nervigen Jungens ertragen musste, der nie die Klappe halten wollte und immer genau die falschen Fragen stellte.

„Selbst Pech, hättest ihn auch ignorieren können, jetzt hast du den Salat.“

Raven warf seinem Spiegelbild noch einen bösen Blick zu, verließ das Bad und stieß fast mit Noevy zusammen.

„Morgen“, brummte er verstimmt und versuchte, sich ungeschickt an seinem Gegenüber vorbeizudrängen, doch er wurde an der Hand festgehalten.

„Wie siehst du denn aus?“, fragte Noevy besorgt, während er ihn von oben bis unten musterte.

„Wie immer“, antwortete Raven gereizt und machte sich unwirsch aus der Umklammerung frei. Es gab Dinge, die ließ man bei ihm wirklich lieber bleiben.

„Aber wieso?“

„Hör endlich auf mit den dummen Fragen!“ Nur mit Mühe behielt Raven die Beherrschung, lange hielt er das nicht mehr durch. Noevy bemerkte dies anscheinend nicht und näherte ihm noch ein wenig. „Ich will dir doch nur...“

„Halt die Klappe!“, schrie Raven ihn schon fast hysterisch an; mit der freien Hand holte er aus und schlug Noevy so fest wie möglich ins Gesicht. Entsetzt wich dieser vor ihm zurück und stolperte einige Schritte nach hinten.

„Du gehst mir unglaublich auf den die Nerven mit deinen Gequassel, dauernd willst du dich einmischen. Kapier das einfach und verschwinde!“

„Aber Raven, ich...“

Noch einmal schlug Raven zu, dann zerrte er Noevy aus der Wohnung und brüllte durch die geschlossene Tür: „Hör auf, mich anzulügen; du kennst mich nicht, also willst du mir bestimmt nicht helfen, niemand will das...“ Der Rest ging im Geschepper zerbrechenden Geschirrs und umfallender Gegenstände unter.

Verstört stand Noevy vor der Tür, die ihn von der Katastrophe trennte, und hörte, wie Ravens irrationaler Gefühlsausbruch immer mehr Opfer forderte. Die Hilflosigkeit trieb ihm gegen seinen Willen die Tränen in die Augen. Was hatte er nur getan?
 

Im Inneren des Apartments sah es aus wie auf einem Schlachtfeld, überall lagen zerstörte oder verstreut herum liegende Gegenstände auf dem Boden verteilt.

Das einzige, was noch halbwegs lebte, war die Tür, doch auch sie wies schon Spuren der Zerstörung auf, denn Raven hatte es nicht lassen können, mit einem Brieföffner immer wieder auf sie einzustechen.

Jahrelang hatte er es geschafft, die Wut, Verzweiflung und Schuldgefühle so gut es ging zu verdrängen und in sich hineinzufressen, indem er einfach jeden gemieden hatte, allerdings hatte Noevy sie alle ohne es zu wollen wachzurufen.

Langsam regte er sich ab, lehnte sich erschöpft gegen die Tür und betrachtete das furchtbare Chaos um ihn herum.

Noevy...

Wütend auf sich selbst ließ er den Brieföffner fallen und vergrub verzweifelt das Gesicht in den Händen. Gerade erst registrierte er, dass er Noevy geschlagen, beschimpft und vor die Tür gesetzt hatte. Sein Gewissen meldete sich; so extrem war er noch nie mit jemand Fremdes umgesprungen. Wenn Noevy etwas passiert wäre, konnte er nicht abstreiten, dass er dazu beigetragen hatte.

Ohne unnötig Zeit zu verlieren, riss er die demolierte Tür auf und stolperte beinahe über seinen nächtlichen Gast, der völlig aufgelöst vor der Tür kauerte und seine Umgebung gar nicht bewusst wahrnahm.

Raven setzte sich zu Noevy, legte ihm zögernd einen Arm um die Schulter – er wusste gar nicht mehr, wann er das zum letzten Mal bei jemandem getan hatte –, traute sich aber nicht, ihn direkt anzusehen. Er schämte sie zu sehr für sein übertriebenes Verhalten.

„Es tut mir leid, ich weiß auch nicht, wie da passieren konnte.“ Im Entschuldigen war er noch nie besonders gut gewesen. „Ich...“

Weiter kam er nicht, denn Noevy fing unkontrolliert an zu weinen und gab sich selbst die Schuld für das, was bisher geschehen war.

In den nächsten zehn Minuten war Raven damit beschäftigt, den braunhaarigen Jungen zu beruhigen und ihm klarzumachen, dass sie das alles am besten vergessen sollten, bevor sie in die verunstaltete Wohnung zurückgingen und mit dem Aufräumen begannen.

Austausch

Betreten saßen sie eine knappe Stunde später am Wohnzimmertisch, tranken aus zwei noch heil gebliebenen Tassen Tee und fühlten sich unwohl. Noevy fand es peinlich, dass er in Ravens Gegenwart geweint hatte – leider keine seltene Reaktion von ihm, wenn er sich überfordert fühlte – und Raven konnte sich nicht erklären, wie er in Anwesenheit eines fremden Jungens dermaßen die Kontrolle über sich selbst hatte verlieren können. Eigentlich hätten seine Eltern oder seine Mitschüler anstelle von Noevy die angestauten Aggressionen erhalten oder zumindest miterleben müssen, aber daran ließ sich nun nichts mehr ändern. Außerdem ging es ihm nun verrückterweise deutlich besser als in den ganzen Wochen zuvor.

„Es tut mir wirklich Leid“, begann Noevy ein weiteres Mal seine Entschuldigungswelle, doch Raven unterbrach ihn sofort ärgerlich.

„Hatten wir das nicht vorhin schon mal? Lass es gut sein, du bist nicht allein daran schuld.“ Das stimmte allerdings, obwohl er es nicht gerne zugab. Hätte er sich nicht von Noevys Besorgnis reizen lassen, wäre alles harmlos und ohne diese Zerstörung abgelaufen.

Um sich nicht weiter über den unangenehmen Vorfall unterhalten zu müssen, fragte Raven seinen Gast zur Ablenkung ein wenig über dessen Privatleben aus. Zwar interessierten ihn die ganzen Fakten herzlich wenig, aber erstens fiel ihm kein anderes Thema ein – er und Kommunikation wurden nie Freunde – und zweitens brauchte er dann selbst nur die Fragen zu stellen und keine zu beantworten.

„Wie alt bist du?“ Nicht, dass das Alter für ihn relevant gewesen wäre.

Noevy schien verwirrt wegen der unerwarteten Frage. „Ich bin 13, im März werde ich 14.“

„Aha.“ Eine bessere Antwort wusste Raven nicht und er sah nicht ein, weshalb er allzu große Begeisterung vorspielen sollte.

Auf diesem halbherzigen Niveau dümpelte die Unterhaltung noch einige Zeit vor sich hin, bis es Noevy zu dumm wurde, Dinge von sich preis zu geben, die hier sowieso keiner spannend fand, und er den Spieß umdrehte, indem er nun Raven über dessen Lebenslauf ausquetschte.

„Wieso wohnst du hier allein?“

„Weil mich meine Eltern nicht mehr zuhause haben wollten, zum hundertsten Mal.“ Sichtlich genervt rührte Raven in seiner Tasse herum und kippte sich jede Menge Zucker in den Tee, weil er ungesüßt für ihn nicht genießbar schmeckte; eine schlechte Angewohnheit, zumindest für seine Zähne.

„Und warum genau?“ Da ließ jemand nicht locker.

„Neugieriger Zwerg“, grummelte Raven angesäuert, obwohl Noevy nicht viel kleiner als er selbst war. „Stell dir vor, du wohnst fünfzehn Jahre auf engstem Raum mit mir in einem Haus. Glaubst du, man hält das gut aus oder kommt mit mir zurecht?“

Ein schwaches Kopfschütteln seines Gegenübers reichte ihm als Antwort; Noevy hatte in der kurzen Zeit schon bemerkt, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war.

„Deshalb haben sie mich vor einem halben Jahr gebeten, gefälligst die Fliege zu machen. War wahrscheinlich das Beste für alle.“

„Oh.“ Noevy nahm einen Schluck seines Getränks. „Und was ist mit... deinen Geschwistern?“ Noch so ein heikles Thema, das er hier anschnitt. Vorsichtshalber entfernte er sich ein Stück vom Tisch, um bei einem erneuten Anfall seines Gastgebers nicht Schaden zu nehmen, doch Raven zwang sich, zivilisiert zu bleiben. Er hatte immerhin mit dem Verhör angefangen, also musste er es sich ebenfalls gefallen lassen, ob es ihm passte oder nicht; gleiches Recht für alle. Und gegen die unglaubliche Neugier seines Gastes konnte er nichts ausrichten, da musste er nun wohl oder übel durch.

„Mein jüngerer Bruder Jevo ist seit einem Monat verschwunden und meine Eltern und ich gehen davon aus, dass diese Typen, die dich auch mitnehmen wollten, ihn entführt haben.“

Noevys Gesichtsausdruck wurde immer bestürzter und Raven schüttelte seufzend den Kopf über so viel Mitgefühl.

„Jetzt krieg dich wieder ein, schließlich muss ich damit leben und nicht du.“ Es reichte völlig, dass er sich oft genug wegen seinem Bruder Sorgen machte, da musste der andere Junge nicht auch noch mitmachen. Jevo war nämlich einer der ganz wenigen Menschen, mit denen Raven halbwegs kommunizieren konnte, ohne sich sofort gestört zu fühlen oder nur noch patzige Antworten zu geben.

Eine Sache gab es noch, die Raven ein ganz kleines bisschen interessierte.

„Wieso warst du gestern bei diesem verdammten Wetter überhaupt draußen?“

„Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, konterte Noevy automatisch.

„Ich musste nachsitzen und war deshalb länger in der Schule, wie fast immer. Du zufällig auch oder was?“ Das wäre ein merkwürdiger Zufall.

„Nein, ich hatte Streit mit meinen Eltern“, gab Noevy zögernd zu.

„Endlich mal normale Leute, die die gleichen Probleme haben wie ich.“ Ein schadenfrohes Grinsen zierte Ravens Gesicht und sein Gegenüber warf ihm einen beleidigten Blick zu.

„Danke, dass du so ehrlich bist, das brauche ich total.“

„Wenn du bemitleidet werden möchtest, musst du dir jemand anderes suchen“, erklärte ihm Raven klipp und klar, doch ein unüberhörbares Geräusch auf der Straße unterbrach ihr Gespräch. Was passierte dort schon wieder?

Entführung

Noevy stand zögerlich auf, um die Ursache des Lärms herauszufinden, doch Raven hielt ihn am Zipfel seines Oberteils fest.

„Du bleibst hier, wer weiß, wer oder was da draußen ist.“ Eine Rettungsaktion in zwei Tagen reichte ihm vollkommen.

„Aber wenn jemand unsere Hilfe braucht“, jammerte Noevy vorwurfsvoll und wollte sich losmachen.

„Junge, übertreib es nicht. Draußen ist nur irgendwas umgefallen oder sonst was und du willst irgendwelchen nicht vorhandenen Personen helfen? Geht es dir zu gut?“ Kopfschüttelnd nahm Raven die zwei Tassen vom Tisch und trug sie zurück in die Küche. Noevy regte ihn auf Dauer wirklich auf, so wie er sich gerade benahm; ein kleines Kind war nichts dagegen. Eigentlich müsste sich er nach dieser nur knapp entronnenen Entführung gestern deutlich vorsichtiger verhalten, wenn es um Angelegenheiten außerhalb von sicheren Häusern ging, aber entweder hatte er das verdrängt oder Naivität gehörten zu seinen hervorstechendsten Charakterzügen, genauso wie seine permanente Neugier. Leider kannte Raven ihn noch nicht so lange – und wollte das ehrlich gesagt auch nicht –, um sich für eine Möglichkeit davon zu entscheiden, allerdings erschien ihm keine von beiden besonders positiv.

Das Geräusch, eine undefinierbaren Mischung aus einem Klopfen, undeutlichem Gemurmel und etwas anderem, setzte wieder ein und Noevy tippte nervös mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herum. Was auch immer es war, es klang seltsam und würde ihn bei längerem Zuhören sicher wahnsinnig machen, das ahnte er.

Warum konnte Raven so gelassen bleiben? Hatte er keine Angst, dass etwas Schlimmes passieren würde? Je länger Noevy über seinen unfreiwilligen Gastgeber nachdachte, umso weniger verstand er ihn. Wenn ihm andere Menschen anscheinend so schnell auf die Nerven gingen, wieso hatte Raven ihm dann geholfen und hier hergebracht?

Vielleicht sollte er einfach rausgehen und sich im schlimmsten Fall fangen lassen, dann kannte er den Grund des Geräuschs, Raven brauchte sich nicht alle zehn Minuten über ihn zu beschweren und konnte in Ruhe sein einsames Leben weiterführen, ohne von ihm belästigt zu werden.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Raven in der Küche noch mit dem Spülen der Tassen beschäftigt war, zog er seine Schuhe an, öffnete die Tür und lief auf die Straße.

Wie erwartet schwebte der Nebel wie ein Vorhang in der Luft und behinderte die Sicht; trotzdem hörte er deutlich, aus welcher Richtung der Lärm kam, beziehungsweise kommen sollte, wenn seine Ohren ihm keinen Streich spielten.

Ein unterdrückter Schrei ließ Noevy zusammenzucken und er wandte sich nach links zum Ursprungsort, doch bevor er sich mehr als drei Schritte in diese Richtung bewegen konnte, packten ihn von hinten zwei Arme und hielten ihn eisern fest.

Obwohl er sich versuchte hatte, auf die Gefahr vorzubereiten, die ihn hier erwarten können, traute er sich vor Angst nicht einmal, sich zu wehren, nicht einmal den Kopf zu drehen, um den unbekannten Angreifer ins Gesicht zu sehen. Gestern hatte er sie wenigstens gesehen, die zwei Frauen, die sich wie Zwillinge geähnelt und wegen ihres gleichgültigen und regungslosen Gesichtsausdrucks zu unmenschlich auf ihn gewirkt hatten. Wenn es wieder so eine war, was würde sie mit ihm anstellen? Wohin würde sie ihn bringen? Und würde er jemals wieder zurückkehren? Auf keine der Fragen fand er eine Antwort, aber im schlechtesten Fall änderte sich das bald.

„Raven, hilf mir“, wimmerte er leise, obwohl er wusste, dass der Angesprochene ihn nicht hörte und ihm möglicherweise nicht helfen wollte, immerhin hatte er sich gerade mehr als idiotisch benommen. Erst darauf zielen, sich fangen zu lassen und dann herum jammern, wenn es tatsächlich eintraf. „Es tut mir Leid.“

Das Wesen hinter ihm umklammerte ihn noch ein wenig stärker und langsam verschwamm die Umgebung vor Noevys Augen, bis er bewusstlos in den Armen des Unbekannten hing.
 

Das konnte nicht wahr sein, hörte der Junge ihm nicht zu?

Entsetzt beobachtete Raven vom Küchenfenster aus, wie Noevy nach draußen lief, von einer dieser unheimlichen Frauen festgehalten wurde und schließlich in sich zusammensackte, obwohl die Frau gar nichts weiter getan hatte, als ihn nicht mehr freizugeben.

Ohne sich noch allzu lange Gedanken zu machen, ob er sich selbst in Gefahr begab, stürmte er seinem hoffnungslosen Gast hinterher und stoppte mitten auf der Straße.

Nichts.

Keine Frau, kein Noevy, nur wieder dieser Nebel und die leere Straße vor ihm. Als wären die beiden nie hier gewesen.

„Verdammt noch mal.“ Fluchend suchte Raven die anliegenden Gassen ab, aber er fand nichts, was ihm einen Hinweis auf den Verbleib der beiden gab. Rein gar nichts, genau wie bei Jevo. Sie schienen wie vom Erdboden verschluckt.

Was hatte sich Noevy dabei gedacht? Er kannte doch die Gefahr, die bei diesem Nebel überall lauern konnte, warum war er trotzdem hinausgelaufen? Dummheit? Neugier? Beides zusammen?

Und er selbst hatte ihn nicht davon abhalten können. Auch wenn er Noevy die meiste Zeit nervend und ein wenig einfältig fand, soweit hätte es seiner Meinung nach wirklich nicht kommen müssen. Lernte der Junge aus solchen Fehlern wie gestern nie?

„Suchst du jemanden?“

Treffen

Das Flüstern ließ ihn erstarren; es kam von Nirgendwo, schien direkt in seinem Kopf zu entstehen. Wurde er nun verrückt?

Seine Beine begannen zu zittern, doch er versuchte, sich sofort wieder unter Kontrolle zu bringen. Es half nichts, wenn er nun panisch wurde, er musste sich zusammenreißen und überlegen, wie er Jevo und Noevy zurückholen konnte, obwohl er nicht einmal wusste, wo sie sich befanden.

„Hallo, antwortest du mir bitte?“ Die Stimme wurde eindringlicher, sie sprach eindeutig mit ihm.

„Meinst du mich?“ Wie erschreckend dünn seine eigene Stimme klang, das passte nicht zu ihm, aber bei dieser anstrengenden Situation war das kein Wunder.

„Ja, wen denn sonst?“

Stimmt, jemand anderen sah er nicht, seine Frage war ziemlich überflüssig gewesen. Aber was sollte man zu einer körperlosen Stimme sagen? Leider passierte so ein Gespräch nicht so oft, dass er sich darauf hätte vorbereiten können.

„Könntest du mir nun meine Frage beantworten?“ Zwar hörte er es nicht heraus, aber Raven nahm an, dass der Besitzer der Stimme langsam ungeduldig wurde. Zumindest wäre er das schon längst, wenn man ihn fast durchgängig ignoriert hätte.

„Ja, ich suche wirklich jemanden. Einen Jungen, ungefähr so groß wie ich, dunkle Haare, nicht besonders schlau im Kopf. Er wurde gerade von einer Frau mitgenommen.“ Wieso erzählte er das? Er bildete sich diese Stimme sicher ein, also konnte sie ihm gar keine Hilfe sein. Er sollte sich lieber ins Bett legen und schlafen und auf Besserung seines geistigen Zustands hoffen.

„Das wird problematisch für dich, sie sind nämlich weg, du wirst sie nicht mehr einholen können.“

„Woher willst du das wissen?“ Wollte ihm sein merkwürdiger Gesprächspartner die letzte Hoffnung rauben? Reichte es nicht, dass er schon seinem Bruder nicht hatte helfen können?

„Ich habe sie gesehen. Dich sehe ich übrigens auch.“

Blitzartig drehte sich Raven einmal um die eigene Achse und musterte konzentriert die Straße und die umliegenden Häuser, bemerkte allerdings nichts Auffälliges bei beidem. „Wo bist du?“ Er fühlte sich nicht gerade wohl in seiner Haut.

„Hier hinten.“ Hinter der kümmerlichen Hecke des gegenüberliegenden Grundstücks regte sich etwas und Raven wich instinktiv zurück, als er 'es' genauer betrachten konnte.

Absolut menschlich war es nicht, obwohl zumindest die Proportionen stimmten, ebenso wie die Anzahl von Armen, Beine, Ohren, Augen, Nase und Mund. Nur die extrem dunkelblauen Augen, die dunkelgrünen Haare und die ganz leicht grünlich gefärbte Haut irritierten ihn, genau wie die geringe Größe von höchstens 1,60.

Was auch immer dort in seiner Nähe stand, er musste vorsichtig sein; vielleicht hatten sie sich erneut eine Falle ausgedacht.

„Was bist du?“ Besonders höflich klang er nicht, aber auf solche Nebensächlichkeiten legte er nun wirklich keinen Wert.

„Ein Lebewesen“, antwortete die kleine Gestalt und schritt langsam auf ihn zu. „Ich tu dir schon nichts.“

„Das glaubst du ja selbst nicht. Gib wenigstens zu, dass du zu diesen was weiß ich gehörst und mich mitnehmen willst.“ Was wollte es denn sonst von ihm? Bestimmt nicht die Post vorbeibringen. Es sah suspekt aus, es konnte nicht ungefährlich sein.

„Mitnehmen werde ich dich ganz sicher nicht.“ Das Wesen lächelte leicht oder zumindest sah es danach aus.

„Aber?“ Die ganze Wahrheit war das nicht, vermutete Raven. „Du bist einer von ihnen.“ Jede Sache hatte irgendeinen Haken.

„Teilweise“, gab es zu, „aber sie zählen mich nicht wirklich zu einen von ihnen.“ Beinahe nervös spielte es an seinem einzigen Kleidungsstück herum, einem sehr großes Tuch, dessen Farbe Raven nicht genau einordnen konnte; dunkelbraun oder etwas Ähnliches. „Ich bin nämlich auch ein Mensch.“

„So ein Blödsinn.“ Je weiter das Gespräch voranschritt, desto verwirrter wurde Raven. Nur weil das Etwas menschliche Züge aufwies, durfte es sich nicht einfach als Mensch einstufen. Da könnte ja auch jeder Roboter sich angesprochen fühlen.

„Es stimmt aber wirklich.“

„Du kannst sein, was du willst, verschwinde einfach.“ Raven drehte sich um, um wegzugehen, da ihm die ganze Angelegenheit zu abgedreht wurde, doch eine Hand schloss sich um seinen Unterarm und hielt ihn zurück.

„Nimm mich mit in dein... Haus“, bat es ihn, „hier draußen ist es so kalt. Bitte.“

Bei der Wenigkeit an Kleidung – dieses Tuch konnte man kaum als etwas derartiges bezeichnen – hätte wohl jeder gefroren; zusätzlich lagerte sich mit der Zeit dieser Nebel auf allem ab und so wie es glänzte, musste es schon eine Weile im Freien gewesen sein. Außer dieser Glanz gehörte zu seinem normalen, äußeren Erscheinungsbild.

„Und wenn du gar nicht so harmlos bist, wie du tust?“, fragte Raven misstrauisch und versuchte, die störende Hand abzuschütteln, was ihm nicht gelang; der andere ließ nicht locker.

„Ich habe vorhin lange genug Zeit gehabt, dir irgendetwas anzutun. Habe ich aber nicht. Außerdem könnte ich dir helfen, diesen Jungen hier her zu bringen und dir noch ein paar interessante Dinge erzählen.“

„Na gut“, seufzte Raven ergeben, „aber wenn du irgendetwas machst, was mir nicht passt, gehst du.“ Fast dasselbe hatte er auch Noevy gesagt, mal sehen, ob sich sein neuer Gast daran hielt. Bald konnte er eine Station für hilfsbedürftige kleine Kinder und andere schlimme Wesen eröffnen, wenn er noch mehr selbsternannte Gäste aufsammelte. Wo war seine gefürchtete Ignoranz anderen gegenüber, wenn er sie einmal wirklich brauchte?

„Danke.“ Es lächelte ein weiteres Mal zurückhaltend, zog die Hand zurück und tappte neben Raven her, der es prüfend von der Seite musterte, bevor er das Wesen vorsichtig in seine Wohnung schob, sich schnell umblickte und schließlich die Tür schloss.

Er war eindeutig wahnsinnig geworden.

Diu

Zuerst schickte Raven seinen Gast unter die Dusche, damit dieser sich nach dem langen Aufenthalt in der Kälte aufwärmen konnte, und suchte gleich darauf ein paar passende Kleidungsstücke heraus, die er vor die Badezimmertür legte. Hoffentlich wusste der andere, wie man die Dusche bediente, sonst stände nachher alles unter Wasser. Und das würde er selbst nicht aufwischen.

Während im Bad weiterhin das Wasser rauschte, ließ sich Raven im Wohnzimmer ziemlich erschöpft auf sein Sofa sinken und seufzte tief. Die ganze Situation verwirrte ihn; so viele Ereignisse in kurzer Zeit zerrten sogar an seinen Nerven. Zuerst tauchte Noevy auf, verschwand am nächstens Tag unter unglücklichen Umständen und gleich darauf stand jemand Neues vor der Tür.

Nach einigen Minuten öffnete sich die Badezimmertür und sein Besucher schlich vorsichtig auf ihn zu, blieb aber mit deutlichem Sicherheitsabstand vor ihm stehen.

„Setz dich hin, du machst mich nervös, wenn du rumstehst.“ Eigentlich machte es ihn auch so nervös, es war ein wildfremdes Wesen mit einigen menschlichen Zügen, von dem er bis jetzt nicht einmal den Namen kannte. Falls es überhaupt einen besaß.

„Du hast Angst vor mir, oder?“ Es hatte sich neben ihn gesetzt und betrachtete interessiert den Stoff seines neuen Oberteils. „Musst du nicht, ich tu dir wirklich nichts.“

„Hab ich nicht.“ Zwischen Angst und Misstrauen gab es einen Unterschied. Und selbst wenn er sich vor dem kleinen grünen Zwerg, der mit seiner Jeans und dem zu großen roten T-Shirt ziemlich lachhaft aussah, fürchtete, würde er das nicht offen zugeben, das war einfach nicht seine Art.

„Hast du einen Namen?“ Vielleicht schaffte Raven es so, seinen Gast etwas – aber wirklich nur etwas – Vertrauen und auf irgendeine Weise Identität zu geben, damit er ihn nicht nur als das 'kleine grüne Vieh von der Straße' sah.

„Meine Mutter hat mich immer Diu genannt.“

Dann würde er das ab jetzt auch einfach tun, obwohl Raven sich nicht sicher war, ob dort, wo Diu herkam, nicht alle Mütter ihre Kinder so nannten.

„Bist du männlich oder weiblich?“ Das konnte man leider nicht auf den ersten Blick erkennen und bevor peinliche Missverständnisse entstanden, erkundigte er sich lieber.

„Was?“ Leicht ratlos zupfte Diu an einer seinen grünen Haarsträhnen herum. „Was soll das denn sein?“

Anscheinend kannte er die Unterschiede zwischen Mann und Frau nicht oder sie existierten bei seinem Volk überhaupt nicht. Verzwickte Lage.

„Okay, ich erkläre es dir.“ Herrlich, er durfte Biologielehrer für einen unwissenden Außerirdischen spielen, das passierte nicht jedem. „Bei uns Menschen gibt es Männer und Frauen; Männer sind meistens größer, stärker und haben kürzere Haare; Frauen sind kleiner, haben Brüste, längere Haare, können Kinder bekommen und sehen insgesamt besser aus als Männer.“ Auf Anhieb fielen Raven gerade keine weiteren Klischees ein, außerdem wirkte Diu nicht besonders schlauer. Also musste er auf andere Möglichkeiten zurückgreifen.

„Sind bei euch alle gleich?“

„Die anderen schon.“ Diu rutschte unbehaglich hin und her. „Bei mir ist das alles etwas komplizierter, hat mir meine Mutter erklärt.“ Von dieser erzählte es auch gerne.

„Dann werde ich halt selbst nachsehen.“ Wenn Diu keine Ahnung hatte, musste er selbst mit seinen kaum vorhandenen Kenntnissen nachhelfen. Hoffentlich fühlte sich sein Gast davon nicht allzu sehr belästigt, wenn er ihn nun kontrollierte.

Vorsichtig nahm Raven den Saum des T-Shirts und schob ihn bis an den Ausschnitt hoch. Erleichtert atmete er auf, keine verdächtigen Rundungen zu entdecken. Mit Mädchen kam er nämlich fast noch weniger zurecht als mit seiner eigenen Spezies.

„Lass das bitte.“ Bestimmend drückte Diu Ravens Hand weg und richtete sein Oberteil.

„Ist ja gut, ich bin fertig.“ Immerhin war er jetzt klüger als vorher, hoffte er, aber da Diu vorhin behauptet hatte, er sei ein Mensch, sprach seine flache Brust, dafür, dass er ein Junge war. Trotz ihrer blass grünen Farbe.

„Hast du etwas zum Essen für mich?“ Dius dunkelblauen Augen sahen ihn fragend an und Raven zeigte auf den Tisch, auf dem noch eine Schale mit Äpfeln stand. „Nimm dir einen, wenn du Hunger hast.“

„Danke.“ Zufrieden angelte sich Diu eine der Früchte, biss hinein und kaute herzhaft. Ihm schien es zu schmecken, das erleichterte Raven, denn er hatte schon befürchtet, spezielles Essen für seinen Gast zu benötigen und für so etwas gab er sehr ungerne Geld aus. Besonders viel hatte er nicht; seine Eltern waren seiner Meinung nach absolut geizig und zum Selbstverdienen fehlten ihm die nötige Motivation und das positive Auftreten.

„Erzählst du mir auch etwas über dich?“, bat Diu ihn, als er gerade den zweiten Apfel verspeiste und schon sehnsüchtig das letzte Exemplar anschielte. „Ich weiß nicht einmal, wie du heißt.“

„Wieso sollte ich?“ Seine misstrauische Ader machte sich wieder bemerkbar.

„Dann eben nicht.“ Sichtlich enttäuscht stellte Diu das übrige Kerngehäuse zum ersten und fixierte eine der einsam auf dem Tisch stehende Teetasse, als wollte er sie mit telepathischen Kräften auf den Boden stoßen.

„Wenn du es unbedingt hören willst, sag ich es dir halt.“ Im Gegensatz zu anderen Menschen nervte er zum Glück nicht pausenlos herum. Außerdem hatte er ihm von selbst angeboten, zu helfen, da durfte er ruhig erwarten, dass Raven ein wenig von seiner Privatsphäre preisgab.

Während Raven ungefähr dasselbe erzählte wie bei Noevy, hockte Diu stumm daneben und unterbrach ihn kein einziges Mal, um irgend einen dummen Kommentar über Ravens eher ungewöhnlichen Grund des Alleinwohnens zu machen. Dafür bekam er von diesem ein paar imaginäre Pluspunkte. Warum konnten nicht mehr Leute öfters die Klappe halten?

„So, Ende der Geschichte.“ Hoffentlich musste er das Ganze nicht noch ein drittes Mal irgendjemandem vorbeten. „Erklär mir mal die tolle Tatsache, dass du ein Mensch sein kannst.“ Und gleichzeitig ein kleiner grüner Zwerg ohne richtige Stimme. Obwohl Raven diese Art der Kommunikation deutlich angenehmer fand. Vielleicht lag das auch an Dius leiser, unaufdringlicher Stimme.

„Okay.“ Der letzte Apfel fand den Weg in seine Hand. „Mein Volk, die Katenha, wohnt verstreut auf unterschiedlichen Planeten. Die meisten sind ziemliche Einzelgänger, deshalb leben wir nicht in Städten oder ähnliches und nur ganz selten in einer Familie. Im Gegensatz zu euch können wir ohne einen Partner Kinder bekommen, allerdings nur unter bestimmten Umständen, die ich nicht kenne, ich kann nämlich nicht schwanger werden, meinte meine Mutter.“

Wie oft wollte er noch seine Mutter erwähnen?

„Die Katenha haben auch bestimmte Kräfte, die du gar nicht und ich nur teilweise besitzen, dafür empfinden sie keine Gefühle wie Liebe, Hass und Mitleid.“

„Ist ja schön, dass ich was über diese Verrückten erfahre“, bemerkte Raven spitz, „aber auf meine Frage bist du trotzdem nicht eingegangen.“

„Ich wollte dir erst das wichtigste Grundwissen über die anderen liefern, damit du die Unterschiede besser siehst.“ Unschlüssig strich Diu sein T-Shirt glatt. „Meine Mutter ist auch eine Katenha, aber sie hat Gefühle, zumindest leichte Ansätze davon. Aus Neugier wollte sie einmal die Erde von Nahem sehen und hat als Probe dort einige Zeit lang gelebt. Dabei hat sie meinen Vater kennen gelernt, aber bevor ich geboren wurde, musste sie ihn verlassen, weil sie fast entdeckt wurde. Und du weißt ja, wie Menschen reagieren, wenn etwas nicht so wie sie sind.“ Ein leicht vorwurfsvoller Blick streifte Raven, der sich davon nicht angesprochen fühlte. Schließlich war er selbst mehr ein Opfer dieses Verhaltens als ein potentieller Ausübender.

„Und wieso bist du jetzt wieder auf der Erde?“ Allein, ohne ausreichende Kleidung und eine Unterkunft. „Bestimmt nicht zum Urlaub machen.“

„Nein, das nicht.“ Der letzte Apfelrest formte inzwischen mit den anderen ein Kerngehäusetrio auf dem Fußboden. „Anscheinend hatten einige Katenha den Verdacht, ich könnte ihr jahrelang geplantes Projekt sabotieren. Deshalb haben sie mich vorsichtshalber hier auf die Erde geschickt und mir verboten, auch nur in die Nähe des Mondes zu kommen.“ Bei diesen Worten klang Dius Stimme ziemlich traurig, wahrscheinlich machte es ihm sehr zu schaffen, von seinem Volk auf einen fremden Planeten verbannt worden zu sein.

„Hatten sie gute Gründe, das zu vermuten? Ganz ehrlich, besonders gefährlich oder so kommst du mir nicht vor.“ Dafür erschien Raven sein Gast etwas zu schüchtern, aber vielleicht täuschte ihn auch nur der erste Eindruck und in Wirklichkeit teilte er im Moment sein Sofa mit einer kleinen Killermaschine. Keine vertrauenserweckende Vorstellung, empfand Raven.

„Naja, sie denken sicher, als halber Mensch würde ich den Leuten auf dem Mond bei der Flucht oder dem Scheitern des Projekts helfen. Dumm nur, dass ich als einzelner nichts ausrichten kann und nicht einmal genau weiß, was sie vorhaben.“

„Wie willst du mich dann unterstützen, wenn du keine Ahnung von allem hast?“ Raven fühlte sich hintergangen, hatte Diu ihn belogen, um nicht die ganze Zeit draußen im Kalten sitzen zu müssen? Und er Idiot war auch noch darauf hineingefallen, weil er einmal im Leben nett sein wollte.

„Das stimmt doch gar nicht!“ Entweder konnte Diu seine Gedanken lesen oder sie standen ihm gerade sehr deutlich in Gesicht geschrieben. „Ich habe dir schon was über die Katenha gesagt, wenn du mehr Informationen brauchst, geb ich sie dir und ich kann dich auch zu ihrer Station auf dem Mond bringen, wenn du willst.“ So aufgebracht hatte Raven den Kleinen noch gar nicht erlebt, dabei gefiel ihm das besser als dieses schreckhafte, das erinnerte ihn zu sehr an Noevy und an den wollte er nicht denken, sonst drohte ihn wahrscheinlich das Gefühl der Verantwortung zu erdrücken.

„Okay, tut mir leid, Diu.“ Es tat ihm wirklich etwas leid, die Mühe seines Gastes nicht gewürdigt zu haben, ohne ihn wüsste er bis jetzt nicht, mit wem er es eigentlich zu tun hatte. Aber leider gehörte Lob austeilen nicht zu einer seiner Stärken, eher seinen Schwächen. Positives fiel nun mal nicht in Ravens Tätigkeitsbereich, das musste er unbedingt lernen. Vielleicht half ihm die Zusammenarbeit mit Diu dabei. „Aber wie sollen wir auf den Mond kommen? Zauberst du schnell eine Rakete aus deinem Ärmel?“

„Nein, aber Katenha haben die Fähigkeit, sich ohne Hilfsmittel von einem zum anderen Ort bewegen zu können, so eine Art Teleportation. Deshalb ist auch immer der Nebel da, wenn sie hier auftauchen, er entsteht nämlich dabei, vor allem wenn mehrere Katenha sich teleportieren. Theoretisch kann ich es auch, nur nicht besonders präzise und es kostet mich viel mehr Kraft. Das ist halt der Nachteil, wenn man noch zusätzlich menschliche Erbanteile besitzt.“

„Und dein beklopptes Volk hält meinen Bruder auf dem Mond fest?“ Diesen Gedanken fand Raven absolut beängstigend; die Entfernung war so unglaublich groß. „Und wie sollen sie da überleben ohne Sauerstoff? Kann ja sein, dass ihr Irren das könnt, aber Jevo und Noevy ganz sicher nicht.“ Sofort drängte sich ihm die Überlegung auf, ob er dann den beiden überhaupt noch helfen konnte.

„Keine Angst, so viel ich weiß, haben sie extra eine Art Zone mit Luft um den Mond errichtet, damit den Menschen nichts passiert. Umbringen wollen sie niemanden, nur weil sie keine Gefühle haben, heißt das nicht, dass sie aus reinem Spaß Menschen oder andere Lebewesen töten.“ Wieder ein schwacher Vorwurf.

„Hab ich auch nie behauptet.“ Raven hatte niemanden unterstellt, absichtlich zu morden, aber vielleicht benötigten die Katenha keinen Sauerstoff und nahmen dasselbe von den Menschen an. „Aber wie kann es sein, dass deine Mutter, wenn sie keine Gefühle hat, mit deinem Vater ein Kind gezeugt hat? Oder wollte sie einfach mal ausprobieren, wie es ist, mit einem Menschen zu schlafen?“

„Ich hab dir doch vorhin gesagt, sie hat Gefühle. Zwar nicht besonders stark und nicht sehr vielfältige, aber besser als nichts.“

„Und woher hat sie die?“ Bestimmt nicht auf dem Schwarzmarkt gekauft.

„Anomalien gibt es überall“, stellte Diu nüchtern fest und schlang die Arme um den Oberkörper. „Man nimmt an, dass die Katenha früher fühlen konnten, das aber mit der Zeit verloren gegangen ist, weil sie es nicht genügend eingesetzt haben. Und bei wenigen kommt es wieder hervor.“

„Klingt logisch.“ Trotzdem war er etwas verwirrt wegen der vielen Informationen, die er von Diu bekommen hatte. Raven musste sich eingestehen, dass sein Vorhaben ohne fremde Hilfe schon von Anfang an gescheitert wäre, weil er nicht einmal die Art des Gegners geschweige dessen Stärke gekannt hatte. Und die Rettungsaktion vom Mond und zurück würde gar nicht stattfinden.

„Deinen Vater hast du nie kennen gelernt, oder? Weißt du überhaupt, wo er wohnt?“

„Wahrscheinlich weiß er nicht einmal, dass es mich gibt. Aber er soll irgendwo in Amerika wohnen, ist das weit von hier?“

„Auf der anderen Seite der Welt, also nicht ganz so weit entfernt wie der Mond. Könnte natürlich sein, dass er umgezogen ist.“ Wer wollte heutzutage noch in Amerika leben? Fast niemand mehr, die meisten wohnten nun in Russland, Island oder Norwegen und die ganz schlauen in Cellora und Umgebung. „Oder auch gestorben, ich weiß ja nicht, wie viele Jahrhunderte ein Katenha schwanger ist.“

„Sechs oder sieben Monate, auf keinen Fall länger, Katenha werden auch nicht besonders alt, ungefähr... fünfzig Jahre.“

„Da wären meine Eltern schon mindestens scheintot“, grummelte Raven vor sich hin. „Wie alt bist du eigentlich?“

„Weiß ich nicht genau; erwachsen noch nicht, aber ein kleines Kind auch nicht mehr. Zwischen 14 und 17, würde ich sagen.“

„Also ungefähr so alt wie ich, nur solltest du noch etwas wachsen.“

„Werde ich bestimmt.“ Diu gähnte hinter vorgehaltener Hand. „Das kommt bei vielen Katenha etwas später...“ Sein Kopf sank auf die Sofalehne und er schloss die Augen.

Sollte er es persönlich nehmen, dass seine Gäste gerne einschliefen, wenn sie hier waren? Raven entschied, die Antwort auf später zu verschieben, und widmete sich stattdessen seinem Haushalt; er warf die Apfelparade in den Biomüll, räumte die Teetassen in die Spüle und trocknete das Bad ab, das Diu zum Glück nicht vollkommen unter Wasser gesetzt hatte.

Gegen Mittag fand Raven, dass er seinen Gast langsam zum Essen wecken konnte und beugte sich über diesen. Diu hatte sich in eine Ecke des Sofas gedrückt und seinen Kopf auf seine Arme gelegt; Noevy hätte sicher sofort nach einem Kissen geplärrt. Wenn er noch hier wäre.

„Diu, aufwache, ich will was zum Essen machen.“ Und sich vorher erkundigen, was ein Halbkatenha meistens zum Mittag aß. Nicht, dass er zweimal kochen musste, das würde seinem Geldbeutel nicht gefallen.

Doch trotz eines Schüttelns erhielt Raven keine Antwort; keine Stimme in seinem Kopf, keine deutlichen Anzeichen des Wachwerdens. Theoretisch könnte Diu tot sein und er merkte es nicht, weil er das für einen Normalzustand bei Katenha hielt.

„Hallo, lebst du noch?“ Die schlechte Laune packte wieder ihr Lieblingsopfer und ließ ihn unausgeglichen werden, aber ausnahmsweise wehrte er sich dagegen, denn er hatte etwas bemerkt, was ihm ganz und gar nicht behagte: Dius Haut hatte sich an manchen Stellen ins hellblaue verfärbt. Nicht sehr stark, aber es fiel trotzdem auf. Dabei hatte er ihn höchstens eine Stunde allein gelassen. Vielleicht vertrug er die Äpfel nicht oder die verunreinigte Luft Celloras?

Einem Impuls folgend fasste Raven seinen Gast kurz an die Stirn und zog erschrocken die Hand wieder zurück. Dius Gesicht glühte, scheinbar hatte er sich bei dem feuchten Wetter etwas eingefangen.

Das durfte doch nicht wahr sein, ausgerechnet jetzt, wo sie sich ausgesprochen hatten und ihre Pläne hätten beginnen können. Verdammt noch mal.

Frustriert ließ sich Raven neben Diu auf das Sofa fallen und vergrub das Gesicht in den Händen; am liebsten hätte er irgendwas oder irgendwen zur Schnecke gemacht, aber das brachte niemanden etwas, wenn er hier ausrastete.

Stattdessen nahm er Diu schließlich auf den Arm, trug ihn in sein Zimmer, packte ihn ins Bett und setzte sich daneben. Mehr konnte Raven momentan nicht tun, außer ihm Tee kochen und hoffen, dass es ihm bald besser ging und er keine Schäden davon trug, wer wusste , wie der Körper eines Außerirdischen auf solche Krankheiten reagierte? Niemand, den er fragen konnte.

Ankunft

Die unangenehme Bewusstlosigkeit endete schon nach kurzer Zeit, doch Noevy erkannte seine Umgebung trotzdem nur ziemlich verschwommen, fast wie durch eine dieser Milchglasscheiben, allerdings mit deutlicheren Umrissen.

Er lief über ein unebenes Gebiet voller größerer und kleinerer Gesteinsbrocken, die höchstwahrscheinlich weiß sein sollte, aber das wusste er nicht genau. Der seltsame Himmel über ihm tauchte alles in ein zartviolettes Licht und verunsicherte Noevy; gab es auf der Erde Plätze mit einem dunkelvioletten Himmel ohne Wolken oder anderen ähnlichen Objekten? Mond oder Sonne fand er ebenfalls nicht.

Links und rechts von ihm schlurften die zombieähnlichen Frauen, die ihn sicherheitshalber stützten und jeden seiner Schritte überwachen zu schienen. Sie hatten ihn hier hergebracht, so weit er sich erinnerte, und steuerten nun mit ihm auf ein Gebäude zu, was mitten in dieser trostlosen Landschaft stand; ein großer roter Klotz, dessen genau Funktion Noevy völlig schleierhaft war, doch da sie direkt darauf zugingen, vermutete er, dass er es bald wissen müsste. Ob er wollte oder nicht. Man hatte ihn schließlich nicht einmal gefragt, ob er mit diesen zwei schweigsamen Damen mitkommen wollte; man hatte ihn praktisch vor der Haustür seines Gastgebers entführt, weil er, Noevy, einfach ein großer Vollidiot war. Aber daran ließ sich nun nichts mehr ändern.

Als sie nach wenigen Minuten fast vor dem Eingang angelangt waren, stellte Noevy zwei Dinge fest: Das Gebäude hatte keine Ecken und kein erkennbares Dach, es sah aus wie eine zu groß geratene Halbkugel und außerdem strahle es ein tröstliches rotes Licht aus. Was leuchtete hier wohl als nächstes?

Die zwei Frauen zogen ihn grob ins Innere und durch viele unbelebte Gänge, in denen der rote Schein hing, und als Noevy neugierig eine der Wände berührte, spürte er eine unerwartete Wärme und zog erschrocken die Finger zurück. Sollte das hier die Heizung der Zukunft sein? Hoffentlich nicht, das war unheimlich.

Irgendwann standen sie vor einer unscheinbaren Tür; eine der Frauen öffnete sie, die andere schob ihn in den Raum und verschwand schließlich, nachdem sie Noevy auf eine Matratze nahe einer Wand verfrachtet hatte.

Während er auf der weichen Unterlage lag, begann sich seine Sicht zu klären und er bemerkte endlich ein paar Jugendliche in seinem Alter, die ihn von der anderen Seite des Raums teils neugierig, teils misstrauisch musterten. Scheinbar befanden sich hier die wenigen Jugendlichen, die in den vergangenen Wochen entführt worden waren. Und er gehörte ab jetzt dazu. Dummheit wurde nun mal bestraft.

Ein Junge löste sich aus der Gruppe, ging zögerlich auf ihn zu und kniete sich vor ihn auf den Boden. „Geht es dir gut?“

Bis auf ein leichtes Schwindelgefühl, das noch nicht verflogen war, schon, weshalb Noevy zustimmend nickte und es gleich bereute, weil alles in Sichtweite wieder zu verschwimmen begann.

„Bleib ruhig liegen, das geht bald weg. Das sind die Nachwirkungen vom Transport, die bekommt eigentlich jeder.“ Schwach lächelte der andere ihn an. „Ich bin Jevo.“

„Ich bin Noevy.“ Das traf sich wirklich sehr gut. „Bist du Ravens Bruder?“

„Äh, ja.“ Jevos Gesichtsausdruck wandelte sich von anfänglichem Misstrauen in Überraschung. „Woher kennst du ihn? Besonders kontaktfreudig ist er ja leider nicht.“

„Zufall, er hat mich vor diesen Leuten hier gerettet und mich bei sich übernachten lassen.“

Ungläubig schaute Jevo ihn an. „Mein Bruder... hat dir geholfen? Bist du sicher, dass wir von demselben Raven sprechen? Er tickt doch schon aus, wenn sich seine Klassenkameraden selbst bei ihm einladen. Zugegeben, die sind aber auch nervig.“

„Ich bin mir sehr sicher, Ähnlichkeiten hast du nämlich mit ihm.“ Wie zum Beispiel die Haarfarbe und die Nase, das sah man auf den ersten Blick. „Aber ich bin ihm zum Schluss ziemlich auf die Nerven gegangen und deshalb abgehauen. Dabei wurde ich dann doch geschnappt.“ Peinlicher ging es kaum.

„Mach dir nichts daraus, Raven ist die Gereiztheit in Person.

Wenn es dir später besser geht, kann ich dich hier etwas herumführen, wir werden hier zum Glück nicht eingesperrt oder so.“

„Wo sind wir hier überhaupt? Wie Cellora sieht das nicht aus; sind wir am Nordpol?“

Jevo seufzte leise. „Nein, wir sind auf dem Mond.“

„Was?“ Schockiert schaute Noevy ihn an. „Das kann nicht sein!“ Wer sollte sie alle von diesem kleinen Himmelskörper mitten im Weltall wegholen? Und wie war es überhaupt möglich, hier her zu kommen?

„Doch, das haben sie erzählt“, sagte Jevo niedergeschlagen. „Du kannst das ganze Gebiet absuchen, etwas anderes außer der Station wirst du nicht finden.“

„Das gibt es doch nicht“, murmelte Noevy verzweifelt vor sich in, bis ihm Jevo beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. Langsam verschwand das Gefühl des Ausgeliefertseins wieder, wenigstens war er hier nicht völlig auf sich allein gestellt.

„Wen meinst du eigentlich mit 'sie'? Die anderen Leute?“

„Nein, die, die uns hier hergeholt haben. Sie nenne sich Katenha und sind eine Art Außerirdische, die auf den verschiedenen Planeten leben.“

„Sind diese Frauen auch Katenha?“ Wenn ja, konnte man sie kaum von richtigen Menschen unterscheiden, was ihm nicht behagte. Man erkannte die Bedrohung zu spät.

Doch Jevo schüttelte den Kopf. „Nein, das sind Helfer der Katenha, sogenannte Trisets. Zwar sehen sie aus wie Menschen, sind aber keine, nicht einmal richtige Lebewesen, sondern leere Hüllen, die von einem Katenha gesteuert werden. Auf der Erde fallen sie halt nicht auf.“

Von den vielen neuen und zum Teil verwirrenden Details tat Noevy der Kopf erst recht weh, was Jevo schnell erkannte und ihn einige Zeit in Ruhe ließ, um außerdem den anderen zu berichten, was er von Noevy wusste.

Ohne es wirklich wahrzunehmen, nickte dieser ein und wurde davon wach, dass ihm jemand vorsichtig auf die Schulter tippte. Eigentlich erwartete er, es sei Jevo, der sich weiterhin mit ihm unterhalten wollte, allerdings fiel sein Blick, als er endlich die Augen öffnete, auf ein Mädchen, das ihm ein Tablett unter die Nase hielt.

„Hallo Noevy, ich bin Sejena. Hier ist dein Mittagessen, wenn du willst, kannst du dich zu uns setzen.“ Sie deutete auf ihre Gruppe, die in der Mitte des Raumes in einem Kreis zusammensaßen. Tische oder Stühle gab es weit und breit nicht, jeder hatte sein Tablett auf dem Schoß liegen und hockte auf dem blanken Boden, der aber nicht kühl sein konnte, da er aus demselben Material wie die Wände bestand.

„Danke.“ Er nahm ihr das Essen ab, folgte ihr in den Kreis und suchte sich zwischen Jevo und einem anderen Jungen ein Plätzchen. Besonders appetitlich sah die Mahlzeit nicht aus; in einer kleinen unförmigen Schale schwamm eine trübe Suppe mit vereinzelten grünen Flecken, daneben lag eine Scheibe dunkles Brot und die Flüssigkeit, die sich in einem rosa Plastikbecher befand, wollte er gar nicht genauer analysieren. Wer wusste, was das in Wirklichkeit war.

„Du kannst es essen“, versuchte Jevo in zu animieren, „es sieht zwar nicht sehr lecker aus, aber es schmeckt einigermaßen. Obwohl der Tee mehr Wasser als etwas anderes ist.“

Vorsichtig tunkte Noevy einen Finger in die Suppe und probierte sie; es sah wirklich schlimmer aus, als es tatsächlich war. Hungrig geworden löffelte er die Schüssel leer, knabberte an der Brotscheibe herum und trank dazwischen seinen Tee, der wirklich mehr nach Wasser als nach Pfefferminze schmeckte.

Die anderen ließen sich ebenfalls vom unterdurchschnittlichen Aussehen des Essens nicht beirren und wenig später stapelten sich die leeren Tabletts und Gefäße in der Mitte ihres Kreises.

„Wenn du willst, zeig ich dir die Station“, erklärte sich Jevo nach dem Essen bereit, „wir dürfen uns hier einigermaßen frei bewegen, was wir aber selten tun.“

Als Zustimmung nickte Noevy und folgte Jevo, der zu einer Tür ging, diese öffnete und ihm somit das Bad zeigte; ein seltsam runder Raum mit den hier charakteristischen Wänden, gefliestem Boden und den typischen Badezimmereinrichtungsgegenständen in weiß: Waschbecken, Toilette, Badewanne und sogar einem Holzschrank mit Handtüchern. Was für ein Luxus.

„Die haben hier eine Abneigung gegen Räume mit Ecken“, meinte Jevo und zog Noevy zurück in den größeren Raum, der ebenfalls ohne Ecken auskam, wie Noevy sehr früh feststellte. Individualität wurde nicht besonders großgeschrieben; bis auf die 'Möbel' und die Art des Fußbodens sahen beide Zimmer ziemlich identisch aus: keine Fenster, da auch die hier die Wände das purpurne Licht absonderte, die gleichen metallisch glänzenden Türen, die kuppelartige Decke.

„Hier essen, schlafen und leben sozusagen wir“, leierte Jevo herunter, als tat er den ganzen Tag nichts anderes als sich Texte für seine Führungen zu überlegen. „Dreimal am Tag bekommen wir essen, dann schalten sie für ungefähr acht Stunden das Licht aus, damit wir schlafen können. Das tun wir auf diesen eigentlich ganz bequemen Matratzen da hinten, die müssen wir uns teilen.“ Neun Jugendliche auf vier Matratzen zu quetschen würde sicher sehr beengt werden, aber es erschien deutlich komfortabler als auf dem harten Boden zu übernachten.

„Und was haben die Katenha mit uns vor?“ Diese waren bis jetzt noch nicht direkt erwähnt worden, obwohl sie die Urheber für ihren unfreiwilligen Aufenthalt waren.

„Das wirst du früh genug merken“, wich Jevo aus, „aber du brauchst keine Angst zu haben, es tut nicht weh, es ist höchstens etwas unangenehm, aber man gewöhnt sich daran.“

Wenn er ihn mit dieser Aussage hatte beruhigen wollen, hatte er genau das Gegenteil erreicht, Noevy gruselte sich nun erst recht vor den Versuchen der Katenha.

Neues

Eindeutig zu spät merkte Jevo, dass er es genau falsch angegangen war. „Du brauchst dir wirklich keine Gedanken zu machen, außerdem werden sie dich in den ersten Tagen in Ruhe lassen, damit du dich einleben kannst. So war es zumindest bei mir und den anderen so.“ Er überlegte einen Moment. „Wenn du willst, führ ich dich noch etwas herum, aber pass auf, damit du nicht direkt in einen Katenha hineinläufst. Zwar sperren sie uns nicht ein, aber sie sehen es nicht besonders gerne, wenn man hier durch die Gänge rennt. Wahrscheinlich befürchten sie, dass man etwas plant, um ihnen und ihren dummen Experimenten zu schaden. Ziemlich sinnlos, weil wir so gut wie nichts gegen sie ausrichten können. Und sei vorsichtig, vor einigen Tagen hat irgendein seltsamer Katenha Sejena belästigt, also noch ein Grund, ihnen nicht zu nah zu kommen. Bleib einfach bei mir, dann kann dir theoretisch nichts passieren.“

Überzeugt von seinen eigenen Worten stemmte er die Tür auf und blickte sich prüfend nach links und rechts um, damit er nicht sofort den nächsten Katenha anrempelte. Deutlich zögerlicher folgte Noevy ihm auf den Flur und fragte sich, wie Jevo sich in diesen Gängen zurecht finden konnte; er selbst hatte schon nach kurzer Zeit den Überblick verloren, was nicht besonders viel zu bedeuten hatte, da er über keinen guten Orientierungssinn verfügte.

„Wie lange bist du schon hier?“, wollte Noevy wissen, um sein Vertrauen in Jevos Kenntnisse des Gebäudes richtig einzuschätzen. „Raven meinte, seit über einem Monat.“ Dann könnte er aus Langweile tatsächlich so lange hier auf und ab gelaufen sein, bis er den gesamten Abbau des Bauwerks im Gedächtnis behielt.

„Ich habe keine Ahnung, irgendwann habe ich aufgehört mitzuzählen, weil es sowieso keinen Sinn macht; hier läuft jeder Tag gleich ab, da braucht man keinen Pseudokalender. Aber wenn Raven das sagt, wird es schon stimmen.“

Der Gang, den sie entlang liefen, schien kein Ende zu nehmen und das machte Noevy sehr nervös, weil man hier nicht unentdeckt wegkam, wenn ein Katenha aus einer der Türen trat. Wie sahen sie überhaupt aus? Wie ein Mensch, eine Tierart oder etwa ganz anders, was er sich lieber nicht vorstellen wollte?

An einer Kurve – Ecken gab es hier ja nicht – bog Jevo erst nach links, dann nach rechts und blieb abrupt stehen, sodass Noevy direkt in ihn hineinlief.

„Was ist denn?“, fragte er, doch Jove hielt ihm schnell den Mund zu.

„Ich dachte, ich hätte etwas gehört“, flüsterte Ravens Bruder hastig. „Die Katenha sind mir unheimlich, deshalb versuche ich, so wenig wie möglich mit ihnen in Kontakt zukommen, obwohl das leider nicht immer funktioniert.“

Das konnte Noevy nachvollziehen, herumgeisternde Außerirdische fand er auch nicht sehr beruhigend, vor allem wenn sie normale Menschen ohne zu fragen entführten.

Leise schlichen sie weiter, immer darauf bedacht, keine unnötigen Geräusche zu machen oder etwas zu überhören. Als sie endlich in der – natürlich runden – Eingangshalle standen, atmete Jevo erleichtert auf, auch wenn das Risiko, auf ein nichtmenschliches Wesen zu treffen, noch immer bestand, aber hier hielten sie sich selten auf, weil es hier nichts außer der Eingangstür, den abzweigenden Fluren und einem kleinen verkümmerten Bäumchen als Dekoration gab. Einrichten gehörte nicht zu den Fähigkeiten der Katenha, daran mussten sie noch üben.

Außerhalb des Gebäudes hatte sich immer noch nichts verändert, da auch nicht viel vorhanden war, das sich verändern konnte. Der Boden bestand weiterhin aus den unterschiedlich großen Steinen, die weiter entfernt Hügel und Krater formten, und der Himmel und das Gebäude leuchteten um die Wette.

„Hier sieht es überall so aus, ich bin aus Neugier einmal einen halben Tag durch die Gegend gelaufen und es sah trotzdem alles gleich aus. Auf Dauer ist das total schrecklich, deshalb bleiben wir lieber drinnen und langweilen uns da.“ Seufzend kickte Jevo einen Stein über den Boden. „Und dieser geschmacklose Himmel ist ein Schutz, damit wir nicht alle sofort sterben. Du weißt ja, hier können wir sonst nicht atmen; wir sind auf dem Mond, auch wenn es nicht unbedingt so aussieht und man von hier aus die Erde nicht sieht. Will ich auch lieber nicht.“

Gedankenversunken nickte Noevy zustimmend; könnte er im Moment seinen Heimatplaneten sehen, bekäme er sicher riesiges Heimweh und darauf verzichtete er gerne, der Aufenthalt würde auch ohne dieses Gefühl beschwerlich werden.

„Komm, wir gehen lieber wieder rein“, entschied Jevo vorsichtshalber, um Noevy auf andere Gedanken zu bringen, nahm ihn am Arm und verschwand mit ihm im unübersichtlichen Irrgarten der Station. „Soll ich dir etwas über die anderen erzählen?“

„Ja, gerne.“ Hauptsache Ablenkung, selbst wenn er von den meisten noch nicht einmal den Namen kannte.

„Okay, wir sind alle aus Cellora und Umgebung, haben uns aber trotzdem vorher noch nicht gekannt. Sejena und mich kennst du inzwischen schon. Dann gibt es noch Turil; der spielt sich öfters mal als Anführer auf, weil er am ältesten ist, dumm für ihn, dass es nichts zum Anführen gibt. Ninia; er hasst seinen Namen – kann ich verstehen – und flippt aus, wenn man ihn nicht Ni nennt; ansonsten ist er ziemlich in Ordnung. Muri ist die jüngste hier und kann manchmal sehr zickig werden, wenn etwas nicht so läuft, wie sie es gerne hätte. Typisch junge Mädchen.

Viel pflegeleichter ist Virila, sie fällt nie besonders auf, hält sich aus Streitereien raus und manchmal übersieht man sie einfach. Aber ich glaube, sie will das auch.

Und zum Schluss unsere Sonderfälle: Jassin und Fear. Jassin sitzt die meiste Zeit herum und grinst komisch vor sich hin oder hängt sich an Ninia. Aber am seltsamsten ist Fear; sie kommt wahrscheinlich aus einer Sekte, redet ständig vom Weltuntergang durch die 'grausame Männerwelt' und versucht, Virila zu überreden, sie zu heiraten und später mit ihr eine Stadt nur für Frauen zu gründen. Aber eigentlich kommt man ganz gut mit ihnen zurecht, nur darfst du Jassin nie auf seine Eltern ansprechen – das letzte Mal hat er mindestens eine Stunde lang geheult, das war furchtbar – und nicht versuchen, Fear deine Meinung über die 'richtige' Weltanschauung aufzudrücken, dann tickt sie nämlich gleich aus und will sich nicht mehr beruhigen.“

Zwar zweifelte Noevy, dass er sich diese ganzen Namen und Fakten behalten konnte, aber zur Not ging er Jevo so lang auf die Nerven, bis dieser ihm alles ein weiteres Mal erzählte.

Eine halb geöffnete Tür, an der sie gerade vorbeigegangen waren, zog Noevys Aufmerksamkeit auf sich und vorsichtig lugte er in den Raum dahinter hinein. Bis auf einen kniehohen schwarzen Metallblock befand sich nichts darin und Noevy wollte sich gerade umdrehen und Jevo weiter folgen, als ihn jemand unsanft an der Schulter festhielt. Erschrocken fuhr Noevy herum und stieß einen ängstlichen Laut aus; vor ihm stand ohne Zweifel ein Katenha, denn ein Mensch war es nicht und andere Lebensformen hielten sich hier angeblich nicht auf.

Mit hypnotisierend violetten Augen blickte es ihn an und machte keine Anstalten, ihn so schell loszulasse, im Gegenteil, seine langen silbrigen Finger schlossen sich fester um Noevys Schulter, als wollte es ihn gar nicht mehr freigeben.

„Noevy, was hast...“ Jevo, der das Auftauchen des Katenha nicht bemerkt hatte und schon weiter gegangen war, brach mitten im Satz ab. Ausgerechnet dieses silberne Vieh hatte sie erwischt, das mochte er noch weniger als die grünen oder blauen, weil es öfters seine Finger nicht bei sich behalten konnte. Das hatte Jevo auch schon einmal zu spüren bekommen.

Da Noevy vor Panik sich nicht vom Fleck bewegte, blieb Jevo nichts anderes übrig, als ihn gewaltsam von diesem Katenha wegzureißen und so schnell wie er es konnte zurück zu den anderes zu befördern, die in der Zwischenzeit die Tabletts in eine Ecke geräumt hatten und entweder miteinander redeten oder auf den Matratzen herumlagen.

„Da seid ihr ja endlich“, begrüßte Sejena sie, „was habt ihr so lange gemacht?“

„Das, was ich bei fast jedem auch gemacht habe.“ Jevo schloss hinter Noevy die Tür und warf einen prüfenden Blick in die Runde. „Heute ist es nicht, oder?“

„Nein, eigentlich nicht“, antwortete ein schwarzhaariger Junge, der es sich auf einer der Matratzen gemütlich gemacht hatte und Sejena und ein anderes braunhaariges Mädchen beobachtete, wie sie sich gegenseitig die Haare flochten. „Außer, sie haben ihre Termine geändert oder keine Lust mehr, uns nur alle drei Tage mit ihren idiotischen Versuchen zu belästigen. Zutrauen würde ich es ihnen schon.“

„Ja, schön für dich, Turil.“ Leise fügte Jevo ein unfreundliches „Dummschwätzer“ hinzu und setzte sich zu einem Jungen, der vor Langweile versuchte, mit seinen Fingernägeln Kerben in den Boden zu ritzen; ohne deutliche Erfolge natürlich, das Material war viel zu hart.

Aus Mangel an weiteren Möglichkeiten tat es Noevy Jevo gleich und lauschte mit halbem Ohr ihrem Gespräch.

„Wo ist Jassin? Ist er nach draußen gegangen?“, wollte Jevo wissen, doch der andere schüttelte betrübt den Kopf.

„Ich weiß, ich hätte es nicht tun sollen, aber ich hab ihn wieder wegen seinen Eltern ausgefragt; ich will ihm doch helfen. Jetzt hat er sich im Bad eingeschlossen und kommt nicht mehr raus.“ Unruhig verstärkte er den Druck auf das rot leuchtende Material.

„Ni, du bist ein Idiot.“ Mehr resigniert als wütend seufzte Jevo. „Lass ihn einfach in Ruhe, wenn er nicht darüber reden will; es wird nichts Angenehmes für ihn sein, sonst würde er nicht so reagieren.“

Irgendwie erinnerte das Noevy etwas an Raven, obwohl dessen Reaktion deutlich anders und schmerzvoller abgelaufen war. Aber bevor er diesen Gedanken in irgendeiner Weise fortsetzen konnte, öffnete sich die Tür und sofort verstummten alle Gespräche.

Ein blauer Katenha mit den typisch ausdruckslosen Augen trat ein und ließ seinen Blick ziellos durch den Raum schweifen, bis er schließlich an Jevo hängen blieb.

„Wieso ich?“, schrie dieser plötzlich aufgebracht, sodass Noevy und Ninia erschrocken zusammenzuckten und Turil ihn schief ansah. „Ich war schon beim vorletzten Mal dran, kapiert?“ Kurz schwieg er. „Das Arschloch kann mich mal.“ Trotzdem stand er trotzig auf und folgte dem Katenha, der ihn grob am Arm packte, damit Jevo in seiner derzeitigen Stimmung nicht auf dumme Ideen kam und das Weite suchte.

„Ich wusste es ja“, meldete sich Turil sofort zu Wort und bekam von einem kleineren Mädchen mit kurzen, dunkelblonden Haaren einen Tritt gegen das Schienbein.

„Aua, Muri, was soll der Scheiß?“, beschwerte er sich.

„Das weißt du genau, Hohlkopf. Halt einmal deine Klappe, wenn es niemanden interessiert“, wies sie ihn schnippisch zurecht.

„Daran solltest du dich selbst halten, Muri. Wir wissen alle schon, dass du auf Jevo stehst und ihn deshalb ständig 'beschützen' musst.“ Gähnend veränderte er seine Position auf der Unterklage.

Während die beiden ihren Zickenkrieg in den höchsten Tönen fortführten, probierte Ninia, Jassin durch gutes Zureden aus dem Bad herauszuholen, doch es funktionierte nicht, es erfolgte keine Reaktion auf seine Worte, weshalb er sich schon nach kurzer Zeit geknickt zurück zu Noevy hockte.

„Was machen sie mit Jevo?“ Hoffentlich nichts Schlimmes.

„Das wirst du selbst bald merken.“ Im Moment hatte Ninia andere Sorgen, als sich um einen unwissenden Neuling zu kümmern; nämlich Jassin, der nicht aus seiner Abschottung hervorkam.

„Warum will mir das niemand genau erklären?“, jammerte Noevy beleidigt herum, hörte allerdings schnell auf, nachdem er Ninias unbehaglichen Gesichtsausdruck gesehen hatte.

„Weil wir ungerne darüber sprechen; der Vorgang und die Folgen sind ziemlich unangenehm und fast schon erniedrigend. Du wirst es selbst merken, wenn sie es an dir ausprobieren.“

„Oh.“ Mehr fiel Noevy dazu nicht ein. Das erklärte auch, warum Jevo sich gerade so extrem aufgeregt hatte.

„Naja, du kannst ja nichts dafür, dass du noch keine Ahnung von so etwas hast.“ Er überlegte kurz. „Kennst du die Leute hier schon? Eher nicht, oder?“

„Jevo hat mir etwas über alle erzählt, aber wer wer ist, weiß ich nicht.“ Wie sollte er auch? Viel Möglichkeit dazu hatte man ihm nicht geboten.

„Hab ich mir fast gedacht.“ Ninia schien froh über diesen Themawechsel zu sein. „Also, die zwei die sich streiten, sind Turil und Muri; Sejena und Virila flechten sich die Haare – machen sie öfters, wunder dich nicht – und dahinten ist Fear.“ Er deutete auf ein Mädchen mit langen roten Haaren, das ein seltsames dunkelblaues Kleid mit silbernen Halbkreisen trug und ausdruckslos vor sich hinstarrte. „Vermutlich heißt sie nicht so, aber ihren richtigen Namen wollte sie uns nicht nennen, weil hier noch 'wertlose Männer' dabei sind. Das kommt davon, wenn man leicht manipulierbare Mädchen in solche Sekten steckt.“ Genervt über diese verantwortungslosen Menschen schüttelte er den Kopf. „Naja, meinen und Jevos Namen kennst du schon und falls du jemanden nicht zuordnen kannst, ist das sicher Jassin. Wenn er endlich rauskommen würde...“

„Kommt er bestimmt“, versuchte Noevy ihn zu beruhigen, doch weil er darin nicht besonders begabt war, wechselte er erneut das Thema; das schien hier der Hauptbestandteil eines Gesprächs zu sein. „Welche Haarfarbe hast du eigentlich?“ Durch das Licht sahen sie leicht lila aus und das kam ihm etwas verdächtig vor.

„Normalerwiese so ungefähr wie deine, vielleicht etwas heller, aber im Moment habe ich sie blau gefärbt. Find ich besser als dieses langweilige braun.“

Noevy nickte, bis ihm auffiel, dass gerade theoretisch seine Haarfarbe ebenfalls beleidigt worden war, aber eigentlich hatte Ninia ja Recht. Wer wollte sich mit einer Allerweltshaarfarbe zufrieden geben?

Mit einem leisen Klicken ging die Badezimmertür auf und bevor Ninia darauf reagieren und sich wirklich umdrehen konnte, hatte sich von hinten ein anderer Junge an ihn gedrückt und schien ihn nicht mehr loslassen zu wollen. Das musste Jassin sein.

Erschrocken zuckte Ninia zusammen, ließ die seltsame Umarmung aber zu und redete dabei tröstend auf Jassin ein, damit dieser ihn nicht ungewollt halb erwürgte. Das wäre sehr ungut für ihn gewesen.

Doch bevor Noevy die Unterhaltung der beiden weiterverfolgen konnte, wurde Jevo von demselben Katenha wie vorher in den Raum geschoben. Er war ziemlich blass im Gesicht, unsicher auf den Beinen und wäre ohne den Katenha als Stütze sofort in sich zusammengesackt.

„Jevo!“ Muri war aufgesprungen und führte ihn zum Matratzenlager, wo er bewegungslos liegen blieb; sie redet so lange auf ihn ein, bis Turil ihr schließlich den Mund zuhielt.

„Halt doch mal den Schnabel“, fuhr er sie böser als notwendig an. „Dein dummes Gerede nützt ihm im Moment überhaupt nichts.“

„Du redest doch die meiste Zeit Blödsinn“, fauchte sie zurück, aber Sejena, die ihre Flechtstunde beendet hatte, mischte sich schnell ein. „Seid am besten beide leise, ich kümmere mich um Jevo.“ Damit setzte sie sich zu diesem und fuhr ihm vorsichtig über den Rücken, während Muri beleidigt eine Runde Schnick-Schnack-Schnuck mit Virila zu spielen begann und Turil Jevo etwas zurückhalten über den Arm strich.

Ein wenig verloren saß Noevy neben Ninia, der es inzwischen geschafft hatte, Jassin davon zu überzeugen, seinem Rücken in Ruhe zu lassen und sich stattdessen vor sich zu setzen. Nun lag Jassin halb auf Ninia, sein Kopf lehnte an dessen Schulter und er lächelte wieder glücklich vor sich hin. irgendwie war er wirklich eigenartig, aber da schien Ninia nicht zu stören.

Am liebsten hätte Noevy auf der Stelle erfahren, was die Katenha mit Jevo angestellt hatten, aber er wusste ja, dass das sozusagen ein Tabuthema war, also hielt er vorsorglich den Mund und hoffte im Stillen, dass es Jevo bald besser ging.

Krankheit

Die nächsten Tage waren für Raven eine Zumutung; er kochte Tee wie ein Weltmeister, saß manchmal stundenlang an seinem Bett, um auf Diu aufzupassen, schlief und aß kaum und hatte schreckliche Stimmungsschwankungen.

Auf keinen Fall wollte er, dass Diu etwas richtig Ernsthaftes geschah, da er ihn unbedingt brauchte, allerdings rastete er fast aus, weil er so lange Zeit seine Aufmerksamkeit auf eine Person richten musste und keine zwei Stunden für sich hatte. Zusätzlich rief Dius Stimme in seinem Kopf regelmäßig nach seiner Mutter, was Raven noch mehr zusetzte. Wie sollte er unter diesen Bedingungen die Nerven behalten und nicht einfach durchdrehen?

Gerade, als er Diu zum dritten Mal Fieber gemessen und das Thermometer ihm höhnisch 40,7°C entgegen geblinkt hatte, klingelte es an seiner Haustür.

Sonst tat das nie jemand, warum musste ausgerechnet heute irgendein Idiot auf die Idee kommen, ihn zu belästigen? Falls es einer dieser Verkaufsmenschen war, würde er ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, zur Not auch einschlagen, wenn derjenige nicht wegging.

Mit einem seiner bekannten Blicke riss er die Tür auf und bereute es gleich wieder: Vor ihm standen zwei seiner Klassenkameraden, die ihn mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck musterten, als wäre er ein Zombie oder ein Geist, der aus den Tiefen der Hölle hervor spaziert war.

„Was wollt ihr von mir?“, fragte er die beiden bedrohlich. „Hab ich euch nicht schon mindestens drei Mal gesagt, dass ihr mich zuhause in Ruhe lassen sollt?

„Du warst seit fast einer Woche unentschuldigt nicht in der Schule“, rief Meily, ein Typ der besonders nervigen Sorte. „Da darf man sich doch mal Sorgen machen!“

„Nein, dürft ihr nicht.“ Sollten sie jemand anderes belagern, aber nicht ihn selbst. Er hatte zu tun.

„Aber...“ Meilys Sitznachbarin Veneo wusste scheinbar nicht, wie sie sich am besten ausdrücken musste. „Du siehst schrecklich aus! Nimmst du Drogen oder so?“

„Ja klar, weil ich das auch so nötig habe.“ Wenn die Leute ihn nun schon für einen Drogenabhängigen hielten, war wohl kaum noch etwas zu retten. Dabei gehörte Raven eindeutig nicht zu den Menschen, die ihre Probleme auf solche Art 'lösten'.

„Haut einfach ab, ihr geht mir auf den Geist, und kommt auf keinen Fall wieder, ich werde noch länger nicht in die Schule gehen und mir euer Geschwätz anhören.“ Mit diesen Worten knallte er die Tür zu, überhörte Meilys und Veneos Geschrei draußen und stapfte ins Bad. Der Blick in den Spiegel verriet ihm, dass Veneos Vermutung nicht ganz unbegründet geäußert worden war, er sah tatsächlich noch eine Spur schlimmer als sonst aus, aber nur, weil er rund um die Uhr Diu pflegte und sich um ihn und die geplante Aktion Gedanken machte. Und nicht wegen Drogen; so ein Schwachsinn.

Immer noch wütend vom plötzlichen Auftauchen der zwei Deppen verließ Raven das Bad, ging in die Küche und trank eine Tasse Tee, den er eigentlich für Diu zubereitet hatte. Die Situation wurde für ihn nicht besser, vielleicht stand morgen wieder jemand vor seinem Apartment und wollte ihn belästigen.

Mit der halbvollen Teekanne schlurfte er zu Diu, stellte sie auf den Nachttisch ab, nachdem er mit dem Inhalt einen Becher gefüllt hatte, und flößte ihn dem kleinen Außerirdischen ein, der sich seit Tagen in einem bedenklichen Zustand zwischen Schlafen und Wach sein befand.

Langsam griff die Müdigkeit nach Raven, bis er gegen seinen Willen mit dem Kopf aufs Bett neben Diu sank; bevor er es wirklich bemerkte, schlief er schon ein. Das tagelange Aufbleiben forderte endlich seinen Tribut.
 

Völlig planlos wachte Raven auf, zuerst wusste er nicht einmal, wo er sich befand und wie lange er geschlafen hatte ebenfalls nicht, aber mehr als drei Stunden mussten es gewesen sein, denn draußen war es stockdunkel.

Aber statt erholt fühlte er sich genauso zerschlagen wie vorher, das fand er nicht besonders gut. Wieso pennte er, wenn es ihm danach sowieso wieder scheiße ging?

„Raven, wie geht es dir?“ Anscheinend war Diu wach, sehr gut. Aber wieso fragte er ihn das? Wer war hier der Patient?

„Dreimal darfst du raten.“ Allein am Aussehen musste man das doch erkennen.

„Es tut mir Leid.“ Diu klang wieder so nervig schuldbewusst. „Ich hab dir, während du geschlafen hast, etwas Energie abgesaugt, damit ich schneller gesund werde.“

Das erklärte natürlich, weshalb sich Raven immer noch erschlagen fühlte und Diu sich viel besser anhörte als vorher. Interessante Dinge konnten die Katenha.

„Das nächste Mal fragst du vorher, ob du mich beklauen darfst“, knurrte Raven versucht böse, was ihm nicht sehr gut gelang, da er zu erleichtert war, dass es Diu nicht mehr so schlecht ging. Obwohl dieser ihn ohne zu fragen dafür angezapft hatte.

„Oh man, ich schlafe gleich wieder ein.“ Ohne Erfolg wollte Raven ein Gähnen verheimlichen. „Brauchst du etwas, vielleicht einen Tee?“

Hastig schüttelte Diu den Kopf, das Zeug wollte er nie wieder trinken.

„Du darfst dir sogar etwas Energie nehmen“, erlaubte Raven großzügig, „aber bitte nur wenig, damit wir bald mal loskönnen, um deinen Leute schön die Meinung zu geigen.“ Müde krabbelte Raven vollständig in sein Bett – er hatte die ganze Zeit irgendwo unbequem zwischen Boden und Bettkante gehangen –, deckte sich zu und spürte, wie Diu sich ganz vorsichtig an ihn schmiegte und seine Arme um Ravens Bauch schlang. Eigentlich müsste er sich nun unglaublich aufregen und den anderen aus dem Bett stoßen, aber er ließ es schließlich bleiben. Brachte sowieso nichts.
 

Beim Ausstehen fühlte sich Raven zwar noch schlecht, aber dafür war Dius Fieber fast verschwunden und seine Haut wieder komplett grün. Wenigstens ein kleiner Fortschritt auf ihrem Weg zum Mond.

In den folgenden Tagen ruhten sich beide ausgiebig aus und begannen mit den Vorbereitungen: Raven packte genügend Essen, Trinken und Kleidung zum Wechseln in zwei Rucksäcke – für Diu gab es extra einen kleineren – und sein Gast hatte die ehrenvolle Aufgabe bekommen, aufzuräumen und zu putzen. Sozusagen die Wiedergutmachung dafür, dass Raven sich tagelang im ihn gekümmert hatte; aber es macht Diu nichts aus, das Geschirr zu spülen oder den Boden zu säubern, er schien sogar fast glücklich zu sein, eine feste Aufgabe zu haben.

„Theoretisch sind wir fertig“, meinte Raven, als sie sich nach getaner Arbeit im Wohnzimmer auf das Sofa setzten. „Glaubst du, wir können gehen? Oder fühlst du dich noch nicht gesund dafür?“ Von Diu hing die Sache ab, also musste er gezwungenermaßen Rücksicht auf ihn nehmen. Nicht dass er sie ausversehen auf den Jupiter statt auf den Mond brachte, das konnte tödliche Konsequenzen mit sich führen und auf sinnloses Sterben im Weltall hatte Raven keine Lust.

„Doch, es müsste eigentlich funktionieren.“ Diu hatte sich in der Zwischenzeit umgezogen und trug ein hellblaues T-Shirt, darüber eine dunkelblaue Jacke, eine Jeans und Ravens ehemalige Lieblingsturnschuhe, die diesem leider mit der Zeit zu klein geworden waren, aber Diu passten sie gut. Im Gegenteil zum Rest, der war zu groß für den kleinen Außerirdischen, nur hatte Raven nichts Kleineres gefunden. Immerhin passten ihm selbst die Klamotten, waren ja auch seine eigenen. Ein dunkelrotes Oberteil, seine schwarze Stoffhose und für den Notfall seinen dunkelvioletten, absolut hässlichen Wintermantel – Fehlbestellung seiner Mutter, deshalb hatte er ihn bekommen –; man wusste nie, was die Katenha mit dem Wetter anstellten, wenn sie schon den Mond bewohnbar machten.

„Okay, dann lass anfangen. Was sollen wir tun?“

„Alles, was du mitnehmen willst, musst du nah bei dir haben, sonst bleibt es hier oder verschwindet im All und ich weiß nicht, ob ich den Transport heute zweimal durchführen kann“, erklärte Diu, worauf Raven einen Rucksack an sich nahm, den anderen seinem Gast in die Hand drückte und sich seinen Mantel über die Knie legte.

„Das war eigentlich alles, was du tun kannst, den Rest muss ich erledigen.“

„Dann mach mal“, forderte Raven ihn auf und wunderte sich ziemlich, als Diu auf seinen Schoß kletterte und ihm die Hände auf die Schultern legte.“ Was wird das?“

„Sei leise, ich muss mich konzentrieren.“ Also fing es schon an, interessant.

Bevor Raven noch irgendetwas Unqualifiziertes sagen konnte, merkte er, dass sich etwas veränderte; das Wohnzimmer begann zu verblassen und wurde ganz langsam von einer anderen Ansicht ersetzt. Einem roten Gebäude ohne sinnvolle Form.

Aber als er es genauer betrachten wollte, fingen beide Bilder an sich zu vermischen und Raven wurde schlagartig schlecht.

Was auch immer Diu gerade tat, er selbst vertrug es nicht. Hoffentlich endete es bald, sonst würde ihn nichts daran hindern, sich auf der Stelle zu übergeben.

Versuch

Noevy versuchte, sich in den folgenden Tagen bei den anderen einzuleben, was ihm nur mit Mühe gelang. Das Essen war fast jeden Tag das Gleiche, nachts wurde er zwischen Jevo, Turil und manchmal auch Ninia beinahe erdrückt und sonst passierte eigentlich nichts Besonderes, das seine Langweile mindern konnte, da es hier so gut wie nichts zu tun gab außer herumsitzen, reden und schlafen. Irgendwie vermisste er schon die Schule, wo es wenigstens etwas spannender war als hier, selbst wenn er in den meisten Fällen so wenig wie möglich Zeit dort hinein investiert hatte, weil es ihn gelangweilt hatte.

Mit Muri hatte Noevy in letzter Zeit oft kleinere Spiele ohne zusätzliches Material gespielt und ein- oder zweimal Sejena die Haare geflochten, weil sie darauf bestanden hatte und ihm in diesem Moment sowieso langweilig gewesen war. Wenigstens hatte er dabei gelernt, was man bei weiblichen Haaren besser nicht machen sollte, das gab höchstens Ärger und böse Worte.

Fear hatte er in der ganzen Zeit vorsichtshalber kein einziges Mal angesprochen, weil er befürchtete hatte, sie könnte darauf sehr negativ reagieren, immerhin war ihr in dieser Sekte jahrelang eingeredet worden, dass Männer sozusagen das personifizierte Böse waren, also würde sie auf ihn auch nicht besonders gut zu sprechen sein.

„Noevy.“ Virila stupste ihn leicht in die Seite, damit er aus seinen Tagträumen erwachte. „Ich möchte heute die Klamotten von euch allen waschen.“

„Ich soll mich jetzt ausziehen?“ Ungläubig schaute er Virila an, als habe sie verkündet, von ihm schwanger zu sein. Das konnte sie nicht von ihm verlangen.

„Nein, so meinte ich das nicht“, klärte sie Noevy hastig auf; das Missverständnis schien ihr etwas peinlich zu sein. „Du gehst nach Ninia ins Bad, legst da deine Sachen zu den anderen auf den Stapel, ziehst dir eins von den Handtüchern aus dem Schrank über und kommst wieder her. Verstanden?“

„Ja, eigentlich schon.“ An dieser Ausführung gab es nicht sehr viel falsch zu verstehen, zumindest wusste er nun, was er machen sollte.

Nachdem Ninia das Bad verlassen, betrat Noevy es, zog sich wie befohlen aus, kramte ein Handtuch aus den Tiefen des Schranks hervor, band es sich um die Hüfte und ging in diesem Aufzug auf sein Plätzchen, um von dort zu beobachten, wie Muri im Bad verschwand und gleich wieder heraus kam, ebenfalls eingewickelt wie Noevy, allerdings begann das schon weiter oben.

Nach kurzer Zeit trugen alle außer Virila und Fear die weißen Tücher als Kleidungsersatz, was ihnen scheinbar nicht so viel ausmachte bis auf Noevy, der sich erst daran gewöhnen musste, und Sejena, die wie festgeklebt auf einer der Matratzen saß und sich keinen Zentimeter rührte, als könnte sonst das Handtuch einfach wegrennen.

„Fear, kommst du bitte mal her?“, rief Virila nach der rothaarigen, die nicht lange auf sich warten ließ und ihr in das Badezimmer folgte.

„Stimmt ja, unsere liebe Fear könnte sich nie im Leben länger in einem Raum mit ganz vielen schrecklichen Jungs ohne Klamotten aufhalten“, kommentierte Turil genervt diese Aktion und wurde dafür – wie nicht anders zu erwarten – von Muri in die Seite geschlagen; das tat sie regelmäßig, wenn sie fand, dass Turil nicht alle mit seiner Meinung, die keiner hören wollte, beschallen musste.

„Lass sie doch“, sagte Sejena und zog das Stück Stoff noch etwas höher, damit man auf keinen Fall Dinge von ihr sah, die sie nicht zeigen wollte.

„Trotzdem ist das affig. Stell dir vor, Ni würde sich so anstellen, keiner würde ihn ernst nehmen und einen extra Raum bekommt er sicher auch nicht.“

„Klappe, Turil, du brauchst uns nicht jedes mal vollzuheulen, weil du dich benachteiligt fühlst“, stichelte Jevo aus reiner Lust an der Provokation und wenig später entbrannte eine kleine aber handfeste Auseinandersetzung zwischen den beiden Jungen, die schnell von Muri unterbrochen wurde, indem sie die zwei Streithähne auseinander zerrte. Dafür, dass sie eigentlich deutlich kleiner als die beiden war, mit vollem Erfolg.

„Jungs, lasst den Mist endlich. Wir haben wirklich Besseres zu tun.“ Eisern hielt sie Jevo an seinem Tuch zurück.

„Haben wir nicht!“, warf Turil ein. „Sonst würden wir nicht stundenlang nichts tun.“

Darauf erwiderte niemand etwas, weil Turil ausnahmsweise Recht hatte. Nur manchmal brachte ihnen ein Katenha Papier und Stifte, mit denen sie malen und schreiben sollten, die er aber wenig später immer wieder mitnahm.

Mitten in das unnatürliche Schweigen platzte der silberne Katenha herein, um sich ein neues Opfer auszusuchen. Sein Blick schweifte einige Momente über die Versammlung, bis er entschlossen näher kam und schließlich Noevy, der ihn entsetzt anstarrte, am Handtuchsaum fasste, ihn hoch- und hinter sich herzog.

„Was soll das?“, stammelte Noevy ängstlich. „Wohin bringst du mich?“

Aber der andere antwortete ihm nicht, führte ihn stattdessen durch die schlangenartigen Gänge der Station und ließ nicht das Handtuch los, das Noevy die ganze Zeit krampfhaft festhielt, damit es nicht komplett verrutschte. Das musste nicht sein.

Bald erreichten sie eine Tür, an der der Katenha anhielt und Noevy ins Innere schubste. Dort erwarteten diesen schon zwei Außerirdische – ein grüner und ein blauer –, die scheinbar in Gedanken vertieft um einen dieser merkwürdigen Blöcke herumgestanden hatten. Nun wandten sie sich dem Neuankömmling zu, musterten ihn fast schon kritisch von oben bis unten und schließlich entfernte der blaue ohne zu zögern die letzte 'Kleidung' von Noevy, sodass dieser vollkommen entblößt vor den beiden Wesen stand und sich in Grund und Boden schämte. Wenn das erst der Anfang war, konnte er Ninias Aussage sehr gut nachvollziehen. Doch was wollten die Katenha damit bezwecken? Hoffentlich war an den verrückten Vorstellungen, die schon vor Jahrhunderten in der Welt herum kursiert waren, von perversen Aliens, die an Menschen Genmanipulationen und Schwangerschaften durch Einsetzten außerirdischer Embryonen ausprobierten, nichts dran.

Auf jeden Fall hatten die anderen nicht gewirkt, als hätte man ihnen irgendwelche Langzeitschäden zugefügt. Allerdings konnte es auch sein, dass man das erst viel später richtig wahrnahm, vielleicht auch überhaupt nicht.

Der grüne Katenha zwang ihn grob auf die kalte Oberfläche des dunklen Blocks und Noevy begann leise zu wimmern; er wollte das nicht, weder nackt auf diesem Klotz liegen noch von dem Wesen, was sich über ihn beugte, angefasst werden. Aber natürlich würden sie ihm diesen Gefallen nicht tun, das hatten sie bei den anderen auch nicht getan und diese waren schon öfters hier gewesen.

Die Hände des Katenhas legten sich auf Noevys Schläfen, drückten leicht auf diese und Noevy kniff ängstlich die Augen zu. Am liebsten würde er nicht mitbekommen, was sie mit ihm anstellten, doch daran ließ sich nichts ändern.

Einige Zeit lang geschah gar nichts, sodass Noevy sich fragte, ob das der eigentliche Versuch gewesen war, bis sich etwas tat. Der Stein unter ihm strahlte plötzlich deutliche Wärme ab und ein störendes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus, das sich schon bald zu einem starken Zwicken entwickelte.

Erschrocken versuchte Noevy, sich zu wehren; er schlug um sich und trat nach dem Katenha, allerdings nur mit dem Ergebnis, dass es sich anfühlte, als zerrte jemand aus den Tiefen seines Herzens etwas an die Oberfläche, wo es nicht hingehörte, und schließlich komplett aus Noevys Körper heraus.

„Hör auf dich zu wehren“, redete eine eindringliche Stimme auf ihn ein, „du tust dir damit nur selbst weh. Lass es einfach geschehen.“

„Nein, lass mich in Ruhe“, jammerte Noevy und verstärkte seine Gegenwehr, worauf der Katenha ihn mit seinem ganzen Gewicht auf die Unterlage presste.

Nun lag Noevy bewegungsunfähig auf dem immer wärmer werdenden Stein und musste den ganzen Vorgang über sich ergehen lassen; immerhin hatte er einen Verdacht, was hier passierte: Der Katenha saugte ihm mithilfe des schwarzen Blocks die Gefühle aus, jedenfalls fühlte sich sein eigener Körper schon ganz taub und leer an. Außerdem holte es dabei – absichtlich oder nicht – einige Erinnerungen hervor, die es überhaupt nichts angingen, doch zum Glück schob es sie auch gleich zur Seite und zurück in die Abgründe von Noevys Seele. Oder wie man das nennen sollte, aber es ließ sie unangetastet.

Nach zehn Minuten fühlte sich der Junge wie eine ausgequetschte Zitrone, in seinem Kopf drehte sich alles und er wünschte sich nichts sehnlicher als endlich zu den anderen zurückgehen zu dürfen. Warum beeilte sich der grüne Idiot denn nicht etwas?

Anscheinend hatte genau dieser ein Einsehen mit seinem Versuchskaninchen, da er von ihm herunterstieg, die Hände von ihm löste und das Handtuch sorgsam wieder um Noevy band. Doch der bekam davon kaum etwas mit, auch nicht, als die zwei ihn in die Obhut des silbernen Katenhas gaben.

Statt ihn aber sofort zu den anderen Jungendlichen zu begleiten, brachte es ihn in einen kleinen Seitengang und fing an, ihn aufmerksam anzusehen und kurz darauf anzufassen. Interessiert strich es über Noevys Schultern, das Schlüsselbein entlang und erkundete den Oberkörper des Jungen, der so weit zurück wich, bis er die Wand in seinem Rücken spürte. Das Vieh nutze seinen erbärmlichen Zustand schamlos aus! Und er selbst konnte sich nicht richtig widersetzten.

Wenigstens merkte er nicht, wie die silbernen Finger über seine Hüfte glitten, ein Gutes hatte das Experiment der Katenha doch gehabt, wenn man es extrem euphemistisch ausdrücken wollte.

Plötzlich riss der Katenha seine Hand zurück und in seine Augen blitzte ein gequältes Funkeln auf. Noevy war noch viel zu benebelt, um sich über das unerklärliche Verhalten seines Gegenübers zu wundern – woher sollt er auch wissen, dass die Gefühlsübertragung noch aktiv gewesen war und die negativen Emotionen weitergeliefert hatte? –, für ihn zählte nur, dass es ihn nun in Ruhe ließ. Was es auch tatsächlich tat und ihn ohne weitere Zwischenfälle in den Raum, in den er schon die ganze Zeit wollte, zurückbrachte.

„Noevy, endlich bist du wieder da.“ Jevo, der sich in der Nähe der Tür aufgehalten hatte, lief besorg zu ihm und scheuchte den silbernen Katenha mit einigen unfreundlichen Worten davon. Dann widmete er sich voll und ganz Noevy, schleppte ihn zu einer Matratze und umarmte ihn vorsichtig, worauf Noevy sich so nah an ihn drückte, bis er endlich ein kleines bisschen von Jevos Wärme wahrnahm. Das brauchte er jetzt einfach.

So saßen sie noch mindestens eine Stunde da; Noevy kuschelte sich an Jevo und dieser strich dem Jüngeren sanft über den Kopf. Das half ihm sicher, sich wieder zu beruhigen.

Die anderen hielten Abstand und störten sie nicht dabei, da sie selbst wussten, wie wichtig im Moment für Noevy war, seine Gefühle sozusagen wiederzufinden.

Suche

Was auch immer es gewesen war, es hatte sich schlimmer angefühlt als eine Achterbahnfahrt und selbst diese fand Raven schon grausam. Aus diesem Grund lag er auf einem steinigen, unbequemen Boden und übergab sich gegen seinen Willen zum zweiten oder dritten Mal. Entweder waren Menschen einfach nicht für diese Art der Fortbewegung geschaffen oder es lang an Dius nur halb entwickelten Katenhafähigkeiten. Vielleicht wegen beiden Faktoren.

Nachdem Raven auf sehr unschöne Weise sein ganzes Frühstück losgeworden war, setzte er sich stöhnend auf, hielt sich den Kopf und suchte nach Diu, den er zum Glück recht schnell fand. Er befand sich nur ein kleines Stück von ihm entfernt in einer schmalen Kuhle und schien kaum bei Bewusstsein zu sein. Da hatte sich wohl jemand überschätzt, aber immerhin hatten sie noch ihr Gepäck, ohne das sie ziemlich aufgeschmissen gewesen wären. Nur den Katastrophenmantel konnte Raven nirgends entdecken, was ihn kein bisschen störte, so musste er weniger tragen und hatte einen guten Grund, seine Eltern per Post zu terrorisieren, ihm einen neuen zu kauen. Hoffentlich taten diese Sparbrötchen das auch.

Falls er irgendwann heil aus der Sache herauskam.

Vorsichtig krabbelte Raven zu Diu hinüber, zog ihn unter lautem Ächzen aus dem Loch und musste feststellen, dass sie ihren noch nicht geplanten Angriff auf die Aliens auf später verschieben konnten. Außer, er wollte sich auf der Stelle schnappen lassen, was in ihrem Zustand ganz schnell ging; er selbst schaffte ja nicht einmal, von A nach B zu laufen.

Mit den Zähnen knirschend packte Raven einen Berg Kleidungsstücke aus seinem Rucksack, baute daraus eine Art Nest und legte Diu dort hinein, damit er es beim Kräfte regenerieren gemütlich hatte.

Irgendwie waren sie als Rettungsteam eine große Lachnummer, wahrscheinlich hatte Raven sich und Diu einfach überbewertet und nicht daran gedacht, dass nicht alles nach Plan laufen würde. Im Nachhinein ärgerte er sich sehr darüber, sonst verhielt er sich doch auch nicht so strohdumm.

Aber daran ließ sich nichts mehr ändern, nun mussten sie das Beste aus der ganzen Sache machen und entweder Noevy und Jevo dort herausholen oder gleich die Kriminellen dazu bringen, mit ihren Entführungen aufzuhören und alle Leute frei zu lassen. Wobei letzteres sehr unwahrscheinlich war, wieso wollten die Katenha, die laut Diu so ungefähr die Alleskönner unter den Weltraumbewohnern waren, auf die Forderung eines 'normalen' unbedeutenden Jungens eingehen? Sie kannten ja nicht einmal eine Form von Mitleid gegenüber ihren ganzen Gefangenen, das machte die Angelegenheit doppelt unmöglich. Also planten sie besser, nur mit Jevo und Noevy zu verschwinden und den Rest hier zu lassen. Klang hart, aber vielleicht fand sich zurück auf der Erde eine Möglichkeit, diese unzivilisierte Station zu evakuieren. Wenn die Regierung erst wusste, was sich viele Kilometer von der Erde entfernt abspielte, konnte sie gezielt handeln und möglicherweise mit den Katenha ein Abkommen schließen, sich gegenseitig zu ignorieren.

„Raven, haben wir es geschafft?“ Müde blinzelte Diu und versuchte sich aufzusetzen, doch Raven drückte ihn zurück in die Polsterung und wies ihn an, sich eine Zeit lang auszuruhen und nicht zu bewegen.

„Kannst du mir etwas zu Trinken geben?“ Anscheinend war dieser Transport nicht so einfach, wie man erwartet hätte, zum Glück hatte Raven genügend Proviant eingepackt und gab somit Diu eine kleine Wasserflasche, die dieser auch sofort leertrank und sich deutlich zurückhalten musste, um nicht nach einer weiteren zu verlangen. So viel hatten sie nun doch nicht, außerdem brauchten sie es noch, um wohlbehalten zu dieser rot leuchtenden Halbkugel zu gelangen, die man von hier aus nicht sah. Schade, dass sie weder Karte noch Kompass besaßen.

„War es sehr schlimm?“, erkundigte sich Diu und schaute Raven besorgt an.

„Naja.“ Es gab wesentlich schönerer Erlebnisse. „Wenn ich nicht gekotzt hätte, wäre es fast noch erträglicher gewesen.“ Aber auch nur fast.

„Tut mir Leid, aber besser habe ich es nicht hinbekommen, eigentlich wollte ich wo ganz anders landen“, gab der Außerirdische leise zu.

„Keine Entschuldigungen.“ Die waren im Moment fehl am Platz. „Ohne dich würde ich mich immer noch mit meinen Klassenkameraden in der Schule herumschlagen, da ist mir das hier lieber, man kann wenigstens was tun.“ Ob es allerdings sinnvoll war, zweifelte er bisher an.

Als Antwort nickte Diu dazu schweigend ein wenig mit dem Kopf und rückte sich etwas auf dem Kleiderberg zurecht. Man sah ihm an, dass ihn diese Aussage Ravens erleichterte und er sich nicht wie ein fehlerhafter Gebrauchsgegenstand vorkommen musste. Denn er war nützlich, theoretisch sogar nützlicher als Raven, was diesem in diesem Augenblick wirklich klar wurde, aber zusammen ergänzten sie sich, sodass sie in diesem Zustand die größte Leistung erbrachten. Was in ihrer momentanen Situation auch nötig war.

„Wir müssen bald weiter, sonst kommen wir nie dort an.“ Obwohl er noch nicht richtig wiederhergestellt war, probierte Diu, sich aufzurichten und ihren Weg fortzusetzen, doch er landete gleich darauf unsanft auf dem Boden. Raven nahm das nur mit einem ungläubigen Kopfschütteln zur Kenntnis. Was half es ihnen, wenn der Kleine sich überschätzte und dadurch die Strecke zur Station im Schneckentempo zurücklegte?

„Jetzt warte erst mal, du bist noch nicht dazu bereit.“

„Ich will aber nicht, dass wir wegen mir schon wieder nicht vorankommen. Wer weiß, was schon mit deinem Bruder und den anderen passiert ist.“ Mit Provokation lief das aber auch nicht besser.

„Weißt du was?“ Nun musste er ein kleines Opfer bringen. „Ich trag dich solange, bis es dir besser geht. Einverstanden?“ Etwas anderes als ein 'ja' würde Raven allerdings nicht akzeptieren, er trug hier als älterer die Verantwortung, die er sich selbst auferlegt hatte – und nur so kamen sie weiter, das sollte Diu einsehen. Was er auch zum Glück tat, sodass Raven nicht nur seinen Rucksack mit sich schleppte, sondern auch den kleinen Außerirdischen inklusive Gepäck. Das konnte noch lustig werden, besonders sportlich war er nicht und außerdem behindertem ihn die Sachen sehr; damit zu laufen schien fast unmöglich. Aber er hatte es angeboten, also musste er es auch ausführen, sein eigenes Pech.

Diu, der sich an Ravens Rücken festklammerte, wog zu seiner Erleichterung nicht allzu viel, nur hatte er sich so nah an seinen Träger gedrückt, dass es Raven fast schon unangenehm war; kein Wunder, wenn man jahrelang keinen Menschen an sich heranließ und plötzlich mit einem kleinen grünen Zwerg konfrontiert wurde, für den das Thema Nähe kein großes Problem darstellte. Typisch Aliens – in diesem Fall Halbaliens –, sie wussten nicht wirklich, wie man am besten mit Menschen umging. Wobei Diu noch etwas mehr Ahnung als seine Artgenossen hatte und bei Raven an einen ziemlich schwierigen Jungen geraten war. Aber das hatte er schon früh gemerkt und versuchte daher, es ihm recht zu machen.

„Raven, hast du schon einen Plan, was wir machen, wenn wir an der Station angekommen sind? Einfach reingehen können wir ja nicht, ich weiß nicht, wie sie reagieren werden, wenn ich ohne Erlaubnis wieder dort auftauche.“

„Wir werden uns noch einen überlegen müssen, genug Zeit haben wir ja. Hoffentlich finden wir dieses Ding auch, sonst könnte es passieren, dass uns das Essen ausgeht. Ich weiß ja nicht, wie das bei dir ist, aber längerer Zeit ohne Essen halte ich nicht aus.“ Verhungern gehörte nicht zu den Dingen, die er erleben wollte.

„Wir werden es schon finden“, meinte Diu zuversichtlich und lehnte seinen Kopf an Ravens Schulter. „So weit liegen die Orte, wo ich hinmöchte und wo ich tatsächlich lande normalerweise nicht entfernt. Man muss nur in die richtige Richtung laufen, dann klappt das schon.“

Leider hatten sie damit wenig Erfolg, da sie nach einer Stunde immer noch über den unebenen Boden stolperten – eigentlich tat Raven das, sein Begleiter befand sich weiterhin auf seinem Rücken – und keine Anzeichen für nicht menschliche Zivilisation fanden. Hatten sie sich möglicherweise auf dieser kurzen Strecke verlaufen? Wenn das tatsächlich der Fall war, hätten sie ein Problem, obwohl eigentlich die ganze Geschichte ein einziges Problem war, das sie zusammen bald lösen sollten.

„Hast du irgendwelche Fähigkeiten, die uns die Richtung sagen? Ihr könnt doch so unglaublich viel, ich glaub nämlich nicht, dass wir zufällig auf dieses Gebäude stoßen, ist ziemlich unwahrscheinlich.“

„So viel ich weiß nicht, aber warte kurz.“ Diu begann sich zu konzentrieren. „Vielleicht sind wir nah genug dran, um die anderen reden zu hören.“ Immerhin ein kleiner Hoffnungsschimmer. „Hörst du etwas?“

„Wenn du die Klappe hältst, bestimmt.“ Manchmal musste man direkt sein.

Das schien Diu nichts auszumachen, denn er begann nicht herum zu jammern, sondern befolgte die Aufforderung, sodass sie mindestens fünf Minuten schweigend an einem Punkt verweilten und auf mögliche Geräusche lauschten.

„Hier ist nichts“, meinte Raven schließlich genervt, „was machen wir nun?“

„Wir müssen weiter, vielleicht hört man sie von woanders besser.“ Vorsichtig rutschte Diu von Raven herunter, um ihn nicht noch länger zusätzlich zu belasten. „Am besten versuchen wir, so zu gehen, dass wir einen Kreis um unseren Ausgangsort von vorhin machen, verstehst du?“

„Müsste ich eigentlich.“ Die Frage war eher, ob es funktionierte, ohne einen genau festgelegten Mittelpunkt, diese Form abzulaufen. „Los, fangen wir an.“

So starteten sie ihren Marsch, hielten von Zeit zu Zeit an, damit sie mögliche telepathischen Gespräche der Katenha abfingen – allerdings immer ohne Erfolg – und gingen dann weiter die geschätzte Route entlang, bis sie nach drei Stunden eine Pause einlegten; die Steine eschwerten nämlich das Laufen, vor allem für Diu, der sowieso noch ein wenig angeschlagen war.

Zwar spürten sie den ungemütlichen Boden trotz ihrer Schicht Kleidung, die ihnen als Unterlage diente, aber Diu verlor darüber kein Wort und Raven erst recht nicht, Beschwerden ließen die Steine nicht weicher werden; im Gegenteil, man fühlte sie dadurch viel deutlicher, weil man sich auf die konzentrierte.

„Fehlt dir eigentlich deine Mutter?“, fragte Raven unvermittelt, als der Kleinere dabei war, ein Brötchen zu essen. Verwundert sah dieser ihn an.

„Wie kommst du da drauf?“

„Weil du ständig nach ihr gerufen hast, als du krank warst.“

„Echt? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.“ Diu kaute nachdenklich auf seinem Essen herum. „Natürlich vermisse ich sie, sie hat jahrelang auf mich aufgepasst und war eigentlich die einzige, mit der ich etwas gemacht habe. Du weißt ja, normalerweise sind wir eher Einzelgänger.“

„Du und deine Mutter, ihr scheint richtige Ausnahmen zu sein“, stellte Raven fest, „bist du dir sicher, dass sie nicht zufällig nur ein Halbkatenha ist?“

„Wenn es so wäre, hätte sie mir das bestimmt gesagt. Aber du bist auch nicht unbedingt so wie die anderen Menschen, kann das sein?“

„Zumindest nicht so wie meine Eltern. Oder wie meine dummen Mitschüler.“

„Und die vermisst du bestimmt nicht“, nahm Diu an.

„Wieso sollte ich? Meine Eltern haben mich rausgeworfen, auf die pfeif ich für die nächsten hundert Jahre. Und die anderen gehen mir einfach nur auf den Geist, da kann man nur froh sein, wenn sie nicht da sind, um zu nerven.“

„Nerv ich dich eigentlich auch?“, fragte Diu plötzlich leise.

„Naja, nicht wirklich, auf jeden Fall nicht so sehr, dass ich dich auf der Stelle loswerden möchte.“ Seine typische Art, nett zu klingen. Man merkte so gut wie immer, dass er das noch üben musste. Umgang mit anderen lag ihm nicht, seine sozialen Kompetenzen waren mehr als mangelhaft.

„Das zähl ich jetzt als Kompliment“, entschied Diu, weil er sich denken konnte, dass Raven sich bemühte, so normal wie möglich mit ihm umzugehen und nicht in seine alten Muster zu verfallen.

Nach wenigen Minuten wurde Diu langsam müde, was ihn ärgerte, da er ihren Plan dann zum dritten Mal unfreiwillig aufhielt, aber als er sich ein kleines Kissen zusammenbastelte und Ravens Jacke als Decke benutzte, sagte der Eigentümer von dieser keinen Ton dagegen, obwohl er sich zusammenreimte, was folgte.

Ihm war es sogar ganz recht, so ruhte sich Diu aus und er arbeitete an ihrem noch nicht festgelegten Plan, der bis jetzt nur daraus bestand, in das Gebäude einzudringen. Sollten sie sich im Inneren trennen oder zusammen bleiben? Lieber letzteres, sonst fanden sie sich vielleicht nicht wieder.

Wie sollten sie hineinkommen? Das überlegte er sich erst, wenn er den ungefähren Aufbau kannte, Spekulationen verschwendeten nur Zeit.

Wie sollten sie Noevy und Jevo finden? Wahrscheinlich mit derselben Methode wie bei den Katenha. Obwohl... funktionierte das überhaupt? Immerhin unterhielten sich Jevo und Noevy auf normalem Weg. Am besten besprach er das mit Diu, wenn er wieder aufwachte.

Mehr konnte er nicht tun, ein Teil hing vom Glück, ein anderer Teil von der Konstruktion der Station ab. Hoffentlich hatten die Katenha ihr Gebäude logisch gebaut.

Nach einigen Stunden Rast, in denen Raven ebenfalls kurz geschlafen hatte, weckte er Diu, sie packten alles zurück in die Rucksäcke und setzten ihren Weg fort, der sich kein bisschen veränderte. Was für eine trostlose Gegend, in der sich nichts veränderte.

Doch dieses Mal schienen sie Glück zu haben: Schon bald nahm Diu ein deutliches Rauschen wahr, das langsam aber stetig anstieg, bis Diu einzelne Wörter verstand. Die grobe Richtung stimmte, allerdings musste er sich nun zusätzlich konzentrieren, um den genaueren Entstehungsort festzustellen, was natürlich ebenfalls Zeit kostete. Währenddessen folgte ihm Raven, wahnsinnig nervös; nicht mehr lange und er würde seinen Bruder wiedersehen.

Tatsächlich dauerte es eine Stunde, bis sie die rot leuchtende Kuppel erblickten und eine weitere, um sie fast zu erreichen. Nun mussten sie vorsichtig verhalten, wer wusste, ob die Katenha das Gebiet hier überwachten?

„Können dich die Katenha auch hören, wenn du mit mir kommunizierst?“ Nicht, dass sie dadurch vorgewarnt wurden und ihr Vorhaben vereitelten.

„Ja, aber sie werden nicht wissen, dass ich nicht zu ihnen gehöre.“ Diu lächelt schwach. „Zwar können sie einiges, aber nicht alles.“

„Gut, trotzdem reduzieren wir unsere Gespräche.“ Dabei hatten sie schon vorher nur das Nötigste gesprochen. „Wir warten erst, ob sich hier draußen etwas tut, gehen rein, schauen nach Noevy und Jevo und bringen sie dann nach Hause, okay?“

Diu nickte, etwas Besseres fiel ihm auch nicht ein, also würden sie es so machen.

„Aber wie sollen wir sie finden? Die werden für uns keine Wegweiser aufstellen.“

„Kannst du auch die Gedanken und Gespräche von Menschen hören?“ Zerknirscht verneinte Diu. „Scheiße. Dann müssen wir das ganze Ding absuchen.“

„So groß ist es ja nicht, wir werden das irgendwie hinbekommen.“ Aber so zuversichtlich wie er klang, fühlte sich Diu überhaupt nicht.

Langweile

Die große Langeweile machte sich breit. Keiner wusste, wie er sich am besten beschäftigen sollte. Insgeheim hofften alle, dass bald das Licht ausging und sie sich schlafen legen konnten, allerdings dauerte das noch. Man hatte ihnen noch nicht einmal das Abendessen vorbeigebracht; das würde leider erst in nächster Zeit kommen.

„Mir ist so langweilig“, jammerte Muri vor sich hin und rollte sich leicht von einer auf die andere Seite der Matratze. „Turil, sag was, ich will dich zur Schnecke machen.“ Sie warf ihm einen auffordernden Blick zu und wartete auf seine Reaktion.

„Keinen Bock, such dir einen anderen Depp dafür.“ Er hatte sich irgendwo im Raum auf den Boden platziert und döste vor sich hin, wie er es gerne tat. Was genau in seinem Kopf dabei vorging, wusste aber niemand.

„Du bist dumm.“ Beleidigt wandte sie sich an Sejena neben sich. „Erzähl mir was!“

„Was denn? Wieder irgendwelche Märchen? Oder lieber Matheformeln?“ Man sollte ihr später nicht vorwerfen, sie hätte nicht versucht, Muri etwas Lehrreiches beizubringen, während sie hier die Wartezeit totschlugen.

„Ich nehm Nummer eins“, entschied sich das jüngste Mädchen der Gruppe natürlich und hörte gespannt zu, wie Sejena sich ein seltsames Märchen nach dem anderen aus den Fingern sog, die alle aber glücklich endeten. Es sollte ja nicht wie im echten Leben sein.

Noevy saß ein wenig entfernt und lauschte ihnen mit halbem Ohr, während er Jevo gedankenverloren dabei zusah, wie er immer im Kreis durch den Raum streifte und sich durch nichts davon abbringen ließ. Also wirklich geistreiche Beschäftigungen gab es hier nicht, da musste man improvisieren.

„...und dann kamen sie nach langer Zeit an ein großes, wunderschönes Schloss auf dem höchsten Berg des Landes und als sie gerade am Eingangstor klopfen wollten, wurde die Tür geöffnet...“

„...nämlich von einem extrem gutaussehenden Typen, dem das Schloss und die halbe Welt gehörte, der zufällig Turil hieß“, unterbrach dieser grinsend Sejenas Geschichte und wurde dafür von Muri ziemlich böse angefaucht, weil er es gewagt hatte, die schöne Stimmung mit seinem selbstgerechten Einwurf zu zerstören.

„Die beiden können es einfach nicht lassen, ständig dasselbe“, seufzte Jevo und ignorierte die zwei, die kurz davor standen, sich wieder einen unnötigen Streit zu liefern, an dessen Ende nie ein Sieger feststand. „Und Sejena muss immer dazwischen gehen, sie tut mir echt leid.“

„Wenn sie aber sonst nichts zu tun haben, kann ich es verstehen.“ Noevys Blick wanderte von dem ruhelosen Jevo zu Jassin, der wieder einmal Ninia als Kopfkissen benutzte, was diesem anscheinend gar nichts ausmachte. Im Gegenteil, er versuche es dem anderen so bequem wie möglich zu machen.

„Sag mal, Jevo“, kurz stockte Noevy, „sind die beiden… zusammen?“ Hoffentlich klang die Frage nicht zu dumm wie er befürchtete, immerhin meinte er sie vollkommen ernst. Die Beziehung der beiden zueinander gab ihm mancgmal Rätsel auf.

„Nicht, dass ich wüsste.“ Endlich beendete Jevo sein zielloses Laufen und setzte sich zu Noevy. „Jassin braucht das manchmal; wenn Ninia nicht da ist, spielt Virila auch mal gerne Ersatz für ihn. Er hat es sich mit der Zeit angewöhnt. Und Ninia müsste auf Mädchen stehen, jedenfalls hat er mir irgendwann mal von seinen drei Exfreundinnen erzählt. Ich weiß, das muss nichts heißen, aber ich nehme es einfach an. Du kannst ihn ja fragen, wenn es dich wirklich so sehr interessiert.“ Aufmunternd grinste Jevo ihn an, doch Noevy ließ das lieber sein. Wer wusste, wie Ninia darauf reagierte? Zwar waren heutzutage gleichgeschlechtliche Beziehungen weder verboten noch völlig verschrien, aber Ninia würde sich trotzdem sicher nicht darüber freuen, darüber ausgefragt zu werden, das wäre schon äußerst ungewöhnlich.

„Ich glaube, ich sollte mich mal baden“, fiel es Noevy plötzlich ein, weil es einerseits stimmte, andererseits wollte er nicht noch länger über Jassins und Ninias sexuellen Vorlieben spekulieren, das ging ihn theoretisch nichts an, obwohl es ihn schon interessierte, ob etwas zwischen den beiden lief oder es nur oft den Anschein hatte.

„Kannst du machen, aber sei wieder da, wenn es etwas zu essen gibt“, rief Jevo ihm hinterher, als Noevy sich schon auf dem halben Weg zum Badezimmer befand.

Dort drinnen bekam er nichts von dem mit, was draußen geschah. Sozusagen der einzige Ort mit einem kleinen Rest Privatsphäre.

Er ließ warmes Wasser in die Wanne laufen, holte sich ein Handtuch aus dem Schrank – manchmal füllten die Katenha diese auf, wenn sie fanden, dass sich die Zahl frischer Handtücher zu stark reduziert hatte – und zog seine Kleidung aus. Vorsichtig testete er das Wasser, damit er sich nicht gleich vollkommen verbrühte, und stieg schließlich ganz in die Wanne. Wie angenehm sich das anfühlte, fast wie zuhause... nein, er sollte besser an etwas anderes denken, sonst bekam er richtig schreckliches Heimweh und das ließ ihn dann nicht wieder los. Zwar hatte er sich zuhause mit seinen Eltern wegen allen möglichen Kleinigkeiten gestritten – deshalb war er auch damals abgehauen und beinahe schon vorher von den Trisets gefangen worden –, aber er konnte nicht leugnen, dass er sie irgendwie vermisste. Auch andere Dinge aus seinem 'langweiligen', geordneten Leben: sein eigenes Zimmer inklusive eigenes Bett und vielen Gegenständen zur Unterhaltung, seine Mitschüler, die ihn öfters wegen seiner allzu großen Naivität und teilweisen Schüchternheit hineingelegt hatten und sogar die Schule, obwohl er sonst immer über sie geschimpft hatte. Aber da hatte man wenigstens etwas machen können und selbst wenn es nur leise Gespräche mit dem Tischnachbar über die neuste Fernsehserie waren.

Seufzend tauchte Noevy noch ein Stück tiefer ein; wie lange blieben sie alle wohl noch hier auf dem Mond? Das dauerhafte Nichtstun ging ihm nun schon auf den Geist und er war höchstens seit einer Woche hier. Was würde erst in einem Monat sein? Da wurde man ja verrückt, wenn das so weiterging. War das den Katenha überhaupt klar? Wohl kaum, sonst hätten sie es möglicherweise geändert, immerhin wollten sie ihre 'Besucher' nicht quälen. Zumindest nicht absichtlich.

Mit der Flüssigseife, die in einer weißen Porzellanschale auf dem Badewannenrand stand, begann er sich den Körper einzureiben und wusch es am Schluss mit frischem Wasser aus dem Wasserhahn ab. Dasselbe wiederholte er bei seinen Haaren, blieb zur Entspannung noch einige Minuten im Wasser und verließ es dann, um sich abzutrocknen und anzuziehen.

Zurück im Hauptraum kam Noevy gerade rechtzeitig zum Abendessen, was ihnen die Katenha vorbeigebracht hatten; inklusive einem Stapel Blätter und Stifte. Das freute Noevy, endlich hatten sie etwas, womit sie sich beschäftigen konnten, obwohl er keinerlei zeichnerisches Talent besaß.

„Du bist ja tatsächlich pünktlich da“, meinte Jevo zufrieden und schob ihm eins der Essenstablette entgegen. „Das Essen ist wirklich total abwechslungsreich, das überlebt man kaum.“ Vor ihnen stand der gleiche Tee wie immer und Suppe und Brot, allerdings in anderen Variationen. Das ließ sich aushalten.

„Wir dürfen für die Aliens wieder Bilder malen“, grummelte Turil wenig begeistert und riss sein Brot in kleine Stückchen, um es in der Suppe untergehen zu lassen.

„Sei froh, dass wir überhaupt was zu tun haben“, entgegnete Virila automatisch, „sonst zoffst du dich wieder stundenlang mit Muri. Das kann man kaum ertragen.“

„Was soll man denen denn malen?“, erkundigte sich Noevy vorsichtig. Wenn die Katenha irgendetwas Großartiges von ihm erwartete, musste er sie leider enttäuschen, dazu war er nicht in der Lage.

„Ach, einfach das, was du kannst. Sie analysieren es dann wahrscheinlich, um noch mehr über die 'menschliche Gefühlswelt' zu erfahren. Ninia malt meistens Strichmännchen und Fear schreibt Beleidigungen auf die Blätter.“ Sejena lächelte ihm aufmunternd zu.

Also wollten sie keine ausstellungsreifen Kunstwerke von ihm, sehr gut.

Nach dem Abendessen schnappte sich jeder Stift und Papier, setzte sich in einen Kreis in der Mitte des Raums und fing an, die Blätter nach seinem Geschmack zu verschönern: Muri malte einen großen blauen Tannenbaum mit jeder Menge Geschenke in allen vorhandenen Farben darunter, Noevy viele kleine Schmetterlinge mit verschiedenen eckigen Muster auf den Flügeln, Jevo und Sejena kreierten gemeinsam eine riesige bunte Blumenwiese, Turil, Ninia und Virila spielten Galgenmännchen, Fear kritzelte auf ihrem Blatt herum, bis es begann einzureißen und Jassin ließ niemanden seine Zeichnung ansehen, als könnte ihm derjenige die Ideen klauen. Sogar bei Ninia machte er keine Ausnahme.

Irgendwann wurde es Zeit zum Schlafen, denn das rote Licht wurde schwächer, sodass sie bald nicht mehr genug sahen und sich auf die Matratzen zurückzogen. Zwar fühlte sich Noevy ein bisschen eingezwängt von Jevo auf der einen und Turil, dessen Ellbogen ihm störend gegen die Hüfte drückte, auf der anderen Seite. Wegrücken konnte er allerdings nicht, sonst gerieten er und Muri sich ein weiteres Mal ins Gehege, denn sie durfte auch nicht einfach den anderen Mädchen den Platz wegnehmen. Komplizierte Situation.

Aber Beschwerden halfen hier nichts – höchstens beschleunigten sie eine schlaflose Nacht auf dem Boden –, also rutschte Noevy noch ein kleines Stück in Jevos Richtung, dem das nichts ausmachte, solange er selbst noch genügend Platz für sich selbst bekam.

Eigene Betten hatten wirklich unbestreitbare Vorteile.

Entdeckung

„Ich glaube, sie haben uns nicht bemerkt“, flüsterte Raven Diu zu, als sie seiner Meinung nach lange genug in ihrem Versteck gewartet hatten. „Wir müssen es jetzt versuchen, hoffentlich sieht uns keiner.“

Diu nickte nur, er sollte nämlich nicht mit Raven sprechen, um nicht die Katenha auf sich aufmerksam zu machen. Daran hielt er sich auch so weit es ihm möglich war, die geplante Aktion durfte nicht seinetwegen ins Wasser fallen.

Vorsichtig schlichen sich die beiden an den Haupteingang an, lauschten auf jedes verdächtige Geräusch, das aus der Station kommen könnte, und ließen ihre Umgebung nicht aus den Augen. Man konnte sich hier nie sicher sein, ob nicht eins dieser Wesen auf sie lauerte.

Die Tür vor ihnen öffnete sich überraschend von allein, sodass Raven im ersten Augenblick befürchtete, entdeckt worden zu sein, aber da sich im Inneren nichts zu regen schien, ging er von einem automatischen Mechanismus aus, der durch ihre Bewegung ausgelöst wurde; selbst die Katenha hatten keine Lust, die Tür immer aus eigener Kraft zu bewegen, wenn es hier niemanden gab, der unerlaubt in ihr Gebäude eindrang. Bis auf sie, allerdings rechneten die Katenha eher nicht mit dem Kommen zweier Menschen – oder auch Halbmenschen, um korrekt zu sein – weshalb auch? Auf normalem Weg kamen sie nicht auf den Mond.

Raven nahm Diu an der Hand und gemeinsam betraten sie die Halle, die sich hinter dem Eingang erstreckte; kein Mensch oder Katenha zu sehen, also brauchten sie sich noch keine allzu großen Sorgen zu machen, jedenfalls in diesem Abschnitt, obwohl sie nun vor einem anderen Problem standen: In welche Richtung sollten sie gehen? Und welche Abzweigung war dann die richtige?

Eine Ausschilderung fehlte hier, wahrscheinlich kannten sich die außerirdischen Bewohner hier bestens aus, auf Diu und ihn traf das dummerweise nicht zu. Was konnten sie tun, um sich nicht völlig in diesem Labyrinth zu verirren?

„Uns bleibt nichts anderes übrig als einfach irgendwo anzufangen“, flüsterte Raven seinem Begleiter so leise wie möglich ins Ohr. „Wenn du etwas hörst, sag es einfach.“ Selbst wenn die Gefahr bestand, dadurch vom außerirdischen Teil der Einwohner bemerkt zu werden.

Zur Bestätigung nickte Diu, schließlich wollte er Raven unterstützen und ihn nicht in die nächsten Katenha hineinlaufen lassen.

Ohne genau nachzudenken, ob der Weg sie ans Ziel oder in eine Falle führte, folgte Raven einem der Gänge, behielt den kleinen Außerirdischen ganz nah bei sich und überlegte, was sie unternehmen sollten, falls sie plötzlich von einem Katenha überrascht werden würden. Sich verstecken funktionierte in diesem Abschnitt nicht und gegen diese Viecher konnte man kaum etwas ausrichten, weil sie ja unverschämterweise tausende geheime Fähigkeiten besaßen; das einzige, was vielleicht möglich wäre, war flüchten, aber es bestand immer noch die Gefahr, in eine Sackgasse zu gelangen und gefangen zu werden.

Ein wenig ängstlich drückte sich Diu an Raven, er wollte sich gar nicht vorstellen, was passierte, wenn die anderen seines Volkes ihn mit einem Menschen hier fanden. Immerhin hatte er ihr Verbot vollkommen ignoriert und würde nun versuchen, ihre Testpersonen wieder zurückzuholen, weil er es einfach nicht richtig fand, sie gegen ihre Willen in diesem Gebäude für irgendwelche Zwecke festzuhalten.

Zwar merkte er, dass es Raven nicht besonders gefiel, weil er sich so an ihn hängte, aber statt erwartet weggeschoben zu werden, durfte Diu damit fortfahren. Das freute diesen natürlich; so fühlte er sich sicherer, nicht ganz so allein und sie verloren sich bestimmt nicht.

Vielleicht lernte Raven so mit der Zeit, dass Berührungen doch nichts Schlimmes waren, sondern einfach zum Leben dazugehörten. Vor allem, wenn man mit Diu unterwegs war.

Der Gang, den sie entlang liefen, schien kein Ende zu nehmen, sodass Raven mit der Zeit immer unruhiger wurde. Hörte das hier irgendwann auf? Warum gab es nicht ein paar Türen, die man untersuchen musste, um zu kontrollieren, ob sich Noevy und Jevo dahinter befanden? Konnten die nicht bald auftauchen?

Sein letzter Wunsch wurde ihm erfüllt, schon nach einigen Metern erreichten sie einen Bereich, indem mindestens fünf Türen zu anderen Räumen führten. Mithilfe seiner speziellen Fähigkeit testete Diu einen nach dem anderen auf außerirdische Lebensanzeichen, bevor Raven diese betreten und genau inspizieren durfte. Leider fünfmal ohne Ergebnis, es war niemand dort drin, weder Katenha noch Mensch.

„So eine Scheiße!“, fluchte Raven ungehalten über diesen ernüchternden Misserfolg und knallte die letzte Tür heftiger als nötig ins Schloss. Erschrocken zuckte Diu über diesen plötzlichen Lärm zusammen und vergewisserte sich gleich, dass keiner auf dieses Geräusch aufmerksam gemacht worden war.

„Mach das bitte nicht noch einmal“, erklang seine Stimme ganz leise in Ravens Kopf. Das erste Mal, dass er seinen Begleiter so eindringlich zurechtwies.

„Ja, ist gut, tut mir leid.“ Eigentlich nicht – Raven war frustriert, da durfte er sich seiner Meinung nach aufregen –, aber erstens war es ungerecht gegenüber Diu, sich so aufzuführen, und zweitens musste er sich doch etwas zusammenreißen, damit nicht sofort der nächstbeste Katenha vor ihnen auftauchte und sie freundlich einlud, mit ihm zu kommen.

Die folgende halbe Stunde blieb genauso erfolglos, wie man es nicht haben wollte, und langsam kamen sie in eine Zone, in der die Katenha deutlich präsenter erschienen als zuvor, zumindest teilte Diu das ziemlich beunruhigt mit und hielt Ravens Hand noch eine Spur stärker fest. Hoffentlich hatten die anderen seinen Hinweis nicht aufgeschnappt, sonst wäre ihre Lage noch unschöner geworden, da sich die Möglichkeiten zum erfolgreichen Entkommen überhaupt nicht erweitert hatten, ganz im Gegenteil. Durch die steigende Anzahl an Katenha nahm sie rapide ab.

Bei Raven und Diu wuchs natürlich von Sekunde zu Sekunde unaufhaltsam die Nervosität und sie fanden kein Mittel, sich dagegen zu wehren, außer sich selbst ständig einzureden, dass ihr Vorhaben auf keinen Fall schief laufen oder komplett scheitern konnte.

Aber ihre Hoffnung wurde leider enttäuscht, als sie an einer typischen Katenha'kreuzung' – natürlich ohne erkennbare Ecken – unerwartet vor einem silbernen Katenha standen, der sie zuerst einige Sekunden verwirrt musterte, plötzlich beide am Kragen packte und gegen ihren Willen tiefer in das labyrinthische Gängesystem brachte. Auf dem Weg begegnete ihnen noch eine Handvoll anderer Katenha, die sie kaum beachteten, sondern uninteressiert an ihnen vorbeigingen, als wäre ihr Anblick etwas Alltägliches. Sicher hatte das silberne Vieh, was sie mit sich schleifte, den Rest schon über die zwei Eindringlinge informiert.

Hilflos hing Raven im Griff des Außerirdischen, unfähig sich loszureißen, und ärgerte sich unglaublich, nach so kurzer Zeit erwischt worden zu sein. Nun brauchten sie wohl selbst erst jemanden, der ihnen aus der Klemme half, bevor sie ihre wichtige Mission fortsetzten. Und derjenige durfte nicht lange auf sich warten lassen, sonst stellte der Katenha bei ihrem Pech alles andere als angenehme Dinge mit ihnen an. So ungerne er es zugab, diese Vorstellung machte ihm schon ziemlich nervös.

Diu neben ihm war völlig aufgelöst; er schien panische Angst zu haben, was bald mit ihnen und ganz besonders mit ihm selbst geschehen sollte. Seine Finger krallten sich haltsuchend in Ravens Oberteil, um nicht zu stolpern, und er zitterte. Leicht, aber merklich. Kein gutes Zeichen, hoffentlich verlor er nicht die Nerven und tat etwas Unüberlegtes, was ihm schadete. Ob und was der silberne Außerirdische ihnen dann nämlich antat, wollte Raven unter keinen Umständen herausfinden.

Sie gingen solange durch die große Anlage, dass sie sich schon fast auf der gegenüberliegenden Seite von ihrem Ausgangspunkt aufhalten müssten, bis der Katenha wie es schien sein Ziel erreicht hatte, eine Tür vor ihnen öffnete, die zwei Jungen grob in den dahinter liegenden Raum stieß und mit einem deutlich hörbaren Geräusch die ziemlich massiv wirkende Tür wieder verschloss.

Sie saßen sozusagen in der Falle, in einer äußerst winzigen sogar, der Raum war nicht mehr als ein paar Schritte lang; durch den entstandenen Schwung knallten sie beide gegen die nächste Wand, was der Katenha mit voller Absicht geplant hatte, um sie für ihre Sorglosigkeit und seinen zusätzlichen Arbeitsaufwand zu bestrafen.

„Raven, was sollen wir tun?“, fragte Diu völlig verzweifelt und rieb sich die Schulter, mit der er am stärksten aufgekommen war. Kurz konzentrierte er sich, beendete es allerdings fast genauso schnell wieder und ließ sich mutlos auf den Boden sinken. „Selbst wenn ich genügend Energie hätte, könnte ich uns nicht von hier wegbringen, die anderen haben den Raum mit einem unglaublich starken Schutz abgesichert, sodass ich uns nicht heraus transportieren kann.“ Man hatte wohl für den Fall von Eindringlingen extra einen doppelt und dreifach gesicherten Ort vorbereitet. In der kurzen Zeit hätte sie nämlich kaum nur für die beiden diese Vorkehrungen herrichten können, das packten nicht einmal die Alleskönner des Universums, wie Raven die Katenha gerne nannte.

„Dann sitzen wir hier fest und müssen warten, bis dieses silberne Vieh wiederkommt und vielleicht eins dieser Experimente an uns ausprobiert.“ Am liebsten hätte Raven aus Frustration wie ein Verrückter gegen die Wände gehämmert oder wenigstens einen Haufen Flüchte auf diese verdammten Aliens losgelassen, aber nichts davon zauberte ihnen einen guten und durchführbaren Fluchtplan herbei, durch denen sie diesen Raum ohne Fenster oder anderen möglichen Öffnungen in die Freiheit verlassen konnten. Nur durch die gut verriegelte Tür, was für sie nicht im Bereich ihrer Möglichkeiten lag und die Situation somit so schrecklich ausweglos machte.

In der Zwischenzeit war Diu zu Raven gerückt und hatte sich dort zusammengekauert, die Arme um die Knie geschlungen, und starrte ratlos und ängstlich auf den Boden unter sich, als entstünde dadurch eine kleine Falltür, durch die sie heimlich aus der Station verschwinden konnten.

Leider entsprach das nicht der Realität, der Untergrund blieb genauso existent wie zuvor und eröffnete ihnen keine Chance, an einen anderen Ort zu gelangen.

„Raven, ich will nach Hause“, murmelte Dius Stimmen in seinem Kopf, während seine Finger vorsichtig Ravens Hände suchten, um sich an ihm festzuhalten und etwas Trost zu erhalten.

„Ich nicht, da wäre es auch nicht besser als hier“, sagte Raven ehrlich und seufzte genervt über alles, was ihm so gar nicht passte. „Überall würden wir nur herum sitzen und nichts tun, um den anderen zu helfen.“

„Aber da wären wir wenigstens in Sicherheit“, warf Diu ein und lehnte seinen Kopf an die Schulter des anderen, um nicht länger nur die harte Wand hinter sich zu spüren. „Und wir wären auch nicht eingesperrt.“

„Ist mir egal, ist doch sowieso alles scheiße. Ich will die zwei hier rausholen, deshalb bin ich auch hier.“

„Sind sie dir so wichtig?“ Gegen seinen Willen klang Diu etwas neidisch, bis vor einigen Tagen war er es gewöhnt gewesen, dass er der einzige war, zumindest im Leben seiner Mutter. Aber für Rave sicher nicht. Bestimmt würde er das auch nie sein.

„Jevo schon, er ist mein einziger Bruder und auch so ungefähr der einzige, der sich nicht ständig über mich beschwert.“ Im Gegensatz zu vielen, vielen anderen Leuten, die es nicht einsahen, dass sie ihm auf den Keks gingen und nicht umgekehrt. „Und Noevy... der ist so hohl, auf den muss man aufpassen, sonst macht der echt nur dummes Zeug.“ Kopfschüttelnd erinnerte er sich an ihr kurzes 'Zusammenleben' und an Noevys kindische Art, sich fast ununterbrochen dumm anzustellen und dann herum zu jammern. Mit ihm kam Jevo sicher besser zurecht als er selbst, sein Bruder ging viel offener auf andere.

„Sag mal“, fing Diu zögernd an, „wenn mich die Katenha entführen würden und nicht mehr hergeben, würdest du mich auch retten oder eher nicht?“

„Was ist das denn für eine Frage?“ Nur weil er gerne seine Ruhe vor nervigen Dingen hatte, bedeutete das nicht, dass er jemanden, mit dem er inzwischen ziemlich viel durchgemacht hatte, einfach links liegen ließ. Das tat er höchstens bei Menschen, die ihm permanent auf den Geist gingen oder die er gar nicht kannte. Und durch Noevy hatte er gemerkt, dass das auch besser war, sonst holte man sich seltsamen Besuch ins Haus, der nicht mehr gehen wollte. „Findest du mich so asozial, dass du mir das zutraust? Du hast mir immerhin auch schon geholfen.“

„Ich meinte eigentlich vorher, bevor wir uns gekannt hätten.“

„Hm, dann wohl eher weniger.“ Aus Fehlern sollte man schließlich lernen, vor allem wenn man dadurch sonst sein gesamtes Leben auf den Kopf stellte.

„Ach so.“ Nun wusste Diu nicht, ob er das schlimm finden oder hinnehmen sollte, wann Raven sich für andere verantwortlich fühlte und wann er sich lieber heraushielt. Aber er wusste ja nicht, ob das bei Menschen normal war, vielleicht interessierte es sie einfach nicht, was mit Fremden geschah.

Die Katenha gehörte auch nicht unbedingt zu der Sorte, die sich gegenseitig halfen, sondern eher zu den Einzelgängern. Nur in dieser Station arbeiteten sie gezwungenermaßen zusammen, um schneller Ergebnisse zu erzielen.

„Was hat dir das jetzt gebracht?“ Irgendwie lief Dius Frage verdächtig in genau dieselbe Richtung wie bei Mädchen dieses sinnlose 'Wie findest du mich?' Fragespiel. Nicht, dass ihn jemals eins danach gefragt hatte – die freuten sich, wenn er sich nicht in ihrer Nähe aufhielt –, aber man bekam es leider an jeder Ecke mit, wenn sie ihre – meistens männlichen – Freunde damit terrorisierten.

Mit dieser Feststellung wollte er Diu allerdings nicht in die Kategorie 'ätzende Mädchen' abheften, da gehörte er nicht hin. Mädchen störten gerne, Diu tat das nur ab und zu und dann auch nicht so extrem.

Mit dieser Einstellung fand er nie eine Freundin, aber das beunruhigte ihn auch kein bisschen.

„Ablenkung“, gab Diu zu und zwang sich zu einem kläglichen Grinsen. „Hat doch geklappt, oder?“ Seine Finger strichen ganz leicht über Ravens Handrücken.

In gewisser Weise schon, Raven hatte für ein paar Minuten über sein dauerhaft beknacktes und verkorkstes Alltagsleben in Cellora nachgedacht und nicht darüber, was man mit ihnen vorhatte.

„Ja, jetzt bin ich mir ganz sicher, dass ich bis an mein Lebensende single bleibe“, antwortete ihm Raven und beobachtete zufrieden, wie Diu ihn mehr als verwirrt ansah. Vielleicht nützte diese Methode doch mehr, als er gedacht hatte.

Trennung

Es kam einfach niemand.

Seit mindestens einer Stunde warteten Raven und Diu darauf, dass sich die Tür wieder öffnete, das silberne Gesicht des Katenhas vor ihnen erschien und es sie in eines seiner unheimlichen Labore brachte, um nette Versuche mit unangenehmen Nebenwirkungen an ihnen zu testen.

Am besten gar nicht weiter darüber nachdenken.

Das dauerhafte angespannt sein hatte ihn sogar etwas müde gemacht, doch Raven zwang sich, nicht einzuschlafen, um auf keinen Fall die Ankunft ihres 'Gastgebers', der sie von Anfang an nicht besonders nett behandelt hatte, zu verpassen. Vielleicht konnte er in einem unbeobachteten Moment sich gegen diesen zur Wehr setzen und mit Diu im Schlepptau von hier abhauen.

Dafür müsste er den Kleinen allerdings erst einmal wecken, da der an ihn gelehnt eingenickt war und sich von den ganzen Strapazen erholte. Auch ein Halbkatenha ließ dieses ganze Hin und Her nicht kalt, vor allem weil Diu sowieso nicht wirklich widerstandsfähig wirkte, dafür war er viel zu klein und zu dünn.

Und nun fing er leise etwas zu murmeln an, hoffentlich nicht wieder von seiner Mutter. Selbst als Katenha musste man mit ungefähr 14 – auf viel älter schätze man ihn einfach nicht – doch langsam selbstständig werden und für einige Zeit ohne Mutter auskommen.

Andererseits schien Dius Mutter die einzige Person gewesen zu sein, die für ihren Sohn jahrelang da gewesen war. Außerdem sollte jemand wie Raven, der permanent mit seinen Eltern auf Kriegsfuß stand, anderen nicht vorschreiben, ob sie ihre Familie vermissten oder nicht.

Vermisste er Jevo nicht auch?

Seufzend brach Raven diesen unsinnigen Gedankengang ab und konzentrierte sich eher darauf, wie er den silbernen Katenha bei seinem Eintreffen gezielt und schnell aus dem Weg räumte, falls das überhaupt ging. Er könnte sich theoretisch so an der Tür positionieren, dass man ihn nicht gleich bemerkte, damit rechnete der Katenha sicher nicht. Wenn es dann auftauchte, gäbe er ihm einen gezielten Schlag ins Gesicht mithilfe seines Rucksacks, den er immer noch bei sich trug, und würde mit Diu zusammen aus diesem untypischen Gefängnis – ein runder Raum mit roten Wänden, wer kam denn bitte auf solche Ideen? – abhauen. Danach würden sie Noevy und Jevo suchen, finden, hier herausholen und auf irgendeine Weise nach Hause...

Bevor er seinen genialen Plan in allen Einzelheiten zu Ende entwerfen konnte, fielen ihm die Augen zu; er bemerkte es nicht einmal, sonst hätte er dagegen angekämpft.

Schlafend brachten Raven seine Überlegungen nämlich nichts.
 

Durch das Aufschließen der Tür wurden Raven und Diu irgendwann aufgeweckt, einige Zeit musste vergangen sein. Erschrocken schraken sie auf, Raven funkelte das Wesen vor ihnen versucht bedrohlich an, Diu klammerte sich hilfesuchend an seinen Begleiter, womit er unabsichtlich dessen hinterhältigen Überfall vollkommen verhinderte. Aber Raven machte ihm dafür keine Vorwürfe, wäre er wach gewesen, hätte er den Katenha locker eins überbraten können, zumindest in der Theorie. So jedoch hätte er erst Diu abschütteln, blitzschnell aufspringen und die silberne Blockade zwischen ihnen und der Freiheit – so empfand er das Etwas jedenfalls – entfernen müssen. Und das alles innerhalb weniger Augenblicke, um den Überraschungseffekt auszunutzen.

Im Moment funktionierte das einfach nicht mehr, dafür fühlte er sich noch viel zu schläfrig.

„Du kommst mit“, befahl die fremde Stimme in Ravens Kopf, „der Verräter bleibt hier drin und wartet, bis ich wiederkomme.“

„Vergiss es, ich lass ihn nicht einfach mit euch Bekloppten allein“, knurrte Raven und machte keinen Anstalten, das zu tun, was der Katenha ihm aufgetragen hatte. Diesen Viechern überließ er nicht noch jemanden, auf den er aufgepasst hatte, das ließ sein Beschützerinstinkt – oder besser gesagt sein Ego – nicht zu. Als wäre er gekommen, um Diu seinen größenwahnsinnigen Fastartgenossen auszuliefern, für wie dumm hielten sie ihn?

„Musst du aber, das haben wir beschlossen“, erklärte ihm der Katenha sachlich, trat auf ihn zu und riss ihn schmerzhaft auf die Beine. So viel Kraft hatte Raven ihm gar nicht zugetraut, weshalb er vor Überraschung kaum bemerkte, dass sie schon beinahe den Raum verlassen hatten, allerdings wollte Diu unter keinen Umständen von Raven getrennt werden und versuchte deshalb, ihn aus den Fängen des Katenhas zu befreien. Mit dem Ergebnis, dass der kleine Außerirdische dieses Mal mit dem Rücken gegen die Wand krachte, Raven, der sich mit leichter Verspätung von dem silbernen Wesen losmachen wollte, einen harten Schlag ins Gesicht erhielt und sich die Hände des anderen noch fester um seine Handgelenke schlossen. Widerstand war zwecklos, er verursachte höchstens Schmerzen.

Während Raven auf den Flur und durch das unübersichtliche Gewirr an Gängen gezerrt wurde – trotz des schmerzhaften Drucks auf seine Handgelenke weigerte er sich, dem Katenha aus freien Stücken zu folgen – hörte er Dius leises Schluchzen, das immer undeutlicher wurde, bis es vollständig abbrach.

„Wo bringst du mich hin und was hast du mit Diu vor?“, zischte Raven wütend und probierte seine Arme frei zu bekommen, doch dafür bohrten sich nur die spitzen Fingernägel seines Gegenübers in seine Haut.

„Wie gesagt, unsere Abteilung für jüngere Menschen hat sich extra wegen euch beraten und die Mehrheit war dafür, euch zu trennen. Der kleine Verräter bleibt noch eine Weile in dem abgesicherten Raum, damit er nicht wieder verschwindet, wenn ich nicht da bin, und du sollst eigentlich zu den anderen von deiner Sorte.“ Ohne Vorwarnung hielt es an und musterte Raven eingehend. „Davor habe ich noch etwas mit dir vor.“ Es drückte Raven in eine runde Ecke des Gangs, von wo er nicht ohne weiteres weglaufen konnte, und zog ihn trotz der vehementen Gegenwehr aus. Die anderen, bei denen es diese Prozedur sonst ausführten, hatten zum Glück nie die Kraft, etwas zu unternehmen, außer sie hatten den Vorteil wie dieser eine Junge und strahlten durch das Experiment noch eine große Menge unschöner Gefühle ab, die der Katenha nicht lange ertrug, weil er nicht daran gewöhnt war.

„Lass dass, nimm deine Pfoten weg.“ Angewidert schubste Raven den Katenha von sich und hielt schützend die Arme vor seinen Körper. „Wenn du jemanden befummeln willst, mach das bei deinen Freunden, wenn du überhaupt welche hast. Ich will bestimmt nicht mit einem Alien, der weder männlich noch weiblich ist, schlafen.“

„Was stellt ihr Menschen euch bei uns immer so an? Unter euch tut ihr das doch auch.“ Seine violetten Augen blickten Raven intensiv an. „Ich will doch auch wissen, wie es sich anfühlt.“ Ein winziger Hauch Neugier schwang in seiner Stimme mit.

„Ich werde es dir ganz sicher nicht zeigen.“ Misstrauisch beobachtete Raven den Außerirdischen vor ihm, der nun keine weiteren Versuche unternahm, ihn zu bedrängen. „Menschen machen das nämlich meistens mit demjenigen, den sie mögen, und nicht mit völlig fremden Leuten, aber das versteht ihr nicht, ihr habt ja keine Gefühle und auch keine Ahnung von uns.“

„Dann mach eine Ausnahme für mich“, schlug es hartnäckig vor, „das tut dir nicht weh.“

„Nein, such dir jemand anderes, der das mit sich machen lässt, ich hab wirklich keinen Bock drauf. Kann ich endlich meine Sachen wieder haben?“ Fast völlig nackt in dieser Station herum zu stehen gefiel ihm nicht, besonders wenn er dabei von einem notgeilen Alien betrachtet wurde.

Seufzend über seine wiederholte Niederlage reichte der Katenha es ihm und setzte seinen eigentlichen Auftrag fort, Raven zu den restlichen unter 18 Jahre alten Menschen zu bringen.

Natürlich hätte es ihn gewaltsam zwingen können, es ihm zu zeigen, aber vielleicht kam das sonst heraus und dann bekam es wieder Ärger von den anderen seiner Abteilung, weil es die Gefangenen für seine ganz eigenen Zwecke benutzte. Auf keinen Fall wollte es aus dem Projekt ausgeschlossen werden, dann erfuhr es nämlich im schlimmsten Fall nie, wie es sich anfühlte.

Und das war der einzige Grund, weshalb es sich bereit erklärt hatte, hier mitzuarbeiten.
 

„Bald ist es wieder soweit, einer von uns darf das Versuchskaninchen spielen.“ Beunruhigt, wen es als nächstes traf, hatte es sich Jevo mit Noevy auf einer der Matratze gemütlich gemachte und über das geredet, was ihnen gerade einfiel. Eigentlich hatten sie bis eben ein Gespräch über die schlechte Verbindung der öffentlichen Verkehrsmittel in Cellora und Umgebung geführt, weil sie beide durch einen langen Schulweg davon betroffen waren, aber anscheinend machte Jevo sich über etwas ganz anderes Gedanken, das hatte Noevy gemerkt und ihn darauf angesprochen.

„Hast du Ahnung, wer dieses Mal dran ist?“ Noevy wusste nur, dass er selbst sicher nicht als das Opfer der bald anstehenden Gefühlsabsaugung endete, weil er erst vor wenigen Tagen dazu gezwungen worden war. „Aber hoffentlich nicht du, oder?“ Jevo noch einmal in so schlechten Zustand zu erleben hielt er nicht lange aus, obwohl es ich bei den anderen auch nicht gefiel.

„Es könnte passieren, ich war zwar schon da – das hast du ja mitbekommen –, aber manchmal halten die Katenha eine genaue Reihenfolge nicht ein. Turil haben sie, als ich noch nicht lange hier war, dreimal in ganz kurzen Abständen hintereinander abgeholt. Danach war er so fertig, dass er drei Tage lang nicht mit Muri streiten wollte und auch kein dummes Zeug geschwätzt hat.“ Dieser Vorfall schien Jevo immer noch etwas beschäftigen, was Noevy gut nachvollziehen konnte. So wie er Turil erlebt hatte, musste etwas Ernstes geschehen, damit er seine selbstsichere und unqualifizierte Art ablegt und vor allem den Mund hielt.

„Theoretisch wäre bald eins der Mädchen dran, die haben sie schon länger zum Glück in Ruhe gelassen. Hoffentlich kommt dann nicht wieder das Silbervieh, das muss wirklich nicht noch sein.“ Als Junge empfand er das schon als Belastung, er wollte gar nicht wissen, welche Auswirkungen das auf Sejena oder Virila hatte. Der silberne Katenha schreckte sicher vor keinem von ihnen zurück.

Wie aufs Stichwort stand genau dieser Katenha plötzlich in ihrem Raum – reflexartig wichen alle ein gutes Stück von ihm zurück –, doch ausnahmsweise hatte es noch jemanden dabei, den es unsanft hinter sich hereinzog und in die Richtung von Sejena, Muri und Virila schubste, bevor es genauso schnell verschwand wie es erschienen war.

„Das kann nicht sein“, murmelte Jevo erschrocken, während er die Person beobachtete, die fast auf Sejena gestürzt wäre, wenn sie nicht weggerückt wäre. „Was macht er hier?“

„Sie haben ihn auch gefangen“, jammerte Noevy und lief auf Raven zu, der deprimiert über die ganze Situation auf dem Boden hockte und ärgerlich an einem losen Faden seiner Hose herumriss. Jevo folgte seinem dauerhaften Begleiter, um sich zu erkundigen, wie sein Bruder hierher gelangt war und wie es ihm ging.

Raven wollte sich nach diesem Fehlschlag auf der ganzen Linie am liebsten in einem kleinen Loch verstecken und nie wieder herauskommen, aber spätestens, als Noevy wie eine Klette an ihm hing, über die Ungerechtigkeit der Welt klagte und Jevo sich nicht entscheiden konnte, ob er traurig oder froh sein sollte, dass sein großer Bruder bei ihm war, verwarf er diesen Wunsch wieder. Die beiden würden ihn sicher erst einmal mit Fragen löchern, die er ihnen auch alle beantworten würde und von der missglückten Rettungsaktion durften sie auch noch etwas erfahren.

Neugierig wegen des Neuankömmlings versammelten sich auch der Rest um Raven – drei Jungs und vier Mädchen – und hörte zu, um wen es sich hier genau handelte und dass er eigentlich unter ganz anderen Umständen hier auftauchen wollte.

Leider hatte sich ihr ganzes schönes Vorhaben in Luft aufgelöst, was Raven immer noch ziemlich auf den Geist ging und weswegen er schon nach zehn Minuten Befragung seine Ruhe haben wollte.

Zum Glück respektierten das alle, sogar sein Bruder und Noevy, der endlich von ihm abließ. Wurde man denn überall hier belästigt?
 

„Und das ist dein Bruder? Der ist ja ganz anders als du“, flüsterte Ninia Jevo zu, als er sich vergewissert hatte, dass Raven sie nicht belauschte. „Aber immerhin seht ihr euch ähnlich.“ Das stellten viele Leute fest.

„Das ist mir auch aufgefallen, nachdem ich sie beide gesehen habe“, fügte Noevy hinzu, der auch einmal irgendwo mitreden wollte. „Jevo ist so gut wie immer freundlich und Raven... naja, dem geht so gut wie alles auf den Keks.“ Vor allem kleine naive Jungs, die nicht auf sich selbst aufpassen konnten, das hatte er ja einen Tag lang hautnah miterlebt.

„Das kommt vor, meine Schwester ist auch ganz anders als ich.“ Muri wollte auch etwas zu dem Gespräch beisteuern. „Und wir sehen uns nicht einmal ähnlich.“

„Vielleicht seid ihr gar nicht verwandt“, stichelte Turil sofort und grinste fies, während Muri ihm die Zunge rausstreckte und sich weigerte, ihn weiter zu beachten. Ihrer Meinung nach wollte er sich sowieso nur wichtig machen, weil er im Moment nicht im Mittelpunkt stand.

„Er ist halt ein etwas komplizierter Mensch, aber eigentlich gar nicht so böse, wie er immer tut.“ Zumindest empfand Jevo es so, sonst wäre Raven kaum hierher gekommen, um sie zu holen. Und Diu säße immer noch auf der Straße und würde frieren.

„Hoffe ich doch, noch mehr Streitereien zwischen gewissen Personen brauchen wir eindeutig nicht.“ Virila warf einen schrägen Blick zu ihren zwei Problemkindern und schließlich noch zu Raven, der sich anscheinend ausruhte. Hatte er immerhin verdient.

„Solange man ihn nicht rund um die Uhr absichtlich nach Dingen fragt, die er nicht weiß, und trotzdem nicht damit aufhört, kann man es mit ihm aushalten.“

„Du hast aber auch den Verwandtenbonus, zu dir wird er also nicht so schrecklich sein“, nahm Nina an und zupfte sich eine blaue Haarsträhne zurecht, die ihm störend ins Gesicht hing. Bei Gelegenheit forderte er eine Schere von den Katenha, damit er sich die Haare schneiden konnte. Oder von Virila schneiden ließ, sie kannte sich damit angeblich aus.

„Den Bonus gibt es bei ihm nicht, sonst hätten meine Eltern ihn nicht rausgeworfen, weil sie sich wegen jedem Staubkörnchen gezankt haben. Unsere Verwandten rauchte er in der Pfeife, die hat er seit Jahren nicht mehr freiwillig besucht.“

„Hey, ich weiß, dass ihr über mich redet, könnt ihr gern machen, wenn ihr keine wichtigeren Themen habt. Aber Jevo, hör auf, über mein Privatleben zu erzählen, das geht hier gar niemanden etwas an.“ Also schlief er doch nicht wirklich, wie es die kleine Ansammlung vermeintlich gedacht hatte; peinlich für alle Beteiligten.

Hastig änderten sie das Thema von Raven auf die unverschämten Preiserhöhungen bei Pflaumeneis in den unterschiedlichen Supermärkten der Vororte und Raven wartete angespannt, ob er ein telepathisches Lebenszeichen von Diu bekam.

Strafe

Der kleine Außerirdische saß immer noch verängstigt und leise weinend in seinem Gefängnis ohne Ausbruchsmöglichkeiten und wartete, dass man irgendetwas mit ihm anstellte, weil er sozusagen gegen die Spielregeln der Katenha verstoßen hatte.

Was würde nun mit ihm passieren? Vielleicht wurde er wie die anderen ebenfalls zum Forschungsobjekt degradiert, obwohl er das für unwahrscheinlich hielt, immerhin konnte er die Versuchsergebnisse verfälschen. In ihm steckte schließlich noch ein Teil der Katenha DNA. Falls sie so etwas besaßen, das wusste er nicht, Biologie hatte man ihm nicht beigebracht. Aber er wusste, er reagierte auf manche Dinge anders als zum Beispiel Raven es täte. Obwohl man diesen bloß nicht als Maß aller Dinge ansehen durfte.

Vielleicht würden sie ihm auf ganz andere Weise für sein Verhalten bestrafen, er konnte ja nicht ahnen, was in den Köpfen dieser selbsternannten Wissenschaftler vorging.

Aber umbringen würden sie ihn niemals, das taten sie einfach nicht, das gehörte einfach nicht zu ihrem Charakter. Wenn er eine Bedrohung für sie darstellte, möglicherweise, aber er versuchte ja nicht, die gesamte Station in die Luft zu jagen oder irgendwelche Katenha zu gefährden, er wollte nur den Menschen hier helfen.

Galt das für den Rest der Katenha schon als Bedrohung, die aus dem Weg geräumt werden musste, um sie alle zu schützen?

Und was passierte nun mit Raven? War er bei seinem Bruder und Noevy? Oder hatte das der Silberne einfach nur behauptet, um ihn leichter zum Mitkommen zu bewegen? Lebten die beiden überhaupt noch?

Viele Fragen, auf die Diu keine Antwort wusste und die ihn schrecklich beunruhigten, seitdem er allein hier drin hockte und sich wünschte, wieder bei Raven zu sein. Ohne ihn fühlte er sich inzwischen so einsam, weil sie seit über einer Woche permanent aneinander hingen, obwohl sie sich noch gar nicht so lange kannten und Raven häufig versuchte, auf Distanz zu bleiben, was ihm zum Glück nicht sehr oft gelang.

Seufzend fuhr sich Diu mit dem Handrücken über die Wangen, um die restlichen Tränen wegzuwischen, die ihm die Sicht vernebelten, und versuchte, an gar nichts zu denken. Natürlich drängten sich immer wieder die Bilder der letzten Stunden und die unerfreulichen Überlegungen in sein Bewusstsein und belästigten ihn, doch die Panik legte sich ganz langsam, weil er merkte, dass sie noch grundlos war.

Nur die Sorge um Raven blieb; er wollte zu ihm und sich versichern, dass es ihm gut ging und die zwei, für die er hierher gereist war, getroffen hatte.

„Warum denkst du an ihn? Mach dir mal lieber Gedanken über dich selbst“, flüsterte ihm ohne Vorwarnung eine Stimme in seinem Kopf zu, was ihn entsetzt zusammen zucken ließ. Hörte er nun schon Stimmen aus dem Nichts, die genau wussten, was er gedacht hatte? Dass er jemanden hörte, war eindeutig nicht das Problem – auf diese Weise verständigten sich schließlich Katenha –, eher das, was derjenige sagt, verunsicherte ihn. Wurde er vielleicht verrückt? Oder träumte er nur?

„Also ich bin real existierend, Diu, ich stehe nämlich gerade vor der Tür und schließe sie gleich auf.“ Kaum hatte derjenige das verkündet, hörte Diu tatsächlich draußen ein Geräusch und die Tür schwang auf.

Der Katenha von vorhin stand davor und musterte ihn ausgiebig, als wäre Diu ein sehr interessantes Bild, was in einem Museum hing, oder ein seltenes Tier im Zoo.

„Wie...woher kannst du das?“, stotterte Diu verwirrt und rutschte so weit es in seiner Macht lag von dem anderen weg. Normale Katenha konnten keine Gedanken lesen! Nur die Gespräche verfolgen, durch die sie per Telepathie untereinander kommunizierten. Wie bei den Menschen, die Gedanken waren eigentlich nicht auffangbar, wenn man sie nicht preisgab. Wie funktionierte das also?

„Ich kann das nicht, wäre ja viel zu schön“, klärte ihn der Katenha gleich auf und kam auf ihn zu. „Aber ein paar aus der Abteilung für die Geräteentwicklung hatten wohl zu viel Zeit und haben etwas ganz Interessantes zusammengebastelt, das zumindest teilweise die Gedanken von Katenha sichtbar macht; wenn sie sehr intensiv daran denken. Draußen an der Wand hängt ein kleiner Bildschirm, auf dem man sich deine Gedanken ansehen kann, ist ziemlich praktisch. Obwohl ich ja nicht verstehe, wie du so an diesem Raven hängen kannst, wenn du ihn kaum kennst.“

„Das wirst du auch nie verstehen, du Ignorant“, warf Diu ihm an den Kopf. Die Behauptung, dass irgendwelche technisch begabten Katenha es wirklich geschafft hatten, Gedanken für andere erkennbar gemacht zu haben, machte ihm Angst. Was entwickelten sie denn als nächstes? Und wofür brachten sie überhaupt die ganzen Menschen?

„Da hast du Unrecht, mit etwas Glück werde ich es bald erfahren. Außerdem heiße ich nicht Ignorant, sondern Muka, verstanden? Ich nenne dich ja auch nicht die ganze Zeit Verräter, obwohl das zu dir passen würde.“

„Und wie soll es gehen, dass du es wissen wirst? Du bist ein ganzer Katenha, du kannst keine Gefühle empfinden! Sogar ich als Halbkatenha nehme sie nicht so stark wie die Menschen wahr.“ Das war doch allgemein bekannt, deswegen beneideten manche Katenha die Menschen sozusagen für ihre Empfindungen. Wenn man es Neid nennen wollte, das war schließlich auch nur ein Gefühl. es stand eher der Wunsch im Vordergrund, dasselbe wie die Menschen zu können.

„Wenn du informiert wärst, wüsstest du, dass wir mit unseren Experimenten versuchen, die Gefühle aus den Menschen herauszufiltern, in speziell dafür hergestellten Steinen zu lagern und dann auf uns übertragen zu wollen. Deshalb die vielen Menschen, einer allein ist nutzlos. Viele Menschen für viele Katenha, ist verständlich, oder?“ Seine Augen funkelten fast zufrieden, was natürlich nicht sein konnte. „Und wenn es wirklich klappt, lässt sich dieser egoistische Junge endlich von mir anfassen.“

„Von was redest du da?“ Die Flut an unglaublichen Nachrichten riss heute gar nicht mehr ab und begrub Diu fast, wogegen er nichts unternehmen konnte. Er begriff gerade mal die Hälfte von dem, was Muka ihm soeben eröffnet hatte und bezweifelte, dass er da bald den Durchblick bekam.

„Ist ja auch egal, du kommst jetzt mit mir mit. Und wehe, du willst abhauen, dann wird dein toller Raven dafür die Konsequenzen tragen müssen, kapiert?“ Es zerrte Diu mit sich aus dem Raum, betrachtete noch kurz vorsichtshalber den Bildschirm mit Dius Gedanken – leider wirkte das praktische Gerät nur in diesem besonderen Raum, sonst hätte es dieses mitgenommen, um Diu zu kontrollieren – und beförderte ihn dann nicht sehr sanft an einen neuen Ort, an dem schon zwei weitere Katenha auf sie warteten.

„Ayu, Xenika, hier ist er, macht mit ihm, was ihr wollt, aber bringt ihn nicht unbedingt um, das ist nicht nötig“, kündigte Muka den beiden an und stieß Diu auf sie zu. „Ich bin im Hauptraum, wenn ihr fertig seid, bringt ihn dort hin.“ Kurz überlegte er. „Und passt auf, dass er nicht versucht wegzulaufen.“

Nickend nahmen sie das Gesagt auf; nachdem Muka verschwunden war, entkleideten sie Diu gegen seinen Willen und bugsierten ihn auf den dunklen Klotz, was dem kleinen Außerirdischen überhaupt nicht behagte, aber wie so oft waren die zwei stärker als er – auch eine typische Katenhaeigenschaft, obwohl sie es gar nicht brauchten – und ließen nicht zu, dass er sich sträubte. Zusätzlich angelte einer der beiden ein kleines Döschen mit einem hellen Pulver aus einer Nische in der Wand, was es Diu auf das Gesicht stäubte, wovon dieser sich schlagartig kraftlos fühlte. Das sollte wohl verhindern, dass man sich zu sehr wehrte oder in seinem Fall, dass er sich an einen sicheren Ort teleportierte.

„Was wollt ihr mit mir machen?“, fragte er ängstlich um sich blickend.

„Das wirst du gleich merken, Diu. Eigentlich sollten wir das noch gar nicht testen, weil wir noch ein paar Verbesserungen vornehmen wollten, aber weil wir eine Strafe für dich brauchen und die Methode zum Glück schon fast arbeitstauglich ist, bist du der erste, bei dem wir erst die Gefühle heraus filtern und dann die von den Menschen einsetzten werden.“ Der Grüne verstaute das Mittel wieder an seinen ursprünglichen Ort und hockte sich auf die Kante des Blocks.

„Eigentlich ist das eine große Ehre, Kleiner, dabei bist du nicht einmal ein vollwertiger Katenha“, fügte der blaue hinzu und tauschte einen wissenden Blick mit seinem Partner. „Ayu, du bist heute wieder dran.“ Besonders gut fanden sie es nicht, dass so jemand Unbedeutendes den ersten richtigen Versuch miterleben durfte.

„Das könnt ihr nicht machen!“ Die waren doch alle wahnsinnig geworden.

„Technisch ist es möglich, wir wissen nur nicht, was genau dabei passiert.“ Xenika schienen die möglichen Folgen nicht zu kümmern.

Sie würden ihn umbringen! Wer wusste, was bei diesem Austausch geschah, vielleicht starb er wirklich an einem Schock wegen diesen ganzen Gefühlen, die er gar nicht alle verarbeiten konnte. Hatten diese Verrückten denn Ahnung, was sie mit ihrer Neugier anstellen konnten?

Als Ayu sich über ihn beugte, ihm die Finger auf die Schläfe legte und Diu spürte, wie seine Gefühle buchstäblich aus ihm herausgerissen wurde, fing er trotz der Kraftlosigkeit heftig an zu zappeln, bis der blaue Katenha keine andere Lösung sah als ihn festzubinden, sonst hätten sie ihn irgendwann nicht mehr festhalten können. Oder er wäre auf den Boden gefallen und hätte sich verletzt.

„Hört auf“, schrie Diu ihnen in Gedanken immer wieder zu, doch sie schüttelten nur die Köpfe und sahen weiter zu, wie ihm dieser Stein mithilfe des grünen Katenhas das letzte Tröpfchen Emotion aus dem Körper stahl. „Hört doch endlich damit auf.“

„Nein, das müssen wir machen. Hättest du dich an die Vorschriften gehalten, müsstest du nicht leiden.“ Der blaue Katenha begann für Diu nicht erkennbare Buchstaben oder Ziffer auf einen heller leuchtenden Bereich des Blocks unter ihm zu malen und die Wärme, die die ganze Zeit durch ihn geflossen war und in mit der Zeit fast verbrannt hätte, änderte sich schlagartig ins Gegenteil. Es wurde eiskalt und schmerzte genauso wie die Wärme.

Und mit dem Temperaturumschwung folgte ein Überfluss an negativen Gefühlen, die alle gleichzeitig aus dem schwarzen Material in Dius Inneres eindringen wollten.

So etwas Schreckliches hatte er noch nie erlebt. Alle möglichen Emotionen wie Hass, Angst, Wut, Enttäuschung, Verzweiflung und Trauer stürmten in einem kaum auszuhaltenden Maß auf ihn ein und das einzige, was er tun konnte, war schreien. Vielleicht brachte er damit Ayu und Xenika dazu, ihn freizulassen, weil sie es nicht mehr mit anhören konnten.

Sie ignorierten einfach.

Selbst als ihm schlecht wurde und er sich übergeben musste und wieder anfing zu weinen, saßen sie tatenlos daneben und nahmen sein Leiden ungerührt zur Kenntnis. Für sie bedeutete es nichts. Sie kannten schließlich kein Mitgefühl.

„Ich glaube, das reicht erstmal“, entschied der Blaue nach, wie es Diu schien, einer Ewigkeit, tippte auf dem Eingabefeld herum und der Strom an Gefühlen versiegte. „Scheint so, als verträgt er es nicht. Dann müssen wir wohl weiter forschen, etwas verändern und es ihn noch einmal ausprobieren lassen.“

„Vergesst es“, schluchzte Diu leise vor sich hin, „lieber bring ich mich um.“

„Selbstmord ist keine Lösung, so etwas tun Katenha nicht.“ Ayu schüttelte über diese sinnlose Aussage den Kopf, für ihn machte das keinen Sinn. Katenha lebten sowieso nicht besonders lange, man musste es also nicht noch absichtlich verkürzen.

„Ist mir doch egal, ich bin kein richtiger Katenha, außerdem seid ihr mich dann los!“ Ein Problem weniger auf der Welt – beziehungsweise im Universum – für sie.

„Wir müssen wirklich etwas ändern; Selbstmordgedanken nach der Anwendung können wir uns nicht leisten. Zum Schluss sind alle unsere Testpersonen suizidgefährdet, das ist nicht der Sinn der Sache.“

„Vielleicht sind es auch die Nebenwirkungen von Gefühlen insgesamt“, überlegte der Grüne angestrengt. „Falls das der Fall ist, sollten wir eine Sitzung einberufen, ob das Projekt überhaupt gut für uns ist, sonst lassen wir es bleiben, auch wenn wir jahrelang umsonst alles aufgebaut haben.“

„Aber die Menschen leben doch auch, ohne sich sofort umzubringen, da stimmt nur etwas mit der Dossierung nicht oder der Kleine reagiert allergisch darauf.“

„Aber wenn noch andere von uns eine Allergie dagegen haben, müssten wir erst Tests durchführen, wer geeignet ist, Gefühle zu bekommen und dann gibt es Benachteiligungen.“

Wollten sie ihn nicht vielleicht losbinden, statt sich zu unterhalten, aus welchem Grund er die Behandlung nicht überleben wollte und was aus den Katenha wurde, die von dem Vorgang hier verschont blieben? Die zwei hatten nicht einmal Ahnung von dem, was sie gerade getan hatten.

Nach einigen Minuten erfolgloser Debatte über mögliche Ursachen und darauffolgende Schwierigkeiten kamen die zwei Katenha zu der Einsicht, dass sie das mit den anderen besprechen musste, am besten sofort. Während der blaue Katenha Diu anzog, putzte der andere den Block und den Boden um ihn herum und zu zwei brachten sie ihr Versuchskaninchen in den Hauptraum, in dem sich die Katenha dann aufhielten, wenn sie nicht gerade mit Experimenten oder Rundgängen beschäftigt waren.

Im Moment hielten sich nicht besonders viele auf, weil sie durch die Endphase des Projekts viel zu arbeiten hatten, aber nachdem Ayu Muka über ihren Versuch und von Dius eindeutig nicht planmäßige Reaktion darauf informiert hatte, entschied sich Muka, alle anderen aus den Weiten des Gebäudes zusammen zu rufen, damit sie ihre Beratung abhalten konnten.

Diu bekam davon nichts mehr mit, er war schon auf halbem Weg zum Zielort ohnmächtig geworden und hoffte einfach nur, dass man ihn nie wieder aufweckte.

Den Grund für sein Verhalten würde er ihnen nicht verraten, sonst half er ihnen vielleicht noch bei ihrem Projekt.

Aussprache

Ein leises, aber durchdringendes Schreien riss Raven brutal aus seinen Gedanken, ließ ihn gegen seinen Willen zusammenzucken und aufspringen. Das war Diu, das wusste er einfach, obwohl er an diesem Laut der Angst nichts Genaues feststellen konnte, außer dass der Verursacher des Lärms mit Sicherheit ziemlich gequält wurde.

Auch die anderen Jugendlichen hatten mitbekommen, was sich weit weg von ihnen abspielte – zumindest dachte sich jeder seinen Teil dazu – und schauten sich erschrocken an. Die einzige Grund, weshalb sie es hier noch hörten, konnte nur sein, dass zum ersten Mal ein Katenha an einem Experiment als Versuchs'person' beteiligt gewesen war und es anscheinend nicht positiv auf es wirkte, ganz im Gegenteil.

„Sind die jetzt völlig bescheuert?“, murmelte Jevo vor sich hin, dem die Außerirdischen mit ihren sinnlosen Tätigkeiten nur noch auf den Geist gingen. „Reicht es nicht, dass wir da durch müssen? Wollen die jetzt auch noch an sich irgendwelchen kranken Tests ausprobieren?“ Langsam aber sicher fühlte er sich hier wie in einem überdimensionalen, intergalaktischen Irrenhaus ohne eine Chance, von dort fortzukommen. Und wenn sich die Viecher zusätzlich unabsichtlich gegenseitig umbrachten, waren sie so gut wie verloren.

„Die spinnen alle“, fluchte Ninia vor sich hin und versuchte Jassin zu beruhigen, der auf bestimmte Dinge anders reagierte als eigentlich von normalen Jungs in seinem Alter erwartet und von der momentanen Situation ziemlich überfordert schien. Sicher irgendein psychisches Problem, um das sich mal jemand kümmern sollte; der Junge sollte an so einem Ort gar nicht sein, aber die Katenha fanden es wohl interessant, gerade solche Leute abzuchecken. „Und ich dachte, Menschen hätten einen Dachschaden, aber die sind noch viel schlimmer!“

Bei Raven brannten währenddessen von Sekunde zu Sekunde mehr die Sicherungen durch, bis er es nicht mehr aushielt, untätig im Raum zu stehen und zu lauschen, wie Diu sich immer mehr hineinsteigerte, sodass sich Sejena die Hände auf die Ohren drückte – was natürlich nichts brachte bei telepathischen Geräuschen –, und auf den Flur stürmte. Die Rufe von Virila, die ihn wohl zurückhalten sollten, ignorierte er eiskalt, im Moment zählte für ihn nur Diu zu finden und sich an den Katenha zu rächen, weil sie ihm körperlich oder geistig, sie waren zu allem in der Lage, weh taten.

Ohne wirkliche Ahnung, in welche Richtung er sich wenden sollte, rannte Raven die Gänge entlang und riss zwischendrin immer wieder Türen auf, um sich zu vergewissern, dass sich nicht dahinter die Quelle des Unheils befand und er Diu verfehlte. Genau orten konnte er dessen inzwischen leiser werdendes Jammern leider nicht, aber vielleicht begegnete ihm einer der Katenha, den er dazu zwingen würde, ihn zu Diu zu bringen. Wie er das anstellte, war Raven völlig egal, Hauptsache er unternahm irgendwas.

Als er schließlich gar nichts mehr hörte, bekam er plötzlich schreckliche Angst. Was, wenn Diu die Aktion der anderen Katenha nicht überlebt hatte? Wenn er noch ein zweites Mal von ihnen gequält wurde? Wenn Raven zu spät kam, um ihn davor zu retten und somit schuld an Dius Tod war?

Hastig verscheuchte Raven diese unschönen Überlegungen soweit es sein momentaner Zustand zuließ und befasste sich lieber weiter damit, seine Umgebung zu zerlegen, jedenfalls ging er nicht sehr sorgsam mit den Türen um. Doch das Ausbleiben eines Erfolgs machte ihn wahnsinnig, er wollte zu Diu und sonst nichts. Wieso zeigte sich nicht endlich einer dieser bunten Pappnasen? Vorhin hatten sie keinen benötigt und nun tauchte keiner auf, was sollte das? Machten die das absichtlich, um ihn an den Rand der Verzweiflung zu treiben?

Nach einer halben Ewigkeit, wie es Raven schien, erreichte er einen der Laborräume, der allerdings leer war, was ihn trotzdem sicher machte, auf dem richtigen Weg zu sein, auch ohne Hilfe eines lebendigen Wegweisers. Hoffentlich war er wirklich nicht zu spät, sonst würde er komplett durchdrehen, da bestand kein Zweifel. Die letzten Stunden hatten ihn dermaßen angespannt, dass er auf irgendeine Weise davon loskommen musste. Außerdem schrie ihm sein überforderter Verstand zu, seine Aufsichtspflicht und die Verantwortung nicht ernst genug genommen zu haben, was eigentlich ziemlicher Unsinn war. Was hätte er gegen die Trennung von Diu unternehmen sollen? Zaubern gehörte nicht zu seinen Fähigkeiten und selbst ein Raven konnte nicht Unmögliches vollbringen.

Das vermutete er allerdings inzwischen bei den Katenhas.

Mit vor Panik zitternden Händen schaffte sich Raven weiter Zugang zu den anderen Räumen in diesem Bereich, bis er schließlich am Ziel stand. Entgegen seiner Vermutung stand die Tür offen und er hatten direkten Blick auf eine große Ansammlung Katenha, die wild miteinander diskutieren zu schien.

Und einsam und allein lag an einer Wandseite auf dem Boden Diu, der sich nicht bewegte und von dem Raven kein Zeichen auffing, dass er noch lebte. Die Katenha um ihn herum störte das nicht, sie beschäftigten sich mit ihren eigenen Problemen, zu denen Diu nicht mehr gehörten zu schien.

Das hier war alles nur ein schrecklicher Alptraum, in dem er ausversehen hineingeschlittert war, so kam es Raven immer mehr vor und das wollte er sich auch bald einreden. Vielleicht wachte er gleich allein in seinem Apartment auf und hielt sich selbst für bescheuert, so einen Quatsch für real gehalten zu haben. Nichts hier durfte wahr sein, weder dieses rote abstrakte Gebäude noch dessen Bewohner.

Am besten er selbst auch nicht, dann hätte der Spuk ein Ende.

Leider änderte sich die Wirklichkeit kein Stückchen, die Katenha hatten ihn immer noch nicht wahr genommen und Diu war auch nicht plötzlich aufgestanden.

Mit einer Mischung aus Angst vor der Wahrheit und der bekannten Anspannung trat Raven vorsichtig durch die Tür, er wartete, dass jemand ihn daran hinderte, doch ohne Verzögerung durchquerte der den Raum, ließ sich neben Diu auf die Knie sinken und fasste ihm zögernd an die Wange. Sie fühlte sich nicht besonders lebendig an, hatte wieder diesen ungesunden, hellgrünen Hautton, genau den Gleichen wie im Zeitraum, als Diu krank bei Raven im Bett gelegen hatte. Bedeutet das nun etwas Gutes oder Schlechtes?

„He, was machst du hier?“ Endlich richtete sich die Aufmerksamkeit eines gelben Katenhas – hatte hier jeder seine eigene Farbe? – auf ihn, wodurch auch der Rest zu ihm hinüberblickten.

Muka hielt sich wieder als einer der Hauptverantwortlichen für Ordnung unter seinen Artgenossen und ging auf Raven zu, um sich einen genauen Plan der Situation zu machen, doch der Junge befürchtete, erneut von Diu getrennt zu werden, zog diesen an sich und rutschte hastig von Muka weg. Noch einmal ließ er sich nicht einfach entfernen, beschloss Raven, und funkelte den Katenha, der ihm nun gegenüberstand, so bedrohlich wie er konnte an. Hoffentlich bemerkte es nicht, wie schlecht es ihm eigentlich wegen der Sorge um Diu ging, er musste so selbstsicher wie möglich erscheinen, das klappte sonst auch immer.

Wenn man die Leute nur böse genug ansah, machten sie bald von allein die Fliege.

War er dumm im Kopf oder wieso glaubte er, diese billige Methode funktionierte bei einem Wesen ohne vorhandene Gefühle? Es verstand die Botschaft doch gar nicht.

„Wenn du ihn nicht bald loslässt, erdrückst du ihn“, erklärte Muka Raven sachlich. „Das willst du bestimmt nicht, aber Katenha und auch Halbkatenha sind nicht unsterblich. Obwohl wir nichts dagegen hätten, genau wie jedes Lebewesen, das nicht für immer existiert.“

„Halt die Klappe“, fauchte Raven ihn an – schlechte Formulierung für jemanden, der wahrscheinlich gar keine Stimmbänder besaß und somit auch nicht den Mund zum Sprechen öffnete – und hoffte, dass Muka wirklich sein bedeutungsloses Gefasel einstellte. Philosophische Gedanken gehörten nun nicht hierher. „Diu ist entweder schon tot oder er wird es bald sein.“ Er vielleicht auch, aber das störte ihm gerade überhaupt nicht. Hier kam er sowieso nicht lebend heraus, damit hatte er in den letzten Minuten abgeschlossen. „Und ihr seid daran Schuld!“ Seine Arme schlangen sich noch fester um Dius Oberkörper, um sich Sicherheit einzubilden, die es nicht gab. Mukas Hinweis überhörte er komplett.

„Menschen und ihre Anschuldigungen.“ Völlig unberührt betrachtete Muka den Eindringling kritisch. „Falls du es nicht weißt: Diu lebt, er ist nur ohnmächtig. Und umbringen werden wir ihn auch nicht. Zwar ist es inakzeptabel von ihm gewesen, hier her zurückzukommen, aber im Gegensatz zu Menschen können wir unsere Konflikte ohne Tote lösen.“

„Super Konfliktlösung, gar nicht gewalttätig. Was habt ihr mit ihm gemacht, verdammt?“ Äußerlich erkannte er keine Spuren von Verletzung oder ähnlichem, aber den Schreien nach zu urteilen musste Diu ziemlich gelitten haben. Und daran waren eindeutig diese gefühlsgestörten Wissenschaftler schuld, da gab es für Raven keinen Zweifel.

„Wir haben an ihm etwas ausprobiert, aber irgendetwas hat wohl nicht gestimmt, deswegen hat er es gar nicht gut vertragen.“

„Geht es noch etwas ungenauer? Jetzt sag endlich, was ihr mit ihm gemacht habt!“ Das war doch reine Absicht, ihm so wenige Informationen zukommen zu lassen.

„Wir haben die gesammelten Emotionen auf ihn übertragen, aber entweder waren es zu viele auf einmal oder wir Katenha sind wirklich nicht dafür gemacht, mit ihnen klarzukommen.“ Wenn das zuträfe, wäre das ein herber Schlag für das ganze Forschungszentrum, das wussten Muka und Raven, auch ohne es zusätzlich zu erwähnen.

„Wahrscheinlich beides, dann hätten wir endlich Ruhe vor euch und eurem Wahn, uns die Gefühle zu stehlen und sie für euch zu verwenden.“ Der Plan klang immer noch völlig idiotisch in seinen Ohren, obwohl er tatsächlich das Ziel der Katenha war. „Ihr könnt ja langsam anfangen, die Leute zurück nach Hause zu bringen, wenn ihr allergisch auf uns reagiert.“

„Kommt nicht in Frage, erst wird genau erforscht, aus welchem Grund er plötzlich diese Selbstmordgedanken hatte.“

„Was?“ Spätestens nun verflog Ravens erzwungene Geduld für das Gespräch mit Muka und er verlor die Beherrschung. „Wegen euch steht er kurz davor, sich umzubringen? Sag mal, habt ihr überhaupt eine Ahnung, wie krank das Ganze hier wird? Tickt ihr noch ganz richtig? Ihr entführt wahllos Menschen, sperrt sie auf dem Mond ein, stehlt ihnen die Gefühle und setzt sie ohne Erfahrung von den Auswirkungen einem von euch ein! Ihr seid doch bescheuert, ihr verdient gar keine Gefühle!“ Hätte er nicht Diu festgehalten, wäre er auf den Katenha losgegangen, der ruhig Ravens Ausbruch zur Kenntnis nahm und wartete, dass dieser sich wieder beruhigte, damit er mit ihm in normalem Ton reden konnte.

„Eigentlich ist es fast schon... hm, lustig oder wie ihr es nennt, dass ein Mensch uns belehren will, wie man am besten mit anderen umgeht. Wir haben euch lange genug beobachtete, um zu sagen, dass ihr für uns keine Vorbildqualitäten habt. Zumindest ein großer Teil von euch, der sich eindeutig nicht an eure Moralvorstellungen oder auf was auch immer ihr so stolz seid hält.“

„Das ist gar nicht lustig.“ Als ob Muka wusste, was lustig überhaupt bedeutete. Bestimmt hatte er das Wort irgendwo aufgeschnappt und benutzte es, ohne die Bedeutung zu kennen, allerdings war das momentan völlig irrelevant. Das Vieh hatte mehr als eine Schraube locker, obwohl es mit seinem Seitenhieb auf das Verhalten der heutigen Gesellschaft Recht hatte.

Menschen waren nicht perfekt, das war klar, er selbst könnte als lebender Beweis durchgehen, aber er gehörte nicht zu der Sorte, die aus sinnlosen Gründen Leute quälte und mit unsinnigen Vergleichen sein Handeln verteidigte.

Diu bewegte sich plötzlich leicht in seinen Armen und Raven richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf seinen kleinen Schützling, der möglicherweise durch die laute 'Unterhaltung' zwischen Raven und Muka aus seiner Bewusstlosigkeit gezerrt worden war, allerdings hielt er die Augen weiterhin geschlossen.

Erleichtert atmete Raven aus, Muka hatte endlich einmal recht gehabt und seine Sorgen lösten sich zu einem kleinen Teil in Luft auf. Natürlich könnte es sich als Einbildung herausstellen, aber als Diu vorsichtig seinen Kopf gegen Ravens Brust drückte, wusste er, dass er ihm nur noch etwas Erholungszeit geben musste, bis er wieder vollkommen da war.

Die Katenha im Raum hatten ihnen die ganze Zeit ausdruckslos zugesehen und -gehört, doch Muka wies ihnen nun an, zurück auf ihre Posten zu gehen. Irgendetwas plante er, was sie nicht miterleben sollten.

Misstrauisch wegen des Übergriffs vorhin bereitete sich Raven vor, Muka im schlimmsten Fall eins auf die – imaginäre – Mütze zu geben, aber es schien gerade keine Lust zu haben, Raven ein weiteres Mal zu bedrängen, sondern stupste Diu an, damit dieser aufwachte.

„Lass ihn“, zischte Raven und schlug Mukas Finger von Dius Seite weg, „du bist selbst dran schuld, dass er in diesem Zustand ist, also hat er auch das Recht, sich erst auszuruhen, bevor du neue, verrückte Sachen mit ihm machen willst.“ Was Raven garantiert nicht zulassen würde.

„Ich möchte aber von ihm wissen, warum er so darauf reagiert hat. Vielleicht dürft ihr dann auch früher gehen, du und die anderen Menschen.“ Erpressungsmethoden kannte Muka, die gab es sogar bei den Katenha. „Dafür muss Diu nur wach sein und mit mir zu sprechen.“

Wenig begeistert ließ Raven zu, dass Diu auf diese Art in die Wirklichkeit zurückgeholt wurde, achtete allerdings auch auf jede Bewegung von Muka. Nicht, dass es irgendetwas anstellte, was sich nachteilig auf Diu auswirkte.

Über den Weg traute Raven dem Katenha nämlich ganz und gar nicht, selbst wenn es so aussah. Was blieb ihm auch anderes übrig, um schnell zu zeigen, dass das Projekt – um es drastisch auszudrücken – für die Katz war und alle beteiligten schnellstmöglich dorthin gehörten, wo sie herkam, egal ob von der Erde oder aus den letzten Ecken des Weltalls. Nur so erfüllte er seine Pflicht Noevy und Jevo gegenüber, weswegen er überhaupt hergekommen war; und zusätzlich noch für Diu, den er nun auch nicht mehr hängen lassen wollte.

Irgendwie verhielt er sich seit neustem sehr seltsam, bemerkte Raven.

Lösung

„Wo bin ich?“, fragte Diu verwirrt, nachdem er vorsichtig die Augen geöffnet hatte und nichts sah, weil sie Gesicht immer noch in Ravens T-Shirt vergraben war.

„Leider noch bei deinen Fans, aber vielleicht nicht mehr lange“, meinte Raven und löste die Umarmung, damit Diu sich nun frei bewegen konnte, falls er es wollte. „Wenn du ihnen nämlich erklärst, dass ihre dummen Versuche sinnlos sind, lassen sie uns sicher in Ruhe.“

„Hör auf, ihn zu beeinflussen, sonst müssen wir den ganzen Vorgang wiederholen, um herauszufinden, was tatsächlich passiert ist“, schaltete sich der Katenha ein.

„Nein, bitte nicht noch einmal, das bringt nichts!“ Zweimal durften sie nicht den gleichen Fehler begehen, entschloss Diu. „Es waren nur negative Gefühle dabei, kein einzig positives, damit schadet ihr euch nur selbst und habt am Ende gar nichts davon, außer vielleicht noch mehr Probleme als vorher.“

„Dann könnt ihr es gleich vergessen. Mit ständig schlechten Gefühlen will man gar nicht mehr wirklich leben, auch ihr nicht.“ Wenn sie das nicht kapierten, war ihnen auch nicht mehr zu helfen. Andererseits, ein paar Katenha weniger im Weltall schadeten der Menschheit sicher nicht, ohne sie gäbe es immerhin diese überflüssigen Entführungsfälle nicht.

„Dann brauchen wir also positive Gefühle von euch“, begann Muka seine neuen Überlegungen, schloss kurz die lilafarbenen Augen und wippte von einem auf den anderen Fuß. „Sonst können wir nicht lange leben, richtig?“

„Zumindest ist das bei Menschen so. Aber ihr könnt auch komplett ohne Gefühle überleben, das tut ihr doch schon seit Jahrhunderten und länger.“ Die benahmen sich schon fast so wie Menschen, stellte Raven kopfschüttelnd fest, die wollten auch immer das besitzen, was anderen hatten, obwohl sie es vorher nie benötigt hatten und auch ohne es sehr gut auskamen; völlig sinnlos.

„Das wollen wir aber nicht mehr. Wahrscheinlich hatten wir vor Jahren noch welche, allerdings sind sie aus ungeklärten Gründen verloren gegangen und das merken wir. Zwar nicht besonders stark und nicht immer, aber wir wissen einfach, dass in uns etwas fehlt.“ Einen Moment hielt Muka inne, bevor es versuchte, für Raven und Diu verständlich zu machen, was es selbst kaum in Worte fassen konnte. „Es fühlt sich sozusagen leer an. Es ist das Gefühl, kein Gefühl zu haben, nehm ich mal an.“

„Ich glaub, ich hab es verstanden“, unterbrach Raven die seltsamen Beispiele des Katenhas. „Du willst also, dass wir dir helfen, dieses ... Loch oder wie auch immer man es bezeichnet in dir zu füllen, stimmts? Dafür brauchst du positive Gefühle, die aber leider aus irgendeinem Grund nicht zur Verfügung stehen.“

Muka nickte knapp und wartete auf die Reaktion, die nun erfolgen würde.

„Wie habt ihr sie bei jetzt von den anderen geholt?“ Ohne genaue Kenntnisse der Mittel würde Raven keine Anhaltspunkte finden, wieso der ganze Vorgang kurz vor der Vollendung gescheitert war. Und Muka als selbsternannter Leiter musste sicher Ahnung haben, wie die Experimente hier abliefen, immerhin ging ohne gute Organisation bei einem so großen 'Betrieb' alles drunter und drüber. Wenn jeder wusste, was zu tun war, verminderte man das Risiko von unbezwingbarem Chaos.

„Wir haben immer einzeln Menschen in ein Labor gebracht – meistens zu Ayu und Xenika –, sie auf die schwarzen Steine, unsere Absaugungshilfen, gelegt, ihnen die am meisten verfügbaren Emotionen genommen und diese dann gespeichert. Aber irgendetwas haben wir wohl nicht genau bedacht.“

„Habt ihr überhaupt um Erlaubnis gefragt, ob ihr das bei ihnen machen dürft?“, erkundigte sich Diu schwach, der weiter auf Ravens Schoß hing, die Augen geschlossen hielt und Ravens wohltuende Nähe auf sich wirken ließ, um sich von den schrecklichen Erlebnissen abzulenken. Natürlich erwartete er nicht, dass die Katenha wirklich an solche Dinge dachten, aber vielleicht hing das eine mit dem andere zusammen.

„Warum denn?“ Mit dieser Frage schien Muka nicht gerechnet zu haben, jedenfalls verriet das sein fragender Ton.

„Weil man das bei uns macht! Ich dachte, ihr hättet euch vorher erst mal informiert, was man bei Menschen machen kann und was nicht.“ Für so viel Unwissen hätte Raven den Katenha am liebsten eine Kopfnuss gegeben, wenn Diu nicht seine Beine blockiert hätte, deswegen beließ er es bei einem genervten Seufzen. Eigentlich hätte klar sein müssen, dass Muka wohl kaum seine Gefangenen nett um eine Erlaubnis bat, sie für seine Versuche benutzen zu dürfen, aber nun war für Raven die Angelegenheit ziemlich deutlich. „Ihr seid doch wirklich Idioten. Kein Mensch freut sich, wenn man ihm gegen seinen Willen etwas wegnimmt, selbst wenn es nur ein Bleistift ist.“ Kannten die solche simplen Dinge überhaupt? Naja, egal, brauchte ihn nicht zu interessieren. „Also empfinden sie dabei hundertprozentig nichts Gutes, was sie an euch weiterleiten könnten.“

„Das heißt, wir können nur positive Gefühle erhalten, wenn die Menschen einverstanden sind, sie uns zu geben?“, dachte Muka logisch weiter.

„So sieht es aus, aber ich glaube nicht, dass sie euch jetzt noch freiwillig irgendetwas geben, nachdem ihr nicht unbedingt rücksichtsvoll zu ihnen wart.“ Damit dürfte sich das ganze Problem 'Emotionendiebstahl' endgültig erledigt haben. „Ihr könnt sie also endlich alle nach Hause schicken; uns übrigens auch.“ Zufrieden, dass die Geschichte nun geklärt war, hob Raven Diu von sich herunter, um Muka zu signalisieren, dass sie bereit waren, nach Hause zurück gebracht zu werden.

„Nein, das werden wir nicht tun.“

„Wieso denn nicht?“, brauste Raven sofort auf und funkelte den Katenha vor sich wütend an. „Was wollt ihr denn von uns? Keiner wird einverstanden sein, dir ihre Gefühle zu übertragen!“ Hatte Muka ihm nicht genau zugehört oder ignorierte es dies einfach, weil es das nicht einsehen wollte? Vielleicht war es auch einfach nur dümmer, als Raven bis jetzt angenommen hatte.

„Weil du mir helfen kannst.“ Der Katenha hockte sich vor Raven, hielt ihn an den Handgelenken fest, damit er nicht schnell das Weite suchte, und blickte ihm sehr intensiv in die Augen. „Du machst es freiwillig und dafür bringen wir alle Menschen, die sich hier befinden, auf die Erde zurück. Das wäre doch gerecht, oder?“ Fast hypnotisierend hing sein Blick an Ravens Gesicht, der sich nun sehr unwohl fühlte, sich allerdings nicht aus dem festen Griff befreien konnte, ohne sich dabei selbst zu verletzen.

Zusätzlich kreisten seine Gedanken um das Angebot, das ihm Muka soeben eröffnet hatte: Seine Gefühle gegen die Freiheit von mindestens 100 Menschen, sicher sogar mehr. Sollte er darauf eingehen? Auf die Weise beendete er endlich seine katastrophale Mission und brachte Noevy und Jevo nach Hause. Aber eigentlich wollte er auch gerne zurück in sein Appartement, sich in sein Bett legen, die Flasche Orangesaft im Kühlscharank leer trinken und einfach nur entspannen, bis er wieder in die Schule musste, da wusste er wenigstens, was auf ihn zukam. Bei Muka und den anderen Katenha war er nur in der Lage, wage Vermutungen aufzustellen, die nicht unbedingt seinem Geschmack entsprachen. Was sollte er also wählen? Die Ego- oder die Heldenvariante? Für oder gegen das Wohl seines Bruders?

„Ich hätte gerne noch heute eine Antwort von dir“, erinnerte ihn Muka nach einer halben Minute Warten, „sonst bleibt ihr am besten alle hier.“

„Na gut, ich mach es“, lenkte Raven schließlich ein; die Verantwortung hatte über die Bequemlichkeit und die Sehnsucht nach einem geregelten Alltag gesiegt. „Lass sie alle in Ruhe und dafür darfst du mit mir machen, was du willst.“ Vielleicht freuten sich seine Eltern dann wenigstens einmal über sein Handeln. Falls sie jemals mitbekamen, dass er der Auslöser für Jevos Rückkehr war, was er stark bezweifelte.

„Danke, Raven.“ Statt wie erwartet endlich von ihm abzulassen, beugte sich der Katenha ganz nah zu Raven hin und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Nur kurz, aber intensiv genug, sodass Raven erschrocken zurückzuckten und unwillig den Kopf wegdrehte. Die Attacke des Katenha hatten ihn doch etwas erschreckt, außerdem musste er sich erst einmal an das seltsame Gefühl von Mukas Lippen gewöhnen und die Tatsache, dass überhaupt jemand – oder in diesem Fall eher etwas – freiwillig ihn küsste, ohne mit 10 € bestochen worden zu sein.

„Was auch immer das sein sollte, frag vorher nach, wie oft denn noch?“ Irgendwie musste Raven dem Katenha klar machen, dass er trotz der Vereinbarung nicht zu einem Gegenstand degradiert worden war, an dem man nach Lust und Laune seine Interesse für körperlichen Kontakt ausleben durfte. „Wenn ich nicht mag, was du mit mir machst, hat das Auswirkungen auf meine Gefühle und mit etwas Pech bekommst du eine Ladung ab, die dir nicht gefallen wird.“ Damit meinte er außerdem noch seine durchaus gewaltbereit Seite, falls er hier möglicherweise als Sexobjekt für alle herhalten sollte.

„Reg dich doch nicht gleich so auf, es ist nicht viel passiert.“ Mukas Lippen strichen über Ravens Wange. „Und es ist auch ohne sie schon wirklich gut, viel besser als ich es mir vorgestellt habe.“

Raven musste gegen den Impuls ankämpfen, sich ein weiteres mal von Mukas Berührungen zu entfernen, weil er das bis jetzt immer so getan hatte und sich durch die Nähe anderer extrem eingeengt gefühlt hatte, aber Versprechen war Versprechen und solange es bei solchen harmlosen Tätigkeiten blieb, konnte er es ihn einem bestimmten Rahmen ertragen.

Ein wenig schockiert saß Diu neben Ravens Knie und beobachtete, wie Muka fast schon wie besessen das Gesicht seines neuen, persönlichen Testkandidaten erkundete und ihn mit leichter Gewalt nach hinten drückte, sodass Raven schließlich eingekeilt zwischen Muka und dem Boden lag und sich nicht in eine gemütliche Position bewegen konnte.

„Reicht das nicht? Das kannst du in nächster Zeit noch öfter bei ihm machen.“ Eigentlich störte es Diu ziemlich, was Muka vor seiner Nase mit Raven veranstaltete, aber da dieser sich auch zu solchen Spielchen bereit erklärt hatte, lag es nicht im Machtbereich des Halbkatenha, etwas daran zu ändern, egal wie sehr es ihm gegen den Strich ging.

Wiederwillig löste sich Muka von Raven, half ihm auf und schien kurz nicht sicher zu sein, was es als nächstes in Angriff nehmen sollte, entschied sich dann aber dafür, ihn in eins der Labore zu bringen. Diu folgte ihn natürlich, um Raven nicht im Stich zu lassen. Misstrauisch waren sie nämlich beide noch gegenüber dem Katenha, durften es allerdings nicht zu offen zeigen.

„Heute fangen wir erst ganz einfach an“, erklärte Muka, nachdem sie den Raum mit dem schwarzen Stein in der Mitte betreten hatten. „Immerhin muss ich überprüfen, ob du überhaupt dafür geeignet bist, sonst können wir das Ganze schnell wieder vergessen.“

Die Neuigkeit beunruhigte Raven doch ein wenig, denn zu den Personen mit einer besonders ausgeprägten Gefühlswelt zählte er sich wirklich nicht, hoffentlich genügten die kümmerlichen Ansätze, mit denen er sich nicht sehr erfolgreich durchs Leben schlug.

„Wehe, du machst irgendetwas, was mir schadet, dann kannst du was erleben“, versuchte Raven zu drohen, bevor er sich auf die Kante des Blocks setzte und angespannt zusah, wie Diu sich zu ihm hockte und ihm vorsichtig eine Hand auf den Unterarm legte; sicher zur geistigen Unterstützung, falls es so schrecklich wie vorhin bei ihm selbst werden würde.

„Eigentlich müsste du dich ausziehen, damit der Steins eine Wirkung besser auf dich entfalten kann“, sagte Muka ihm als Hinweis. „Auch wenn es etwas warm für dich werden wird.“

„Menschen ziehen sich ungern vor anderen aus“, zählte Raven ihm einen weiteren Fehler in ihrer Vorgehensweise auf. „Wahrscheinlich waren deshalb die negativen Gefühle so stark, weil alle deswegen doppelt so viel Angst vor euch gehabt haben.“ Seine Kleidung ließ er definitiv an, da konnte sich es auf den Kopf stellen und das Alphabet rückwärts aufsagen, für heute musste es sich mit einem angezogenen Jungen zufrieden geben.

„Da hat wohl einer von uns schlecht recherchiert“, erklärte Muka das Missverständnis. „Lass sie halt an, wenn du meinst, dass du uns dadurch besser hilfst.“ Schulterzuckend kletterte es zu den beiden auf den dunklen Klotz, platzierte sich in dessen Mitte und forderte Raven auf, ihm direkt in die Augen zu sehen. „Es könnte jetzt etwas seltsam für dich werden, aber versuch trotzdem nicht, dich zu wehren, negative Emotionen machen nur unsere Experimente kaputt. Und vielleicht auch unseren Vertrag untereinander.“ Seine Hände legten sich an Ravens Schläfen, drückten leicht zu und es konzentrierte sich auf das, was es noch nicht oft selbst versuch hatte, aber Ayu hatte einmal gemeint, jeder Idiot bekäme das auf die Reihe, also brauchte sich Muka keine allzu großen Sorgen deswegen zu machen.

Nervös krallte Raven seine Finger in sein Oberteil und richtete seine Gedanken einfach nur auf Mukas Hände an seinem Gesicht, doch das unangenehme Ziehen in seinem Inneren und die ständig steigende Wärme ließen die Aktion nicht gerade weltklasse werden, auch wenn Diu ihm netterweise einen leichten Strom Energie gab, um ihn auf seine Art zu unterstützen.

„Das gibt es doch gar nicht, da kommt kaum etwas aus dir heraus“, meinte Muka nach einiger Zeit und verstärkte den Druck. „Liegt das an dir oder an mir?“

„Bestimmt an mir“, brummte Raven leise vor sich hin, „bei mir gibt es nicht viel zu holen, zumindest habe ich es selbst noch nicht entdeckt. Vielleicht klappt das bei euch Katenha besser.“

„Um es genau zu sagen, du gehörst zu denen, die wir eigentlich sofort nach Hause schicken, weil sie einfach ungeeignet sind. Aber weil wir auf die Schnelle niemand anderen auftreiben werden, müssen wir versuchen, aus dir das Beste zu machen. Natürlich solltest du dabei helfen, allein werde ich das sonst nicht schaffen“, warnte ihn Muka gleich vor und begann seine Vorgaben noch einmal von vorne, dieses Mal mit noch mehr Nachdruck und Willenskraft. Raven probierte sein Mögliches, um ihn nicht allein dastehen zu lassen, und Diu legte seine Arme von hinten um Raven, damit er mit etwas Glück wenigstens irgendetwas in ihm wachrufen konnte; zusätzlich erweiterte er die Energie, sodass er bald müde gegen Ravens Rücken sank. Trotzdem ließ er nicht locker.

Bei Muka gingen ebenfalls langsam die Kräfte aus, was für einen Katenha fast schon an eine Niederlage grenzte, aber Aufgeben wollte er auf keinen Fall, das wäre ja noch schöner.

Ohne Vorwarnung drängte er sich es sich auf Ravens Schoß – dabei achtete es natürlich, dass seine Füße weiterhin den Stein berührten – und küsste ihn wieder, dieses Mal allerdings fordernder, um dadurch Ravens Gefühle zu provozieren, an die Oberfläche zu kommen.

Durch den kleinen Schock, den Raven erlitt, als er plötzlich Mukas Zunge in seinem Mund wiederfand, die sich gar nicht mehr von ihm trennen wollte, und die anhaltende Absaugungskraft des Steins gelang es dem Katenha tatsächlich, die gut versteckten Emotionen freizusetzen, was den Besitzer von diesen restlos überforderte, weil er so eine Intensität von unterschiedlichen Stimmungen noch nie zuvor gespürt hatte, sodass er bewusstlos in Mukas Arme kippte, nachdem dieses den Kuss vorzeitig abgebrochen hatte. Aber der ganze Aufwand hatte sich wirklich gelohnt, trotz der nicht unerheblichen Nebenwirkung auf Raven.

Fasziniert sog der Katenha die Vielfalt an Empfindungen in sich auf und strich dabei gedankenverloren über Ravens blondes Haar. Der erste Erfolg und es fühlte sich unglaublich an, warum hatten sie nicht die Möglichkeit, diese Gefühle immer zu erleben?

„Xenika, Ayu, bereitet die Trisets darauf vor, die Menschen zurück auf die Erde zu bringen, wir brauchen sie nicht mehr“, informierte er die zwei Katenha, die sonst für dieses Labor zuständig waren.

„Wenn du meinst.“ Natürlich fiel Ayu auf, dass Muka irgendwie anders klang als sonst, nicht so distanziert sondern fast schon... menschlich, aber er konnte es sich schon denken, dass das etwas mit den zwei Eindringlingen zu tun hatte, deswegen unterließ er genau wie Xenika überflüssige Fragen und begann, mit dessen Hilfe seinen soeben erhaltenen Auftrag auszuführen. Das würde bei der Anzahl der Menschen im Vergleich zu der der Trisets ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen.

Es dauerte mindestens eine Dreiviertelstunde, bevor Muka in der Lage war, wieder ganz klar zu denken, sich von der Versuchung der Gefühle zu lösen und Raven und Diu in das inzwischen leere Zimmer der Jugendlichen zu bringen – anscheinend hatten die zwei Katenha hier mit ihrem Auftrag begonnen –, damit sich die beiden von den Anstrengungen der letzten Stunden erholen konnten und morgen zu weiteren Versuchen bereit waren.

Muka freute sich schon darauf, Ravens Emotionen noch öfter spüren zu können.

Heimkehr

„Irgendetwas passiert hier“, murmelte Ninia vor sich hin, nachdem sich die allgemeine Hektik gelegt hatte. „Haben wir etwas verpasst oder drehen die jetzt wirklich alle ab?“

„Keine Ahnung“, antwortete Jevo ihm geistesabwesend; die Sorge um seinen Bruder stand im Moment für ihn im Vordergrund. Endlich hatten sie sich wiedergetroffen und schon war Raven wieder abgehauen, anscheinend kannte er denjenigen, der von den Katenha als Versuchsobjekt benutzt wurde. Die Frage war, woher? Es schien wohl ziemlich viel passiert zu sein, seitdem er von der Erde entführt worden war, denn sonst interessierte sich Raven nicht für andere Menschen.

Sejena, die bemerkt hatte, dass Jevo mit den Gedanken ganz woanders war, legte ihm vorsichtig einen Arm um die Schulter; auf der anderen Seite schmiegte sich Jassin schutzsuchend an sie und fürchtete, jede Sekunde mit einer weiteren Landung telepathischen Grauen überflutet zu werden. Noevy saß unschlüssig an Jassin gelehnt und hoffte, dass Raven sich bald wieder bei ihnen zeigen würde. Was sollte er denn allein gegen die Katenha ausrichten? Das bekam er im Leben nicht hin.

Von der ungemütlichen Stimmung um sie herum ließ sich Fear nicht weiter stören, schließlich kannte sie denjenigen nicht, der außerdem verdächtig nach einem Mann geklungen hatte. Ein Grund mehr, entspannt auf einer Matratze zu liegen und Virila zu überzeugen, wie schön das Leben mit ihrer Mutter, ihren Tanten, Schwestern und den vielen anderen Frauen und Mädchen in der kleinen Reihenhaussiedlung am Stadtrand von Cellora war. Virila hörte es sich eigentlich nur an, um sich nicht weiter mit anderen unschönen Themen beschäftigen zu müssen.

„Wir lösen unsere Konflikte immer mit Worten, nie mit Gewalt, über wichtige Entscheidungen darf keiner allein bestimmen, meistens stimmen wir dann ab. Und wenn jemand von uns Probleme hat, reden wir darüber und helfen uns gegenseitig.“

So kannte Fear es und würde es auch nicht aufgeben, denn was brachte es, wenn sie unglücklich, von arroganten Männern unterdrückt, im lauten und ihrer Meinung nach hässlichen Stadtinneren wohnte? Vielleicht schaffte sie es tatsächlich, Virila dazu zu bringen, sich ihnen anzuschließen. Neue Mitglieder wurden gerne gesehen, vor allem wenn sie noch relativ jung waren.

„Und wie bekommt ihr Kinder?“, fragte Virila skeptisch. „Auf irgendeine Weise muss eure Frauenorganisation ja weiter existieren, ohne ständig neue Leute anzuwerben. Und das funktioniert sicher nicht durch Hoffen und Zaubersprüche aufsagen.“ Obwohl das eine sehr interessante Theorie wäre, die man nur noch beweisen müsste.

„Durch künstliche Befruchtung natürlich“, erklärt Fear ihr etwas erstaunt. „Was glaubst du denn? Keine von uns würde freiwillig mit einem Mann schlafen, zum Glück verlangt das auch niemand von uns. Wir leben ja gerade dort, um so wenig wie möglich mit Männern in Kontakt zu kommen.“ Ganz ließ es sich natürlich nicht vermeiden, wenn man ab und zu draußen spazieren oder einkaufen gehen wollte. „Du kennst doch unsere Grundsätze.“ Denn sonst wäre die schöne Idee, ohne Männer im Leben zurecht zu kommen, sinnlos und die Prinzipien der Gemeinschaft verletzt.

„Und was macht ihr, wenn das Kind ein Junge wird?“ Hoffentlich ließen sie es dann nicht einfach abtreiben, das könnte Virila nicht akzeptieren, schließlich konnte das Kind nichts dafür, dass seine Mutter ein Problem mit allen Männern der Welt hatte.

„Dann suchen wir eine Pflegefamilie, bei uns kann es nicht bleiben.“ Fear rollte sich auf die Seite und betrachtete eingehend Virila, um deren Reaktion auf die Informationen über ihr normales Leben zu sehen. „Klingt doch viel besser als bei euch, stimmts?“

„Naja...“ Es gab auf beiden Sachen, die man positiv oder negativ bewerten konnte. Zwar fand Virila es wirklich ein wenig übertrieben, alle männlichen Wesen des ganzen Universums zu verteufeln, andererseits versuchte Fears Gemeinschaft nur, die Frauen selbstständiger werden zu lassen ohne jemanden, der sich dadurch vielleicht gestört fühlen könnte. Manche Menschen lebten leider noch im Mittelalter und behaupteten, Frauen gehörten in die Küche und nicht ins Berufsleben. „Man kann es unterschiedlich sehen.“

Für sie klang es unverständlich, Kinder wegen ihres Geschlechts auszuschließen, aber war man in 'ihrer' Welt besser? Dort wurde man wegen anderen Dingen ausgegrenzt und das nicht einmal, weil man eine Gefahr in ihnen sah, sondern einfach nur so. Aus dem nichtssagenden Argument, weil sie anders waren.

„Vielleicht merkst du ja irgendwann, dass es dir bei uns gefallen könnte. Du darfst jederzeit vorbei kommen.“ Dass Fear sich innerlich schon darauf eingestellt hatte, sie später einmal zu heiraten, wusste Virila schon und es schreckte sie ein wenig ab. Nicht, weil sie Fear nicht mochte – wenn man sich näher mit ihr beschäftigte, wirkte sie fast genauso wie die anderen –, sondern weil sie sich nicht vorstellen konnte, mit einer Frau zusammen zu leben. Und natürlich auch ihr Kind aus für sie irrelevanten Gründen wegzugeben, das passte nicht in ihre Weltanschauung. Dann lieber gar keinen Nachwuchs bekommen.

„Kann ich machen, wenn du willst.“ Natürlich würde sie Fear besuchen, sie hatte sich in den letzten Wochen so sehr an ihre Anwesenheit gewöhnt, dass es wohl eine Zeit lang dauern würde, bis sie es realisierte, nicht mehr mit ihr unter einem Dach zu wohnen; außerdem wäre Fear sicher sehr geknickt, wenn sie sich nicht mehr bei ihr meldete und daran wollte Virila auf keinen Fall schuld sein.

„Ich glaub, die Verrückten haben aufgehört“, mutmaßte Turil, als nach zehn Minuten kein weiteres verdächtiges Geräusch zu ihnen durchgedrungen war. „Bei denen muss man wirklich mit allem rechnen. Irgendwann versuchen sie, die Weltherrschaft zu erlangen, wartet es ab.“

„Da hat wer zu viel Fernsehen geguckt“, lästerte Muri leise vor sich hin. „Alienangriff auf die Erde, was wollen die denn bitte bei uns? Da gibt es nichts zu holen, außer sie finden dich so toll, dass sie dich mitnehmen und in einer Glasvitrine ausstellen.“

„Hört doch auf, das ist totaler Quatsch“, schaltete sich Ninia ein und versuchte, nicht allzu gereizt zu klingen. Erst der telepathische Terror, nun der auf normalem Weg. Fanden die beiden das lustig oder bekamen sie dafür Geld, sich ständig mit Beleidigungen zu bombardieren? Ein weiterer Punkt, weshalb er sich immer mehr wünschte, bald nach Hause zu kommen. Einzeln waren Muri und Turil kein Problem, aber im Doppelpack gehörten sie verboten, das hielt kein normaler Mensch aus.

„Das weißt du erst, wenn es so weit ist.“ Sejena hielt Jevo immer noch im Arm und wusste nicht so genau, was sie noch tun sollte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. „Stell dir vor, du behauptest das jetzt und in ein paar Jahren haben die Katenha wirklich wieder ihre verrückte Phase und ziehen es durch, dann dürfte Turil dich auslachen. Willst du das?“

„Äh...“ Dazu sagte Ninia vorläufig lieber nichts, bevor sich Turil wieder aufspielte und seine Theorie als absolut richtig einschätzte. „Ist ja auch egal. Ach Mann, hier gibt es zu wenig zu tun, da wird man ja wahnsinnig.“

„Du könntest die Relativitätstheorie widerlegen, wenn du dir genügend Zeit nimmst“, schlug Turil grinsend vor und erntete dafür nur einen bösen Blick. „Oder Fear bekehren, dass Männer wie du und ich doch nicht so grauenhaft sind. Das vertreibt sicher deine Langweile.“

„Ach halt doch die Klappe.“

„Statt euch hier dumm anzumachen, könntet ihr vielleicht mir helfen, unseren traumatisierten Anwesenden wieder aufzubauen“, unterbrach Sejena den aufkommenden Streit zwischen den zwei Jungs. „Ihr habt ja angeblich so viel Zeit.“

„Du meinst wohl, Ni kümmert sich um Jassin und du um deinen Jevo“, stichelte Turil gehässig und sah zufrieden zu, wie Sejena verlegen ihren Arm von Jevos Schulter löste und auf Jassin einredete. Seiner Meinung nach waren Sejena und Jevo ziemlich ineinander verknallt, aber immer, wenn er das ansprechen wollte, wurde er von irgendjemandem daran gehindert. Nur weil hier einige anscheinend die Wahrheit nicht bemerkten, musste er den Mund halten. Dabei half Turil doch so gerne bei solchen kleinen Problemen.

„Ist da jemand neidisch, weil keiner auf ihn steht? Liegt wohl dran, dass Mädchen nicht auf Dummschätzer stehen.“ Wie immer wollte sich Muri einen Kommentar zu den interessanten Aussagen ihres Lieblingsstreitpartners nicht verkneifen, vor allem wenn diese einfach überflüssig war.

„Leute, muss das denn sein?“ Virila hatte die Unterhaltung inzwischen mitbekommen und schüttelte nur verständnislos den Kopf darüber. Gab es hier keine anderen Schwierigkeiten als das Privatleben von Sejena und Jevo? Das ging niemanden etwas an, auch nicht Turil, egal wie er das empfand. „Lass das und kümmert euch um Jevo und Jassin.“ Musste man sie immer wieder auf den eigentlichen Punkt zurückbringen?

„Ja, machen wir ja schon.“ Eilig ging Ninia zu Jassin, setzte sich neben ihn und legte ihm einen Arm um die Schulter. „Hey, alles ist in Ordnung, es hat aufgehört. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Zumindest hoffte er das.

„Du schwafelst ihn wirklich jedes Mal mit demselben Zeug voll“, stellte Turil fest. „Hältst du ihn für dumm oder was?“

„Junge, halt deine nervige Klappe! Hast du irgendwas genommen oder wieso bist du heute so ätzend drauf?“, fauchte Ninia ihn aggressiv an und bereute es sofort, als Jassin erschrocken zusammenzuckte und sich panisch umsah. „Jassin, tut mir leid, ich meine dich doch gar nicht.“

Noevy hatte in der ganzen Zeit noch kein Wort gesagt und hörte einfach zu, weil er nicht wusste, was er Hilfreiches beitragen sollte, vor allem seitdem sich Turil mit fast jedem ein kleines verbales Kämpfchen geliefert hatte. Wahrscheinlich waren sie alle durch vorhin noch sehr erschrocken und das entlud sich nun mit einer Gereiztheit, die ihm gar nicht gefiel und die Jassin auch nicht gut vertrug. Aber ein wenig seltsam war der Junge schon, so wie er sich bei jeder Kleinigkeit anstellte, das kannte er nicht einmal von sich selbst. Und Noevy gehörte nicht zu der einfachen Sorte Mensch, wie man schon öfters gemerkt haben sollte und was er auch von sich selbst wusste.

„Weiß ich doch.“

Eigentlich hatte Noevy bis gerade eben angenommen, dass Jassin gar nicht sprechen konnte – jedenfalls hatte er das nie in seiner Anwesenheit getan – und war nun doch etwas erstaunt, weil Ninia auf seine Entschuldigung eine Antwort erhalten hatte.

Auch die anderen schien das ein bisschen zu wundern, aber Ninia freute sich nur darüber und zog Jassin ein wenig näher an sich.

Irgendwann würde Noevy seine Neugier befriedigen müssen und ihn fragen, ob seine Beziehung zu Jassin vielleicht doch so verlief, wie er es von Anfang an vermutet hatte, auch wenn er dafür möglicherweise eins auf den Deckel bekam. Das interessierte ihn dann doch zu sehr.

Mit der Zeit hatte auch Sejena Erfolg bei Jevos Aufmunterung und schon bald legte er sich mit Turil an, da dieser auch Ninia und Jassin irgendwelche tiefergehenden Gefühle andichtete und sich sehr darüber ziemlich amüsierte.

„Schlimmer als im Kindergarten“, verkündete Fear irgendwann in die Runde – das stärkte ihre negative Meinung über Männer noch – und legte ihren Kopf auf Virilas ausgestreckten Arm. „Wieso gibt es hier keine getrennten Zonen für Jungs und Mädchen wie überall auch?“

„Weil die Katenha bei ihrer Erforschung über die Menschen sowieso an vielen Punkten ziemlich versagt haben“, erklärte Ninia ihr gleich. „Oder findest du es hier besonders human eingerichtet? Bis auf das Bad vielleicht.“

Natürlich wurde er nicht beachtet – Fear tat so, als wäre sie innerhalb von Sekunden eingeschlafen – und widmete sich daher stattdessen lieber Jassin, dem er im Flüsterton den groben Inhalt seines momentanen Lieblingsfilms erzählte. Das einzige, was Noevy davon hörte, klang verdächtig nach einem dieser überdramatischen Fantasyfilmen. Dass sich Leute so etwas freiwillig antaten, verstand er wirklich nicht.

Gerade, als Sejena Jevo davon abhalten musste, Turil gegen das Schienbein zu treten, weil er die Hochzeitsfeier von Fear und Virila plante, öffnete sich die Tür und ein halbes Dutzend Trisets betraten den Raum. Erschrocken über deren plötzliches Auftauchen wichen alle mindestens zwei Meter an die gegenüberliegende Seite zurück und beobachteten angespannt, was wohl als nächstes folgen würde. Normalerweise kamen in dieses Zimmer nur Katenha oder neue Jugendliche, die Trisets hatten andere Aufgaben zu erfüllen, aber anscheinend war heute etwas Sonderbares im Gange.

Der erste, der von ihnen in Beschlag genommen wurde, war Turil, der sich heftig gegen die unmenschlichen Wesen wehrte, aber gegen zwei Stück, die ihn schließlich mit allen Kräften festhielten, hatte er keine Chance. Wie versteinert sahen die anderen zu, wie er zuerst ohnmächtig wurde und sich dann mit einem der beiden Trisets langsam auflöste.

„Was haben die mit uns vor?“, fragte Muri verängstigt. „Reicht ein Opfer am Tag nicht mehr oder wie?“

„Wir wollen euch nicht aussaugen“, vernahmen sie ohne Vorwarnung die Stimme eines Katenhas in ihrem Kopf. „Wir wollten euch eigentlich nach Hause bringen, aber wenn ihr nicht wollt, können wir auch nichts daran ändern.“

„Sollen wir denen auch noch vertrauen?“ Ninia zweifelte langsam an allem und jedem. „Was fordern die als nächstes von uns? Dass wir ihnen unser ganzen Geld geben, damit sie ihre Station erneuern können?“

„Aber sie haben uns bis jetzt noch nie angelogen“, gab Sejena zu bedenken, was sie trotzdem nicht daran hinderte, einen deutlichen Sicherheitsabstand zu wahren. „Vielleicht haben sie wirklich erkannt, dass es alles sinnlos ist und lassen deshalb alle in Ruhe.“

„Schön wärs.“ Zwar hoffte Jevo auf diese Möglichkeit, aber wirklich daran glauben konnte er nah den ganzen Strapazen nicht. „Der Mond kotzt mich auf Dauer echt an.“

„Uns bleibt nichts anderes übrig, als es auszuprobieren, ob sie immer noch die Wahrheit sagen.“ Virila war aufgestanden und zog Fear hinter sich her, die das nur widerwillig über sich ergehen ließ.

„Naja, schlimmer kann es eigentlich auch gar nicht mehr kommen, oder?“ Jedenfalls konnte sich Jevo im Moment nichts vorstellen, was den Katenha von Nutzen war und ihnen auch schadete. „Und vielleicht... kommen wir endlich wieder nach Hause.“

Diese Aussicht ließ bei den anderen langsam die Zweifel in den Hintergrund rücken und zögerlich bewegten sie sich alle zu den Trisets, die einen nach dem anderen zu sich nahm und ihn in den seltsamen Zustand versetzte, um ihn transportfähig zu machen.

Jevo fragte sich, ob Raven auch zurück durfte, doch bevor er irgendwelche Überlegungen weiterverfolgen konnte, löste sich die ganze Realität um ihn herum auf.
 

„Aua, wo sind wir hier?“ Verwirrt drehte Jevo sich auf die Seite, öffnete die Augen und versuchte, in der Dunkelheit um ihn herum etwas zu erkennen. „Und warum ist es so nass?“

„Ich glaub, es regnet“, sagte Sejena einige Meter von ihm entfernt und stand trotz des leichten Schwindels auf, um ihre Umgebung besser betrachten zu können.

„Sind wir auf der Erde?“ Ninia hatte Schwierigkeiten sich aufzusetzen, da Muri halb auf ihm lag und jemand anderes seine Beine blockierte. „Oder ist das alles ein neuer Trick von diesen Katenha? Zutrauen würde er es ihnen gerne.

„Es fühlt sich auf jeden Fall alles sehr real an, besonders das Gras.“ Turil spuckte einen kleinen Klumpen Erde und Gras aus und knurrte genervt, als er seine richtig durchweichten Klamotten spürte. „Hatten die keinen besseren Ort, um uns loszuwerden? Am besten zuhause oder wenigstens an einem trockenen Platz. Wo sind wir eigentlich? Mir kommt hier gar nichts bekannt vor.“

„Mir schon“, meinte Muri schnell, bevor sie alle wegen der fehlenden Orientierung in Panik ausbrachen „Irgendwo am Stadtrand in diesem riesigen Wiesengebiet, in der Nähe wohnen wir auch.“

„Was für ein praktischer Zufall, dann bring uns mal schön dahin, bevor wir uns hier erkälten.“

„Ach weißt du was, Turil, wir lassen dich hier und gehen allein.“ Darauf hätte Muri wirklich große Lust, ob ihre Eltern so einen unfreundlichen Besuch in ihrem Haus haben wollten, zweifelte sie stark an.

„Ich hätte nichts dagegen“, gab Ninia unumwunden zu und bekam dafür einen Schlag gegen den Unterarm, aber das störte ihn nicht. Wer die Wahrheit nicht vertrug, musste damit leben können.

Nachdem sie sich alle so weit es ging erholt und vom Gras befreit hatten, führte Muri die kleine Gruppe über ein Feld und durch einen kleinen Wald, bis sie endlich die letzten Ausläufer Celloras erreichten, wo Muris Familie wohnte.

„Können wir heute Nacht bei euch bleiben?“, fragte Virila, die sich nicht mehr in der Lage befand, um noch weite Strecken zurück zulegen. „Sonst muss ich mit dem Bus bis ans andere Ende der Stadt fahren, meine Eltern haben kein Auto.“

„Das geht sicher, zur Not quartieren wir meine kleine Schwester um“, versprach Muri sofort. „Meine Großeltern werden sich freuen, endlich mal wieder für längere Zeit von ihr gestört zu werden.“

Muris Eltern waren dermaßen glücklich, ihre Tochter wieder bei sich zu haben, dass sie keine Einwände erhoben, als sie erfuhren, noch acht weitere Übernachtungsgäste gratis dazu zu bekommen. Hauptsache, ihre Tochter war wieder da, außerdem bedeutete es, dass noch andere Eltern bald ihre Kinder wiedersehen konnten.

Der Reihe nach wurde jeder unter die Dusche geschickt, damit er sich keiner eine Unterkühlung zuzog, mit Kleidung von Muri oder auch von ihrem Vater – Turil passten keine Anziehsachen eines anderen Familienmitglieds, außerdem weigerte er sich, irgendwelche Frauenkleider anzuziehen – und schließlich mit massenweise Essen, das Muris Mutter ihm gesamten Haus zusammengesammelt hatte, versorgt. Das Essen bei den Katenha hatte wirklich nicht die Qualität besessen wie das auf der Erde, was man ihnen allen deutlich ansah.

Natürlich erzählte Muri ihren Eltern haarklein, was genau geschehen war, seitdem sie an einem Mittwoch nicht von der Schule nach Hause gekommen war. Währenddessen saßen die anderen in Muris Zimmer, beschäftigten sich auf irgendeine Weise oder telefonierten mit ihren Eltern, um sie vorzuwarnen, dass sie morgen bei ihnen vor der Tür ständen.

„Willst du nicht auch bei dir anrufen?“, fragte Ninia Jassin, nachdem er seine Familie über seine Rückkehr informiert und seine in Tränen aufgelöste Mutter am Telefon zu trösten versucht hatte. „Sie machen sich doch auch Sorgen.“

„Nein.“ Jassins Gesichtsausdruck wechselte sich wieder zu dem altbekannten, wenn er sich vor irgendetwas fürchtete und Ninia seufzte, weil er darauf gefasst war, ihn gleich aus irgendeinem Eck herauszulocken, in das er sich sicher verschanzte. Warum flüchtete er auch immer, wenn es Probleme gab? So konnte man nicht alles im Leben lösen.

„Und wieso?“

„Weil...“ Jassin wurde jeden Augenblick unruhiger. „Es ist halt so.“

„Man muss aber wirklich gute Gründe haben, um sich keine Sorgen um sein Kind zu machen, wenn es Monate nicht nach Hause kommt.“ Seine Mutter könnte das überhaupt nicht, das hatte er ja soeben gehört. „Hat sie die denn?“

„Anscheinend schon. Sie wollte mich unbedingt loswerden, also wird sie eher froh sein, dass ich nicht mehr da war.“

„Hör doch auf, das glaub ich dir nicht.“ Energisch packte Ninia Jassin an den Handgelenken und zog ihn vor sich. „Das tut keine Mutter.“ Jedenfalls keine, die er kannte.

„Und wieso hat sie mich dann vor drei Jahren auf dieses Internat gesteckt, mich nie besucht und sich kein einziges Mal gemeldet?“ Er vergrub sein Gesicht in Ninias T-Shirt und schluchzte leise. „Warum hat sie gesagt, ein Leben ohne mich wäre viel leichter für sie? Warum hatte sie immer diese Wutausbrüche, wenn ich da war? Warum denn sonst? Sie macht sich keine Sorgen um mich, weil sie mich nicht haben will.“

Überfordert von dieser Aussage ließ Ninia Jassin los und schlang stattdessen seine Arme um dessen Oberkörper. Für ihn klang das alles so abwegig, unmöglich, nicht nachvollziehbar, aber es gab leider nicht nur solche Menschen wie seine Mutter. Und gerade so jemanden hatte Jassin erwischt, der besonders viel Aufmerksam brauchte oder vielleicht gerade durch diese Tatsache, das wusste er nicht, dafür kannte er ihn nicht lange genug.

Er wusste nur, dass er ihm sehr leid tat, weil er anscheinend nichts für das Verhalten seiner Mutter konnte und darunter litt.

„Und du bist eigentlich immer noch in diesem Internat?“ Dann müsste er sich dort melden.

Jassin schüttelte den Kopf. „An dem Tag, als ich eingefangen wurde, bin ich dort abgehauen, da will ich nie wieder hin.“

„Musst du auch nicht, wir werden schon was für dich finden, wo du wohnen kannst.“ Vorsichtig strich ihm Ninia über den Kopf und plante in Gedanken schon, wie er seine Eltern überreden würde, Jassin bei sich einziehen zu lassen. Hoffentlich verstanden sie es.

In dieser Nacht schliefen sie alle besser als in den Wochen und Monaten davor; Fear und Virila teilten sich Muris Bett, Sejena, Jevo und Noevy das Bett von Muris Schwester, Ninia und Jassin das Gästebett, das im Flur aufgestellt wurde und Turil und Muri belegten jeweils ein Sofa – Noevy wettete darauf, dass sie sich die ganze Nacht lang anzickten – im Wohnzimmer. Zwar immer noch kein eigenen Schlafplatz für jeden, aber es war ein Fortschritt im Vergleich zu dem kleinen Matratzenlager in der Station. Außerdem gab es hier angenehm weiche Decken und Kopfkissen.

„Endlich sind wieder zurück“, murmelte Sejena leise vor sich hin und rückte ein Stück in Richtung Wand, damit Jevo zwischen ihr und Noevy nicht eingequetscht wurde. „Wir sind zwar noch nicht zuhause, aber das ist doch auch schön, oder?“

„Ja, eigentlich schon.“ Jevo zog die Decke aus Noevys Griff, damit er selbst noch etwas davon bekam. „Aber Raven ist nicht hier.“ Was sollte er seinen Eltern sagen, wenn er zuhause ankam? Egal wie oft sie sich mit ihrem ältesten Sohn gestritten hatten, Sorgen würden sie sich sicher machen, wenn sie nicht genau wussten, wo er war.

„Vielleicht kommt er noch?“ Sejena wollte ihm auf keinen Fall zeigen, dass sie nicht mehr damit rechnete, Raven in der nächsten Zeit wieder zu sehen. „Es kann ja sein, dass er bei demjenigen, mit dem die Katenha den Versuch gemacht haben, geblieben ist.“

„Das glaube ich nicht.“ Das passte nicht zu Raven. Aber er schien sich leicht verändert zu haben, deswegen würde er darauf nicht vertrauen.

Vielleicht würde er wirklich bald seinen Bruder wiedersehen.

Anfang

Im ersten Moment wusste Raven nicht, wo er war und was passiert war, aber als er mit Mühe die Augen geöffnet hatte und den noch schlafenden Diu neben sich entdeckte, kamen die Erinnerungen langsam wieder.

Muka hatte es wohl geschafft, seine Gefühle frei zu setzen, jedenfalls fühlte er sich seltsam, als ob irgendetwas nun in ihm herumwanderte und sich nicht mehr beruhigen konnte. Der Katenha hatte anscheinend ganze Arbeit geleistet, aber dafür hatte sich Raven schließlich zur Verfügung gestellt, also sollte er sich nicht darüber beschweren und stattdessen froh sein, an einen kompetenten Außerirdischen geraten zu sein.

Vorsichtig stand er auf, wobei er achtete, Diu nicht zu wecken, der sich eng an ihn geklammert hatte, sah sich in dem ansonsten leeren Raum um und steuerte auf die Badezimmertür zu. Er brauchte nun erst einmal eine Dusche oder etwas ähnliches, bevor er sich weitere Gedanken um das Hier und Jetzt und vieles mehr machte.

In die Wanne ließ er Wasser hineinlaufen, zog seine Kleidung, die er eigentlich gleich mitwaschen konnte, aus und legte sich seufzend in das warme Wasser.

Für seinen Geschmack war Zu viel in zu kurzer Zeit passiert.

Jevo, Noevy, Diu, Muka, die ganzen anderen Jugendlichen, deren Namen er nicht einmal wusste, denen er trotzdem mit seinem kleinen Opfer die Freiheit geschenkt hatte.

Wurde er langsam doch ein guter Mensch, noch bevor irgendjemand an seinen Gefühlen herumpfuschte? Oder lag das an den ganzen Strapazen, die er den anderen nur zu gerne erspart hatte? Eigentlich lief doch alles auf das Gleiche hinaus: Er veränderte sich, ob zum Negativen oder Positiven wollte er nicht festlegen, vielleicht bekam er nun andere schlechte Eigenschaften statt seinem Egoismus.

Er war doch auch nur ein Mensch.

„Raven, bist du da drin?“ Diu klopfte gegen die Tür und Raven schob seine Überlegungen zur Seite, sie brachten ihm nichts. Die Veränderung würde ab jetzt erst richtig einsetzen, wenn Muka so weiterarbeitete wie gestern.

„Ja, wieso?“ Durfte man sich hier nicht baden oder was wollte der Kleine von ihm?

„Ich wollte es nur wissen, weil du plötzlich weg warst.“

„Wer sollte denn sonst hier drin sein? Sicher kein anderer Katenha.“ Und das Christkind erst recht nicht, das existierte schließlich nicht einmal, aber das kannte Diu sicher nicht. Feierten Katenha Weihnachten?

„Stimmt... da hast du recht.“ Leicht betreten über seine überflüssige Frage kehrte Diu zu den Matratzen zurück und rollte sich wieder zusammen, um noch ein wenig zu schlafen.

Kopfschüttelnd rieb sich Raven im Bad mit einer Flüssigseife ein; aus unterschiedlichen Gründen waren sie im Moment wohl alle etwas neben der Spur. Aber wer wäre das in ihrer Situation nicht?

Nachdem er sich gründlich gereinigt hatte, verließ Raven das Bad wieder komplett angezogen und setzte sich zu Diu auf die Matratze, allerdings wusste er nicht, wie er sich beschäftigen sollte. In diesem Raum gab es nichts, Diu schien eingenickt zu sein und Muka ließ sich auch nicht blicken. Hoffentlich bekamen sie wenigstens bald Frühstück, sein Magen knurrte schon, seitdem er aufgestanden war, was wohl daran lag, dass er sich kaum noch daran erinnern konnte, wann er zum letzten Mal etwas gegessen hatte. Es schien schon länger her zu sein.

Wie auf ein Stichwort schwang die Tür auf und Muka tauchte im Türrahmen auf, in den Händen trug er ein großes Tablett, auf dem er einige Lebensmittel transportierte.

„Und, wie geht es dir?“, erkundigte es sich bei Raven, stellte das Tablett neben ihn und musterte ihn prüfend. „Fühlst du dich anders als sonst?“

„Naja, irgendwie seltsam. Das sind wohl irgendwelche Nebenwirkungen, was weiß ich, wie ich auf eure Erfindung reagiere.“ Um sich nicht länger ausfragen lassen zu müssen, griff Raven nach einer Scheibe Brot und biss hinein. Besonders gut schmeckte es nicht, aber wenigstens freute sich ein Teil seines Körpers, mit Nahrung zu werden.

„Ich hoffe, wir können heute weitermachen“, erklärte ihm Muka und beobachtete Raven bei seinem Frühstück. „Die anderen wollen so schnell wie möglich Ergebnisse, damit sie wissen, ob es sich überhaupt lohnt, nur mit einem Menschen zu experimentieren.“

„Klingt ja fast wie auf der Erde, die wollen auch immer so schnell wie möglich alles erledigt haben“, murmelte Raven zwischen zwei Bissen und spülte das Ganze mit einem Schluck Wasser aus einem Plastikbecher hinunter. An das Essen hier musste er sich erst gewöhnen.

„Muss es gleich heute sein?“ Diu hatte sich aufgesetzt und musterte Muka wenig begeistert. „Lasst ihn sich doch erst einmal erholen, sonst habt ihr bald gar nichts mehr davon.“

„Wenn sie unbedingt meinen, dass sie keinen Tag warten können, dann machen wir das halt heute schon weiter“, meinte Raven, bevor sich Muka und Diu wegen dieser Angelegenheit, die eigentlich ihn am meisten betraf, in die Haare bekamen. „Jetzt sofort oder erst später?“

„Am besten gleich. Aber wir brauchen nur dich.“ Damit zielte Muka auf Diu ab, der sich darauf eingestellt hatte, Raven zu begleiten, und sich nun hintergangen fühlte. „Außerdem kannst du deine Kleidung gleich hier lassen, heute stört sie uns nur.“

„Na toll, jetzt darf ich mich auch noch für eure Versuche ausziehen. Bestimmt ist das eigentlich gar nicht nötig, aber ihr seid ja insgesamt ein sehr interessierter Verein.“ Vor allem Muka, dem Raven immer noch nicht ganz verzeihen konnte, dass er am Anfang nicht immer seine Finger bei sich behalten hatte, aber da Katenha kein schlechtes Gewissen empfanden, durfte man ihnen keine zu großen Vorwürfe machen, zumindest sah Raven das so.

„Diu, du kannst meine Klamotten waschen, wenn ich nicht da bin“, trug Raven dem kleinen Außerirdischen auf, „deine übrigens auch.“ Er entledigte sich seiner Hose, dem Oberteil und den Schuhen, legte sie vor Diu auf einen Haufen und folgte Muka nach draußen.

Normalerweise hätte er sich erst einmal eine halbe Stunde geweigert, der Aufforderung zu folgen und danach noch einmal eine Viertelstunde protestiert, aber wie gesagt, heute lief sein Gefühlsleben anders als sonst. Vielleicht blieb das für immer, vielleicht kehrte es in ein paar Tagen zu seinem Ursprung zurück.

„Deine Gefühle waren sehr interessant.“ Muka strich mit einer Hand über Ravens Schulter den Arm hinab. „Aber leider hat es nicht sehr lange angehalten, dann habe ich schon nichts mehr gespürt.“

Das klang verdächtig, als erwartete er von Raven noch mehr. Hoffentlich endete es nicht damit, dass Muka abhängig von seinen Gefühlen wurde und ihn für immer hier in der Station behielt. Diese Vorstellung gefiel ihm ganz und gar nicht.

Genauso wenig wie die Finger, die sich gerade daran machten, seinen Rücken abzutasten. Grummelnd schlug Raven nach Muka, um ihm zu zeigen, was er davon hielt, und ließ sich ein Stück zurückfallen. Wenn Muka vor ihm ging – und das musste er machen, da Raven nicht den Weg kannte –, konnte er ihn nicht mehr gegen seinen Willen anfassen.

„Was soll das? Das gehört zu unserer Abmachung, hast du es schon vergessen?“ Muka blieb abrupt stehen, packte Raven an den Schultern und drückte ihn gegen die nächste Wand. „Ich darf theoretisch mit dir machen, was ich möchte.“

„Aber nicht hier!“, knurrte Raven gereizt und drehte schnell den Kopf zur Seite, als es ihn auf den Mund küssen wollte. „Und nicht für deine eigenen Zwecke!“ Seine patzige Seite hatte er also doch nicht verloren, vielleicht war das gar nicht so schlecht, sonst ließ er möglicherweise alles mit sich machen. Bei einem Katenha wie Muka keine gute Einstellung.

„Es ist nicht unbedingt nur für mich. Ich muss testen, ob die Gefühlsübertragung wirklich nur ein paar Stunden anhält“, erklärte es ziemlich überzeugend, nahm aber seine Finger von Raven und beschloss, weiter zu gehen. „Aber wenn du dich weigerst, müssen wir uns wohl etwas anderes überlegen.“

„Dann tu halt, was du nicht lassen kannst“, murmelte Raven genervt vor sich hin, denn so wie er die Katenha kannte, bedeutete diese kleine Drohung, sich wieder neue Versuchspersonen von der Erde zu holen, falls er nicht genau das tat, was man – besonders Muka – von ihm verlangte.

Dieser Zusage kam es auch schnell nach und musste feststellen, dass es wieder nur allein die Berührung von Ravens Mund spürte, mehr nicht. Übertragen hatte sich also nichts auf es und die Wirkung des Steins hielt tatsächlich nicht allzu lange an.

Raven fragte sich seufzend, ob er sich dieses Theater nun jeden Morgen bieten lassen musste. Wenn es nach ihm ginge, wären zwischen jeder einzelnen Sitzung mindestens eine Woche Pause, zumindest am Anfang, damit er sich überhaupt mit dem Ganzen erst einmal vertraut machte. Allerdings schien Muka so begeistert – falls man das auf jemanden beziehen konnte, der nichts fühlte –, dass er annahm, jeden Tag mit ihm in Kontakt kommen zu müssen.

Wie schon die Male davor setzte sich Raven, als sie den Raum betraten, auf den Stein und wartete, was der Katenha sich heute Wissenschaftliches für ihn überlegt hatte.

„Leg dich einfach auf den Rücken und beweg dich nicht“, befahl ihm Muka, während es die Apparatur anschaltete und sich zu ihm begab. Wenig erfreut – aus welchem Grund sollte er sich dem Vieh so präsentieren? – tat Raven es und schreckte kurz zusammen, als Muka begann, ihn mit den Fingern zu betasten. Erst im Gesicht, den Hals hinunter, die Schlüsselbeine entlang.

Mukas Finger fühlten sich genauso wie seine Lippen anders an als Raven es gewöhnt war, weshalb ihm öfters unfreiwillig kleine Schauer über den Rücken liefen, was der Katenha dank des Steins sofort am eigenen Leib erfuhr.

Besonders angetan hatten es Muka Ravens Brustwarzen, die es extra lange berührte, an ihnen entlangstrich und auch in sie hineinkniff, sodass Raven sich fest auf die Unterlippe biss, um nicht irgendwelche peinlich verdächtigen Laute von sich zu geben. Es reichte schon der weggetretene Gesichtsausdruck des Katenhas, um zu wissen, wie sehr es diesem gefiel. Und ihm wahrscheinlich auch, obwohl er das niemals zugeben würde.

Als Muka allerdings weiter nach unten wanderte und schließlich vorsichtig über Ravens Glied strich, zuckte er heftig zusammen, kniff hastig die Augen zu und hörte in seinem Kopf ein schwaches Wimmern von Muka. Drückte das etwas Gutes oder Schlechtes aus? Jedenfalls ließ der Katenha nun diesen Bereich in Ruhe, anscheinend war es doch ein wenig zu viel auf einmal für es.

Plötzlich waren die fremden Hände komplett von seinem Körper verschwunden. „Dreh dich auf den Bauch.“

Zögernd rollte Raven herum, sodass seine Hüfte an Mukas Knie stieß, und spürte kurz darauf wieder Mukas Berührungen, dieses Mal fingen sie an seinen Schulterblättern an, zogen sich in winzigen Schritten über seinen gesamten Rücken und kamen an seinem Po zu ihrem Höhepunkt. Intensiv rieb der Katenha über die Pobacken, ließ auch den Bereich dazwischen nicht aus, und schaffte es somit, die widersprüchlichsten Gefühle in Raven wachzurufen, der sich völlig verkrampft hatte und gar nicht wusste, was er über diese Aktion denken sollte. Einerseits wollte er noch wesentlich mehr davon, andererseits beklagte sich sein Verstand bei ihm, dass er solche Spielchen an seinem Körper überhaupt zuließ. Diese Fummeleien waren wirklich nah an der Grenze von dem, was er widerstandslos über sich ergehen ließ. Aber als Muka es sich nicht verkneifen konnte, langsam zwei Finger in ihn einzuführen und diese leicht bewegte, war bei Raven die Toleranzzone endgültig überschritten. Er schlug die Hand des Katenhas zur Seite, rutschte eilig an die gegenüberliegende Seite des Steins und blickte es böse an.

„Was ist? Gefällt es dir nicht? Deine Gefühle waren aber größtenteils positiv.“

„Mein Kopf wollte das aber nicht.“ Und auf den hörte er eher als auf seltsame Emotionen, mit denen er noch nicht vertraut war. „Ich will nicht von jemandem, den ich kaum kenne, den Finger in den Arsch geschoben bekommen. Wärst du ein Mensch, würdest du das vielleicht verstehen.“ Obwohl das sogar manche Menschen nicht nachvollziehen konnten, aber Raven brauchten keine Wildfremden, die hemmungslos an ihm herumfingerten, bis er nicht mehr klar denken konnte.

„Ihr Menschen scheint sehr empfindlich zu sein.“ Mukas Blick betrachteten jeden Zentimeter von Raven eingehend.

„Liegt wohl daran, dass mich früher niemand auch nur länger als nötig angesehen hat, ich deshalb keine Erfahrung habe und deshalb so reagiere.“ Außerdem wäre niemand auf die Idee gekommen, in seinen Po einzudringen, er selbst wohl am wenigsten.

„Dann musst du dich aber bald daran gewöhnen, dass ich das mit dir mache, unsere Forschungen bauen auch darauf auf.“

„Das glaubst du doch selbst nicht!“ Man hatte ihm nie gesagt, dass er hier als sexuelle Teststation für Muka dienen sollte. Hätte er das gewusst, hätte er sich sein Angebot noch einmal gründlich überlegt und vielleicht gar nicht vorgeschlagen.

„Es besteht ja nicht nur daraus, aber manchmal brauchen wir dich dafür, immerhin werden dabei auch Gefühle bei euch produziert.“

Diese Entwicklung der Dinge störte Raven gewaltig, aber was konnte er dagegen tun? Diskutieren half nichts, rumschreien sicher noch weniger und abhauen funktionierte erst recht nicht. Selbst wenn er zusammen mit Diu von hier floh, dauerte es nur wenige Tage und die nächste Invasion der Außerirdischen auf die Erde wurde gestartet. Die Alternativen standen bei null.

„Falls es dich stört, dass ich derjenige bin, der dich anfasst, musst du dir einfach jemand anderen vorstellen“, schlug Muka vor; diesen Tipp hatte er nach einigen Beobachtungen von Menschen ausgearbeitet. „Wir können es auch natürlich so machen, dass dieser Diu meine Rolle übernimmt, weil du ihm mehr vertraust, ich aber trotzdem dabei bleibe, um die Folgen mitzuerleben.“

„Ich glaube nicht, dass er da zustimmen würde“, entgegnete Raven ablehnend, immerhin war Diu ein Junge und er selbst würde sich nicht von irgendwelchen männlichen Wesen begrapschen lassen, damit Muka sich freute. Außerdem zweifelte er tatsächlich daran, dass Diu dem Vorschlag freudig gegenüberstehen würde.

„Dann musst du dich weiterhin mit mir zufrieden geben.“ Es überbrückte die Distanz zwischen sich und Raven, drückte ihn trotz leichtem Widerstand mit dem Rücken auf den Stein und legte sich auf ihn, sodass sein Kopf auf Ravens Oberkörper ruhte. „Dann fangen wir es einfach noch mal ganz von vorne an.“

Der Katenha schien es wirklich nötig zu haben, ständig mit jemandem in Kontakt zu bleiben, so kam es Raven jedenfalls vor, als er vom Gewicht seines Gegenübers auf die harte Unterlage gepresst wurde. Zum Glück wurde nicht wieder jeder freie Millimeter Haut bis zum Umfallen betastet, aber dafür spürte Raven zum ersten Mal richtig den sonderbaren Köperbau des Katenhas durch den weißlichen Stoff, den eigentlich alle hier trugen. Der Unterkörper schien der einer Frau zu sein, jedenfalls bemerkte Raven keine zusätzlichen Erhebungen dort, dafür wirkte allerdings das Becken recht schmal und Oberweite fehlte völlig. Wenn die Kinder bekamen, wurde das sicher eine sehr interessante Angelegenheit. Tat das nicht irgendwie weh, wenn da so wenig Platz war?

Sicher ein spannender Fall für einen Biologen, aber da Raven dieses Thema eigentlich nur flüchtig durch den Kopf ging, um sich überhaupt mit etwas zu beschäftigen, wollte er gar keine Antwort darauf haben. Katenha waren einfach keine Menschen und besaßen daher kein definiertes Geschlecht, Ende der Geschichte.
 

„Wo warst du so lange?“ Scheinbar hatte sich Diu Sorgen gemacht, denn als Raven nach ungefähr zwei Stunden zurück zu ihrem momentanen Aufenthaltsort kam, wartete er schon sichtlich nervös auf einer der Matratzen. Die Kleidung von ihnen hatte er wie gewünscht gewaschen und nun lag sie ausgebreitet auf dem Boden.

„Wo wohl? Bei meinem neuen Fan.“ Ein anderer Begriff fiel ihm auf Anhieb gar nicht ein, der Mukas Versessenheit auf seinen Körper nicht ganz so drastisch ausdrückte. Er musste schließlich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.

„Und was hat Muka mit dir gemacht?“

„Sicher nicht Tee getrunken. Was man halt so macht, wenn man keine Klamotten anhat.“ Das war vielleicht etwas sehr mehrdeutig zu interpretieren.

„Du meinst, ihr habt miteinander... geschlafen?“ Diu sah so entsetzt aus, als hätte Raven gerade verkündet, für immer den Katenha als Versuchskaninchen aushelfen zu wollen.

„Nein, aber so wie es sich benommen hat, hätte nicht mehr viel gefehlt.“ Was er ganz sicher nicht erwidern konnte; auf Sex hatte er ungefähr so viel Lust wie auf die anderen Katenha, mit denen er vielleicht auch noch intim werden musste. Bei dem Gedanken wurde ihm unweigerlich schlecht.

„Was habt ihr denn dann genau gemacht?“ Die Ungewissheit knabberte stark an Diu, dem die Abneigung gegen Muka ins Gesicht geschrieben stand. „Ihr wart ja ziemlich lange weg.“

„Erst hat Muka mich befummelt wie ein Weltmeister, wollte mir sogar seine Finger hinten reinstecken. Eigentlich hat es das auch getan.“ Vielleicht hätte er das lieber verschweigen sollen, Diu wirkte richtig schockiert von dieser Nachricht. „Aber dann habe ich ihm die Meinung gegeigt, weshalb er mindestens eine Stunde mit mir kuscheln wollte. Irgendwie haben die hier alle ein Rad ab.“

„Wann musst du wieder hin?“

„Eigentlich würde Muka mich die ganze Zeit gerne bei sich behalten, damit es mir nach Lust und Laune irgendwo hingreifen kann, aber wer ist damit schon einverstanden? Ich jedenfalls nicht.“ Raven prüfte seine Hose, ob sie schon trocken genug zum Anziehen war und seufzte ärgerlich, weil das nicht der Fall war. Wie lange sollte er noch nackt durch dieses Irrenhaus geistern? „Aber es hat uns angeboten, dass du ihn ersetzt und es nur zusieht und die Gefühle auffängt, aber das wäre sicher nicht so dein Fall, stimmts?“

„Wenn es dir lieber ist, wenn ich das mache, kann ich gerne für Muka einspringen.“ Etwas scheu fixierte Diu den Boden, um Raven nicht direkt ansehen zu müssen. „Also nur, wenn du willst.“

„Lieber du als es, bei dir weiß ich wenigstens, dass du mich nicht ohne zu fragen belästigst. Außer das ist der einzige Grund, weshalb du zusagst.“ Vielleicht war Diu in seinem Inneren auch nur ein notgeiler kleiner Perverser wie der Rest seiner Fastverwandten. Man konnte nie wissen.

„Nein, natürlich nicht.“ Etwas verletzt wegen dieser Unterstellung drehte sich Diu von ihm weg und zupfte an seinen Haaren herum. „Ich weiß ja, wie allergisch du auf Berührungen reagierst, also werde ich es nicht herausfordern.“

„Jetzt sei nicht gleich beleidigt. Vielleicht ändern diese neuen, dummen Gefühle ja etwas an meiner Einstellung.“ Kurzentschlossen setzte er sich neben Diu und legte ihm einen Arm um die Schulter. „Siehst du, ich sterbe nicht dran und mache es sogar freiwillig. Freu dich darüber.“ Die leichte Gänsehaut, die sich bei Diu bei seinen Berührungen bildete, nahm er natürlich wahr und auch er selbst fand es nicht mehr so schrecklich wie noch vor ein paar Tagen.

Man hatte eindeutig an ihm etwas verändert, langsam ließ es sich nicht mehr leugnen und vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass er nicht mehr so idiotisch gefühlskalt sein konnte. Durch Außerirdische menschlicher werden, was für eine Ironie des Schicksals.
 

Und wieder lag er nackt vor Muka auf dem Stein, die Augen hielt er vorsorglich geschlossen und hörte in seinem Kopf Dius beruhigendes Gemurmel. Nach drei Tagen, in denen Raven in jeder freien Minute Mukas Verlangen ausgesetzt war, durfte endlich auch der kleine Außerirdische anwesend sein, weil Raven darauf bestanden hatte, um Diu nicht stundelange allein lassen zu müssen. Davor hatte der Kleine nämlich fast so viel Angst wie vor der Tatsache, dass Muka Raven zum Sex zwang.

Wie gewohnt wurde er zu Beginn gründlich untersucht, bevor Muka überhaupt verkündete, was es heute mit ihm vorhatte. Eigentlich war es Raven sowieso klar, schließlich lief bis jetzt jeder Tag gleich ab, Hauptsache, Muka konnte seine kleine Sucht stillen.

„Ich warne dich gleich vor: Es wird dir wahrscheinlich nicht so gefallen, aber es ist wichtig für uns. Entspann dich und denk am besten an etwas anderes.“

Auf alles eingestellt wartete Raven nervös, was wohl der Grund für diese Warnung war und grummelte auch gleich leicht ungehalten, als er Mukas Hand an seinem Hintern spürte. Fand das Vieh es lustig, ihm immer genau dort hin zu fassen, wo er es am wenigstens mochte? Zumindest wenn derjenige ein silbernes Wesen ohne bestimmtes Geschlecht mit einem Hang zu sexueller Belästigung war und nicht seine Traumfrau. Obwohl er zweifelte, ob es die überhaupt gab.

Dieses Mal drang aber nicht nur ein paar Finger, sondern auch ein kühler, kleiner Gegenstand in ihn ein, was ihm nicht viel besser gefiel, schließlich fand er weder das eine noch das andere besonders erregen. Hoffte er zumindest, seinem neuen Ich traute er noch alles Mögliche zu.

„Was machst du mit ihm?“ Hastig lief Diu auf die beiden zu und ergriff Ravens Hand, um sich wenigstens einzubilden, ihn auf irgendeine Art zu unterstützen und sei es nur seelisch.

„Das werdet ihr gleich merken“, versprach Muka ihnen mit einer undeutbaren Miene.

Kaum verließen seine Finger Ravens Ausgang, begann der münzgroße Gegenstand zu vibrieren und Raven schrie erschrocken auf, von Muka nahm er nur das bekannte Wimmern wahr, während Diu überhaupt nicht wusste, wie er reagieren sollte, außer vielleicht dem Katenha gegen das Schienbein zu treten für seine selbstsüchtigen Handlungen.

„Mach es weg.“ Raven versuchte sich aus dieser Situation zu befreien, doch weder sein Körper noch Muka hörten auf ihn, stattdessen zuckte er immer stärker und auch der Katenha zitterte deutlich neben ihm.

Es schien Ewigkeiten zu dauern, bevor das kleine Ding sich von selbst ausschaltete, Raven sich erschöpft selbst davon befreite und feststellte, dass Muka sein eigenes Experiment wohl nicht so gut überstanden hatte, es lag nämlich zu einer Kugel zusammengekauert neben ihm und gab leise Geräusche von sich, die Raven eher in die Kategorie Unbehagen oder sogar Angst einordnete.

Hoffentlich hatte es aus seinem Fehler gelernt, ihn ständig zu seltsamen Sachen zwingen zu wollen.

„Geht es dir gut?“ Besorgt stieg Diu auf die Apparatur und strich sanft über Ravens blasses Gesicht. „Muka hat es schon wieder übertrieben.“ Vorwurfsvoll blickte er auf den Katenha, der sich schwankend aufrichtete und noch mitgenommener als Raven wirkte. Mitleid hatte er mit ihm ganz sicher nicht, dafür war seine Tat viel zu egoistisch gewesen.

Ausnahmsweise genoss Raven Dius Berührungen, im Gegenteil zu denen von Muka wusste er, dass Diu das nicht nur tat, weil er selbst davon profitierte, sondern weil glaubte, Raven dadurch zu helfen. Es fühlte sich auch viel besser an als wenn der Katenha wieder an ihm herumfingerte, als gäbe es kein Morgen.

„Hoffentlich hast du was daraus gelernt“, fauchte Raven Muka an und zog seine Kleidung, die ihm Diu hinhielt, an. „Wenn du mich zwingst, fühlt sich das ziemlich scheiße an, besonders für dich, kapiert? Außerdem musst du es nicht gleich übertreiben, wenn du davon gar keine Ahnung hast.“

Die starke Erregung, die Muka gefühlt haben musste, die aber bei Raven von den vielen negativen Aspekten ziemlich verdeckt worden war, hatte wohl auch ihren Teil zu der Gefühlsverwirrung des Katenha beigetragen. Sicher dachte es nun länger über die Folgen für sich selbst nach, wenn es wieder fremde Gebiete ohne genügend Ahnung betrat.

„Es... tut mir Leid“, brachte Muka gerade noch heraus, bevor es die Kontrolle verlor und hart auf den Stein stürzte, wo es regungslos liegen blieb und die widersprüchlichen Emotionen in seinem Inneren versuchte zu bewältigen, da es sonst bewusstlos geworden wäre.

„Ach Mann, mit dir hat man nur Ärger.“ Kopfschüttelnd legte Raven ihm die Hände auf die Stirn und zerrte die letzten verbliebenen positiven Gefühle aus dem versteckten Winkel des tiefen Lochs, was man wohl Seele nannte, um sie an Muka zu übergeben. Bestraft war es schon genug, außerdem brauchten sie jemanden, der sich auch wieder hier herausbrachte und bis jetzt hatte sich hier noch kein anderer Katenha wie Ayu oder Xenika blicken lassen.

„Langsam wirst du zu nett“, meinte Diu mit einem schiefen Seitenblick auf Muka, das sich fest an Raven klammerte, um nicht plötzlich wieder allein mit sich selbst dastehen zu müssen. „Es hätte es verdient, die Folgen seinen Egoismus noch etwas länger aushalten zu müssen.“

„Ich weiß, dass ich nicht mehr so unmöglich bin wie vorher, eigentlich dürfte dich das nicht stören.“ Egal was es war, etwas war immer daran verkehrt.

„Tut es aber.“ Diu klang unglaublich leise, obwohl er sich direkt hinter Raven befand. „Du setzt es ja meistens für Muka ein.“

Da hörte sich aber jemand eifersüchtig an, was Raven allerdings verstehen konnte. Er kannte Diu länger als Muka, vertraute ihm eigentlich mehr und ließ trotzdem seine neue, bessere Laune fast nur an dem anderen aus. Allerdings nur, weil dieser mit seiner Abhängigkeit so viel Verständnis und fast schon Zuwendung brauchte.

Manchmal kam Raven der Katenha wirklich nur wie ein zu groß geratenes, einsames Kleinkind vor, während Diu viel mehr Ahnung hatte.

„Vielleicht hast du sogar recht. Aber du musst dir klar machen, dass du Muka in einem Voraus bist: Du hast Gefühle, du weißt, wie du mit ihnen umgehen kannst. Für Muka ist das alles neu und weil er nie Rücksicht auf jemanden nehmen musste, handelt er auch noch so idiotisch. Ich glaube, wir müssen ihm einfach Zeit lassen, damit zurecht zu kommen.“

„Und dann zwingt er dich wieder zu solchen kranken Sachen. Vielleicht haben sie nicht nur deine Gefühle, sondern gleich dein ganzes Denken verändert", warf Diu ihm vor, wusste aber gleichzeitig, das er ziemlich ungerecht Raven gegenüber war.

„Zutrauen würde ich es ihnen.“ Raven löste sich von dem Katenha und wartete, dass dieser wieder in seinen Normalzustand zurückfand.

Ende

Sie einigten sich darauf, für die nächsten Tage eine Pause einzulegen, damit Muka noch einmal genau über sein Fehlverhalten nachdenken konnte und Raven genügend Zeit bekam, sich zu erholen. Zusätzlich verlangte Raven für sich und Diu irgendwelche Dinge, um sich in der längeren Zeitspanne nicht in dem leeren Raum zu Tode zu langweilen.

Für den weiteren Verlauf der Testreihe entschieden sich, dass es wohl besser sei, nicht nur Muka, sondern auch andere Katenha mit einzubinden und die Tätigkeiten nicht nur auf Körperkontakt zu reduzieren, schließlich ging es hier hauptsächlich um die menschlichen Gefühle und nicht um die sexuelle Bereitschaft, die man von Raven sowieso nicht erwarten durfte. Nach der kleinen Attacke war sein Verlangen auf Sex und Konsorten unter Null gesunken und er nahm an, bis an das Ende seines Lebens nichts mehr damit am Hut haben zu wollen.

„Sag mal, Raven, wann weiß man, dass man verliebt ist?“

„Hä?“ Verwirrt sah Raven von seinem Buch auf, das er gerade zu lesen angefangen hatte. „Wie kommst du da drauf?“ Gerade eben noch hatte sich Diu über das sich ständig wiederholende Essen in der Station beklagt und nun das.

„Keine Ahnung.“ Verlegen kritzelte Diu ein wenig auf seinem Blatt weiter, auf dem man bis jetzt nicht besonders viel erkennen konnte außer einer kleinen Anzahl an schiefen Kreisen. „Mir ist nur eingefallen, dass Menschen ja immer sehr viel von Liebe erzählen, ich aber eigentlich gar nicht richtig weiß, wann man davon reden kann.“

„Also wenn du jetzt irgendwelche Erklärung von mir hören willst, wie man Liebe definiert, bist du an der falschen Adresse, ich hab ungefähr genauso viel Ahnung wie du.“ Sah er aus, als wäre er schon einmal richtig verliebt gewesen? „So viel ich weiß muss das jeder für sich selbst herausfinden. Manche meinen, es gäbe keine richtige Liebe, andere schwätzen irgendetwas vom winzigen Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe und anderen wie mir ist das so was von egal, das glaubst du gar nicht.“Sicher gab es noch mehr Ansichten darüber, aber da ihn das Thema eigentlich noch nie richtig interessiert hatte, hatte er sich auch nicht sehr viel davon gemerkt.

„Aha.“ Sehr überzeugt hörte sich Diu nicht an. „Und wie würdest du das definieren?“

„Ach Mann, was weiß ich denn? Wenn du verliebt bist, benimmst du dich peinlich, rennst demjenigen dauernd hinterher, willst ihn nur für dich haben und so oft wie möglich anfassen. Aber verwechsel das nicht mit dem, was Muka macht, der will nämlich einfach nur Sex, nehm ich an. Und, fühlst du dich jetzt schlauer?“

„Ein bisschen.“ Schnell widmete sich Diu seinem unfertigen Gemälde und Raven beschlich das dumme Gefühl, dass da noch mehr hinter der Frage steckte statt nur reiner Neugier.

„Hast du das Gefühl, verliebt zu sein oder was?“ Wehe wenn, sie hatten im Moment genug zu tun als sich noch zusätzlich um das schwierige Innenleben eines kleinen Halbkatenhas zu kümmern.

„Ich bin mir nicht sicher.“

„Na super, ein Problem mehr.“ Diu war verknallt, er selbst musste sich neu sortieren und Muka sollte seiner Sucht den Kampf ansagen. Die Liste schien von Tag zu Tag länger zu werden. War denn da gar kein Ende in Sicht?

„Danke, dass auf Muka immer Rücksicht genommen wird und auf mich nie.“

„Das stimmt doch gar nicht." Seufzend klappte Raven das Buch zu – der Inhalt langweilte ihn sowieso schon nach einer halben Seiten – und ging zu Diu, der ihm aber nur demonstrativ den Rücken zutrete. „Jetzt hör mir mal... scheiße!“

Hilflos stand er hinter Diu, der leise angefangen hatte zu weinen, und fühlte sich nun ziemlich schuldig. Er hatte doch gewusst, dass Diu eigentlich ein kleines Sensibelchen war und trotzdem hatte er ihn selbst in seiner neuen Phase sehr unfair behandelt, dabei hatte ihn der Kleine immer geholfen. Und das dankte er ihm natürlich wieder nur, indem er ihn für seine Gefühle zur Schnecke machte.

„Komm, hör auf, bitte.“ Was sollte er denn jetzt tun? Sein neuerwachtes schlechtes Gewissen machte ihm gerade die Hölle heiß für sein Dasein als Riesenidiot und Diu schluchzte unbeeindruckt von seinen armseligen Worten weiter. Was für eine grauenhafte Situation.

„Es tut mir leid, Diu, wirklich.“ Er erkannte sich selbst kaum wieder bei diesen Worten, die er früher höchstens einmal im Jahr benutzt hatte, aber so war er wohl nun; auf seine Mitmenschen wirkte das hoffentlich vertrauenserweckender als vorher. Zögernd legte er von hinten seine Arme um Diu, zog ihn etwas an sich und wünschte sich, dass diese Geste dem Halbkatenha vielleicht vermittelte, wie ernst er es meinte.

Vereinzelt fielen Dius Tränen auf seinen Arm und auch auf sein T-Shirt und hinterließen nasse Spuren; das Beruhigen zog sich ewig lange hin, so kam es Raven vor, und in der ganzen Zeit kommunizierte Diu kein einziges Mal mit ihm, das machte ihn ziemlich nervös.

Warum besaß er das unschlagbare Talent, jüngere Jungen zum Weinen zu bringen? Vor nicht allzu langer Zeit hatte es Noevy erwischt und nun musste Diu daran glauben.

Noevy... der kleine Auslöser für das Theater, ohne ihn säße Raven sicher noch planlos und mit seinem lächerlichen Selbsthass zuhause fest und würde die Wand in Grund und Boden starren. Da gefiel ihm diese Variante hier fast schon besser, denn er fühlte sich dadurch nicht mehr ganz so nutzlos wie davor. Obwohl man einige Dinge ruhig hätte weglassen können.

Zum Beispiel das Drama momentan, das an seinen Nerven zerrte, da er sich dumm wie Brot vorkam und Diu wirklich nur ganz langsam wieder in einen Zustand verfiel, in dem er nicht wie ein Wasserfall seine direkte Umgebung durchnässte.

Wenigstens stieß er in der ganzen Zeit Raven nicht von sich, was dieser als gut deutete und deshalb auch keine Anstalten machte, ihn loszulassen.

„Warum sagst du ständig solche Sachen, wenn es dir nachher dann doch wieder leid tut?“ Diu hatte sich in der schraubstockartigen Umarmung – man merkte, dass Raven davon keine Ahnung hatte – umgedreht, in seine Augen konnte Raven den Vorwurf gar nicht übersehen.

„Weil ich dumm bin und es eine schlechte Angewohnheit ist.“ Die er aber so bald wie möglich loswerden sollte, wenn er nicht noch mehr Leute verletzten wollte.

So saßen sie noch eine ganze Weile lang herum. Diu antwortete nichts, lehnte nur seinen Kopf an Ravens Schulter und Raven wusste nicht, wie er die Situation noch irgendwie retten konnte, ohne gleich wieder dummes Zeug zu erzählen.

„Magst du Muka mehr als mich?“

„Natürlich nicht.“ Immer diese seltsamen Fragen, langsam wurde es Raven unheimlich. „Ich finde Leute, die mir gegen meinen Willen an die Wäsche gehen, im Allgemeinen nicht so toll.“ Vor allem wenn sie das regelmäßig taten.

„Merkt man leider nicht unbedingt.“ Dius Finger krallten sich in den Stoff des T-Shirts und Raven befürchtete, er könnte jeden Moment wieder anfangen zu weinen. Was war denn hier bloß los? Zwar hatte er schon früher gemerkt, dass Diu wohl an ihm hing, aber so intensiv hatte er es noch nie wahrgenommen.

„Du weißt doch, im Gefühle zeigen bin ich manchmal noch die absolute Niete.“ Mit etwas Übung änderte sich das hoffentlich bald, sonst wäre Raven hier ganz allein unter Wahnsinnigen, weil Diu sich schnellstmöglich aus dem Staub gemacht hätte.

Diese Vorstellung gefiel ihm überhaupt nicht.
 

Seit diesem Vorfall war Diu entgegen Ravens Annahmen sogar noch ein wenig anhänglicher geworden und Raven versuchte sein Bestes, ihm zu zeigen, dass er ihn wesentlich sympathischer fand als Muka, der sie nach knapp einer Woche wieder besuchte, um sie darauf hinzuweisen, dass sie möglichst bald ihre Arbeit fortsetzen mussten.

Dieses Mal lief es aber deutlich zivilisierter ab: Raven durfte sich angezogen zu Muka auf den Stein setzen und ihm kostprobenartig kleinere Mengen unterschiedlicher Gefühle übermitteln, sowohl gute als auch schlechte, damit Muka auf keinen Fall annahm, die menschliche Gefühlswelt bestand nur aus Freude, Glück und Lust auf Sex. Wenn Muka nämlich tatsächlich mit Gefühlen leben wollte, musste es der Realität ins Auge blicken und auch mit Trauer, Enttäuschung und Angst zurechtkommen.

„Das ist ja schrecklich.“ Noch leicht irritiert von der Eifersucht, die auf ihn projiziert worden war, schüttelte Muka heftig den Kopf und löste seine Fingerspitzen von Ravens Schläfen; näheren Körperkontakt hatte Raven bis auf weiteres wegen Dius neidischen Blicken abgelehnt und außerdem konnte sich der Katenha so daran gewöhnen, bei Raven zu sein, ohne ihn gleich komplett für sich und seine Anforderungen zu benutzen.

„Das ist natürlich und kommt sehr häufig bei Menschen vor. Bist du sicher, dass es dir trotzdem noch gefällt?“ Vielleicht wirkten die Beispiele sich negativ auf Mukas Wunsch aus. Dann hätten sie schon einen Katenha weniger, den sie überzeugen mussten, auch ohne Emotionen ihr Leben fortführen zu können.

Aber anscheinend ließ es sich nicht davon abbringen, denn es forderte gleich noch eine neue Dosierung anderer Gefühle, obwohl die Nachwirkungen von den vorhergehenden noch nicht völlig abgeklungen waren.

Nach einer knappen halben Stunde kamen zum ersten Mal seit Langem Ayu und Xenika zu ihnen, die nun auch eine kleine Probe von Ravens Innenleben bekamen, allerdings schienen Ayu die negativen Beispiele ziemlich abzuschrecken; Xenika hielt es deutlich länger durch trotz der geballten Ladung Wut, die ihm Raven auf den Hals hetzte. Sozusagen die verspätete Rache für den brutalen Versuch, den sie an Diu vorgenommen hatten.

„Das reicht jetzt für heute“, meldete sich Diu irgendwann zu Wort, als er bemerkte, wie müde Raven von der ganzen Transferaktion schon geworden war. „Morgen oder übermorgen könnt ihr weitermachen, aber jetzt braucht er erst einmal Ruhe.“

Zu dritt brachten die Katenha Raven und Diu in ihren Raum – Raven konnte kaum noch laufen, so überanstrengt hatte er sich – und besprachen sich schließlich leise, ob die Forschung sich überhaupt noch lohnte. Ayu war angeschreckt, Xenika unentschlossen und Muka immer noch von seinem Wunsch besessen, sodass sie beschlossen, mit der Zeit alle Katenha zu Raven zu bringen, um sich danach alle zusammen ein Urteil zu bilden. Der Rest wollte nämlich nicht die gesamte Zeit lang untätig in der Station verbringen und die Entscheidung allein von Muka fällen lassen.

Vorsichtig führte Diu Raven zu ihrem Bett, half ihm sich hinzulegen und blieb geknickt neben ihm sitzen. „Wie fühlst du dich?“

„Irgendwie leer. Und müde.“ Auf jeden Fall nicht besonders gut für seine Verhältnisse. „War wohl etwas zu viel.“

„Warum hast du nicht vorher aufgehört?“

„Die ganze Zeit war alles normal, es hat plötzlich angefangen, keine Ahnung wieso. Vielleicht ist mein Körper nicht so der Blitzmerker, wenn es mir nicht so gut geht.“

„Dann machst du morgen am besten auch noch eine Pause, die anderen werden das verstehen.“ Diu streckte sich nun ebenfalls auf der Matratze aus und kuschelte sich an Raven. „Sie wollen dir ja nicht schaden, das ist nicht ihr Ziel.“

„Ich hoff es doch, irgendwann will ich auch mal wieder nach Hause. Auch wenn ich da sowieso nur allein rumsitze und in die Schule muss.“ Auf seine Klassenkameraden, die sicher nicht schlagartig von seiner neuen Art überzeugt wären, konnte er eigentlich wirklich verzichten, Freundschaft mit ihnen würde er in diesem Leben sicher nicht mehr schließen.

„Wenn du zurück auf die Erde gehst... kann ich nicht mitkommen.“

„Wieso?“ Doch dann fiel Raven wieder Dius Krankheit ein, die er entweder durch das kühle Klima oder durch die Verschmutzung der Luft bekommen hatte. „Das heißt, du wirst hier bleiben? Oder gehst du zurück zu deiner Mutter?“

„Ich weiß es nicht. Natürlich will ich zu ihr, aber... ich will auch bei dir bleiben.“

Damit hätte Raven nicht unbedingt gerechnet. Eigentlich hatte er sich die ganze Zeit eher als Mutterersatz für Diu gesehen und darin den Grund gefunden, weshalb der Kleine so auf ihn fixiert war, aber wenn er anfing, logisch zu denken, eins und eins zusammenzählte und das Gespräch von vor ein paar Tagen mit einbezog, dann blieb nur eine Möglichkeit übrig.

„Denkst du, du bist in mich verliebt?“ Allein diese Frage klang schon dumm; er war ein Junge, Diu genauso – obwohl dieser sich mit diesem Hindernis wohl kaum identifizieren konnte, immerhin hatte er bis vor einigen Wochen nicht einmal den kleinen Unterschied gekannt – und da dürfte so etwas gar nicht passieren. Eigentlich.

„Ich habe keine Ahnung“, klagte Diu leise vor sich hin, „Ich habe dir doch gesagt, dass ich es nicht weiß.“

„Na gut, dann gehen wir noch einmal meine Anhaltspunkte durch, ab wann man möglicherweise verliebt sein könnte.“ Als hätte er nicht schon genug um die Ohren außer seinem momentan angeschlagenen Zustand. „Willst du immer in meiner Nähe sein?“

Nicken.

„Bist du eifersüchtig auf Muka?“

Sehr starkes Nicken, wie vermutet.

„Würdest du mich am liebsten die ganze Zeit irgendwie anfassen?“

Ganz zaghaftes Nicken, aber es genügte, um Ravens Meinung zu festigen.

„Theoretisch müsstest du es sein.“

„Es das sehr schlimm?“

„Nein, normalerweise nicht.“ Zumindest wenn es andere Menschen betraf, aber Raven wusste nun überhaupt nicht, wie er damit umgehen sollte. Es war normal für ihn, dass man ihn nicht einmal besonders mochte und nun kam ein kleiner Außerirdischer an und warf seine schöne Ordnung durcheinander. „Ich werde es aber nicht erwidern können, das muss dir klar sein.“ Sympathie war hier vorhanden, doch Liebe nicht. Hoffentlich blieb das auch so, sonst würde er noch durchdrehen.

„Das schon in Ordnung.“

Ob er das in ein paar Wochen noch genauso sah? Raven wollte sich da nicht festlegen, man durfte Diu nicht mit den Maßstäben von der Erde messen, wo die Leute bei unerwiderter Liebe zu den wahnsinnigsten Handlungen fähig waren.

Solange der Kleine nicht so krankhaftes Interesse wie Muka an den Tag legte, würde er es stillschweigend akzeptieren.

Ansonsten musste er ihn wohl mit unschönen Methoden abschrecken, auch wenn es schwer fiel.
 

Die folgenden Wochen verliefen in einem eintönigen Rhythmus: Raven übertrug kleinere Mengen Gefühle auf eine Anzahl Katenha – zwei bis drei pro Tag – und durfte sich danach zwei Tage ausruhen, dann fing der Kreislauf von vorne an. Zwischendrin musste er sich ab und zu um Muka kümmern, der ihn sonst wahrscheinlich zu irgendetwas gezwungen hätte, Hauptsache er bekam dadurch seine kleine Portion Nähe.

„Wie ein kleines Kind“, brummte Raven verstimmt, nachdem er mindestens eine Stunde lang den Katenha ausgehalten und Diu vorsorglich in ihrem Zimmer gelassen hatte, damit dieser sich nicht sofort wieder benachteilig fühlte. Man brauchte es wirklich nicht zu provozieren.

„Er ist nun mal so, du wirst nichts daran ändern können.“ Ayu erschien mit einem kleinen Grüppchen Katenha – einem orangefarbenen und zwei blauen – und musterte den aufgebrachten Jungen auf dem Stein. „Sei froh, dass wir anderen nicht so abhängig von dir sind wie Muka, sonst hättest du sehr viel zu tun.“

„Jetzt soll ich mich auch noch freuen.“ Was erwartete Ayu denn noch alles von ihm? Muka versorgen, mit Gefühlen um sich werfen, das Essen hier ohne Beschwerden zu sich nehmen, langsam wuchs ihm die Liste ein wenig über den Kopf. „Habt ihr bald mal eine Entscheidung wegen eurem Projekt getroffen oder soll ich mich noch bis in alle Ewigkeiten zum Depp machen?“

„Wenn es dir nicht mehr passt, holen wir uns andere. Wir bereden schon, aber es waren noch nicht alle hier, deswegen wird es noch eine Weile dauern.“ Es schob den an nächsten bei sich stehenden Katenha auf Raven zu.

„Und wie viele sind es noch?“ Es kam ihm vor, als müsste schon längst die gesamten Bewohner der Station bei ihm gewesen sein. Aber wenigstens hatte er dadurch gemerkt, dass nicht alle Katenha gleich aussahen, wie er anfangs angenommen hatte: Natürlich unterschieden sie sich durch Haut-, Haar- und Augenfarbe, aber auch die Größe und die Proportionen variierten bei manchen, genau wie die Reaktionen auf die erhaltenen Gefühle.

„Ungefähr zwanzig, es dauert also nicht mehr allzu lange. Bei der Auswertung bin ich mir da aber nicht sicher, das kann sich hinziehen, wenn sich viele nicht einig sind.“ Es half dem anderen Katenha auf den Klotz und wies Raven an, seine Übertragung zu starten, damit der Rest nicht unnötig lange warten musste.

Dieser Kandidat hielt es allerdings nicht sehr lange aus, sondern verschwand schon nach einer halben Minute aus dem Raum, dabei hatte Raven nicht einmal negative Gefühle gewählt. Vielleicht bedeutetet das einen Katenha weniger, der für eine Fortsetzung des Projekts stimmte.

„Das hat heute aber nicht lange gedauert“, wunderte sich Diu, als Raven noch in ziemlich guter Verfassung die Tür öffnete und sich mit einem schrägen Blick seinem totlangweiligen Essen widmete, das man ihm in seiner Abwesenheit vor die Matratze gestellt hatte.

„Die fanden es alle nicht so toll, einer hat sogar vorzeitig den Abgang gemacht. Vielleicht wächst jetzt endlich mal die Seite, die mich so schnell wie möglich von hier wegbringen und die Versuche einstellen möchte.“ Dius betretener Gesichtsausdruck rief Raven wieder ins Gedächtnis, dass sie sich dann möglicherweise nie wieder sehen würden und schon sah die Möglichkeit gar nicht mehr so gut aus. „Aber wahrscheinlich will mich die Mehrheit lieber hier behalten, sonst wären ihre ganzen Arbeiten ziemlich für die Tonne gewesen.“
 

„Die Mehrheit hat abgestimmt, das Projekt weiterlaufen zu lassen, heute werden wir dich anzapfen.“ Mit dieser Botschaft erschien Muka in der Tür, knallte Raven das Frühstück vor die Nase und wartete auf dessen Reaktion auf diese Neuigkeit.

„Schön für dich, du kommst deinem Traum immer näher. Mal sehen, ob er dir immer noch gefällt, wenn er sich erfüllt.“ Wie oft hatte er erlebt, wie Menschen sich etwas sehnlich gewünscht hatten und als es endlich eintraf, fanden sie es mit einem Mal gar nicht mehr so erstrebenswert.

„Ja, es ist schön für mich.“ Muka ging um Raven herum, hockte sich hinter ihn und begann, ihm mit den Lippen über den Nacken zu fahren. „Hätte ich die Gefühle schon, könnte ich mich sogar freuen.“

Seufzend entzog Raven sich Mukas Reichweite; zum Glück befand sich Diu in diesem Augenblick in der Badewanne, sonst hätte es bei dieser Szene wieder einen Zwergenaufstand gegeben. Warum musste er auch auf engsten Raum mit einem notgeilen Alien und einem unglückliche verliebten Jungen auskommen?

„Jetzt wehr dich nicht schon wieder, ich weiß, dass du es magst.“ Mukas Hände packten Raven am T-Shirt, schlichen sich unter den Stoff und suchten sich den Weg zu ihren Lieblingsstellen, obwohl Raven damit gar nicht einverstanden war.

„Ohne den Stein ist es sowieso langweilig für dich“, versuchte er sich aus dieser pikanten Situation zu befreien, stöhnte aber leise auf, als sich eine Hand um sein Glied schloss und leicht zudrückte. „Lass es endlich sein!“ Sprach er chinesisch oder warum tat Muka in den wenigstens Fällen das, was man von ihm wollte?

Aufgrund des lautstarken Protests hörte Muka schließlich doch auf – allerdings erst, nachdem er Raven noch einmal ziemlich zum Keuchen gebracht hatte – und beobachtet, wie sein Opfer mit bösen Seitenblicken aus seinem Wasserglas kleinere Schlückchen trank.

„Warum könnt ihr kein schlechtes Gewissen haben? Dann würdest du es dir mindestens dreimal überlegen, ob du deine sexuelle Frustration an mir auslassen willst oder nicht.“

„Ich bin nicht frustriert, ich weiß nicht einmal, was das ist“, konterte Muka, der dieses Gefühl tatsächlich noch nicht übertragen bekommen hatte, und streckte schon seinen Arm aus, um zu testen, wie sich Raven Wange im Gegensatz zu seinem Bauch anfühlte und ob es vielleicht noch etwas verpasst hatte.

„Nimm deine Pfoten weg! Ich mach schon genügend für euch, da kannst du auch mal aufhören.“ Es nervte ihn nur noch, selbst wenn es ihm einigermaßen gefiel, was Muka mit ihm anstellte, im Moment hatte er definitiv kein Interesse daran.

Durch Dius Auftauchen wurde Muka von seiner Tätigkeit abgelenkt, da es natürlich merkte, dass der kleine Außerirdische höchst allergisch auf seine Anwesenheit war.

„Diu, ab heute wollen sie richtig anfangen. Du kannst entweder mitkommen oder hierbleiben, wie du willst.“ Nicht dass er sich benachteiligt vorkam, weil über ihn bestimmt wurde, immerhin war er ein eigenständig denkendes Wesen und hatte daher ein Recht darauf, für sich zu entscheiden.

„Ich komme mit.“ Mit etwas anderen hatte Raven auch nicht gerechnet.

„Wenn ihr euch schon so sicher seid, können wir schon gleich anfangen.“ Nach der Abfuhr von vorhin wollte Muka so schnell es ging wenigstens einen Erfolg für diesen Tag verbuchen; wenn nicht komplett für sein eigenes Wohl, dann wenigstens noch ansatzweise für das von allen Anwesenden.

Nervosität machte sich in Raven breit, als er zusammen mit Diu und Muka den Versuchsraum betrat, wenig später folgten auch immer mehr Katenha, die Muka per Telepathie zu ihrem ersten richtigen Versuch einberufen hatte.

„Ich hab Angst.“ Besorgt betrachtete Diu seine Fastverwandten um sich herum. „Es fühlt sich nicht gut an, zumindest wenn es unfreiwillig gemacht wird, aber es wird sicher auch bei dir sehr unangenehm werden.“

„Keine Panik, ich werde das schon überleben.“ Irgendwie auf jeden Fall, allerdings wusste er nicht, ob er möglicherweise Schädigungen an Seele und Geist – falls er so etwas überhaupt besaß – davontragen könnte. Leider war es für Zweifel zu spät, die hätte er gleich zu Beginn oder besser noch vor dem Vorschlag haben sollen, nun musste er hier durch.

Heute übernahm Xenika die Prozedur, achtete dabei auch darauf, dass die von Raven angesprochenen Punkte beibehalten wurden – kein Zwang, kein Ausziehen der Kleidung oder ähnliches, was zu Unwohlsein führen konnte – und ließ sogar zu, dass Diu sich bei Raven aufhalten und ihm einen kleinen Strom seiner Energie übermitteln durfte.

Es fühlte sich tatsächlich nicht schön an, trotzdem versuchte Raven, sich zu entspannen, gleichmäßig alle Emotionen aus sich herauszulassen und sich auch nicht von Xenikas Fingern auf seinem Gesicht irritieren zu lassen. Je länger es dauerte, desto größer und tiefer schien das Loch zu werden, das sich dort auftat, wo sich zuvor die verschiedensten Empfindungen aufgehalten hatten. Tapfer biss Raven die Zähne zusammen und ertrug es schweigend, aber irgendwann funktionierte das trotz Dius Energie nicht mehr, vor seinen Augen verschwamm plötzlich alles und er wurde immer blasser, bis Xenika sicherheitshalber den Stein deaktivierte und sich leise mit Ayu besprach. Für den Anfang langte es allemal; die beiden durften zurück in ihr Zimmer.

„Fast jedes Mal, wenn du da warst, muss man dich zurücktragen.“ Kopfschüttelnd bei dieser Tatsache untersuchte Diu Raven, holte ihm ein Glas Wasser aus dem Badezimmer und legte sich wie immer zu ihm, damit er sich nicht so allein vorkam. „Das ist doch kein Zustand, das ist wahnsinnig.“ Wie von selbst schlangen sich seine Arme um Ravens Körper, er zog sich an ihn und drückte ganz zaghaft einen kurzen Kuss auf Ravens Wange. „Denk doch bitte wieder an dich.“

Entgegen seines sonstigen Verhaltens schob Raven Diu nicht weg, sondern nahm die durch den Kuss entstandenen Gefühle in sich auf, um das Loch wieder zu füllen und sich nicht mehr so schrecklich leer zu fühlen.

„Mir gefällt es auch nicht, wie ich im Moment bin“, murmelte er leise, „ich wäre langsam gern wieder so wie früher.“ Da hatte er wenigstens einschätzen können, wie er auf welche Situationen reagieren würde, nun ging das gar nicht mehr. Außerdem war er nicht so unglaublich pseudozivilisiert gewesen, das nervte auf Dauer fast schon.

„Nein, ich nicht. Dann bleib lieber so wie jetzt; du bist viel offener und nicht mehr so übertrieben zurückgezogen.“ Dass das Diu mehr zusagte als der dauerschlechtgelaunte und unnahbare Raven, war kein Wunder. Solche Menschen kamen bei vielen besser an.

„Ich find mich so aber richtig peinlich.“ Immerhin wartete er gerade sehnlichst darauf, dass Diu sich vielleicht noch etwas mit ihm beschäftigte. „Das ist ein absoluter Rückschritt.“

„Für mich ist es ein Fortschritt“, erklärte Diu ihm schnell, deutete Ravens Blick richtig und liebkoste noch einmal seine Wange mit seinen Lippen. „Du verhältst dich viel eher so, wie meine Mutter es mir von Menschen erzählt hat.“ Er lächelte leicht. „Schlaf jetzt am besten, danach fühlst du dich sicher besser.“

„Ich hoff es doch.“ In seiner jetzigen Verfassung konnte er sich selbst nicht einmal im Spiegel ansehen, ohne sich über sich selbst aufzuregen, aber vielleicht sollte er gleich anfangen, sich daran zu gewöhne, falls das wirklich sein neues Ich war.

Der Gedanke gefiel ihm immer noch nicht besonders. Aber mit der Zeit freundete man sich mit allem an, eine typisch menschliche Eigenschaft, die möglicherweise doch ihr Gutes hatte.
 

„Das kann doch nicht sein.“ Muka wurde fast wahnsinnig und hämmerte auf den Stein ein. „Warum bleiben sie nicht bei uns?“

„Beruhig dich, du machst ihn noch kaputt“, unterbrach Ayu den Gefühlsausbruch des anderen Katenha und zerrte ihn vorsichtshalber zur Seite, damit die Befürchtung nicht tatsächlich eintrat.

„Das ist mir egal, ich will, dass es funktioniert!“

Verwundert beobachtete Raven das ungewöhnliche Verhalten Mukas, der sich sonst trotz der Menge Emotionen noch nie so aufgeführt hatte. Allerdings wusste er nicht genau, aus welchem Grund der Katenha gerade den Raum zusammenschrie und kurz davor stand, die komplizierte Technik des Steins auseinanderzunehmen. Ihm erzählte man so etwas Wichtiges natürlich nicht, obwohl er seit Wochen – wenn nicht sogar Monaten – sich hier für sie zum Anzapfen bereitstellte.

„So wird es aber erst recht nicht gehen.“ Ruhig wie immer versuchte Ayu mit dem aufgebrachten Muka zu kommunizierten, doch es weigerte sich strikt, überhaupt zuzuhören und veranstaltete stattdessen ein riesiges Theater, bis Raven es endgültig auf den Geist ging, er vom Stein sprang und Muka einmal heftig schüttelte, um es vielleicht so wieder in einen normalen Zustand zu bringen, indem man mit ihm reden konnte und sogar das Problem verstand.

„Was ist mit ihm los?“, fragte er Ayu, das aufmerksam dem Schauspiel vor seiner Nase zusieht, als hätte es noch nie einen der beiden vorher getroffen.

„Die Gefühle scheinen immer noch nicht dauerhaft bei ihm bleiben zu wollen.“

„Ach so, ich dachte schon, mit dem Stein wäre etwas nicht in Ordnung.“ Er beendete den Versuch, Muka zu beruhigen, da es nun seltsamerweise auch noch kurz davor stand, in Tränen auszubrechen. Was war denn heute bitte mit ihm los? „Komm mal wieder runter, rumheulen macht es auch nicht besser.“

„Die anderen werden aber langsam ungeduldig und haben vor, das ganze Projekt vorzeitig abzusetzen, wenn die Gefühle nicht bald mindestens einen Tag lang halten.“ Verzweifelt vergrub Muka das Gesicht an Ravens Schulter und erwartete wohl eine Priese Mitleid, was er auch notgedrungen geben musste, das Muka sich sonst gar nicht mehr beruhigt hätte.

„Also noch mal ganz von vorne. Der Stein funktioniert eigentlich und überträgt die Gefühle auf euch, aber sie halten immer noch nicht lange genug.“

„Genau.“ Ayu war in der Zwischenzeit zum Stein gegangen und hatte ihn ausgestellt. „Wieso das so ist, wissen wir nicht, anscheinend haben wir wieder etwas nicht genau einkalkuliert.“

„Wäre nicht das erste Mal.“ Wenn sie alles so unstrukturiert planten wie hier, durften sie sich gar nicht wundern, dass sie bis jetzt nichts erreicht hatten. „Und deshalb wollt ihr jetzt aufgeben?“

„Was bringen uns hundert Jahre Versuche, wenn nachher nichts herauskommt? Nur weil wir nichts fühlen, bedeutet das nicht automatisch, dass wir dumm sind“, erinnerte Ayu ihn. „Ihr Menschen seid da ja auch nicht unbedingt die unübertroffenen Vorbilder, wenn es um Perfektion geht.“

Wo es Recht hatte, hatte es Recht, allein die Panne bei der Erneuerung der U-Bahn vor ein paar Jahren mit einem Schaden von fast einer Million Euro zeigte das schon. Und das gehörte noch zu den harmlosen Beispielen, die Raven im ersten Moment durch den Kopf gingen.

„Ich will nicht, dass alles so wird wie vorher“, jammerte Muka weiter und drückte Raven dabei fast die Luft ab. „Ich will nicht mehr so leblos durch das Universum gehen wie vorher.“

„Das musst du aber, wenn wir keine Möglichkeit finden, sie für längere Zeit an uns zu binden. Da hat wohl wirklich jemand schon zu viel Gefühle abbekommen, ein Grund mehr, damit aufzuhören.“ Kopfschüttelnd überlegte Ayu, was es als nächstes tun sollte. „Wir werden uns so schnell wie möglich einen neuen Plan überlegen müssen.“

„Stimmt doch wieder ab, was ihr machen wollt“, schlug Raven vor, dem das demokratische Verhalten der Katenha immer noch sehr seltsam vorkam. Waren sie nicht eigentlich ziemliche Einzelgänger? Warum wurde dann so darauf geachtet, auf die Bedürfnisse von jedem einzelnen einzugehen?

„Das wird schwer, wenn die Mehrheit immer noch für das Projekt ist. Muka, lass es endlich gut sein, du kannst auch nichts mit deinen Beschwerden ändern.“ Mit diesen Worten machte sich Ayu auf den Weg, um die anderen von ihrem Fehlschlag zu unterrichten.

„Komm, Ayu hat recht, es bringt nichts, wenn du dich stundenlang wie ein kleines Kind benimmst“, versuchte Raven Muka zu Verstand zu bringen und seufzte genervt auf, als er langsam merkte, auf was der Katenha wieder hinauswollte. Warum lagen sonst seine Hände nicht mehr irgendwo um seine Schultern, sondern fummelten im Bereich seiner Hose herum? „Kannst du nicht mal eine Minute lang an etwas anderes denken, wenn wir allein sind?“ War das denn so schwer, seine dauerpräsenten Triebe im Zaum zu halten? Er hatte ja auch nicht rund um die Uhr jemanden geschlagen, wenn er gerade Lust darauf gehabt hätte.

„Warum? Ich mag es, du auch, wieso sollte ich damit aufhören? Außerdem könnte es das letzte Mal sein, wenn tatsächlich das Projekt vorzeitig abgebrochen wird.“ Geschickt hatte es Ravens Hose geöffnet und war ein wenig unschlüssig, mit was es sich als erstes befassen sollte.

„Dass du es magst, weiß inzwischen jeder.“ Bei sich selbst war er sich immer noch nicht sicher, ob er es jetzt abstoßend oder erregend fand, wenn Muka ihn permanent anfasste; da saß er wohl in einem ziemlichen Zwiespalt, aus dem er nicht so leicht herauskam. „Gewöhn dich mal lieber daran, dass ich bald nicht mehr da sein werde, um für dich da zu sein. Vielleicht gibt es einen anderen Katenha, der das übernimmt.“

„Nein, ich habe es schon versucht und keiner von ihnen wollte, deshalb will ich nicht, dass du gehst.“ Es fingerte schon wieder ganz ungeniert zwischen Ravens Beinen herum und ließ es sich auch nicht nehmen, vorsichtig mit der Zunge diesen Bereich zu erkunden, was er davor noch nie getan hatte. So weit hatte Raven es bis jetzt nicht kommen lassen, aber weil es sich dieses Mal wohl um das letzte Mal handelte, hielt er es ohne große Beschwerden aus, obwohl ihm es doch schon etwas zu intim wurde, als Muka hingebungsvoll begann an seinem Glied zu saugen.

Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem seine Beine ihm den Dienst verweigerten, einknickten und Raven leise keuchend auf Muka landete, was es allerdings nicht dazu brachte, von seiner Tätigkeit abzulassen. Stattdessen zog es ihm noch das Oberteil aus – dass es das schaffte, ohne von ihm abzulassen, wunderte Raven trotz seiner kaum noch vorhandenen geistigen Anwesenheit – und streichelte zufrieden die fremden Brustwarzen, auf die es sich schon beim ersten Mal unglaublich fixiert hatte. Raven konnte immer noch nicht nachvollziehen, was an seinem Körper so toll sein sollte, er selbst fand ihn eigentlich recht unansehnlich im Vergleich zu dem von anderen, aber Muka schien er sehr zu gefallen, zumindest deutete er das aus den nicht enden wollenden Berührungen.

„Schläfst du mit mir?“, fragte der Katenha plötzlich aus heiterem Himmel, während er mit seinen Zähnen die Haut über den Schlüsselbeinen bearbeitete. „Nur einmal, damit ich wenigstens weiß, wie es sich anfühlt.“

„Ich habe aber keine Erfahrung da drin“, versuchte sich Raven aus der Affäre zu ziehen und seufzte leise auf, als Muka ganz zufällig mit dem Ellbogen sein Glied berührte. „Ich weiß also nicht, was wann man genau macht und was dir gefallen könnte.“

„Das ist egal, Hauptsache, ich spüre, wie es ungefähr ist“, versicherte Muka, hörte mit seiner Verwöhnung auf, zog sich stattdessen aus und saß nun genauso nackt wie Raven es inzwischen war ihm gegenüber. „Tu einfach das, was du denkst, dass es so gemacht wird.“

„Kannst du von mir schwanger werden?“ Immerhin sollte vorher geklärt werde, ob er nicht ungewollt der Vater eines kleinen Halbkatenhas wurde. Das wäre nicht unbedingt in seinem Sinn. „Diu hat erzählt, seine Mutter wäre es von seinem Vater geworden.“ Was auch ganz logisch war, sonst gäbe es Diu nicht in dieser besonderen Form, wenn seine Mutter auf normale Katenhaart schwanger geworden wäre.

„Dann besteht bei mir auch die Möglichkeit, aber ist das nicht egal. Du wirst mich sowieso nie wieder sehen und dann habe ich wenigstens ein Andenken an dich.“

Gut, dass er keine Kinder bekommen konnte; für immer an Muka erinnert zu werden gehörte nicht zu Ravens Zielen im Leben. Aber wenn der Katenha das Risiko in Kauf nehmen wollte, würde er es nicht daran hindern, vielleicht konnte er sich dann auch eher einreden, nicht mit einem Außerirdischen sondern mit einer normalen Frau zu schlafen, wenn sie es auf normale Art und Weise taten. Dafür müsste er nur die ganze Zeit über die Augen schließen und sich jemanden vorstellen. Nur wen? Die wenigen Mädchen in seinem Bekanntenkreis fand er sicher nicht so umwerfend, um mit ihnen ins Bett zu steigen.

„Los, fang an“, riss Muka ihn aus seinen Überlegungen und setzte sich auf seinen Schoß, um ihn zu demonstrieren, dass es für den letzten Schritt bereit war.

Es verlief alles sehr unspektakulär, eigentlich hatte Raven mehr erwartet, aber da sie beide nicht das Wissen mitbrachten, was man haben sollte, spielte sich die Angelegenheit relativ schnell ab: Raven platzierte den Katenha auf dem Boden und drang vorsichtig in es ein, um ihm nicht unnötig weh zu tun, da er nicht wusste, was es bei Muka auslöste. Er spürte aus jeden Fall kaum etwas, während Muka hingegen genüsslich die Augen schloss, die Arme um Ravens Nacken legte und sich verlangend an ihn drückte. So unterschiedlich fielen also ihre Reaktionen auf ihre erstes und gleichzeitig letztes Mal miteinander aus, irgendwie erstaunte Raven das.

Kaum hatte es begonnen, endete es schon, denn Muka schien die baldige Ankunft von jemandem zu bemerkte, gab Raven noch schnell einen Kuss auf die Wange und löste sich schließlich widerwillig von ihm, was Raven einerseits schade fand, andererseits erleichterte. Was er nun genau davon hielt, ließ sich nicht genau zuordnen, wie scheinbar bei allem, was Muka mit ihm anstellte.

Es war tatsächlich das letzte Mal, dass sie sich so intensiv miteinander beschäftigen konnten, da Ayu mit Xenika im Schlepptau keine halbe Minute, nachdem sie sich angezogen hatten, im Raum erschien und zu Mukas großem Bedauern das endgültige Ende des Projekts bekannt gab.

Raven durfte also wirklich bald zurück auf die Erde zurück kehren, weil die Katenha keinen Sinn mehr in einer Arbeit sahen, die zu großer Wahrscheinlichkeit nie zu einem befriedigenden Ergebnis kam.
 

Mit gemischten Gefühlen wachte Raven am letzten Tag seines Aufenthalts in der Station auf; in ein paar Stunden wäre er wieder zuhause, in seinem gewohnten und geregelten Alltag. Vielleicht im kleinen Appartment, vielleicht wollten seine Eltern ihn nun doch wieder bei sich haben, das entschied sich erst, wenn er ankam.

Aber dafür musste er Diu zurücklassen und egal wie lange er sich versuchte einzureden, dass das gar nicht so schlimm für ihn sein konnte, tief in seinem Inneren tat doch etwas bei dieser Aussicht sehr weh. Seine neuentdeckten Gefühle machten ihm wohl alles im Leben ein bisschen schwieriger.

Diu war seit der Bekanntgabe des Abbruchs erschreckend still, starrte fast die ganze Zeit nur vor sich hin und schaffte es kein einziges Mal, Raven direkt anzusehen, was dieser leicht geknickt zur Kenntnis nahm. Der klein Außerirdische musste auf seine Art mit dem Abschied klar kommen und schien es anscheinend am besten zu finden, es erst einmal mit sich selbst auszumachen.

„Raven, wir werden uns auf den Weg machen“, vernahm er Xenikas Stimme und realisierte überrascht, dass der Katenha sich in ihrem Raum befand, ohne dass einer von ihnen das mitbekommen hatte. Sie waren wohl zu tief in ihren eigenen Gedanken vergraben gewesen. „Ich bringe dich persönlich zur Erde. Eigentlich hatte ich gedacht, Muka würde das gerne übernehmen, aber anscheinend hat da jemand noch letzte Reste von Liebeskummer. Bald wird Muka es sowieso nicht mehr spüren, dann wird hoffentlich wieder alles normal sein; das Projekt war nicht ganz so, wie wir es angenommen haben.“ Es klopfte mit dem Fuß auf den Boden. „Komm, ich habe nicht den ganzen Tag für dich Zeit.“

Zögernd stand Raven auf und wollte auf Xenika zugehen, doch endlich erwachte Diu aus seiner Starre, packte ihn am Ärmel und zog ihn an sich. Nun war der gefürchtete Zeitpunkt des Abschieds gekommen, vor dem Diu schon die ganze Zeit Angst gehabt hatte und was man ihm deutlich ansah, seine Miene wirkte nämlich todtraurig und Raven erkannte auch dass verdächtige Glitzern in seinen Augen. Wenn er jetzt anfing zu weinen, könnte er auf keinen Fall ohne weiteres von hier gehen, das wusste Raven mit Sicherheit.

„Mach es mir nicht noch schwerer.“ Seufzend strich er Diu über den Kopf und fragte sich, wie sein Leben nun ohne den Kleinen verlaufen sollte.

„Tut mir Leid, aber ich will nicht ohne dich hier bleiben.“

„Du kannst mich ja manchmal besuchen kommen.“ Vielleicht vertrug er das, wenn er schon nicht länger auf der Erde sein konnte.

„Ich werde es versuchen.“ Zögernd stellte Diu sich auf die Zehenspitzen, hob den Kopf, sodass er endlich direkt in Ravens braune Augen blicken konnte, und drückte ihm einen langen Kuss auf den Mund, bevor ihm die ersten Tränen über das Gesicht liefen. „Ganz sicher, Raven.“ Er biss sich auf die Lippen, um nicht noch laut loszuschluchzen und Raven so den Abschied extrem zu erschweren, und nahm Abstand von ihm.

Das war das Zeichen für Raven, sich zu Xenika zu begeben, da er ansonsten nicht mehr in der Lage dazu gewesen wäre. Er warf einen letzten Blick auf den leidenden Diu, spürte Xenikas Arme um sich und im nächsten Moment verschwamm alles vor seinen Augen.

Gleich war er zuhause. Weg von der Station.

Und weg von Diu.
 

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen öffnete Raven die Augen. Die Umgebung kam ihn sehr vertraut vor; die Hochhäuser aus Glas und Metall, die vielen Menschen um ihn herum, die ihn mit schrägen Blicken musterten, und das kühle Klima, das sich so von der viel wärmeren Temperatur im Inneren der Station unterschied. Er war wieder in Cellora, auf einem belebten Platz gar nicht weit vom Haus seiner Eltern entfernt.

Von Xenika fehlte jede Spur, sicher hatte es sich gleich aus dem Staub gemacht, nachdem es ihn hier auf einer Parkbank abgesetzt hatte. Aber immerhin wusste er, in welche Richtung er sich wenden musste.

Mit langsamen Bewegungen setzte Raven sich auf, wartete, dass das Schwindelgefühl, das ihn soeben ergriff, sich zurückzog und begann den Weg nach Hause anzutreten, der ihm viel länger erschien als er ihn in Erinnerung hatte. Vielleicht lag das an seinem angeschlagenen Zustand, vielleicht an der Tatsache, so ewig lange nicht mehr hier gewesen zu sein. Oder er hatte ausversehen einen Umweg genommen.

Irgendwann kam das Haus in Sicht und Raven mobilisierte noch einmal alle seine verbliebenen Kräfte, um nicht direkt vor dem Ziel schlapp zu machen.

Alles sah noch genauso aus wie zu dem Zeitpunkt, als er das letzte Mal hier gewesen war. Der winzige Garten hatte immer noch kaum grüne Pflanzen oder Büsche, das Tor hätte man wirklich endlich reparieren können und die Vorhänge in den Fenstern entsprachen immer noch nicht seinem Geschmack.

Entschlossen drückte er auf den Klingelknopf und hörte das dezente Glockenspiel durch das Haus wehen. Auch hier hatte sich nichts geändert, sein Vater hatte sich immer noch nicht durchsetzen können, einen auffälligeren Ton zu installieren.

Die Tür wurde aufgerissen und Raven stand seinem Bruder Jevo gegenüber, der ihn anstarrte, als wäre er ein Geist, bevor er ihm stürmisch um den Hals fiel und ihn gar nicht mehr loslassen wollte. Sein undeutliches „Oh mein Gott“ rief auch gleich seine Eltern dazu, die es ebenfalls kaum fassen konnten, endlich wieder ihren ältesten Sohn zu sehen.

Raven lächelte gequält; er war wirklich wieder zuhause und er war kurz davor, es zu bereuen. Aber auch nur fast.

Zukunft

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Kommentare zu dieser Fanfic (25)
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Von:  Flippi
2009-08-11T23:23:58+00:00 12.08.2009 01:23
~ And Action ~

So und nun das letzte komi!!!
Also wieso du zu dem Kapi nun noch kein Komi hattest konnte ich nicht verstehen...
Also ich selbst fand es das war das interessanteste Kapi bis jetzt!
Oder es liegt wohl nur daran das ich dieses eine Ding da so mag!^.^
Aber dafür bin ich nun erste!

-> Stimmt, jemand anderen sah er nicht, seine Frage war ziemlich überflüssig gewesen. Aber was sollte man zu einer körperlosen Stimme sagen?
(Gut, auch wenn man da wohl sagen kann, man kann ja nicht immer alles sehen was in seiner nähe ist? Mache Dinge verstecken sich einfach, aber in seinem Fall wird er wohl recht haben und es wird nur diese eine Stimme da sein!^.^ Gut, aber es wird wohl auch sein Glück sein!^.^)

-> „Könntest du mir nun meine Frage beantworten.“ Zwar hörte er es nicht heraus, aber Raven nahm an, dass der Besitzer der Stimme langsam ungeduldig wurde.
(Diese kleine Stelle gefiel mir da auch sehr gut! Besonders, der letzte Teil mit dem ungedulig werden. Irgendwie hebt das da wieder so eine kleine Spannung raus und hat auch wieder was sehr interessantes an sich. Das einem einfach lust macht da weiter zu lesen und dann zu erfrahren was es dann nun eigentlich wohl sein wird, und wieso das Wesen es nun doch irgendwie bisschen eilig hat!)

-> „Ja, ich suche wirklich jemanden. Einen Jungen, ungefähr so groß wie ich, dunkle Haare, nicht besonders schlau im Kopf. Er wurde gerade von einer Frau mitgenommen.“ Wieso erzählte er das? Er bildete sich diese Stimme sicher ein, also konnte sie ihm gar keine Hilfe sein.
(Oh ja, wirklich mal eine Interessante Frage, wieso erzählt Raven das einer fast unbekannten Person? Gut aber die Antwort habe ich da wohl, er macht sich Sorgen und darum versucht er wo auch immer hilfe herzubekommen, und das ist da nun mal halt diese ihm total unbekannte Person, denn sonst ist ja niemand hier und was schlimmeres als nein sagen kann er ja nicht, die Frage ist ja nicht so schlimm, sie ist einfach so gesehen seine letzte Hoffnung...)

-> „Ein Lebewesen“, antwortete die kleine Gestalt und schritt langsam auf ihn zu. „Ich tu dir schon nichts.“
(Eigentlich an sich ja noch ein recht normaler satzt... Aber gerade vor ein paar Tagen hatt da meine Kollegin so eine festellung uns mitgeteilt... aus so einem Wettbewerb wo junge Schüler ihre Geschichten einschicken können. Jedenfalls werden da Leute von Leichen verfolgt, gut was ja nicht so einfach ist, da dies eigentlich tot sind, ausser es wären Zombis? Oder so was... die man dann nochmals töten kann... x.x Aber in deinem Fall zeigt es einem wirklich, dass es wohl was Lebendes, noch Atmender Organissmus ist, egal ob jetzt Monster oder nicht... es lebt noch.... (So nun hoffe ich nur du verstehst da mein kauderwelsch... x.x ist wohl bisschen schwerder denn sinn darin zu finden....)

-> „Nehm mich mit in dein... Haus“, bat es, „hier draußen ist es so kalt. Bitte.“
(Wow, irgendwie kann einen Raven leid tun... zuerst dieser eine Junge de, er retten musste und nun diese komische Wesen... irgendwie kann er wirklich froh sein, dass seine Eltern nicht zu Hause sind... x.x Die würden das wohl nicht mitmachen...... oder auf alle fälle bei diesem komischen Wesen nicht...)

-> „Und wenn du gar nicht so harmlos bist wie du tust?“, fragte Raven misstrauisch und versuchte die störende Hand abzuschütteln, was ihm nicht gelang, der andere ließ nicht locker.
(So und zum schluss wieder mal die Tatsache, dass es sich bei der Person nur um Raven handeln kann! Er denkt! Er überlegt wirklich was und spricht es sogar aus! Ist wohl einer der Gründe wieso ich den so mag!^.^ Gut auch wenn das Wesen ihn sonst wohl shcon lange getötet hätte, wenn er es wirklich gefwollt hätte... also schon mal was.... auch wenn das Wesen da ja schön anhänglich und wohl schwer wieder loszuwerden ist... x.x Hört sich ja fast so an als wär es meine kleinste Siss... x.x)

-> Er war eindeutig wahnsinnig geworden.
(Und nun wohl der Genialste Schlusssatz! Aber das tifft es wohl auf den Kopf! Besser kann man Raven Worte wohl auch nicht aussprächen! oder wohl denken! Aber als Schluss einfach genial!)

Würde sofort weiter lesen, aber es ist wohl einfach zu spät,
und bevor ich da deine FF mit weiteren so komischen Komis zutackere lege ich mich wohl lieber schlafen...
Morgen heisst es wieder früh raus....
leider...
Aber ich hoffe du hattest oder wirst noch freude an den komis haben!^.^
;P
lg

Flippi
~ Reaction ~
Von:  Flippi
2009-08-11T23:03:32+00:00 12.08.2009 01:03
~ And Action ~

So, und wieder ein Kapi geschft!
Wird wohl das zweitletzte vor dem schlafengehen...
Ausser der PC will nicht mitmachen...
Aber wenigstens habe ich nun schon einiges schaft!
War wirklich schon interessant!
Auch wenn der beste Teil wohl noch kommt!^.^

-> „Junge, übertreib es nicht. Irgendwas ist draußen umgefallen oder sonst was und du willst irgendwelchen nicht vorhandenen Personen helfen?
(Wow, das nennt man wohl mal was! Gut aber irgendwie hat raven ja recht... man muss sich ja nicht in Gefahr begeben wenn man nicht weiss was da draussen ist? Und besonders wenn ja niemand nach Hilfe schreit oder so... aber ist wohl einfach die Neugier oder die kleine Tatsache, dass was da draussen sein kann was ihn da hinaus lockt.... =.= Auch wenn er wohl lieber drinnen geblieben wär...)

-> Entsetzt beobachtete Raven vom Küchenfenster aus, wie Noevy nach draußen lief, von einer dieser unheimlichen Frauen festgehalten wurde und schließlich in sich zusammensackte, obwohl die Frau gar nichts weiter getan hatte.
(Wow, da sagt man wohl mal ein schönes schauspiel mitansehen müssen, und wieder mal das schlimmste, man kann nichts dagegen machen.... sondern nur zusehen, denn bis man bei der Tür ist kann es dann ja schon zuspät sein, hätte er den Kleinen da nur nicht alleine gelassen, aber im nachhinein ist man ja immer schlauer... X.x leider..... aber na ja, er wird schon sein bestes ja versuchen um ihm zu helfen!^.^ Nun ist ja eine Person in Not, auch wenn es ja nicht hätte sein müssen, aber es passt wohl einfach zu dem Charakter des Kleinen so was zu machen... =.=)

-> Lernte der Junge nie aus Fehlern wie gestern?
(Nö, das wohl nicht... oder das würde ich wohl gerne sagen! Aber würde er aus seinen fehler so schnell lernen wär die Geschichte ja nicht so interessant! Gut, und der kleine ist ja erst zahrte 13 Jahre alt, da kann man schon noch ein paar Flausen im Kopf haben! Oder eben bisschen eine längere Leitung in Sachen aus Fehlern lernen haben... X.x)

-> „Suchst du jemanden?“
(So und die wohl jetzte Frage! Wer sagt das wohl? Da bin ich mal gespannt! Und lese gleich noch das letzte Kapi für heute! Hoffe mal das wird da wohl geklärt!^.^)

Lg

Flippi

~ Reaction ~

Von:  Flippi
2009-08-11T22:40:14+00:00 12.08.2009 00:40
~ And Action ~

So und nummer drei!
Gut aber ich habe immer noch schön was vor mir... x.x
Aber mal schauen, wie viel ich da wohl heute noch schaffe???

-> und Raven konnte sich nicht erklären, wie er in Anwesenheit eines fremden Jungens dermaßen die Kontrolle über sich selbst verloren hatte.
(Wow, das ist mal ein Satz gewesen!^.^ da zerbrachen sich die Beiden einfach die Köpfe übe rihr verhalten... x.x das ist mal was... Gut und besonders da sie ja beide ihren teil nicht verstehen können, gut auch wenn ich wohl bei Raven sagen würde, er kann einfach nicht so gut mit Menschen umgehen, oder irre ich mich da wohl? Gut oder er hatte einfach mit zu wenigen zu tun... das könnte es auch sein, der Gute ist vielleicht bisschen eingerostet?)

-> „Weil mich meine Eltern nicht mehr zuhause haben wollten, zum hundertsten Mal.“ Sichtlich genervt rührte Raven in seiner Tasse herum und kippte sich jede Menge Zucker in den Tee
(So, und da gleich noch mals so eine tolle stelle!^.^ Hi, hi, hi! Besonders da der Kleine ja das zweite mal schon diese Frage stellt! Gut aber dafür ist da Raven bisschen genervt, aber verstehen kann man es ja... sich dauernt zu wiederholen ist nicht so schön... auch wenn man mir da bestimmte sachen wohl einfach hundert mal sagen kann und ich immer schön gespannt zuhöre... oder wenigstens so tue... x.x irgendwie kann ich da den Menschen nie sagen, das ich das schon laaange weiss... oder shcon gehört hatte...)

-> „Wieso warst du gestern bei diesem verdammten Wetter überhaupt draußen?“
->„Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, konterte Noevy automatisch.
(Oh ja, das ist wirklich mal eine interessante Frage! Wieso eigentlich!^.^ Gut aber oft kann man ja auch nicht anders und muss da nach draussen, also rein teoretisch muss da nicht immer die super Story mit bösen Gestalten und so herauskommen.... oder es wär bisschen unlogisch... o.Ô Oder ich wurde wenigstens noch nie auf diese Art auf die Strasse gelockt, da ich fliehen musste von komischen Typen die mich verfolgten....)

-> „Wenn ich dich bemitleiden soll, bist du hier an der falschen Adresse“, erklärte ihm Raven klipp und klar
(So und zum Schluss noch eine klare Antwort! Aber da hat er recht... Bis jetzt würde so was wie Mittleid wirklich nicht in die Charakterzüge von Raven passen... der ist irgendwie so schön abgehärtet, aber ich bin mal gespannt wie es wohl weiter geht? oder ob er wohl so bleibt?)
Lg

Flippi

~ Reaction ~

Von:  Flippi
2009-08-11T22:29:14+00:00 12.08.2009 00:29
~ And Action ~

So, und schon wieder ein kapi!
Irgendwie bin ich da wirklich super schnell durchgekommen?o.Ô
Hat mich ja selber verwundert...
Gut, also interessant war es auch wieder!^.^
Gut und es hat sich da doch einiges bestätigt was ich schon vorher gedacht hatte!^.^
Hi, hi, hi!

-> Raven hatte aus ihm nicht bekannten Gründen die halbe Nacht wachgelegen, wahrscheinlich störte ihn inzwischen die Anwesenheit von anderen Menschen- zumindest nahm er das an.
(Gut, muss zwar nicht umbedingt an ihm liegen: Grund nummer 1. Der Gute hat sonst auch dauer schlafstörungen? => Wie ich... das ist so schööön doof.... =.= Sonst wär ich nun auch nicht noch was.... gut und ich bewege mich auch immer so schön.... ah, hat gerade eine Kollegin von mir gesagt als sie bei mir übernachtet hatte... immer auf dem Bett hin und her drehen......... =.= ahhh!!!! Gut und Grund Nummer 2. hat da deine Figur schon gesagt... und ich denke mal es wird wohl auch das sein..... oder ich vermute doch mal... der andere ist ja nicht so ein Sonnenschein der immer schön besuch bekommt..... ausser ich würde mich so gross dabei irren?O.O)

->„Du gehst mir unglaublich auf den die Nerven mit deinen Fragen, sieh es endlich ein. Und jetzt verschwinde!“
(So, und das dachte ich mir im letzte Kapi ja schon, und schon ist es so weit! hi, hi, hi! Diese Stelle musste einfach einmal kommen! Er musste einfach mal die Gedult verliehren bei solchen schönen Fragen!^.^ Gut aber na ja.... er wird es wohl überleben müssen... mache Menschen sind nun halt bisschen wisbelgierung und wollen auch viel wissen.... er hätte wohl einfach Person XY nicht nach Hause genommen, aber zu spät ist zu spät!;P)

So, und wieder was geschaft!^.^
Hi, hi, hi!
Lg

Flippi

~ Reaction ~
Von:  Flippi
2009-08-11T22:21:00+00:00 12.08.2009 00:21
~ And Action ~

So, und nun lese ich wieder mal ein bisschen!^.^
Hi, hi, hi!
Irgendwie ist deine Story momentan das was ich wohl am meisten anspricht...
Gut es ist ja auch schon früh... x.x

-> „Sein Pech, dann esse ich eben ohne ihn.“ Er schnappte sich eine Schüsselvoll Salat und ein Glas Orangensaft und überlegte während des Essens, was er nun mit Mr. XY auf seinem Sofa anstellen sollte.
(Das war da eine ganz interessante stelle, besonders, da du dort dieses Mr. XY benutzt hast. Irgendwie macht es das ganze eine super lustiger und auch sehr witztig und ist nicht so eine strockne masse. Gut also wohl genau das was ich da gesucht habe!^.^ Auch wenn das Kapi ja noch nicht so lang ist... aber ich habe geschaut, sie werden ja noch lääänger!)

-> Er war doch kein Dienstmädchen.
(Oh doch nun schon! => oder das hätte ich da an dieser stelle so gerne sagen wollen! Komischer weise lese ich diese Art von satzt heute schon das zweite mal... o.Ô Was für zufälle es da gibt... war eine total andere sytuation, aber genau der gleiche ausgang!;P)

-> „Warum willst du das wissen?“
(Die wohl aller wichtige Frage! Wieso will da eine fast fremde Person so was wissen?O.O Das wär mal interessant zu erfahren, aber ich würde da rein vom chrakter her mal auf die Neugier tippen, der eine will einfach bisschen was über den anderen wissen und fragt da wohl mal die einfachsten Fragen, oder er will wissen ob er da angst haben muss das da irgendwelche Eltern mitten in der nacht ins Haus oder Zimmer trampel... oder was er wohl sonst noch so denkt?)

-> „Nein, sie leben noch“, unterbrach Raven ihn. „Am Stadtrand, ganz alleine ohne ihren dummen, ignoranten und unharmonischen Sohn. Sie haben mich abgeschoben, verstanden?“
(Was ich aber genial fand, war wohl wieder eine fast schon offene Art, wie er auf diese Frage eine Antwrot gab, würde wohl sagen fast zu offen, aber der letzte satzt sagt da ja auch schon wieder, er hat damit abgeschlossen und somit wohl auch kein Problem damit so was zu sagen! Oder es wirkt da mal so, bin mal gespannt wie es wohl mit weiteren Fragen so sein wird, die werden wohl noch kommen!^.^)

Aber wirklich wieder sehr interessant!^.^
Von:  ReinaDoreen
2009-08-06T19:08:46+00:00 06.08.2009 21:08
Diu als Versuchskaninchen. ISt es nicht gefährlich dieses Experiment mit den Gefühlen, jedenfalls fü die die von selbst Gefühle haben. Und Diu hat ja auch Emotionen, wenn auch nicht so starke. Und was passiert mit den Menschen denen immerzu ihre Gefühle geraubt werden?
Reni
Von:  Flippi
2009-08-05T21:18:34+00:00 05.08.2009 23:18
Wow, wirklich mal ein interessanter anfang!^.^
Gut, und ich habe nun schon mal das erste Kapi gelesen... x.x
Daurt aber wohl länger bis ich weiter komme...
Setzte es da mal auf meine Liste der sachen die ich lesen muss....
Oder müsste...

So, also ich fand es wirklich schon mal interessant!
Ich mag da deinen Schreibstil und auch wie es so anfängt.
Ist wieder so eine düstere Atmosphäre und es ist auch bisschen verstrickt!
Und genau das mag ich auch so sehr!^.^
Gut so gross sind die Kapis nicht,
aber ich denke das kommt mir gerade recht!^.^
Also ich bin mal gespannt wie es so weiter geht!^.^
Lg

Flippi
Von:  ReinaDoreen
2009-08-04T20:54:26+00:00 04.08.2009 22:54
Ich denke auch das Diu viel mehr zu fürchten hat als Raven, Der könnte auch mit als Experiment dienen, aber Diu wird bestimmt bestraft werden.
Reni
Von:  ReinaDoreen
2009-05-27T17:36:38+00:00 27.05.2009 19:36
Gefühle absaugen? Was wollen die Kathena mit Gefühlen? Wollen sie die auf sich übertragen? Geht das überhaupt? Und was passiert mit den Menschen? Das es unmittelbare Auswirkungen hat ist sichtbar, aber auf längere Sicht? Können die Kathena nicht damit irgendwann die Gefühle bei den Menschen auslöschen?
Reni
Von:  ReinaDoreen
2009-05-22T19:34:56+00:00 22.05.2009 21:34
Wenn Diu Raven Energie absaugt, um gesund zu werden, ist es vielleicht genau das was die anderen Kathena mit den Menschen, die sie entführt haben, machen.
Reni


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